Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Noch bleibt in seiner todten Hand die Wehr,
Die seines Vaters Herz durchbohrt – so bleibt
Ein abgehauenes Glied im Grabe (sagt man,)
Noch mit dem Stumpf in seltsamer Verbindung,
Deß Nerven noch, ob sie gelähmt auch, zucken.

Altes Schauspiel.

Der Alterthümler hatte, wie wir am Ende des zweiten Kapitels dem Leser berichteten, die Gesellschaft des würdigen Mr. Blattergowl von sich gewiesen, obgleich dieser erbötig war, ihn mit einer der gewandtesten Reden zu unterhalten, die ihm je beim Zehentgericht vorgekommen sei und die der Anwalt der Kirche in dem merkwürdigen Prozesse des Kirchspiels Gatherem vorgetragen hatte. Unser Alter widerstand aber dieser Lockung und zog einen einsamen Pfad vor, der ihn wieder zur Hütte Mucklebackit's führte. Als er daselbst ankam, sah er einen Mann, der damit beschäftigt war, ein beschädigtes Boot, welches auf dem Strande lag, wieder herzustellen, und als der Alterthümler näher trat, überraschte es ihn, zu finden, daß Mucklebackit selbst der Mann war. »Ich freue mich,« sagte er theilnehmend, »ich freue mich, Saunders, daß du dich doch fähig fühlst, diese Arbeit vorzunehmen.«

»Und was sollte ich denn anders thun,« antwortete der Fischer mürrisch, »wenn ich nicht vier Kinder verhungern sehen will, weil Eines ertrunken ist? Mit den Vornehmen ist es freilich anders, sie können, mit dem Tuch vor den Augen, zu Hause sitzen, wenn sie einen Freund verloren; aber Unsereiner muß wieder an die Arbeit, sollt' uns das Herz dabei auch schlagen, wie mein Hammer.«

Ohne weiter auf Oldbuck zu achten, fuhr er in seiner Arbeit fort; aber der Alterthümler, dem die Aeußerung der menschlichen Natur unter dem Einflusse aufgeregter Leidenschaft nie gleichgiltig war, blieb ihm in stummer Aufmerksamkeit zur Seite stehn, als beobachte er das Fortschreiten der Arbeit. Er betrachtete mehr als einmal des Mannes harte Züge, als dieser, wie aus Gewohnheit, den Schall von Säge und Hammer nach hergebrachter Weise mit Pfeifen und Summen zu begleiten strebte; aber ebenso oft zeigte ein krampfhaftes Zucken, daß ihm, ehe der Ton heraus war, die Ursache einfiel, warum er ihn unterdrücken müsse. Als er endlich einen großen Riß ausgebessert hatte und einen zweiten vornehmen wollte, schien ihm sein Gefühl die zur Arbeit nöthige Aufmerksamkeit völlig zu rauben. Das Stück Holz, welches er aufnageln wollte, war erst zu lang; dann sägte er es wieder zu kurz; und ein drittes wollte eben so wenig zum Zwecke passen. Endlich warf er es zornig weg, und rief, indem er sich das feuchte Auge mit zitternder Hand wischte: »Auf mir, oder auf dem alten schwarzen Boote ruht ein Fluch! Ich hab' es oft auf's Trockene herauf gezogen und so manches Jahr ausgebessert und geflickt, damit es zuletzt meinen armen Steenie ertrinken lassen sollte, – ei, so sei es verdammt!« dabei warf er den Hammer gegen das Boot, als wär' es die willkürliche Ursache seines Mißgeschicks gewesen. Dann besann er sich jedoch und setzte hinzu: »Aber was sollt' ich zornig darauf sein, da es doch weder Seele noch Verstand hat? – Freilich geht es mir selbst kaum besser. Es ist ein altes, morsches, zusammengenageltes Ding, dem Wind und Wellen mitgespielt haben – und ich bin ein alter Kerl, von schlechtem Wetter zu Wasser und Lande mitgenommen, daß ich fast so bewußtlos wie das Boot bin. – Bis zur Morgenfluth muß es aber ausgebessert sein – das ist durchaus nothwendig.«

Mit diesen Worten begann er sein Werkzeug wieder zu sammeln, und versuchte in der Arbeit fortzufahren: aber Oldbuck faßte ihn freundlich beim Arm. »Komm, komm,« sagte er, »Saunders, das ist heute keine Arbeit für dich. Ich will Shavings, den Zimmermann, herunterschicken, der soll das Boot ausbessern, und die Arbeit auf meine Rechnung bringen. Und du thust besser, morgen nicht herauszugehen, sondern zu Hause zu bleiben und deine Familie zu trösten; der Gärtner soll Euch etwas Gemüse und Brod von Monkbarns bringen.«

»Ich danke Ihnen, Monkbarns,« antwortete der arme Fischer; »ich weiß keine Worte zu machen und weiß für mich selber wenig zu sprechen; früher hätt' ich wohl von meiner Mutter eine schönere Sprache lernen können, aber ich sah nicht, daß sie viel Gutes damit erlangte. Indeß, ich dank' Ihnen. Sie waren immer freundlich und nachbarlich, was auch die Leute von Ihnen sagen mögen; und ich hab' auch oft gesagt, wenn sie die armen Leute gegen den Adel aufhetzen wollten: kein Mensch soll dem Monkbarns ein Haar krümmen, so lange Steenie und ich noch einen Finger bewegen können. Steenie sagte auch so. Und, Monkbarns, als Sie sein Haupt ins Grab legten, (tausend Dank für diese Ehre,) da sahen Sie einen ehrlichen Burschen zur Ruhe legen, der Sie lieb hatte, wenn er auch nicht viel Worte darum machte.«

Oldbuck, der den Stolz seines affektirten Cynismus weichen sah, würde bei dieser Gelegenheit nicht gern von Jemand an seine Lieblingsgrundsätze der stoischen Philosophie erinnert worden sein. Thränen entfielen seinen Augen, als er den Vater, der bei der Erinnerung an das edle und brave Gemüth seines Sohnes ganz weich wurde, bat, den unnützen Kummer zu verbannen. Er führte ihn am Arme nach seiner eignen Hütte, wo unsern Alterthümler ein andrer Auftritt erwartete. Als er eintrat, war die erste Person, die er erblickte, Lord Glenallan.

Beiderseitige Ueberraschung sprach aus ihren Zügen, als sie einander begrüßten, welches mit stolzer Zurückhaltung von Seiten Oldbuck's, und mit Verlegenheit von des Grafen Seite geschah.

»Mylord Glenallan, glaub' ich?« sagte Mr. Oldbuck.

»Ja – sehr verändert seit der Zeit, wo er Mr. Oldbuck kennen lernte.«

»Ich bin nicht Willens,« sagte der Alterthümler, »Ew. Herrlichkeit lästig zu fallen – ich kam nur, um diese betrübte Familie zu besuchen.«

»Und Sie fanden mich, Sir, der weit größere Ansprüche auf Ihr Mitleid hat.«

»Mein Mitleid? Lord Glenallan kann unmöglich meines Mitleids bedürfen. Wenn es Lord Glenallan bedürfte, so würde er schwerlich darum bitten.«

»Unsere frühere Bekanntschaft,« sagte der Graf –

»Ist von so altem Datum, Mylord – war von so kurzer Dauer und mit so höchst peinlichen Umständen verknüpft, daß ich denke, wir könnten der Erneuerung überhoben sein.«

Mit diesen Worten wandte sich der Alterthümler ab und verließ die Hütte; Lord Glenallan aber folgte ihm ins Freie nach und bat ihn, trotz eines eiligen, »Guten Morgen, Mylord,« um eine Unterredung von wenigen Minuten und um seinen gefälligen Rath in einer wichtigen Angelegenheit.

»Ew. Herrlichkeit wird viel fähigere Rathgeber finden können, Mylord, denen Ihre Unterredung überdies eine Ehre dünken wird. Ich meinerseits habe mich von Geschäften und von der Welt zurückgezogen und spüre kein sonderliches Verlangen, die vergangenen Ereignisse meines nutzlosen Lebens vom Neuen aufzuregen. Vergeben Sie mir, wenn ich sage, daß es mir besonders peinlich ist, auf die Periode zurückzukommen, wo ich wie ein Narr handelte, und Ew. Herrlichkeit wie« – hier hielt er inne.

»Wie ein Schurke, wollen Sie sagen,« sagte Lord Glenallan, »denn als solcher mußte ich Ihnen erscheinen.«

»Mylord – Mylord, ich habe kein Verlangen, Ihre Beichte zu hören,« sagte der Alterthümler.

»Aber, Sir, wenn ich Ihnen zeigen kann, daß man sich mehr an mir versündigte, als ich sündigte – daß ich ein über alle Beschreibung unglücklicher Mann gewesen bin, der in diesem Augenblick auf ein zu frühes Grab als auf einen Ruhehafen blickt, so werden Sie mir das Vertrauen nicht versagen, um welches ich zu bitten wage, indem ich Ihr Erscheinen in diesem kritischen Augenblick als einen Wink des Himmels betrachte.«

»Gewiß, Mylord, ich will mich der Fortsetzung dieser außerordentlichen Zusammenkunft nicht ferner widersetzen.«

»Dann muß ich Sie an unser zufälliges Zusammentreffen vor zwanzig Jahren im Schlosse Knockwinnock erinnern, und ich brauche Ihnen wohl nicht eine Dame ins Gedächtniß zurückzurufen, die damals zur Familie dort gehörte.«

»Die unglückliche Miß Eveline Neville? Mylord – ich erinnere mich ihrer sehr wohl.«

»Sie nährten eine Neigung für sie« –

»Sehr verschieden von denjenigen, mit welchen ich vor- und nachher ihr Geschlecht betrachtete; ihre Sanftmuth, ihr gelehriges Wesen, ihr Geschmack an den Studien, worin ich sie unterwies, fesselten mich mehr an sie, als es sich mit meinem Alter (obwohl dies damals noch nicht sehr vorgerückt war,) oder mit der Festigkeit meines Charakters vertrug. Aber ich brauche Ew. Herrlichkeit nicht an die mancherlei Arten zu erinnern, wie Sie sich auf Kosten eines unbeholfenen, nur der Wissenschaft lebenden Mannes lustig machten, der nicht wußte, wie er ein ihm neues Gefühl ausdrücken sollte; und ich zweifle nicht, daß Ihnen die junge Dame bei dem wohlbegründeten Lachen beistand – es ist dies die Art der Weiber. Ich habe nun von den peinlichen Umständen, die mit meiner Bewerbung und deren Zurückweisung verbunden waren, gesprochen, so daß Ew. Herrlichkeit überzeugt sein kann, wie gut ich Alles im Gedächtniß habe; Sie können also, in Rücksicht auf mich, Ihre Sache ohne alle Bedenklichkeit oder nutzloses Zartgefühl erzählen.«

»Ich will es,« sagte Lord Glenallan; »zuerst lassen Sie mich sagen, daß Sie dem Andenken des sanftesten, edelsten und zugleich unglücklichsten Weibes Unrecht thun, wenn Sie glauben, sie könne die ehrenwerthe Neigung eines Mannes, wie Sie, verspottet haben. Häufig tadelte sie mich, Mr. Oldbuck, daß ich auf Ihre Kosten meinem Leichtsinn freien Lauf ließ. Darf ich jetzt annehmen, daß Sie die Freiheiten entschuldigen, durch welche Sie damals beleidigt wurden? Mein Gemüthszustand hat mich seitdem nie wieder in die Nothwendigkeit versetzt, Mißgriffe eines leichtfertigen und glücklichen Sinnes entschuldigen zu müssen.«

»Mylord, Alles ist völlig verziehen,« sagte Mr. Oldbuck. »Sie werden wissen, daß ich, wie alle Anderen, damals nicht wußte, ich sei der Nebenbuhler Ew. Herrlichkeit; daß ich vielmehr glaubte, Miß Neville befinde sich in einem Zustande der Abhängigkeit, welchem sie eine entschiedene Unabhängigkeit und die Hand eines braven Mannes vorziehen würde – Aber ich verschwende hiermit Zeit; ich wollte, ich könnte glauben, daß die Absichten, welche Andere hinsichtlich ihrer unterhielten, so aufrichtig und redlich wie die meinigen waren!«

»Mr. Oldbuck, Sie urtheilen hart.«

»Nicht ohne Ursache, Mylord. Wenn ich, unter allen obrigkeitlichen Personen dieses Landes, weder die Ehre habe (wie einige derselben) mit Ihrem mächtigen Hause in Verbindung zu stehen, noch (wie andere) die Gemeinheit, dasselbe zu fürchten: – wenn ich einige Nachforschungen über Miß Neville's Tod anstellte, – (ich thue Ihnen weh, Mylord, aber ich muß offen sein,) – so muß ich gestehen, daß ich allen Grund hatte, zu glauben, daß sie ein sehr unverdientes Geschick ertrug und durch eine vorgespiegelte Heirath betrogen wurde, oder daß man wohl gar harte Maßregeln anwandte, um die Beweise einer wirklichen Verbindung zu unterdrücken und zu zerstören. Auch kann ich selbst nicht zweifeln, daß diese Grausamkeit von Ihrer Seite, mochte sie freiwillig sein, oder durch den Einfluß der verstorbenen Gräfin veranlaßt werden, die unglückliche junge Dame zu der verzweifelten Handlung trieb, welche ihrem Leben ein Ende machte.«

»Sie sind im Irrthum, Mr. Oldbuck, und Ihre Schlüsse sind nicht richtig, wie natürlich sie auch nach den Umständen scheinen mögen. Glauben Sie, ich achtete Sie selbst damals, als mich Ihre thätigen Versuche, unser Mißgeschick zu erforschen, in Verlegenheit setzten. Sie zeigten sich der Miß Neville damals würdiger als ich, durch den Eifer, mit welchem Sie dabei beharrten, ihren Ruf selbst nach ihrem Tode zu rechtfertigen. Aber die feste Ueberzeugung, daß Ihre wohlgemeinten Bemühungen nur dazu dienen konnten, Licht auf eine Sache zu werfen, die zu schrecklich war, um näher erörtert zu werden, veranlaßte mich, meine unglückliche Mutter bei dem Plane zu unterstützen, jeden Beweis zu entfernen und zu vernichten, der die rechtmäßige Verbindung zwischen mir und Evelinen darthun konnte. Und nun lassen Sie uns auf jene Bank setzen, denn ich fühle mich unfähig, länger zu stehen. Haben Sie die Güte, eine außerordentliche Entdeckung zu hören, die ich heute gemacht habe.«

Sie ließen sich nieder, und Lord Glenallan erzählte in der Kürze seine unglückliche Familiengeschichte, die heimliche Vermählung, die schreckliche List, wodurch seine Mutter die bereits vollzogene Verbindung unmöglich zu machen gehofft hatte. Er legte alle Kunstgriffe dar, womit die Gräfin, im Besitz aller Papiere, die sich auf Evelinens Herkunft bezogen, nur diejenigen vorlegte, welche seinen Vater aus Familienrücksichten bestimmten, das junge Fräulein für seine natürliche Tochter gelten zu lassen, und zeigte, wie es ihm unmöglich war, den ihm selbst von seiner Mutter gespielten Betrug zu vermuthen oder zu entdecken, den überdies noch die Schwüre ihrer Dienerinnen, Teresa's und Elsbeth's, als Wahrheit bekräftigt hatten. »Ich verließ mein väterliches Haus,« schloß er, »als hätten mich die Furien der Hölle daraus vertrieben, und reiste in wildem Wahnsinn, ohne zu wissen, wohin. Auch hatte ich nicht die leiseste Erinnerung an Alles, was ich that, oder wohin ich ging, bis mich mein Bruder entdeckte. Mit einer Erzählung meiner Krankheit, meiner Genesung – wie ich, lange nachher erst, es wagte, nach der unglücklichen Theilnehmerin meines Mißgeschicks zu fragen und nun hörte, daß ihre Verzweiflung ein schreckliches Heilmittel gegen allen Jammer des Lebens gefunden habe, mit alldem will ich Sie nicht aufhalten. Das Erste, was ich erfuhr, war, daß Sie das schreckliche Geheimniß zu erforschen strebten; und schwerlich werden Sie sich wundern, daß ich, im Glauben dessen, was ich glauben mußte, Antheil an den Mitteln nahm, die Ihrer Forschung hinderlich waren. Mein Bruder, meine Mutter hatten dieselben bereits in Bewegung gesetzt. Die Kunde, die ich Beiden von den Umständen, den Zeugen unsrer geheim geschlossenen Ehe gab, setzte sie in den Stand, Ihren Eifer unwirksam zu machen. Der Geistliche, die Zeugen, Alles Leute, die nur Theil genommen hatten, um dem mächtigen Erben von Glenallan gefällig zu sein, waren ebenso für seine Versprechungen und Drohungen empfänglich, und wurden so versorgt, daß sie ohne Widerstand dies Land mit einem anderen vertauschten. »Was mich selbst betrifft, Mr. Oldbuck,« fuhr der unglückliche Mann fort, »so betrachtete ich mich von dem Augenblicke an als ausgestrichen aus dem Buche der Lebendigen, wie Einen, der mit dieser Welt nichts mehr zu thun hat. Meine Mutter versuchte auf alle Weise, mich mit dem Leben zu versöhnen; selbst durch Winke, die, wie ich jetzt wohl errathen kann, darauf berechnet waren, mich dies schreckliche Ereigniß, welches sie zum Theil selbst erdichtet, bezweifeln zu lassen. Aber ich hielt Alles, was sie sagte, für Eingebungen mütterlicher Zärtlichkeit. – Ich will auf alle Vorwürfe verzichten. Sie ist dahin, und wie ihre unglückliche Vertraute sagte, wußte sie nicht, wie sehr die Waffe, die sie aus der Hand schleuderte, vergiftet war, oder wie tief sie eindringen würde. Aber, Mr. Oldbuck, wenn je auf dieser Erde seit zwanzig Jahren ein Wesen umherschlich, welches Ihr Mitleid verdienen konnte, so war ich es. Meine Speise hat mich nicht genährt und mein Schlaf nicht erquickt; die Religion gab mir keinen Trost; Alles, was dem Menschen labend oder nützlich ist, ward mir zu Gift; der seltene und eingeschränkte Umgang, den ich mit andern hatte, war mir verhaßt. Es war mir, als brächte ich die Schmach der unnatürlichen, unvertilgbaren Schuld auf Unschuldige und Frohe. Es gab Augenblicke, wo ich Gedanken anderer Art nachhing. Ich wollte mich in den Krieg stürzen, wollte den Gefahren einer Reise in fremden und wilden Himmelsstrichen trotzen; mich in politische Umtriebe verwickeln oder zu der düstern Einsamkeit der Anachoreten unserer Religion flüchten. Alle diese Gedanken haben wechselsweise meine Seele beschäftigt; aber jeder heischte Kraft zur Ausführung, und nach dem Schlage, den ich erlitten hatte, besaß ich keine mehr. Ich vegetirte, so gut ich konnte, an demselben Orte, – Phantasie, Gefühl, Urtheilskraft und Gesundheit nahmen allmälig ab, wie ein Baum, dessen Rinde bereits zerstört ist. Erst welken seine Knospen, dann die Zweige, bis er einem so verfallenen und sterbenden Stamme gleicht, wie er jetzt vor Ihnen steht. Haben Sie jetzt Mitleid und Vergebung für mich?«

»Mylord,« antwortete der Alterthümler sehr bewegt, »um mein Mitleid, um meine Vergebung haben Sie nicht erst zu bitten, denn Ihre schreckliche Geschichte ist nicht nur an sich selbst die genügendste Entschuldigung für alles, was in Ihrem Benehmen geheimnißvoll erscheinen mochte, sondern die Erzählung ist auch von der Art, daß sie selbst Ihre schlimmsten Feinde (zu denen ich nie gehörte, Mylord,) zu Thränen und Mitleid bewegen müßte. Aber erlauben Sie mir zu fragen, was Sie nun zu thun denken, und warum Sie mich, dessen Meinung wenig Geltung haben kann, mit Ihrem Vertrauen in dieser Sache beehrten?«

»Mr. Oldbuck,« antwortete der Graf, »da ich nie die Beschaffenheit des Bekenntnisses, welches ich heute vernahm, vorausahnen konnte, so brauche ich nicht zu sagen, daß ich nicht beabsichtigte, Sie oder irgend Jemand anders in Dingen um Rath zu fragen, deren Charakter ich auch nicht einmal leise vermuthen konnte. Aber ich bin ohne Freunde, nicht in Geschäften geübt, und durch lange Zurückgezogenheit unbekannt mit den Gesetzen des Landes und den Gebräuchen der gegenwärtigen Generation; und da ich mich nun höchst unerwartet in Dinge verwickelt finde, von denen ich gar nichts verstehe, so greife ich, wie ein ertrinkender Mensch, nach der ersten Stütze, die sich darbietet. Sie sind diese Stütze, Mr. Oldbuck. Ich habe Sie stets als einen Mann von Klugheit und Einsicht nennen hören – ich habe Sie selber als einen Mann von entschlossenem und muthigem Geiste kennen gelernt – und hier liegt nun ein Umstand vor uns, der uns in gewisser Hinsicht vereinigen sollte: – wir haben beide dem trefflichen Charakter der armen Eveline Bewunderung gezollt. Sie kamen mir selbst in meiner Noth entgegen und Sie waren bereits mit dem Anfange meines Mißgeschicks bekannt. Zu Ihnen nehme ich daher meine Zuflucht, indem ich Rath, Theilnahme und Unterstützung suche.«

»Sie sollen nicht vergebens darnach suchen, Mylord,« sagte Oldbuck, »insoweit meine geringe Fähigkeit ausreicht; und ich fühle mich durch den Vorzug geehrt, mag er aus freier Wahl entspringen, oder durch die Umstände bedingt sein. Aber diese Sache fordert reifliche Ueberlegung. Darf ich fragen, was Sie jetzt vor Allem beabsichtigten?«

»Ich wünsche Gewißheit über das Schicksal meines Kindes,« sagte der Graf, »mögen die Folgen sein, wie sie wollen; ebenso will ich der Ehre Evelinens Gerechtigkeit verschaffen, die ich nur verdächtigen ließ, um eine Entdeckung der weit ärgern Schmach zu verhindern, womit ich sie befleckt glaubte.«

»Und das Andenken Ihrer Mutter?«

»Muß seine eigne Bürde tragen,« antwortete der Graf mit einem Seufzer; »besser, daß sie mit Recht des Betrugs geziehen wird, sobald dies nothwendig werden sollte, als daß andre mit Unrecht so abscheulicher Verbrechen angeklagt werden.«

»Dann, Mylord,« sagte Oldbuck, »muß unser erstes Geschäft sein, die Nachrichten der alten Frau in eine regelmäßige und glaubwürdige Form zu bringen.«

»Das,« sagte Lord Glenallan, »wird jetzt, wie ich fürchte, unmöglich sein. Sie ist erschöpft und von ihrer trauernden Familie umgeben. Vielleicht morgen, wenn sie allein ist – und gleichwohl zweifle ich, ihren verworrenen Begriffen von Recht und Unrecht zufolge, ob sie in eines andern Gegenwart, außer der meinen, erzählen würde; – überdies bin auch ich so abgespannt.«

»Dann, Mylord,« sagte der Antiquar, den der bedeutsame Augenblick über Rücksichten auf Aufwand und Bequemlichkeit, die sonst viel bei ihm galten, erhob, »dann würde ich Ew. Herrlichkeit vorschlagen, statt bei Ihrer Ermüdung bis nach Glenallan zurückzukehren, oder den noch unbehaglichern Aufenthalt in einem schlechten Wirthshause zu Fairport zu wählen – ich würde, sag' ich, vorschlagen, daß Sie diese Nacht mein Gast in Monkbarns wären. Morgen früh werden diese armen Leute ihrem Beruf außer dem Hause wieder nachgehen, denn bei ihnen spricht der Schmerz nicht von der Arbeit frei, und wir werden das alte Weib, die Elsbeth, allein finden und ihre Aussage niederschreiben.«

Nach einer förmlichen Entschuldigung für die Belästigung verstand sich Lord Glenallan dazu, mit ihm zu gehen, und unterzog sich geduldig auf dem Heimwege der ganzen Geschichte des John von Girnell, einer Erzählung, welche Mr. Oldbuck bekanntlich Keinem ersparte, der über seine Schwelle kam.

Die Ankunft eines Fremden von solcher Bedeutung, mit zwei gesattelten Pferden und einem schwarz gekleideten Bedienten, welcher an seinem Sattel Pistolenhalfter hatte, und eine Grafenkrone an den Halftern, brachte eine allgemeine Bewegung in Monkbarns hervor. Jenny Rintherout hatte sich kaum von den Krämpfen erholt, von denen sie bei der Nachricht von des armen Steenie Unglück befallen worden war; trotzdem machte sie jetzt Jagd auf Hühner und Truthühner, und schrie und schnatterte lauter als jene, bis sie damit endete, daß sie um die Hälfte zu viel umbrachte. Miß Griselda stellte manche weise Betrachtung über die unbedachte, übereilte Bereitwilligkeit ihres Bruders an, der ihnen einen papistischen Edelmann so plötzlich ins Haus bringe. Sie wagte sogar, Mr. Blattergowl einen Wink über das ungewöhnliche Morden zukommen zu lassen, welches im Hühnerhofe stattgefunden hatte, und den würdigen Geistlichen veranlaßte dies zu fragen, wie sein Freund Monkbarns heimgekommen und ob es nicht unrecht gewesen sei, so nahe zur Mittagszeit einem Leichenbegängniß beizuwohnen, so daß nun dem Alterthümler nichts übrig blieb, als ihn einzuladen, da zu bleiben und das Mahl zu segnen. Miß M'Intyre empfand ihrerseits einige Neugier, den mächtigen Pair zu sehen, von welchem man so viel hörte, wie im Morgenlande von einem Kalifen oder Sultan. Es wandelte sie sogar einige Schüchternheit an, wenn sie bedachte, daß sie mit einem Manne zusammenkommen solle, von dessen zurückgezogenem Wesen und strenger Sinnesart so manche Geschichten erzählt wurden, um wenigstens ihre Furcht mit der Neugier gleichen Schritt halten zu lassen. Die alte Haushälterin war nicht weniger außer Fassung und wußte kaum, wie sie den zahllosen und widersprechenden Befehlen ihrer Gebieterin gehorchen sollte, die sich auf Pasteten, Früchte, auf die Weise des Anrichtens und Deckens, auf die Nothwendigkeit, die geschmolzene Butter nicht wie Oel laufen zu lassen und auf die Gefahr, daß Juno hereinkommen könne, bezogen; denn Juno war zwar allerdings aus der Küche verbannt, unterließ aber dennoch nicht, die Außenwerke des Haushalts zu durchstöbern.

Der einzige Bewohner Monkbarns, der völlig gleichgiltig bei dieser wichtigen Begebenheit blieb, war Hektor M'Intyre, der sich nicht mehr um einen Grafen, als um jeden Andern bekümmerte. Der unerwartete Besuch interessirte ihn nur insofern, als er ihm Schutz vor seines Oheims Mißfallen gewähren konnte, wofern er ein solches der abgelehnten Leichenbegleitung halber hegen sollte; noch mehr aber vor dem Spotte von wegen seines tapfern aber unglücklichen Zweikampfes mit der phoca oder dem Seehund.

Allen diesen Bewohnern seines Hauses stellte Oldbuck den Grafen von Glenallan vor, welcher mit herablassender, freundlicher Höflichkeit die lange Begrüßungsrede des wackern Geistlichen, und die weitschweifigen Entschuldigungen der Miß Griselda Oldbuck anhörte, welche ihr Bruder vergebens abzukürzen bemüht war. Vor dem Mittagsmahl bat Graf Glenallan um Erlaubniß, sich einstweilen nach seinem Zimmer zurückziehen zu dürfen. Mr. Oldbuck begleitete seinen Gast nach der grünen Stube, welche für seinen Empfang gehörig vorbereitet worden war. Er schaute sich hier, wie von schmerzlicher Erinnerung ergriffen, um.

»Ich glaube,« bemerkte er endlich, »ich glaube, Mr. Oldbuck, daß ich bereits einmal in diesem Zimmer gewesen bin.«

»Ja, Mylord,« antwortete Oldbuck, »bei Gelegenheit eines Ausflugs hieher von Knockwinnock aus – und da wir einmal auf einen traurigen Gegenstand gekommen sind, so werden Sie sich vielleicht erinnern, wessen Geschmack jene Zeilen von Chaucer vorschlug, welche jetzt das Motto der Tapete bilden.«

»Ich errath' es,« sagte der Graf, »obwohl ich mich nicht erinnern kann. Sie übertraf mich allerdings an Kenntnissen und Bildung, wie in jedem andern Gegenstande, und es ist eine der geheimnißvollen Fügungen der Vorsehung, Mr. Oldbuck, daß ein an Geist und Körper so treffliches Geschöpf auf eine so schreckliche Weise weggenommen werden mußte, blos weil sie eine unglückliche Neigung zu einem so Elenden, wie mir, gefaßt hatte.«

Mr. Oldbuck versuchte keine Antwort auf diesen Ausbruch des Schmerzes zu geben, der dem Herzen seines Gastes so nahe lag, sondern drückte nur Lord Glenallan's Hand mit der Rechten und fuhr mit der Linken über die schattigen Augenbraunen, als wolle er einen Nebel vertreiben, der ihm den Blick verdunkelte. Darauf ließ er den Grafen allein, damit sich dieser auf das Mittagessen vorbereiten könne.


 << zurück weiter >>