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Viertes Kapitel.

Wie Mohrle feine Manieren zeigt. – Ein herrlich warmer Trunk und von drei neugierigen, ungekämmten Kindern. – Die Frau Baronin und die künftige kleine Kammerjungfer. – Der eine schweigt, der andere redet. – Warum Lenele einsam Linsen liest und die Raben füttert. – »Mammele, ich hab' allein die Bleß gemolken!«

 

Der Winter war sehr kalt. Alle Morgen, wenn der Großvater einen Weg durch den Schnee vom Hauseingang bis hinüber zur Landstraße geschaufelt hatte, damit die Kinder zur Schule konnten, war er bis Mittag, wo sie heimkamen, schon wieder verschneit, und es war nur gut, daß die Mutter vorher mit dem Wagen und ihren großen Schuhen Wegspuren und Fußstapfen hinterlassen hatte. Über die Wiese und den Waldsaum ins Dorf zu gehen, war jetzt unmöglich, aber um so schöner war's, nach der Schule den steilen Wiesenabhang hinab Schlitten zu fahren. Der Großvater hatte ein langes Brett auf zwei Kufen genagelt. Morgens wurde die Milch in Kannen darauf befördert, nachmittags durften ihn die Kinder benützen. Auf der Dorfstraße war ein großes Gefahre, Lärmen und Schreien, auch war durch die vielen Schlitten und Fuhrwerke, die dort verkehrten, schon manchmal ein Unglück geschehen, und die Mutter freute sich für die Kinder der eigenen Bahn. Über die schönste weiße Fläche hinweg, rechts und links nur weicher Schnee, in den dann und wann zu purzeln nur ein Vergnügen war, fuhren die zwei bis fast an die Haustüre hinab, und wenn sie den Schlitten wieder hinaufzogen, herrschte jedesmal neuer Jubel, daß Mohrle, statt nebenherzuspringen, die Gewohnheit angenommen hatte, sich mitten auf dem Schlitten hinauffahren zu lassen. Herunterzu machte er es sich auf Leneles warmem Schoß bequem und trug dabei ein Gesicht zur Schau, als wollte er sagen: »Es ist wahrlich genug, wenn ich mich einmal im Tage auf dem Weg zur Stadt durch den Schnee arbeiten muß, jetzt will ich auch mein Vergnügen haben und fahren.«

Die arme Mutter hatte jetzt freilich eine schwere Zeit. Schon in der Frühe, wenn es oft noch stockdunkel war, mußte sie sich schwer abarbeiten und wohl aufpassen, daß sie mit der Milchfuhre auf der richtigen Straße blieb oder aber, wenn Glatteis war, nicht ins Rutschen kam. Sehr zu statten kam es ihr dabei, daß sie an den Schuhabsätzen starke, spitze Eisen angeschnallt trug, die ihr einen Halt gaben, und daß sie weder rechts noch links in einen Graben kam, dafür sorgte Mohrle. Der lief stets genau mitten auf der Straße voraus und blieb schnuppernd und wartend stehen, bis die schwierigen Stellen überstanden waren. Manchmal gesellten sich noch andere Frauen mit Milchwagen dazu, manchmal, hauptsächlich auf der Heimfahrt, durfte Mutter ihre Deichsel an einem Lastwagen einhängen. Aber gewöhnlich war sie doch am liebsten allein. Sie war eine Einschichtige, wie die andern Weiber vom Dorfe sagten, sie und die ihrigen, und das kam wohl von ihrem Schicksal her. Was hätte sie auch reden sollen? Selbst die Kinder behütete sie gerne vor den unnützen Fragen und Bemerkungen der andern. Der Großvater aber war von jeher, auch infolge seiner Lebensführung, nie recht heimisch im Dorfe geworden, und die mit ihm jung gewesen waren, lagen nun meist schon auf dem Kirchhofe an der andern Seite des Ortes. Aussprüche wie: »Was brauchen die hochmütig zu sein? Sie sind auch nichts Besseres als wir!« oder: »Die wissen, warum sie sich so zurückhalten mit solch einem Lumpen von Mann,« die drangen zum Glück nicht bis ins Schusterhäuschen, und wenn die Menschen zu ihnen kamen, so wurden alle stets freundlich empfangen. Die Mutter aber in ihrer stillen Weise machte manch unbezahlten Gang in der Stadt, wenn einem armen, gichtkranken Weiblein das Garn ausgegangen war, oder wenn eine andere lange keine Nachricht von ihrem Lehrlingsbuben unten hatte, oder wenn der alten Armenhausliese ihre Tropfen alle waren.

Heute auf der Morgenfahrt wehte der Wind von Osten. Der Großvater hatte der Fortfahrenden noch ein zweites Tuch, das sie quer über den Mund binden sollte, aufgedrängt, und das tat gut, denn der Atem gefror bei dieser Kälte fast zu Eis. Auch Mohrle mußte so schnauben, daß es aussah, als gehe ein rauchendes schwarzes Öfelein über den Schnee. Beide waren sehr froh, als sie die ersten Straßen der Stadt erreichten, wo der Wind nicht mehr so blies.

In der Küche der Frau Baronin hatte die gute Babette einen heißen Kaffee für die Milchmarie zurechtgestellt. »Jetzt nur zuerst trinken!« sagte sie wohlwollend. »Heute ist's ja ein Wunder, daß Ihr Euch nicht Nase und Ohren erfroren habt. Hab' geglaubt, mir fällt alles aus der Hand, wie ich zum Bäcker gegangen bin.« Dabei schob sie zu dem hübschen, himmelblauen Schüsselein noch eine Semmel.

Die Mutter nahm dankend das Gegebene in Empfang, – sie wußte, daß die Frau Baronin damit einverstanden war, – und mit wohligem Gefühl schlürfte sie den guten, erwärmenden Trank.

»Dem Mohrle hab' ich auch etwas aufgehoben, der darf heute ausnahmsweise herauf, nicht wahr?« fragte Babette, denn der Hund mußte gewöhnlich den Wagen unten bewachen. Auch hätte es sich nicht geschickt, daß er regelmäßig mit in die Küche gekommen wäre. Aber Babette war seine Gönnerin, und als er ihre rufende Stimme hörte, sprang er in großen Sätzen hinauf und legte sich wohlerzogen zu ihren Füßen nieder, während sie ihm auf einem irdenen Teller allerlei Herrlichkeiten: abgenagte Hühnerknochen, Wursthäute und übriggebliebene gewärmte Suppe zurechtmachte.

Gleich darauf öffnete sich eine Zimmertür, und ein Mädchen von ungefähr acht Jahren, ein Knabe von fünf und ein ganz kleines Mädelchen streckten die Köpfe herein.

»Ach, die Milchnerin ist's, und sie hat ihren Hund bei sich! ... Mohrle, Mohrle!« rief es durcheinander, und die Kinder stürzten in die Küche.

Mohrle war's nicht so ganz angenehm, gerade im jetzigen herrlichen Moment des Fressens begrüßt und angestaunt zu werden. Wenn zu Hause Fremde dazu gekommen wären, hätte er wohl mißbilligend geknurrt, aber als wohlerzogener Hund wußte er, daß er hier nur dankbar zu sein hatte, und wedelte daher, allerdings weiterfressend, mit dem Schwanze.

»Was machen deine Kinder, Milchmarie?« fragte Isa, die Älteste, die sich weniger für Tiere interessierte.

»Hat er dir wieder den Weg im Schnee gezeigt?« war des kleinen Heinz Frage, und Thereschen kniete auf dem Boden, aber doch in einiger Entfernung, denn sie traute dem schwarzen Tier nicht so recht, und sagte immer wieder: »Wauwau lieb, Wauwau nicht beißi beißi!« Sie war aber doch froh, als die Mama in die Küche kam und sie sich in deren Rockfalten verstecken konnte.

Diese unterhielt sich gern mit der gescheiten Frau Wepfer, und während Babette die Milch in die bereitstehenden Gefäße abmaß, ließ sich die Frau Baronin vom Leben in dem Waldhäuschen und von den Kindern dort berichten. Als die Mutter erzählte, wie gern Lenele nähe, und wie geschickt ihre Finger seien, da meinte die Dame wie damals: »Die gibt einmal eine nette kleine Kammerjungfer, und ich abonniere mich vorher schon auf sie, wenn sie einst gut nähen gelernt hat. Wer so eine tüchtige Mutter hat wie Ihre Kleinen, der wird selber auch einmal tüchtig!«

Die Frau Baronin brach rasch mit einem freundlichen Gruße ab, denn ihr Mann wollte nun frühstücken, und die Kinder rief die Bonne zu sich, da das Kämmen und Bürsten der Haare vorhin unterbrochen worden war.

Langsam und in Gedanken versunken, soweit es die schlimme Witterung erlaubte, zog die Milchmarie ihr Schlittenfuhrwerk eine Stunde später wieder heimwärts durch den tiefen Schnee. Mit dem Wind war es etwas besser geworden, auch hatte man ihn ja jetzt im Rücken, da half er ordentlich schieben. Es war keine der schlimmsten, anstrengendsten Fahrten, und doch war es ihr so eigentümlich schwer in den Gliedern, so schwer ums Herz. Schorsch hatte in der Frühe über Halsweh geklagt, aber das war es nicht, das hatten die Kinder schon öfter gehabt, und jedesmal war es bald wieder vergangen. Vielmehr war es der Ausspruch der Frau Baronin, der der Mutter auf der Seele lag: »Solch eine tüchtige Frau erzieht auch tüchtige Kinder!« Wohl tat sie, was sie konnte, wenn sie daheim war, denn das war ja immer nur einen Teil des Tages. Und dann war wieder die Arbeit im Haus und im Stall und das Flicken, und wenn sie dann am Abend saß, da war sie müde und schwieg oft lieber, wo sie oft vielleicht hätte reden sollen. Auch im Ermahnen war sie ungeschickt, das verstand der Großvater viel besser, – und dann vielleicht auch in Liebesbezeigungen. Ach, und wenn jemand seine Kinder im Grunde des Herzens lieb hatte, so war ja doch sie es! Etwas anderes hatte sie ja doch nicht, für die lebte und schaffte sie ja. Zum Trost fiel ihr ein, daß der Großvater neulich gesagt hatte: »Das Beispielgeben ist die Hauptsache, nicht das Reden!« Aber freilich, das Gute seinen Kindern vorzuleben, war nicht leicht, zumal doch ihre beiden ein schlechtes Vorbild am Vater hatten. Solche Gedanken gingen ihr durch den Kopf, und eine seltsame Unruhe packte sie, als sie sich dem Häuschen näherte und mit letzter Anstrengung die kleine Anhöhe überwand.

Es war so still im Nebenzimmer. Sie hörte kein Hämmern und Klopfen und keine Kinderstimmen. Als sie ihren nassen Rock und die Stiefel ausgezogen hatte und in die Wohnstube trat, sah sie den Großvater auf einem Stuhl bei der Ofenbank sitzen. Auf dieser lag Schorsch, warm eingebettet, und sein gelber Strobelkopf blickte gar nicht fröhlich aus den blauüberzogenen Kissen heraus. Seine Augen waren trüb, sein Atem heiß.

»Dem Buben ist's in der Schule schlecht geworden, da hat ihn der Herr Lehrer heimgeschickt,« sagte der Großvater. »Er klagt noch mehr als heut früh über seinen Hals. Da hab' ich ihm einen schweißtreibenden Tee gemacht und Honig eingegeben.«

Schorsch sah aus ganz verschwollenen Augen und warf sich unruhig hin und her, jammerte auch über Durst.

Die Mutter erschrak. So war noch kein Kind gewesen. »Wenn's nur nichts Schlimmes wird, Vater!« sagte sie zu diesem abseits. »Vor ein paar Tagen hat der Waschbärbel ihr Hannes das Scharlachfieber gekriegt. Gott behüt' uns!«

Der Großvater sah sie erschreckt an.

»Wo ist das Lenele?«

Dieses kam eben von der Schule und trat frisch und vergnügt in die Stube. »Was ist mit Schorsch? Warum ist er früher heim?«

Aber der Großvater faßte sie beim Arm und führte sie in die Küche zurück und dann in die Schlafkammer. »Wir wissen noch nicht, was ihm fehlt, und es ist besser, du bleibst ein bißchen fern von ihm. Wart' nur, ich will dir gleich ein Feuer hier in dem kleinen Ofen anmachen!«

Lenele gefiel das gar nicht, aber sie war ans Folgen gewöhnt. Als der Großvater mit Kleinholz und Feuerzeug zurückkam, sagte sie: »Aber gelt, lange brauch' ich nicht allein zu bleiben?« Und als der mit Anzünden Beschäftigte nicht antwortete, erzählte sie: »Denk' dir, der Hannes, der neben Schorsch in der Schule sitzt, hat das Scharlachfieber, sagen sie, und der Ochsenwirtin ihre Lisbeth aus meiner Klasse hat man heut' auch wieder heimgeschickt, weil sie so sonderbar aussah. Ist das was Arges, Großvater, das Scharlachfieber?«

Dieser aber, der noch immer vor dem rauchenden Ofen kniete, achtete nicht auf ihre Frage. Er hatte nur das gehört, was sie vorher erzählt, und es wurde ihm sehr bange. Nun gab's eine Prüfung, das fühlte er, nun galt's, sich besinnen und handeln.

»Ich kann dir nicht helfen, Lenele, zieh dich wieder warm an und geh noch einmal hinauf ins Dorf zur Frau Wegmann. Kannst gleich die Schuhe, die ich ihr geflickt, mitnehmen. Ich lasse sie bitten, wenn sie im Stall fertig ist, geschwind zu uns herunterzukommen. Aber nur bis ans Gartentor – sag' ihr das! – von dort aus soll sie mir rufen. Und dann geh zu Doktor Reinhardt, und wenn er nicht daheim ist, so soll man aufschreiben, daß er bis zum Abend ganz bestimmt bei uns vorsprechen soll.«

Lenele tat, wenn auch nicht sehr gern, was man ihr gesagt hatte, und als sie zurückkam, war die Kammer ziemlich warm, und Großvater brachte ihr eine Suppe und ein Stückchen Fleisch.

»Jetzt mußt du unser gescheites, vernünftiges Lenele sein,« sagte er aufmunternd, denn dem Kind gefielen diese Anstalten gar nicht, »vernünftig und der Mutter helfend, denn wir wissen nicht, was kommt. Der Bub hat starkes Fieber, und ehe der Doktor da war, bleibst du besser draußen.«

Lenele aß traurig allein. So war das Essen gar nicht lustig. Dann spülte sie das Geschirr ab, und die Mutter ließ ihr sagen, sie könne nachher tun, was sie wolle. Lenele begann eine Jacke für ihre Puppe zu machen, aber der Schnitt war nicht richtig, da hätte die Mutter helfen sollen. Dann lernte sie ein bißchen, schrieb ein wenig und sah aus dem kleinen Kammerfenster heraus in den Schnee. Ein Rabe flog von einer Tanne herab und schaute herauf zu ihr. Er hatte wohl Hunger. Lene ging in die Küche, holte Brot und brockte es vor die Haustüre. Sofort flog und flatterte es mit schweren Fittichen von allen Seiten herbei, und mit Geschrei und Gekrächze stritt sich die geflügelte Schar um die paar Brocken.

Der Großvater kam dazu, und er, der sonst so sanft war, sagte ordentlich erregt: »Was fällt dir denn ein, all die schwarzen Vögel mit ihrem widerlichen Geschrei da herbeizulocken!«

In diesem Augenblick kam die Frau Wegmann, bei der Lenele gewesen, um die Gartenecke. Ihr gehörte das erste Häuschen am Anfang des Dorfes. Sie fuhr auch alle Tage die Milch ihrer Kühe – sie besaß deren zwei – in die Stadt und war eine der wenigen Frauen, mit denen die Mutter hie und da verkehrte.

»Was ist denn bei euch los, Schuster-Martin, daß ihr am hellichten Tage nach mir schickt? Und dabei sagt das Lenele, ich dürfte nicht ins Haus hinein?«

Die Frau rief's über den Zaun, und der Großvater ging, nachdem er sein Käppchen aufgesetzt hatte, durch den Schnee mitten durch den Rabenschwarm, der rasch auseinanderstob.

Lenele blieb noch unter der Haustüre stehen und hörte, wie der Großvater sagte: »Ich hab' eine große Bitte an Sie, Frau Wegmann. Der Bub ist uns krank heimgekommen, und es scheint Scharlachfieber zu werden, da kann meine Marie nicht von ihm weg. Wollten Sie vielleicht in der nächsten Zeit, wenn's so wird, unsere Bleß melken und die Milch mit der Ihrigen in die Stadt fahren? Die drei Kundenhäuser von meiner Marie kennen Sie ja. Zum Glück sind sie nicht weit auseinander, und selbstverständlich tun Sie's uns nicht umsonst!«

Es wurde noch das Nähere zwischen den beiden besprochen, und die Frau zeigte sich bereit, das Gewünschte zu tun, nachdem sie gehörig gejammert und ihre Befürchtungen über die Krankheit breit dargelegt hatte.

»Geh in die warme Kammer!« sagte der Großvater, als er Lenele noch unter der Türe traf. Diese tat's, aber sie fühlte sich schrecklich allein.

Die Mutter kam einmal an die Türe und sagte: »Hol' die Linsen aus dem Küchenschränkchen und lies sie, das vertreibt dir die Zeit.«

Lenele las die Linsen auf dem Fensterbrett, bis sie nichts mehr sah, und dann saß sie da in dem immer dunkler werdenden Raum und fühlte sich unendlich verlassen. Da vernahm sie, wie jemand das Gartentürchen aufmachte und dann den Weg rechts nahm. Es war die Frau Wegmann, die zum Stall ging. Gleich darauf hörte man die Bleß ängstlich muhen, denn das Tier merkte, daß ein Fremder da war.

Lenele ging auch in den Stall. Es war wenigstens eine Abwechslung, und Frau Wegmann gebot ihr, mit der Bleß freundlich zu tun, während sie melkte. Es war so merkwürdig, daß statt der Mutter die fremde Frau im Stall herumhantierte. Die Kuh mochte das auch empfinden, denn jedesmal, wenn die Fremde anfangen wollte, die Milch zu nehmen, wurde sie unruhig und schlug einmal sogar aus.

»Aber das ist eine Böse!« sagte Frau Wegmann ärgerlich. »Da habt ihr mir was Schönes aufgeladen! Die ist ja wie ein störrischer Gaul, und man riskiert sein Leben!«

Lenele war es sehr peinlich, die Bleß, die sonst wie ein Lamm beim Melken hielt, so beurteilt zu hören. Schüchtern sagte sie, als auch ein zweiter Versuch zu keinem Resultat führte: »Soll ich's einmal probieren? Ich weiß, wie's die Mutter macht, und das Tier kennt mich.«

Frau Wegmann war froh über diesen Ausweg und sagte: »Wenn du meinst, daß es geht, so tu's!«

»Allein hab' ich's noch nie getan, aber ich will's versuchen!«

Lenele setzte sich auf den Melkschemel und sprach dabei beruhigend mit der Bleß. Die ließ sich nun alles gern gefallen, selbst als das Kind sich recht ungeschickt anstellte, und Frau Wegmann ihr die Handgriffe zeigen mußte.

»So,« sagte diese gutmütig, als der Kübel voll war und das Mädchen mit hochgeröteten Wangen vor ihr stand. »So ist's recht! Jetzt sind wir doch zusammen fertig geworden, und du hast noch was dabei gelernt. Komm nur morgen wieder, dann brauch' ich mich nicht so lange aufzuhalten!«

Die Frau nahm den schweren Eimer auf, nachdem sie den Bedarf für das Haus in einen Topf geschöpft, und ging heimwärts. Lenele aber lief durch die Küche, klopfte an der Stubentür und rief glückselig: »Großvater, Mammele, denkt euch nur, ich hab' die Bleß gemolken, nicht die Frau Wegmann!«


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