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Es waren Monate verflossen und der Herbst war gekommen. Hermine und Gundobald Burghaus waren vermählt und machten eine kurze Hochzeitsreise am Rhein, wo eben die Weinlese eines gesegneten Jahres in vollem Gange war. Burghaus konnte sich nicht auf lange Zeit den vielen Geschäften entziehen, welche die Uebernahme der Nesselbrook'schen und Edern'schen Güter ihm auferlegte, und deshalb sollte die Reise sich auf ein paar Wochen beschränken.
Ludwig Randheim rüstete sich zu einer Reise nach Italien. Die höchste Sehnsucht seines Herzens war der Erfüllung nahe, und die bevorstehende Wanderung beschäftigte ihn in einer Weise, die ein wenig eifersüchtigen Kummers in Helenens junges Herz senkte. Ihre frühere Begeisterung für die plastische Kunst hatte ganz bedeutend darunter gelitten – sie mochte nichts mehr sehen und hören von Kunst; sie spottete über Ludwig's Arbeiten, sie fand seine nackten Götter absurd, sie nannte ihn einen unbegreiflich unpraktisch eingerichteten Menschen, daß er jetzt davonlaufen wolle, um in der Ferne das Schöne zu suchen, wo das Schöne so nahe liege – das schöne, kleine Gut Klarholm, mit einem reizenden Forsthause darin, welches Helene zu beziehen und für sich einzurichten brannte – aber alles das half Helene nichts, Ludwig blieb so hartköpfig wie eine seiner Steinfiguren. Helene mußte sich in die niederschlagende Thatsache fügen, sein Herz mit seiner Kunst zu theilen, und unterdeß Frau Randheim nach Klarholm übersiedeln sehen, da Herr Böhmer von seinem Plane, das kleine Haus, welches diese bewohnte, niederreißen zu lassen, nun einmal nicht abzubringen war.
Dankmar war in Gohr. Von Zeit zu Zeit kam er auf einen oder zwei Tage nach Dornegge heraus. Wir finden ihn dort wieder. Das alte Schloß war schauerlich verödet. Das Gesinde war verabschiedet; die Gutsverwaltung hatte Dankmar dem Förster zu Alt-Dornegge, der sie schon früher zeitweise geführt, übertragen; nur der Gärtner mit seiner Frau und seinem Gehülfen wohnten noch auf dem Schlosse, und in den Oekonomiegebäuden ein Pachter. Wenn Dankmar wie heute auf kurze Stunden oder Tage nach Dornegge herüberkam, mußten die Gärtnersleute für seine Bedürfnisse sorgen, und Eduard, der Gehülfe, machte alsdann seinen Kammerdiener.
Dankmar befand sich oben in dem großen Saale; auf dem langen Tische in der Mitte lagen Rechnungsbücher, Papiere, Banknoten und einige Beutel mit Geld. Es waren die Gutseinkünfte, welche der Förster eben für den Herbsttermin an ihn abgeliefert hatte. Er zählte die Summe noch einmal über und warf sie sodann in ein kleine Chatoulle; dann wanderte er, die Hände auf dem Rücken, lange in dem weiten, stillen Raume auf und ab, in welchem seine Schritte widerhallten – wenn er an den träumend daliegenden Sphinxen vorüberschritt, an den Götterbildern in den vernachlässigten Epheulauben, um deren Fuß die gelben, abgefallenen Blätter lagen, war es, als ob der Gott des Schweigens seinetwegen den Finger an den Mund gelegt habe, um ihn zu mahnen, den Traum dieser Gestalten, die Stille dieses heiligen Raumes nicht durch seine lauten Schritte zu stören.
Draußen lag ein feuchter Dunst, die Atmosphäre eines Regentages über den Waldhöhen, auf welche man durch das breite Erkerfenster blickte. Der Herbst hatte sie überall mit seinen Farben überkleidet. Die Bäume standen regungslos; jeder Ton draußen war verstummt; es war nichts in der vollkommenen Einsamkeit, welche Haus Dornegge umgab, laut als das mistönige Stoßen des Oelganges an der Mühle im Thale unten, das durch die feuchte Luft gedämpft heraufdrang.
Dankmar vernahm es nicht; er sah nicht die Sphinxe, nicht den stummen Gott des Schweigens. Eine unbezwingliche Schwermuth lastete auf ihm, eine tiefe Hoffnungslosigkeit, wie sie ihn jetzt so oft beherrschte; aber nicht die ruhige und gefaßte, welche zurückbleibt, wenn ein Kampf durchgekämpft ist und die Wunden desselben zu vernarben beginnen, nicht die, welche, mit der entsagungsvollen Weisheit des Alters verwandt, sich Trost aus dem Reiche der Gedanken zu schöpfen weiß und zu ihrer Beschwichtigung sich selbst in der schweigenden, trübe und sonnenlos daliegenden Natur abgespiegelt erblickt.
Die weißen Götterbilder hatten keine Sprache für ihn. Was war ihm der allegorische Gedankenkreis, in dessen Mitte sie standen, die stumme Sprache philosophischer Weltbetrachtung, welche auf ihren kalten, starren Lippen lag? Keiner dieser Gedanken, kein Wort dieser Sprache drang bis an sein Herz. Sein Herz war zu jung, es ließ sich nicht unterdrücken mit seinem vollen Anrechte auf das Leben; jeder Tropfen Blutes, der durch seine Adern rollte, verlangte nach diesem Leben; in den Monaten seines Alleinseins mit sich und dem Gedanken an das Geschehene war die Forderung seiner Leidenschaft nur mit jedem Tage unbezwinglicher geworden. Er liebte Eugenie glühender als je zuvor; aber dieses Gefühl, das seine ganze Seele durchdrang, lag von der völligen Hoffnungslosigkeit wie von Ketten umschnürt, und seine Seele hatte sich wund gerieben unter diesen Ketten.
Nur Ein Trost war ihm geblieben: das Bewußtsein seiner Kraft und der Wille – der Wille, seine Leidenschaft zu beherrschen, sich nicht untergehen zu lassen, und zu tragen, was er tragen mußte. Die Zeit sollte ihn retten und die Arbeit. Die Zeit sollte ihn lehren, den innern Schmerz zu tragen, bis die Gewohnheit ihn wie eine mit Gelassenheit hingenommene Bedingung seines Daseins erscheinen ließ. Und die Arbeit, welche nicht die Macht hatte, ihn zu zerstreuen, sollte ihn ermüden und abstumpfen.
Darum hatte er mit Eifer einen großen Theil von Gundobald's Geschäften über sich genommen, außer der Verwaltung seines eigenen kleinen Gutes und der von Dornegge.
Dornegge zog ihn an und lockte ihn, wenn er daheim war, oft wie mit einem Zauber; war er dort, so trieb es ihn wieder hinweg; es verdoppelte das Gefühl der Unseligkeit in ihm, es stachelte seinen Schmerz. Die Zimmer Eugeniens an der Gartenterrasse hatte sein Fuß noch nicht betreten. Er scheute, wenn er durch den Garten schritt, den Anblick der verschlossenen Fensterläden, und vermied den Garten, um sie nicht zu sehen.
Er hatte nichts von Eugenie vernommen in all der Zeit; sie hatte kurz nach ihrer Abreise Hermine in einigen herzlichen, dankerfüllten Worten ihre glückliche Ankunft im Vaterhause gemeldet, ohne Dankmar's zu erwähnen, ohne eine Silbe für ihn. Hermine hatte ihr geantwortet, ihre bevorstehende Vermählung ihr angezeigt – das war alles gewesen. Seitdem war sie für Dankmar wie verschollen. Nur ihren Vater fand er von Zeit zu Zeit in den öffentlichen Blättern erwähnt; er wußte, daß er gegenwärtig in Paris sei.
Eine Stunde oder mehr mochte Dankmar so allein auf- und niedergeschritten sein, als sich eine der großen Flügelthüren öffnete. Eduard trat herein, auf seinem Arme einen Vorrath Scheitholz tragend, den er mit vielem Lärm in den Holzkasten am Kamine niederfallen ließ. Dann beschäftigte er sich damit, das verlöschende Feuer wieder anzufachen und über den Brandruthen einen künstlichen Bau von Scheiten aufzuführen, an dem die Flamme bald hell emporleckte.
Eduard schien dennoch keine Lust zu haben, sich wieder zu entfernen. Er hockte neben der Flamme auf einen Schemel nieder, als ob sie gleich aufhören werde, so lustig zu brennen, wenn sie sein lustiges, rothes Gesicht nicht mehr sehe.
Dankmar trat zu ihm und schaute in das lodernde Feuer. Eduard beobachtete einige Augenblicke lang seine Züge und schien das Wagniß, eine kleine Unterhaltung mit dem wortkargen Herrn zu versuchen, für nicht mehr zu groß zu halten.
Er räusperte sich ein paarmal und sagte dann:
Es ist noch so viel Holz aufgescheitet, und das liegt nun alles umsonst da! Der Gärtner sagt, sie käme niemals wieder!
Dankmar sah ihn wie zerstreut an und antwortete nicht gleich. Dann fragte er:
Und woher weiß das der Gärtner?
Er sagt, er wüßte das schon. Wenn solche Herrschaften so etwas erlebten, wie hier passirt sei, so brächten sie nicht acht Pferde an die Stelle zurück. Sie kämen ihr Lebtage nicht wieder, sagt er. Und das wäre doch ein Jammer! Alles umsonst, was wir gearbeitet haben – all unsere Blumen haben geblüht und es hat sie niemand angesehen! Wir haben Rosen und Rhododendren gehabt wie noch in keinem Jahre – und die Dahlien blühen noch – wenn Sie einmal durch den Garten gehen wollten, Herr, und sie ansehen! Das Obst wird nun wol verkauft wie in frühern Jahren? Der Gärtner meint, ob es denn gar nicht anginge, daß wir ihr einige Sendungen davon machten …
Das wird nicht angehen, Eduard, versetzte Dankmar; die Entfernung ist zu weit, und es ist eben nicht befohlen.
Vielleicht würde sie's doch freuen – von ihrem eigenen Gute – es ist doch ihr Gut, ihr Schloß, Haus Dornegge, und ein schönes Gut, wie es kein besseres im Lande gibt! Daß man so etwas mit dem Rücken ansehen kann, um nie wieder den Fuß hineinzusetzen – mir will's nicht in den Kopf! Und wenn sich auch etwas viel Aergeres darin zugetragen hätte, als daß einer darin umgebracht ist, und ich hätte es mit meinen Augen ansehen müssen, wie ein halb Dutzend sich einander drin todtgeschlagen, ich liefe nicht daraus fort! Und mit dem Gärtner habe ich auch gewettet; ich habe gesagt, sie kommt doch einmal wieder, es muß nur erst ein wenig mehr Gras über die Geschichte gewachsen sein …
Die Wette wirst du verlieren, Eduard, entgegnete Dankmar.
Eduard schüttelte mit dem Kopfe, aber er schwieg; in die Flamme blickend und leise sagte er dann:
Und hat man denn gar nichts wieder vernommen von ihm?
Von ihm? Du meinst den Mörder?
Eduard nickte, während er mit einem scheuen Blicke zu Dankmar aufsah, als ob er fürchte, daß seine Frage indiscret gefunden werden und einen Abbruch der Unterhaltung herbeiführen könne, für deren Fortsetzung Eduard noch einige andere Fragen in Bereitschaft hatte, die ihm im stillen mehr am Herzen lagen als alle bisherigen.
Nein, erwiderte Dankmar. Man hat nichts wieder von ihm gehört. Man hat alles gethan, um seiner habhaft zu werden. Es sind Polizeileute sogar an die nächsten Hafenplätze geschickt worden, es ist telegraphirt worden an allen Drahtlinien entlang; aber man hat nirgends eine Spur von ihm entdeckt.
Es ist schade, sagte Eduard. Es war ein böser Mensch, ein tückischer Bösewicht. Er sah aus, als ob ihm die Welt einen ganz fürchterlichen Aerger angethan und als ob er darüber so viel Gift geschluckt, daß er's gar nicht bei sich behalten könne. Wenn er mit einem sprach, so war's immer, als wolle er einen mit den Worten ein wenig stechen oder in die Rippen stoßen. Ich bin mit ihm gegangen bis nach Alt-Dornegge den Tag, als er hier ankam; niemand wußte, woher und wozu und wo hinaus – und der alte Förster, der sah ihm auch bald an, weß Geistes Kind er war, denn am andern Morgen hat er ihm die Thür gewiesen; da zog er in die Mühle unten, und von da ging er täglich zum gnädigen Fräulein, oft ohne alle Complimente über die Terrasse geradeswegs in ihr Zimmer hinein – so mir nichts, dir nichts! Daß sie's litt, es war seltsam! Ich denke, sie fürchtete sich vor ihm …
Wer weiß es! entgegnete Dankmar, als Eduard bei diesen Worten wie fragend zu seinem Gesichte aufschaute.
Vielleicht, fuhr Eduard in demselben halb fragenden Tone fort, war's auch anders! Weshalb wär' sie sonst mit solch einem Menschen auf- und davongegangen gleich nachher? – Es ist eine Sache, hinter die niemand kommen kann, niemand, der nicht dabei gewesen; und dabei gewesen ist keiner! Und gefangen haben sie ihn auch nicht, daß sie's hätten aus ihm herausholen können, in Gutem oder mit Gewalt, und daß man's doch auch erfahren hätte! Der Gärtner sagt, wenn sie ihn gefangen hätten, so wär's ihm auch an Hals und Kragen gegangen; geköpft hätten sie ihn so sicher, wie zweimal zwei gleich vier ist! Es ist doch schade drum, daß sie ihn nicht gefaßt haben!
Wäre etwas dabei gewonnen gewesen? sagte Dankmar, sich abwendend, um ein Gespräch zu enden, das ihm so peinlich war. Weißt du, ob er nicht jetzt reuig dem Himmel für das Glück, daß er der Strafe entgangen ist, durch gute Handlungen dankt, welche er von nun an begeht?
Eduard schüttelte wieder den Kopf; er schien mit dieser milden Auffassung der Sache nicht ganz einverstanden, obwol er nicht zu widersprechen wagte.
Die Leute sagen, fuhr er nur fort, er sei wol als Hollandsgänger über die Grenze gekommen.
Dankmar stutzte bei dieser Mittheilung.
Sagen sie das? und was ist der Grund, daß sie dies annehmen?
Den Grund weiß ich nicht. Aber sie sagen es, und auch, daß er in Holland schon einen Platz auf einem Schiffe, das nach Batavia gegangen oder sonst in die weite Welt, gefunden habe.
Wol möglich, versetzte Dankmar, nachdenklich und betroffen über eine Voraussetzung der öffentlichen Stimme, die sich so scharfblickend oder so eingeweiht erwies.
Eduard schwieg eine Weile und machte sich mit dem Feuer zu schaffen; dann fuhr er mit einem leichten Wechsel der Farbe auf seinem vollen runden Gesichte fort:
Was aus der jungen Dame geworden, der andern …
Aus meiner Schwester? fiel Dankmar ein.
Ich meine nicht das gnädige Fräulein von Gohr – ich meine die, welche anfangs Wilhelmine hieß und dann auf einmal von den Herrschaften Helene genannt wurde – als der junge Mensch gekommen war – just als ob sie einen Werktags- und einen Sonntagsnamen gehabt und den Sonntagsnamen für ihn aufgespart hätte – was aus der geworden, meinte ich, Herr!
Fräulein Böhmer – wenn du dich für sie interessirst, so kann ich dir die besten Nachrichten von ihr geben. Fräulein Böhmer ist sehr glücklich als Braut des jungen Menschen, der …
Dankmar ward hier zu Eduard's unsaglichem Verdrusse plötzlich unterbrochen. Es ließen sich schwere Schritte vor der Saalthür hören, diese öffnete sich, und der Brotherr Eduard's, der alte Gärtner, steckte den Kopf durch die Thür.
Mit Verlaub, Herr von Gohr, sagte er, ich komme eben von der Mühle herauf, und da hat mir der Müller den Brief mitgegeben, den just der Landbriefträger zurückgelassen hat für den gnädigen Herrn!
Dankmar nahm das Schreiben, welches ihm der Gärtner reichte; es trug die Schriftzüge des geistlichen Raths. Als Dankmar es geöffnet, fiel eine blaue telegraphische Depesche heraus.
»Das anliegende Telegramm für Sie ist eben von der Eisenbahnstation gebracht worden«, schrieb Zander in seinem Briefe; »ich sende es Ihnen durch die Post, da ich nicht weiß, wann Sie zurückkommen.«
Das Telegramm war am gestrigen Morgen in Paris aufgegeben worden. Dankmar riß es in großer Erregung auf und las die Worte:
»Eine Dame bedarf Ihres Beistandes hier. Sie hat das Recht, diesen von Ihrer Ritterlichkeit zu verlangen. Kommen Sie ungesäumt, Rue de Saint-Benoit 90, au Pavillon.«
Das war alles. Die Unterschrift fehlte. Dankmar dachte zunächst an Fanny als die Absenderin dieser lakonischen Aufforderung. Aber er dachte auch an Eugenie. Er wußte ja aus den Zeitungen, daß der Baron von Chevaudun den Winter in Paris zubringe. War es nicht möglich, daß sie, daß Eugenie ihm Eröffnungen zu machen habe – und wenn auch nur als ihrem Geschäftsführer? Es war möglich – und unter dem Einflusse dieses Gedankens war Dankmar kaum mehr Herr einer freien Ueberlegung. Er konnte die Reise antreten, ohne daß es langer Vorbereitungen bedurfte. Den Wagen, der ihn von Gohr gebracht, hatte er bei sich behalten, um morgen dahin zurückzukehren. Er beschloß, schon den Abend zurückzukehren; er befahl dem Gärtner, ungesäumt die Pferde einspannen zu lassen, und ging, sich reisefertig zu machen.
Die eingenommenen Gelder ließ er durch Eduard in den Wagen tragen. Konnte er sie doch jetzt vielleicht selber in die Hände ihrer Eigenthümerin abliefern!
Als er am Abende spät in Gohr eintraf und Zander die Depesche gegeben, sagte dieser, das Blatt nachdenklich ansehend:
Mir scheint nicht, daß es von ihr kommt. Es läge nahe zu denken, daß sie Dornegge zu veräußern wünscht und mit Ihnen darüber reden möchte. Aber ich meine, sie würde dem Vater überlassen, mit Ihnen deswegen in Verbindung zu treten. Dies »eine Dame bedarf Ihrer« … »Ritterlichkeit« scheinen mir nicht die Ausdrücke, welche Eugenie Ihnen gegenüber gebrauchen würde.
Gewiß nicht! antwortete Dankmar.
Und doch sehe ich etwas wie einen Ausdruck von Enttäuschung in Ihren Zügen, Dankmar – raube ich Ihnen eine wiedergekehrte Hoffnung?
Lieber Freund – ich denke, Sie sind der letzte, der mich solch einer Thorheit fähig halten könnte!
Ich halte Sie keiner Thorheit fähig, Dankmar, sagte milde lächelnd der Geistliche, aber fähig der Treue, die nur einmal liebt, und diese Liebe nie verliert … seien Sie offen gegen mich, Dankmar – habe ich nicht recht?
Kann ich heute darauf antworten? Die Jahre müßten doch erst kommen und mich prüfen, ehe sich etwas darüber sagen läßt, antwortete Dankmar ausweichend.
Ich bin ein zu alter Mann, versetzte der geistliche Rath, um das abwarten zu können, und ich kenne Sie genug, um zu wissen, daß es dieser Prüfung nicht bedarf. Sie fühlen auch, daß ich recht habe, Dankmar!
Nun ja, antwortete Dankmar zur Seite blickend und leise – ich fühle, daß Sie es haben!
Wohl denn, versetzte Zander, so nennen Sie es auch nicht so zornig eine Thorheit, wenn ich von einem leisen letzten Hoffen sprach. Sehen Sie, ich habe nun einmal die Unsitte, wie Hermine es schilt, zu citiren; aber ich citire nicht blos andern, sondern auch mir selber oft zur Zurechtweisung einen guten Spruch; und so habe ich mir schon seit Wochen einen Vers Schiller's vorgesagt, der heißt:
›Der seltene Mann will seltenes Vertrauen.‹«
Und daraus folgern Sie?
Daraus folgere ich, daß auch das seltene Weib seltenes Vertrauen will.
Hat es mir je daran gefehlt?
Ihnen nicht. Aber mir vielleicht. Wenigstens an dem Muth, Ihnen ein Wort des Trostes zuzurufen, wenn ich Sie in Ihrem Schmerz beobachtete, in Ihrer grausamen Schonungslosigkeit wider sich selbst, die sich nicht die geringste Illusion verstattete; in Ihrem herzbrechenden Abmühen, sich durch Arbeit zu betäuben! Es ist nicht gut, Dankmar, daß der Mensch allein sei. Er soll nicht durch seine Tage wandern ohne das Geleite einer Hoffnung.
Ist die Erinnerung nicht auch eine Geleiterin?
In meinem Alter, nicht in dem Ihren!
Die Hoffnung ist oft ein thörichtes Weib, das feig und störend dem Arzt in den Arm fällt, der uns eben ein krankes Glied, ein tödliches Uebel fortschneiden will.
Es ist wahr, antwortete der geistliche Rath – aber nichtsdestoweniger will ich Ihnen meine stille innere Ueberzeugung gestehen, daß zwischen Eugenie und Ihnen nicht alle Fäden zerrissen und nicht alle Worte gesprochen sind; ich habe, lächeln Sie nicht darüber, Dankmar, wie ein inneres Gefühl, daß die stillen Gedanken, die zwischen Ihnen und ihr hin- und herweben, eines Tages auch eine Sprache bekommen und zum Worte laut werden!
Dankmar schüttelte schwermüthig den Kopf.
Wie sollte das geschehen! sagte er.
Wie es geschehen wird – wer weiß es! Und da ich das nicht sagen kann, so thu' ich vielleicht unrecht, davon zu sprechen. Ich kann ja irren. Aber es ist in mir etwas wie eine Ueberzeugung, daß eine Natur, die wie die Ihre verdient glücklich zu werden, jedenfalls vom Himmel auch auf den rechen Weg zum Glücke geleitet werden wird.
Ueber Dankmar's Züge flog ein bitteres Lächeln.
Gibt es einen Weg zum Glück? sagte er. Was ist Glück? Wo liegt es?
Das ist eine inhaltschwere Frage und nur die Erfahrung eines langen Lebens kann darauf antworten, eines Lebens, das innerlich und äußerlich reicher war, als das meine gewesen ist. Das Glück liegt, so denke ich, nicht im Reichthum und im Lebensgenuß, nicht im befriedigten Ehrgeiz. Es liegt nicht im Wissen, nicht im Erkennen, nicht einmal in der Wahrheit, wenn sie dem Menschen werden könnte. Des Menschen Wille, den man allmächtig nennt, erringt es weder durch das Mittel stiller Ausdauer, noch durch das leidenschaftlicher That.
Also in der Entsagung liegt es? warf Dankmar ein.
Auch da nicht, antwortete Zander. Der Mensch, der entsagt hat, fühlt ewig eine Lücke in seinem Dasein. Und das Dasein muß ganz und ungebrochen sein, damit wir uns glücklich fühlen können. Aber es liegt in der Kraft in uns, uns beschränken zu können auf unsere Sphäre; uns beschränken zu können in unserm Verlangen und in unserm Denken. Es liegt in der fruchtbaren Uebung unserer Kraft, im Ausstrahlen des Gemüths in uns auf andere – im Sonnenthum der Menschenseele, möchte ich mit meinem alten Freunde Nesselbrook sagen – und das, setzte Zander lächelnd hinzu, ist denn auch alles, was ich alter Mann darüber sagen kann! –