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Am andern Tage hatte Dankmar die Reise angetreten, am Abende den Rhein erreicht, am dritten Tage vormittags Paris. Es schlug zwölf auf der Thurmuhr von Saint-Sulpice, als er in der Rue de Saint-Benoit vor dem ihm bezeichneten Hause, einem stattlichen, vierstöckigen, unten von Läden eingenommenen Gebäude hielt. Er lohnte den Fiaker ab und trat in das offene Einfahrtsthor des Hauses.
Wohin wollen Sie? sagte eine schrille, heisere Stimme. Die Frau, welche die Worte sprach, steckte einen gelben, fleischlosen Kopf aus der halbgeöffneten Glasthür ihrer dunkeln Loge unter der nach oben führenden Treppe und zog ihn gleich wieder zurück, um mit demselben angenehmen Organe ein unsichtbar bleibendes Wesen anzukreischen, welches sich ihren Unwillen in einem Maße zugezogen zu haben schien, daß der Ausdruck desselben auch nicht einen Augenblick Aufschub vertrug. Dann tauchte sie aus dem dämmerigen Bereiche ihres Stillebens wieder auf und schrie noch einmal:
Wohin wollen Sie?
Zum Pavillon! versetzte Dankmar mit einer etwas unsichern Stimme. Hätte er ein höflicheres Menschenkind vor sich gesehen, so würde er gern selbst gefragt haben, zu wem er gehe.
Die Frau maß ihn mit einem Blicke, in welchem sich mehr Argwohn und Miswollen gegen die Menschheit im allgemeinen und gegen ihn im besondern spiegelte, als Bereitwilligkeit, ihn zurechtzuweisen. Gehen Sie – am Ende des Gartens, sagte sie dann, indem sie auf die offen stehende Thür am Ende der Durchfahrt wies.
Ein Garten zeigte sich da allerdings; durch die offen stehende Thür erblickte man ihn. Dankmar setzte seinen Weg dahin fort. Die Frau mit der schrillen Stimme, dem Miswollen gegen die Menschheit und dem Aerger gegen ihren Mitlogenbewohner schlurfte in niedergetretenen Pantoffeln hinter ihm drein. Aber nicht, um ihn zurechtzuweisen; auf der Schwelle der Durchfahrt blieb sie stehen und schaute ihm nach, wie er den Mittelpfad des Gartens hinabschritt, als ob sie ihn überwachen wolle, daß er keine der letzten verblühenden Rosen von den Stämmen an seinem Wege stehle oder einen der am Boden liegenden Aepfel heimlich einstecke.
Dankmar sah am Ende des Gartens einen kleinen, im Rohbau aufgeführten Pavillon mit einer Glasthür und zwei Fenstern. Das Mansardendach war fast gänzlich verhüllt von den Wipfeln der Obstbäume, welche als Allee auf den Pavillon zuführten. Eine Sandsteintreppe führte an die Glasthür, die im Innern mit weißen Vorhängen versehen war. Weiße Vorhänge, zwischen denen reiche Blumenaufstellungen sichtbar wurden, zeigten sich auch hinter den Fenstern rechts und links.
Als Dankmar mit klopfendem Herzen und in höchster Spannung den Fuß auf die unterste Stufe der Treppe setzte, öffnete sich rasch der eine Flügel der Glasthür und – Fanny erschien auf der Schwelle.
Sie war in sehr einfacher Morgentoilette von hellem, geblümtem Stoffe, trug ein kleines Häubchen auf ihrem dunkeln, über den Schläfen noch in zwei Papilloten gewickelten Haar und sah sehr rosig, sehr blühend und sehr verführerisch aus.
Sie kommen! sagte sie, Dankmar lächelnd zunickend, als ob er sie gestern verlassen hätte. Sie sind ein tadelloser Ritter, und ich wußte es, daß Sie nicht säumen würden. Ich erwartete Sie heute oder morgen. Treten Sie ein.
Dankmar war im ersten Augenblicke trotz allem, was er Zander gesagt, durch die Erscheinung Fanny's so enttäuscht, daß seine Mienen diesen Eindruck nicht verbergen konnten.
Sie verlangten meinen Beistand, und verlangten ihn so feierlich, bei Ihrem Rechte darauf, antwortete er, hinter Fanny in das Innere des Pavillons tretend, daß ich wol kommen mußte.
Und nun machen Sie ein verdrießliches, enttäuschtes Gesicht, weil Sie mich nicht in irgendeinem tiefen Kerker oder in der Höhle eines Drachen finden, um Ihre ganze Ritterlichkeit zu meiner Rettung entwickeln zu können! lachte Fanny.
Das hieße sehr vorschnell die Hoffnung auf die Gelegenheit zur Entwickelung meiner Ritterlichkeit fahren lassen, versetzte Dankmar. Die Drachen, gegen welche bedrängte Frauen Beistand bedürfen, liegen heutzutage nicht mehr in Höhlen.
Sehr richtig bemerkt, und gegen häßliche Drachen helfen sich die Frauen auch schon selber; die liebenswürdigen Ungeheuer sind viel schlimmer! Aber nun reichen Sie mir erst die Hand, erkundigen sich nach meiner kleinen Gesundheit, wie man in Paris sagt, und nachdem Sie mir versichert, wie strahlend ich aussehe, lassen Sie sich in diesen Sessel nieder, damit wir wie zwei alte Freunde gemüthlich plaudern können.
Dankmar schüttelte herzlich die dargebotene Hand und sagte:
Ich kann Ihnen wenigstens versichern, daß es mich freut, Sie so glücklich aussehend zu finden!
Glücklich? erwiderte Fanny mit einem leichten Seufzer und indem sie sich auf ein Sofa im Hintergrunde des Salons niederließ. Nun ja, wenn Sie's wollen – vorläufig sehen Sie mich recht glücklich, so glücklich, wie es eine arme Theatersoubrette mit einigen Anlagen, dem Leben seine vergnügten Seiten abzugewinnen, werden kann.
Sie wohnen reizend hier, sagte Dankmar, der sich in den Armsessel ihr zur Seite niedergelassen hatte, indem er seine Blicke durch den hübsch und behaglich eingerichteten Raum schweifen ließ. Welch neidenswerther Winkel ist dieser kleine Pavillon in einem großen, stillen Garten – man sollte solch eine bezaubernde Einsiedelei in dem geräuschvollen, wüsten Paris gar nicht suchen!
Sie dürfen in Paris alles suchen und sind sicher, es zu finden. Aber in der That, ich habe eine große Freude daran, fuhr Fanny fort, und ihr Auge spiegelte das Vergnügen eines Kindes ab, während es über ihre blanken Möbel mit allerlei zierlichen Nippsachen darauf, ihre Teppiche, ihre Blumen und ihre weißen Fensterdraperien glitt.
Sie haben den Vorsatz, mit dem Sie nach Paris gingen, als Sie mich verließen, mit Glück und Geschmack ausgeführt, erwiderte Dankmar. Und Sie haben es um mich verdient, daß ich mich dessen von Herzen freue. Ohne Sie wäre ich ganz gewiß in Neapel an meinem Wundfieber gestorben – Sie haben wie eine Schwester an mir gehandelt …
O, sprechen wir nicht davon! fiel Fanny ein wenig bewegt ein. Im Anfange folgte ich nur dem Drange des Mitleids mit Ihnen; ich sagte mir, daß ich Sie, so verwundet, hülflos, allein doch nicht liegen lassen könne, und so kehrte ich zu Ihnen zurück. Als ich aber entdeckte, wie man mich betrogen und beschwindelt und zur Gehülfin einer abscheulichen Handlung gemacht hatte – und ich entdeckte es sehr bald nach Ihren ersten Aeußerungen –, da wurde ich aufs furchtbarste empört und erbittert, und da wurde es ja meine Pflicht, alles aufzubieten, um mein Unrecht, soviel ich konnte, wieder gut zu machen!
Und das haben Sie redlich gethan!
Das hätte ich gethan? Dadurch, daß ich ein paar Wochen lang an Ihrem Bette saß und Ihnen Limonade machte? Nein, mein Freund, so leicht schüttelt man das Bewußtsein einer schlechten, recht schlechten Handlung nicht von seinem Gewissen ab – unsereins wenigstens nicht, das kann ich Ihnen versichern! Ich fühle bei dem Gedanken an das, wozu ich in Neapel mich verleiten ließ, noch immer eine tiefe Beschämung …
Selbst, wenn ich Ihr Gewissen völlig freispreche, sagte Dankmar lächelnd, wenn ich Sie absolvire und Ihnen sage, daß ich nur noch Dankbarkeit gegen Sie empfinde für die Aufopferung und all die Liebe und Sorge, die Sie für mich gehabt haben? Haben Sie doch dieser Sorge um mich sogar Ihren Freund, den Baron Beltram, geopfert …
O, das Bewußtsein dieses Opfers stellt mich in meinen Augen nicht sehr hoch, Herr von Gohr! fiel Fanny mit einem zornigen Zusammenziehen ihrer Stirnfalten ein. Ich hatte Beltram's Charakter schon auf der Reise genauer kennen gelernt – beim Zusammenreisen lernt man die Menschen kennen –, und ich war seiner herzlich müde geworden; und als es in Neapel zu einer Katastrophe zwischen uns kam um dessentwillen, was er an Ihnen gethan hatte, so hinterlistig, feig und verächtlich, wie ein rechter Bube handelt, da dankte ich Gott, daß die Katastrophe endlich da war und daß ich ihm den Laufpaß geben konnte!
Und was ist aus ihm geworden? fragte Dankmar.
Fanny zuckte die Schultern. Wer weiß es! Ich habe ihm den Rath gegeben, sich als Zuave in Rom anwerben zu lassen; ob er es gethan, oder ob er zu den Seinigen nach Deutschland zurückgegangen, ob diese bei seiner Ankunft freudig ein Kalb geschlachtet haben – ich weiß es nicht! Aber, unterbrach sich Fanny, es ist sehr wenig aufmerksam von mir, zu vergessen, daß Sie erschöpft und verschmachtet von der Reise kommen …
Sehe ich so erschöpft und verschmachtet aus?
Ein wenig allerdings, versetzte Fanny. Sie sehen, scheint mir, leidender aus als damals, wo Sie sich eben genesen, von mir trennten.
In der That?
Ihr heimatliches Klima hat offenbar keine Wunder an Ihnen gethan – wenn es das Klima ist, setzte Fanny mit einem leisen Anfluge von Lächeln hinzu, was dafür verantwortlich gemacht werden darf. Sagen Sie mir, welche Erfrischungen kann ich Ihnen bieten?
Gar keine, erwiderte Dankmar. Ich habe in dem Hotel, in welchem ich abgestiegen bin, gefrühstückt, bevor ich die Entdeckungsfahrt nach dem Pavillon in Nr. 90 der Rue Saint-Benoit antrat.
Hoffentlich doch, sagte Fanny, mit so viel innerer Spannung, daß es Ihnen nicht möglich war, einen Bissen hinunterzuschlucken – kommen Sie, Sie müssen sich wenigstens einen kleinen Nachtrag zu dem Frühstück gefallen lassen.
Fanny war, während sie dies sagte, aufgestanden und zu einem kleinen Schranke in der Ecke hinter dem Sofa getreten; sie brachte daraus eine Caraffe mit dunkelm Frühstückswein, ein Paar Gläser, einen Teller mit Bäckereien und endlich ein zierliches Kistchen mit Papiercigaretten hervor.
Trinken Sie, sagte sie einschenkend; ich habe ein Interesse dabei, Sie gehörig gestärkt und ermuthigt zu sehen, damit Sie nachher bei all den aufregenden Dingen, welche ich Ihnen werde mitzutheilen haben, nicht einen Anfall von Ohnmacht bekommen …
Ich mache Ihnen wirklich einen gewaltigen Eindruck von Hinfälligkeit und Schwäche, versetzte Dankmar, den Wein kostend.
Ich wollte nur sagen, daß ich sehr aufregende Dinge mit Ihnen zu besprechen haben werde.
So beginnen Sie und spannen Sie mich nicht länger auf die Folter!
Zuerst, versetzte Fanny, eine der Cigaretten nehmend und sie sich anzündend, verlange ich ein offenes Geständniß von Ihnen!
Und das ist?
Lieben Sie Fräulein Eugenie von Chevaudun noch immer in demselben Maße wie damals, als Sie mir in Neapel von ihr sprachen und mir erklärten, weshalb Sie sich nicht von ihren Briefen trennen gewollt, weshalb der Baron Jauffroi danach gestrebt und welche Hoffnungen Sie nähren dürften, daß nur Ihnen ihr Herz angehöre?
Dankmar wechselte die Farbe. Er antwortete nicht gleich.
Fanny legte ihre Hand auf seinen Arm. Sie müssen mir vertrauen, sagte sie ernst, und bei Gott, Sie können es, Herr von Gohr!
Und ich will es! erwiderte Dankmar. Weshalb sollte ich es nicht? Ich vertraue Ihnen völlig. Am Ende habe ich nichts zu gestehen, was nicht die ganze Welt hören dürfte. Ich liebe Eugenie leidenschaftlicher, tiefer als je zuvor. Ja mir ist, als liebte ich sie jetzt erst so mit der ganzen, vollen Seele, wie man liebt, wenn man hoffnungslos liebt.
Fanny nickte verständnißvoll mit dem Kopfe und lächelte dabei ein wenig. Ich kann es mir denken, sagte sie. Eine Männerliebe ist wie eine Glasmalerei!
Wie eine Glasmalerei? Ich glaube, Sie können diesen Vergleich als Originalerfindung in Anspruch nehmen, so viel auch schon über die Liebe gesagt ist!
Mag sein. Aber es ist so. Das Verlieben ist bei den Männern wie das erste Farbenauftragen – die Farben sehen sehr schön und glühend aus, aber sie sind noch sehr veränderlich und sehr leicht zu verwischen. Das Glas muß erst in die Flamme, damit die dunkle Farbenglut fest und das Ganze davon wie durchtränkt werde. Diese festigende Flamme lodert für Männerherzen in der Hölle der Hoffnungslosigkeit. Eine kluge Dame sollte ihren Geliebten immer erst eine Zeit lang diesem einätzenden Glutproceß unterwerfen, und die koketten wissen das auch …
Weshalb sagen Sie nicht lieber: diesem Stahlhärtungsproceß?
Ich spreche mit Vorbedacht von etwas, das am Ende doch immer noch zerbrechliche Waare bleibt! erwiderte lachend Fanny. Aber gehen wir weiter – also Ihre Leidenschaft für Eugenie ist dieselbe?
Ich habe es Ihnen gesagt. Der dunkle Schatten, den Eugeniens anfangs mir unerklärliches, mich völlig vernichtendes Handeln für mich auf sie warf, hat sich mir gelichtet. Ein in Verzweiflung und Todesschrecken gestürztes armes, junges Mädchen ist am Ende nicht mehr verantwortlich für das, was sie unter dem überwältigenden Einflusse einer harten, zu allem entschlossenen, satanischen Willenskraft thut. Ohne alle Widerstandsfähigkeit, moralisch völlig gebrochen, wird sie von dem entsetzlichen Menschen mit sich fortgerissen sein, willenlos und ohnmächtig, und wenn er sie auch in den Tod geschleppt hätte …
In der That, es ist so gewesen! antwortete Fanny.
Und das wissen Sie?
Ich weiß noch mehr! Ich weiß auch, daß Montenglaut ein abscheuliches Mittel gebrauchte, um Eugeniens Widerstandskraft wider ihn zu lähmen, um sie innerlich zu brechen!
Und welches?
Er bestärkte sie in der Sorge, daß Sie sich abgestoßen gefühlt von ihren Briefen, daß Sie sich von ihr gewendet – um … Fanny erröthete leicht, bevor sie, ein wenig stockend, weiter sprach: um sich in mich zu verlieben.
Ah! rief Dankmar im höchsten Grade überrascht aus. Daß Eugenie den thörichten Wahn hegte, ihre Briefe hätten mich unangenehm berührt, mein Gefühl für sie umgewandelt, während ich in Neapel doch nur meiner Verwundung wegen unfähig, war, zu schreiben, das weiß ich von meiner Schwester, die mir davon sprach! Als Eugenie aber meine Verwundung erfuhr, da, glaubte ich, hätte sie überzeugt werden müssen, wie sehr sie geirrt habe!
Da, fiel Fanny ein, war auch Montenglaut bei ihr und flößte ihr wie ein böser Jago den Glauben ein, von dem ich sprach!
Er ist ein Mensch wie Jago, er ist ein eingefleischter Teufel!
Nicht viel besser wenigstens!
Aber erklären Sie mir, rief Dankmar aus, wie ist es möglich, daß Sie dies alles wissen, daß Sie eingeweiht sind in das, was Montenglaut gethan?
Sehr einfach; ich weiß alles durch Montenglaut selbst.
Durch ihn selbst?
Aus seinem eigenen Munde.
Sie sprachen ihn, sprachen ihn nach seiner That?
Ich sprach ihn noch gestern.
Noch gestern – er ist hier – Montenglaut ist hier?!
So ist es. Er ist hier, in Paris.
Welche Kühnheit! Er wagt es, ruhig hier in Paris umherzugehen, während …
So ganz ruhig wol nicht, aber er wagt es allerdings. Es sind vielleicht drei Wochen, als ich durch den Luxembourggarten schritt, gegen Abend, in einer Stunde, wo der Garten ziemlich verlassen von Menschen ist. Ich kam aus einem Seitenwege, um in den Hauptweg einzulenken, auf dem ich den Garten verlassen und heimwandern wollte. Da sah ich einen Mann an mir vorüberschreiten, sich wenden, mir ins Gesicht starren und höre ihn überrascht: Fräulein Fanny! ausrufen. An der Stimme mehr als an seinen Zügen erkannte ich ihn wieder. Es war Jauffroi von Montenglaut. Er sah ein wenig heruntergekommen, ein wenig vernachlässigt, ein wenig zusammengefallen aus. Auch in seinem Wesen lag etwas Gebrochenes, etwas Scheues. Er sagte mir mit einer meinen Fragen zuvorkommenden, scheinbaren Offenheit, er sei in einer sehr übeln Lage, er sei, um den Verfolgungen seiner Gläubiger zu entgehen, nach Paris gekommen, er müsse sich hier vor ihnen verborgen halten, er habe den Namen Laroque angenommen, wohne in einer Mansarde im Quartier latin und ernähre sich als Sprachlehrer durch Stunden, die er im Deutschen und Holländischen gebe. Ich zeigte ihm viel weniger Theilnahme für diese seine Situation als Gedächtniß für das, was in Neapel geschehen; aber ich konnte ihn nicht abhalten, mich bis zu meiner Wohnung zu begleiten, und er erhielt dadurch Gelegenheit, meine innere Empörung gegen ihn durch seine Beredsamkeit ein wenig zu beschwichtigen. Als er gegangen war, nahm ich mir jedoch vor, einer abermaligen Begegnung mit ihm sorglich auszuweichen. Ich verbot der Hausmeisterin, wenn er sich einstellen sollte, ihn zu mir zu lassen. In der That machte er schon am andern Tage den Versuch, mich zu sehen, und als ich am dritten ausging, fand ich ihn in der Straße meiner harrend; es war nicht möglich, ihm zu entgehen, ohne auf der Straße eine kleine Scene zu veranlassen. So mußte ich mir seine Begleitung abermals gefallen lassen, und was er mir jetzt mittheilte, nahm meine Aufmerksamkeit in einer Weise in Anspruch, daß ich ihm, als wir uns trennten, erlaubte, mich in meinem Pavillon aufzusuchen.
Und was war es, was Baron Montenglaut Ihnen mittheilte? fragte Dankmar nach einer Pause.
Er sprach mir von Eugenie von Chevaudun. Er sagte mir, daß sie mit ihrem Vater und ihrer Stiefmutter in Paris sei; daß ihr Vater ein Hotel im Faubourg Saint-Germain bewohne; daß er hier sehr glänzende Feste gebe; daß Eugenie an ihnen theilnehme und daß sie einen vom Vater sehr begünstigten Bewerber in einem Spanier, einem Bruder der Herzogin von Medina-Celi, habe …
Einem Spanier, einem Bruder der Herzogin von Medina-Celi? rief Dankmar auffahrend aus.
So ist es; einem Spanier, der Don Ramiro Sancho Hernandez, Marques de Santa-Cruz und so weiter heißt, mit einem Titel so lang wie die Schienenbahn von Madrid bis Guipuzcoa und einem altcastilischen Grandenstolze so eingefroren wie die Spitzen der Sierra-Nevada.
Der bewirbt sich aufs neue um Eugenie und ist vom Vater begünstigt?
Vom Vater, wie Montenglaut versichert, erzählte Fanny weiter, und zwar in einer Weise, daß die Domestiken des Hotels Chevaudun bereits von der nahen Verbindung des jungen Paares reden.
Waren die Domestiken des Hotels Montenglaut's Quelle?
Das waren sie allerdings; er hatte eine Verbindung mit dem Hotel Chevaudun dadurch anzuknüpfen gewußt, daß er einen der Lakaien als Schüler im Deutschen gewann.
Dieser unselige Mensch!
So mögen Sie ihn wol nennen, fiel Fanny ein. Er war jetzt nur noch von dem einen Gedanken beherrscht, Eugenie von dieser ihr drohenden Verbindung zu retten, wie er sich ausdrückte. Er betheuerte, er sei ihr schuldig, zwischen sie und dieses Schicksal zu treten; er wisse, daß sie den Spanier verabscheue. Er ließ räthselhafte Winke fallen, daß Eugenie an ihn, Montenglaut, gekettet sei, daß er zwar für ewig auf sie verzichtet habe, daß er aber lieber sein Leben aufgebe, als sie diesem Spanier zutheil werden sehe, und daß er meine Hülfe verlange, Eugenie zu retten, daß ich ihr dies schulde, daß er mir Näheres eröffnen wolle, wenn ich ihm erlaube, zu mir zu kommen. Was konnte ich thun, als ihm diese Erlaubniß gewähren? Er kam am andern Tage, und nun enthüllte er mir alles, was in Deutschland vorgefallen, wie er sich Eugeniens Herz gewonnen, nachdem er es von einer oberflächlichen und ganz thörichten Neigung für Sie – das waren seine Ausdrücke – gründlich geheilt; wie die Leidenschaft ihn dann zu einer unseligen, ganz wahnsinnigen That, zu einem Morde hingerissen; wie er mit Eugenie geflohen, um sie dann doch sobald zu verlieren. Er enthüllte mir alles mit einer wunderbaren Offenheit; er hatte – das war unverkennbar – Centnerlasten auf der Seele, die ihn erstickt hätten, wenn er nicht ein Menschenkind gefunden, gegen das er sich aussprechen konnte.
Glauben Sie das? fiel Dankmar ein. Ich halte Montenglaut nicht für so mittheilsamer Natur, und er wird schwerlich jemand so rückhaltlos sein Vertrauen schenken, wenn er mit diesem Vertrauen nicht einen Zweck verbindet; ich bin überzeugt, er bedurfte Ihrer, als er so grenzenlos offen zu Ihnen sprach, und dieses Vertrauen sollte Ihre Willfährigkeit erkaufen!
Mag sein, daß Sie recht haben, versetzte Fanny. Fürs erste wenigstens sollte dieses Vertrauen meine Theilnahme erkaufen, meine Verzeihung für die Hinterlist, womit er mich in Neapel umgarnt, und dann zunächst meinen Rath. Er hatte allerlei Plane geschmiedet, um den Spanier von Eugenie zu entfernen. Der erste war, diesem Don Ramiro eine Enthüllung über Eugeniens früheres Verhältniß zu ihm, Montenglaut, zu machen, Eugeniens Flucht mit ihm in möglichst dunkeln Farben darzustellen, den Spanier dadurch auf seine Bewerbungen verzichten zu machen …
Kindischer Plan! fiel Dankmar ein. Glaubt dieser Mensch denn, Eugenie würde, wenn sie sich wirklich entschlösse, die Hand dieses Marchese de Santa-Cruz anzunehmen, ihm nicht ihr ganzes Leben offen und klar darlegen, sie würde etwas, das einen Schatten darauf werfen kann, vor ihm verbergen, sie würde das Vertrauen hintergehen, womit der Marchese seine Hand in die ihrige legen würde?
Sie haben recht, entgegnete Fanny nach einigem Nachdenken; es ist nicht anzunehmen, und ich sagte ihm dasselbe.
Ein anderer Plan, fuhr Fanny nach einer Pause fort, den er entworfen hatte, war folgender: Die Mutter des Marchese befindet sich, da sie brustleidend ist, in Kairo. Um nun den Marchese zu entfernen, wollte Montenglaut ein falsches Telegramm aus Kairo an den Spanier gelangen lassen, welches diesen an das Todesbett seiner sterbenden Mutter berief. Das würde Don Ramiro auf Wochen, Monate fortziehen, und unterdeß würde Eugenie Zeit gewinnen, sich auf sich selber zu besinnen; unbedrängt von seinen Bewerbungen, würde sie ihre Willenskraft wiederfinden. Montenglaut ist Feuer und Flamme für diesen Plan, aber leider fehlt ihm das nöthige Geld zur Ausführung desselben. Er hat, wie ich aus seinen Andeutungen schließen muß, Verbindungen mit dem Personal des Telegraphenamts anzuknüpfen gesucht, auch einen Beamten, scheint es, gefunden, der sich zur Ausführung der Mystification hergeben würde – aber nur gegen eine sehr bedeutende Bestechungssumme, welche Jauffroi von Montenglaut nicht besitzt und auch vergebens von mir zu erhalten gesucht hat – ebenso vergebens, wie er von mir verlangt hat, ich solle den Pfad des stolzen Castiliers kreuzen und ihn durch jene Enthüllungen über Eugeniens Vergangenheit an seiner schwächsten Seite, an seinem castilischen Stolze und seiner aragonischen Eifersucht fassen.
Elende Machinationen! rief Dankmar aus. Es scheint, dieser Jauffroi von Montenglaut sinkt tiefer und tiefer!
Jedenfalls wird er mir immer mehr zum Schrecken mit seinen fixen Ideen, entgegnete Fanny, und das am meisten, seit ich ihm offen erklärt habe, daß er auf meine Mitwirkung nicht zählen dürfe, und er mir deshalb eine schreckliche Scene machte. Und darum, mein treuer Freund, berief ich Sie zu meinem Beistande wider den entsetzlichen Baron, wenn er kommt, mich zu erdrosseln, zum Beistande bei meinem eigenen Plane …
Ihrem eigenen Plane? Haben Sie einen eigenen Plan? fragte Dankmar erstaunt und erregt.
Gewiß habe ich ihn, erwiderte lächelnd Fanny. Wann hätte unsereins nicht einen Plan, und wär' es auch nur um des Vergnügens willen, den Plan eines Bösewichts, der uns geärgert hat, wie dieser Montenglaut mich, zu durchkreuzen! Schon deshalb habe ich einen Plan.
Aber, sagte Dankmar unwillig, die Sache berührt Sie ja gar nicht!
Fanny sah ihn groß an und entgegnete sehr ernst:
Glauben Sie, Eugeniens und Ihr Schicksal läge mir nicht am Herzen? Ich fühlte nicht die Pflicht, was ich für jener Glück irgend thun kann, zu versuchen, nicht die Pflicht, meine Schuld gegen Sie gut zu machen, wie ich es irgend kann? Halten Sie mich für so undankbar oder so leichtsinnig?
Ich halte Sie für keins von beiden, Fräulein Fanny, aber auch für zu besonnen, um …
Richtig, das ist ein Compliment, welches ich vollkommen verdiene! Sie sollen gleich diese Besonnenheit kennen lernen. Denn gerade mit ihr habe ich mir gesagt: sei vor allen Dingen behutsam; laß deine Wünsche und deine Vorsätze, dich Eugenien zu nähern und ihr Aufklärungen zu geben, fahren – was hast du am Ende für dich anzuführen, um ihren natürlichen Argwohn gegen deine Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit zu entwaffnen? In welchem Lichte wird sie dich betrachten? Wie wird sie es aufnehmen, wenn du ihr zeigst, daß du in die Geheimnisse ihres Herzens eingeweiht bist? Wird sie nicht daraus das Gegentheil von dem schließen, was du ihr betheuern willst? Wird sie nicht daraus schließen, daß Dankmar von Gohr sie an dich verrathen hat? Nein, sie wird dir nicht glauben! Es ist nur Ein Mensch, dessen Worten sie glauben wird; nur Ein Mensch, der offen zu ihr reden kann und von welchem sie fordern kann, daß er sich offen gegen sie ausspricht. Dieser Mensch sind Sie, Herr von Gohr, und deshalb berief ich Sie her. Sie sollen zu ihr gehen, Sie sollen zu ihr reden, Sie sollen ihr den Verdacht aus der Seele nehmen, den Jauffroi von Montenglaut hineinsenkte; es soll Klarheit werden zwischen ihr und Ihnen, sie sollen sich versöhnt in die Arme fallen, sie sollen sich in grenzenloser Rührung bei allen Göttern der Ober- und der Unterwelt schwören, daß sie nie einen Augenblick aneinander gezweifelt hätten, und sollen selber so aufrichtig daran glauben, als ob es wirklich wahr wäre; sie sollen sich sagen, daß sie keine Stunde mehr ohneeinander leben könnten, daß sie sterben würden ohneeinander …
Sind Sie fertig, Fräulein Fanny? fiel Dankmar hier scharf und schroff ein.
Fertig? Ich denke, mein Plan ist fertig; er ist einfach genug, um es sein zu können; aber er scheint Ihnen nicht zu gefallen?
Nein!
Und was haben Sie wider ihn?
Mein liebes Fräulein, rief Dankmar aus, muß ich Ihnen das erst auseinandersetzen? Sie meinen es sehr gut, aber …
Sie wollen nicht?
Nimmermehr!
Und wollen sich nicht einmal herablassen, mir Ihre Gründe auseinanderzusetzen? Ich wäre wirklich gespannt, zu hören, was Sie abhalten kann, den einfachsten, redlichsten, nahe liegendsten Schritt von der Welt zu thun, einen Schritt, den Sie, genau besehen, Eugenie von Chevaudun schuldig sind – denn nach allem, was ich in Neapel, wo Sie noch weit liebenswürdiger und folgsamer waren als heute, von Ihnen erfuhr, nach allem dem hat Eugenie von Chevaudun Ihnen Entgegenkommen genug gezeigt, um nun zu erwarten, daß auch Sie einen Schritt ihr entgegenthun …
Eugenie, erwiderte mit düsterer Miene Dankmar, würde einen solchen Schritt vielleicht als sehr wenig zartfühlend und ritterlich betrachten. Wenn ihre Ansichten oder ihre Gefühle für den Bruder der Herzogin von Medina-Celi sich geändert haben, so …
Macht der Spanier Sie eifersüchtig? Seien Sie nicht thöricht! Sie haben diesen steifen Don aus Altcastilien nicht zu fürchten, glauben Sie mir das. Seine Bewerbungen machen Eugenie nicht glücklich, so viel kann ich Ihnen versichern. Jauffroi von Montenglaut hat recht, wenn er behauptet, Eugenie von Chevaudun sei von einem tiefen Kummer bedrückt; ich habe sie selbst gesehen, in einer Loge in der Großen Oper, vor drei Tagen noch; sie sah leidend, bleich, zerstreut und in sich versunken aus; ihre Bewegungen hatten etwas eigenthümlich Apathisches, und während ihre Stiefmutter sich höchst lebhaft und angeregt der Unterhaltung hingab, worin sie den Spanier verstrickt hielt, hatte Don Ramiro sich keiner leisesten Gunstbezeigung von Eugenie zu rühmen; es sei denn, daß er ihr den Strauß hatte schenken dürfen, den sie vor sich gelegt hatte und den sie sehr oft aufnahm, um ihr Gesicht darin zu verbergen!
Dankmar hörte dieser Schilderung sehr aufmerksam zu; dann zuckte er die Achseln.
Mag sein, versetzte er. Das alles ändert die Lage der Dinge nicht. Daß Eugenie nicht heiter ist, daß die Erinnerung an das Geschehene auf ihr lastet, ist natürlich. Nur die Zeit kann das heilen; in meiner Macht steht es nicht!
O doch, doch, mein Freund! Ich müßte mich sehr irren – oder in Ihrer Macht steht viel, sehr viel!
Nichts, gar nichts! antwortete Dankmar.
Ich habe Ihnen gesagt, was ich von Montenglaut weiß, fuhr Fanny fort. Er hat Eugenie glauben machen, Sie seien leichtsinniger als ein Schmetterling, ruchloser als ein Don Juan, ihr in Neapel untreu geworden …
Ach, fiel Dankmar ein, schweigen wir davon! Eugenie von Chevaudun konnte, durfte das nicht von mir glauben. Und konnte sie es von mir glauben, so darf ich mich nicht rechtfertigen – es ist ganz unmöglich …
Weshalb? Leidet es etwa Ihre Ehre nicht, einen Irrthum aufzuklären, eine Verleumdung niederzuschlagen?
Dankmar antwortete nicht. Er stand in großer Bewegung auf und trat an das nächste Fenster, um, von Fanny abgewandt, in den Garten zu schauen.
Sie sind so eigensinnig, so thöricht hartköpfig wie alle Ihre Landsleute! rief Fanny ärgerlich aus. Ich bin empört über Sie! Es ist nicht mehr Vernunft in Ihnen …
Liebes Fräulein, sagte Dankmar, sich ruhig lächelnd ihr zuwendend, wollen Sie mir nicht böse werden, wenn ich darauf erwidere: Sie sind so eitel wie alle jungen Damen!
Und wie gehört das hierher?
Weil Sie in den Beziehungen zwischen Ihnen und mir und der falschen Vorstellung, die Montenglaut Eugenien davon gemacht haben kann, den Kernpunkt der Sache sehen. Er liegt nicht da.
Und wo liegt er, wenn Sie meine Eitelkeit nicht für zu groß halten, um es fassen zu können?
Er liegt in dem Verhältnisse Eugeniens zu Montenglaut. Wie auch immer dieser sie bestrickt, umgarnt, beherrscht und ihren freien Willen gebunden haben mag, sie hat seine Flucht getheilt und hat sich dadurch vor der Welt auf eine solche Weise zu ihm bekannt, daß jetzt zwischen uns ein Abgrund liegt, über den ich keine Brücke bauen kann. Von mir kann es nicht ausgehen! Ich glaube nicht, daß meine Ehre es duldet. Aber ich denke nicht daran, dies zu untersuchen; denn mein innerstes Gefühl duldet es nicht. Ich kann es nicht!
Und das ist Ihr letztes Wort?
Mein letztes!
So werden Sie mich zwingen, Ihnen diese Brücke zu bauen.
Ich verbiete Ihnen das aufs entschiedenste; ich beschwöre Sie bei allem, was Ihnen heilig ist, rief Dankmar erschrocken, sich nicht in die Sache zu mischen! Ich würde Ihre Brücke, darauf gebe ich Ihnen mein Wort, das schwöre ich Ihnen, nun und nimmer mehr betreten!
Ah, sagte Fanny mit verächtlichem Aufwerfen der Lippen, bemühen Sie sich mit Ihren Schwüren nicht! Ich habe auch gar nicht mehr Lust, irgendetwas für Sie zu thun. Ich verachte Sie, damit Sie's nur wissen! Wenn Ihre Leidenschaft nicht größer ist, wenn sie nicht die Macht hat, über Ihre sinnlosen Bedenken Herr zu werden, wenn Ihnen die Rücksicht auf Ihre Ehrenscrupel, auf Ihr »innerstes Gefühl« höher steht als die Rücksicht auf Eugeniens Glück, so sind Sie gar nicht werth, daß ich Ihnen beistehe … gehen Sie heim in Ihr kühles Nebelland, und lassen wir Eugenie in Gottes Namen in das schöne Spanien ziehen, wo die Männerherzen heißer schlagen … sie wird sich am Ende mit ihrem Schicksal versöhnen und Sie vergessen, während Sie daheim in stillen Dämmerstunden zu einem verstimmten Piano Heine's Lied singen:
Ein Fichtenbaum steht einsam
Im Norden auf kahler Höh' – –
Sie sind weiter nichts als ein recht trockener, harter, langweiliger Fichtenbaum!
Recht so, antwortete Dankmar auf diesen Zornausbruch seiner erhitzten Freundin – zanken Sie mich aus und versöhnen wir uns dann, um von andern Dingen zu reden. Erzählen Sie mir von sich selber. Von Ihren Planen, Ihren Vorsätzen, von Ihrem Leben hier.
Ach, von mir ist nicht viel zu erzählen, antwortete Fanny. Ich studire hier meine Kunst – die Kunst der Gaukelei. Ich sehe Abend für Abend die höchsten Muster in dieser Kunst. Wenn die Summe, welche dafür bestimmt ist, sich erschöpft hat, werde ich wol auch genug gelernt haben und nach Deutschland heimkehren; ich werde als neuer Stern im Soubrettenfache an irgendeinem deutschen Hoftheaterhorizont aufgehen – als »eine Frau, die in Paris war«. Kennen Sie Paris?
Nein – auch werde ich einige Tage darauf verwenden, Paris kennen zu lernen.
Und werden Sie noch einmal zu mir kommen?
Gewiß – vorausgesetzt, daß Sie …
Seien Sie ruhig, ich werde Ihr »innerstes Gefühl« nicht verletzen, empfindsamer Ritter. Ich sage Ihnen nur das Eine noch: das Hotel Chevaudun liegt in der Rue de Bussy Nummer fünf – und nun thun Sie, was Sie wollen!
Ich danke Ihnen vielleicht – finde ich mich veranlaßt, mit dem Baron Chevaudun in eine schriftliche Verbindung zu treten – ich habe an ihn die Einkünfte von Dornegge abzuliefern.
Fanny blickte ihn bei dieser Mittheilung eine Weile nachdenklich an; aber sie sprach die Worte, welche ihr auf der Zunge zu liegen schienen, nicht aus.
Nur fragte sie nach einer Pause, in welchem Hotel er eingekehrt sei. Nachdem er es ihr genannt, verabschiedete sich Dankmar von ihr.
Sie begreifen, daß ein müder Mensch, der nach einer langen Reise in solche aufregende Debatten, wie die unsern waren, geräth, sich nach ein wenig Ruhe sehnt, sagte er. Damit diese Debatten ganz und für immer aufhören und wir nie wieder darauf zurückzukommen brauchen, lassen Sie mich Ihnen gleich noch meinen herzlichen Dank für Ihren guten Willen sagen, Fräulein Fanny! Glauben Sie mir, in der Meinungsverschiedenheit, worin wir uns über die Sache selbst befinden, vergesse ich doch nicht, wie sehr ich Ihnen verpflichtet bin! Und nun, auf Wiedersehen!
Er schüttelte ihr die Hand, während Fanny mit einem Seufzer sagte:
Auf Wiedersehen, Sie schwärmerischer Ritter! Gehen Sie und stürzen Sie sich in das Leben von Paris – vielleicht wird es Sie curiren!
Dankmar ging.
Fanny sah ihm, auf der Schwelle ihres Pavillons stehen bleibend, nach, wie er den Gang durch den Garten hinauf rasch davonschritt.
Hartnäckiger Mensch, sagte sie sich dabei, verliebter und doch so eigensinniger Junker – du sollst am Ende doch wollen, wie ich will. Glaubst du, ich gäbe einen Plan so leicht auf, wenn ich in aller Welt nichts weiter zu thun habe, als diesen Plan zu verfolgen? Ihr sollt doch zusammengebracht werden, schon diesem widerwärtigen Montenglaut zum Aerger, der, weil ich einmal in seine Schlinge ging, nun über mich verfügen zu können glaubt; und dann, weil ich mich nun einmal darauf capricirt habe, Eugenie und der ganzen hochmüthigen Welt zu zeigen, daß es doch nicht so grenzenlos verrückt ist, an eine leichtsinnige Theatersoubrette ein ganzes Vermögen wegzuwerfen; und endlich, weil ich nun einmal das gute, brave Geschöpf mit dem thörichten Edelmuthe, die Fanny bin!
Fanny trat bei diesen Worten in ihren Salon zurück und warf sich auf das Sofa, um sich hier einem angestrengten Nachdenken hinzugeben.
Nach einer Weile erhob sie sich wieder, und mit den Worten: Ah bah – das Gold ist nur Chimäre! setzte sie sich an ihren Schreibtisch und schrieb auf ein Blatt die kurzen Worte: »Wieviel verlangt Ihr redlicher Freund vom Centraltelegraphenbureau?«
Dann schob sie das Blatt in ein Couvert, adressirte es an: » Monsieur Laroque, Rue de Pontoise 21 au cinquième«, und nahm Hut und Mantel, um selbst damit zum nächsten Briefkasten zu gehen.