Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel.

Wer ist er? – Einer, der, weil Land ihm fehlt,
Zu Wasser fechten soll. Er forderte
Zum Kampf den Wallfisch jüngst und nannte den
Nach seinen Titeln, Leviathan, Behemoth.
Auch mit dem Schwertfisch stritt er – Wahrlich, Sir,
Das Wasserthier hat's trefflich – die Behauptung
Reizt unsern Helden immer.

Altes Schauspiel.

»Also wird der arme junge Mensch, Steenie Mucklebackit, diesen Morgen begraben,« sagte unser alter Freund, der Alterthümler, als er seinen seidnen Schlafrock mit einem altmodischen schwarzen Kleide vertauschte, statt des schnupftabakfarbenen Rockes, den er gewöhnlich trug, »und vermuthlich erwartet man, daß ich dem Begräbniß beiwohne?«

»Ja freilich,« antwortete der treue Caxon, der dienstfertig die weißen Fädchen und Fasern von seines Gebieters Rock bürstete; »du lieber Gott! der Körper war so sehr an den Klippen zerschlagen worden, daß sie mit der Beerdigung eilen müssen. Die See spaßt nicht, wie ich immer zu meiner Tochter sage, dem armen Mädchen, wenn ich ihr ein Bißchen Muth einsprechen will – die See, sag' ich, Jenny, ist ein so unsicheres Brod –«

»Als das Brod eines alten Perückenmachers, der durch verschnittenes Haar und die Pudertaxe seine Arbeit verloren hat. Caxon, Ihre Trostgründe sind übel gewählt, und passen auch nicht einmal für den gegenwärtigen Fall. Quid mihi cum femina? Was hab' ich mit Ihrem Weibsbild zu thun, da ich schon mehr als genug an den meinigen habe? – Ich frage noch einmal, erwarten jene armen Leute, daß ich dem Begräbniß ihres Sohnes beiwohne?«

»Ohne Zweifel erwartet man Sie,« antwortete Caxon; »ich glaube ganz sicher, daß man Sie erwartet. Sie wissen ja, daß in diesem Lande jeder Edelmann so höflich ist, den Leichenbegängnissen auf seinem Grund und Boden beizuwohnen. Sie brauchen blos bis an's Ende der Straße mitzugehen; daß Sie über die Gränze mitgehen, wird nicht erwartet, 's ist nur der Form wegen – anderthalb Schritt über die Thürschwelle, wie man sagt, eine Kelsobegleitung.«

»Eine Kelsobegleitung!« wiederholte der fraglustige Antiquar; »und warum eine Kelsobegleitung und nichts weiter?«

»Werther Sir,« antwortete Caxon, »wie sollt' ich das wissen? 's ist nur so eine Redensart.«

»Caxon,« antwortete Oldbuck, »Sie sind nur ein Perückenmacher. Hätt' ich Ochiltree die Frage vorgelegt, der hätte gewiß gleich eine alte Sage bei der Hand gehabt.«

»Mein Geschäft,« erwiederte Caxon mit mehr Feuer, als er gewöhnlich blicken ließ, »betrifft nur die Außenseite Ihres Kopfes, wie Sie zu sagen pflegen.«

»Wahr, Caxon, wahr; und für einen Dachdecker ist es kein Vorwurf, daß er kein Tapezierer ist.«

Darauf nahm er seine Brieftasche zur Hand und schrieb: »Kelsobegleitung – soll heißen: anderthalb Schritt über die Thürschwelle; Autorität: Caxon. Quaere: woher kommt's? Memorandum: an Dr. Graysteel der Sache wegen zu schreiben.«

Nachdem er dies geschrieben, fuhr er fort – »Und wirklich, was diese Sitte betrifft, daß der Edelmann die Leichen seiner Bauern begleitet, so kann ich sie nur billigen, Caxon. Sie rührt aus alter Zeit her und ist tief in den Begriffen wechselseitiger Hilfleistung und Abhängigkeit zwischen dem Herrn und dem Bebauer des Bodens begründet. Und ich muß sagen, darin hat das Lehensystem (so wie auch in seiner Artigkeit gegen das Weibsvolk, worin es nur zu weit ging), darin hat das Feudalwesen die Härte der klassischen Zeiten gemildert und gemäßigt. Nie hört man, Caxon, daß ein Spartaner die Leiche eines Heloten begleitet habe. Dagegen möcht' ich darauf schwören, daß John von Girnell – Sie hörten doch von ihm, Caxon?«

»Ja wohl, Sir,« antwortete Caxon; »Niemand kann lang' in Ihrer Gesellschaft gewesen sein, ohne von diesem Gentleman gehört zu haben.«

»Nun,« fuhr der Alterthümler fort, »ich wollte drauf wetten, daß hier auf dem Gebiete der Mönche kein Kolbenkerl, kein Leibeigner, kein Bauer oder ascriptus glebae gestorben sei, den John von Girnell nicht hübsch anständig hätte beerdigen lassen.«

»Ja; aber wenn Sie erlauben, man sagt, er habe mehr mit Kindtaufen, als mit Begräbnissen zu thun gehabt. Ha, ha, ha!« – Caxon lachte laut, als er diese Bemerkung machte.

»Gut, Caxon! sehr gut! ei, Sie sind diesen Morgen recht witzig.«

»Und überdies,« fügte Caxon, durch seines Patrons Beifall ermuthigt, noch pfiffig hinzu, »überdies sagt man, die katholischen Priester jener Zeit hätten etwas dafür bekommen, wenn sie mit zur Leiche gingen.«

»Richtig, Caxon, richtig wie mein Handschuh! beiläufig gesagt, ich glaube, diese Redensart rührt von der Gewohnheit her, einen Handschuh zum Zeichen unverletzlicher Treue zu verpfänden. Richtig, sag' ich, wie mein Handschuh, Caxon. Aber wir von der protestantischen Religion haben das größere Verdienst, daß wir dieselbe Pflicht für Nichts erfüllen, welche mit Geld bezahlt ward, als noch die Kaiserin des Aberglaubens regierte, Caxon, welche Spenser in seiner allegorischen Redeweise,

– die Tochter jenes blinden Weibes,
Abessa, Tochter der Corecca –

nannte. Aber was schwatz' ich von solchen Dingen mit Ihnen? – Mein armer Lovel hat mich verwöhnt und laut sprechen gelehrt, wo ich doch nur so gut, wie mit mir selber rede. Wo ist mein Neffe, Hektor M'Intyre?«

»Er ist im Gesellschaftszimmer, Sir, bei den Damen.«

»Gut,« sagte der Alterthümler, »ich werde mich dorthin begeben.«

»Ach, Monkbarns,« sagte seine Schwester, als er in das Zimmer trat, »du mußt nicht böse werden.«

»Mein theurer Oheim!« begann Miß M'Intyre.

»Was soll das Alles bedeuten?« sagte Oldbuck, unruhig eine üble Neuigkeit erwartend und schon durch den bittenden Ton der Damen darauf gefaßt gemacht, wie eine Festung den Angriff fürchtet, sobald der erste Trompetenstoß ertönt, welcher zur Uebergabe auffordert. »Was bedeutet das? Worauf wollt ihr mich denn gefaßt machen?«

»Auf nichts Besonderes, hoff' ich, Sir,« sagte Hektor, der, den Arm in der Binde, am Frühstücktische saß; »indeß, was es auch sein mag, so bin ich verantwortlich dafür, wie für all' die Unruhe, die ich außerdem veranlaßt habe und wofür ich wenig mehr, als meinen Dank bieten kann.«

»Nein, nein! du bist herzlich willkommen hier – nur laß es dir eine Warnung sein,« sagte der Antiquar, »daß du deinem Zorne nicht nachgibst, welcher stets eine kurze Raserei ist – Ira furor brevis – aber welches neue Unglück ist vorgefallen?«

»Mein Hund, Sir, warf zum Unglück« –

»Um des Himmels willen, nur nicht den Thränenkrug von Clochnaben« – fiel der Alterthümler ein.

»Wirklich, Oheim,« sagte die junge Dame, – »ich fürchte fast – es war das, was auf dem Seitentische stand – das arme Thier wollte nur ein Stückchen frische Butter fressen.«

»Und das ist ihm völlig gelungen, wie es scheint, denn ich finde, daß die hier auf dem Tische gesalzen ist. Aber das ist das wenigste – mein Thränenkrug, die Hauptstütze meiner Theorie, auf welche ich mich bezog, um darzuthun, daß, trotz der unwissenden Hartnäckigkeit des Mac-Cribb, die Römer durch diese Gebirge gedrungen wären und Spuren ihrer Kunst und ihrer Waffen zurückgelassen hätten! das ist nun hin – vernichtet – auf Bruchstücke reducirt, die man ebenso gut für Scherben eines zerbrochenen – Blumentopfes ansehn kann!

– – Hektor, ich liebe dich,
Doch nie mehr sollst du meine Schaaren führen.«

»Nun, wirklich, Sir, ich fürchte, ich würde eine schlechte Figur in einem Regimente spielen, welches Sie errichtet hätten.«

»Zum wenigsten wünscht' ich, Hektor, du beurlaubtest deinen Feldtroß, und marschirtest expeditus oder relictis impedimentis. Du kannst nicht begreifen, was mich das Thier schon geärgert hat. Es macht gewaltsame Einbrüche, glaub' ich, denn ich hörte, daß es in die Küche gedrungen sei, nachdem alle Thüren schon verschlossen waren, und dort ein Stück Schöpsenbraten aufgefressen habe.« – (Wahrscheinlich erinnern sich unsre Leser, daß Jenny Rintherout aus Vorsicht die Thür offen ließ, als sie nach der Fischerhütte ging, und daher werden sie auch wohl die arme Juno von der schweren Schuld freisprechen, welche die Rechtsgelehrten ein claustrum fregit nennen, und die sich als Einbruch von dem einfachen Diebstahl bedeutend unterscheidet.)

»Ich bedaure wirklich,« sagte Hektor, »daß Juno so viel Unordnung angerichtet hat; aber Jack Muirhead, der sie dressirte, war nie im Stande, sie unter Commando zu bringen. Sie hat mehr Mühe verursacht, als irgend ein Hund, der mir vorgekommen ist, aber« –

»Dann, Hektor, wünscht' ich doch, daß sich der Hund über meine Gränzen bemühte.«

»Wir werden uns Beide morgen, oder noch heut', entfernen; nur möcht' ich nicht gern von meiner Mutter Bruder in Unfreundlichkeit scheiden, eines elenden Töpfchens wegen.«

»O Bruder, Bruder!« rief Miß M'Intyre, höchlich erschrocken über jenen beleidigenden Ausdruck.

»Nun, wie sollt' ich es denn sonst nennen?« fuhr Hektor fort, »es war gerade so ein Ding, wie man es in Aegypten braucht, um Wein, Scherbet, oder Wasser zu kühlen – ich habe einige davon mitgebracht – und ich hätte ihrer zwanzig haben können.«

»Wie!« rief Oldbuck, »ebenso geformt wie das, welches der Hund umwarf?«

»Ja, ganz dasselbe irdene Geschirr, wie jenes, welches auf dem Seitentische stand. Sie stehn in meiner Wohnung zu Fairport; wir nahmen sie mit, um unterwegs den Wein zu kühlen; dazu paßten sie herrlich. Wüßte ich, daß sie Ihnen den Verlust einigermaßen ersetzen, oder daß sie Ihnen überhaupt Freude machen könnten, so würde ich mich geehrt fühlen, wenn Sie sie annehmen wollten.«

»Wirklich, lieber Junge, ihr Besitz würde mich höchlich freuen. Schon lange ist es mein Lieblingsstudium gewesen, den Zusammenhang der Völker nach ihren Gebräuchen und nach der Aehnlichkeit ihrer Geräthschaften zu erforschen. Jede Sache, die dergleichen erläutern kann, ist mir sehr schätzbar.«

»Nun gut, es wird mich freuen, wenn Sie dieselben annehmen wollen, nebst einigen Kleinigkeiten ähnlicher Art. Und nun hab' ich doch wohl Ihre Verzeihung?«

»O, lieber Junge, du bist nur unbedacht und thöricht.«

»Aber Juno – sie ist auch blos unbedacht, das versichere ich – der Dressirer sagte mir, sie habe keinen Fehler und keine Tücke.«

»Gut, auch Juno soll Verzeihung haben, vorausgesetzt, daß du ihr nachahmst in Vermeidung aller Fehler und sie hinfort aus Monkbarns Gesellschaftszimmer verbannt wird.«

»Oheim,« sagte der Krieger, »ich würde wirklich in großer Verlegenheit gewesen sein, Ihnen etwas zur Abbüßung meiner Sünden, oder der Sünden meines Gefährten, anzubieten, was ich Ihrer Annahme für würdig gehalten hätte. Nun aber, da Alles vergeben ist, werden Sie Ihrem verwaisten Neffen, für den Sie stets ein Vater waren, erlauben, Ihnen eine Kleinigkeit anzubieten, die wirklich merkwürdig ist, wie man mir sagte, und die mich allein meine Wunde, welche dazwischen kam, so lange zurückbehalten ließ. Ich bekam das Ding von einem französischen Gelehrten, dem ich nach dem Treffen bei Alexandrien einen Dienst erwies.«

Der Capitain legte ein kleines Ringfutteral in die Hände des Alterthümlers, welcher es öffnete und einen antiken, massiven goldnen Ring, mit einer schön ausgeführten Camee, einen Cleopatrakopf darstellend, darin fand. Der Alterthümler war im höchsten Grade entzückt, schüttelte dem Neffen herzlich die Hand, dankte ihm tausend Mal und zeigte den Ring seiner Schwester und Nichte, – die letztere hatte Takt genug, ihm gehörige Bewunderung zu zollen; Miß Griselda aber (obwohl sie ihren Neffen eben so sehr liebte,) war nicht gewandt genug, um dem Winke zu folgen.

»'s ist ein hübsches Ding,« sagte sie, »Monkbarns, und ich kann wohl sagen, auch werthvoll; aber ich verstehe nichts davon – du weißt, ich habe in solchen Sachen kein Urtheil.«

»Da höre ich ganz Fairport in einer Stimme!« rief Oldbuck; »der Geist der Kleinstädterei hat uns angesteckt; ich glaube den Rauch seit zwei Tagen gerochen zu haben; ihn hat der Wind, wie eine remora, in Nordosten sitzen lassen – aber seine Vorurtheile gehen noch weiter, als seine Dünste. Glaube mir, lieber Hektor, wenn ich durch die Hochstraße in Fairport ginge und dies unschätzbare Kleinod jedem, dem ich begegnete, vor die Augen hielte: kein menschliches Wesen, vom Bürgermeister bis zum Nachtwächter, keines würde stehn bleiben, um mich nach der Geschichte des Ringes zu befragen. Trüg' ich aber ein Stück Leinwand unter dem Arm, so würde ich nicht bis zum Roßmarkt kommen, ohne mit Fragen über das Gewebe und den Preis überhäuft zu sein. O, man könnte auf ihre Unwissenheit die Worte Gray's anwenden:

Magst du Kett' und Einschlag weben
Rein von Witz und von Verstand:
Ohne Geld, ach! wird es geben
Ein verachtetes Gewand.«

Den deutlichsten Beweis, wie angenehm diese versöhnende Gabe war, lieferte Juno; während der Alterthümler begeistert deklamirte, hatte sie, die ihn stets fürchtete (denn durch ihren merkwürdigen Instinkt entdecken Hunde sogleich, wer sie gern oder nicht gern hat), verschiedene Mal in das Zimmer geguckt; und da sie in seiner Miene nichts Abschreckendes bemerkte, wagte sie endlich, ihre ganze Person einzudrängen. Als auch dies ungestraft hinging, fraß sie in der That Mr. Oldbuck's Brodschnitte auf, während er, bald den einen, bald den andern seiner Zuhörer anblickend, gerade selbstgefällig recitirte:

»Magst du Kett' und Einschlag weben –

Ihr erinnert euch doch dieser Stelle aus den Schicksalsschwestern, die, beiläufig gesagt, nicht so schön ist, wie im Original – Aber, sieh da! mein Brod ist verschwunden! – Ich sehe schon, auf welchem Wege. Ach, du Urbild der Weiber, kein Wunder, daß sie an deinem Geschlechtsnamen Anstoß nehmen!« – (Bei diesen Worten drohte er mit der Faust der diebischen Juno, welche alsbald aus dem Zimmer eilte.) – »Indeß, da Jupiter, nach Homer's Versicherung, die Juno im Himmel nicht beherrschen konnte, und da Jack Muirhead, nach Hektor M'Intyre's Versicherung, eben so unglücklich auf Erden war, so denk' ich, man muß sie wohl ihren eignen Weg gehen lassen.« An diesem milden Tadel erkannten Bruder und Schwester, daß Juno's Vergehen völlig verziehen sei, und daher setzten sie sich vergnügt zum Frühstück.

Als das Frühstück vorüber war, schlug der Antiquar seinem Neffen vor, mit ihm zur Leiche zu gehen. Der Krieger schützte den Mangel eines Traueranzugs vor.

»O, das hat nichts zu bedeuten, nur deine Gegenwart wird verlangt. Gewiß, du wirst etwas sehen, was dich unterhält – doch nein, das ist eine unpassende Redensart – aber etwas, was dich interessiren wird, hinsichtlich der Aehnlichkeit, die ich dir zwischen unsern Volkssitten bei solchen Gelegenheiten und denen der Alten bemerklich machen werde.«

»Lieber Himmel!« dachte M'Intyre; »gewiß werde ich Fehler begehen und all den Kredit wieder verlieren, den ich erst ganz zufällig gewonnen habe.«

Als sie fortgingen und der Krieger noch durch die warnenden und bittenden Blicke seiner Schwester zum Besten ermahnt ward, faßte er den Entschluß, durch offenbare Unaufmerksamkeit oder Ungeduld keinen Anstoß zu geben. Aber unsre besten Entschlüsse sind schwach, wenn sie unsern herrschenden Neigungen zuwiderlaufen. Unser Alterthümler hatte, um nichts unerklärt zu lassen, mit den Begräbnißgebräuchen der alten Skandinavier begonnen, als ihn sein Neffe in einem Vortrage über das Alter der Grabhügel unterbrach, um zu bemerken, daß eine große Seemöve, die sie umkreiste, schon zweimal schußrecht gekommen sei. Dieser Mißgriff ward anerkannt und vergeben, und Oldbuck fuhr in seiner Erläuterung fort.

»Dies sind Umstände, womit du dich ganz vertraut machen mußt, mein lieber Hektor; denn bei den seltsamen Ereignissen des gegenwärtigen Krieges, wo jeder Winkel Europa's aufgestört wird, kann man nicht wissen, wo man deinen Dienst in Anspruch nehmen wird. Würdest du z. B. nach Norwegen, nach Dänemark, oder nach irgend einem Theile des alten Skaniens oder Skandinaviens, wie wir es nennen, gerufen, so könnte nichts bequemer für dich sein, als wenn du immer an den Fingern die Alterthümer und die Geschichte dieses alten Landes, dieser officina gentium, dieser Mutter des neuern Europa, dieser Amme jener Helden hersagen könntest,

Die ernst begannen, stark ertrugen
Und lächelten im Tod! –

Wie erhebend wär's z. B., dich nach einem beschwerlichen Marsche in der Nähe eines Runendenkmals zu finden und zu entdecken, daß du dein Zelt neben dem Grabe eines Helden aufgeschlagen habest!«

»Ich glaube beinah, Sir, unser Tisch würde besser bestellt sein, wenn wir in der Nähe eines guten Hühnerhofs lagerten.«

»Ach, das heißt nun so reden! – Kein Wunder, daß die Tage von Cressy und Agincourt vorüber sind, da die Achtung für alte Tapferkeit in der Brust des britischen Kriegers erstarb.«

»Keineswegs, – ganz und gar nicht. Ich darf wohl sagen, daß Eduard und Heinrich und die übrigen Helden, zuerst an ihr Mittagsbrod dachten, eh' sie an die Untersuchung eines alten Grabsteins dachten. Aber gewiß, wir sind keineswegs unempfindlich für das Andenken an den Ruhm unsrer Väter; oft am Abend hab' ich den alten Rory McAlpin uns die Lieder Ossian's singen lassen von den Schlachten Fingal's und Lamon Mor's und von Magnus und dem Geiste Muirartach's.«

»Und glaubtest du wirklich,« fragte der aufgeregte Alterthümler, »glaubtest du wirklich fest, daß Macpherson's Zeug in der That alt sei, du einfältiger Bursche?«

»Ob ich es glaubte? – wie konnte ich anders, da ich die Lieder seit meiner Kindheit habe singen hören?« –

»Aber doch nicht dasselbe, wie Macpherson's englischer Ossian ist – du bist nicht albern genug, das zu behaupten, hoff' ich?« so sagte der Alterthümler mit zürnender Miene.

Aber Hektor hielt den Sturm wacker aus. Gleich manchem tapfern Celten bildete er sich ein, die Ehre seiner Heimath und seiner Muttersprache hänge mit der Aechtheit jener Volkslieder zusammen, und er würde auf Tod und Leben gekämpft und lieber Land und Leben verpfändet haben, eh' er eine Zeile von ihnen aufgegeben hätte. Daher behauptete er kühn, Rory McAlpin könne das ganze Buch vom Anfang bis an's Ende auswendig; und nur in Folge einer Zwischenfrage setzte er zu jener allgemeinen Behauptung noch hinzu: »er könne wenigstens dann, wenn er Whisky genug bekomme, so lange singen, als ihm Einer zuhören möchte.«

»Ja, ja,« sagte der Antiquar; »und das wird vermuthlich nicht sehr lange sein.«

»Nun, wir hatten unsern Dienst zu versehen und konnten also nicht die ganze Nacht einem Pfeifer zuhören.«

»Aber besinnst du dich denn,« sagte Oldbuck, indem er die Zähne fest zusammen biß und sprach, ohne sie zu öffnen, was seine Gewohnheit war, wenn er widersprechen wollte, »besinnst du dich denn noch auf einige solche Verse, die dir so schön und anziehend vorkamen – du bist ja, ohne Zweifel, ein Hauptkenner in solchen Dingen?«

»Darauf mach' ich nicht viel Anspruch, Oheim; aber es ist doch unrecht, mit mir zu zürnen, weil ich die Alterthümer meiner eignen Heimath mehr bewundere, als die der Herolde, Harfagers und Hacos, die Sie so sehr lieben.«

»Ei, jene, Freund, jene mächtigen und unbesiegten Gothen, waren unsre Vorfahren! Die unbehosten Celten, die sie unterwarfen und denen sie nur als einem gefährlichen Volke in den Felsenklüften zu leben erlaubten, diese waren nur ihre Mancipia, ihre Servi!«

Nunmehr ward Hektor's Stirn roth vor Zorn. »Oheim,« sagte er, »ich weiß nicht was Mancipia und Servi bedeutet, aber ich begreife dennoch, daß solche Namen für die alten Hochländer nicht passen. Kein Mensch, außer meiner Mutter Bruder, dürfte in meiner Gegenwart eine solche Sprache führen; und überhaupt bitte ich Sie, zu bedenken, daß ich dies für kein gastfreundliches, anständiges, freundschaftliches oder edles Benehmen gegen Ihren Gast und Verwandten ansehen kann. Meine Ahnen, Mr. Oldbuck –«

»Waren große und tapfere Häuptlinge, Hektor, das mag wahr sein; und wirklich glaubte ich nicht, dich so ungeheuer zu beleidigen, wenn ich einen Gegenstand des fernen Alterthums berührte, wobei ich selbst immer kalt, überlegt und ohne Leidenschaft bin. Du bist so hitzig und hastig, als wärest du Hektor und Achilles, und Agamemnon Alles auf einmal.«

»Ich bedauere, daß meine Sprache so hitzig war, Oheim, vorzüglich gegen Sie, der Sie so gütig und großmüthig gewesen sind – Aber meine Ahnen« –

»Nichts mehr davon, Lieber; ich wollte sie nicht beleidigen, keinen Einzigen.«

»Das freut mich, Oheim; denn das Haus von M'Intyre –«

»Friede sei mit Allen, mit Jedem von ihnen,« sagte der Alterthümler. »Aber um auf unsern Gegenstand zurückzukommen: – Besinnst du dich, sag' ich, auf eines der Lieder, die dir so viel Freude gewährten?«

»Es ist doch hart,« dachte M'Intyre, »daß er über Alles, was alt ist, so gern spricht, nur nicht über das, was meine Familie betrifft.« – Darauf strengte er sein Gedächtniß an und sagte endlich: »Ja, Oheim – ich werde mich einiger Verse erinnern können; aber Sie verstehen wohl die Gälische Sprache nicht?«

»Und bitte mich auch damit zu verschonen. Aber kannst du mir nicht einen Begriff von dem Inhalte in unsrer Muttersprache geben?«

»Ich werde einen schlechten Uebersetzer vorstellen,« sagte M'Intyre, während er das Original durchging, worin hinreichend viele aghes, aughs und oughs und ähnliche Kehllaute vorkamen; dann hustete er und räusperte sich, als wär' ihm die Uebersetzung in der Kehle stecken geblieben. Er schickte die Erklärung voraus, daß das Gedicht ein Zwiegespräch zwischen dem Dichter Ossian oder Oisin und Patrick, dem Schutzheiligen Irlands, sei, und daß es schwer, wo nicht unmöglich, sein werde, die vortreffliche Leichtigkeit der ersten Zeilen wiederzugeben. Der Sinn, sagte er, sei etwa so:

»Patrick, du Psalmsänger,
Da du auf meine Geschichten nicht hören willst,
Obwohl du sie nie zuvor hörtest,
So schmerzt es mich, dir zu sagen,
Daß du wenig besser als ein Esel bist –«

»Gut, gut!« rief der Antiquar; »aber fahre fort. Das ist doch am Ende die bewundernswürdigste Thorheit; – ich kann wohl sagen, der Dichter hatte sehr Recht. Was sagt der Heilige?«

»Er antwortete seinem Charakter gemäß,« sagte M'Intyre; »aber Sie sollten McAlpin das Original singen hören. Die Reden Ossians kommen in einem starken tiefen Basse – jene Patrick's aber im Tenor.«

»Wie McAlpin's große und kleine Sackpfeifen, vermuthlich,« sagte Oldbuck. »Nun? Bitte, fahre fort.«

»Meinetwegen. Patrick erwiedert Ossian:

›Auf mein Wort, du Sohn des Fingal,
Während ich Psalmen singe
Stört deiner alten Weibermärchen Lärm
Meine frommen Andachtübungen.‹«

»Trefflich! – ei, es wird immer besser. Ich hoffe, St. Patrick sang besser, als Blattergowl's Küster, sonst würde die Wahl zwischen dem Dichter und dem Psalmisten schwer sein. Was ich aber bewundere, ist die Artigkeit der beiden großen Männer gegen einander. Schade, daß kein Wort davon in Macpherson's Uebersetzung steht.«

»Wenn Sie das gewiß wissen,« sagte M'Intyre ernsthaft, »so muß er sich unverantwortliche Freiheiten mit dem Original genommen haben.«

»Bald wird man darüber im Klaren sein; – aber bitte, fahre fort.«

»Darauf,« sagte M'Intyre, »antwortet Ossian so:

›Darfst du vergleichen deine Psalmen,
Du Sohn einer –‹«

»Sohn wessen?« rief Oldbuck.

»Es soll heißen, glaub' ich,« erwiederte der junge Krieger, mit einigem Widerstreben, »Sohn eines weiblichen Hundes; –

›Vergleichst du deine Psalmen
Den Sagen der nacktarmigen Fenier?‹«

»Weißt du auch gewiß, ob du das letzte Epitheton richtig übersetzest, Hektor?«

»Ganz gewiß, Oheim,« antwortete Hektor etwas heftig.

»Ich hätte doch glauben sollen, die Nacktheit werde bei einem ganz andern Theile des Körpers angeführt worden sein.«

Hektor verschmähte es, diese Bemerkung einer Antwort zu würdigen, und fuhr in seiner Recitation fort:

»Wenig würd' ich mir draus machen,
Wenn ich dein kahles Haupt vom Rumpfe schlüge – –«

»Aber was ist das dort?« rief Hektor, sich selbst unterbrechend.

»Ein Stück von den Herden des Proteus,« sagte der Antiquar. »Eine Phoca oder Seehund, der schlafend am Strande liegt.«

Dabei vergaß M'Intyre, mit allem Eifer eines jungen Jägers, den Ossian und Patrick, seinen Oheim und seine Wunde mit einemmal gänzlich, und rief: »den will ich haben! den will ich haben!« Damit entriß er der Hand des erstaunten Alterthümlers den Spazierstock und warf den alten Mann fast über den Haufen. Er beeilte sich, um zwischen das Meer und das Thier zu kommen, denn das letztere zog sich bereits, von dem Lärm aufgeschreckt, nach seinem Elemente zurück.

Sancho, als ihm sein Herr von den Gegnern Pentapolin's mit dem nackten Arme erzählte und schnell abbrach, um persönlich den Angriff auf die Schafherde zu unternehmen, Sancho konnte darüber nicht bestürzter sein, als es Oldbuck über die plötzliche Flucht seines Neffen war.

»Sitzt der Teufel in ihm,« dies war sein erster Ausruf, »daß er hingeht, das Thier zu stören, welches gar nicht an ihn dachte!« – dann erhob er seine Stimme: »Hektor – Neffe – Narr – laß die phoca gehn – laß die phoca gehn, sie beißen, sag' ich dir, wie Furien! – Er kümmert sich um mich so wenig als um einen Meilenzeiger – da – da sind sie beisammen – Wahrhaftig, die phoca ist im Vortheil gegen ihn! Es freut mich, das zu sehen,« sagte er in der Bitterkeit seines Herzens, obwohl in der That für seines Neffen Sicherheit besorgt; »von ganzem Herzen und von ganzer Seele freut mich das.«

Wirklich bot auch der Seehund, als er sich den Rückzug von dem leichtfüßigen Krieger abgeschnitten sah, diesem die Spitze und nachdem er ihm einen derben Schlag, ohne jedoch zu verwunden, beigebracht hatte, zog er die Stirn zusammen, wie es diese Thiere thun, wenn sie zornig sind, und indem er von seinen Vordertatzen und seiner bedeutenden Kraft Gebrauch machte, wand er die Waffe dem Gegner aus der Hand, warf ihn auf den Sand nieder und entfernte sich nach der See, ohne ihn weiter zu verletzen. Capitain M'Intyre, durch den Erfolg seines Unternehmens ziemlich aus der Fassung gebracht, stand eben zur rechten Zeit auf, um die ironischen Glückwünsche seines Oheims zu einem Zweikampfe zu empfangen, der würdig sei, von Ossian selber besungen zu werden. »Denn,« sagte der Alterthümler, »dein großmüthiger Gegner entfloh, wenn auch nicht auf Adlerschwingen, vor dem darniedergeworfenen Feinde. Der Henker! er rannte davon mit aller Freude eines Siegers und hat auch meinen Stock mitgenommen als spolia opima!«

M'Intyre konnte darauf nichts weiter antworten, als daß ein Hochländer keinen Hirsch, keinen Seehund oder Lachs ruhig vorüberlassen könne, sobald die Möglichkeit vorhanden sei, sich an ihnen zu versuchen; er habe jetzt nur vergessen, daß sein Arm verwundet sei. Ebenso benutzte er seinen Fall als Entschuldigung, daß er nach Monkbarns zurückkehren müsse, und auf diese Weise entging er den fernern Neckereien seines Oheims, so wie dessen Klagen um den verlorenen Stock.

»Ich schnitt ihn,« sagte er, »in den klassischen Wäldern von Hawthornden ab, als ich noch nicht glaubte, stets ein Junggesell zu bleiben. Ich würd' ihn nicht für einen Ocean voll Seehunde hingegeben haben – O, Hektor, Hektor! – Dein Namensvetter war zum Untergange Troja's geboren, du aber zur Plage von Monkbarns!«


 << zurück weiter >>