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Viertes Buch.

O welch ein Abfall!

Hamlet.


Zwanzigstes Kapitel.
Die Philosophie des Satans

Es de vidrio la muger,
Pero no se ha de probar,
Si se puede o no quebrar,
Porque todo podria ser.

Cervantes.

Das Erscheinen des Barons von Montenglaut hatte auf das Leben im Schlosse Dornegge den merkbarsten Einfluß geübt. Eugenie, welche bisher fast alle Stunden mit Hermine gemeinsam zubrachte, hielt sich plötzlich allein und blieb viele Stunden des Tages unsichtbar; wenn sie oben im großen Saale erschien oder während der Mahlzeiten, war sie schweigsam, zerstreut, und nicht die leiseste Andeutung hatte sie ihrer Freundin über den Mann gemacht, welcher gekommen war, ihr von Dankmar's Treulosigkeit zu berichten.

Hermine, welche in hohem Grade dadurch beunruhigt und um Dankmar in Sorgen war, glaubte, sich zurückhalten zu müssen, bis die Freundin ihr eine Andeutung gebe, daß sie ihrer bedürfe, bis der Drang, sich auszusprechen, Eugenie von selbst zu ihr zurückführe; sie war also viel mit Gundobald und mit dem jungen Bildhauer zusammen, und alle drei hatten Muße, ihre Angelegenheiten sehr gründlich zu erörtern.

Hermine war nicht der Ansicht, die Ludwig – wir wissen, auf welche Eingebung hin – ausgesprochen, daß die Gräfin Edern im Besitze des Testaments sei; sie machte mancherlei Gründe dawider geltend, die sie aus dem Benehmen Boto's und seiner Mutter hernahm; aber die Andeutungen Ludwig's, daß es ihm vielleicht gelingen würde, das Interesse des Herrn Böhmer durch dessen Tochter auf seine Seite zu ziehen, hielt sie für wichtig genug, um Ludwig aufzufordern, deshalb in die Stadt zurückzukehren.

Das war nun nicht Ludwig's augenblicklicher Wunsch, und er zog es vor, in seinem Vertrauen einen Schritt weiter zu gehen und sein Verhältniß zu Helene zu bekennen, und endlich, durch Fragen gedrängt, mit der ganzen unbehutsamen Offenheit seiner Natur Helenens Geheimniß preiszugeben. Das Geheimniß drückte ihn ohnehin mehr, als er sagen konnte; seine ganze Natur bäumte sich dagegen auf, Helene als Dienerin zu sehen, und die Täuschung von Menschen, die er verehrte, war ihm unerträglich.

Mögen Sie's denn wissen, sagte er, als Gundobald, Hermine und er eines Tages nach Tisch zusammen auf der Treppenhalle vor dem Renaissanceflügel des alten Schlosses saßen und auf den stillen Hof hinabblickten – ich würde mir einen Vorwurf daraus machen, wenn ich in irgendeinem Dinge nicht ganz rückhaltlos offen gegen Sie wäre. Sie hätten ja auch volles Recht, dies von mir weit unverzeihlicher zu finden als das Verhältniß, das ich Ihnen bekennen will. Ich sagte, daß Helene Böhmer meine Braut ist, und so ist es auch. Wir fühlen beide, daß keine Macht der Erde uns trennen kann, trennen wird, und daß es uns über kurz oder lang gelingen muß, vereinigt zu werden. Bis heute aber fehlt uns Herrn Böhmer's Einwilligung, und nicht das allein, sondern Herr Böhmer hat auch Helene wegen dieses Verhältnisses mit Gewaltthätigkeiten bedroht, welche sie veranlaßt haben, das Haus ihres Vaters zu verlassen …

O weh, rief Gundobald aus – das sind üble Dinge, die Sie uns da erzählen, mein armer Vetter!

Sie hat das Haus ihres Vaters verlassen? sagte Hermine – aber ist denn dieser Böhmer ein so gewaltthätiger Mann, daß sie zu einem solchen Aeußersten gezwungen war?

Ich weiß nicht, ob Böhmer sonst just zu Gewaltthaten neigt, antwortete Ludwig ein wenig kleinlaut; ich habe auch Helene den Schritt soviel ich konnte widerrathen; aber sie fürchtete, daß er wirklich seine Drohung, sie ins Kloster zu sperren, ausführen würde, und dem wollte sie sich nun einmal nicht aussetzen; und freilich, es gibt Dinge, welche eine Tochter sich auch von ihrem Vater nicht bieten lassen kann …

Hermine, die von der ganzen Angelegenheit nicht sehr erbaut schien, zuckte ein wenig unzufrieden die Achsel.

Gehört die Drohung mit dem Kloster dahin? sagte sie.

Je nachdem, antwortete Ludwig. Es gibt Klöster, die Erziehungsanstalten ähnlich sehen, und andere, die Zuchthäusern gleichen …

Und mit einem solchen hatte Böhmer gedroht, fiel Gundobald entrüstet ein.

Er hatte es, und es war mehr, als Helene ertrug, erwiderte Ludwig.

Doch wol nur ein zorniges und nicht ernst gemeintes Wort? fragte Gundobald.

Das weiß ich nicht, sagte Ludwig; ich weiß nur, daß diese Häuser sich auf ein Wort eines zornigen Vaters hin aufthun!

Das arme Mädchen, bemerkte Hermine nach einer Pause; sie hat ihre Mutter früh verloren, und das ist unendlich traurig für jedes Mädchen! Aber wo ist sie denn? setzte sie hinzu.

Das zu bekennen ist der schwerste Theil meines Geständnisses, erwiderte Ludwig erröthend. Sie suchte eine Stelle als Kammermädchen; man gab ihr Kunde von einer Dame auf dem Lande, welche ein solches Mädchen in Dienst zu nehmen wünsche. Die Adresse dieser Dame war – Dornegge!

Dornegge? fuhr Hermine In der Vorlage: »Helene«. erschrocken auf.

Dornegge. Die Dame hieß Eugenie von Chevaudun und Helene ist hier!

Helene ist – doch nicht Wilhelmine, unsere hübsche Zofe? rief Gundobald aus.

So ist es, versetzte Ludwig kleinlaut.

Nun bei allen Göttern, Vetter, Ludwig, fiel Gundobald ein, man kann Ihnen nicht nachsagen, daß Sie zu der Romantik von Schloß Dornegge nicht Ihr redlich Theil beitrügen … Ihre unternehmende kleine Braut ist hier, in unsern pittoresken vier Mauern, als Kammermädchen verkleidet! Wem wäre das eingefallen!

Gundobald lachte herzlich dabei auf.

Du nimmst die Sache äußerst scherzhaft, sagte Hermine verweisend zu ihm aufblickend – ich muß dir gestehen, daß diese höchst unerwartete Eröffnung mich sehr betroffen macht!

Zürnen Sie mir nicht, gnädiges Fräulein, rief Ludwig, und noch weniger Helenen; wenn Sie wüßten …

Ich zürne weder Ihnen noch ihrer Braut, unterbrach Hermine ihn, aber ich kann Ihnen nicht verhehlen, daß ich den Schritt, den Fräulein Böhmer gethan hat, tadle. Eugenie hat sie voll Vertrauen bei sich aufgenommen und sie hat dieses Vertrauen getäuscht, indem sie sich unter einem falschen Namen vorstellte! Ob der Schritt, den sie gethan hat, als sie ihr Vaterhaus verließ, zu rechtfertigen war oder nicht, das ist nicht meine Sache zu untersuchen, Ihre Braut hat das mit ihrem Gewissen auszumachen; aber sie that unrecht, als sie diesen Schritt so ohne weiteres unter den Schutz von Eugenie von Chevaudun stellte, für die sehr unangenehme Folgen daraus erwachsen können!

Ich denke, du nimmst die Sache zu ernst, Hermine, sagte Gundobald; versetze dich in die Lage des armen jungen Mädchens …

Ich nehme sie nicht ernster, als ich soll – ich überlasse Eugenie, wie sie die Sache aufnehmen will – ich werde sie ihr sogleich mittheilen … denn das ist meine Pflicht!

Ich fühle wohl, daß Sie darin recht haben, gnädiges Fräulein, sagte Ludwig – mein einziger Wunsch wäre nur, daß Fräulein von Chevaudun Helenen verstattete, so lange in Dornegge zu bleiben, bis sie Zeit gefunden hat, ihren Vater zu versöhnen.

Ich will Fräulein Eugenie diese Bitte aussprechen, versetzte Hermine, das ist aber auch alles, was ich thun kann, ich gehe zu ihr, rufen Sie unterdeß Helene hierher.

Während Ludwig ihr in ziemlich gedrückter Stimmung nachsah, sagte Gundobald lächelnd:

Ich muß Ihnen in der That Glück wünschen zu dieser kleinen Braut, lieber Ludwig … man kann nicht sagen, daß es ihr an Unternehmungslust und Geistesgegenwart fehlt! Wegen unsers Burgfräuleins haben Sie keine Sorgen …

Ich habe einige, versetzte Ludwig seufzend, wegen der Aufnahme, welche das, was ich gethan, bei Helene finden wird!

Ah … Sie fürchten sie … ich glaube wir können die ersten Anfänge eines energischen Pantoffelregiments constatiren!

 

Hermine ging, um mit Eugenie zu sprechen, und was sie ihr mittheilte, machte diese eigenthümlich betroffen.

Das ist seltsam, sagte sie mit einer gewissen Bitterkeit. Wilhelmine ist nicht eine Kammerzofe, sondern ist die Tochter des Herrn Böhmer, der mich verpflichtete, indem er mich bei sich aufnahm und zu Ederns brachte? War mir doch immer, als hätte ich sie schon irgendwo früher gesehen! Und sie ist ihrem Vater entflohen, sie spielt hier nur die Rolle einer Dienerin, und spielt sie hier bei mir, bei mir? Ist das nicht wirklich sehr, sehr wunderbar?

Es ist allerdings ein sehr kecker Streich von der kleinen Person.

Und daß sie just zu mir kommen muß, diese Rolle zu spielen!

Bei dir, die als eine völlig Fremde in dieser Gegend nicht am großen Verkehr der andern Bewohner theilnimmt, konnte sie am ersten hoffen, unerkannt zu bleiben; insofern finde ich das nicht wunderbar.

Und ich in hohem Grade! Mir ist, als ob mir dadurch ein Spiegelbild, die Caricatur dessen, was ich selbst gethan, vorgehalten werden solle!

Dessen, was du gethan?

Nun ja – ich bin meinem Vater nicht entlaufen, aber gegen seinen Wunsch habe ich gehandelt wie diese Helene oder Wilhelmine; ich habe mir im fremden Hause eine Dienerrolle angelogen wie sie; ich habe diese Ederns getäuscht wie sie mich …

Du nimmst es sehr scharf, Eugenie, und vergißt, daß dich ein berechtigter Drang, ein Bedürfniß deiner Seele führte, während Helene Böhmer sich durch eine einfältige Liebesgeschichte verführen ließ …

Auch Helene Böhmer wird von ihrem Seelenbedürfnisse zu reden wissen und es verstehen, was sie gethan, vor sich selbst zu entschuldigen; ich kann dir nicht sagen, wie tief mich deine Mittheilung demüthigt!

Du hast unrecht, Eugenie, es so zu fassen; zwischen dem, was du thatest und was sie that, liegt ein himmelweiter Unterschied …

In der Triebfeder mag ein Unterschied sein, aber in der That ist der Unterschied nicht groß, und in den Folgen, fürch ich, wird er noch kleiner sein.

Willst du mit Helene reden?

Nein, nein! sagte Eugenie hastig. Mit welcher Stirn könnte ich ihr Vorwürfe machen? Geh, rede du mit ihr und ordne die Sache, wie es dir am besten scheint; ich werde alles gutheißen, was du thust – nur laß mich dieses Mädchen nicht wiedersehen! Bitte, rede sogleich mit ihr!

Es soll geschehen.

Und vergiß nicht, daß dieser Herr Böhmer, wenn er mir auch ganz der Mann schien, in einer Angelegenheit wie diese und bei einem jungen Mädchen wie Wilhelmine das Allerverkehrteste zu beginnen, doch mich persönlich verpflichtet hat; ich darf seine Tochter nicht wider ihn in Schutz nehmen! Laß sie dem Vater schreiben oder thu du es, um zu versuchen, ob und wie sich das Zerwürfniß beilegen lassen könnte!

Hermine ging, mit Helene zu reden – höchst betroffen über die bittere Schärfe, womit sich Eugenie über sich selber ausgesprochen hatte. Konnte man offener ein vollständiges mit sich selbst Entzweit- und Zerfallensein verrathen? Hermine fragte sich das mit wachsender Sorge und Bekümmerniß. Und war es allein Dankmar's Schweigen und die Verurtheilung, welche Eugenie in diesem Schweigen erblickte, was diese Zerknirschung in ihr hervorgebracht hatte? War es die tief demüthige Hinnahme der Verurtheilung? Oder hatte die Erscheinung des Fremden, der Hermine mit einer nicht abzuweisenden Ahnung eines Unheils erfüllte, einen Antheil daran? Sie konnte den Gedanken nicht los werden.

 

Eugenie war in ihrem Zimmer zurückgeblieben, sie saß müßig durch die geöffnete Glasthür blickend, als ihr Diener eintrat und ihr zwei Briefe überbrachte. Der eine enthielt ein von der nächsten Eisenbahnstation übersandtes Telegramm aus Neapel. Kapitän Schmieder meldete auf Herminens Anfrage zurück:

»Herr von Gohr erhielt in einer nächtlichen Rauferei mit zwei Männern eine Stichwunde. Einer dieser Männer war Baron Jauffroi von Montenglaut; er ist am frühen Morgen nach der That abgereist, ehe die Polizei herbeizubringen gewesen ist. Der andere, ein Baron Beltram, ist ebenfalls verschwunden. Herrn von Gohr's Wunde ist nicht gefährlich. Er ist in bester Pflege, eine deutsche junge Dame weicht Tag und Nacht nicht von seinem Lager.«

Eugenie hieß den Bedienten die Depesche sofort zu Fräulein Hermine von Gohr bringen.

Der Herr, welcher den andern Brief abgegeben hat, wartet draußen auf Antwort, sagte der Diener.

Eugenie riß den Brief auf und überflog ihn. Er war von Jauffroi und enthielt die Worte:

»Erschrecken Sie nicht vor dem Anblicke dieser Zeilen, Eugenie; ich dränge mich Ihnen nicht auf ohne Noth und werde Ihr Haus nicht betreten ohne Ihre Erlaubniß. Ich habe Herrn von Burghaus eine Mittheilung zu machen, welche seinen Proceß betrifft und die für ihn von Wichtigkeit ist. Erlauben Sie mir, daß ich ihn aufsuche und mich ihm vorstelle?

Jauffroi.«

Ueber Eugeniens Gesicht flog ein Ausdruck von Zorn und Unwillen. Lassen Sie den Herrn bei mir eintreten! sagte sie.

Jauffroi kam.

Welche erbärmliche Heuchelei! redete sie ihn an. Müssen Sie nicht selbst gestehen, daß Sie Ihre Zuflucht zu den jämmerlichsten kleinen Listen nehmen? Ihre wichtige Mittheilung für Burghaus wird ein Vorwand sein! Aber ich bin gezwungen, ihn gelten zu lassen, und da Sie das wissen, spielen Sie den Zurückhaltenden, Demüthigen und fragen – um Erlaubniß! Baron Jauffroi von Montenglaut, der – um Erlaubniß fragt!

Eugenie sprach dies mit großer Bitterkeit und zerriß dabei das Billet Jauffroi's in kleine Stücke, die sie mit einer heftigen Bewegung zur Seite warf.

Mag sein, daß Sie recht haben, Eugenie, versetzte Jauffroi, sich ohne weitere Einladung auf den Sessel niederlassend, den er früher eingenommen; aber mir ist jede erbärmlichste Heuchelei, jede kleinlichste List willkommen; ich werde mich zu jeder herablassen, wenn ich dadurch auch nur erlange, daß Sie mich wie jetzt vor sich bescheiden, um mir meine Schlechtigkeit vorzuwerfen.

Ganz die alte Sprache, die ich so oft hören mußte! Wahrhaftig, Baron Jauffroi, Sie haben sich von Ihrer Orientreise wenig neue Ideen geholt!

Dazu bin ich nicht dahin gegangen! Ich habe an meiner Einen Idee völlig genug! Es ist nicht Raum in mir zu einer zweiten.

Diese Idee ist eine fixe – wenn Sie das doch endlich, endlich einsehen wollten! nahm Eugenie mit heftiger Bitterkeit das Wort. Sie werden zum Verbrecher, zum Mörder darüber, und das, das wollte ich Ihnen sagen, darum ließ ich Sie hereinkommen, um Ihnen die ganze Verachtung, ja, die Verachtung auszudrücken, die ich gegen einen Mann fühle, der bis zur gemeinen Schlechtigkeit herabsinken kann! Ich habe Nachrichten aus Neapel, ich weiß, was Sie thaten – Sie haben wie ein Bandit, wie ein trunkener Matrose, nein, schlimmer, wie ein feiger tückischer Meuchelmörder Dankmar von Gohr mit einem Messerstiche tödten wollen! Ich verabscheue Sie!

Jauffroi blieb völlig kühl bei diesen heftigen und zornigen Vorwürfen. Kein Zug in seinem Gesichte zeigte, daß diese gegen ihn geschleuderten Worte nur das geringste Gefühl von Beleidigung in ihm hervorriefen.

Sie sind ein zorniger Richter, Eugenie, sagte er mit einem stillen Lächeln. Sie strafen mit Verachtung und Abscheu ein Verbrechen, das ich nicht begangen habe. Meine Natur ist eine leidenschaftliche, aber sie ist unfähig, meinem Willen ein Messer in die Hand zu drücken. Ich habe kein Haar auf dem Haupte Dankmar's von Gohr gekrümmt, Beltram that es.

Und worauf bauen Sie die Hoffnung, daß ich einer solchen Rechtfertigung nur den mindesten Glauben beilege? Sie sind schlecht, Jauffroi, ganz schlecht …

Mag sein, versetzte der Baron gelassen; aber Sie, die Sie mich von einer fixen Idee beherrscht nennen, sollten mich dessen nicht anklagen. Ein Wahnsinniger kann für sein Thun nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Doch mag es drum sein – ich bin schlecht, ganz schlecht! Was ist schlecht? Haben Sie je darüber nachgedacht? Die Taube, welche ein Weizenkorn verschlingt, ist gut, der Tiger, der eine arme Gazelle zerreißt und verschlingt, ist schlecht, denn die Moral verlangt von ihm, daß er sich von unschuldigen Weizenkörnern nähre und harmlosen Gazellen kein Leid anthue. Im Grunde aber leben beide, Taube und Tiger, nur sich und ihre Natur aus, und thun das Rechte, indem sie dem Gesetze ihrer Natur gehorchen. Der Tag mit seinem Lichte und seinem Sonnenscheine ist gut und die Nacht mit ihrem Dunkel und ihren Sternen ist schlecht! Das Licht und das Leben sind gut, der Schatten und der Tod sind schlecht! Was haben sie im Grunde verbrochen? Sie sind! Ist das Sein für das eine eine Tugend, für das andere ein Verbrechen? Seltsame Lehre, die eine Lästerung dessen ist, aus dessen Willen das Sein hervorging! Der Urwille, der alles schuf, hat die Keime zu dem, was wir gut und was wir schlecht nennen, gelegt; beide haben gleiches Recht; hegen und pflegen wir den einen Keim, so tragen wir gerade so, als wenn wir den andern Keim hegen, dazu bei, daß die Welt so bleibe, wie sie sein soll, aus Bildungen beider Art gemischt, eine Welt mit Licht und Schatten, Nacht und Tag, von Leben und von Tod beherrscht.

Dann wäre nichts schlecht, dann gäbe es nichts Böses! warf Eugenie mit zornig zuckender Lippe ein.

Doch – schlecht ist die That, die gegen unsere Natur ist, jedes Handeln und Gebaren, zu dem der Keim nicht in uns selbst liegt, zu dem wir uns forciren!

Sie sind vollständig wie Mephisto!

Armer, verleumdeter Geist Mephisto! antwortete Jauffroi. Mephisto ist der, der stets das Böse will und stets das Gute schafft. Indem er das überall geschmähte, verfolgte, gepeinigte, mit Vernichtung bedrohte Böse in seine Hut nimmt und über jede arme, für vogelfrei erklärte, mit Hunden gehetzte Schlechtigkeit seinen schützenden Arm ausstreckt, ist er der große Erhalter, der hohe Geist Wischnu, der dafür sorgt, daß das Leben und die Welt gut bleibe, das heißt, wie sie Gott gemacht hat, zusammengesetzt aus tausend einander bedingenden verschiedensten Elementen. Denken Sie Mephisto wirklich mit Ketten in den Abgrund festgeschlossen, denken Sie, das Gute und das Licht habe überall über das Schlechte und die Schatten gesiegt. Keine Nacht mehr, kein Tod mehr, kein Schmerz, kein Krieg, kein Streit, kein Drang, Bedürfnisse unserer Natur nöthigenfalls mit Gewaltthat und Zerstörung zu befriedigen – welche himmlische Langeweile, welche heilige Stagnation, welch grauenhafter Tugendsumpf, welch entsetzlicher Marasmus! Nein, es gibt nichts Schlechtes!

Das heißt mit Beredsamkeit den Advocaten des Teufels machen! sagte Eugenie.

Doch hilft mir die Beredsamkeit, womit ich den armen Teufel in Schutz nehme, wenig bei Ihnen, wie ich sehe, denn Sie haben mir bis zu diesem Augenblicke noch nicht einen Blick geschenkt. Hören Sie mich an, Eugenie – ich möchte aus tiefem Herzensgrunde zu Ihnen reden – lassen Sie mich ein einziges mal ein ruhiges, offenes Gehör finden ein einziges mal, welches dann das letzte sein mag – lassen Sie einmal auf kurze Augenblicke den Haß fahren, mit dem meine Leidenschaft Sie erfüllt, denken Sie einmal daran, daß diese Leidenschaft für Sie auf dem Grunde meiner Liebe für Sie ruht, daß mein Gefühl für Sie auch eine Welt ist, die Licht und Schatten hat, und blicken Sie einmal auf dieses Licht und vergessen einmal den verabscheuten Schatten! Nur meine Liebe soll zu Ihnen reden, nur sie, meine Liebe, soll Ihrer Seele Licht zeigen – das licht, nach welchem Sie ja ringen, nach dem Sie sich sehnen, das Sie in Ihren Briefen suchen und das Sie doch nur schimmern, nicht mit vollem Glanze leuchten sehen!

Und Sie, der mit solchem Stolze durch die Schatten wandelt und als Mephisto die Nacht seine Mutter nennt, haben Sie Licht zu geben? fragte Eugenie achselzuckend.

Ja, denn die Liebe hat aus ihrer Unerschöpflichkeit alles zu geben – es kann ihr nichts abverlangt werden, was sie nicht gewähren könnte, und was Sie gesucht, Eugenie, aber was Sie nicht gefunden, ich kann es Ihnen geben, die Wahrheit!

Licht! Wahrheit! – Es ist unendlich viel, was Baron Jauffroi von Montenglaut mir verheißt!

Dieser spöttische Ton wird schwinden, wenn Sie mich angehört haben werden.

Ich höre!

Meine Wahrheit ist in wenigen Worten gesagt. Sie heißt: Sei, was du sein willst, ganz. Sei Licht oder sei Nacht, nur sei kein unklares Dämmern. Sei eine Natur mit ihrem eigenen Gesetze, oder sei das passive Thier, der Alltagsmensch. Unglücklich, wer zwischen beiden schwankt – und zwischen beiden schwanken Sie, Sie, Eugenie, mit Ihrer schwachen Halbheit, die bald ihr Auge auf die letztern ihres Gebetbuches heftet und bald in die Sonne zu schauen versucht, um, geblendet, erschrocken, die Blicke zu Boden sinken zu lassen!

Ja, Sie sind halb, was Sie sind! Sie verlangen Unabhängigkeit des Seins und des Denkens und scheuen ängstlich die Grenzen der Unabhängigkeit, die nicht da sind, denn soweit die Kraft einer Natur geht, so weit geht ihr Recht! Soweit der Sasse den Hammer schleudern konnte, so weit ging sein Hof! Sie rissen sich von den bestimmenden Eindrücken des Vaterhauses los, Sie hatten die Kraft, Ihren Vater in Verzweiflung zu setzen durch ihre Abenteuerlichkeit, aber nicht die Kraft, nun auch nur das Gesetz von sich selbst zu nehmen; Sie bargen sich in den Schutz eines Kreises, wo Sie die Sklavin neuer, bestimmender Einflüsse wurden!

Sie liebten, liebten diesen Dankmar, wie Sie sagen – aber Sie liebten ihn halb, ja, mit einer schwachen, matten Halbheit – denn liebten Sie ihn ganz, Sie wären längst auf dem Wege nach Neapel! Ihre ganze Seele ist noch erfüllt von anerzogenen Anschauungen, Vorstellungen, die freie Geister längst, längst in ihrer Nichtigkeit erkannt haben – Ihr stolzer Unabhängigkeitsdurst schreckt zurück vor dem vollen Becher aus dem klaren Quell des Erkennens!

Wollen Sie wahrhaft unabhängig sein, so seien Sie es ganz, werfen Sie frei und kühn alles, alles von sich, was Ihre Welt, Ihre Umgebung, Ihre Erziehung und die ewig mythenbildende Phantastik der menschlichen Schwäche Ihnen aufgebürdet hat! Lassen Sie für sich, im eigenen Denken, aus der Tiefe des Urnichts das, was da ist, entstehen, und die Lehre, welche sich Ihnen offenbart, indem Sie dieses Entstehen verfolgen, nehmen Sie als die Ihrige an! Weiter gibt es für uns Menschen keine!

Und wie lautet diese Lehre? fragte Eugenie, nachdem sie ihn lange groß und betroffen angesehen hatte.

Ich glaube, sie lautet: wie das All sich nach seinem eigenen Gesetze gestaltet, so gestaltet sich auch die einzelne Natur nach ihrem eigenen Gesetze. Die einzelne Natur ist so berechtigt wie das All. Das treibende Princip im All, der Gott im All ist auch das treibende Princip, der Gott in uns. Keiner hat vor dem andern sein Haupt zu beugen.

Und hat dieser Glaube auch eine Moral? fragte Eugenie mit matter Stimme, sich abwendend.

Ja. Seine Moral ist: Sei dir selber treu! Und sein Recht ist das Recht auf Leben.

Eugenie hatte dies mit offenbaren Zeichen, daß sie davon erfaßt war, angehört. Jauffroi hatte zum ersten male die Genugthuung, zu sehen, daß sie über dem Inhalte der Unterredung völlig vergaß, daß er, der verhaßte Jauffroi, es war, der zu ihr sprach. Sie sagte jetzt mit bewegter Miene und höher gerötheten Zügen:

Wie können Sie solche Anforderungen an ein Mädchen stellen? Wie soll sie den Schöpfungsproceß verfolgen und die Gesetze des Entstehens studiren – der Dinge Urgrund, meine ich, bleibt den Gelehrtesten mit dem Schleier der Isis verhüllt: der Lebensgang des weisesten Forschers war immer doch nur ein Vorhofwallen; rechts und links an seinem Wege, in endloser Reihe, liegen die Sphinxe. Was die wenigen geschaut, die vielleicht die Schwelle des Tempels überschritten, das wissen wir nicht!

Schrecken Sie davor zurück, zu lernen, zu suchen, zu forschen? Ich weiß, daß Sie es nicht thun; Sie haben viel gelernt, aber freilich nur das, was man Ihnen entgegengetragen hat, nicht das, was Ihr eigener Drang sich ausgewählt hätte, nicht das, was eine Natur wie die Ihre bedurfte. Man hat Sie genährt mit dem historischen Stoffe, man hat Ihnen gezeigt, wie die Welt so bewundernswürdig vortrefflich eingerichtet sei, wie sie ist, und hat Sie diejenigen verehren gelehrt, welche seit Jahrhunderten daran gearbeitet haben, sie so vortrefflich einzurichten oder so zu erhalten.

Und das alles hat man Ihnen beigebracht mit melodramatischer Begleitung, eingehüllt in die Töne des alten Schlummerliedes vom Jenseits. Aus diesem Jenseits hat man Ihnen alles Recht und das Licht der Ideen hergeleitet, die Welt hat man Ihnen gezeigt in der Beleuchtung von oben, während sie doch nur ihr Licht erhalten kann von unten her, aus den tiefsten Gründen des Diesseits.

Was lehrt die Geschichte, die man Ihnen beigebracht hat? Daß das Licht der Idee immer am meisten den beleuchtet, der am höchsten steht, den Vornehmsten. Der Papst hat recht, wenn er mit dem Kaiser ringt, der Kaiser recht, wenn er mit den Fürsten kämpft, die Fürsten recht, wenn sie mit ihren Vasallen hadern, die Vasallen recht, wenn sie die Empörungen des gemeinen Volkes niedertreten. Wie vom Pol her der Golfstrom, geht von oben her durch das Meer der Menschheit der Zwang; von unten her rauschen ihm die Wogen der Freiheit entgegen. Werfen Sie den ganzen historischen Plunder von sich sammt seiner blödsinnigen Lehre, daß der Starke gut, der Schwache schlecht ist.

Wer wissen, schauen will, muß die Natur studiren. Die Geister, welche dem Jahrhundert angehören, erforschen die Natur! Und von daher strömt ihnen das Licht entgegen, von unten her, aus der Tiefe dessen, was sie als die wahren Gesetze der Welt und des Daseins erkennen. Haben wir Flügel, dem Ewigen, für das wir bestimmt sein sollen, zuzufliegen? Nein. Aber wir haben Arme, Hände, unsere Stelle hier auf der Erde zu vertheidigen, die Früchte, die um uns glänzen, zu brechen und das Gestein des nächsten Felsens zu zerschlagen, um zu untersuchen, welche Naturkraft ihn gebildet hat!

Und wenn wir es erkannt haben, dann …?

Wenn wir erkannt haben, wissen wir, daß wir nicht da sind, um die Rolle von Engeln zu spielen, die von oben her an einem Faden auf die irdische Bühne niedergelassen und darüber fortgezogen werden, um dann in den Wolken wieder zu verschwinden. Wir wissen, daß wir die erbgeborenen Kinder des freien Bodens unter unsern Füßen sind und daß wir stehen müssen auf diesen eigenen Füßen. Oder, da Sie mich doch Mephisto nannten, will ich Ihnen lieber antworten: » Eritis sicut deus«, denn es liegt Wahrheit in dem Worte!

Eugenie hatte mit voller Aufmerksamkeit, tief bewegt das alles angehört.

Eine Biene war summend in das Zimmer geflogen.

Jauffroi deutete auf sie.

Sehen Sie diese Biene da, sagte er; sie umschwärmt uns, wir hören sie, sie fliegt davon, uns Honig zu bereiten – ist sie nicht mehr unsers Studiums werth wie das Jahrhundert des Königs Dagobert, der so lange todt ist?

Und haben Sie studirt, die Natur studirt? fragte Eugenie.

Ja, seit ich Sie liebe und Sie mich die Menschen hassen machten, habe ich in den Stunden, worin es mir gelang, den Gedanken an Sie zu überwältigen und zu unterdrücken, gelernt, geforscht!

Da Eugenie nichts antwortete, stand Jauffroi auf. Ich habe Ihnen gesagt, was ich sagen wollte, erlauben Sie mir jetzt, Herrn von Burghaus aufzusuchen?

Eugenie drückte auf eine Schelle und befahl dem eintretenden Bedienten, den Baron von Montenglaut zu Herrn von Burghaus zu führen.

Jauffroi machte ihr eine tiefe Verbeugung, welche sie mit einer Bewegung des Kopfes und einer Miene erwiderte, die zwar nicht freundlich, aber achtungsvoller und höflicher war, als er sie seit lange von ihr erhalten hatte.

 

In der That hatte, was er gesprochen, einen mächtigen Eindruck auf Eugenie gemacht. Die Philosophie des Jahrhunderts, die er vor ihr entwickelt, hatte sich mit einer Art herrischer Gewalt ihr auferlegt, und was er von ihrer Halbheit gesagt, war zu sehr das Echo ihres eigenen Bewußtseins, daß es sie nicht zerschmettert haben sollte.

Er hatte recht, er hatte tausendmal recht darin, sagte sie sich – und dieses Rechthaben förderte Jauffroi mehr, stellte ihn hundertmal höher in ihren Augen, als alle Huldigungen, welche er ihr je dargebracht, es hätten thun können.

Sie fühlte sich eine halbe Natur, mit halbem Muthe, mit getheilter Seele – und ihr gegenüber war er getreten als ein voller, ganzer Mann, dessen Geist zu beugen verstand.

Die Furcht, welche er ihr eingeflößt, war geblieben; aber sie konnte ihn nicht mehr hassen wie früher, und an die Stelle des Hasses war eine gewisse Achtung vor seiner Kraft, seinem Willen, seinem Geiste getreten.

Sie fühlte den Drang in sich, ihm zu folgen in sein Gedankenleben, in seine Anschauungen – gewiß nur, um ihn widerlegen, ihm die Falschheit seiner Lehre darthun zu können; aber diese Lehre zog sie an, wie etwas uns innerlich Bedrohendes uns anzieht und dann wieder schreckt. War es nicht eigentlich ganz fürchterlich, was er gesagt, hatte er nicht eigentlich einen Abgrund vor ihr aufgethan und verlangt, sie solle klaren, ruhigen Auges in diese dunkle Tiefe eines Urnichts schauen? Und mußte sie wirklich, nun sie einmal den ersten Schritt auf der Bahn der Unabhängigkeit gethan, weiter schreiten bis an den Rand des Abgrundes und mit kalter Ruhe hinunterblicken in das Grauen? War sie sonst nur ein halbes Geschöpf, eine feige Natur, ein in verworrener Unklarheit befangener Geist? O, zurück, zurück, rief es in ihr, zu dem frommen Glauben, zu der kindlichen Gedankenstille, in die Welt, deren befangenes Geistesleben seine Nahrung nur aus fremden Händen begehrt!

Aber es war zu spät! Sie fühlte es – sie konnte nicht zurück. Sie konnte nicht stehen bleiben, wo sie stand. Die Stelle, wo sie stand, lag nicht im Lande des Friedens!

»Das Weib bedarf des Mannes«, hatte er gesagt. Sie hatte die Lehre zurückgewiesen noch vor kurzer Zeit. Heute lag sie auf ihr wie eine schwere, drückende Wahrheit.

Und war er der Mann, dessen sie, Eugenie, bedurfte? War er die Ergänzung ihres halben Wesens? Er hatte einen Geist, dem sich der ihre beugte, einen Muth, dem sich fest vertrauen ließ, und er liebte sie, sie konnte nicht daran zweifeln. Er hegte eine Leidenschaft für sie, wie sie nie im Leben wieder eine Leidenschaft einflößen konnte. Und vor allem, das Leben sandte ihn wie ein unvermeidliches Schicksal!

Das alles hatte sie auf sich einstürmen lassen, heftig erregt war sie auf- und abgegangen; dann warf sie sich wieder in ihren Sessel, schlug beide Hände vor ihr Gesicht und legte es so auf die Lehne ihres Sessels, weinend und sich in stumpfe Gedankenlosigkeit flüchtend.

Es überkam sie jenes Gefühl, dem nur die Frauenseele zugänglich ist, das Gefühl des Mitleids mit sich selber. Die Thränen, welche ihre Wimpern netzten, waren die des Mitleide mit einem Schicksale, das ihr bodenlos unselig schien. Sie hatte sich losgerissen aus einer kindlich gläubigen Welt, aus der der innere Seelendrang sie fortgetrieben; nun stand sie frei und nur sich gehörend, ungehindert, um das zu vollbringen, was sie wollte; in Seelenstille und sinniger Ruhe mit den weiblich schüchternen, keuschen und doch stark beschwingten Gedanken sich ein geistiges Reich zu erobern, in dem nur das herrschte, was sie begreifen, verehren, anbeten konnte, und wo sie sich glücklich fühlen konnte in der Harmonie des Glaubens mit einem edeln und reinen Willen. Und aus diesem Reiche riß jetzt eine überlegene, stürmische, unwiderstehliche Kraft sie fort; ein Geist, der schonungslos alle »ihre Cirkel störte«, hatte sie erfaßt und trug sie auf eine öde Gipfelhöhe, wo das Himmelslicht nicht mehr wärmte, wo die Bläue des Zeniths ein schwarzes Dunkel war, wo eisige Schärfe der Luft eine warme Menschenbrust nicht mehr athmen ließ – er stellte sie mitten in den scharfen Zugwind, der sie tödtend aus den Tiefen des »Urnichts« anwehte.

Ja tödtend – sollte sie leben auf solcher Höhe, so versagte ihr die einsam und allein gelassene Kraft. Einsam und allein, das war unmöglich! Es mußte dann ein anderer Geist den ihren stützen, sich dem ihren hülfreich gesellen und an die Stelle des verlorenen ein Menschenherz treten, das ihr zu eigen wurde – Eins mußte ihr bleiben!

Und an welches sollte sie sich klammern?

Dankmar, von dem sie sich zornig sagte, daß er hätte längst zu ihr zurückkehren müssen, wenn er sie verstanden, er hatte sie verlassen, und Jauffroi von Montenglaut – er – nun, er war ihr ja wie ein Schicksal auferlegt, er war wie zum Herrn ihrer Gedanken vorherbestimmt, er war neben ihr wie ihr Schatten; seit seinem ersten Erscheinen hatte sie ihre Gedanken nicht von dem düstern Menschen losreißen können – und da war er wieder – eben trat er wieder unangemeldet in ihr Zimmer.

Sie haben geweint, Eugenie, sagte er, überrascht sie anblickend – das ist unrecht – wozu weinen, wenn man so glücklich ist wie Sie, die Schmerzen, die aus einem Verhältniß zweier entspringen, alle auf die Schultern des Einen legen zu können und nichts davon auf sich selbst nehmen zu brauchen? Ich komme, mich zu verabschieden bei Ihnen; ich habe mit Herrn von Burghaus gesprochen. Ich konnte ihm mittheilen, daß ich auf dem Berge Athos war, daß ich zwar nicht fand, was ich suchte, aber daß ich für weitere Nachforschungen sorgte und Hoffnungen habe, das Testament zu bekommen. Er hat mich sehr freundlich aufgenommen und mich zu einem Spaziergange eingeladen, um mir Dornegge zu zeigen, wie er sagte. Er wird hierher kommen, mich abzuholen.

Unterdeß bitte ich Sie, ein einziges Wort anzuhören, welches ich noch zu meiner Vertheidigung sagen muß. Sie nennen schlecht, was ich in Neapel gethan, trotz dem, was ich auch gesprochen, Sie halten mich für schuldig – nun wohl, so will ich auch diese Schuld auf meine Leidenschaft nehmen, denn ich war jedenfalls der Anstifter, der Urheber dessen, was Herrn von Gohr widerfahren – aber zugleich lassen Sie sich ein tief gedankenvolles Wort eines alten Philosophen sagen – es heißt: Es ist die Ehre großer Charaktere, schuldig zu sein!

Das ist ein stolzes Wort! antwortete Eugenie mit mattem Lächeln.

Ja – ein Charakter, der Raum in sich hat für eine Leidenschaft so groß wie die meine, darf es sprechen! Sie wissen, daß diese Leidenschaft groß ist, und deshalb wissen Sie auch, daß Sie durch diese Leidenschaft mich verwandeln und, wenn ich wirklich schlecht wäre, mich zu dem machen könnten, was Sie gut nennen! –

Eugenie wollte antworten, als Burghaus eintrat. Es wurden einige gleichgültige Worte gewechselt, und die beiden Männer verließen Eugenie dann. –

 

Als Burghaus zurückkam, war er erfüllt von der geistreichen Unterhaltung, welche er mit dem Baron Jauffroi gehabt. Er gestand, daß er eine gewisse Scheu vor ihm empfinde, da er so erbarmungslos jedes Ding an seiner Wurzel ergreife und vor keiner Folgerung zurückbebe. Aber seine Unterhaltung mit ihm sei wie ein Bad in eiskaltem Wasser, nach welchem man sich wunderbar gestärkt fühle.

Wenn man wie Unsereins aufgezogen ist, um immer Ja zu sagen, bemerkte Gundobald, so ist ein solcher eingefleischter Neinsager höchst unterhaltend, und wenn es auch nur zur Abwechselung wäre. Aber man lernt auch aus dem Verkehre mit solchen Menschen einmal einen Blick hinter die Breterwand werfen, womit uns die Welt vernagelt wird; und sieht man da auch nicht viel Schönes, so weiß man doch nun, weshalb man vermeidet, zu viel dahinterzublicken, und sich die Breterwand gefallen läßt. Es ist ein durch und durch moderner Mensch, dieser Baron von Montenglaut; und mir scheint, er glaubt nicht an Gott noch Teufel, er glaubt nicht an seinen eigenen Kopf, und wenn er vom Apfel der Erkenntniß gegessen hat, so ist ihm die Unterscheidung von gut und böse dadurch nicht gegeben, sondern genommen, viel eher genommen!

Für mich ist das Bild, welches du von ihm machst, nicht sehr anziehend! fiel ihm Hermine in die Rede.

Mag sein; und doch glaube ich, daß ihm ein Mädchen schwer widerstände, wenn sich seine Leidenschaft ihr zuwendete. Seine Leidenschaft müßte etwas Dämonisches haben!

Die Leidenschaft eines Menschen, der nichts glaubt, nichts innerlich sein eigen nennt, muß immer dämonisch sein, entgegnete Hermine. Der Gegenstand, auf den sich seine Leidenschaft wendet, wird dann sofort sein Eins und Alles, er wird seine ganze Welt, und er kann nicht von ihm lassen, ohne vom Leben zu lassen.

Eugenie nahm keinen Theil an diesem Gespräche, das bei der Abendtafel stattfand. Sie nahm auch keine Speise zu sich und klagte über Kopfweh.

Als man sich erhoben hatte, winkte sie Gundobald zu sich heran und trat mit ihm in eine Fensternische. Mit abgewandtem Gesichte in den dunkeln Abend hinausblickend, sagte sie:

Sie haben sich, scheint es, mit dem Baron Montenglaut befreundet, Burghaus – thun Sie mir den Gefallen, sich in unverfänglicher Weise nach seiner Lage zu erkundigen. Ich muß annehmen, daß diese eine bedrängte ist. Ein junges Mädchen kann ihm keine Hülfe anbieten. Es wäre mir angenehm, wenn Sie sich die Einwilligung erwürben, für seine nächsten Bedürfnisse sorgen zu dürfen.

Das will ich sehr gern, gab Gundobald zur Antwort – gleich morgen, wo ich ihn in seiner Mühle aufsuchen werde. Er hat mir gesagt, daß er hierher gekommen, um Ihre Güte in Anspruch zu nehmen, ihm eine Anstellung als Forstbeamter zu verschaffen; wünschen Sie, daß auch darin etwas geschehe?

Wollen Sie es übernehmen, sich nach einer solchen Stelle zu erkundigen, so bin ich Ihnen dankbar, lieber Burghaus, versetzte Eugenie.

Sie ging, und Gundobald blieb mit Hermine und Ludwig zurück.

 

Als man sich später trennte, nahm Hermine Gundobald's Arm, um sich von ihm die Treppe hinaufführen zu lassen, und fragte ihn nach dem Inhalte seiner Zwiesprache mit Eugenie. Als er ihn berichtet hatte, erwiderte sie:

Ich glaube, mit der Aufsuchung der Stelle brauchst du dich nicht zu übereilen, Gundobald. Dieser Herr von Montenglaut scheint mir seinen Ehrgeiz auf eine ganz andere Stellung gerichtet zu haben.

Du meinst – ach, er wird doch nicht etwa …?

Sein Erscheinen beunruhigt mich jetzt, wo wir diese schlimme Nachricht aus Neapel haben, mehr, als ich sagen kann, fiel Hermine flüsternd ein. Dieser Mensch trägt die Schuld oder mindestens einen Theil der Schuld an Dankmar's Verwundung, und Eugenie verkehrt dennoch mit ihm, und von Dankmar ist mit keiner Silbe mehr die Rede; er scheint ohne weiteres verurtheilt auf die Aussagen dieses Montenglaut und die vieldeutige Depesche des Kapitäns hin. Es ist abscheulich!

Der Schein spricht eben wider Dankmar; Eugenie ist ihm zu sehr entgegengekommen, um sich jetzt nicht verletzt zu fühlen – du warst zu stolz, Hermine, Dankmar bei ihr nicht in Schutz zu nehmen.

Hätte ihn ihr eigenes Herz nicht bei ihr in Schutz nehmen müssen gegen diesen albernen »Schein«? Und so viel ist gewiß, dieser Montenglaut hat sich einen unheilvollen Einfluß auf ihr Gemüth zu erringen gewußt oder ihn immer besessen. Sie ist umgewandelt, ihr ganzes Wesen ist wie eingefroren, wie mit sieben Siegeln, aber den Siegeln eines düstern Zaubergeistes, verschlossen – meine ganze Seele lechzt nach einem Briefe, nach directen Nachrichten von Dankmar!

Ich bin bereit, zu ihm zu reisen, Hermine!

Nein, nein, fiel sie lebhaft ein, verlaß nicht auch du mich jetzt, wir müssen zuerst einen Brief von ihm haben – wie es ihm auch gehen mag, er vergißt nicht, daß ich auf Nachrichten von ihm harre! Wenn ich erfahre, daß es irgend schlimm um ihn steht, so eile ich selbst zu ihm!


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