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Die verbrannte Suppe, und wie Lenele eine Ohrfeige bekommt. – Das Heim im Armenhaus und der blöde Christian. – Wie Lenele Luftschlösser baut und Schorsch immer stiller wird. – Von Backsteinkäse, Wäscheausringen, und was man mit einem Brot alles vermag, auf das Kandiszucker gestreut ist.
Wieder ist's Winter, kalter, herber, eisiger Winter. Den Kindern, die aus der Schule kommen, vergeht das Schneeballen, denn der Hauch friert ihnen an die Ränder der wollenen Kapuzen, und durch die gestrickten Fäustlinge hindurch erstarren ihnen die Finger, auch ohne daß sie Schnee in die Hand nehmen.
Lene Wepfer aus dem Waldhaus beeilt sich wie keines der andern Kinder heimzukommen, nicht wegen der Kälte, sondern weil die Krämerin meist schon nach ihr ausschaut, wenn Lene auch noch so rasch gelaufen ist. Auch heute steht sie schon unter der Haustür und ruft: »Wo steckst du denn so lange? Spute dich und ringe die Wäsche im Kübel aus, sie muß vor dem Essen noch auf das Seil!«
Lenele will rasch dem Befehl nachkommen und vergißt, ihre Schulschürze mit der an einem Nagel an der Wand hängenden Arbeitsschürze zu tauschen. Die Frau bemerkt dies sofort und herrscht sie an: »Natürlich muß der neue Schurz sofort wieder hin sein! Ob du auch nur ein bißchen daran denkst, deine Sachen zu schonen!«
Sie wirft dem Mädchen die grobleinene Schürze hin, und dieses bindet sie beschämt um. Etwas ängstlich stülpt Lene dann ihre Kleiderärmel in die Höhe und fängt die Wäsche an auszuwinden.
»Du tust ja so zimperlich, als ob dir das Wasser was schadete! Schau her, so macht man's, um überhaupt einmal fertig zu werden!«
Die robuste Frau ergreift energisch eines der großen Stücke, drückt und dreht mit Kraft, daß das Wasser in einem Bächlein herabfließt, schüttelt dann tüchtig das fast ganz trocken aussehende Stück und wirft es in einen bereitstehenden Korb.
»Ich bin halt noch nicht so stark,« wagt Lenele zu sagen, aber da kommt sie schlecht an.
»Nicht stark? Träge bist du und magst dich nicht anstrengen! Ich werde dir schon helfen!«
Die Krämerin fährt in der Küche herum und trifft die Vorbereitungen zum Mittagessen. Alles muß bei ihr geschwind gehen, denn im Laden unten bimmelt die Glocke – es sind Leute da.
»Also, da ist Mehl und Butter und hier die Pfanne. Wie man das zur Suppe zusammen röstet, hab' ich dir schon dreimal gezeigt, und jetzt mußt du's können. Also zuerst die Wäsche, dann Feuer anzünden, dann die Suppe machen – ich muß hinunter. Schau auch auf die Uhr, um zwölf will der Schultheiß essen!«
Die Krämerin, wie sie trotz ihres Schultheißengatten genannt wurde, verschwindet die Treppe hinab, die zum Laden führte, Lenele in Aufregung zurücklassend. War's denn möglich, das, was ihr alles aufgetragen wurde, in so kurzer Zeit – es war jetzt halb elf – auszuführen? Wohl hatte sie daheim auch geschafft, aber dort ging's so gemütlich, und der Großvater machte kein Aufhebens, wenn die Sachen nicht auf die Minute fertig wurden.
Seufzend dreht sie die festen, groben Hemden und Leintücher. Oh, wie die Finger weh dabei tun, die schon vorher rot von der Kälte sind! Sie beschaut sie ein bißchen wehleidig, und die nächsten Stücke bleiben ziemlich naß. Daheim hatte Schorsch ihr beim Auswinden geholfen – er faßte hüben, sie drüben – oh, wie lustig ging da das Geschäft! Lenele muß daran denken, und inzwischen ruhen wieder die Hände.
Elf Uhr!
Erschrocken fährt sie in die Höhe. Die gebrannte Suppe will Zeit zum Auskochen haben, also rasch das Feuer anzünden! – Wo hatte sie nur in der Küche die Streichhölzer hingelegt? Nicht an ihren Platz – sie muß suchen. Jaso, drinnen zum Ofenanzünden hatte sie welche benützt, weil sie am Abend vergessen hatte, die Krämerin um neue für die Stube zu bitten. Jetzt flink feuern! Aber, o weh, das Kleinholz besteht nur noch aus einigen dünnen Stückchen, und die sind feucht und wollen nicht angehen. Ehe Lenele in die Schule ging, hätte sie Kleinholz machen sollen, aber heute früh hat sie ein bißchen verschlafen, und nun hat sie keines. Die Spähne fliegen nur so, wie sie nun das Beil handhabt, und bald liegt ein Häufchen dünner Holzstücke auf dem Boden. Rasch ergreift sie eine Handvoll davon, und bald flackert's lustig auf dem Herd. Das Feuermachen ist sie ja von kleinauf gewöhnt. Nun die Pfanne her, und Butter heiß gemacht, dann das Mehl löffelweise darangerührt, damit es keine Knollen gibt. O, sie weiß das alles sehr genau! Jetzt darf sich 's nur noch bräunen!
»Bist du fertig mit der Wäsche?« tönt da eine Stimme von unten herauf, dabei aber klingelt die Ladentür aufs neue, und Lenele braucht keine Antwort zu geben. Sie stürzt zu dem Zuber zurück und denkt: »Nur rasch zwischenhinein wieder ein Stück fertigmachen! Das Mehl wird nicht so geschwind braun.« Nun kommt der richtige Arbeitsgeist über sie. Ein Stück und noch eins und wieder eins wird ausgerungen, und es wäre jetzt gut gegangen, wenn das Kochen nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Ehe man sich's versah, war die Küche voll abscheulichen, brenzlichen Geruchs, ein dicker Qualm entstieg der Pfanne, der sich sofort in alle Räume des Hauses verteilte, und als die Krämerin entsetzt die Stufen vom Laden hinaufgesprungen kam, hatte Lenele wohl mit Wasser abgelöscht, wie es zur richtigen Zeit hätte geschehen sollen, aber in der Pfanne lag ein schwarzer, kohlenartiger Klumpen, der sich durch das liebevollste Mühen nicht mehr zu einer Suppe entfalten wollte.
Bums! hatte Lenele, ehe sie sich dessen versah, eine tüchtige Ohrfeige weg. Die Krämerin riß das Fenster auf und eilte mit der Pfanne zum Rinnstein und rieb mit Sand und Lappen so lange, bis die häßliche schwarze Kruste wieder weg war. Dann nahm sie neue Butter und neues Mehl und stellte es stillschweigend auf den Ofen. Lenele vollendete, leise vor sich hinweinend, das Waschgeschäft, innerlich aufs tiefste empört, denn noch niemand hatte ihr im Leben je einen Schlag versetzt. Aber die Krämerin berührte das nicht. Als die Suppe so eingerührt war, wie es sich gehörte, rückte sie sie zum Weiterkochen abseits, und dann trat sie mit in die Seite gestemmten Armen vor das Mädchen.
»Wenn dir wieder so etwas passiert, kriegst du noch eine zweite, das merk' dir. Im übrigen zieh' ich dir die verdorbene Butter von deinem Vesperbrot ab, vielleicht paßt du ein andermal dann besser auf!« Die Krämerin sagte dies mit scharfer Stimme und griff dann prüfend in den Wäschekorb.
»Dies und dies und dies ist noch naß. Wind es noch einmal!« Klatschend fielen die bezeichneten Stücke wieder in den Zuber, und die Frau kehrte in den Laden zurück. Vorher rief sie ihr jedoch noch einmal zu: »Bis dreiviertel muß es am Seil sein, dann deck' den Tisch. Aber daß nicht wieder die Hälfte fehlt, wie schon so oft!«
Die Wäsche kam aufs Seil, und beim Decken fehlte heute beinahe nichts, nur die Pfefferbüchse. Es war auch bei dem vornehmen Schultheiß so viel mehr auf den Tisch zu stellen als daheim. Zwei Teller für jeden und zum Brotlaib ein besonderes Messer und ein Korb und eine Essig- und Ölflasche, und er hatte gar eine Serviette, die zusammengerollt in einem Ringe steckte. Und immer gab es ein Tischtuch, das man nachher ausschütteln und genau in die alten Falten zusammenlegen mußte.
Ach, wie verschieden war doch überhaupt alles von daheim! Der Großvater war doch auch genau, und es sah immer nett und aufgeräumt im Waldhäuschen aus. Aber der Krämerin, der konnte man's hierin nie recht machen. Eine tüchtige Hausfrau war sie, das mußte man ihr lassen, aber sie verlangte auch viel von ihren Mägden, und deshalb wechselten diese beständig. Lob gab es selten, aber viel Tadel. Sie hatte die Ansicht, daß, wenn sie alles genau gezeigt hatte, die Mädchen es dann auch wissen und ausführen sollten. Daß die Rosa, ihre Tochter, in das Putzgeschäft in die Stadt ging, statt daheim zu helfen, war ihr ein steter Kummer, aber auch hierin trug die übergroße Strenge der Krämerin die Schuld. Sie war ja nicht eigentlich eine schlimme Frau, aber die eigene Tüchtigkeit machte sie ungeduldig und unduldsam, wenn auch selten ungerecht.
»Sie hat mir einen Schlag gegeben, ganz gewiß, Großvater, hier über die Wange, und das kann ich mir doch nicht gefallen lassen,« klagte Lenele am nächsten Sonntag, als sie und Schorsch des Nachmittags in des Großvaters neuem Heim mit diesem zusammensaßen. Es war ein etwas dunkler Winkel, in dem das alte Kanapee mit dem Tisch stand. Gleich daneben, an einer langen Wand, war das Bett, dann kam die Kommode, dann der Schrank, und vorn an einem der zwei Fenster befand sich die Schusterwerkstätte, d. h. Schemel und Tisch, Häute, Schuhe, Handwerkszeug und anderes. Die andere Hälfte der Stube gehörte ja dem blöden Christian, einem armen, kretinartigen Menschen, der hier seit vielen Jahren seine Unterkunft hatte, und dem die wenigen nötigen Einrichtungsstücke einst von der Gemeinde geliefert worden waren. Aber er hatte eine kindische Freude, wenn ihm irgend ein alter, unbrauchbarer Gegenstand geschenkt wurde, und von seinen einstigen Bettelgängen in die Stadt hatte er lauter unnütze Dinge: Stühle ohne Lehnen und Füße, alte Schachteln, Büchsen, verbogene Vogelkäfige, unbrauchbare Lampen und vor allem Bücher aller Art, die er aber nicht lesen konnte, mit nach Hause geschleppt und seinen Stubenteil damit vollgepfropft. Den Franzosenflori, seinen seitherigen Stubengenossen, der so hieß, weil er noch unter Napoleon gedient, störte diese maßlose Unordnung nicht, denn er war entweder auf der Suche nach etwas Trinkbarem, oder er schlief zu Hause von diesen Gängen aus. Der Blöde hatte die eine gute Eigenschaft, daß er sich für gewöhnlich ruhig verhielt und mehr als die Hälfte des Tages im Bette blieb. Anfälle von Wut bekam er, wenn die Dorfjugend johlend, schreiend und ihn verspottend hinter ihm dreinlief. Da kam er dann, wie ein Kind laut aufweinend, nach Hause, und noch lange konnte er, wenn er sich in Sicherheit wußte, vor sich hinschimpfen und des Nachts auch schreien. Den Schuster-Martin betrachtete er in den ersten Tagen mit Mißtrauen, und diesem war unsagbar jämmerlich zu Mute beim Anblick eines solchen Mitbewohners, und er überlegte nochmals ernstlich, ob's denn auf der weiten Welt nicht einen andern Unterschlupf für ihn gäbe. Aber wer nimmt einen alten Mann ohne Geld und mit gebrochener Kraft auf? Die Kinder waren im Anfang außer sich, daß der Großvater hier wohnen sollte. Sie nahmen sich jedesmal vor, tüchtig zu schaffen und möglichst bald recht viel Geld zu verdienen, um wieder irgendwo zusammenziehen zu können.
»Ach, wenn ich nur Kleidernähen lernen dürfte!« sagte Lenele immer von neuem. »Damit verdient man gräßlich viel Geld.«
Und Schorsch hätte so gern auch solch ein Luftschloß gebaut, aber er hatte wenig Phantasie und vermochte sich schwer für die Zukunft etwas auszudenken. So tat er in der Gegenwart, was er konnte, und klagte nicht auch, wie Lenele es jeden Sonntag tat, sondern biß die Zähne zusammen, um dem Großvater nicht zu sagen, wie elend ihm oft zu Mute war. Mußte Lenele schon viel leiden, so war der arme Bub wirklich noch übler angekommen. Im Dorfe waren die rohen Seiten des Fuhrmanns Buller wohl bekannt, und dem Schuster-Martin bangte oft um seinen Schorsch, gerade weil dieser nicht klagte. Er kannte sein Büble.
Auch heute, nachdem der Großvater Lenele zu Geduld und Fleiß ermahnt hatte, versuchte er vorsichtig zu erfahren, wie Schorschs Leben sei.
»Also um fünf Uhr steht ihr auf? Das ist wohl etwas früh, aber wenn man jung ist, tut's einem nichts. Hat denn dann schon jemand Suppe oder Kaffee für euch gekocht, eh's in den Steinbruch geht?«
Schorsch nickte, als wäre es so. Buller trank auch immer einen heißen Kaffee nebenan im Ochsen, während der Bub unten so lange beim Fuhrwerk bleiben mußte.
»Kriegst du dann ein Brot dazu?« fragte der Großvater weiter.
»Ja, ein arg großes, so groß, um den ganzen Laib,« beeilte sich Schorsch zu sagen, und das war auch wahr, das Brot, das bis Mittag als alleinige Nahrung dienen mußte, war genügend.
»Ist's sehr kalt im Steinbruch? Hast du auch immer dein wollenes Wams an und die gestrickte Kappe mit den warmen Ohrenklappen auf dem Kopf?«
»Manchmal schon!« Schorsch verschwieg, daß Buller verlangte, sein Roßbub solle im Fuhrmannskittel gehen, und wegen der Mütze, die aussehe wie die Schlafhaube eines alten Weibes, hatte er ihn so verspottet, daß der Bub jetzt die Sommerkappe aufsetzte. Wie furchtbar aber der Wind in dem nördlich gelegenen Steinbruch ihm oft um die Ohren pfiff, so daß es wie Nadeln stach, das hätte Schorsch gar nicht zu schildern vermocht, selbst wenn er's gewollt hätte.
»Mußt du oft lange dastehen, bis aufgeladen ist?« forschte der Großvater weiter. Der Bub gefiel ihm nicht so recht in seiner Zurückhaltung.
»Oft lange, oft nur kurze Zeit,« beantwortete Schorsch die erste Frage. »Aber der Hans, der friert doch noch viel mehr als ich, der hat bloß die alte schäbige Decke über sich, und ich hab' doch mein gutes Unterleibchen!« Des Buben Gesicht verzog sich schmerzlich. Hans war das Pferd, das er zu warten hatte, und an dem sein ganzes Herz hing. »Einen Kaffee darf ich mir machen, wenn ich nach der vierten Fuhre wegen der Schule heim muß,« ergänzte Schorsch noch seinen dürftigen Bericht. Der Bub durfte es, bekam auch Cichorie und etwas Milch dazu, aber wie oft reichte die Zeit nicht mehr zum Kochen oder war der Ofen in der Stube, die der Sandfuhrmann meist erst spät abends betrat, nicht mehr warm. Daß Buller ihm in einem Anflug von Gutmütigkeit manchmal draußen die Schnapsflasche bot, das verschwieg Schorsch, er hatte bis jetzt auch immer das widerliche Getränk zurückgewiesen. Über Mittag fachte er sich dann, wenn Holz da war, in der Küche ein Feuerchen an. Mehr als etliche kleine Scheiter durfte er aber nicht verbrauchen. Damit kochte er sich dann Kaffee – o, wie herrlich war der heiße Trank! – und aß den Rest seines Brotes. Und dann, wenn die Nachmittagsschule vorbei war, da mußte er, so schnell er's vermochte, zu Fuß wieder in den dreiviertel Stunden vom Dorf entfernten Steinbruch eilen, um Buller, der inzwischen oft in schlechtester Laune und mit Fluchen über das unnötige Schulgelaufe selber gefuhrwerkt hatte, die Fuhren wieder abzunehmen. Dieser brauchte von da an nur beim Ausladen dabei zu sein und konnte sich inzwischen in eine Kantine setzen, die für die Arbeiter vorhanden war.
»Was bekommst du denn abends, wenn du mit dem Gaul nach Hause kommst?« fragte der Großvater, dem bei dem schlechten Aussehen des Buben das Leibliche heute das Wichtigste dünkte.
»Etwas sehr Gutes!« Diesmal leuchtete das Gesicht des Buben auf, und es lag fast ein Ausdruck von Freude auf seinen Zügen. »Wieder ein mächtig großes Stück Brot, und dann darf ich mir für sechs Pfennig Backsteinkäse kaufen. Das Geld legt Buller manchmal für mich auf den Tisch, ehe er fortgeht, aber die Krämerin gibt mir auch ein Stückchen Käse, ohne daß ich Geld habe!«
»Und weißt du, Großvater, das ist dann nett, wenn Schorsch kommt und wir uns geschwind sehen,« sagte Lene. »Aber oft ist's nicht. Wenn ich gerade bei einem Geschäft bin, läßt sie mich einfach nicht weg.«
»Wer ist die Sie?« fragte der Großvater. So etwas mochte er nicht hören.
»Halt die Krämerin,« ergänzte Lenele kleinlaut.
»So, das mein' ich doch auch, daß ihr in einem ordentlichen Ton von eurer Brotherrschaft zu sprechen habt!«
»Die Krämerin hat auch nicht immer einen feinen Ton,« schmollte Lenele von neuem. »Und ich sag's noch einmal, Großvater, hauen darf sie mich nicht!«
Der Großvater wurde innerlich unruhig. Er war ja auch mehr für Milde, aber er zwang sich zu sagen: »Einem unachtsamen Mädel eine Ohrfeige geben, ist noch lange nicht gehauen. Und ich frag' dich – selbst wenn die Frau manchmal etwas zu strenge gegen dich wär' – was lernst du gegenwärtig in deinem Unterricht? Wie hat man sich auch gegen die unfreundlichen Herrschaften zu verhalten? He?«
Der Großvater sah Lenele ernst und prüfend an, und diese senkte den Kopf, während Schorsch sinnend in die Weite blickte und antwortete, als wäre er gefragt worden: »Wir haben sie zu lieben und ihnen zu gehorchen.« Er nahm sich wieder fest vor, auszuhalten. Ein Mensch hat ja seinen Willen, der kann tun, was er sich vornimmt. Aber seine Gedanken flogen zu dem Hans, Bullers Pferd, das oft namenlos von seinem Herrn geplagt wurde, und das mit ansehen zu müssen, ging fast über seine Kräfte.
Der Großvater holte nun aus der Schublade einen Teller voll Zwetschgen, die die Frau Doktor ihm geschenkt hatte, und auf das geschnittene Schwarzbrot streute er, fast verlegen lächelnd, aus einer alten Blechdose gelben Kandiszucker.
»Gelt, wie ich euch verwöhne!« sagte er, beinahe sich entschuldigend, und strahlte vor Vergnügen, als er sah, mit welchem Hochgenuß die gesunden Zähne der Kinder einbissen, und wie eine Zwetschge nach der andern verschwand.
»Auch, ... auch!« kam da eine Stimme von der andern Seite der Stube her, und der blöde Christian sah grinsend aus seinem Bett herüber und streckte verlangend seine dürre Hand aus.
»Gebt dem armen Kerl den Rest vollends!« sagte der Großvater, und Lenele schickte sich eben an, mit Widerstreben das, was noch da war, hinzutragen, als Schorsch plötzlich eine Idee kam.
»Laß mich etwas versuchen, Großvater, ob man ihn nicht nach und nach von dem vielen schmutzigen und wertlosen Zeug, das da herumliegt, befreien kann, – ihn und dich!«
»Glaub' nur nicht, daß man das vermag!« wehrte der Großvater eifrig. »Ich hab's schon öfters probiert, aber wenn ich nur etwas anrühre von seinen Sachen, so schreit er so mörderisch, daß man's gern wieder liegen läßt.«
Schorsch hatte sich aber schon langsam dem Bette drüben genähert. In der einen Hand hielt er so recht sichtbar ein Stück von dem gezuckerten Brot. »Das kriegst, Christian, wenn du recht brav bist!«
Der Blöde grinste und wollte zugreifen. Rasch zog Schorsch den Bissen zurück und faßte mit der andern Hand ein alte, durchlöcherte Kasserolle.
»Da! – Aber das will ich dafür!«
Der Kretin war im Augenblick so voller Gier auf das Vorgehaltene, daß ihm alles andere Nebensache war, und richtig gelang es Lenele, die auch schnell mithalf, das betreffende Stück und noch ein paar Cigarrenkistchen und verrostete Faßreifen hinauszupraktizieren. Nun sie einmal draußen waren, vermißte sie auch der Christian nicht, dazu war sein Gedächtniß zu schwach.
Der Großvater freute sich gar sehr darüber. Für heute war's nun genug, die Kinder mußten mit Eintreten der Dämmerung fort. Schorsch hatte den Stall zu besorgen, und Lenele mußte einfach da sein, so verlangte es ihre Frau.
»Sie könnte mich doch wohl bis zum Nachtessenkochen bei dir lassen,« beklagte sie sich wieder, aber der Großvater verwies es ihr nun energisch und sagte: »Deine Frau wird wissen, warum sie's so will und nicht anders. Da hat ein junges Ding wie du einfach zu folgen!«