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Vom »goldenen Himmelstor« und einem unverständlichen Gebet. – Schwarze Schatten und Frieren. – Zinna nimmt Handtücher statt Putzlappen, und Nannette lügt. – Von einem Kleid mit Tintenflecken und einer erzürnten alten Dame.
Nun nahte Komteßchens Abreise heran; die Fürstin, Babi und Hanna brachten sie in das Sanatorium zu dem Arzte, wo eine kurze Zeit geweilt werden sollte, und dann wollte der Fürst nachkommen, und alle zusammen sollten dann in einer schönen Berggegend einen längeren Aufenthalt nehmen. Es war nötig, daß etwas Ernstliches für die Gesundheit Winifreds geschah, das sah jedermann ein. Ihr Können und ihre Leistungen wurden immer geringer, und auf ihrem lieblichen Gesicht ruhte, wenn sie sich unbeobachtet wußte, oft ein tiefer Ernst.
An einem der letzten Tage vor der Abreise – Babi packte und hatte viel mit den Vorbereitungen zu tun – saß Zinna mit einer Näharbeit beschäftigt neben ihrer geliebten Komtesse auf dem Balkon des Turmzimmers. Es war ein wunderschöner Abend, die Sonne ging am Waldrand unter, und tausend kleine, silberne Wölklein schwammen in einem blauen Meer; da, wo die Sonne verschwunden war, glühte und leuchtete es noch.
Da sagte das Komteßchen, das unverweilt hinausgeschaut hatte, träumerisch: »Das ist das kristallene Meer und das goldene Himmelstor!« Dann aber wandte sie sich plötzlich ganz unvermittelt zu dem erschreckt aufhorchenden Mädchen: »Zinna, nicht wahr, du weißt jetzt ganz gewiß, daß hinter diesem Himmel ein Gott wohnt, der unser Vater ist? Zinna, liebe Zinna, nicht wahr, du kannst jetzt beten?«
Die so Angeredete konnte daraufhin nur mit dem Kopfe nicken, und weil ihr gerade nichts anderes einfiel, sagte sie mit erstickter Stimme ein altes Zigeunergebet her, das so lautete: » Me baschau mange tele ani Dewlester Soraloben, ani Dewlester Baroben, ani Dewlester Songlienger Rat, da ki latscho, hako, Mulenter da kerela mange kenk metschiko Dscheno tschomoni. O Dewlester Dad, o Dewlester Tschawo, o Dewlester Mulo, priserele man!«
Winifred ließ sich's verdeutschen, und es heißt: »Ich lege mich nieder, oder ich stehe auf, oder ich gehe fort in Gottes Kraft, in Gottes Macht, in sein rosenrotes Blut, für alle bösen Geister gut, daß mir kein böser Mensch was tut! Gott Vater, Gott Sohn, Gott heiliger Geist, segne mich!«
Da nahm Winifred plötzlich Zinnas beide Hände in die ihren und sagte leise: »Zinna, das goldene Tor ist für alle offen, und wir dürfen hinein, wenn wir unsere Pflicht tun und alle Menschen lieb haben, – willst du das nie vergessen?«
Nein, das würde Zinna nie! – Aber jetzt senkten sich schwarze Schatten vom Walde her auf die Landschaft, das Komteßchen fror, und Zinna rief Babi herbei, die rasch die Lampe anzündete, das Ruhebett zurechtschob und Winifred hereinbrachte.
Und nun kam die Abreise, und Zinna war, wie die Komtesse es gewünscht hatte, in den Flügel der alten Gräfin übergesiedelt. Es war das nicht so ganz glatt abgegangen, denn Nannette hatte ihr Zimmer mit der »Zigeunerin«, wie sie noch beständig sagte, tauschen müssen. Und wenn auch ihr Dienst in dem durch die Abreise der Herrschaft leer gewordenen Flügel nun viel leichter war, so plagte sie doch der Neid, daß man Zinna ihre Arbeit drüben übertragen hatte.
Auch diese kam sich wie eingetauscht vor, und statt der bisherigen gewohnten Pflichten in den bekannten Zimmern hatte sie andere Räume zu reinigen und wieder andere Pflichtleistungen zu verrichten. Das schlimmste aber war, daß es hier keine kleine Komtesse gab, deren freundlichen Worte und Blicke einen für alle Mühe reichlich belohnten, und auch keine Babi und Hanna, die man in Zweifelsfällen fragen und auch mit ihnen plaudern konnte.
Fräulein Berger, die alte Kammerfrau der gräflichen Großmama, hatte das ihr fremde Mädchen wohl einmal empfangen und ihr dann genau gesagt, was sie zu tun habe. Aber das Fräulein war so alt, machte so wenig Worte und war fast wie eine Dame, daß Zinna sich gar nicht getraute, sie anzureden oder zu fragen, und daher eben nach eigenem Ermessen handeln mußte. Da gab's nun bald manchen Mißgriff. Niemand hatte Zinna gesagt, wo die Putztücher seien, und sie hatte gerade daliegende Handtücher der Frau Gräfin dazu verwendet. Die Böden waren hier anders zu behandeln als drüben, und sie verdarb einen gänzlich, indem sie ihn in guter Absicht mit Seifenwasser wusch. Gegenstände zum Abwischen waren in den Zimmern der alten Dame womöglich noch mehr als bei der Komtesse, und als Fräulein Berger einmal gerade dazukam, wußte sie nicht genug von jedem der Stücke zu sagen, wie gerade dieses ein teures Andenken sei, wie man gerade mit jenem ganz besonders schonend umgehen müsse. Zinna gab sich redlich Mühe, aber ganz aufgereizt wurde sie dadurch, daß Nannette alle Augenblicke herüberkam, durch die Zimmer lief, mit dem Finger nach etwa zurückgebliebenem Staub suchte und fortwährend mit spöttischem Gesicht irgend etwas zu tadeln hatte. Spott war nun etwas, das Zinna am wenigsten ertrug. Und nun traf sie noch das Mißgeschick, daß ihr eine wirklich schöne, kostbare Porzellangruppe unter den Fingern beim Abwischen zerbrach. Zinna konnte nicht begreifen, wie das zugegangen war, denn sie hatte die feinen, zarten Glieder kaum berührt, und da zerbrachen sie schon. Als sie jedoch nachher näher zusah, glaubte sie zu entdecken, daß alles schon einmal gekittet war. Dies sagte sie auch zu ihrer Entschuldigung, als sie der Frau Gräfin offen gestand, was sie verbrochen hatte.
Die sonst so gütige alte Dame sprach aber zum erstenmal mit Zinna in sehr grollendem Ton, denn die Gruppe war ein wertvolles Geschenk ihres verstorbenen Mannes gewesen, und ziemlich scharf sagte sie: »Bis vor kurzem war das Ganze noch vollständig tadellos; da müßte es sonderbar zugegangen sein, daß jetzt gerade gekittete Teile daran wären!«
Zinna weinte bitterlich und zeigte das Abgebrochene, an dem wirklich brauner Kitt zu sehen war. Aber nun bekam sie es mit Nannette zu tun, als diese davon hörte. In den lebhaftesten Schmähreden ergoß sie sich, daß Zinna es wage, so etwas zu sagen. Man wisse doch recht gut, wie schlau Zigeuner verstünden, ihre Schuld auf andere zu wälzen. Und sie verschwor sich heilig und teuer, daß alles heil und ganz gewesen sei, ehe sie diesem Mädchen – dabei traf Zinna ein äußerst verächtlicher Blick – ihre Zimmer übergeben habe.
Nun wollte Zinna auch aufbrausen, aber Fräulein Berger schob mit einer Handbewegung die beiden erregten Mädchen hinaus. Wie durften sie es wagen, vor der Frau Gräfin eine solche Szene aufzuführen!
Nannette war fortgelaufen, weil sie wußte, daß man in einem Herrschaftshause schweigen müsse, und auch Zinna hatte vermocht, ihren Groll zu verbeißen, aber in ihrem Innern loderte und flammte ein wahrer Haß auf gegen die Person, die ihr so unrecht getan hatte, und die, sie wußte es ganz sicher, nicht nur hier, sondern auch sonst schon oft gelogen hatte. Reden durfte man ja nicht und noch weniger der Person ihre Schlechtigkeit ins Gesicht sagen, wie Zinna es sonst im Leben gemacht hätte. Aber etwas, was diesem bösen Ding so recht, recht wehe tat, das wollte sie ihr antun, das war ihr Recht. Über Zinna war plötzlich der ganze wilde Rachedurst ihres Volkes gekommen, und eifrig suchte sie nun nach einer Gelegenheit.
Nannette hatte von der Fürstin erst vor kurzem ein schönes blaues Kleid bekommen, auf das sie sehr stolz war, und in dem sie sich Wunder was dünkte. In diesem Kleide waren plötzlich große, schwarze Flecken, offenbar von Tinte herrührend. Hauptsächlich das vordere Blatt war vollständig bespritzt, und Nannette war außer sich, denn schreiben war nicht ihre Sache, und in ihrem Besitz befand sich nicht einmal Tinte.
Jammernd und schreiend lief sie im ganzen Schloß herum, und sofort lenkte sich nicht nur ihr, sondern auch der ganzen Dienerschaft Verdacht auf Zinna, die an dem Mißgeschick nicht nur keinen Anteil nahm, sondern in deren Gesicht offenbar Schadenfreude zu lesen war.
Nannette lief mit dem Kleid heulend und klagend zu Fräulein Berger: »Niemand anders als diese abscheuliche Zigeunerin hat mir dies angetan!«
Recht streng und ernst war Fräulein Bergers Gesicht, als sie kurz darauf Zinna zu sich in ihr Zimmer klingelte und sie geradezu fragte, ob sie etwas davon wisse, wie diese häßlichen Flecken wohl in Nannettes Kleid gekommen sein könnten.
»Ja!« war die kurze Antwort darauf.
Ob sie sich wohl denken könne, wer so etwas getan habe.
Da kam aus Zinnas Mund ein festes, fast stolzes: »Ich!«
Als Fräulein Berger, wirklich aufgebracht über die Tat und über diese Keckheit der Antwort, sagte: »So etwas ist mir doch noch nie vorgekommen, und das hätte ich nie und nimmer von dir geglaubt, Zinna!« da sagte diese, nun auch heftig erregt: »Sie hat mir Böses getan, und so tat ich's wieder.«
Fräulein Berger war gänzlich aus ihrem Gleichgewicht gebracht, und mit strengster Stimme sagte sie: »Komm mit mir zur Frau Gräfin!«
Nun ward es Zinna doch ein wenig unbehaglich zumute, und als die alte Dame, nachdem sie vernommen, was sich ereignet hatte, in ordentlich bekümmertem Tone sagte: »Ja weißt du denn nicht, Mädchen, daß man nicht Böses mit Bösem vergelten soll? Wie konntest du nur auf solch wirklich verschlagene, schlimme Idee kommen?«
Da antwortete Zinna: »Wahrscheinlich, weil ich eben böse bin!«
»Aber du sollst nicht bös sein, Zinna! Deswegen haben wir dich ja zu uns genommen, daß du unterscheiden lernen sollst, was gut und böse ist, und nie hätte ich gedacht, daß du noch so weit darin zurück bist! Wie wird meine Enkelin betrübt sein, wenn sie das von ihrer Zinna hört!« Und die Stimme der Gräfin zitterte ordentlich, als sie das sagte.
Die Komtesse, ihre liebe Komtesse, – nein, wahrhaftig, an sie hatte Zinna bei diesem Streich nicht gedacht. Und als die Großmama in sehr traurigem Ton noch hinzufügte: »Wir haben gar keine guten Nachrichten von dort, und anstatt etwas Fröhliches muß ich ihr nun so etwas ganz Ungutes berichten!« da überkam Zinna mit Macht, was sie getan, und sie bat flehentlich, man möchte es doch nicht Komtesse Winifred schreiben.
»Nun gut, ich will's nicht tun«, sagte die Gräfin, »aber ich werde Nannette jetzt hereinrufen lassen, und du bittest sie vor mir um Verzeihung für das, was du ihr angetan hast!«
Fräulein Berger hatte schon geklingelt, und Nannette war erschienen mit einem Gesicht, in dem zu lesen war: »Na, jetzt haben wir dich! Jetzt bin ich wieder oben und du unten!«
»Nun, Zinna, was willst du sagen?« Die Frage der Gräfin klang mild und gütig, sie ahnte, wie schwer dem Zigeunermädchen die Demütigung fallen würde.
»Daß ich's getan habe«, stieß Zinna hervor, »und daß ich bezahlen werde, was ein neues Kleid kostet – ich habe Geld!« Zinna zog sofort einen Geldbeutel aus der Tasche und legte den ganzen Lohn des letzten Vierteljahres vor Nannette auf den Tisch.
Diese übersah mit einem Blick, daß es mehr war, als ein ganz neues Kleid sie kosten würde, aber trotzdem jammerte sie: »Geld ersetzt mir nicht mein Kleid von Ihrer Durchlaucht! Und dann die Mühe mit dem Machenlassen und Anprobieren! O, welche Aufregung durch dieses böse, böse Ding hier!« Voll Ingrimm waren ihre Worte.
»Das eben wollte ich!« sagte Zinna kurz und drehte sich zum Gehen um. Eine Bitte um Vergebung brachte auch später weder Fräulein Berger noch die alte Dame aus ihr heraus.
»Ja, es tut mir leid, wenn ich die Frau Gräfin betrübt habe, und wenn mein Komteßchen hier wäre, zu ihr würde ich vielleicht sagen: »Verzeih!' Aber vor der, die ich nicht leiden kann, heuchle ich nicht!«
Nannette hatte das Geld genommen und sich ein neues, schönes Kleid davon gekauft. Auch das bespritzte ließ sich durch Verlegen einiger Falten wieder tragbar gestalten, und sie hatte nun eigentlich einen Gewinn von der ganzen Sache.
Aber Zinna hatte ihr leidenschaftliches Gebaren keinen Vorteil gebracht, im Gegenteil. Unter der ganzen Dienerschaft, auch bei denen, die sie sich nach und nach durch ihr gefälliges Benehmen geneigt gemacht hatte, hieß es nun wieder: »'s ist und bleibt halt eine Zigeunerin, vor der man sich in acht zu nehmen hat!«
Zinna selber aber war gar nicht so befriedigt über das, was sie getan hatte, als sie sich den Anschein gab. Sie arbeitete fleißig, das mußte man ihr lassen, ja noch fleißiger als vorher, half in Waschküche, Bügelzimmer und in der Nähstube und gab sich unsagbare Mühe, ihren Zimmerdienst nach Wunsch zu versehen. Sie »tat ihre Pflicht«, wie die Komtesse es ihr ans Herz gelegt hatte, aber des Nachts lag sie, statt zu schlafen, manchmal lange, lange wach, und allerlei Gedanken quälten sie. Wäre sie im Wagen bei ihren Leuten gewesen, so wäre sie aufgestanden und ein paar Stunden draußen unter dem Sternenhimmel umhergelaufen, das hätte ihr Ruhe gebracht, aber so etwas durfte man hier ja nicht. Und in solchen Augenblicken war es auch, wo Zinna ihr Bett und ihre gute Decke und alles drückte, und wo sie nicht aus noch ein wußte.
Da war es nur der Gedanke an ihre Komtesse, an die liebe, geliebte kleine Herrin und an deren Wiederkunft, was sie beruhigte. Und wenn sie so weit gekommen war, dann faltete sie wohl auch die Hände und sagte: »Du, Gott, mach sie recht bald wieder gesund, wir brauchen sie doch alle!« Sie tat dies zum erstenmal nicht angelernt, sondern aus angsterfüllter Seele heraus. Als die Frau Gräfin, die fast jeden Tag Berichte von der fern Weilenden bekam, der Dienerschaft sagen ließ, sie sollten doch alle für Komtesse Winifred beten, die Nachrichten von dort lauteten gar nicht gut, da hätte Zinna mit gutem Gewissen sagen können: »Ich hab's ja schon getan!« aber sie schwieg doch lieber.
Was das nur war? Fräulein Berger hatte wahrhaftig ein verweintes Gesicht und die Frau Gräfin blieb auf ihren Zimmern.