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Das Städtchen Weißenburg lag im Jahre 1870 auf französischem Gebiet, allerdings nur ungefähr 700 Meter von der Pfälzer Grenze entfernt. Die Lauter durchfließt die Stadt in mehreren Armen.
Der französische Marschall Villars ließ im spanischen Erbfolgekriege Weißenburg befestigen. Die Festungsanlagen, Gräben, Wälle, Lunetten und drei Tore mit Zugbrücken bestanden im großen ganzen auch im Jahre 1870 noch; allerdings galt Weißenburg zu Beginn des Krieges nicht mehr als Festung allerersten Ranges, konnte aber bei geschickter Verteidigung einen zahlenmäßig nicht allzu starken Feind wohl aufhalten. Längerem Artilleriefeuer waren die Wälle oder die Tore allerdings nicht gewachsen.
Am 3. August 1870 lag in Weißenburg das 2. Bataillon des französischen 74. Linieninfanterieregiments. Der Rest des Regiments stand hinter dem Vogelsberg und dem Geißberg. Dort war auch die Artillerie der 2. Infanteriebrigade und die Reiterei aufgestellt.
Der Divisionär, General Abel Douay wußte vom Feinde nicht viel. – Er ahnte zwar, daß ihm außer Preußen auch bayerische und andere süddeutsche Truppen gegenüber stünden, aber Genaueres wußte er nicht. Die französische Aufklärung hatte versagt. –
Spione meldeten Ansammlungen – noch weit zurück – bei Pirmasens und Landau. – An einen baldigen Angriff der verbündeten Deutschen glaubte der Divisionär nicht. – –
Douay hatte in Algerien, in der Krim und in Oberitalien bewiesen, daß er als Frontsoldat weit über dem Durchschnitt stand, und er verhehlte sich auch durchaus nicht, daß er mit seiner vorgeschobenen Division gewissermaßen in der Luft hing.
Eine gewisse Beruhigung bedeutete für ihn ein Befehl des Armeeführers Mac Mahon an die Nachbardivision Ducrot, ihn, Douay, gegebenenfalls zu unterstützen. –
Am Mittag des 13. August war General Abel Douay, von Steinselz kommend, in Weißenburg eingetroffen. Er ritt, nur von seinem Adjutanten begleitet, hinaus vor die Wälle, betrachtete die Gegend durch sein Fernglas und schien befriedigt.
Vom Feinde war nichts zu sehen. Gegen sechs Uhr kehrte er in den Gasthof zum Stern zurück.
Die drückende Hitze des Augusttages war einer Gewitterschwüle gewichen. Kaum, daß die Offiziere des Stabes, denen sich auch die Brigadegeneräle Pelletier de Montmarie und Pellé angeschlossen, den großen Saal betreten hatten, prasselte auch schon der Regen los.
An der Abendtafel nahmen ungefähr 30 Offiziere teil; außerdem sah man drei Zivilisten, den Österreicher Baron von Heimerle, den Italiener Marchese von Vipiteno und den Dänen Graf Bjerregaard.
Musette erschien erst im letzten Augenblick. General Abel Douay nahm ihr sofort galant den triefend nassen Mantel ab.
»Ich freue mich, Schwester,« sagte er höflich »Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich habe natürlich in den Zeitungen viel Gutes und Schönes vom ›Engel von Humaita‹ gelesen aber nie geahnt, daß dieser Engel heute als Schwester in meiner Division Dienst tut.«
Musette fand keine Antwort. Sie errötete wie ein junges Mädchen und ärgerte sich darüber. Ihre sonstige Gewandtheit ließ sie heute vollkommen im Stich; sie bangte vor der Aussprache mit Vipiteno, der sich aber vorerst nicht um sie kümmerte und mit seinem österreichischen Kollegen plauderte.
General Douay verabschiedete sich von Musette mit einer höflichen Verbeugung und zog sofort den Unterpräfekten von Weißenburg, Eduard Hepp, ins Gespräch.
Hepp, trotz seines deutschen Namens ein waschechter, verbissener Elsässer-Franzose, hatte schon Ende Juli dringende Telegramme nach Straßburg gesandt und um schleunigen, ausreichenden militärischen Schutz von Weißenburg und des Lautertals gebeten. – Er hatte auch Berichte über die Stärke der anrückenden deutschen Truppen geliefert, die sich später als überraschend verläßlich herausstellten.
Jetzt hielt er dem General einen ausführlichen Vortrag über seine eigenen Wahrnehmungen und die Mitteilungen seiner Gewährsleute. – Er glaubte vor einem nahe bevorstehenden Angriff der deutschen Truppen warnen zu müssen.
General Abel Douay hörte ihn höflich, mit einem leicht spöttischen Lächeln an. Als er endlich selbst zu Worte kam, meinte er ein wenig mitleidig:
» Monsieur Hepp, ich verstehe durchaus, daß Ihnen das Wohl und Wehe der Stadt am Herzen liegt, aber glauben Sie mir, noch ist mit einem Angriff der Preußen nicht zu rechnen. Nächste Woche vielleicht und wahrscheinlich an einem ganz anderen Abschnitt als hier an der Lauter. Wir sind auf dem Qui vive, Monsieur! Wenn Sie morgen ein interessantes Schauspiel genießen wollen – bringen Sie ruhig Ihre Damen mit –, dann kommen Sie Punkt acht Uhr auf den Geißberg. Dort können Sie unsere prächtigen algerischen Turkos abkochen sehen, vielleicht auch einer kleinen Artilleriedemonstration beiwohnen. – Wollen Sie?«
Der Unterpräfekt sagte aus Höflichkeit aber alles andere als begeistert zu, brachte immer wieder Befürchtungen vor, die General Douay kurz abschnitt, indem er Hepp bat, ihm die große Landkarte zu überlassen, die er in Hepps Arbeitszimmer gesehen hatte. Als Hepp ein erstauntes Gesicht zeigte, meinte Douay lachend:
»Ich besitze nämlich keine Karte der Umgebung, nicht einmal ein armseliges Croquis; dafür haben wir aber prachtvolle Karten der Provinz Hessen-Nassau und des badischen Schwarzwaldes. Aber jetzt bitte, kein so jämmerliches Gesicht, Monsieur Hepp! – Darf ich die Herren zu Tisch bitten!«
Das Essen verlief ziemlich schweigsam. Das furchtbare Gewitter, das draußen niederging, beeinträchtigte auch die Stimmung im Saal.
Der General brachte ein Hoch auf den Kaiser und die Souveräne der anwesenden Diplomaten aus, wobei aber der eigentliche Zweck, der die Herren ins Weißenburger Hauptquartier geführt haben mochte, mit keinem Wort erwähnt wurde; dann leerte er sein Glas galant auf das Wohl der einzigen anwesenden Frau, die in ihrer einfachen, kleidsamen Schwesterntracht am unteren Ende der Tafel saß, zur Rechten Vipiteno, zur Linken einen Kapitän vom 13. Jägerbataillon.
Musette stocherte ohne Appetit in den Speisen umher. Sie wußte nicht, was sie aß, gab höflich aber ohne Esprit auf die Fragen des Jägerhauptmanns Antwort, erzählte von den Kämpfen bei Humaita und am Tebycuari und betonte recht auffallend, daß die Kampfhandlungen am Paraná vielleicht ein ganz anderes Ende genommen hätten, wenn Lopez nicht von Verrätern umgeben gewesen wäre. – Sie suchte den neben ihr sitzenden Vipiteno zu reizen, herauszufordern, aber dieser verstand die Bemerkungen geflissentlich nicht, oder er bezog sie nicht auf seine Person. – Er gab sich verbindlich, geistreich, liebenswürdig, sagte Musette Artigkeiten über ihr Äußeres, ihre frische, natürliche Farbe, flocht aber, für jeden Fremden unmerklich, ebenfalls Bosheiten und Spitzen in die Konversation, die Musette sehr wohl herausfühlte und sie das Schlimmste ahnen ließen.
Musette hielt unsagbare Qualen aus. Das Abendessen an der Seite des verhaßten Italieners bedeutete für sie nicht nur eine seelische sondern auch eine körperliche Tortur. Die Ungewißheit des Kommenden zermürbte sie. –
Gegen einhalb neun Uhr hob der General die Tafel auf.
Im gleichen Augenblick schmetterte draußen auf der Straße das Musikkorps des 74. Linienregiments mit dem Marsch ›Les Zouaves de Balaklava‹ los.
Aufatmend legte Musette die Serviette neben den Teller.
Der Jägerhauptmann machte ihr eine leichte Verbeugung, Vipiteno zog wie ein alter, guter Freund Musettes Arm durch den seinen. Er fühlte den Körper der jungen Frau durch die weite Schwesterntracht zittern, und ein boshaftes Lächeln ging über seinen Mund.
» Eh bien, ma chère Musette!« sagte er jetzt leise. »Ich bin glücklich, daß das steife Diner zu Ende ist! Du wohl auch? – Wir haben uns mancherlei zu erzählen!?«
Musettes Herz schlug beinahe laut und schmerzhaft bis zum Halse hinauf. Aber das Mädchen riß sich zusammen.
» Certainement, mon cher Félipe!« erwiderte Musette, absichtlich laut, um die in Gruppen umherstehenden Offiziere, die sich ihre Zigarren an einer Kerze anzündeten, über die Herzlichkeit ihrer Beziehungen zu Vipiteno keinen Augenblick im Zweifel zu lassen. –
Vipiteno führte Musette vor die Tür. Der Regen hatte nachgelassen, aber das Wasser stand in breiten Lachen auf dem Straßenpflaster. Vor und hinter der Musikkapelle, die noch immer den Marsch in den Abend hineinschmetterte, lümmelte sich die Weißenburger Jugend und freute sich. In den Haustüren räkelten sich Soldaten, das Käppi in den Nacken geschoben, die Hände in den Taschen der weiten, roten Pluderhosen und die glimmende Pfeife im Munde.
Vipiteno und Musette schritten, eng untergefaßt wie ein Liebespaar, durch die Hauptstraße von Weißenburg hinaus zum Landauer Tor.
»Wohin führst Du mich?« fragte Musette.
»Wir promenieren ein wenig, Musettchen« erwiderte Vipiteno. »Hinaus auf die Wälle, auf das Glacis – –!«
Musette antwortete nicht. Sie preßte die Lippen zusammen und suchte in ihrer Tasche nach dem scharf geladenen, sechsschüssigen Revolver, den sie vorsorglich eingesteckt hatte.
Als sie den kalten Lauf fühlte und den Kolben umfaßte, kehrte ihr alter Mut und ihre gewohnte Tatkraft wieder.
»Herr Marquis!« sagte sie ruhig, sah aber Vipiteno scharf an. »Ich habe nur bis zehn Uhr Urlaub, werde in einer halben Stunde abgeholt. Der Krümperwagen unseres Sanitätsdepots erwartet mich vor dem Hotel.«
»Nichtsdestoweniger wirst Du mich anhören müssen!« meinte der Italiener gelassen.
»Bitte – – dann aber schnell!«
»Nein, chère Musette! – Nicht hier! – Hier in der Hauptstraße ist's zu belebt! – Wir verlassen die Stadt.«
»Ich bleibe hier!«
Vipitenos Stimme nahm einen harten, drohenden Klang an.
»In Deinem eigenen Interesse liegt es, mitzukommen. – Ich wohne unmittelbar vor dem Landauer Tor in einem prachtvollen Landhause an der Chaussee nach Schweighofen.«
»Sie bilden sich doch nicht ernsthaft ein,« erwiderte Musette »daß ich Sie in Ihr Quartier begleite?! Sie sind irrsinnig – –!«
»Nein – nur vorsichtig – und zwar in Deinem eigenen Interesse –!«
Die beiden passierten die Kaserne, wo ein ziemlicher Betrieb herrschte. Soldaten am Tor und an den Fenstern riefen ihnen Scherzworte zu.
Wenige Schritte weiter lag das Landauer Tor, das erst gegen neun Uhr geschlossen wurde.
Vipiteno zeigte seinen Passierschein. Die Wache ließ ihn und die Schwester ungehindert passieren. Als die Wache außer Hörweite war, sprach Vipiteno weiter.
»Da drüben wohne ich, dort in dem kleinen Hause vor den Weinbergen! Da drüben, wo die Mühle steht – –«
»Das interessiert mich nicht! Was soll ich dort?!«
Vipiteno behielt seinen spöttisch überlegenen Ton bei.
»Zuerst, liebe Musette,« erwiderte er »will ich Dir Grüße von Deinem Liebsten bestellen!«
Musette fühlte, wie ihr das Blut in den Kopf schoß, aber sie riß sich zusammen.
»Von wem?« fragte sie.
»Von Deinem Schatz, dem Herrn Rittmeister von Martini!«
Jetzt riß Musette ihren Arm los.
»Vorsicht!« warnte der Marchese. »Wir werden beobachtet! Hier ist das Haus! – Bitte! – –«
Ohne Widerrede folgte ihm Musette jetzt.
Vipiteno stieß die Tür zu einem Zimmer im Parterre auf und entzündete die Petroleumlampe auf dem Tisch.
»Bitte, mein Liebling, nimm Platz! – Es wird Dich interessieren, daß Herr Rittmeister von Martini tapfer wie ein Löwe, wie die lieben Preußen nun einmal alle sind, bei Saarbrücken gefochten hat und schwer verwundet wurde. Er liegt im Spital zu Saarbrücken. Gewehrschuß durch den rechten Oberarm, Knochensplitterung. Der Arm muß amputiert werden. –«
»Das – das ist – – nicht wahr!« rief Musette. »Du lügst!«
Der Marchese weidete sich an der Angst und der Aufregung des Mädchens; er spielte mit ihr wie die Katze mit der Maus, hielt aber seine Krallen noch zurück. Musette sank auf einen Stuhl.
»Was soll das alles?! – Warum quälst Du mich?!« rief sie.
»Warum!« schrie Vipiteno. »Das wagst Du noch zu fragen! – Schamlose Dirne! – Mit Martini bist Du heimlich verlobt, in der preußischen Gesandtschaft gehst Du aus und ein, als ob Du zu den Lumpen da drüben gehörtest, – – aber mir heucheltest Du Liebe und Freundschaft vor! Jetzt rechne ich mit Dir ab! – Jetzt habe ich Dich!«
Musette schwieg. Die drohende, unbekannte Gefahr hatte ihr Angst verursacht; jetzt, wo die Gefahr da war, im Augenblick, wo Vipiteno endlich die Maske fallen ließ, kehrte ihre Ruhe zurück. Mochte nun kommen, was wollte. Mit dem Verräter würde sie fertig werden. Sie fürchtete sich nicht mehr. Der Gefahr wußte sie schon entgegenzutreten.
»Ich bin weder Dir noch irgend jemandem Rechenschaft schuldig!« erklärte sie stolz. »Was ich tat, verantworte ich – –!«
»Auch den Diebstahl meiner Papiere und die fein eingefädelte Komödie im Schnellzug nach Ventimiglia?!«
»Auch die!« erwiderte Musette. »Ein Lump, wie Du, ein Judas, der seinen eigenen Herrn, seinen Wohltäter, verrät, verdient keine andere Behandlung! – –«
»Sieh einmal an!« höhnte Vipiteno. »Pfeift der Wind aus diesem Loch?! – Was haben Dir die Preußen für die Papiere gezahlt?«
»Ich bin kein Schuft wie Du! – Derartige Geschäfte überlasse ich dem General Cimasoni!« erwiderte Musette angeekelt. »Ich wünsche keine Fortsetzung der Unterhaltung! – Gute Nacht!«
Vipiteno sprang auf und verstellte die Tür mit seiner breiten Gestalt.
»Du bleibst!« zischte er. »Du verkennst die Situation, meine Liebe! – Es kostet mich nur ein Wort, und die Franzosen verhaften Dich als Spionin. –«
»Ich habe die Franzosen nicht geschädigt!«
»Du bist mit einem preußischen Offizier verlobt, hast für die preußische Gesandtschaft gearbeitet. – Daß Du mich, der ich im Auftrage der Franzosen tätig war, bestohlen hast, um die wertvollen Dokumente den Preußen auszuliefern, bestreitest Du gar nicht. – – Das kostet Dir den Hals! Du hast hier nichts mehr zu suchen!
»Nach allem was vorgefallen ist, ist Dein Platz da drüben!«
Vipiteno deutete nach Osten.
Draußen fiel wieder Regen; die schweren Tropfen klopften an die Scheiben des kleinen Zimmers.
Vipiteno schloß das Fenster, dann trat er zur Tür und schloß sie ab.
»Was bedeutet das?« fragte Musette mit bebender Stimme.
»Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß ich mir meine Belohnung holen, gegebenenfalls gewaltsam nehmen will. Um die Liebesnacht in Genua hast Du mich betrogen, mein Täubchen. Hier halte ich Dich! Heute nacht bleibst Du bei mir! Morgen jage ich Dich zu den Preußen. –
»Wage es nicht, nach Weißenburg zurückzukehren; dort – – wirst Du verhaftet! – – Das – das ist – – meine Rache für Deinen Verrat –!«
Musette griff mit der linken Hand ans Herz, das sich schmerzhaft zusammenkrampfte. Die Beine versagten ihr den Dienst, und vor den Augen flimmerte es. Sie sah wie durch einen Schleier das Gesicht des Mannes, zu einer höhnischen, widerlichen Fratze verzerrt. Sie wollte schreien, um Hilfe rufen, selbst auf die Gefahr hin, Verwicklungen zu schaffen, die ihr gefährlich werden müßten, aber sie brachte keinen Ton heraus.
Daß der rachsüchtige Bursche seine Drohung wahr machen würde, daran zweifelte sie keinen Augenblick. – Sie war in seiner Gewalt. – Er konnte sie die Nacht festhalten und brauchte am nächsten Morgen nur die Wache am nahen Tor herbeizurufen. Was dann geschah, – war leicht auszudenken. – Die Franzosen würden in ihrer Spionenangst kurzen Prozeß mit ihr machen. Sechs Kugeln – und ein Grab vor den Wällen der Festung. Das war das Ende! – Es gab nur einen Ausweg: Flucht! Flucht hinaus in die Gewitternacht! Flucht durch die Weinberge und Hopfengärten! Nach Osten oder Norden – dort standen die ersten Preußen! Dort würde sie Schutz finden. Diesen Weg hatte ihr Vipiteno selbst gewiesen.
Vipiteno mochte ahnen, welche Gedanken das Mädchen bewegten; aber er glaubte, Musette fest zu haben, und weidete sich an ihrer Angst. – Die Hände über der Brust verschränkt, stand er mitten im Zimmer vor Musette.
»Na – – mein Kind!« sagte er grinsend. »Ich erwarte Deinen Entscheid! Lege Deinen nassen Mantel ab. Du darfst ins Nebenzimmer treten! Niemand sieht uns hier! Das ganze Haus ist unbewohnt. – Sei lieb zu mir, Musette; vielleicht, daß ich gnädig bin und Dich morgen laufen lasse – –!«
»Nein!« erwiderte Musette. »Nicht um diesen Preis! Ich betrachte die Unterredung als beendet! – Mache, was Du willst! – Jetzt öffne die Tür! – Ich gehe – –!«
»Ich denke nicht daran, Dich fortzulassen!« erwiderte der Marchese und in seinen schwarzen Augen glomm ein verzehrendes Feuer.
Musette griff in die Tasche und erfaßte den Kolben ihres Revolvers.
Eine kalte, eiserne Ruhe kam über sie. Sie trat zwei Schritte zurück; ihre Augen zeigten einen starren Glanz.
»Noch einmal! – ein letztes Mal: Öffne die Tür!«
Vipiteno zog den Schlüssel aus der Tasche hielt ihn höhnisch hoch.
»Den Schlüssel habe ich, und den halte ich! – Morgen kannst Du ihn haben! Heute nacht bleibst Du bei mir! –«
Der Marchese trat an die Lampe und pustete sie aus.
In diesem Augenblick fuhr ein Feuerschein durch das Zimmer. – Ein Schuß gellte auf – scharf, hart, wie ein wütender Peitschenschlag. Er wurde aber von dem Donner des draußen niederprasselnden Gewitters übertönt.
Vipiteno schrie auf. Er taumelte gegen die Zimmerwand, fuhr mit der Hand nach der linken Brust. – Klirrend fiel der große Zimmerschlüssel zu Boden.
Jetzt sank der Mann langsam in sich zusammen.
» Dio mio –!« stöhnte er.
Musette hatte zuerst den Schlüssel vom Boden aufgehoben und ins Schloß gesteckt. Nun trat sie vorsichtig, den Revolver in der rechten Hand, auf den Marchese zu, der mit brechenden Augen, die weiß in der Dunkelheit hervortraten, nach oben ins Leere starrte.
Aus einer Brustwunde sickerte in großen, dicken Tropfen Blut und bildete auf dem Holzboden eine kleine aber sich stetig vergrößernde Lache.
Musette schlug den Mantel um ihre schlanke Gestalt, schloß die Tür auf und stand auf der nachtdunklen Straße.
Der Wind peitschte ihr Regen und Hagelkörner ins Gesicht. – Hinter ihr leuchteten die wenigen Lichter von Weißenburg durch die Gewitternacht.
Musette sicherte die Schußwaffe und steckte sie in die Rocktasche, dann ging sie um das Haus herum in den Garten, kletterte über den niedrigen Holzzaun und tastete sich hinunter in die dichten Weinberge.
Hier zwischen den Reben war sie zwar vor dem wütenden Sturm ein wenig geschützt, aber der Regen fiel unbarmherzig nieder, und durchnäßte sie in wenigen Minuten bis auf die Haut.
Aber das Wetter durfte sie jetzt nicht anfechten. Der Sturm war ihrer Flucht sogar günstig.
Sie wußte aus Gesprächen von Offizieren und Ärzten, daß die Preußen ganz nahe, nördlich bei Schweigen stehen mußten. Das Dorf, knapp drei Kilometer von Weißenburg entfernt, sollte schon von den preußischen Vortruppen besetzt sein.
Sie mußte hinüber zu den Preußen, und es galt vor allem die französischen Feldwachen und Patrouillen zu umgehen. – Wo diese standen, wußte Musette natürlich nicht.
Sie kroch vorsichtig durch die Weinberge weiter. Ihr Überrock blieb an einer Stange hängen. Als sie anzog, riß sie sich ein Loch ins Kleid; sie spürte den Riß mehr, als daß sie ihn sah. – Die Schwesternhaube war vollkommen durchnäßt und aufgeweicht; das Haar klebte ihr an Stirn und Nacken. –
Der Abstieg hinunter zur Lauter war auf dem schlüpfrigen Boden beschwerlich und auch nicht ohne Gefahr.
Musette stolperte in der stockfinsteren Nacht – fiel zu Boden – raffte sich wieder auf. Ein Blitz erhellte für wenige Sekunden die nähere Umgebung.
Rechts von ihr wurden Stimmen laut, französische Laute.
Als Musette vorsichtig durch die Reben spähte, sah sie zwei Soldaten, die sich gedämpft unterhielten. Sie schimpften über das Schweinewetter, über die Preußen, über ihre eigenen Vorgesetzten.
Musette kroch in weitem Bogen an den beiden Posten vorbei. – Leiser wurden die Stimmen, bis sie ganz verhallten. – –
Ein hohes Hopfenfeld nahm Musette auf. Jetzt war sie – wenigstens für den Augenblick – geborgen.
Das Gewitter hatte sich nach Süden verzogen, aber der Regen fiel nach wie vor in ungemäßigter Heftigkeit.
Musette arbeitete sich durch das dichte Hopfenfeld. Sie stand jetzt auf einem schmalen Feldwege. Etwa tausend Schritt vor ihr flammten kleine Lichter auf. Vorsichtig ging sie in der Richtung auf die Lichter weiter. Der Weg führte nach einigen hundert Schritten erneut in ein Hopfenfeld.
Vom Kirchturm in Weißenburg schlug es dumpf zehn Uhr.
Über dem Turm, der sich als dunkle Silhouette gegen den helleren Himmel abhob, wetterleuchtete das abziehende Gewitter.
Unbarmherzig und ununterbrochen rieselte der Regen nieder, klatschte auf die Hopfenfelder, verwandelte die lehmigen Feldwege in einen breiigen Morast.
Musette war zum Auswinden naß.
Plötzlich schreckte sie zusammen. – Einige Schritte vor ihr hörte sie Stimmen; harte Kehllaute, die sie nicht verstand. Es war kein Französisch – aber auch nicht das Deutsch, das sie in Baden-Baden und auf der Heimfahrt nach Paris, vor einigen Monaten gehört hatte. Es mußten zwei Männer sein, die sich unterhielten.
»Du Sepp!« sagte der eine gedämpft. »Do drieb'n, do scheint aaner zu steck'n –!«
Zwei Gewehrschlösser rasselten. Musette ahnte, daß sie in Gefahr schwebte, und trat vor.
»Halt! – Wer da!« wurde sie angerufen. Im gleichen Augenblick hatten sie zwei derbe Fäuste gepackt, um aber sofort wieder loszulassen.
»O mei! – A Weibsbild!« rief ein Mann.
Musette mußte lachen. – Vor ihr standen zwei Soldaten in hellblauen Röcken und roten Kragen. Ein junger, bartloser Bursche, und ein älterer Soldat mit einer scharfen Adlernase und schwarzem, langem Schnurrbart, der den ganzen Mund verdeckte.
Gewohnt, genau zu beobachten, entdeckte Musette sofort, daß der Ältere, der wie ein Wilderer in Uniform aussah, um den Kragen eine goldene Borte trug, also etwas ›Höheres‹ sein mußte. Als Kopfbedeckung hatten beide dunkle Lederhelme mit einem Löwen, und über dem Helm stand eine unförmige Wurst aus Filz, die vor Nässe triefte.
»Deutsch?« fragte Musette.
»Woll! woll!!« erwiderte der ältere Mann. »Bayern!«
» Dieu soit loué!« stammelte Musette.
Die beiden Soldaten stellten Fragen, aber Musette verstand nichts.
»Offizier! – Offizier!« sagte sie.
»Gut!« erwiderte der bayerische Unteroffizier. »Du kommst mit zur Feldwache!!«
Die bayerische Feldwache stand am südlichen Ortsausgang des Dörfchens Schweigen, unmittelbar hinter den beiden Grenzpfählen, dem blauweißroten französischen und dem blauweißen bayerischen.
Als die Patrouille mit ihrer Gefangenen den Wachraum betrat, gab es ein großes Halloh und Erstaunen. – Aber hier war wenigstens eine Verständigung möglich.
Der junge Offizier, der sich sofort von seiner Pritsche erhob, sprach zwar ein geradezu barbarisches Französisch, aber er war schon nach den ersten einleitenden Worten Musettes Herr der Situation.
Eine halbe Stunde später marschierte Musette in Begleitung von zwei Infanteristen durch den Ort Schweigen nach Rechtenbach, wo das Hauptquartier der 4. bayerischen Infanteriedivision lag.
Die Dörfer Schweigen und Rechtenbach waren mit Bayern geradezu vollgepfropft.
Musette, die sich auf der Feldwache notdürftig getrocknet und von dem Leutnant einen alten, schwarzen Wachmantel erhalten hatte, sah in ihrer Vermummung grotesk aus, aber das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit belebte sie. Über ihre seltsame Vermummung lachte sie mit den Soldaten um die Wette. –
In Rechtenbach und Schweigen mußte mindestens eine kriegsstarke Division lagern. Davon hatten die Franzosen natürlich keine Ahnung.
Musette, die wieder beobachten konnte, betrachtete die Achselklappen der Bayern mit den Regimentsnummern 5, 7, 14. Auch ein Jägerbataillon mußte in Schweigen liegen. Die strammen, jungen Burschen in hellblauen Waffenröcken und grünen Kragen konnten nur den französischen Chasseurs à pied entsprechen.
Musette wurde nach einem Gasthaus geführt und sofort von einem Hauptmann vernommen. Das gleichgültige, beinahe etwas gelangweilte Gesicht wich bald einer erstaunten, fast überraschten Miene.
Je länger Musette sprach, um so lebhafter wurde jetzt der Offizier. Schließlich rief er noch einen zweiten Offizier ins Zimmer, einen alten Herrn mit weißem Schnurrbart und dicken, geflochtenen Achselstücken.
Der alte Herr sprach zwar nicht so elegant französisch wie der jüngere Hauptmann, aber er konnte sich verständlich machen.
» Madame!« sagte er. »Was Sie uns erzählen, ist derart interessant, daß ich sofort die nötigen Maßnahmen ergreifen werde. Zufällig befindet sich Herr von Bismarck, auf den Sie sich beziehen, in – na – in der Nähe und ist telegraphisch zu erreichen. – Auch an Herrn Rittmeister von Martini von den 7. Ulanen lasse ich sofort eine Depesche abgehen. Wir stehen durch den Draht mit Saarbrücken in Verbindung. – Die Antwort kann in zwei Stunden, vielleicht auch schon früher hier sein.
»Im Augenblick kann ich nichts weiteres tun, Madame de Lanory, als Ihnen herzlich zu danken. Leider besitzen wir keine Frauenkleider im Hauptquartier,« meinte der alte Herr lächelnd »aber es wird sich Gelegenheit finden, Ihre nassen Kleider zu trocknen; auch für einen Imbiß und ein Lager werde ich Sorge tragen.«
Musette machte es sich in einem kleinen Wirtshauszimmer so bequem wie möglich, wand die triefend nassen Kleider aus und hängte sie über einen Stuhl. Eine Flasche Wein, die eine Ordonnanz gebracht hatte, leerte sie in wenigen Zügen. Ihr blasses Gesicht bekam wieder Farbe. Aber der Wein ermüdete auch.
Vor dem Gasthaus standen zwei Posten, auch im Vorzimmer saßen einige Soldaten und schienen Karten zu spielen. Sie wurde bewacht; anscheinend trauten ihr die Bayern nicht ganz.
Gleichgültig, – sie war gerettet – hatte Vipiteno die Gemeinheiten heimgezahlt – und – der Schritt ins deutsche Lager reute sie nicht. – – Er wäre ja früher oder später doch erfolgt; und daß sie jetzt, unmittelbar vor Beginn der Feindseligkeiten nochmals in die Weltgeschichte eingriff, wenn auch diesmal wirklich, ohne es zu wollen, machte sie geradezu stolz.
Auf der Straße draußen marschierten die Bataillone, rasselten Geschütze – Richtung Süden – Weißenburg.
Musette lachte in sich hinein.
Die Franzosen würden morgen in aller Frühe eine recht nette Überraschung erleben.
Eigentlich tat ihr der ritterliche General Douay leid. Aber sie war, wenn auch noch nicht formell so doch innerlich, schon Preußin, und der Mensch kann schließlich nur einem einzigen Vaterlande dienen.
Sorgen bereitete ihr nur das Schicksal des Geliebten. Die Mitteilung des Marchese trug unbedingt einen Anstrich von Wahrheit. Hans Dietrich stand zur Zeit in Saarbrücken; und bei Saarbrücken war es zum ersten Gefecht gekommen.
Der alte General hatte ihr versprochen, nach Saarbrücken zu depeschieren. In wenigen Stunden würde sie klar sehen, wissen, ob Hans schwer oder leicht verwundet war, oder ob der Schurke Vipiteno, nur um sie zu ärgern, geschwindelt hatte.
Daß sie den Verräter in der Notwehr erschossen hatte, focht sie nicht an. Er oder sie, einer mußte auf dem Platz bleiben. – – Das Schicksal hatte sich für ihn entschieden, hatte ihr die Schußwaffe in die Hand gedrückt. – Francisco Solano Lopez war gerächt. – –
Der Regen hatte nachgelassen. Aber in der Dorfstraße stand das Wasser noch in breiten, trüben Lachen. – Die Gasse war von schweren Geschützen durchfurcht, von tausenden von derben Soldatenstiefeln zertreten und bildete einen morastigen Brei.
Durch diesen Brei stapften nach wie vor die bayerischen Kolonnen. Die langen Seitengewehre blitzten in der Morgendämmerung. Im Osten, hinter dem Dörfchen Schweighofen, stieg strahlend hell die Sonne auf.
Auch in den Hopfengärten des Wolfsbergs und in den Weinbergen bei Schweighofen wurde es lebendig. Kolonnen formierten sich. Die Straße vor dem Gasthaus wimmelte von Truppen. Bayerische Infanteristen, Jäger, auch dunkelblaue preußische Infanterie.
Musette sah, hinter dem Fenster verborgen, auf das militärisch belebte Bild.
Plötzlich ertönte von der Straße her der laute Ruf: »Achtung!«
Die Soldaten rissen die Beine zusammen, daß es knallte. Die Offiziere hoben die Hände an die Helmschiene. Zwei höhere Offiziere kamen im Galopp die Dorfstraße herab und zügelten vor dem Gasthaus die dampfenden Pferde.
Eine Sekunde später eilten sie ins Haus.
Musette hörte ihre schweren Schritte auf der Treppe, dann ein Anklopfen.
» Entrez!«
Die beiden Offiziere traten ein. Der Ältere, ein mittelgroßer, etwas korpulenter Herr, trug die bayerische Infanterieuniform mit breiten, roten Streifen an der Hose; der zweite, er mochte etwas jünger sein, war ein schlanker, sehniger Kavallerist, der eine ähnliche Ulanenuniform trug, wie Musette sie bei ihrem Geliebten bereits gesehen hatte.
Beide legten die rechte Hand grüßend an den Mützenschirm.
»Oberst Freiherr von Horn!« stellte sich der Ältere vor.
Auch der Ulan nannte seinen Namen: »Graf von Ysenburg!«
»Gnädige Frau!« sagte jetzt der Oberst von Horn. »Die Antwort aus dem Hauptquartier ist eingelaufen. Exzellenz von Bismarck hat Ihre Angaben bestätigt. Er läßt Sie, meine Gnädige, aufs verbindlichste grüßen und Ihnen – vorerst auf diesem Wege – durch meine Wenigkeit danken. – Bitte nehmen Sie doch Platz, Frau von Lamory! Ich schließe mich dem Dank des Bundeskanzlers namens des bayerischen zweiten Armeekorps, dessen Generalstabschef ich bin, an.
»Herr von Bismarck bittet uns, Ihnen volles Vertrauen entgegenzubringen. – Das tun wir! Ihre Mitteilungen sind für uns – ich gestehe dies offen ein – von ungeheuerer Wichtigkeit. Wir wußten bisher nur, daß uns Teile des ersten französischen Korps gegenüberstehen, aber Einzelheiten waren noch nicht bekannt. In Weißenburg steht also zur Zeit nur eine einzige Division, Madame?«
»Jawohl, Herr Oberst! – General Abel Douay!«
»Ausgezeichnet! – – und Ducrot?«
»Von der Division Ducrot habe ich zur Zeit noch nichts bemerkt!« erwiderte Musette. »Jedenfalls rechnen die Franzosen im Augenblick mit keinem Angriff.«
Die beiden bayrischen Offiziere lächelten.
»In einigen Stunden werden sie ihre Ansicht wohl geändert haben!« meinte Oberst Horn. »Im übrigen halte ich Ihre Mitteilung über die Anwesenheit der ausländischen Diplomaten für ganz besonders wichtig!«
»Unbedingt, Herr Oberst!« pflichtete Musette bei. »Ein Sieg der Franzosen über die Deutschen bedeutet möglicherweise ein sofortiges Eingreifen Österreichs, Italiens und vielleicht auch Dänemarks.«
»Wenn's aber anders kommt, Madame? – Wenn die Franzosen die erste Schlacht mit Pauken und Trompeten verlieren? – Was dann?«
»Dann – –« erwiderte Musette und lächelte »dann werden die Österreicher und Italiener wahrscheinlich glücklich sein, sich bisher streng neutral verhalten zu haben!«
»Sehr nett, Madame de Lanory! – Zu diesem Glück wollen wir den Leuten verhelfen. – – Kann ich, – Madame, – noch etwas für Sie tun?«
»Ja, Herr Oberst! Der Offizier, der mich vorhin, zuerst vernommen hat, versprach mir nach Saarbrücken zu depeschieren. Ich – ich interessiere mich für das Schicksal eines preußischen Ulanenoffiziers.«
»Selbstverständlich, Madame! – Das ist bereits geschehen – und die Antwort ist bereits eingelaufen. – Leider – bitte, Madame, – wollen Sie nicht erst wieder Platz nehmen. – Zu meinem großen Bedauern – Herr Rittmeister von Martini – –«
»Allmächtiger!« schrie Musette auf. »Hans ist – tot?!«
»Nein, Madame! – Glücklicherweise nicht! Allerdings nicht unbedenklich verwundet. Der rechte Arm mußte leider – amputiert werden. – Herr Rittmeister von Martini befindet sich aber den Umständen entsprechend wohl, im Garnisonslazarett in Saarbrücken.«
»Heilige Mutter Gottes!« sagte Musette leise und innig. »Ich danke Dir!« Dann lächelte sie unter Tränen. »Herr Oberst, ich – ich danke Ihnen herzlich für diese Mitteilung. Sie werden verstehen, daß es mich drängt, von hier fortzukommen. Ich muß so schnell wie möglich zu Herrn Rittmeister von Martini. Können Sie mir dazu behilflich sein, nach Saarbrücken zu reisen – –?«
Die beiden Offiziere sahen sich lächelnd an.
» Madame!« sagte der Oberst Graf von Ysenburg, der bisher ein schweigender Zuhörer gewesen war. »Wir sind Ihnen großen Dank schuldig; und was Sie verlangen, ist der geringste Dienst, den wir Ihnen erweisen können. Ich habe eine derartige Bitte vorausgeahnt und – einen Passier- und Fahrschein bereits mitgebracht. Darf ich bitten, Madame de Lanory! – Eine Ordonnanz steht zur Verfügung, um Sie nach Schweighofen zu geleiten. Dort nehmen Sie die Eisenbahn bis Neustadt, wo Sie Anschluß nach Saarbrücken haben. – Falls Sie – im Augenblick – eh – mittellos sein sollten, – Madame, Sie benötigen Kleidung – Wäsche – – –?«
»Herzlichen Dank, Herr Graf!« erwiderte Musette schnell, und reichte dem Grafen Ysenburg die Hand. »Mit Geld bin ich mehr als reichlich versehen.« –
Zehn Minuten später befand sich Musette auf dem Wege nach Schweighofen und bestieg gegen acht Uhr einen kleinen Feldbahnwagen, der sie aus dem Gefechtsbereich brachte.
Genau eine Viertelstunde später fiel am Waldrande bei Schweigen aus einem bayrischen Geschütz der erste Kanonenschuß.
Die Schlacht bei Weißenburg hatte begonnen. –