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14. Kapitel.
Musette kommt in eine peinliche Lage.

Das kleine Dorf Steinselz, etwa zwei Kilometer südlich von Weißenburg wimmelte von französischen Truppen.

Jedes Haus, jeder Schuppen war belegt. In den Hopfengärten und Weinbergen lagen Artillerie, Zuaven, Turkos; die ganze Division Abel Douay war zusammengezogen worden und biwakierte in den Gärten und teilweise auch auf den Straßen. Ein Infanterieregiment hatte auf der Straße die Gewehre zusammengesetzt.

Der Divisionär, General Ch. Abel Douay hatte sein Hauptquartier in Steinselz. – Aber auch in dem kleinen Nachbardörfchen Oberhofen ballten sich die Truppen zusammen. Dort hatte die Division auch ein Feldlazarett eingerichtet.

Musette saß mit ihrer Sanitätsabteilung seit drei Tagen in Oberhofen. Auf einem großen Bauerngut wehte die weiße Flagge mit dem roten Kreuz. Die Schwestern warteten in einem Zimmer des Erdgeschosses der kommenden Dinge und ruhten sich von ihren Metzer Strapazen aus.

Schwester Catérine saß am Fenster und blickte auf die staubige Dorfstraße hinaus, während Schwester Simone mit einem Infanteriesergeanten kokettierte.

Die ganze Stimmung war weniger kriegs- als manövermäßig.

»Hier halte ich den Krieg durch!« meinte Catérine. »Wenn ich an die letzten Tage, an den furchtbaren Betrieb und das Durcheinander in Metz denke, komme ich mir wie in der Sommerfrische vor.«

Musette antwortete nicht, sie lächelte nur müde.

Catérine trat näher und legte den Arm zärtlich um Musettes Schulter.

»Glauben Sie, daß es hier bald zum Anpacken kommt? – Zeit wär's –!«

»Ich bin kein Generalstäbler, liebe Catérine!« erwiderte Musette. »Dr. Pigeonnier glaubt, daß es noch nicht so weit ist. Wir sind hier zu schwach; und hinter der Lauter oberhalb Weißenburgs sollen schon 50 000 Deutsche liegen. – –«

Catérine legte die Arme in den Nacken und reckte ihre schlanke Gestalt.

» Sous-Lieutenant Chapuis« sagte sie »hat vorhin einige Andeutungen fallen lassen von einem großen Sieg, da oben an der Saar oder Mosel. Unsere Truppen sollen Saarbrücken gestürmt haben! –«

Musette zuckte leicht zusammen.

» Wie sagten Sie? Saarbrücken? – Wissen Sie etwas Näheres – Genaueres?«

»Nee!« meinte Schwester Catérine gleichgültig und trat wieder ans offene Fenster. – »Ich hab' nur so 'was läuten hören!«

Ihre Anteilnahme galt einer Abteilung Feldartillerie, die soeben durch Oberhofen in der Richtung nach Rott fuhr. – Catérine warf einem vorbeireitenden Unterleutnant eine Kußhand zu und trat errötend schnell vom Fenster zurück, als der Offizier ein derbes Scherzwort rief und das Käppi schwenkte.

» Attention, Catérine!« meinte Musette ärgerlich. »Wir sind nicht mehr in Paris! Vergessen Sie nicht, daß Sie Schwesterntracht tragen, und daß wir im Felde sind! –«

Catérine zog einen Flunsch.

»Man merkt vom Kriege hier herzlich wenig.«

»Sie werden noch früh genug die unangenehmen Seiten des Krieges kennen lernen!« meinte Musette.

» Bon jour, Mesdames!«

Die Schwestern fuhren herum. Unter der Tür erschien der Oberarzt Pigeonnier, ein junger, flotter Herr aus Tours.

»Kinder!« rief der Oberarzt. »Ich komme eben vom Hauptquartier, vom General Douay. – Haltet die Ohren steif! Es geht dieser Tage auch hier los. Nach dem Sieg bei Saarbrücken wird auch der Herzog von Magenta Marschall Mac Mahon. jetzt angriffsweise die bayerische Grenze überschreiten.«

Musette hatte mit forciert gleichgültigen Mienen eine Verbandsbinde zur Hand genommen und wickelte sie kunstgerecht auf.

»Sagen Sie, Doktor! Wir sitzen hier in Weißenburg ein bißchen abseits und erfahren so gut wie nichts. Ging's heiß her in Saarbrücken – –?«

»Sicher! – – Der Kaiser war selbst dort! Prinz Lulu hat die Feuertaufe bekommen. Die Preußen sind mit ungeheuren Verlusten zurückgeworfen worden. Saarbrücken ist unser! Entre nous, Schwester Musette: Ich zweifele, daß der Sieg taktisch wirklich so bedeutend war, wie ihn die Pariser Presse aufbauscht, aber für den Anfang ist's immerhin recht nett!

»Hier sind übrigens Zeitungen aus Paris, die ich mitgebracht habe. Die Bevölkerung ist außer Rand und Band. Die Kaiserin hat in St. Cloud eine Dankmesse lesen lassen. –

»Hier ist die ›Opinion nationale‹. – Soll ich vorlesen?«

»Ja natürlich!« riefen die drei Schwestern.

»Der erste Sieg und die erste Staffel auf preußischem Gebiet! Die erste Rache für 1815 am Rhein! – Ein großer, ein glänzender Sieg!«

»Die Saar ist doch noch nicht ganz der Rhein!« warf Musette ein wenig spöttisch ein.

»Richtig!« meinte Dr. Pigeonnier. »Das ist ja auch nur bildlich zu verstehen. Jedenfalls brachte uns der erste Zusammenstoß einen nicht zu unterschätzenden Erfolg. Die Herren Preußen wollten uns aushungern, indem sie unserer Industrie die Nahrung vorenthielten, Steinkohlen! Nun haben wir gleich beim ersten Zusammenstoß Saarbrücken und die Kohlenfelder der Saar. –

»Hier steht übrigens noch ein interessantes Telegramm in der ›Gazette de France‹: Die Division Frossard hat den Feind – drei preußische Divisionen – über den Haufen geworfen. Donnerwetter! Hören Sie, Schwester, unsere Truppen haben bereits Koblenz hinter sich und stehen vor der Festung Mainz. –«

Musette hatte die Binde aus der Hand gelegt und sah schweigend aus dem Fenster. Draußen auf der staubigen Straße rasselten wieder Kanonen – diesmal nach Norden.

»Enthält die Zeitung etwas über Verluste, unsere – Verluste?«

»Nein, aber hier habe ich eine Boche-Zeitung aus Basel; da steht etwas, ich kann's aber nicht recht verstehen – –!«

»Geben Sie her, Doktor!« rief Schwester Simone. »Ich verstehe Deutsch!«

Simone schlug die Schweizer Zeitung auf und las, dann mußte sie lachen.

»Die Preußen sind klassisch! Die schwindeln Stein und Bein zusammen! – Hier steht ein Bericht aus Berlin, und danach sollen in Saarbrücken nur ein paar hundert Mann Infanterie und einige Schwadronen Ulanen gestanden haben, gegen drei oder vier von unseren Divisionen!«

» Tiens!« rief Musette. »Kavallerie auf preußischer Seite?«

»Ja! 7. Ulanen – und Infanteristen vom Regiment 40!«

Musette wandte sich ab, zog ihr Taschentuch und fuhr sich über das Gesicht.

»Die Hitze hier ist furchtbar!« stöhnte sie. »Öffnen Sie doch bitte das andere Fenster, Schwester Catérine!«

»Damit wir den ganzen Straßenstaub in die Bude bekommen! – Aber, wie Sie wollen, Musette! Sie sind ja hier der Chef!«

»›Unsere Verluste sind gering‹« las Schwester Simone weiter und übersetzte sofort »›9 Offiziere und 46 Mann an Toten und Verwundeten‹. – Na, man kann nicht gerade sagen, daß sich die preußischen Offiziere hinter der Front gehalten, daß sie sich gedrückt haben!«

Musette war in die Stube zurückgetreten, sie griff nach einem Steinkrug mit Wasser und schenkte sich ein Glas ein.

Jetzt wandte sie sich an den Arzt.

»Sagen Sie Doktor, können Sie uns die Zeitungen hier lassen?«

»Nee – ausgeschlossen, Schwesterchen! – Geht nicht! – Höchstens das deutsche Blatt; aber das verstehen Sie ja auch nicht – –!«

»Leider!« erwiderte Musette. »Aber lassen Sie 's ruhig hier! – Ich danke Ihnen vielmals, Doktor –!«

Dr. Pigeonnier sprang plötzlich auf und tippte sich vor die Stirne.

»Noch etwas! – Sacré nom de Dieu! – Schwester Musette!« rief er halb ärgerlich, halb lachend. »Wir schwatzen hier das Blaue vom Himmel herab, und ich vergesse den eigentlichen Zweck meines Kommens: Freuen Sie sich, Musette! Sie sind heute abend an die Tafel des Divisionärs geladen!«

»Ich – –?!« fragte Musette ungläubig. »Wie komme ich zu dieser Auszeichnung –?!«

Dr. Pigeonnier zuckte die Achseln und lächelte diplomatisch.

»Offiziell habe ich natürlich keine Ahnung, aber privatim, weiß ich doch etwas. – Soll ich aus der Schule plaudern – –?«

»Natürlich! Ja!« rief Musette ein wenig ungeduldig.

»Also: Sie erscheinen heute abend sieben Uhr im Hotel Etoile in Weißenburg, so wie Sie sind, in Schwesterntracht. – Unser Sanitätskrümperwagen fährt Sie hinunter nach der Stadt. Ich glaube, Sie werden dort eine freudige Bekanntschaft machen oder eine alte Bekanntschaft erneuern. – Kennen Sie einen Italiener, einen Marchese von Vipiteno?«

Musettes Herz stand einen Augenblick still, klopfte aber dann um so stärker. Das Mädchen mußte sich Gewalt antun, um sein Erschrecken zu verbergen.

Vipiteno – –?? Was hatte Vipiteno an der Front zu suchen, und warum verlangte er nach ihr?

Seit jener verhängnisvollen Reise nach Italien hatte Musette die Beziehungen zu Vipiteno brüsk, vielleicht ein wenig unklug, auffallend abgebrochen. Sie hatte ihn noch einmal ganz kurz im Theater zufällig gesprochen; er konnte aber nur wenige Worte mit ihr wechseln, Worte, die verbindlich klangen, aber vielleicht nur den Verdacht des geschmeidigen Schurken verdeckten.

Die Mitteilung des Lazarettchefs hatte Musette derart aufgewühlt, daß sie nicht gleich eine Antwort fand, aber der harmlose Dr. Pigeonnier deutete die Verwirrung der Schwester Musette auf seine Art.

»Da staunen Sie!?« meinte er lächelnd. »Sie kennen doch den Marchese?« fragte er und zwinkerte mit den Augen.

»Sie sind ein Schlauberger, Doktor!« erwiderte Musette und zwang sich zu einem Lächeln. »Freilich kenne ich den Marchese!«

»Und zwar sehr gut!« lachte der Arzt.

»Auch das will ich nicht leugnen!« gab Musette zu.

»Na, Musettechen, dann bedanken Sie sich bei mir. Ich habe den Marchese erst auf Sie aufmerksam gemacht. – Verliebte soll man zusammenbringen –!«

Musette hatte sich wieder gesammelt.

»Lieber Doktor,« sagte sie »anstatt schlechte Witze zu machen, wäre es mir lieber, wenn Sie mir auf einige Fragen Auskunft erteilen würden: Zuerst, was hat Herr Vipiteno hier im Hauptquartier einige Meilen hinter der Front zu suchen? – Und dann: wie kam die Rede auf mich?«

Der Oberarzt nahm Platz und schlug die in hohen, glänzenden Stiefeln steckenden Beine gemütlich über einander.

»Beide Fragen, Schwester Musette, sind schnell beantwortet: Seit einigen Tagen sitzen drei ausländische Diplomaten, ein Österreicher, ein Italiener und ein Däne bei Douay. Sie sind wahrscheinlich von Gramont gesandt, denn der Herzog rechnet stark mit einem Eingreifen dieser drei Mächte, sobald die ersten Waffengänge zu unseren Gunsten ausgefallen sind. Das – das ist natürlich nur eine Vermutung von mir; aber sie dürfte kaum weit über das Ziel hinausschießen. –

»Der Marchese suchte mich heute morgen in Weißenburg auf und erbat meinen ärztlichen Rat. Er leidet an Asthma. – An die Konsultation schloß sich eine kleine, private Unterhaltung, wie das so geht, Schwester, und da fiel auch auf einmal Ihr Name – –!«

»Halt, lieber Doktor!« rief Musette schnell. »Wer warf meinen Namen in die Unterhaltung: Sie oder der Marchese?«

»Ich glaube wohl der Marchese. Wie sollte ich auch wissen, daß Sie zusammen bekannt sind. – Natürlich – ich erinnere mich! Der Marquis fragte direkt nach Ihnen; fragte, ob mir eine Schwester Musette, Madame Musette de Lanory bekannt sei. – Ich bejahte natürlich, gebe auch zu, Schwester, daß ich ein wenig erstaunt war. Aber der Marquis hatte bei der Frage eine etwas – – na, wie soll ich sagen – etwas süffisante Miene aufgesetzt, und da ging mir natürlich bald ein Seifensieder auf. –«

»Sie irren, Doktor!« unterbrach Musette. »Unser beider Beziehungen sind sehr oberflächlicher, rein gesellschaftlicher Natur. –«

»Natürlich!« beeilte sich Dr. Pigeonnier unter dem heimlichen Schmunzeln der Schwester Catérine schnell zuzustimmen. »Ich hätte nie gewagt, Schwester Musette, etwas anderes auch nur zu denken! –«

Musette griff nach einer Schachtel mit Migränepulvern und löste ein Pulver in einem Glase Wasser auf.

»Offen gestanden, lieber Dr. Pigeonnier. Ich habe starke Kopfschmerzen und möchte mich gern von der Einladung drücken!«

Der Arzt setzte eine ganz zerknirschte Miene auf.

»Das wird schwer gehen, denn die Einladung kommt direkt von General Douay. – – Ich – ich glaubte – ich dachte –, Ihnen eine Freude zu machen, Schwester?«

»Natürlich, ja! – Sie haben's gut gemeint! – Na schön! – – Wo sagten Sie, daß das Diner stattfindet? – Im Stern?«

»Ja, Schwester Musette! – Und Sie werden hingefahren und wieder abgeholt. –«

»Mehr kann ich schließlich nicht verlangen!« erwiderte Musette und lachte; aber es war ihr innerlich durchaus nicht zum Lachen.

Die Behauptung mit den Kopfschmerzen war alles andere als eine Lüge, Musette fühlte einen bohrenden Schmerz in den Schläfen und am Hinterkopf. Sie hatte aber das Empfinden, daß sie die Einladung, hinter der sich bestimmt eine Schurkerei des rachsüchtigen Marchese verbarg, unter allen Umständen annehmen müsse. Nicht nur im Augenblick vor ihren Schwestern und dem vorgesetzten Arzt mußte sie gute Miene zum bösen Spiel machen, sondern auch am Abend an der Tafel des kommandierenden Generals hieß es die Ohren steif halten.

Der Eintritt von zwei Brancardiers (Krankenträger), die auf einer Bahre einen anscheinend schwer verletzten, älteren Offizier brachten, enthob sie einer Antwort.

Auch der Arzt sprang sofort auf und trat an die Bahre.

Der ältere Krankenträger mit den roten Tressen des Corporals auf dem Ärmel meldete vorschriftsmäßig:

»Mein Oberarzt, wir bringen den commandant (Major) Dumesnil vom 1. Bataillon 74! – Granatsplitter im Leib! – Anscheinend sehr schwer – –!«

»Wo hat sich die Sache ereignet, Corporal?«

»Am Guttruthof, mein Oberarzt! – Eine einzige Granate haben uns die Boches von Schweighofen her geworfen. Wir hatten aber gleich zwei Tote und den schwerverwundeten commandant Dumesnil.«

Dr. Pigeonnier stieß die Tür zum Nebenraum, der als Operationszimmer hergerichtet war, auf.

»Hier hinein –!« befahl er. »Bitte, Schwester Musette, Sie assistieren! – Das heißt – pardon – falls Sie unpäßlich sind – – –?!«

» Mais non!« erwiderte Musette eifrig. »Arbeit lenkt mich ab –!«


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