Daniel Paul Schreber
Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken
Daniel Paul Schreber

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[Gutachten]

A. Gerichtsärztliches Gutachten.

Der Abdruck der Gutachten A, B und D erfolgt (abgesehen von Note 134 u. 135) ohne jede weitere Bemerkung. Der Vergleich mit den entsprechenden Schilderungen in den Denkwürdigkeiten und der Berufungsbegründung wird ohne weiteres ergeben, daß die Gutachten auch in tatsächlicher Beziehung manche Unrichtigkeiten, Ungenauigkeiten und Mißverständnisse enthalten. Dabei verkenne ich keineswegs, daß der Grund zu nicht geringem Teile in der unzuverlässigen Berichterstattung dritter Personen (Pfleger usw.) liegen mag.

*

Der Senatspräsident a.D. Herr Dr. jur. Daniel Paul Schreber aus Dresden wurde der Pensionsabteilung hiesiger Landesanstalt am 29. Juni 1894 zur Behandlung übergeben und ist seitdem fortdauernd in derselben verblieben.

Nachdem Herr Präsident Schreber nach dem vom Geheimen Medizinalrat Professor Dr. Flechsig in Leipzig behufs Überführung des Patienten in die hiesige Anstalt ausgestellten Formulargutachten bereits 1884–1885 einen Anfall schwerer Hypochondrie durchgemacht hatte, von demselben aber genesen war, ist er am 21. November 1893 zum zweiten Male in die psychiatrische Universitätsklinik zu Leipzig aufgenommen worden. Im Beginn seines dortigen Aufenthalts äußerte er mehr hypochondrische Ideen, klagte, daß er an Hirnerweichung leide, bald sterben müsse, p. p., doch mischten sich schon Verfolgungsideen in das Krankheitsbild und zwar auf Grund von Sinnestäuschungen, die anfangs allerdings mehr vereinzelt aufzutreten schienen, während gleichzeitig hochgradige Hyperästhesie, große Empfindlichkeit gegen Licht und Geräusch sich geltend machte. Später häuften sich die Gesichts- und Gehörstäuschungen und beherrschten in Verbindung mit Gemeingefühlsstörungen sein ganzes Empfinden und Denken, er hielt sich für tot und angefault, für pestkrank, wähnte, daß an seinem Körper allerhand abscheuliche Manipulationen vorgenommen würden und machte, wie er sich selbst noch jetzt ausspricht, entsetzlichere Dinge durch als jemand geahnt und zwar um eines heiligen Zweckes willen. Die krankhaften Eingebungen nahmen den Kranken so sehr in Anspruch, daß er, für jeden anderen Eindruck unzugänglich, stundenlang völlig starr und unbeweglich dasaß (halluzinatorischer Stupor), andererseits quälten sie ihn derartig, daß er sich den Tod herbeiwünschte, im Bade wiederholt Ertränkungsversuche machte und das »für ihn bestimmte Zyankalium« verlangte. Allmählich nahmen die Wahnideen den Charakter des Mystischen, Religiösen an, er verkehrte direkt mit Gott, die Teufel trieben ihr Spiel mit ihm, er sah »Wundererscheinungen«, hörte »heilige Musik« und glaubte schließlich sogar in einer anderen Welt zu weilen.

In der hiesigen Anstalt, in welche Herr Präsident Schreber nach einem kurzen Aufenthalte in der Privatanstalt des Dr. Pierson übergeführt wurde, bot sich im wesentlichen zunächst dasselbe Krankheitsbild dar wie in Leipzig. Der körperlich kräftige Mann, an dem die häufigen Zuckungen der Gesichtsmuskulatur und starkes Zittern der Hände auffielen, zeigte sich anfangs durchaus unzugänglich und in sich verschlossen, lag oder stand unbeweglich da und starrte mit ängstlichem Blick geradeaus ins Weite, an ihn gerichtete Fragen beantwortete er nicht oder ganz kurz und abweisend, offenbar aber war diese starre Haltung weit entfernt von Indifferentismus, vielmehr erschien das ganze Wesen des Patienten gespannt, gereizt, durch inneres Unbehagen bedingt und es konnte keinem Zweifel unterliegen, daß er fortgesetzt von lebhaften und peinlichen Sinnestäuschungen beeinflußt war und dieselben in wahnhafter Weise verarbeitete. Wie der Patient jeden Verkehr schroff abwies und immer wieder verlangte, daß man ihn allein lasse, ja das ganze Haus räume, weil durch die Anwesenheit des Pflegers p. p. die Allmacht Gottes verhindert werde, er aber »Gottesfrieden« haben wolle, wies er auch die Aufnahme der Nahrung zurück, so daß sie ihm eingeflößt werden mußte, oder nahm nur einzelne leichte Speisen, während er Fleisch ganz zurückwies, und nur mit Mühe gelang es, ihn allmählich zu regelmäßigerem Essen zu bewegen. Zugleich hielt er den Stuhl anscheinend absichtlich zurück, solange er irgend konnte, und es kam infolgedessen sogar zu Verunreinigungen.Ihre wahre Erklärung finden die angeblichen Verunreinigungen in demjenigen, was in Kap. XVI der Denkwürdigkeilen am Ende bemerkt ist. Ebenso war es längere Zeit unmöglich, ihn zu einer Beschäftigung, zu einer Lektüre zu überreden, letztere wies er namentlich um deswillen zurück, weil jedes Wort, was er lese, in der ganzen Welt ausposaunt werde. Er klagte öfters darüber, daß ein »Strahlenverlust« stattfinde, daß der Arzt »Strahlen nachlässig abgegeben« habe, ohne näher zu erklären, was er darunter verstehe.

Im November 1894 löste sich die starre Haltung des Patienten ein wenig, er ging etwas mehr aus sich heraus, wurde beweglicher, äußerte sich, wenn auch immer kurz und gewissermaßen stoßweise, in zusammenhängender Rede und es trat nun unverhüllter die wahnhaft, phantastische Verarbeitung der ihn fortdauernd heimsuchenden Halluzinationen hervor; er fühlte sich durch gewisse ihm von früher her bekannte Personen (Flechsig, v. W...), die er hier anwesend glaubte, beeinträchtigt, wähnte von denselben die Welt verändert, die Allmacht Gottes zerstört, sich durch deren Fluchen getroffen, behauptete, daß sie ihm die Gedanken aus dem Körper zögen u. dergl. Während er eine Lektüre fortdauernd zurückwies, malte er öfter stenographische Zeichen auf Papier, beschäftigte sich hin und wieder mit einem Geduldspiel und schien den Vorgängen in seiner Umgebung etwas mehr Beachtung zu schenken.

Ganz allmählich steigerte sich nun weiterhin die Erregung des Kranken, störte den bis dahin leidlichen Schlaf und machte sich nach außen hin namentlich durch lautes und anhaltendes, gewissermaßen anfallsweise auftretendes Lachen (sowohl bei Tag als bei Nacht) und durch heftiges Trommeln auf dem Klavier in recht störender Weise Luft. Daß dieses sehr auffällige Gebaren als Reaktion auf Sinnestäuschungen, beziehentlich aus ihnen hervorgehenden Wahnideen aufzufassen war, lehrten manche Äußerungen des Patienten, die Welt sei zugrunde gegangen, alles, was er um sich sehe, sei nur Schein, er selbst und die ihn umgebenden Personen seien nur wesenlose Schatten. Gleichzeitig hing er auch jetzt noch hypochondrischen Ideen nach, äußerte u. a., sein Körper sei ganz verändert, eine Lunge sei ganz verschwunden, er könne kaum noch soviel Atem holen, um am Leben zu bleiben.

Weiterhin wurden namentlich die Nächte immer ruheloser, zugleich vollzog sich aber in seinem Wesen insofern eine Änderung, als die anfängliche fortgesetzt starre, direkt ablehnende und negativistische Haltung gewissermaßen einem Dualismus Platz machte. Einesteils wurde die Reaktion gegen die Halluzinationen immer geräuschvoller und intensiver, im Garten pflegte der Kranke lange Zeit regungslos auf einer Stelle zu stehen, gerade in die Sonne zu blicken, dazu die seltsamsten Grimassen zu schneiden oder überlaut, oft geradezu brüllend die Sonne mit Droh- und Schimpfworten anzuschreien, gewöhnlich ein und dieselbe Phrase unzählige Male zu wiederholen, ihr zuzurufen, daß sie sich vor ihm fürchte, vor ihm, dem Senatspräsidenten Schreber, sich verkriechen müsse, bezeichnete sich auch wohl als Ormuzd. Oder er erging sich in seiner Stube in derartigem Toben, haranguierte einige Zeit lang den »Seelenmörder« Flechsig, wiederholte endlos »kleiner Flechsig«, das erste Wort scharf betonend, oder schrie, und zwar auch nachts, aus seinem Fenster Schimpfworte und ähnliches mit solcher Kraftanstrengung hinaus, daß die Leute in der Stadt sich ansammelten und Klagen über die Störung laut wurden. Andererseits war er gegenüber den Ärzten und sonstigen Personen, auch wenn sie ihn bei solchen lärmenden Szenen überraschten, nunmehr um vieles höflicher und zugänglicher, gab, wenn auch reserviert und etwas von oben herab, auf einfache Fragen nach dem Befinden usw. entsprechende Antwort, erwähnte von den ihm heimsuchenden Belästigungen nichts und vermochte sich für eine Weile recht wohl zu beherrschen, fing nun auch an, sich eingehender mit Lektüre, wie schon früher mit Schach- und Klavierspiel zu beschäftigen.

Inzwischen steigerte sich das nächtliche Lärmen immer mehr und die in immer stärkerer Dosis angewendeten Schlafmittel vermochten keine ausreichende Abhilfe zu bringen, so daß man sich, da die Arzneimittel aus Besorgnis vor Schaden nicht weiter gesteigert werden konnten, die ganze Abteilung aber durch die fortgesetzten nächtlichen Störungen in empfindlicher Weise in Mitleidenschaft gezogen wurde, im Juni 1896 gezwungen sah, den Kranken während der Nacht in einen abgelegeneren Isolierraum unterzubringen und diese Maßnahme eine Reihe von Monaten hindurch fortzusetzen.Wegen der Zeitangabe vergl. S. [224–226, 228] (2½ Jahre). Der Patient war über dieselbe zwar irritiert, ließ sie sich aber ohne erhebliches Widerstreben gefallen, anscheinend in dem Gefühle des Krankhaften seines Gebarens und der außerordentlichen, fast unerträglichen Belästigung der Umgebung durch dasselbe.

Geraume Zeit hindurch zeigten sich nun in dem physischen Verhalten des Patienten nur geringe Veränderungen, das eigentümliche überlaute forcierte Lachen und das monotone Ausstoßen oft sehr unverständiger Schimpfreden in endloser Wiederholung (z. B. »die Sonne ist eine Hure« u. dgl.), die gewissermaßen als Gegenmittel gegen die Halluzinationen und Gefühlsstörungen (Kreuzschmerzen pp.) zu dienen schienen, dauerten fort, der Schlaf blieb bei nunmehr regelmäßiger und reichlicher Nahrungsaufnahme und zunehmender Leibesfülle sehr mangelhaft, und schon damals machten sich Andeutungen von einer eigentümlichen Wahnidee geltend, die sich später weiterentwickelt hat: Der Kranke wurde häufig halb entblößt in seiner Stube getroffen, meinte, daß er schon weibliche Brüste habe, beschäftigte sich gern mit der Betrachtung von Abbildungen nackter Frauengestalten, zeichnete wohl auch solche und ließ sich den Schnurrbart entfernen.

Insofern indes konnte etwa seit dem Frühjahr 1897 eine Wandlung bei dem Patienten wahrgenommen werden, als er mit seiner Gattin und anderen Angehörigen in lebhaften Briefwechsel trat, wobei nicht übersehen werden konnte, daß die Briefe korrekt und gewandt geschrieben waren und kaum etwas Krankhaftes, vielmehr eine gewisse Krankheitseinsicht insofern erkennen ließen, als er sich darüber ausließ, daß er sehr beängstigt gewesen sei, sich zu keiner Beschäftigung habe aufraffen können, daß es aber jetzt viel besser gehe und er dankbar sei, sich so viel anregende Unterhaltung schaffen zu können p. p., während dabei doch das alte Schimpfen, Lachen, Schreien fortging, und die nächtliche Isolierung sich nicht entbehren ließ.

Wenn der Patient auch weiterhin zu eingehenderer Unterhaltung wenig geneigt schien und bei dem Versuch einer solchen bald Unruhe und Ungeduld verriet, das Gesicht zu grimassieren anfing, eigentümliche kurze Interjektionen ausgestoßen wurden und man es ihm ansah, daß er die Unterredung bald beendigt zu sehen wünschte, so wurde doch nun die Beschäftigung des Patienten eine vielseitigere und anhaltendere und man begriff oft kaum, wie er bei den fortdauernden, offenbar intensiven halluzinatorischen Belästigungen Ruhe und Sammlung genug zu solcher geistigen Tätigkeit zu finden, über die mannigfaltigsten Gegenstände sich in sachgemäßer Weise zu äußern und auch sonst in einer die krankhaften Momente zeitweilig verdeckenden Weise sich zu beherrschen vermochte. Auch die nächtlichen lärmenden Ausbrüche milderten sich nach und nach, so daß der Kranke sein gewöhnliches Schlafzimmer wieder in Gebrauch nehmen und mit einiger medikamentöser Nachhilfe in demselben verbleiben konnte. –

Ohne noch weiter auf alle Einzelheiten des Krankheitsverlaufes einzugehen, sei nur darauf hingewiesen, wie in der Folge aus der anfänglichen akuteren, das gesamte psychische Geschehen unmittelbar in Mitleidenschaft ziehenden Psychose, die als halluzinatorischer Wahnsinn zu bezeichnen war, immer entschiedener das paranoische Krankheitsbild sich hervorhob, so zu sagen herauskristallisierte, das man gegenwärtig vor sich hat.

Dieses Krankheitsbild charakterisiert sich bekanntlich dadurch, daß neben einem mehr oder weniger fixierten folgerichtig ausgebauten Wahnsystem völlige Besonnenheit und Orientiertheit bestehen, die formale Logik enthalten ist, erhebliche gemütliche Reaktion fehlt, die Intelligenz, das Gedächtnis keine erhebliche Einbuße erlitten haben und die Auffassung und Beurteilung indifferenter, d. h. den dominierenden krankhaften Vorstellungen fernliegender Dinge nicht unmittelbar beeinträchtigt erscheinen, obschon sie natürlich bei der Einheitlichkeit alles psychischen Geschehens von ihm nicht unberührt bleiben können.

So erscheint zur Zeit Herr Senatspräsident Dr. Schreber abgesehen von den selbst für den flüchtigen Beobachter unmittelbar als krankhaft sich aufdrängenden psychomotorischen Symptomen, weder verwirrt, noch psychisch gehemmt, noch in seiner Intelligenz merklich beeinträchtigt, – er ist besonnen, sein Gedächtnis vorzüglich, er verfügt über ein erhebliches Maß von Wissen, nicht nur in juristischen Dingen, sondern auch auf vielen andern Gebieten und vermag es in geordnetem Gedankengang wiederzugeben, er hat Interesse für die Vorgänge in Politik, Wissenschaft, Kunst usw. und beschäftigt sich fortgesetzt mit ihnen (obschon er neuerdings von diesem Interesse wieder mehr abgelenkt erscheint), und wird in den angedeuteten Richtungen dem von seinem Gesamtzustande nicht näher unterrichteten Beobachter kaum viel Auffälliges wahrnehmen lassen. Bei alledem ist der Patient von krankhaft bedingten Vorstellungen erfüllt, die sich zu einem vollständigen System geschlossen haben, mehr oder weniger fixiert sind und einer Korrektur durch objektive Auffassung und Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse nicht zugänglich erscheinen. Letzteres um so weniger, als bei ihm halluzinatorische und illusorische Vorgänge fortgesetzt eine bedeutsame Rolle spielen und die normale Verwertung der Sinneseindrücke verhindern. Der Patient spricht diese krankhaft gearteten Ideen für gewöhnlich nicht oder nur andeutungsweise aus, wie sehr er aber von ihnen okkupiert wird, ergibt sich teils ohne weiteres aus manchen schriftlichen Auslassungen (von denen einige im Auszug beigefügt werden), teils läßt es sich aus seinem Gebaren leicht erschließen.

Das Wahnsystem des Patienten gipfelt darin, daß er berufen sei, die Welt zu erlösen und der Menschheit die verlorengegangene Seligkeit wiederzubringen. Er sei, so behauptet er, zu dieser Aufgabe gekommen durch unmittelbar göttliche Eingebungen, ähnlich, wie dies von den Propheten gelehrt wird; gerade aufgeregtere Nerven, wie es die seinigen so lange Zeit hindurch gewesen seien, hätten nämlich die Eigenschaft, anziehend auf Gott zu wirken, es handle sich dabei aber um Dinge, die sich entweder gar nicht oder doch nur sehr schwer in menschlicher Sprache ausdrücken lassen, weil sie außerhalb aller menschlichen Erfahrung lägen und eben nur ihm offenbart seien. Das Wesentlichste bei seiner erlösenden Mission sei, daß zunächst seine Verwandlung zum Weibe zu erfolgen habe. Nicht etwa, daß er sich zum Weibe verwandeln wolle, es handle sich vielmehr um ein in der Weltordnung begründetes »Muß«, dem er schlechterdings nicht entgehen könne, wenn es ihm persönlich auch viel lieber gewesen wäre, in seiner ehrenvollen männlichen Lebensstellung zu verbleiben, das Jenseits sei aber nun einmal für ihn die ganze übrige Menschheit nicht anders wieder zu erobern als durch eine ihm vielleicht erst nach Ablauf vieler Jahre oder Jahrzehnte bevorstehende Verwandlung in ein Weib im Wege göttlicher Wunder. Er sei, das stehe für ihn fest, der ausschließliche Gegenstand göttlicher Wunder, somit der merkwürdigste Mensch, der je auf Erden gelebt habe, seit Jahren, in jeder Stunde und in jeder Minute erfahre er diese Wunder an seinem Leibe, erhalte sie auch durch die Stimmen, die mit ihm sprächen, bestätigt. Er habe in den ersten Jahren seiner Krankheit Zerstörungen an einzelnen Organen seines Körpers erfahren, die jedem anderen Menschen längst den Tod hätten bringen müssen, habe lange Zeit gelebt ohne Magen, ohne Därme, fast ohne Lungen, mit zerrissener Speiseröhre, ohne Blase, mit zerschmetterten Rippenknochen, habe seinen Kehlkopf manchmal zum Teil mit aufgegessen usf., göttliche Wunder (»Strahlen«) aber hätten das Zerstörte immer wieder hergestellt und er sei daher, solange er ein Mann bleibe, überhaupt nicht sterblich. Jene bedrohlichen Erscheinungen seien nun längst verschwunden, dafür sei in den Vordergrund getreten seine »Weiblichkeit«, wobei es sich um einen Entwicklungs-Prozeß handle, der wahrscheinlich noch Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte zu seiner Vollendung beanspruche und dessen Ende schwerlich einer der jetzt lebenden Menschen erleben werde. Er habe das Gefühl, daß bereits massenhafte »weibliche Nerven« in seinen Körper übergegangen seien, aus denen durch unmittelbare Befruchtung Gottes neue Menschen hervorgehen würden. Erst dann werde er wohl eines natürlichen Todes sterben können und sich wie allen Menschen die Seligkeit wieder erworben haben. Einstweilen sprächen nicht nur die Sonne, sondern auch die Bäume und die Vögel, die so etwas wie »verwunderte Reste früherer Menschenseelen« seien, in menschlichen Lauten zu ihm und überall geschähen Wunderdinge um ihn her.

Es bedarf wohl nicht des weiteren Eingehens auf alle Einzelheiten dieser wahnhaften Ideen, die übrigens mit bemerkenswerter Klarheit und logischer Schärfe entwickelt und motiviert werden, – die angeführten Auslassungen dürften genügen, um einen Begriff von dem Inhalt des bei dem Patienten vorhandenen Wahnsystems und von seiner krankhaft veränderten Weltanschauung zu geben, und es sei nur noch darauf hingewiesen, daß auch in dem Benehmen des Kranken, in dem Glattrasieren des Gesichts, in seiner Freude an weiblichen Toilettengegenständen, an kleinen weiblichen Hantierungen, in der Neigung, sich mehr oder weniger zu entblößen und im Spiegel zu betrachten, sich mit bunten Bändern, Schnüren pp. in weiblicher Art zu schmücken, die eigenartige pathologische Richtung seiner Vorstellungen sich fortdauernd kundgibt. Gleichzeitig spielen sich die halluzinatorischen Vorgänge, wie schon aus den obigen Auslassungen hervorgeht, in unveränderter Intensität ab und sie sowohl wie gewisse krankhafte motorische Impulse geben sich in sehr auffälligen, dem Willen entzogenen automatischen Handlungen kund. Wie der Patient selbst darauf aufmerksam macht, ist er bei Tag und Nacht sehr oft gezwungen, »unnatürliche Brüllaute« auszustoßen; er versichert, daß er sie nicht zurückhalten könne, daß es sich dabei um göttliche Wunder, um übersinnliche Vorgänge handle, die von anderen Menschen nicht verstanden werden können, und so unausweichlich treten diese auf organischem Zwange beruhenden, auch für die Umgebung sehr lästiger Vociferationen auf, daß sie dem Patienten die Nachtruhe in der empfindlichsten Weise stören und den Gebrauch von Schlafmitteln zur Notwendigkeit machen.

Nur in einer Beziehung hat sich in der letzten Zeit eine Veränderung in der Haltung des Patienten ergeben. Während er früher, vielleicht in stärker ausgeprägtem Krankheitsgefühl, sein Geschick, obschon gegen die oder jene Maßnahme protestierend, im allgemeinen mit einer gewissen Resignation hinnahm, wenigstens nach außen hin dem Wunsche nach einer Wandlung seiner Lage keinen Ausdruck gab und seinen rechtlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen nur geringes Interesse zuzuwenden schien, verlangt er neuerdings mit Energie die Aufhebung seiner Vormundschaft, wünscht eine freiere Bewegung und regeren Verkehr mit der Außenwelt und erwartet in nicht zu ferner Zeit die definitive Rückkehr in die eigene Häuslichkeit. Diese Absichten nehmen ihn gegenwärtig durchaus in Anspruch und haben, wie es scheint, selbst die Geltendmachung der oben angeführten krankhaften Ideen nach außen einigermaßen in den Hintergrund gedrängt.

Ob nun infolge des oben dargelegten krankhaften psychischen Zustandes, der als Paranoia zu bezeichnen ist, Herr Senatspräsident Dr. Schreber als des Vernunftsgebrauchs im Sinne des Gesetzes beraubt anzusehen sei, unterliegt richterlicher Entscheidung, wenn aber unter dem erwähnten, der ärztlichen Anschauung fernliegenden Ausdruck zu verstehen ist, daß der betreffende Kranke durch die psychische Störung behindert ist, alle Vorgänge objektiv und unverfälscht abzufassen, sie nach Maßgabe der tatsächlichen Umstände zu beurteilen und seine Entschließungen nach unbefangener vernünftiger Überlegung in freier Willensbestimmung zu fassen, so liegt auf der Hand, daß im vorliegenden Falle in den bestehenden Sinnestäuschungen, die mit ihnen im Zusammenhange stehenden, zu einem System ausgebauten Wahnvorstellungen und den den Kranken beherrschenden zwangsmäßigen Impulsen solche Behinderung in reichlichem Maße gegeben ist und fortgesetzt obwaltet.

Der richterlichen Vernehmung des Herrn Senatspräsidenten Dr. Schreber stehen ärztlicherseits Bedenken nicht entgegen.

Vorstehendes wird von dem Unterzeichneten unter Berufung auf den von ihm geleisteten Pflichteid bezeugt.

L.S.                                           (gez.) Dr. Weber
Anstaltsbezirks- und Gerichtsarzt. Sonnenstein, d. 28. Nov. 1900.

B. Anstaltsbezirksärztliches Gutachten.

Wenn der Unterzeichnete so lange gezögert hat, das von ihm erforderte anderweite Gutachten über den Geisteszustand des Herrn Senatspräsidenten a. D. Dr. Schreber zu erstatten, so ist es geschehen, weil das physische Verhalten des Genannten seit Abgabe des ersten Gutachtens eine wesentliche Veränderung nicht erfahren hat und daher die früheren Ausführungen lediglich zu wiederholen wären, falls sich nicht nach der einen oder anderen Richtung hin neue Gesichtspunkte für die Beurteilung der Sachlage ausfindig machen ließen.

Der Unterzeichnete glaubte nun einmal solche finden zu können in den schriftlichen Aufzeichnungen, die der Patient vor einer Reihe von Monaten begonnen hat und die in der ausführlichsten Weise die Geschichte seiner vieljährigen Krankheit sowohl nach ihrer äußeren Beziehung als nach ihrer inneren Entwicklung behandeln. Es war diesen Niederschriften um so mehr Wert beizulegen, als der Patient im allgemeinen wenig geneigt ist, seine krankhaft bedingten Ideen im persönlichen Verkehr darzulegen, bei der komplizierten und subtilen Ausgestaltung dieser Ideen die mündliche Wiedergabe derselben ihm auch zugestandenermaßen Schwierigkeiten bereitet. In der Tat sind denn auch die »Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken«, wie der Verfasser seine Abhandlung bezeichnet, nicht nur vom wissenschaftlich ärztlichen Standpunkt für die Beurteilung des Gesamtcharakters der vorliegenden Krankheit wertvoll, sondern sie bieten auch manche praktisch verwertbare Anhaltspunkte für die Auffassung des bei dem Patienten wahrzunehmenden Verhaltens. Bei dem von vornherein nicht vorauszusehenden Umfange dieser »Denkwürdigkeiten« hat aber die Fertigstellung derselben erhebliche Zeit in Anspruch genommen, und erst vor kurzem hat der Unterzeichnete sie nach ihrer Vollendung in Abschrift in die Hand bekommen.

Dann aber wollte der Unterzeichnete mit Rücksicht darauf, daß im gegenwärtigen Stadium der Angelegenheit das Hauptgewicht nicht auf die klinische Darstellung und Beurteilung des zweifellos vorhandenen physischen Krankheitszustandes, sondern auf die Beantwortung der Frage zu legen ist, ob der Kranke infolge dieses Zustandes nicht imstande ist, seine Angelegenheiten – im weitesten Sinne des Worts – zu besorgen, es versuchen, eine Reihe von tatsächlichen Momenten festzustellen, auf Grund deren der Richter in der Lage wäre, in der fraglichen Richtung zu einem begründeten Urteil zu gelangen. Denn das möchte der Unterzeichnete, wie er es schon im ersten Gutachten getan hat, wiederholt betonen, daß es nicht zur Kompetenz des ärztlichen Sachverständigen gehören dürfte, darüber ein entscheidendes Urteil zu fällen, ob eine Person infolge ihrer Seelenstörung zur selbständigen Wahrnehmung ihrer Interessen fähig, im rechtlichen Sinne handlungsfähig sei oder nicht, seine Aufgabe sich vielmehr darauf zu beschränken habe, den kompetenten Stellen physische Verfassung der betreffenden Person in einer Weise darzulegen, die es ermöglicht, die rechtzeitlichen Konsequenzen daraus zu ziehen.

Wenn nun der Nachweis tatsächlicher Vorgänge verlangt wird, die den Beweis zu liefern geeignet seien, daß die zu begutachtende Person infolge ihrer Seelenstörung außerstande sei, ihre Angelegenheiten zu besorgen, beziehentlich, wie es in dem Beweisbeschlusse heißt, bei gegebener Freiheit der Verfügung durch unvernünftiges Handeln sein Leben, seine Gesundheit, sein Vermögen oder irgendwelches andere Lebensinteresse gefährden werde, so liegt es auf der Hand, daß es sehr schwer hält, ja fast unmöglich ist, solche beweisende Tatsachen beizubringen bezüglich einer Person, die seit Jahren ihres psychischen Zustandes halber in einer geschlossenen Anstalt interniert ist und demzufolge nur in sehr beschränktem Maße in der Lage ist, selbständig handelnd in die Gestaltung ihrer Verhältnisse einzugreifen. Handelt es sich um einen Geisteskranken, der in der Außenwelt und in unmittelbarem Kontakt mit den bisherigen Lebensverhältnissen sich bewegt, so werden sich in der Ausübung seines Berufes, in der Erledigung seiner geschäftlichen Angelegenheiten, im Familienleben, im geselligen Verkehr, in der Berührung mit den Behörden usw. zumeist ohne Schwierigkeit tatsächliche Vorgänge feststellen lassen, die entscheidend für die Beantwortung der Frage sind, ob der Kranke infolge seines abnormen geistigen Geschehens unzweckmäßig, unverständig und verkehrt handelt oder nicht. Anders bei dem in einer Anstalt verpflegten Kranken. Der Natur der Sache nach ist ihm die Lebensführung durch die Anstaltsordnung bis ins einzelne vorgeschrieben, die so unendlich mannigfaltigen Anforderungen des Lebens treten gar nicht an ihn heran, und wie er sich ihnen gegenüber verhalten würde, kann nur nach seinem Gesamtzustande vermutet werden. Die Probe auf das Exempel sozusagen könnte nur dadurch gemacht werden, daß man ihn eben zeitweilig jenen Anforderungen aussetzte und außerhalb des Schutzes der Anstalt stellte. In der Tat werden ja solche Proben in manchen Fällen auch gemacht – allerdings meist nur dann, wenn nach der Persönlichkeit des betreffenden Kranken auf eine etwaige Kompromittierung nicht viel ankommt – und der Unterzeichnete glaubte auch in dem vorliegenden Falle bei seiner Eigenart wenigstens in beschränktem Maße dieses Hilfsmittel in Anwendung ziehen zu sollen. Dazu aber hat es eines längeren Zeitraumes bedurft. Herr Präsident Schreber hatte bis dahin weder Neigung gezeigt, sich außerhalb der Anstalt zu bewegen, noch konnte man nach seiner bisherigen Haltung ohne erhebliche Bedenken einen derartigen Versuch ins Werk setzen. Erst nach der Anfechtung seiner Entmündigung ist einmal der Patient einem ausgiebigeren Verkehr zugänglich gemacht worden und hat erst allmählich der Wunsch in ihm angeregt werden müssen, aus der Beschränkung auf sein Innenleben herauszutreten und der Außenwelt sich wieder zu nähern. Mit Rücksicht auf mancherlei Umstände, namentlich auch die naheliegenden Besorgnisse der Angehörigen haben die in dieser Richtung gemachten Versuche nicht allenthalben so weit ausgedehnt werden können, als es beabsichtigt war, und wenn auch die regelmäßige Einnahme der Mahlzeiten an dem Familientische des Unterzeichneten, die Teilnahme an geselligen Veranstaltungen, die Ausflüge in die Umgegend, die sich auch nach Dresden in die Wohnung seiner Gattin erstreckt haben, die Ausführung kleiner Besorgungen in der Stadt, erwünschte Gelegenheit zur Beachtung der Haltung des Patienten im Verkehr mit der Außenwelt geboten haben, so sind doch bis jetzt auf diesem Wege nach der einen oder anderen Richtung hin ohne weiteres überzeugende Resultate nicht gewonnen worden; der Unterzeichnete glaubt aber nun nicht noch länger mit der Erstattung des erforderten Gutachtens Anstand nehmen zu sollen, vielmehr sich bei den bisher gemachten Beobachtungen bescheiden zu müssen.

Überschaut man den Verlauf, den die psychische Erkrankung bei Herrn Präsidenten Schreber genommen hat, so wird man bei dem gegenwärtigen Stande der Sache auf die früheren Phasen der Krankheit nicht mehr zurückzukommen haben. Ohne Zweifel haben sie erhebliche Bedeutung für die Auffassung des Gesamtbildes des pathologischen Vorgangs, wie denn jede natürliche Erscheinung nur unter Berücksichtigung ihrer Entwicklung richtig abgefaßt werden kann, und namentlich ist auch ihre Beurteilung seitens des Kranken selbst beachtlich, für die Lösung der augenblicklich vorliegenden praktischen Frage kommen aber nicht sowohl jene früheren Krankheitsstadien in Betracht, als die Zustandsform, zu denen sie im Laufe der Zeit geführt haben und die sich nunmehr als mehr oder weniger abgeschlossen der Beobachtung darbietet. Der ursprünglichen reichen Begabung des Patienten, seiner geistigen Produktivität und umfassenden Bildung entsprechend, erscheinen die Emanationen seines krankhaft veränderten psychischen Geschehens nicht, wie so häufig in sonst ähnlichen Fällen, ärmlich und monoton und in ihrem Zusammenhange leicht zu überschauen, sie stellen vielmehr ein so phantastisch ausgestaltetes, entwickeltes, zugleich von den gewohnten Gedankengängen so sehr abweichendes Ideengebilde dar, daß es kaum möglich ist, es in kurzen Zügen wiederzugeben, ohne es in seinem inneren Zusammenhange unverständlich zu machen und die Erkenntnis seiner spezifischen Bedeutung zu erschweren. Aus diesem und aus einem später noch zu erwähnenden Grunde halte ich es für zweckmäßig, dem Königlichen Landgerichte mit der ergebenen Bitte um spätere Rückgabe, die »Denkwürdigkeiten« des Patienten in ihrem vollen Umfange zur Einsichtnahme zur Verfügung zu stellen und glaube, daß sich aus denselben dem Richter auch ohne Kommentar ohne weiteres der psychische Zustand des Verfassers klar ergeben werde.

Daß in früheren Phasen des Krankheitsverlaufs der Patient völlig handlungsunfähig und nicht imstande gewesen ist, seine Angelegenheiten zu besorgen oder auch nur sein Interesse ihnen zuzuwenden, liegt nach den damals gemachten Beobachtungen auf der Hand und geht auch aus der eigenen Schilderung des Kranken unzweideutig hervor. Der Patient war lange Zeit hindurch so sehr von den krankhaften Vorgängen seines Seelenlebens in Anspruch genommen, seine Auffassung der Dinge war so ausschließlich bedingt durch halluzinatorische Vorspiegelungen, er war so vollständig desorientiert bezüglich der Zeit, der Personen und Örtlichkeiten, an Stelle der Wirklichkeit war in solchem Umfange eine völlig phantastische verfälschte Erscheinungswelt getreten, sein Gemütsleben war soweit abgelenkt von allem natürlichen Geschehen, seine Willenstätigkeit entweder so gehemmt und gebunden oder so sehr auf die Abwehr krankhafter Bedrängnisse gerichtet, seine Handlungen endlich waren so widersinnig und bedenklich, ebenso bezüglich der Erhaltung der eigenen Persönlichkeit wie hinsichtlich der Beziehungen zur Außenwelt, daß von freier Selbstbestimmung und vernünftiger Überlegung nicht die Rede sein konnte, der Kranke vielmehr vollständig unter dem Zwange übermächtigter krankhafter Einflüsse stand.

Im früheren Gutachten ist nun schon ausgeführt, wie das akute Irresein bei dem Herrn Präsidenten Dr. Schreber nach und nach in einen chronischen Zustand übergegangen ist, wie sich aus den stürmisch bewegten Wogen des halluzinatorischen Wahnsinnes sozusagen ein Sediment von wahnhaften Vorstellungen abgesetzt und fixiert hat und dem Krankheitsbilde das Gepräge der Paranoia aufgedrückt hat. Indem die begleitenden mächtigen Affekte sich allmählich abschwächten und die Fälle der halluzinatorischen Vorgänge ihren verwirrenden und unmittelbar überwältigenden Einfluß einbüßten, vermochte der Kranke sich gewissermaßen mit ihnen abzufinden und den Weg zu geordneterem psychischen Geschehen wiederzufinden. Nicht daß er die wahnhaften Erzeugnisse seiner krankhaft veränderten Sinnestätigkeit und die darauf sich aufbauenden Kombinationen als solche erkannt und anerkannt, nicht daß er sich über die Subjektivität seiner Anschauungen erhoben hätte und zu objektiverer Beurteilung der Vorgänge gelangt wäre, – dazu war er nicht imstande, weil eben die Sinnestäuschungen fortdauerten und auf ihrem Boden die Wahnvorstellungen immer aufs neue sich festigen mußten, – aber mit dem Schwinden der starken Affektbetonung, mit der Wiederkehr der Besonnenheit und Orientierungsfähigkeit vollzog sich eine gewisse Scheidung in der Gesamtheit der Vorstellungen, das vorwaltend krankhaft veränderte Gebiet des Seelenlebens grenzte sich von dem übrigen schärfer ab, und wenn auch bei der organisch gegebenen Einheitlichkeit alles psychischen Geschehens ein Intaktbleiben dieser Gebiete nicht denkbar ist, vielmehr ein Hinübergreifen anscheinend partieller Störung auf die Gesamtheit der psychischen Funktionen unvermeidlich ist, so konnte es doch, wie so gewöhnlich bei der Paranoia, auch in diesem Falle geschehen, daß nach Ablauf der akuten Krankheitserscheinungen gewisse Kreise des Empfindens und Denkens relativ wenig berührt von den krankhaften Veränderungen sich zeigten, daß namentlich die intellektuelle Leistungsfähigkeit keine erhebliche Einbuße wahrnehmen ließ, die Assoziation der Vorstellungen in formaler Hinsicht regelrecht vonstatten zu gehen schien und das Urteil über diejenigen Dinge und Verhältnisse, die von den festgehaltenen, in ein abgeschlossenes System gebrachten Wahnideen fernab lagen, zumeist als ungetrübt und zutreffend sich erwies.

Daß mit dieser Veränderung des Krankheitscharakters der Gesamtzustand eine wirkliche Besserung erfahren habe, kann nicht ohne Einschränkung gesagt werden, so sehr auch der äußere Anschein dafür sprechen mag, man könnte sogar das Gegenteil annehmen: – so lange die akuten Krankheitserscheinungen andauerten, durfte man an der Hoffnung auf einen günstigen Ausgang des Krankheitsprozesses festhalten, jetzt, wo man es mit dem fixierten Ergebnis dieses Prozesses zu tun hat, wird jene Hoffnung hinfällig. Es fehlt dann auch ganz, wie schon eben gesagt, das wichtigste Kriterium der Besserung beziehentlich Genesung, die mehr oder weniger klare Einsicht in die krankhafte Natur der früheren Vorgänge, – Herr Präsident Dr. Schreber läßt zwar offen, ob diese oder jene von seinen Wahrnehmungen auf Täuschung zurückzuführen sein mögen, im wesentlichen aber hält er an der Realität seiner Wahngebilde durchaus fest und erklärt die ungeheuerlichsten von ihm beschriebenen Vorgänge für Tatsachen.

Das komplizierte Wahnsystem des Kranken hat zum Ausgangspunkt eine ganz eigenartige Auffassung von dem Wesen Gottes

(folgt eine Darstellung dieses »Wahnsystems« in der Form eines gedrängten Auszugs aus den Denkwürdigkeiten; diese kann hier wegbleiben, da dem Leser die Denkwürdigkeiten selbst vorliegen).

Man sieht schon aus diesem kurzen Abriß, namentlich aber aus den Schilderungen des Patienten selbst, wie sehr er in seinem ganzen Empfinden und Denken auch jetzt unter dem Einfluß von Sinnestäuschungen und Wahnvorstellungen steht und in welchem Maße sie sein Tun und Lassen bestimmen, ihn teils zur Abwehr, teils aber auch zur schrankenlosen Hingabe an die pathologischen Vorgänge veranlassen, und in welchem Umfange vor allem seine ganze Welttäuschung, sein Urteil über Menschen und Dinge durch sie bedingt wird. Es erübrigt nur, soweit möglich, im einzelnen festzustellen, inwiefern und inwieweit der krankhafte Zustand in den Beziehungen des Patienten zur Außenwelt und den Anforderungen des alltäglichen Lebens gegenüber sich geltend macht und maßgebend ist.

Zunächst ist wiederholt auszusprechen, daß bei dem Patienten, wie so häufig bei Paranoikern, die Intelligenz und die formal logische Gedankenknüpfung eine erhebliche Beeinträchtigung nicht erlitten zu haben scheinen, der Kranke über einen großen Besitz von Vorstellungen verfügt und sie in geordneter Weise zu äußern vermag, ebenso auch seine Besonnenheit ungetrübt ist. Der Unterzeichnete hat seit ¾ Jahren bei Einnahme der täglichen Mahlzeiten am Familientische ausgiebigste Gelegenheit gehabt, mit Herrn Präsidenten Schreber über alle möglichen Gegenstände sich zu unterhalten. Welche Dinge nun auch – von seinen Wahnideen natürlich abgesehen – zur Sprache gekommen sind, mochten die Vorgänge im Bereiche der Staatsverwaltung und Justiz, der Politik, der Kunst und Literatur, des gesellschaftlichen Lebens oder was sonst berühren, überall bekundete Dr. Schreber reges Interesse, eingehende Kenntnisse, gutes Gedächtnis und zutreffendes Urteil und auch in ethischer Beziehung eine Auffassung, der nur beigetreten werden konnte. Ebenso zeigte er sich in leichter Plauderei mit den anwesenden Damen nett und liebenswürdig und bei humoristischer Behandlung mancher Dinge immer taktvoll und dezent, niemals hat er in die harmlose Tischunterhaltung die Erörterung von Angelegenheiten hineingezogen, die nicht dort, sondern bei der ärztlichen Visite zu erledigen gewesen wären. Übersehen hat man dabei allerdings nicht können, daß der Patient auch während der Tischzeit öfters präokkupiert erschien, seine Aufmerksamkeit abgelenkt war und er das, was um ihn her vorging, nicht vollständig apperzipierte, so geschah es wiederholt, daß er einen Gegenstand aufs Tapet brachte, der eben erst besprochen worden war. Diese Präokkupation prägt sich dann auch deutlich in dem Wesen des Patienten aus, – er blickt entweder starr vor sich hin oder bewegt sich unruhig auf dem Stuhle hin und her, grimassiert in eigentümlicher Weise, räuspert sich mehr oder weniger laut, greift sich im Gesicht herum und ist namentlich bemüht, die Augenlider in die Höhe zu schieben, die nach seiner Meinung ihm »zugewundert« d. h. wider seinem Willen geschlossen werden. Offenbar kostet es ihm oft die größte Anstrengung, sich des Ausstoßens der »Brüllaute« zu enthalten und alsbald nach Beendigung der Tafel, noch unterwegs nach seinem Zimmer, hört man ihn dann diese unartikulierten Laute von sich geben.

Die durch halluzinatorische Vorgänge bedingte Ablenkung der Aufmerksamkeit und die infolgedessen auftretende auffällige Reaktion macht sich auch bei sonstigen Gelegenheiten störend geltend. Bei Ausflügen in die Umgegend, bei Teilnahmen an einigen festlichen Veranstaltungen, bei einem Besuch des Theaters hat der Kranke zwar laute Ausbrüche hintanhalten können, zeitweise hat er sich aber doch, wie an den heftigen Gesichtsverzerrungen, dem Brummen, Räuspern, kurzem Auflachen und der ganzen Haltung erkenntlich, sehr geniert gefühlt, ja während eines Besuches bei der Gattin in Dresden die Laute auch bei Tisch nicht ganz unterdrücken können, so daß dem Dienstmädchen ein Wink hat gegeben werden müssen, nicht darauf zu achten, und er hat, obgleich der Besuch sich nur auf wenige Stunden erstreckte, auffallend zur Rückfahrt nach der Anstalt gedrängt.

Doch nicht nur in gesellschaftlicher, sondern auch in anderer Beziehung dürfte die Beeinflussung durch die pathologischen Vorgänge störend wirken. Das Königl. Amtsgericht zu Dresden hat in seiner Begründung der Entmündigung u.a. angeführt, daß p. Schreber recht wohl imstande sein würde, eine schwierige gerichtliche Verhandlung zu leiten usw. Das muß indes bezweifelt werden, – wie der Patient selbst hervorhebt, daß er durch die (vermeintlich absichtlich herbeigeführten) »Störungen« verhindert werde, sich längere Zeit einer ernsteren anstrengenden geistigen Arbeit zu widmen, und auch bei der Vernehmung geäußert hat, daß er es nicht für möglich halte, seinen Beruf ferner auszuüben, da die in ihm sich vollziehenden Wunder ihn zu zerstreuen versuchten, so erweist sich auch dem Beobachter seine Haltung fortdauernd derart, daß an volle geistige Freiheit und Konzentration voraussetzende Leistungen wie die obenerwähnten nicht wohl wird gedacht werden können.

Nach außen hin am störendsten machen sich seit langer Zeit die von dem Patienten selbst sogenannten Brüllzustände bemerklich, d. h. das Ausstoßen teils von unartikulierten Lauten, teils von Drohungen und Schimpfreden gegen imaginäre Störer seines Behagens (Flechsig pp.). Diese lärmenden Ausbrüche vollziehen sich durchaus gegen den Willen des Kranken automatisch und zwangsmäßig. Er kann sie zwar – obschon nicht immer – zeitweilig durch lebhaftes Sprechen, Musizieren im Fortissimo und mancherlei sonstige Kunstgriffe unterdrücken, aber nicht nur während eines großen Teiles des Tages ertönen sie in seinem Wohnzimmer wie im Garten zu nicht geringer Belästigung der Umgebung, sondern auch nachts werden sie nicht selten stundenlang zu einer unerträglichen Störung der Ruhe in der ganzen Abteilung, ja auch in die Stadt hinab schreit er manchmal rücksichtslos. Gerade neuerdings treten diese Vociferationen in ganz besonders heftiger Weise auf, und wie der Patient selbst darunter leidet, wie sehr er sich diesen »Wundern« gegenüber hilflos und machtlos fühlt und zu den unzweckmäßigsten Gegenmaßregeln genötigt wird, möge der anliegende Brief erhärten. Zu solchen Maßregeln gehört u.a. auch, daß der Kranke (wohl um die oft erwähnte Seelenwollust hervorzurufen) sich halbnackt im Zimmer umherbewegt, beziehentlich in einem mit bunten Bändern geschmückten weit ausgeschnittenen Unterhemd vor den Spiegel stellt und seinen vermeintlich weiblich gestalteten Busen betrachtet. Er setzt sich durch dieses Gebaren (früher streckte er auch zuweilen die nackten Beine zum Fenster hinaus) Erkältungen aus, deren Folgen er dann wiederum als Wunder auffaßt. Die Absicht, sich zu schaden, hat er übrigens nicht, wie er denn auch an Selbstmord schon um deswillen nicht mehr denkt, weil er glaubt, daß selbst die denkbar schwersten Verletzungen seines Körpers ihm nichts anhaben können.

Nun hegt zwar der Kranke die Meinung, daß diese Brüllzustände sich nach dem eventuellen Verlassen der Anstalt vielleicht günstiger gestalten möchten, jedenfalls aber glaubt er die durch sie nach außen hin sich ergebenden, in einem sonst noch bewohnten Hause gar nicht zu duldenden Ruhestörungen dadurch vermeiden zu können, daß er sich eine isolierte Wohnung in einem Garten sucht, – wie aber die erstere Meinung natürlich eine illusorische ist, so fällt es sehr auf, daß der Patient in krankhaft gesteigertem Egoismus gar nicht daran denkt, wie sehr seine Gattin unter diesem Treiben zu leiden haben, ja ein eheliches Zusammenleben mit ihm ihr fast unmöglich gemacht werden würde, ganz abgesehen davon, daß er auch die Belästigung seiner jetzigen Umgebung als irrelevant ansieht und nur sich über sein Mißbehagen beklagt.

Die Beeinträchtigung der ehelichen Gemeinschaft durch die bestehende Krankheit macht sich nach den Mitteilungen der Gattin auch sonst bemerkbar. Wie der Kranke schon früher mit Rücksicht auf seine dereinstige Entmannung seiner Frau eine ev. Scheidung anheimgegeben hat, so ist er bei etwaigen Einwendungen und Widersprüchen derselben gegen seine Ideen und seine Gebaren auch jetzt nach ihrer Angabe alsbald mit der Andeutung bei der Hand, daß sie sich dann ja von ihm trennen könne. Also auch in dieser Beziehung ist der Zwang der krankhaften Vorgänge nicht zu übersehen.

Ob der Kranke, der von ihm erstrebten Selbständigkeit wiedergegeben, seinen Vermögensverhältnissen genügende Aufmerksamkeit zuwenden und sie bei seinem Verhalten stets berücksichtigen werde, kann mit Sicherheit kaum vorausgesetzt werden, da er eben seit langer Zeit natürlich keine Gelegenheit gehabt hat, in irgend erheblichen Geldsachen selbständig zu handeln. Soweit die Beobachtung in dieser Richtung reicht, hat der Kranke weder besondere Sparsamkeit noch Neigung zur Verschwendung erkennen lassen, überhaupt bei Befriedigung seiner Bedürfnisse nach dem Geldpunkt nicht weiter gefragt, während er bei Wahrung der Rechte der Familie bezüglich des Verlags des von seinem Vater herausgegebenen Buchs, soweit ersichtlich, ganz sachgemäß vorgegangen ist. Gegenüber der ihm zugefallenen großen Mission treten freilich offenbar die pekuniären Interessen bei ihm sehr in den Hintergrund, und es wird als zweifelhaft zu bezeichnen sein, inwiefern etwa das Streben nach Erfüllung der am Schlusse seiner Denkwürdigkeiten ausgesprochenen krankhaft bedingten Zukunftswünsche und Zukunftshoffnungen und nach Sicherung seines nur unter besonderen Voraussetzungen zu erreichenden Wohlbehagens Anlaß zu unverhältnismäßigen materiellen Opfern geben könnte.

Das wichtigste Moment bei der Beurteilung der Handlungsfähigkeit des Patienten ist und bleibt immer die Tatsache, daß ihm die Einsicht in die krankhafte Natur der ihn bewegenden Eingebungen und Vorstellungen abgeht, daß alles das, was der objektiven Beobachtung als Sinnestäuschungen und Wahnideen sich darstellt, für ihn unumstößlich Wahrheit und vollberechtigtes Motiv zum Handeln ist. Es liegt dieser Tatsache gegenüber auf der Hand, daß es ganz unberechenbar ist, wie einmal im gegebenen Moment die Entschließung des Kranken ausfällt, ob sie nach Maßgabe des relativ intakt gebliebenen Vorstellungsinhalts oder unter dem Zwange jener krankhaften psychischen Vorgänge erfolgt und in Handlungen umgesetzt wird. – Auf ein sehr prägnantes Beispiel in dieser Richtung möchte ich noch besonders aufmerksam machen und füge namentlich auch deshalb die »Denkwürdigkeiten« des Patienten bei. Es ist erklärlich, daß letzterer das Bedürfnis gehabt hat, die Geschichte seiner letzten Lebensjahre zu beschreiben, seine Wahrnehmungen und seine Leiden schriftlich zu fixieren und sie denen vorzulegen, die in der einen oder anderen Beziehung ein berechtigtes Interesse an der Gestaltung seines Geschickes haben. Nun hegt aber der Kranke den dringenden Wunsch, seine »Denkwürdigkeiten« (so wie sie hier vorliegen) drucken zu lassen und weitesten Kreisen zugänglich zu machen und verhandelt deshalb, bis jetzt natürlich vergeblich, mit einem Verleger. Überblickt man den Inhalt seiner Schrift, berücksichtigt man die Fülle der Indiskretionen, die in bezug auf ihn und andere in ihr enthalten sind, die ungenierte Ausmalung der bedenklichsten und ästhetisch geradezu unmöglichen Situationen und Vorgänge, die Verwendung der anstößigsten Kraftausdrücke usw., so würde man es ganz unverständlich finden, daß ein Mann, der sich sonst durch Takt und Feingefühl ausgezeichnet hat, eine ihn vor der Öffentlichkeit so schwer kompromittierende Handlung beabsichtigen könne, wenn eben nicht seine Weltanschauung krankhaft verfälscht, wenn ihm nicht das Augenmaß für die tatsächlichen Verhältnisse abhanden gekommen wäre und die durch den Mangel an Einsicht in seinen Krankheitszustand herbeigeführte Überschätzung der überwiegenden Bedeutung seiner eigenen Persönlichkeit den Blick für die dem Menschen in der Gesellschaft gezogenen Schranken getrübt hätte.

Mit den vorstehenden Ausführungen, sowie den angeführten Beilagen glaube ich mich begnügen zu dürfen. Das darin gegebene tatsächliche Material ist, obschon aus den oben erwähnten Gründen nicht vollständig, doch im wesentlichen ausreichend und die Sachlage zeichnet sich in ihren Umrissen so deutlich ab, daß dem Richter meines Erachtens die erforderlichen Unterlagen zur Entscheidung darüber geboten sind, ob und in welchem Maße die zur Zeit noch bestehenden Sinnestäuschungen und zu einem System verarbeiteten Wahnideen bei dem Herrn Präsidenten Dr. Schreber die freie Selbstbestimmung beeinträchtigen, einen Zwang auf sein Denken, Wollen und Handeln ausüben, ihn in seiner Stimmung und Haltung maßgebend beeinflussen, und ob danach die bestehende Geisteskrankheit nach Umfang und Intensität erheblich genug ist, um den Kranken an der Besorgung seiner Angelegenheiten im weitesten Sinne des Wortes zu verhindern.

Geheimer Medizinalrat Dr. Weber,
Anstalts-, Bezirks- und Gerichtsarzt.

C. Berufungsbegründung.

Zur Begründung der von mir eingelegten Berufung bemerke ich folgendes:

I. Den Tatbestand des angefochtenen Urteils betreffend.

Der Tatbestand des angefochtenen Urteils enthält im wesentlichen nichts weiter als eine Wiedergabe des von meinem Rechtsanwalte seinerzeit bei dem Prozeßgerichte eingereichten Schriftsatzes vom 16. Mai 1900. Mit dem Inhalte dieses Schriftsatzes konnte ich mich, wie mittelst Briefes vom 24. Mai 1900 geschehen, im allgemeinen einverstanden erklären, wennschon ich einzelne juristische Ausführungen meines Rechtsanwaltes, z. B. die unter 1 des Tatbestandes und unter 2 des Schriftsatzes selbst nicht für zutreffend zu erachten vermochte. Was ich in dem Schriftsatz als richtig anzuerkennen habe, ist zum nicht geringen Teile meiner eigenen Feder entflossen, d. h. der Vorstellung entnommen, die ich unter dem 24. März 1900 an die hiesige Anstaltsdirektion gerichtet hatte und von der meines Wissens Abschrift bei den Gerichtsakten sich befindet.

In zwei Punkten habe ich aber den Feststellungen des Tatbestandes entschieden zu widersprechen. Von einer Berichtigung des Tatbestandes im Sinne von § 320 C.-P.-O. würde ich mir gleichwohl keinen Erfolg versprechen können, da ich nicht bezweifeln kann, daß mein Rechtsanwalt in der mündlichen Verhandlung die betreffenden Erklärungen wirklich abgegeben hat. Die Erklärungen meines Rechtsanwalts beruhen aber insoweit auf Mißverständnissen meiner Auffassung; es würde sich daher hier um einen Widerruf von Zugeständnissen im Sinne von § 290 C.-P.-O. handeln.

Die in Rede stehenden beiden Punkte sind folgende:

1) Gleich im Eingang des Tatbestandes heißt es entsprechend einer bezüglichen Stelle im Schriftsatze meines Rechtsanwaltes:

»Der Kläger bestreitet nicht, daß er geisteskrank ist.«

Das ist unrichtig; ich bestreite auf das allerentschiedenste, daß ich geisteskrank bin, sobald man mit diesem Worte, wie unter Laien gewöhnlich geschieht, die Vorstellung einer Verstandestrübung verbindet. Ich habe dies auch in meiner Vorstellung an die Königl. Anstaltsdirektion vom 24. März 1900 zu hinreichend deutlichem Ausdruck gebracht.

Ich habe daselbst erklärt, daß ich das Vorhandensein einer Geisteskrankheit im Sinne einer Nervenkrankheit nicht bestreite; ich habe aber ausdrücklich auf die verschiedene Bedeutung hingewiesen, die das Wort »geisteskrank« für den Mediziner und im Rechtssinn habe.

Demnach will ich mich jetzt noch etwas deutlicher erklären: Ich bestreite nicht, daß mein Nervensystem sich seit einer Reihe von Jahren in einer krankhaften Verfassung befindet. Dagegen bestreite ich mit voller Entschiedenheit, geisteskrank zu sein oder es jemals gewesen zu sein. Mein Geist, d. h. das Funktionieren meiner Verstandeskräfte ist so klar und gesund, wie nur bei irgendeinem anderen Menschen der Fall ist; er ist es auch – abgesehen von einigen nebensächlichen hypochondrischen Vorstellungen – seit Beginn meiner Nervenkrankheit gleichmäßig gewesen. Das Gutachten des Herrn Sachverständigen enthält daher, indem es das Vorhandensein von Paranoia (Verrücktheit) bei mir angenommen hat, einen Schlag in das Gesicht der Wahrheit, wie er ärger kaum gedacht werden kann. Indem ich diesen Satz niederschreibe, bin ich weit entfernt davon, dem Herrn Sachverständigen zu nahe treten zu wollen: ich bezweifle nicht im mindesten, daß das Gutachten in gutem Glauben erstattet worden ist. Dies kann mich aber hier, wo die Anerkennung meiner rechtlichen Selbständigkeit in Frage steht, nicht abhalten, meiner Überzeugung von der objektiven Verfehltheit des Gutachtens in rückhaltloser und freimütiger Weise Ausdruck zu geben. Wie es gekommen ist, daß das Gutachten den jetzt vorliegenden Inhalt erhalten hat, werde ich weiter unten auszuführen suchen.

2) Die zweite Unrichtigkeit liegt in dem Satze unter 3b des Tatbestandes, daß ich selbst die Überzeugung habe, mein Aufenthalt in der Landesheilanstalt Sonnenstein könne für meine geistige Gesundheit nur von Vorteil sein. Dieser Satz ist allerdings auch bereits in dem Schriftsatze meines Rechtsanwalts enthalten, hatte mich aber bereits im vorigen Sommer zu einer Verwahrung gegen seine Richtigkeit veranlaßt; ich gebe den betreffenden Passus aus dem unter dem 14. Juni 1900 an meinen Rechtsanwalt geschriebenen Brief nachstehend wörtlich wieder:

»Da ich einmal an Sie schreibe, will ich nicht unterlassen, hinzuzufügen, daß mein in meinem Brief vom 24. Mai d. J. ausgedrücktes Einverständnis mit dem Inhalte des von Ihnen eingereichten Schriftsatzes immerhin einer gewissen Einschränkung bedarf, die ich neulich nicht zu machen für nötig gehalten habe, da sie m. E. für die juristische Beurteilung des Falls ohne Belang ist. Es handelt sich um die Stelle, ich selbst erachtete meinen Aufenthalt in der Anstalt als einen solchen, der meiner geistigen Gesundung nur vorteilhaft sei. Dies ist nicht ganz richtig. Ich betreibe meine Entlassung aus der Anstalt vorläufig nur deshalb nicht, weil, nachdem ich sechs Jahre in derselben verbracht habe, wenig darauf ankommt, ob das noch ein halbes oder ganzes Jahr länger geschieht und weil überdies meine Rückkehr in meine frühere Häuslichkeit mit Rücksicht auf Wohnungsverhältnisse usw. gewisser Vorbereitungen bedürfen würde. Einen gesundheitlichen Vorteil verspreche ich mir dagegen von der Fortdauer meines Aufenthaltes in der hiesigen Anstalt nicht. Um eine Wiederherstellung der geistigen Klarheit kann es sich dabei überhaupt nicht handeln, da diese stets ungeschmälert vorhanden gewesen ist; meine Nervenüberreizung aber kann mit menschlichen Mitteln überhaupt nicht beseitigt werden; sie wird, da sie mit übersinnlichen Dingen zusammenhängt, bis an mein Lebensende fortdauern, sofern nicht etwa vorher eine auch anderen Menschen die Augen öffnende Veränderung an meinem Körper sich vollziehen sollte.

Selbstverständlich habe ich aber den Wunsch, nicht den ganzen Rest meines Lebens in einer Anstalt zu vertrauern, wo meine geistigen Kräfte nahezu brachgelegt sind und wo ich des Umgangs mit gebildeten Menschen, sowie aller sonstigen Lebensgenüsse nahezu vollständig entbehre. Sollten gewisse Übelstände (wie das Brüllen) meinem Erscheinen in größerer Öffentlichkeit andauernd irgendwelche Bedenken entgegenstellen, so würde ich mir schon selbst die erforderliche Zurückhaltung aufzuerlegen wissen. Ich gebe anheim, ob Sie es vielleicht für angemessen halten, zur Orientierung des Gerichtes eine Abschrift von diesem Briefe zu den Gerichtsakten gelangen zu lassen.«

Nachdem das Gericht – zu meiner großen Überraschung – in dem Endurteil vom 13. April d. J. von Erwägungen sich hat leiten lassen, von denen der m. E. vollkommen korrekte Beweisbeschluß vom 15. Juni 1900 auch nicht die leiseste Andeutung enthielt (der Beweisbeschluß schließt sich fast wörtlich der Fassung an, die ich selbst in meinem Briefe vom 4. April 1900 – Anlage A des Schriftsatzes vom 16. Mai 1900 – vorgeschlagen hatte), muß ich allerdings mein lebhaftes Bedauern darüber ausdrücken, daß der Inhalt meines vorstehend wiedergegebenen Briefes vom 14. Juni 1900 nicht ebenfalls zur Kenntnis des Gerichtes gelangt ist. Es hätte sonst die von mir beanstandete Stelle nicht unverändert auch in den Tatbestand des Urteils übergehen können.

II. Die Entscheidungsgründe des Urteils betreffend.

Die Begründung des angefochtenen Urteils fußt im wesentlichen auf dem – zweiten – Gutachten des Herrn Sachverständigen vom 28. November 1900; der überwiegende Teil der Ausführungen ist diesem Gutachten fast wörtlich entnommen, so daß auch ich zur Widerlegung in der Hauptsache mich auf eine Besprechung beschränken kann, inwieweit die Sätze des Gutachtens als richtig anzuerkennen sind oder nicht.

Nur einige wenige Punkte sind selbständige Zutaten des Gerichts; ich werde dieselben vorher zu erledigen suchen, ehe ich auf den Inhalt des Gutachtens selbst näher eingehe.

Lediglich zu akzeptieren habe ich die Bemerkungen der Entscheidungsgründe, welche sich darauf beziehen, daß zu der Besorgnis, ich würde bei gegebener Freiheit der Verfügung über meine Person mein Leben gefährden, kein Grund vorliege, daß auch sonst meine Besonnenheit ungetrübt sei und daß die sogen. Brüllzustände außer Betracht bleiben können, da bloß polizeiliche Rücksichten die Aufrechterhaltung der Entmündigung nicht würden zu begründen vermögen.

Eine selbständige Erwägung findet sich noch gegen das Ende der Entscheidungsgründe in dem Satze, daß ich Sinnestäuschungen unterliege, zufolge deren ich Menschen vor mir zu sehen glaube, die gar nicht vorhanden seien (»flüchtig hingemachte Männer«). Diese Erwägung, insofern danach im Präsens gesagt wird »der Kläger glaubt Menschen vor sich zu sehen« usw., erweist sich aber sofort als hinfällig, sobald man sich die Mühe gibt, die betreffende Stelle meiner »Denkwürdigkeiten« auch nur mit einiger Aufmerksamkeit zu lesen. Die ganze Vorstellung von »flüchtig hingemachten Männern« gehört einer Zeit an, die seit Jahren längst hinter mir liegt; sie hat nur während des ersten oder höchstens der ersten beiden Jahre meines Aufenthalts in der hiesigen Anstalt bestanden. Dies ist im Eingang von Kap. XVI meiner Denkwürdigkeiten deutlich genug zu lesen. Ob meinen bezüglichen Vorstellungen wirklich nur Sinnestäuschungen oder tatsächliche Vorgänge zugrunde gelegen haben, darf ich jetzt dahingestellt sein lassen. Es würde sich insoweit, wie der Herr Sachverständige – etwa auf der achten Seite des neueren Gutachtens, ich kann nur nach der mir vorliegenden Abschrift zitieren, doch wird es wohl nicht allzuschwer sein, danach die betreffenden Stellen in der bei den Gerichtsakten befindlichen Urschrift aufzufinden – mit Recht hervorhebt, dabei nur um frühere Phasen der Krankheit handeln, die bei der Beurteilung des jetzigen Zustandes außer Betracht bleiben können. Jetzt weiß ich schon längst, daß die Personen, die ich vor mir sehe, nicht »flüchtig hingemachte Männer«, sondern wirkliche Menschen sind, und daß ich mich daher ihnen gegenüber so zu verhalten habe, wie ein vernünftiger Mensch im Verkehr mit andern Menschen zu tun pflegt. Der Satz am Schlusse der Entscheidungsgründe, daß auch um jener früheren Vorstellung willen die Gefahr unvernünftigen Handelns bei mir bestehe, scheidet daher als eine beachtliche Stütze der getroffenen Entscheidung wohl ohne weiteres aus.

Ich wende mich nun zur Besprechung der erstatteten Gutachten. Dieselben gehen a priori von der stillschweigenden Voraussetzung aus, daß alles dasjenige, was ich über einen zwischen Gott und mir entstandenen Verkehr, sowie über göttliche Wunder, die an meiner Person geschehen, in meinen Denkwürdigkeiten berichtet habe oder sonst habe verlauten lassen, nur auf krankhafter Einbildung beruhe. Wollte ich meine wahren Empfindungen diesem Standpunkte gegenüber zum Ausdruck bringen, so könnte es nur mit dem Ausrufe geschehen, den einst Huß für das Bäuerlein zur Verfügung hatte, das Holz zu seinem Scheiterhaufen trug: O sancta simplicitas! Es soll hierin keine Überhebung von meiner Seite über den Herrn Sachverständigen liegen; es sollte mir aufrichtig leid tun, wenn irgendeines meiner Worte auf Herrn Geh. Rat Weber, vor dem ich sowohl dem Charakter als der amtlichen und wissenschaftlichen Befähigung nach die vollkommenste Hochachtung hege, verletzend wirken würde. Ich weiß auch sehr wohl, daß der Herr Sachverständige gar nicht füglich anders gekonnt hat, als an meinen Fall den Maßstab der gewöhnlichen wissenschaftlichen Erfahrung anzulegen. Derselbe wird es aber auf der anderen Seite hoffentlich auch mir nicht verargen wollen, wenn ich meinen entgegengesetzten Standpunkt in scharf pointierter Weise zum Ausdruck bringe. Danach muß es von mir ausgesprochen werden: die Sicherheit meiner Gotteserkenntnis und die unmittelbare Gewißheit, daß ich es mit Gott und göttlichen Wundern zu tun habe, steht turmhoch über aller menschlichen Wissenschaft. Das mag überaus anmaßlich klingen; ich bin mir bewußt, daß die zugrunde liegende Überzeugung in keiner Weise von persönlicher Eitelkeit oder krankhafter Selbstüberschätzung eingegeben ist. Ungeachtet meiner unzweifelhaft in vielen Hinsichten reichen Begabung, habe ich mir auch die Mängel derselben niemals verhehlt; ich habe mir niemals eingebildet, etwa zu den allerersten Geistern der Nation gerechnet werden zu dürfen; es ist ja auch nicht mein Verdienst, daß infolge einer wunderbaren Verkettung von Umständen die Einsicht in das wahre Wesen göttlicher Dinge mir in ungleich höherem Maße aufgegangen ist, als irgend je einem Menschen zuvor; ich habe zudem diese Einsicht mit dem Verluste meines ganzen Lebensglückes während einer langen Reihe von Jahren teuer genug erkaufen müssen. Aber um so sicherer sind für mich die durch diese Einsicht gewonnenen Ergebnisse; sie sind in der Tat zum Mittelpunkte meines ganzen Lebens geworden und müssen es sein, da sich Gott auch jetzt noch täglich und stündlich, ja ich kann fast sagen in jedem Augenblicke in seinen Wundern und in seiner Sprache mir von neuem offenbart. Darauf beruht die gleichmäßige Heiterkeit meiner Stimmung, die trotz aller Widerwärtigkeiten, denen ich auch jetzt noch ausgesetzt bin, jedermann im Verkehr mit anderen Menschen, auch mit ungebildeten Personen und Kindern – nur nicht gerade mit Verrückten – an mir beobachten kann; daraus entspringt das ruhige Wohlwollen, das ich auch denjenigen entgegenbringe, die mir in früheren Jahren unwissentlich wehe getan haben; daraus erklärt sich auch der unvergleichlich hohe Wert, den ich auf Bekanntgabe meiner Denkwürdigkeiten lege. Denn sollte es mir damit gelingen, in anderen Menschen auch nur erhebliche Zweifel zu erwecken, ob es mir nicht doch vielleicht vergönnt gewesen sei, einen Blick hinter den dunklen Schleier zu werfen, der sonst das Jenseits den Augen der Menschen verhüllt, so würde meine Arbeit sicher zu den interessantesten Werken gezählt werden dürfen, die je geschrieben worden sind, seitdem die Welt besteht.

Ich habe es mir nicht versagen mögen, vor dem Eingehen auf alle Einzelheiten meinen grundsätzlichen Standpunkt mit einiger Entschiedenheit zu betonen, da sowohl das Urteil, als die Gutachten mich etwas von oben herab behandeln zu können glauben – übrigens, wie ich meinerseits zugegeben habe, an und für sich nicht ganz mit Unrecht, da sie beide staatliche Autoritäten vertreten. Selbstverständlich habe ich mir aber zu sagen, daß ich vorläufig wenig Aussicht habe, diesem meinem grundsätzlichen Standpunkte bei anderen Menschen und namentlich bei der Entscheidung des gegenwärtigen Prozesses Geltung zu verschaffen. Ich habe es infolgedessen früher sogar für möglich und rätlich gehalten, jede Diskussion über meine angeblichen Sinnestäuschungen und Wahnideen von dem Streitstoffe des Prozesses, der die Anfechtung meiner Entmündigung zum Gegenstande hat, auszuscheiden; ich konnte mich der Befürchtung nicht entschlagen, – wie bereits in meiner Vorstellung an die Kgl. Anstaltsdirektion vom 24. März 1900 hervorgehoben – daß dadurch die Aufmerksamkeit des Gerichtes von der entscheidenden und eigentlich allein seiner Zuständigkeit unterliegenden Frage, ob ich die Fähigkeit zum vernünftigen Handeln im praktischen Leben besitze, abgelenkt werden würde. Neuerdings habe ich mich aber der Anerkennung nicht verschließen können, daß es ohne eine gewisse Würdigung meiner sogenannten Wahnideen oder meiner religiösen Vorstellungen nicht abgehen wird und zwar nicht nur nach der formalen Seite ihres logischen Zusammenhangs und geordneten Aufbaues, sondern bis zu einem gewissen Grade auch rücksichtlich der Frage, ob es irgendwie denkbar sei, daß meinem Wahnsysteme, wie man es nun einmal zu nennen beliebt, denn doch vielleicht etwas Wahres zugrunde liege. Ich muß anderen Menschen, insbesondere meinen Richtern gegenüber den Versuch machen, zwar nicht eigentlich sie zu meinem Wunderglauben zu bekehren – dies würde mir natürlich vorläufig nur in sehr beschränktem Maße gelingen können – wohl aber ihnen wenigstens im allgemeinen den Eindruck zu verschaffen, daß die in meinen »Denkwürdigkeiten« niedergelegten Erfahrungen und Betrachtungen denn doch nicht so ohne weiteres als eine quantité négligeable, als leere Phantastereien eines verwirrten Kopfes zu betrachten seien, die zum Gegenstande weiteren Nachdenkens und etwaiger Beobachtungen an meiner Person zu machen sich von vornherein gar nicht der Mühe verlohne. Nur so wird es mir vielleicht gelingen, dem Gerichte verständlich zu machen, daß kleinliche und sonst für Menschen bestimmende Erwägungen, wie die Rücksicht auf die Empfindlichkeit einzelner dritter Personen, die Scheu vor der Aufdeckung sogenannter Familiengeheimnisse, ja selbst die Furcht vor Strafe, nur in sehr beschränktem Maße bei mir Platz greifen dürfen, wenn es sich um die Erreichung eines heiligen Zweckes handelt, den ich geradezu als eine Lebensaufgabe zu betrachten habe.

Ich werde daher in dem Folgenden eine Anzahl von Punkten anführen (und nach Befinden später unter Beweis stellen), mit denen ich die Wirklichkeit der von mir behaupteten Wunder zwar nicht geradezu beweisen, aber doch wenigstens insoweit glaubhaft machen zu können hoffe, daß man Bedenken tragen wird, die ganze Darstellung von vornherein als reinen Unsinn zu verwerfen, sondern die Möglichkeit zulassen wird, es könne die wissenschaftliche Welt daraus nach Befinden den Ausgangspunkt zu weiteren Nachforschungen entnehmen. Allerdings handelt es sich nur um einige wenige Punkte, die meist anscheinend ziemlich unbedeutende Äußerlichkeiten betreffen; denn es liegt nun einmal in der Natur der Sache, daß der unendlich überwiegende Teil der übersinnlichen Eindrücke, die ich in geradezu überwältigender Fülle empfange, nur mir zum Bewußtsein kommen und in irgendwelchen äußeren Spuren von anderen Menschen nicht wahrgenommen werden kann. Immerhin dürfte auch das wenige, das ich anführen will, geeignet sein, eine gewisse Verwunderung bei jedem unbefangen Urteilenden zu erregen.

1) An meinem Klavier ist im Laufe der Jahre eine ganz unverhältnismäßig große Menge von Klaviersaiten – wie ich behaupte durch Wunder – zersprungen. Es mögen wohl im ganzen 30–40 Stück gewesen sein; auf die genaue Zahl kommt es dabei nicht an; im Jahre 1897 allein hat die Rechnung für zersprungene Klaviersaiten 86 Mark betragen. Die Tatsache selbst wird der Prozeßgegner, die Kgl. Staatsanwaltschaft, vielleicht nicht bestreiten wollen; eventuell wäre ich in der Lage, dieselbe durch Berufung auf das Zeugnis meiner Frau, des Pflegers Möbius und der Musikalienhandlung C. A. Klemm in Dresden, sowie vielleicht auch eine gelegentliche bestätigende Äußerung in einem ferneren Gutachten der Kgl. Anstaltsdirektion zu beweisen. In betreff meiner Annahme, daß das Zerspringen unmöglich durch unvernünftiges Gebaren meinerseits (Lospauken auf das Klavier) veranlaßt worden sein könne, erlaube ich mir auf das im Kap. XII meiner Denkwürdigkeiten (etwa in der Mitte) Ausgeführte zu verweisen; um Wiederholungen zu vermeiden, bitte ich, das dort Gesagte nachlesen zu wollen. Daß niemand, selbst mit Anwendung äußerster Gewalt, mit bloßem Aufschlagen auf die Tasten des Klaviers die Saiten desselben zum Springen bringen kann, würde, wie ich überzeugt bin, jeder Sachverständige aus der Pianofortebranche bestätigen müssen, eventuell würde ich bitten, ein entsprechendes Gutachten zu erheben. Wenn dem so ist, wenn überhaupt der Fall, daß die Saiten eines Klaviers zerspringen, eine überaus große Seltenheit ist – mir ist es in meinem ganzen früheren Leben nie passiert, auch habe ich niemals davon gehört, daß anderen Menschen dergleichen begegnet wäre; in Konzertsälen kommt ähnliches bei grellen Temperaturschwankungen vielleicht in betreff der überspannten Saiten von Streichinstrumenten vor, aber auch da wohl kaum in betreff der Saiten eines Konzertflügels – wie erklärt sich dann die auffällig große Zahl der gerade an meinem Klavier vorgekommenen derartigen Zerstörungen? Läßt sich überhaupt eine natürliche Entstehungsursache hierfür denken?

2) Eine überaus auffällige Erscheinung müssen für meine ganze Umgebung die bereits seit einer Reihe von Jahren – nicht in den ersten Jahren meiner Krankheit – in großer Häufigkeit bei mir eintretenden sogenannten Brüllzustände sein. Das Wesen derselben habe ich bereits in meiner Vorstellung an die Kgl. Anstaltsdirektion vom 24. März 1900 dahin bezeichnet, daß meine dem Atmungsvorgang dienenden Muskeln (also wohl die Lungen- und Brustmuskeln) durch göttliches Wunder unmittelbar dergestalt in Bewegung gesetzt werden, daß ich genötigt bin, den Brüllaut oder Schrei auszustoßen, sofern ich nicht ganz besondere Mühe darauf verwende, denselben zu unterdrücken, was bei der Plötzlichkeit des gegebenen Impulses nicht immer möglich ist oder doch nur bei unablässig auf diesen Punkt gerichteter Aufmerksamkeit möglich sein würde. Hinsichtlich des Zwecks, der meiner Auffassung nach mit diesem Wunder verfolgt wird, bitte ich, das in meinen Denkwürdigkeiten Kap XV etwa im ersten Dritteil ad 3 gesagte nachlesen zu wollen. Daß das Brüllen weder von mir simuliert, noch willkürlich provoziert wird – ich empfinde es ja selbst als eine schwer erträgliche Belästigung – wird augenscheinlich auch von dem Herrn Sachverständigen nicht bezweifelt (vergl. das neuere Gutachten Seite 28 und 31 der mir vorliegenden Abschrift); er erkennt an, daß es mir oft die größte Anstrengung kostet, mich des Ausstoßens der Brüllaute zu enthalten und daß die lärmenden Ausbrüche sich durchaus gegen meinen Willen automatisch und zwangsmäßig vollziehen. Ich muß nun die Frage aufwerfen: Hat die Wissenschaft für die ganze Erscheinung eine irgendwie befriedigende Erklärung? Ist in den Annalen der Psychiatrie irgendein Fall erhört, daß bei einem Menschen, der an der bei mir angenommenen Form von Geisteskrankheit (Paranoia) leidet, der aber, wie gleichzeitig anerkannt wird, durch hohe Intelligenz, ungetrübte Besonnenheit, taktvolles und dezentes Verhalten in geselliger Unterhaltung, ethisch richtige Auffassung usw. sich auszeichnet, dessen ganze Natur eine Neigung zur Roheit in keiner Weise erkennen läßt, derartige automatisch veranlaßte laute Ausbrüche oder Brüllzustände – die der Herr Sachverständige, wenn sie in milderer Form auftreten, als Brummen, Räuspern und kurzes Auflachen bezeichnet – beobachtet worden sind? Mir stehen natürlich die Erfahrungen, die an anderen Geisteskranken gemacht worden sind, nicht ausreichend zu Gebote, ich gehe aber von der Voraussetzung aus, daß die aufgeworfenen Fragen Unbedingt zu verneinen sind. Wenn diese Voraussetzung zutrifft, so lege ich Wert darauf, eine Bestätigung durch Vervollständigung des Gutachtens zu erhalten. Ich erwarte selbstverständlich nicht, daß der Herr Sachverständige positiv meine Erklärung der Erscheinung, wonach dieselbe auf Wundern beruht, sich aneignen solle, aber schon die Negative, daß es sich insoweit um einen ganz eigenartigen Fall, um ein Unikum auf dem Gebiete der psychiatrischen Erfahrung handle, würde nach meinem Dafürhalten auf die Beurteilung meines Falles nicht ohne Einfluß bleiben können, insofern danach allerdings bis zu einem gewissen Grade glaubhaft gemacht wäre, daß man bei mir wenigstens an die Möglichkeit der Einwirkung übernatürlicher Kräfte zu denken hätte. Dieser Gesichtspunkt würde um so beachtlicher erscheinen, wenn der Herr Sachverständige ferner zu bestätigen hätte, daß die Brüllzustände fast niemals eintreten, wenn ich mich in lauter Unterhaltung in gebildeter Gesellschaft oder außerhalb der Anstalt auf Dampfschiffen, Eisenbahnen, öffentlichen Orten, den Straßen der Stadt usw. bewege, sondern in der Hauptsache nur dann zu beobachten sind, wenn ich auf meinem Zimmer allein bin oder im Anstaltsgarten unter lauter Verrückten verweile, mit denen eine Unterhaltung nicht wohl möglich ist. Müßte die Wissenschaft bekennen, daß es ihr auch hierfür an einer ausreichenden Erklärung mangle, so würde man wohl nicht umhin können, meiner Darlegung der Sachbewandtnis eine gewisse Beachtung zu schenken. Danach handelt es sich eben um Wunder; die sämtlichen Erscheinungen erklären sich einfach daraus, daß die Strahlen (mit anderen Worten Gott) in der Regel nur dann einen Rückzug von mir zu nehmen sich versucht fühlen, wenn das Nichtsdenken bei mir Platz greift und wenn auch irgendwelche die Strahlen besonders anziehende Augeneindrücke bei mir nicht zu haben sind. An solchen Augeneindrücken wird es z. B. bei Ausgängen in die Straßen der Stadt, wo ich Schauläden besehen kann, wo jeder Zeit eine größere Anzahl anderer, insbesondere weiblicher Personen verkehren usw., niemals fehlen (vgl. wegen des näheren meine Denkwürdigkeiten, Kap. XV im ersten Dritteil, sowie die Nachträge zu diesen Denkwürdigkeiten unter III und V, nicht allzuweit vom Eingang des letzteren Abschnitts entfernt).

3) In dem neueren Gutachten (Seite 28 ff. der mir vorliegenden Abschrift) wird festgestellt, – was ich mit gewissen Vorbehalten vollkommen unterschreibe –, daß ich zuweilen selbst während der Tischzeit »präokkupiert« erscheine, starr vor mich hinsehe (richtiger mit geschlossenen Augen dasitze), in eigentümlicher Weise »grimassiere« und namentlich bemüht sei, die Augenlider in die Höhe zu schieben, womit doch eben anerkannt wird, daß dieselben vorher geschlossen gewesen seien und wobei übrigens auch der Herr Sachverständige wohl nicht sagen will, daß das Heraufschieben der Augenlider mit den Händen, sondern unter Anwendung der in den Augenlidern enthaltenen Muskelkraft geschehe.

Der Herr Sachverständige behandelt diese »halluzinatorischen Vorgänge« und die sich daran anschließende »auffällige Reaktion« nur unter dem Gesichtspunkte, inwieweit die in Rede stehenden »pathologischen Vorgänge« in gesellschaftlicher Beziehung als eine Störung empfunden werden. Für mich haben dieselben eine ungleich wichtigere Bedeutung als auch für andere Menschen wahrnehmbare Anzeichen, daß meine ganze Muskulatur gewissen Einflüssen unterliegt, die nur einer von außen wirkenden Kraft m. a. W. göttlichen Wundern zugeschrieben werden können. Ich könnte dabei dem von dem Herrn Sachverständigen hervorgehobenen noch manches andere hinzufügen, z. B. daß zuweilen eine nur auf Minuten andauernde Schwerhörigkeit bei mir eintritt, daß zu gewissen Zeiten, auch wenn ich mich ganz ruhig verhalte, eine hochgradige Atembeschleunigung sich einstellt, so daß ich förmlich nach Luft schnappe, dabei gleichzeitig der Mund in ganz unnatürlicher Weise aufgesperrt wird usw. usw. Alle diese Dinge können von jedermann, der mich aufmerksam beobachtet, wahrgenommen werden; es kostet mich daher allerdings zuweilen eine enorme geistige Anstrengung, um mich an geselliger Unterhaltung zumal in möglichst unbefangener und launiger Weise zu beteiligen; denn kein Mensch hat eine Vorstellung davon, was für Dinge dabei gleichzeitig in meinem Kopfe und an meinem ganzen Körper vorgehen.

Nun ist es mir zwar nicht unbekannt, daß Halluzinationen, d. h. Gehörsreize, nach welchen irgendwelche Stimmen vernommen werden und konvulsivische Zuckungen, d. h. krampfhafte Zusammenziehungen der Muskulatur, insbesondere der Gesichtsmuskeln, als Begleiterscheinungen einer krankhaften Nervenverfassung nicht gerade zu den Seltenheiten gehören. Ich glaube aber behaupten und auf eine Bestätigung durch sachverständiges Gutachten dafür rechnen zu dürfen, daß die bei mir vorkommenden betreffenden Erscheinungen so auffällige Abweichungen von dem sonst Beobachteten aufweisen, daß es kaum abweislich sein wird, sie auch der Ursache nach für etwas spezifisch Verschiedenes anzusehen.

Über die bei mir vorkommenden Halluzinationen habe ich unter IV der Nachträge zu meinen Denkwürdigkeiten ausführlich gehandelt, wo ich das Nähere in dem gegenwärtigen Zusammenhange nachzulesen bitte. Aus dem Gutachten des Herrn Sachverständigen entnehme ich nun mit einiger Befriedigung, daß auch dieser den bei mir auftretenden Halluzinationen eine gewisse Realität insofern beimißt, als derselbe offenbar nicht bezweifelt, daß die in meinen Denkwürdigkeiten beschriebenen »Stimmen« in der Tat von mir vernommen werden. Nur darüber besteht also Meinungsverschiedenheit, ob die subjektive Empfindung des Hörens von Stimmen nur durch ein krankhaftes Funktionieren meiner eigenen Nerven veranlaßt ist oder eine äußere Ursache auf dieselben einwirkt m. a. W. ob der Klang der Stimmen sozusagen mir nur von meinen eigenen Nerven vorgegaukelt wird, oder ob irgendein außerhalb meines Körpers befindliches Wesen in der Form der Stimmen auf mich einspricht. Ganz entsprechend ist auch in betreff des »Grimassierens«, der Gesichtsverzerrungen, des Schließens der Augen usw. die Frage aufzuwerfen, ob es sich nur um durch die krankhafte Verfassung meiner Nerven bedingte Muskelzusammenziehungen handelt oder ein außerhalb meines Körpers wirkender Anstoß vorhanden ist. An und für sich steht hier Behauptung gegen Behauptung. Der Rationalismus wird selbstverständlich die Möglichkeit eines auf göttlichen Wundern beruhenden äußeren Anstoßes von vornherein bestreiten. Allein glücklicher Weise ist doch der Rationalismus für den, um mit Goethe zu reden, »Dasjenige, was er nicht rechnet, auch nicht wahr ist«, fast nirgends in der Wissenschaft die allein herrschende Richtung. Für mich aber, der ich die Wunder nicht beweisen, sondern andere Menschen nur in die Stimmung versetzen will, an die Möglichkeit übernatürlicher Einflüsse in betreff meiner Person zu denken, würde es genügen, wenn der Herr Sachverständige zu bestätigen hätte, daß die in Rede stehenden Erscheinungen auch hier in meinem Falle ein ganz eigenartiges, von demjenigen, was sonst durch die wissenschaftliche Erfahrung bekannt ist, abweichendes Gepräge an sich tragen. Ich setze voraus, daß Halluzinationen der von mir beschriebenen Art, insbesondere ununterbrochen redende, durch keinerlei geistige Ablenkung zum Schweigen zu bringende Stimmen etwas sonst völlig Unerhörtes sind, ebenso daß Muskelkontraktionen, welche den Patienten gegen seinen Willen, (wie auch der Herr Sachverständige anerkennt) zum Schließen der Augen, zum Ausstoßen der Brüllaute usw. nötigten, zu gewissen Zeiten eine auffällige Atembeschleunigung selbst bei ganz ruhigem Verhalten verursachten usw., außer in meinem Falle noch niemals beobachtet worden sind. Auch diese Voraussetzung möchte ich, wenn man nicht in der Lage ist, sie als unrichtig zu bezeichnen, durch eine ausdrückliche gutachtliche Äußerung bestätigt sehen. Von besonderem Wert würde es mir dabei sein, wenn der Herr Sachverständige namentlich auch zu bestätigen hätte, daß das – gegen meinen Willen erfolgende – Schließen der Augen regelmäßig unverzüglich eintritt, sobald ich nach Beteiligung an einer lauten Unterhaltung mich dem Schweigen hingebe, mit anderen Worten das Nichtsdenken bei mir Platz greift.

4) An meinem Körper sind, wie ich überzeugt bin, gewisse, nach der gewöhnlichen wissenschaftlichen Erfahrung durchaus unerklärliche Erscheinungen zu beobachten; ich würde nach Befinden in Aussicht nehmen, zur Konstatierung dieses Umstandes eine körperliche Untersuchung durch die Ärzte der hiesigen Anstalt oder andere Ärzte, vielleicht unter Anwendung von Röntgenstrahlen, falls dies tunlich, zu beantragen. Es handelt sich dabei zwar nicht ausschließlich, aber doch hauptsächlich um die sogenannten Wollustnerven, über die ich mich in Kap. XXI meiner Denkwürdigkeiten ausführlich verbreitet habe. Allerdings findet sich in dem neueren Gutachten des Herrn Sachverständigen (Seite 22 der mir vorliegenden Abschrift) ein Passus, worin es heißt, »ich glaubte Wollustnerven in einer dem weiblichen Körper entsprechenden Weise zu fühlen, obwohl die Wissenschaft eine derartige Verbreitung von Wollustnerven nicht anerkenne.« Allein ich vermag nicht deutlich zu erkennen, ob der Herr Sachverständige damit nur meine bezüglichen Äußerungen hat referieren oder es als seine Ansicht hat bezeichnen wollen, daß die Wissenschaft die Existenz besonderer Wollustnerven, die im weiblichen Körper eine andere Verbreitung als im männlichen Körper aufwiesen, nicht anerkenne. Jedenfalls scheint es sich mir dabei um einen für die Sache selbst bedeutungslosen Wortstreit zu handeln. Denn das wird wohl auch der Herr Sachverständige nicht bezweifeln wollen – wenigstens habe ich ihn gelegentlich einer mündlichen Unterhaltung so verstanden und erachte es auch sonst als eine wissenschaftlich anerkannt Tatsache –, daß das Nervensystem des weiblichen Geschlechtes gewisse mit der Wollustempfindung zusammenhängende Eigentümlichkeiten am ganzen Körper und namentlich am Busen in ganz anderer Weise aufzeigt, als beim männlichen Geschlechte.Etwaige Erläuterungsfragen in dieser Beziehung würden folgende sein: Worauf beruht denn überhaupt die physiologische Eigentümlichkeit des weiblichen Busens, insbesondere dessen Anschwellung in den Jahren der beginnenden Mannbarkeit? Handelt es sich dabei nur um eine Verstärkung der Muskulatur, Anhäufung von Fett und dergleichen oder ist nicht vielmehr das wesentliche in einer von derjenigen des männlichen Geschlechts spezifisch verschiedenen Entwicklung des Nervensystems am weiblichen Busen zu finden? Mit welchem Namen man diese Eigentümlichkeiten belegt, ist wohl gleichgültig; sollte ich als Laie in der Nervenlehre daher nur in der Wahl des Ausdrucks fehlgegriffen haben, so würde darauf wohl an und für sich nicht viel ankommen. Ich behaupte also, daß an meinem Körper, namentlich am Busen durchaus die dem weiblichen Körper entsprechenden Eigentümlichkeiten des Nervensystems vorhanden sind und bin überzeugt, daß eine körperliche Untersuchung dies bestätigen würde. Welche Folgerungen daraus abzuleiten sein würden, ist in Kap. XXI meiner Denkwürdigkeiten des Näheren ausgeführt.

Übrigens will ich zur Vermeidung von Mißverständnissen gleich hier bemerken, (worauf ich später noch näher zurückkomme), daß ich die in Rede stehende Untersuchung nur für die Zwecke des gegenwärtigen Prozesses, d.h. um die Aufhebung meiner Entmündigung zu erreichen, beantragen würde. Sobald ich die Aufhebung meiner Entmündigung erreicht hätte, würde ich eine entsprechende Untersuchung berufenen Fachmännern zwar auf Wunsch gestatten, niemals aber meinerseits veranlassen und noch weniger auch nur einen Groschen meines Vermögens dafür ausgeben.

5) Der Herr Sachverständige erkennt an (Seite 9 des neueren Gutachtens in der mir vorliegenden Abschrift), daß die »Emanationen meines krankhaft veränderten psychischen Geschehens« nicht, wie so häufig in ähnlichen Fällen ärmlich und monoton sind, sondern als ein phantastisch gestaltetes, verwickeltes und von den gewöhnlichen Gedankengängen überaus abweichendes Ideengebilde sich darstellen. An diese Bemerkung anknüpfend, fasse ich den Plan ins Auge, meine Denkwürdigkeiten der Begutachtung von Sachverständigen aus anderen Gebieten der Erfahrung, insbesondere von Theologen und Philosophen unterbreiten zu lassen. Es würde dies zu einem doppelten Zwecke geschehen, einmal um den Richtern die Überzeugung zu verschaffen, daß meine »Denkwürdigkeiten«, so fremdartig auch vieles darin berühren mag, doch für weitere wissenschaftliche Kreise als eine beachtliche Anregung für die Forschung auf einem bisher äußerst dunklen Gebiete in Betracht kommen könnten und damit begreiflich zu machen, wie lebhaft ich den Wunsch nach einer Veröffentlichung empfinden muß. Sodann würde ich eine gutachtliche Äußerung von Männern der Wissenschaft aus den bezeichneten Erfahrungsgebieten für wertvoll erachten, ob es irgendwie wahrscheinlich, ja auch nur psychologisch denkbar sei, daß ein Mensch von so durchaus kühler und nüchterner verstandesmäßiger Veranlagung, wie ich es nach dem Zeugnis aller derjenigen, die mich in meinem früheren Leben gekannt haben, gewesen bin, und zudem ein Mensch, der, wie bereits im Eingang von Kap. VI meiner Denkwürdigkeiten hervorgehoben, vor seiner Erkrankung einen festen Glauben an Gott und die Unsterblichkeit der Seele gar nicht gehabt hat, das ganze verwickelte Ideengebilde mit seiner Unmasse tatsächlicher Einzelheiten (z.B. über die Sprache der Seelen, über die Seelenauffassung Kap. I und Kap. XII der Denkwürdigkeiten usw. usw.) sozusagen aus den Fingern gesogen haben sollte, ob sich nicht vielmehr von selbst der Gedanke aufdränge, daß ein Mensch, der etwas derartiges zu schreiben vermöge, und dabei zu so ganz eigenartigen Vorstellungen über das Wesen Gottes und der Fortdauer der Seele nach dem Tode gelange, in der Tat irgendwelche besondere Erfahrungen und besondere Eindrücke gehabt haben müsse, die anderen Menschen verschlossen seien.

Ich will den Antrag auf Erhebung eines Gutachtens in der vorstehend bezeichneten Art vorläufig noch nicht gerade in aller Form gestellt haben. Denn ich kann mir nicht verhehlen, daß dadurch ein sehr bedeutender Aufwand an Zeit und Kosten veranlaßt werden würde. Sollte daher das Berufungsgericht ohnedies zu einer Aufhebung der Entmündigung gelangen, so wäre mir dies selbstverständlich lieber. Für den Fall aber, daß hierzu Neigung nicht vorhanden sein sollte – worüber mich der Eindruck der mündlichen Verhandlung, der ich wenigstens in einigen Terminen persönlich beiwohnen zu können hoffe, wohl einigermaßen orientieren wird – würde ich mir vorbehalten, einen entsprechenden Antrag zu stellen.

*

Alles, was in dem Vorstehenden entwickelt worden ist, hat eigentlich nur die Bedeutung einer Arabeske in betreff der den Kern der zu fällenden Entscheidung bildenden Frage, ob ich infolge der bei mir angenommenen Geisteskrankheit der Fähigkeit, meiner Angelegenheiten zu besorgen, ermangle.

Indem ich mich nunmehr dieser Frage zuwende, habe ich zunächst mit Rücksicht auf die in dem Gutachten enthaltene Charakterisierung meiner Persönlichkeit noch einige Bemerkungen vorauszuschicken. Ich habe mit Dank anzuerkennen, daß der Herr Sachverständige offenbar mit einem gewissen Wohlwollen bemüht gewesen ist, meiner gesamten Individualität gerecht zu werden; ich bin ihm ferner Dank dafür schuldig, daß er sich die Mühe nicht hat verdrießen lassen, meinen »Denkwürdigkeiten« ein eingehendes Studium zu widmen, welches ihn befähigt hat, in dem Gutachten einen im wesentlichen zutreffenden Auszug wenigstens in betreff einiger der wichtigeren Gedankengänge desselben zu geben. Daß hierbei einzelne kleine Ungenauigkeiten und Mißverständnisse untergelaufen sind, konnte bei der Sprödigkeit des Stoffes nicht wohl vermieden werden; ich brauche hierauf nicht näher einzugehen, weil die gerichtliche Entscheidung schwerlich davon in irgendwelcher Weise beeinflußt werden wird.

Im allgemeinen glaube ich behaupten zu dürfen, daß der Herr Sachverständige mich eigentlich erst seit Jahresfrist, d.h. seitdem ich regelmäßig an den Mahlzeiten seiner Familie teilnehme, wirklich kennengelernt hat und daß sein Urteil über mich, nachdem dieser Verkehr ein weiteres halbes Jahr fortgesetzt worden ist, jetzt schon wieder wesentlich günstiger lauten würde, als noch zur Zeit der Abfassung des letzten Gutachtens. Vor jener Zeit (d.h. etwa vor Ostern 1900) hat der Herr Sachverständige, ich möchte sagen, nur die pathologische Hülle kennengelernt, die mein wahres Geistesleben verdeckte. Es soll aus diesen Worten durchaus nichts herausklingen, was als ein Vorwurf in betreff der mir früher in der Anstalt zuteil gewordenen Behandlung aufgefaßt werden könnte. Ich gebe zu, daß ich während der ersten Jahre meines hiesigen Aufenthaltes (wennschon es sich auch dabei nur um einen täuschenden Schein handelte) den Eindruck eines stumpfsinnigen Menschen machen konnte, der für geselligen Verkehr nicht zu brauchen war. Ich finde es auch verständlich, daß die Ärzte das Urteil, das sie sich hiernach einmal über mich gebildet haben mochten, noch Jahre lang festgehalten haben, nachdem mein Verhalten längst in vielen Beziehungen auf eine eingetretene Veränderung meiner geistigen Verfassung hinwies. Es ist nun einmal in einer großen Anstalt nicht möglich, jedem einzelnen Patienten eine unausgesetzte Beobachtung in allen Einzelheiten zu widmen und bei der Verschlossenheit, die ich in den ersten Jahren meines hiesigen Aufenthaltes zeigte, mochte es in der Tat schwer sein, sich von meinem geistigen Leben allenthalben eine richtige Vorstellung zu machen. Auf der anderen Seite ist es aber doch auch nicht ganz richtig, wenn in dem Gutachten (Seite 7 der mir vorliegenden Abschrift) bemerkt ist, ich hätte »bis dahin«, d. h. bis zur Einforderung des neueren Gutachtens (Juni 1900), keine Neigung bezeigt, mich außerhalb der Anstalt zu bewegen und es hätte erst allmählich der Wunsch in mir »angeregt« werden müssen, mich der Außenwelt wieder zu nähern. Hier liegt denn doch wohl ein kleiner Gedächtnisfehler vor. Denn ich bin in der Lage, aktenmäßig nachzuweisen, daß ich bereits in einem unter dem 8. Oktober 1899 meinem Zustandsvormund, Herrn Amtsgerichtspräsident Schmidt, bei Gelegenheit eines Besuches persönlich übergebenen Exposé mich darüber beklagt habe, daß ich seit 5 Jahren nicht einmal zu kleineren Spaziergängen, wie viele andere Patienten, aus den Anstaltsmauern herausgekommen sei. Dieses Exposé habe ich, um ganz loyal zu sein, Herrn Geh. Rat Weber mittelst Briefs vom 27. November 1899 abschriftlich überreicht. Nichtsdestoweniger hat es auch danach noch 4–6 Monate gedauert, ehe ich zum ersten Male zu den Mahlzeiten an der Familientafel zugezogen worden bin und das Angebot eines Ausflugs außerhalb der Anstalt (mittelst Wagenfahrt) erhalten habe. Ich wiederhole, daß die Absicht von Rekriminationen für die Vergangenheit mir durchaus fern liegt; allein ich kann doch auch die Behauptung nicht unwidersprochen lassen, daß es nur an mir gelegen habe, wenn man mich nicht schon früher als einen Menschen kennengelernt habe, der im Vollbesitze seiner geistigen Kräfte in jeder anständigen Gesellschaft sich angemessen zu betragen wisse. Nach meiner Auffassung wäre dies mindestens schon seit dem Beginn des Jahres 1897 recht wohl möglich gewesen.

Jedenfalls ist der Herr Sachverständige nach dem in dem Gutachten (Seite 27 der mir vorliegenden Abschrift) hierüber bemerkten jetzt selbst zu der Überzeugung gelangt, daß kein wesentliches Bedenken vorhanden sei, mich an jedem beliebigen geselligen Verkehr, sowie an Veranstaltungen, bei denen Menschen in größerer Anzahl versammelt sind, wie Theater, Kirche usw. teilnehmen zu lassen. Die pathologischen Vorgänge (Grimassieren, Räuspern und dergleichen), die auch hierbei zuweilen zu beobachten sind, sind, wie die Erfahrung gelehrt hat, keinesfalls von solcher Beschaffenheit, daß dadurch andere Menschen wesentlich belästigt werden könnten.

An die Schilderung meines Verhaltens in gesellschaftlicher Beziehung hat der Herr Sachverständige eine weitere Ausführung angeschlossen, mit welcher er sich in einem gewissen Gegensatz zum Amtsgerichte Dresden gesetzt hat, welches mich in seinem Beschlusse vom 13. März 1900 für befähigt erachtet hatte, die schwierigste Verhandlung zu leiten, ein Urteil in einwandfreiester Form zu entwerfen usw. Ich bin mit dem Herrn Sachverständigen vollkommen darin einverstanden, daß das von dem Kgl. Amtsgerichte Dresden hierunter gesagte einer gewissen Einschränkung bedarf, möchte aber noch etwas deutlicher, als in dem Gutachten geschehen, hervorheben, worin die Einschränkung zu bestehen hat. Ich gebe also meine Auffassung dahin zu erkennen, daß ich im schriftlichen Gedankenausdruck mich auch jetzt noch jeder Anforderung, die mein früherer Beruf als Richter bei einem höheren Gerichtshofe an mich gestellt haben würde, gewachsen glaube; ich würde mir auch jetzt noch die Fähigkeit zutrauen, jedes Urteil und jede sonst im richterlichen Berufe vorkommende schriftliche Arbeit in einer selbst ziemlich hoch gesteigerten Ansprüchen genügenden Weise zu entwerfen. Denn dem schriftlichen Gedankenausdruck gegenüber erweisen sich alle Wunder machtlos; die auch hierbei ab und zu versuchte Fingerlähmung erschwert zwar das Schreiben etwas, macht es aber keinesfalls unmöglich, und die Versuche, meine Gedanken zu zerstreuen, werden beim schriftlichen Gedankenausdruck, wo man hinreichende Zeit hat, den Geist zu sammeln, leicht überwunden. Dasjenige, was ich geschrieben habe, hat daher, seit mir überhaupt wieder Schreibmaterial zur Verfügung gestellt war und ich Neigung zum Schreiben an den Tag legte, jederzeit, auch in den ersten Jahren meiner Krankheit, den geistig vollkommen klaren Menschen erkennen lassen. Etwas anders gestaltet sich aber allerdings die Sache für den mündlichen Gedankenausdruck. Hier wirken die an meinen Atmungsorganen und an meinen Sprachwerkzeugen geübten Wunder, in Verbindung mit der Gedankenzerstreuung überaus störend. Da gleichzeitig auch die Präokkupation durch Halluzinationen – das Hören von Stimmen – fortdauert, so pflichte ich dem Herrn Sachverständigen darin bei, daß eine so intensive Konzentration des Geistes, wie sie die Leitung einer gerichtlichen Verhandlung, die Teilnahme an gerichtlichen Beratungen usw. erfordert, mir nur sehr schwer möglich sein wird. Es handelt sich aber demnach nicht eigentlich um einen Mangel des Intellektes, sondern um gewisse, den prompten mündlichen Gedankenausdruck erschwerende Einwirkungen, die nach meiner Auffassung auf Wundern, nach derjenigen des Herrn Sachverständigen auf rein pathologischen Vorgängen beruhen.

Soviel zur Ergänzung des Gesamtbildes meiner geistigen Persönlichkeit, das der Herr Sachverständige in seinem Gutachten gegeben hat. Es ist also nun die Frage zu beantworten, ob die bei mir angenommene Geisteskrankheit mich unfähig erscheinen lasse, meine Angelegenheiten zu besorgen, das heißt im praktischen Leben vernünftig zu handeln.

In dieser Beziehung möchte ich zunächst wieder die Bemerkung vorausschicken, daß nach meinem Dafürhalten eigentlich den Gegner, die Kgl. Staatsanwaltschaft, die Beweislast trifft. Denn da das Gesetz nicht Geisteskrankheit schlechthin als Grund für die Entmündigung anerkennt, sondern eine Geisteskrankheit von solcher Beschaffenheit voraussetzt, welche den Erfolg hat, den Betreffenden an verständiger Besorgung seiner Angelegenheiten zu verhindern, so dürfte streng genommen demjenigen, der die Entmündigung beantragt, obliegen, dem Richter die hierzu erforderlichen tatsächlichen Anhaltspunkte zu liefern. Demnach ist es mit vagen Befürchtungen, mit allgemeinen Redewendungen, es sei »vollkommen unberechenbar«, ob ich bei Rückgabe der freien Verfügung über meine Person und mein Vermögen durch meine Wahnideen und Sinnestäuschungen nicht zu irgendwelchen unvernünftigen Handlungen veranlaßt werden könne, denn doch wohl nicht getan, um einen Menschen von dem hohen geistigen und sittlichen Niveau, den man auf der anderen Seite in mir anzuerkennen genötigt ist, in rechtlicher Beziehung einem Kinde unter sieben Jahren gleichzustellen. Es hätte vielmehr an der Hand der tatsächlichen Erfahrung namentlich aus den letzten Jahren nachgewiesen werden müssen, daß und in welcher Beziehung eine Neigung zu unvernünftigem Handeln infolge meiner Wahnideen und Sinnestäuschungen bei mir hervorgetreten sei. Nun ist es ja richtig, daß die Gelegenheit, derartige Erfahrungen zu sammeln, bei einem in einer Anstalt Definierten nicht in so reichlichem Maße vorhanden ist, wie bei demjenigen, der sich auf freiem Fuße befindet. Allein einesteils ist es doch nicht meine Schuld, daß ich noch Jahre hindurch unter Entziehung von Ausgängen in der Anstalt festgehalten worden bin, nachdem der eigentliche Grund, die Sicherung gegen mir selbst oder anderen Menschen drohende Gefahren, weggefallen war, und andernteils hat die mir seit über Jahresfrist eingeräumte größere Freiheit der Bewegung meines Erachtens denn doch ausreichende Anhaltspunkte geliefert, daß irgendwelche unvernünftige Handlungen bei vollständiger Rückgabe der freien Verfügung über meine Person und mein Vermögen nicht von mir zu besorgen sein würden. Ich habe seitdem in Hunderten von Fällen die Mahlzeiten an der Familientafel des Anstaltsvorstands eingenommen, auf kleineren und größeren Ausflügen teils zu Fuß, teils mit Benutzung der Dampfschiffe und Eisenbahnen, an öffentlichen Vergnügungsorten, in Geschäftslokalen, in Kirche, Theater und Konzerten, nicht ganz selten ohne jegliche Begleitung durch einen Pfleger der Anstalt mich bewegt, mich dabei auch in der Regel im Besitze einer gewissen, wenn auch bescheidenen Barschaft befunden. Nie wird jemand bei allen diesen Gelegenheiten auch nur das geringste Anzeichen unvernünftiger Handlungsweise bei mir wahrgenommen haben. Es ist mir nicht eingefallen, anderen Personen jemals mit Kundgebung meiner Wahnideen und Sinnestäuschungen lästig zu fallen; ich glaube zum Beispiel behaupten zu dürfen, daß die Damen an der Familientafel des Anstaltsvorstandes, wenn sie nicht zufällig auf anderem Wege Kenntnis davon erlangt haben sollten, auch nicht die leiseste Ahnung von dem Bestehen dieser Wahnideen und Sinnestäuschungen haben werden. Daß ich meiner Frau und meinen Verwandten gegenüber teils mündlich, teils schriftlich zuweilen darüber Andeutungen gemacht habe, ist richtig. Dies wird aber wohl hinreichend gerechtfertigt durch die innige Lebensgemeinschaft, welche zwischen Eheleuten und nahen Angehörigen bestehen soll und welche es nicht gestatten würde, dem anderen Teile alles vorzuenthalten, was das Gefühls- und Geistesleben erfüllt. Auch hier sind überdies die Mitteilungen niemals in aufdringlicher Weise, sondern meist nur auf besonderes Zufragen erfolgt. Das einzige, was in den Augen anderer Menschen als etwas Unvernünftiges gelten kann, ist der auch von dem Herrn Sachverständigen berührte Umstand, daß ich zuweilen mit etwas weiblichem Zierrat (Bändern, unechten Ketten und dergl.) bei halbentblößtem Oberkörper vor dem Spiegel stehend oder sonst angetroffen wurde. Es geschieht dies übrigens nur im Alleinsein, niemals wenigstens, soweit ich es vermeiden kann, zu Angesicht anderer Personen. Die geringen, dazu erforderlichen Anschaffungen (auch etwas Nähzeug und dergleichen), die mir zumeist durch Anstaltsbeamte selbst versorgt worden sind, haben kaum etwas mehr als einige Mark gekostet und kommen daher unter rein finanziellem Gesichtspunkte sicher nicht weiter in Betracht. Zu dem geschilderten Verhalten, so läppisch oder gar verächtlich es vielleicht anderen Menschen erscheinen mag, habe ich nun aber meine sehr guten und gewichtigen Gründe. Ich erziele damit in den Zeiten, wo ich der geistigen Ruhe bedarf – und man kann doch nun einmal nicht den ganzen Tag Klavierspielen, Lesen, Schreiben oder sich sonst geistig beschäftigen – eine erhebliche Mäßigung der sonst für mich und meine Umgebung so überaus lästigen Brüllzustände. Der Zusammenhang wird anderen Menschen nicht ohne weiteres einleuchtend sein; wer sich dafür interessieren sollte, könnte das nähere in Kap. XXI meiner »Denkwürdigkeiten« nachlesen. Für mich ist jedenfalls der angegebene Umstand durch mehrjährige Erfahrung unzweifelhaft bestätigt, so daß ich also insoweit das Urteil anderer Menschen, ob die betreffenden Vornahmen zweckmäßig oder unzweckmäßig seien, nicht anerkennen kann. Allein auch wer, wie ich es natürlich bei anderen Menschen voraussetzen muß, davon ausgeht, daß dieser Vorteil nur in meiner Einbildung beruhe, würde schlimmsten Falles in dem bezeichneten Gebaren doch nur eine unverständliche Schrulle erblicken können, der das Prädikat der absolutesten Harmlosigkeit – außer etwa im Verhältnisse zu meiner Frau, worauf ich noch näher zurückkomme – nicht versagt werden könnte, weil sie weder für mich, noch für andere Personen mit irgendwelchen Nachteilen verbunden ist. Von einer Erkältungsgefahr, deren der Herr Sachverständige als möglich gedenkt, ist dabei sicher unter gewöhnlichen Zimmertemperaturverhältnissen nicht die Rede, wie das Beispiel dekolletierter Damen zur Genüge beweisen dürfte.

Die vorstehend besprochene Anlegung weiblichen Zierrats usw. hat offenbar die Auffassung sowohl des Gutachtens, als des Urteils in Betreff meiner Person in ziemlich erheblicher Weise beeinflußt; ich habe daher auch meinerseits etwas länger dabei verweilen müssen. Es ist dies aber nun eben auch der einzige Punkt, bezüglich dessen mit einigem Recht gesagt werden kann und künftig vielleicht noch gesagt werden könnte, daß mein Verhalten der Außenwelt und insbesondere anderen Menschen gegenüber einer Beeinflussung durch meine Wahnideen und Sinnestäuschungen unterliege. Und damit komme ich auf denjenigen Satz des Gutachtens, der meines Erachtens die Hauptstütze desselben und eben deshalb auch für mich den Hauptgegenstand der Anfechtung bildet. Der Herr Sachverständige sagt auf der viertletzten Seite des Gutachtens in der mir vorliegenden Abschrift:

»Das wichtigste Moment bei der Beurteilung der Handlungsfähigkeit des Patienten bleibt immer die Tatsache, daß pp. alles dasjenige, was der objektiven Betrachtung als Wahnideen und Sinnestäuschung sich darstellt, für ihn (a) unumstößliche Gewißheit und (b) vollberechtigtes Motiv zum Handeln ist.«

Von dieser These habe ich den ersten Teil (ad a), daß mein sog. Wahnsystem unumstößliche Gewißheit für mich sei, ebenso entschieden mit »Ja« zu bestätigen, als ich dem zweiten Teil (ad b), daß meine Wahnideen für mich vollberechtigtes Motiv zum Handeln seien, in der denkbar bestimmtesten Form ein »Nein« entgegenzusetzen habe. »Mein Reich ist nicht von dieser Welt« könnte ich insoweit mit Jesus Christus sagen; meine sogenannten Wahnideen beziehen sich nur auf Gott und das Jenseits, sie können daher auf mein Verhalten in allen irdischen Angelegenheiten, wenn ich einmal diesen Ausdruck brauchen darf – abgesehen von der bereits erwähnten Schrulle, bei der es sich übrigens auch um einen Gott gegenüber zu machenden Eindruck handelt – niemals irgendwelchen Einfluß äußern. Wie der Herr Sachverständige zu der entgegengesetzten Aufstellung kommt, daß meine Wahnideen für mich vollberechtigtes Motiv zum Handeln seien, weiß ich nicht; jedenfalls glaube ich zu dieser Annahme weder durch mein Verhalten, noch durch die schriftlichen Darlegungen in meinen »Denkwürdigkeiten« Anlaß gegeben zu haben. In den letzteren habe ich wiederholt betont, daß ich dasjenige, was an meinem Verhalten anderen Menschen auffällig erscheinen mag, nur »soweit es die Rücksicht auf meine Umgebung gestattet« (Kap. XIII der Denkwürdigkeiten nicht allzuweit vom Eingang entfernt) oder »im Alleinsein mit Gott« (Kap. XXI der Denkwürdigkeiten im zweiten Dritteil) üben werde. Dasjenige, was das Gesetz sonst unter »Angelegenheiten« versteht, d.h. die Wahrung aller Lebensinteressen, namentlich auch der das Vermögen betreffenden, kann durch meine Wahnideen und Sinnestäuschungen gar nicht berührt werden. Ich denke nicht im entferntesten daran, wie der Herr Sachverständige und vor ihm zum Teil schon Herr Justizrat Thürmer als möglich unterstellt hat, irgendwelche mit pekuniären Opfern verbundene Maßnahmen zur Propagierung meines Wunderglaubens, zur Konstatierung meiner Wollustnerven oder zur Erhöhung des auf den letzteren beruhenden »materiellen Wohlbehagens« zu treffen. Wer dergleichen für möglich hält, ist eben doch in keiner Weise in mein inneres Geistesleben eingedrungen, worin natürlich wieder keinerlei Vorwurf liegen soll, da ein derartiges Eindringen für andere Menschen eigentlich überhaupt unmöglich ist. Die Sicherheit meiner Erkenntnis Gottes und göttlicher Dinge ist so groß und unerschütterlich, daß es mir an und für sich vollkommen gleichgültig ist, was andere Menschen über die Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit meiner Vorstellungen denken. Ich werde daher – außer für die Zwecke des gegenwärtigen Prozesses – niemals etwas anderes in dieser Beziehung tun, als meine Erlebnisse und Betrachtungen, wie in der Form der Veröffentlichung meiner Denkwürdigkeiten beabsichtigt, der Kenntnisnahme anderer Menschen zu unterbreiten; ich werde sonst keinen Finger rühren, um dieselben zu beweisen oder wahrscheinlich zu machen. Mein Standpunkt ist insoweit derjenige Luthers: »Ist's Menschenwerk, so wird's vergehn; ist's Gotteswerk, so wird's bestehn.« Ich werde ruhig abwarten, ob nicht unzweifelhaft tatsächliche Vorgänge auch anderen Menschen die Überzeugung von der Richtigkeit meiner Wahnideen aufzwingen werden. Ähnlich verhält es sich mit dem von dem Herrn Sachverständigen erwähnten »materiellen Wohlbehagen« oder, wie ich es nenne, der auf der Seelenwollust beruhenden Erhöhung des körperlichen Wohlbefindens. Diese muß mir von selbst kraft innerer Notwendigkeit in den Schoß fallen, ohne daß ich irgend etwas dazu zu tun brauche und ohne daß eine wesentliche Erhöhung durch geschäftliche Maßnahmen auch nur möglich wäre. Es wird mir daher auch insbesondere nie in den Sinn kommen, etwa die paar Lappen oder unechten Schmucksachen, aus denen mein sog. weiblicher Zierat besteht, durch irgend etwas, was auch nur einem armen Dienstmädchen als wirklicher Putz oder Schmuck erscheinen könnte, zu ersetzen. Denn ich habe die betreffenden Gegenstände nicht mir zum Vergnügen angeschafft oder angefertigt, sondern um auf Gott einen gewissen Eindruck zu machen, und dazu genügen eben auch nahezu wertlose und unechte Sachen.

Für alles das, was ich in dem Vorstehenden in betreff meines zukünftigen Verhaltens versichert habe, werde ich wohl Glauben in Anspruch nehmen dürfen, da ich noch niemals Veranlassung gegeben habe, an der Unverbrüchlichkeit meiner Wahrheitsliebe zu zweifeln. Damit erledigen sich nach meinem Dafürhalten alle diejenigen Befürchtungen, die dem Gutachten und dem Urteil bei der Erwägung vorgeschwebt haben könnten, es sei »vollkommen unberechenbar«, ob nicht doch meine Wahnideen mich zu einem unvernünftigen Handeln in irgendwelchen nicht näher bezeichneten Richtungen veranlassen könnten. Als denkbare Gesichtspunkte für die Aufrechterhaltung meiner Entmündigung blieben demnach wohl nur die beiden in den Entscheidungsgründen des Urteils speziell behandelten Momente übrig, nämlich die Besorgnis, daß bei Rückgabe der Verfügung über meine Person und mein Vermögen »das Verhältnis zu meiner Frau zerstört« werden und ich selbst durch Veröffentlichung meiner Denkwürdigkeiten mich vor anderen Menschen kompromittieren oder der Gefahr einer Bestrafung aussetzen könnte. Auf diese beiden Momente habe ich in dem Folgenden des näheren einzugehen.

A) Was die ersterwähnte Besorgnis anlangt, so scheint mir mit der Bemerkung des Urteils, daß ich durch unvernünftige Handlungen »das Verhältnis zu meiner Frau zerstören würde«, eine Erwägung ins Feld geführt zu sein, die zwar für das Gefühlsleben der beteiligten Personen von großer Bedeutung sein würde, aber schwerlich in rechtlicher Beziehung als ein für die Anerkennung der Geschäftsfähigkeit erhebliches Moment in Betracht kommen kann. Die eheliche Gemeinschaft zwischen mir und meiner Frau ist infolge meiner Krankheit seit Jahren schon so vollständig wie möglich aufgehoben und würde gerade bei Aufrechterhaltung der Entmündigung auf unbestimmte Zeit, möglicherweise bis zum Lebensende eines der Ehegatten aufgehoben bleiben. Wenn die Bemerkung von der drohenden Zerstörung des Verhältnisses zu meiner Frau irgend einen Sinn haben soll, so kann also damit nur gemeint sein, daß die Gefühle der Achtung und Liebe, die meine Frau mir gegenüber etwa noch empfindet, ins Wanken gebracht und erstickt werden könnten. Offenbar handelt es sich hierbei um ein äußerst delikates Kapitel, rücksichtlich dessen dritte Personen, die die Innigkeit des betreffenden ehelichen Verhältnisses niemals gekannt haben, denn doch recht vorsichtig und zurückhaltend in ihrem Urteil sein sollten. Vor allen Dingen aber muß ich mit voller Entschiedenheit betonen, daß die Entmündigung doch nur im Interesse des zu Entmündigenden selbst erfolgen darf, um diesen vor irgendwelchen aus seiner Geneigtheit zu unvernünftigem Handeln drohenden Gefahren zu schützen, niemals aber, um andere, und wären es noch so nahestehende Personen, vor irgendwelchen Unbequemlichkeiten zu bewahren oder sie in einer gewissen Gefühlsstimmung zu erhalten, die nach Befinden für ihr seelisches Gleichgewicht von Bedeutung sein kann, nicht aber zu den durch das Recht geregelten Lebensbeziehungen der Menschen gehört. Neben den die eigene Person des zu Entmündigenden betreffenden Lebensinteressen kann die Sorge für Angehörige (vergl. die im Eingang der Entscheidungsgründe angezogene Verordnung des Kgl. Justizministeriums) nur insoweit in Betracht kommen, als eine derartige Sorge dem zu Entmündigenden rechtlich obliegt, unter den Verhältnissen des vorliegenden Falles also insoweit, als es sich um Gewährung des standesmäßigen Unterhaltes handelt. Dieser Verpflichtung, namentlich auch in der Richtung, daß ich meine Frau mit den zum Getrenntleben erforderlichen Mitteln ausstatten würde, falls Umstände sich ergeben sollten, unter denen ein Zusammenleben mit mir meiner Frau nicht füglich zugemutet werden könnte, würde ich mich niemals entziehen. Wäre ich daher wirklich so verständnislos für die mir meiner Frau gegenüber obliegenden sittlichen Pflichten, daß ich mich jeder Rücksicht auf ihre Gesundheit, ihren seelischen Frieden und ihre natürlichen Empfindungen als Frau entschlagen würde, so würde man zwar gegründeten Anlaß haben, über den sittlichen Wert meiner eigenen Persönlichkeit recht gering zu denken, niemals aber könnte daraus ein Grund zur Verneinung meiner Geschäftsfähigkeit abgeleitet werden. Denn für mich könnte, wenn ich wirklich so gefühllos wäre, den Verlust der Liebe meiner Frau nicht zugleich als ein eigenes Unglück zu empfinden, aus dem Erlöschen dieser Liebe ein sonstiger Nachteil kaum erwachsen: ihre Liebe in irgendwelcher mein körperliches und geistiges Wohl fördernden Weise durch körperliche Fürsorge, Abwartung und Pflege, sowie Austausch der geistigen Interessen zu betätigen, dazu ist ja meiner Frau die Möglichkeit durch die tatsächliche Trennung ohnedies so gut wie vollständig entzogen. Demgegenüber kommen die gelegentlichen Besuche meiner Frau und Geschenke, die sie mir ab und zu macht, schwerlich in Betracht; die von den letzteren betroffenen Gegenstände könnte ich mir ja, wenn ich Herr meines Vermögens wäre, mit Leichtigkeit selbst verschaffen.

Mit dem vorstehend Ausgeführten glaube ich alles dasjenige, was in dem Gutachten und in dem Urteil über die »drohende Zerstörung des Verhältnisses zu meiner Frau«, »die Beeinträchtigung der ehelichen Gemeinschaft« usw. bemerkt worden ist, als für die Entscheidung in dem gegenwärtigen Prozesse unerheblich nachgewiesen zu haben.

Nur um meinen Herren Richtern mich auch moralisch denn doch in etwas besserem Lichte darzustellen, als nach gewissen Äußerungen des Gutachtens und der Entscheidungsgründe auf mich fallen zu müssen scheint, will ich in betreff der Beziehungen zu meiner Frau und in betreff der für meine jetzige (und eventuell künftige) Umgebung aus den sogenannten Brüllzuständen sich ergebenden Unzuträglichkeiten noch einige Bemerkungen anschließen. Die ganzen Ausführungen des Gutachtens, die sich auf das Verhältnis zu meiner Frau beziehen und die anscheinend auf Unterredungen des Herrn Sachverständigen mit meiner Frau beruhen, bekunden starke Mißverständnisse, wobei ich dahingestellt sein lassen darf, ob meine Frau mich (bei der Seltenheit der Begegnungen wäre auch dies möglich) oder der Herr Sachverständige meine Frau mißverstanden hat. Ich habe niemals mit dem Gedanken einer Scheidung gespielt oder Gleichgültigkeit gegen das Fortbestehen des ehelichen Bandes zu erkennen gegeben, wie man nach der Ausdrucksweise des Gutachtens, »ich sei alsbald mit der Andeutung bei der Hand, daß meine Frau sich scheiden lassen könne«, annehmen möchte. Die ganze umfängliche Korrespondenz, die ich seit Jahren mit meiner Frau geführt habe, würde beweisen, mit wie herzlicher Liebe ich derselben zugetan bin und wie schmerzlich ich es empfinde, daß auch sie durch meine Krankheit und die tatsächliche Auflösung der Ehe tief unglücklich geworden ist und wie großen Anteil ich fortdauernd an ihren Geschicken nehme. Demnach habe ich auch die Eventualität einer Scheidung nur in dem Sinne besprochen, daß ich meiner Frau einige Male gesagt habe, wenn es ihr unmöglich sei, mir wegen einer gewissen, ihr natürlich unsympathischen Vorstellung, die mich beherrsche und wegen der daraus entspringenden Absonderlichkeiten meines Verhaltens, die frühere Liebe und Achtung zu bewahren, ihr ja allerdings nach dem Gesetze das Recht zustehe, wegen länger als drei Jahre andauernder Geisteskrankheit auf Ehescheidung zu klagen. Ich habe aber stets hinzugefügt, daß ich dies auf das schmerzlichste beklagen würde; nicht minder habe ich ihr auf der anderen Seite bemerkt, daß sie dann freilich aber auch auf die Zinsen meines Vermögens und meine in 28jährigem Staatsdienste verdiente Pension keinen Anspruch haben würde. (Meine Frau ist zwar ebenfalls nicht vermögenslos; jedoch rührt der größere Teil des Vermögens, dessen Zinsen sie bezieht, von mir her). Ich habe jederzeit volles Verständnis dafür gehabt, welche Rücksichten ich meiner Frau schulde und dies auch meiner Frau gegenüber sowie sonst zum Ausdruck gebracht. Zum Beweise setze ich beispielsweise die Anmerkung 76 zu Kap. XIII meiner Denkwürdigkeiten hierher:

»Eine besondere Diskretion ist für mich namentlich im Verhältnis zu meiner Frau, der ich durchaus die frühere Liebe bewahre, geboten. Es kann sein, daß ich hierbei in mündlichen und schriftlichen Mitteilungen durch allzu große Offenheit zuweilen gefehlt habe. Meine Frau kann natürlich meine Ideengänge nicht vollständig verstehen; es muß ihr schwerfallen, mir die frühere Liebe und Achtung zu bewahren, wenn sie hört, daß ich mich mit der Vorstellung einer mir möglicherweise bevorstehenden Verwandlung in ein Weib beschäftige. Ich kann dies beklagen, aber nicht ändern; auch hier habe ich mich vor jeder falschen Sentimentalität zu hüten.«

Ich weiß nicht, wie man zu der Annahme kommt, daß ich den Takt und das Feingefühl, das man sonst rühmend an mir hervorhebt, im Verhältnisse zu meiner Frau außer acht lassen würde. Es ist selbstverständlich – und danach habe ich auch bisher schon gehandelt –, daß ich irgendwelche meiner Frau peinliche Anblicke ihr zu Angesicht ersparen würde; auch meinen weiblichen Zierat habe ich ihr immer nur mit einem gewissen Widerwillen, wenn sie in verzeihlicher weiblicher Neugier darauf bestand, gezeigt. Es ist ebenso selbstverständlich, daß ich meiner Frau ein Zusammenleben mit mir nicht zumuten oder gar meine eheherrlichen Rechte zur Ausübung eines Zwanges in dieser Richtung mißbrauchen würde, wenn die Erfahrung ergeben sollte, daß ihr das Zusammenleben infolge der sogenannten Vociferationen oder Brüllzustände unerträglich werden müßte. Der Herr Sachverständige tut mir daher denn doch ein wenig unrecht, wenn er von einem »krankhaft gesteigerten Egoismus« redet, in welchem ich »gar nicht daran dächte« (!!), wie sehr meine Frau »unter meinem Treiben« zu leiden habe und in welchem ich auch die Belästigung meiner Umgebung als irrelevant ansähe und mich nur über mein eigenes Mißbehagen beklagte. Der Herr Sachverständige erkennt selbst an, daß die Vociferationen sich zwangsmäßig und automatisch gegen meinen Willen vollziehen,Was übrigens doch nicht ganz richtig ist. Soweit die Vociferationen in dem Gebrauche artikulierter Worte bestehen, ist mein Wille natürlich nicht unbeteiligt. Nur das unartikulierte Brüllen ist wirklich rein zwangsmäßig und automatisch veranlaßt. Zu dem Gebrauche lauter Worte greife ich aber zu gewissen Zeiten nur eben deshalb, weil das unartikulierte Brüllen, das außerdem eintreten würde, für mich und meine Umgebung noch belästigender sein würde. insofern leidet meine Frau zur Zeit überhaupt nicht, da sie getrennt von mir wohnt; soweit aber mit »meinem Treiben« die gelegentliche Anwendung von weiblichem Zierat gemeint sein sollte, habe ich schon oben bemerkt, daß ich meine Frau nie zum Zeugen desselben machen würde, im Alleinsein aber die triftigsten Gründe dazu habe. Die Behauptung, daß ich die Belästigung meiner Umgebung als irrelevant ansähe und mich nur über mein Mißbehagen beklagte, widerlege ich – um nicht zu weitläufig zu werden, führe ich nur dies eine an – mit dem Wortlaute einer von mir an die Kgl. Anstaltsdirektion selbst unter dem 16. Oktober 1899 gerichteten Vorstellung, in welcher ich gesagt habe:

Noch immer werde ich von den Brüllzuständen heimgesucht, die ich der Kgl. Anstaltsdirektion bereits wiederholt geschildert habe. Dieselben treten zu verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Gelegenheiten in sehr verschiedener Stärke und Dauer auf, nehmen aber zuweilen solche Dimensionen an, daß ich selbst die Empfindung habe, ich könnte mich eigentlich ohne Belästigung der übrigen Patienten gar nicht auf dem Korridor zeigen.

Auch im Garten finden dieselben manchmal während des ganzen Spaziergangs nahezu ununterbrochen statt, überhaupt überall da (ich füge jetzt hinzu: aber auch nur da), wo es mir an Gelegenheit zur Aussprache mit gebildeten Menschen fehlt etc.

Im übrigen handelt es sich bei allen mit dem Brüllen oder den sogen. Vociferationen zusammenhängenden Übelständen nur um ein polizeiliches Moment, das wie ja auch das Urteil selbst anerkennt, bei der Frage nach der Rechtmäßigkeit der Entmündigung außer Betracht zu bleiben hat. Wenn bei einem Aufenthalte außerhalb der Anstalt infolge des Brüllens usw. Ruhestörungen sich ergeben sollten, die »in einem bewohnten Hause gar nicht geduldet werden könnten« – was ich keineswegs für so ausgemacht halte, wie der Herr Sachverständige und was daher immerhin erst durch Versuche nachgewiesen werden möchte –, so würde ich selbst verständig genug sein, die Untunlichkeit meines Verweilens außerhalb einer geschlossenen Anstalt einzusehen und freiwillig in dieselbe zurückzukehren, ohne daß es der Ausübung irgendwelchen Zwanges, zu dem man ja dann aus polizeilichen Gründen das Recht hätte, bedürfen würde.

B) Ein zweites »Beispiel«, wie sehr meine Handlungsweise unter dem Zwange krankhafter Vorstellungen stehe, soll nach der Auffassung des angefochtenen Urteils durch meine »Denkwürdigkeiten« und den Wunsch ihrer Veröffentlichung geboten sein. Nun ist es an und für sich gewiß nichts Unvernünftiges, daß ein Mensch ein Erzeugnis seiner Geistestätigkeit der Kenntnisnahme weiterer Kreise zugänglich zu machen wünscht. Jeder Dichterling, der ein paar Verse geschmiedet hat, erstrebt den Druck seines Machwerks und dies wird jedermann begreiflich finden, selbst wenn der poetische Unwert des Gedichteten für einsichtige Beurteiler von vornherein feststehen sollte. So mögen denn auch meine Denkwürdigkeiten zunächst verworren, phantastisch und manchem Leser nicht der Druckerschwärze wert erscheinen, die darauf verwendet werden würde. Immerhin bleibt es mißlich, im voraus zu beurteilen, ob ein Geisteswerk sich zur Veröffentlichung eigne oder nicht; zu einem solchen Urteil sind nicht einmal immer die jeweiligen Autoritäten auf den betreffenden Gebieten des menschlichen Wissens, noch weniger aber einzelne Richter berufen: es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, daß eine neue wissenschaftliche Entdeckung, eine neue Weltanschauung, eine neue Erfindung usw. von den Zeitgenossen belächelt, verspottet und als ein Erzeugnis des Irrsinns angesehen worden wäre, der hinterdrein eine mehr oder weniger bahnbrechende Bedeutung zugestanden werden mußte. Allein – so belehrt mich das Landgericht – meine Denkwürdigkeiten sind gleichwohl zur Veröffentlichung ungeeignet, weil ich dadurch mich und meine Familie in unerhörter Weise bloßstellen, ja sogar mich der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen würde. Denn ich bediene mich darin höchst anstößiger Kraftausdrücke, gebe die intimsten Familiengeheimnisse preis und belege noch lebende hochangesehene Personen mit beschimpfenden Bezeichnungen, schildere ungeniert die bedenklichsten Situationen und beweise damit eben nur, daß mir das Unterscheidungsvermögen hinsichtlich dessen was erlaubt und unerlaubt sei, vollständig verlorengegangen sei.

Dieser ganzen Ausführung gegenüber möchte ich zunächst bemerken, daß die von mir beabsichtigte Veröffentlichung meiner Denkwürdigkeiten doch nicht so ohne weiteres in dem Sinne zu verstehen ist, daß ich dieselben unbedingt so wie sie liegen ohne jede Abänderung dem Druck übergeben würde. Ich habe dieselben zunächst nicht in der Absicht der Veröffentlichung geschrieben. Dies habe ich im »Vorwort« (am Schlusse der »Denkwürdigkeiten« zu lesen) ausdrücklich hervorgehoben. Da dieses Vorwort auch im übrigen in nuce meine (antizipierte) Replik gegen die damals noch gar nicht vorliegenden Beanstandungen des Gutachtens und des Urteils enthält, so lasse ich dasselbe hier im Wortlaut folgen:

»An eine Veröffentlichung dieser Arbeit habe ich beim Beginne derselben nicht gedacht. Der Gedanke ist mir erst im weiteren Fortgang derselben gekommen. Dabei habe ich mir die Bedenken nicht verhehlt, die einer Veröffentlichung entgegenzustehen scheinen, es handelt sich namentlich um die Rücksicht auf einzelne noch lebende Personen. Auf der anderen Seite bin ich der Meinung, daß es für die Wissenschaft und die Erkenntnis religiöser Wahrheiten von Wert sein könnte, wenn noch bei meinen Lebzeiten von berufener Seite irgendwelche Beobachtungen an meinem Körper und in betreff meiner persönlichen Schicksale gemacht werden könnten. Dieser Erwägung gegenüber müssen alle persönlichen Rücksichten schweigen.«

Hiernach wäre an und für sich nicht ausgeschlossen, daß, wenn es einmal zum Drucke meiner Denkwürdigkeiten kommen sollte, ich zuvor erst eine Nachprüfung eintreten lassen würde, ob nicht diese oder jene einzelne Stelle ohne Nachteil für den Zusammenhang gestrichen, dieser oder jene Ausdruck gemildert werden könnte usw. Die Aussicht, zu einer Veröffentlichung meiner Arbeit durch den Druck zu gelangen, ist übrigens doch nicht so gering, wie der Herr Sachverständige meint. Wenn es in dem Gutachten (auf der vorletzten Seite der mir vorliegenden Abschrift) heißt, ich verhandelte wegen der Veröffentlichung »bis jetzt natürlich vergeblich« mit einem Verleger, so ist dem Herrn Sachverständigen nicht bekannt gewesen, daß mir in zwei Briefen des Verlegers (Friedrich Fleischer in Leipzig) am 5. November und 2. Dezember 1900 die ziemlich unverblümte Zusage, daß er nach erfolgter Aufhebung der Entmündigung seine Mitwirkung zur Veröffentlichung der Denkwürdigkeiten nicht versagen würde, vorliegt.

Allein, auch wenn der Abdruck meiner »Denkwürdigkeiten« in der jetzt vorliegenden Form ohne jede Abänderung erfolgen würde, so müßte ich mich auf das Entschiedenste dagegen verwahren, daß dadurch irgend eines der Mitglieder meiner Familie bloßgestellt werden könnte. Das Andenken meines Vaters und meines Bruders, sowie die Ehre meiner Frau ist mir so heilig, wie nur irgend jemand unter ähnlichen Verhältnissen, dem der gute Ruf naher Angehöriger am Herzen liegt. Ich habe denn auch nicht das mindeste berichtet, was das Andenken meines Vaters und meines Bruders verunglimpfen oder dem Rufe meiner Frau schaden könnte. Es handelt sich dabei vielmehr nur um die Schilderung allerdings zum Teil recht eigentümlicher Krankheitszustände, aus denen für die betreffenden Personen niemals ein Vorwurf abgeleitet werden kann. Was dagegen die Gefahr betrifft, daß ich mich selbst durch Bekanntgabe meiner Denkwürdigkeiten »bloßstellen« oder kompromittieren könne, so nehme ich diese Gefahr mit vollem Bewußtsein und mit vollkommener Ruhe auf mich. Das Schlimmste, was mir passieren könnte, wäre doch nur, daß man mich für geistig gestört hielte und dies tut man ja schon ohnedies. Hierbei hätte ich also kaum noch irgend etwas zu verlieren. In Wahrheit glaube ich aber nicht befürchten zu müssen, daß irgend jemand, der sich die Mühe nicht verdrießen läßt, meine Denkwürdigkeiten mit Aufmerksamkeit zu lesen, nach der Lektüre geringer von mir denken würde, wie vorher. Wenn auch der Besprechung sexueller Verhältnisse in meiner Arbeit ein breiter Raum gewidmet ist, so beruht dies doch keineswegs auf meiner eigenen Geistes- und Geschmacksrichtung, sondern lediglich darauf, daß die betreffenden Verhältnisse in dem Verkehre der mit mir redenden Stimmen eine überaus große Rolle gespielt haben und dies steht wieder damit in Zusammenhang, daß die Wollust nun einmal in einer – für andere Menschen bisher nicht erkennbar gewordenen – nahen Beziehung zu der Seligkeit der abgeschiedenen Geister steht (vergl. Kap. XXI meiner Denkwürdigkeiten). Dabei wird aber sicher nicht gesagt werden können, daß ich irgendwie ein Behagen am Gemeinen zu erkennen gegeben habe; niemand wird vielmehr den sittlichen Ernst verkennen, der meine ganze Arbeit durchweht und der kein anderes Ziel, als die Erforschung der Wahrheit verfolgt; niemand wird sich dem Eindruck entziehen können, daß ich überall da, wo ich genötigt war, an Gott und göttlichen Dingen sozusagen eine ungünstige Kritik zu üben, ich jedesmal ängstlich bemüht gewesen bin, jedes Mißverständnis auszuschließen, durch welches die Grundlagen wahrer Religiosität gefährdet werden könnten (vergl. Kap. V der Denkwürdigkeiten gegen das Ende, Anmerkung 97 zu Kap. XVI der Denkwürdigkeiten, Nr. V der Nachträge zu denselben usw. usw.). Daß hin und wieder Kraftausdrücke gebraucht sind, ist richtig; allein diese Kraftausdrücke sind doch nicht auf meinem eigenen geistigen Nährboden entstanden, sondern kommen, soweit ich übersehen kann, überall nur da vor, wo ich referierend über den Inhalt des mit mir geführten Stimmengesprächs berichtet habe. Daß diese Stimmen sich vielfach nichts weniger als salonfähiger Ausdrücke bedienen, ist nicht meine Schuld; um der Treue der Darstellung willen mußte ich die betreffenden Redensarten stets wörtlich wiedergeben. Zum Beweise, daß die von den Stimmen gebrauchten »Kraftausdrücke« nicht ein unwillkürliches Produkt meiner eigenen Nerven sein können, will ich nur eines anführen: das besonders anstößige mit F..... beginnende Wort ist in meinem früheren Leben vielleicht nicht zehn Mal über meine Lippen gekommen, während ich es im Laufe der letzten Jahre von den Stimmen zu Zehntausenden von Malen vernommen habe. Wie sollten meine Nerven, denen der Gebrauch dieses Wortes nichts weniger als eine Gewohnheit war, von selbst ohne äußere Einwirkung in der Lage sein, mir jenes Wort immer von neuem zuzurufen oder zuzulispeln? Im übrigen sind doch meine Denkwürdigkeiten nicht für Backfische oder höhere Töchter geschrieben; kein Verständiger wird mir daher einen Vorwurf daraus machen wollen, wenn ich nicht allenthalben den Ton getroffen haben sollte, den empfindsame Pensionsmütter ihren Pflegebefohlenen gegenüber für angemessen halten mögen. Wer einer neuen Religionsauffassung die Wege ebnen will, der muß nach Befinden in Flammenworten sprechen können, wie sie etwa Jesus Christus gegenüber den Pharisäern oder Luther gegenüber dem Papste und den Mächtigen der Erde zur Verfügung hatte. Die sicherste Gewähr, daß ich mit der Veröffentlichung meiner Denkwürdigkeiten mich keineswegs »vor anderen Menschen kompromittieren« d. h. in der Achtung derselben verlieren würde, bietet mir das Verhalten der hiesigen Ärzte, darunter des Herrn Sachverständigen selbst. Es ist gar keine Frage – das werden sich die betreffenden Herren im stillen selbst eingestehen, – daß die Behandlung, die mir in der hiesigen Anstalt zuteil wird, eine sehr viel achtungsvollere geworden ist, seitdem man von dem Inhalte meiner Denkwürdigkeiten Kenntnis genommen und hierbei doch einen ganz anderen Einblick in meine geistige und sittliche Persönlichkeit erlangt hat, als bis dahin vielleicht möglich war. Ebenso würde ich. wie ich glaube, in der moralischen Einschätzung anderer Personen nur gewinnen, nicht verlieren können.

Ich soll aber weiter auch »noch lebende hochangesehene Persönlichkeiten mit beschimpfenden Bezeichnungen belegt« haben. Damit kann nur der Geh. Rat Prof. Dr. Flechsig in Leipzig gemeint sein. Diesem gegenüber ist jedenfalls die Behauptung, daß ich beschimpfende Bezeichnungen angewendet hätte, unzutreffend; ich müßte bitten, mir aus meinen Denkwürdigkeiten auch nur eine einzige Stelle nachzuweisen, in der ich mich eines Schimpfwortes in bezug auf Herrn Geh. Rat Prof. Dr. Flechsig bedient hätte. Wahr ist nur soviel, daß ich über gewisse Vorgänge berichtet habe, die ich nach den Mitteilungen der mit mir redenden Stimmen für wahr halten mußte und die, wenn sie wahr wären und auf den Menschen Geh. Rat Dr. Flechsig bezogen werden müßten, denselben in der öffentlichen Achtung herabzuwürdigen geeignet wären, wenn sie unwahr wären, also eine Beleidigung desselben enthielten. Die Gefahr einer Bestrafung ist daher hier in der Tat vielleicht nicht ausgeschlossen. Diese nehme ich aber mit vollem Bewußtsein auf mich. Zur Klarlegung meines Standpunktes werden am besten zwei meiner früheren schriftlichen Elaborate dienen, welche beide noch aus der Zeit vor Erlaß des Urteils und beziehentlich der Zeit, wo ich von dem Inhalte der erstatteten Gutachten noch keine Kenntnis hatte, herrühren. Der volle Wortlaut der letzteren ist mir nämlich erst in den letzten Wochen (Ende Mai bis Anfang Juli 1901) zugänglich geworden. Unter dem 4. Februar 1901 habe ich eine Vorstellung folgenden Inhalts an die Königliche Anstaltsdirektion gerichtet:

»Der Königlichen Anstaltsdirektion ist bekannt, daß ich mich mit dem Gedanken einer Veröffentlichung meiner Denkwürdigkeiten trage und dieselbe nach erfolgter Aufhebung meiner Entmündigung zu erreichen hoffe.

Zweifel, ob die Veröffentlichung statthaft sei, haben mich lange und viel beschäftigt. Ich habe mir nicht verhehlt, daß mit Rücksicht auf gewisse Abschnitte meiner Denkwürdigkeiten der Geh. Rat Prof. Dr. Flechsig in Leipzig sich veranlaßt fühlen könnte, meine Bestrafung wegen Beleidigung, ja sogar nach Befinden die Einziehung des ganzen Druckwerks als den Tatbestand einer strafbaren Handlung enthaltend (§ 40, Str.-G.-B.) zu beantragen. Ich habe mich aber schließlich doch dazu entschieden, an dem Vorhaben der Veröffentlichung festzuhalten. Ich weiß mich auch dem Geh. Rat Prof. Dr. Flechsig gegenüber von jeder persönlichen Animosität frei. Ich habe demzufolge in meine Denkwürdigkeiten nur solche ihn betreffende Angaben aufgenommen, die nach meinem Dafürhalten zum Verständnis meiner ganzen Darlegung gar nicht entbehrt werden können. Ich würde insbesondere die vielleicht etwas anzügliche und für den Zusammenhang nicht unbedingt notwendige Anmerkung – meiner Denkwürdigkeiten im Falle einer Veröffentlichung streichen. Ich hoffe, daß dann auch bei Geh. Rat Prof. Dr. Flechsig das wissenschaftliche Interesse an dem Inhalte meiner Denkwürdigkelten etwaige persönliche Empfindlichkeiten zurückdrängen würde. Für den entgegengesetzten Fall ist das Gewicht, das ich auf die Bekanntgabe meiner Arbeit mit Rücksicht auf die davon erhoffte Bereicherung der Wissenschaft und Klärung religiöser Ansichten lege, ein so großes, daß ich selbst die Gefahr einer Bestrafung wegen Beleidigung oder eines mir durch eine etwaige Einziehung drohenden Vermögensverlustes auf mich nehmen würde.

Der Kgl. Anstaltsdirektion mache ich diese Mitteilung selbstverständlich nicht in der Absicht, eine Meinungsäußerung derselben darüber zu erbitten, ob sie die Möglichkeit einer Bestrafung für gegeben erachte, sondern lediglich um auch hiermit einen neuen Beweis zu liefern, wie reiflich ich bei allen meinen Handlungen die Folgen im voraus erwäge und wie wenig also bei mir davon die Rede sein kann, daß ich die Fähigkeit entbehre, meine Angelegenheiten zu besorgen.«.

Weiter ist in den Nachträgen zu meinen Denkwürdigkeiten unter VI am Ende folgendes bemerkt:

»Für den Fall der Veröffentlichung meiner gegenwärtigen Arbeit bin ich mir wohl bewußt, daß es eine Persönlichkeit gibt, die sich durch eine solche Veröffentlichung verletzt fühlen könnte. Es ist dies der Geh. Rat Prof. Dr. Flechsig in Leipzig. Hierüber habe ich mich bereits in einer unter dem 4. Februar 1901 an die Kgl. Anstaltsdirektion gerichteten Vorstellung verbreitet, deren Wortlaut ich nachstehend wiedergebe (folgt der obige Wortlaut).

Hieran mögen noch einige weitere Bemerkungen angeschlossen werden.

Daß Geh. Rat Prof. Dr. Flechsig von den äußeren Vorgängen, die mit meinem Aufenthalt in der von ihm geleiteten Universitätsirrenklinik zu Leipzig zusammenhängen, wenigstens im allgemeinen noch eine Erinnerung hat, habe ich als selbstverständlich anzunehmen. Dagegen wage ich nicht zu behaupten, ob auch die übersinnlichen Dinge, die mit seinem Namen in Verbindung stehen und bei denen mir dieser Name von den Stimmen genannt worden ist und noch jetzt täglich genannt wird, jemals zum Bewußtsein gekommen sein müssen. Ich habe die Möglichkeit zuzugeben, daß er in seiner Eigenschaft als Mensch denselben ferngestanden hat und noch fernsteht; dunkel bleibt natürlich die Frage, wie bezüglich eines noch lebenden Menschen von einer von ihm unterschiedenen, außerhalb seines Körpers befindlichen Seele die Rede sein kann. Daß es eine solche Seele oder wenigstens einen solchen Seelenteil gegeben hat und noch jetzt gibt, ist gleichwohl nach den von mir gemachten tausendfältigen Erfahrungen für mich gewiß. Ich habe demnach auch als möglich anzuerkennen, daß alles, was namentlich in den ersten Abschnitten meiner Denkwürdigkeiten über Vorgänge berichtet ist, die mit dem Namen Flechsig in Verbindung stehen, nur auf die von dem lebenden Menschen zu unterscheidende Seele Flechsig zu beziehen ist, deren besondere Existenz zwar gewiß, auf natürlichem Wege aber nicht zu erklären ist. Es liegt mir also durchaus fern, mit der von mir beabsichtigten Veröffentlichung die Ehre des lebenden Geh. Rat Prof. Dr. Flechsig in irgendwelcher Weise anzugreifen.«

Meinen Auslassungen in den vorstehend wiedergegebenen Schriftstücken habe ich nur noch einiges wenige hinzuzufügen. Es ergibt sich daraus wohl zur Evidenz, daß ich bei der beabsichtigten Veröffentlichung meiner Denkwürdigkeiten von Anfang an das vollste Verständnis für die möglichen Folgen eines solchen Vorgehens gehabt und dies scheint mir doch für die Frage nach der Bejahung oder Verneinung meiner Geschäftsfähigkeit das Entscheidende zu sein. Will ich zu den unsäglichen Leiden, die ich schon durchgemacht habe, um eines für mich heiligen Zweckes willen auch noch das Martyrium einer mir drohenden Bestrafung auf mich nehmen, so hat meines Erachtens kein Mensch das Recht, mich hieran zu hindern. Ich kann nun einmal nicht wünschen, daß die Erkenntnis Gottes, die sich mir erschlossen hat, mit meinem Ableben in das Nichts versinke und damit der Menschheit eine vielleicht niemals wiederkehrende Gelegenheit zur Erlangung richtigerer Vorstellungen über das Jenseits verlorengehe. Im übrigen steht wohl immer noch dahin, ob ich eine Beleidigungsklage des Geh. Rat Prof. Dr. Flechsig wirklich zu erwarten hätte und ob dieselbe zu meiner Bestrafung führen würde. Jedenfalls müßte ich den mir zugedachten Schutz dankend ablehnen, welcher darauf hinauslaufen würde, daß man, um mich vor einer höchstens mehrmonatigen Gefängnisstrafe zu bewahren, mich lieber gleich zeitlebens in eine Anstalt einsperrte und der freien Verfügung über meine Person und mein Vermögen beraubte.

*

Mit dem, was ich in dem bisherigen entwickelt habe, könnte ich die Begründung meiner Berufung abschließen; denn ich glaube alle wesentlicheren Gesichtspunkte, welche in dem Gutachten und im Urteil zugunsten der Aufrechterhaltung der Entmündigung geltend gemacht worden sind, widerlegt zu haben.

Nur ein novum, das, während ich mit Abfassung der gegenwärtigen Niederschrift beschäftigt war, in Begriff meiner gesundheitlichen Verfassung hervorgetreten ist, veranlaßt mich noch zu einem Zusatz, da davon meine Zukunftspläne nicht gänzlich unberührt bleiben können. Ich habe bisher in der Meinung gelebt, daß die mir in der hiesigen Anstalt verabreichten Schlafmittel für meinen Schlaf gänzlich indifferent seien, mein Schlaf vielmehr nur von der Einwirkung der Strahlen abhänge (vergl. Anmerkung 29 zu Kap. VII meiner Denkwürdigkeiten). Die verordneten Schlafmittel habe ich immer nur deshalb eingenommen, weil ich mich hierin wie in allen anderen Punkten den Anordnungen der Ärzte füge. Nun ist aber in diesem Monate während einiger Nächte der Versuch gemacht worden, von Schlafmitteln abzusehen. Der Versuch hat den Erfolg gehabt, daß ich während der betreffenden Nächte wenig oder gar nicht geschlafen habe. Nicht ausgeschlossen wäre natürlich, daß hierbei ein Zufall im Spiele wäre, da ich auch sonst zuweilen ein oder mehrere Nächte schlecht geschlafen habe. Immerhin muß ich jetzt mit der Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit rechnen, daß ich die Schlafmittel wenigstens vorläufig nicht entbehren kann. Damit würde zwar meine Grundanschauung, daß meine Person der Gegenstand göttlicher Wunder ist und daß auch mein Schlaf zunächst auf Vereinigung aller Strahlen beruht, nicht im mindesten berührt werden. Es wäre ja wohl möglich, daß eine dem Bedürfnisse der menschlichen Natur genügende Dauer des Schlafs nur durch medikamentöse Nachhilfe zu erzielen wäre. Wohl aber müßten dadurch meine Pläne hinsichtlich der Gestaltung meiner Zukunft von selbst eine gewisse Einschränkung erfahren. Ich gehöre nicht zu derjenigen Klasse von Geisteskranken, welche immer nur mit Ungestüm nach ihrer Entlassung drängen, ohne sich irgendwie Rechenschaft darüber zu gehen, wie ihr Leben außerhalb der Anstalt für sie und ihre Umgebung sich gestalten würde. Auch ist der Aufenthalt in der hiesigen Anstalt unter den jetzigen Verhältnissen an und für sich nicht so unerträglich für mich, daß ich etwa ein einsames Leben außerhalb der Anstalt – wenn ich nun einmal mit meiner Frau nicht zusammenleben könnte – dem jetzigen Stande der Dinge vorziehen würde; es wäre ja z. B. kaum zu sagen, ob, solange die Brüllzustände eine häufigere Erscheinung sind, auch nur ein gemieteter Dienstbote bei mir aushalten würde. Demnach bescheide ich mich ohne weiteres, daß, solange ich für meinen Schlaf eine künstliche Nachhilfe nicht entbehren kann, das Verbleiben unter ärztlicher Aufsicht, am einfachsten also in der Anstalt, in der ich mich nun einmal seit sieben Jahren befinde, das einzig Richtige und Vernünftige ist. Allein wie ich auch hiermit wieder einen neuen Beweis für meine durchaus verständige und besonnene Auffassung der Dinge geliefert zu haben glaube, so muß ich auf der anderen Seite auch Wert darauf legen, daß mein Aufenthalt in der hiesigen Anstalt den Charakter einer durch gesundheitliche Rücksichten veranlaßten Maßnahme behält, die sich – außer soweit und solange daneben noch polizeiliche Rücksichten einschlagen – mit meiner freien Zustimmung als derjenigen eines durchaus verständigen und auch in dieser Beziehung zur Fürsorge für seine Angelegenheiten durchaus befähigten Menschen sich vollzieht. Es handelt sich dabei einmal um eine Sache des Ehrgefühls; denn welcher Mensch von so hoher geistiger Bedeutung, wie ich sie für mich in Anspruch nehmen zu können glaube, sollte es nicht als eine Unwürdigkeit empfinden, sich in rechtlicher Beziehung allenthalben wie ein Kind unter sieben Jahren behandeln zu lassen, von jeder, auch schriftlichen, Verfügung über sein Vermögen, ja auch nur von der Kenntnisnahme über den Stand dieses Vermögens ausgeschlossen zu sehen usw. usw. Sodann hat aber die Sache auch eine sehr erhebliche praktische Bedeutung. Die Notwendigkeit der Schlafmittel kann sich möglicherweise über kurz oder lang erledigen; die zu polizeilichen Bedenken Anlaß gebenden Brüllzustände können eine Milderung erfahren, nach der sie als eine ernstliche Belästigung anderer Personen nicht mehr in Frage kommen würden. Wenn ich solchenfalls in dem geeigneten Zeitpunkte irgendeine Veränderung meiner Lage, etwa probeweise einmal eine vorübergehende Unterbringung in einer Privatanstalt anregen wollte, so würde ich, solange die Entmündigung besteht, befürchten müssen, mit den bezüglichen Wünschen von Pontius zu Pilatus geschickt zu werden. Denn die Anstaltsverwaltung auf der einen Seite und meine Angehörigen sowie Vormund und Vormundschaftsgericht auf der anderen Seite, welch letztere natürlich über meinen Zustand niemals genau unterrichtet sein werden, könnten sehr leicht geneigt sein, die Verantwortlichkeit für meine Entlassung oder irgendwelche Veränderung meiner Lage wechselseitig aufeinander abzuwälzen. Ich habe daher das allerentschiedenste Interesse daran, es in dieser Beziehung nur mit der Anstaltsverwaltung zu tun zu haben, deren Einsicht und Pflichttreue ich zwar das vollkommenste Vertrauen entgegenbringe, der ich es aber andrerseits auch nicht ersparen kann, über eine eventuell gegen meinen Willen stattfindende Fortdauer des Aufenthaltes in der Anstalt lediglich unter eigener Verantwortlichkeit zu befinden und sich diesen Gesichtspunkt bei ihren betreffenden Entschließungen jederzeit mit vollkommenster Deutlichkeit bewußt zu halten.

Ich schließe mit dem nochmaligen Ausdrucke des Wunsches, daß irgendeine persönliche Schärfe, die meine Ausführungen etwa gegen meine eigentliche Absicht dem Herrn Sachverständigen gegenüber angenommen haben könnten, von demselben keinesfalls als eine Verletzung der demselben geschuldeten Hochachtung empfunden werden möchten.

Sonnenstein, den 23. Juli 1901.

Dr. Schreber, Senatspräsident a.D.

O.I. 152/00.

D. Gutachten des Geh. Rat Dr. Weber vom 5. April 1902

Sonnenstein, 5. April 1902.

An das Königliche Oberlandesgericht I. Zivilsenat zu Dresden.

Wenn ich auf Grund des Beweisbeschlusses des Königlichen Oberlandesgerichts, I. Zivilsenat, vom 23. Dezember 1901, unter dem 14. Januar d.J. veranlaßt worden bin, mich anderweit über den psychischen Zustand des Herrn Senatspräsidenten Dr. Schreber gutachtlich auszusprechen, so ist das für mich eine wenig angenehme Aufgabe. Seit Jahren bin ich der Arzt des Klägers, seit langer Zeit ist er mein täglicher Tischgast, von meiner Seite sehe ich das Verhältnis zwischen ihm und mir, wenn ich so sagen darf, als ein freundschaftliches an und es ist mein lebhafter Wunsch, daß dem schwergeprüften Manne noch das Maß von Lebensgenuß zuteil werde, auf das er nach so vielen Widrigkeiten rechnen zu dürfen glaubt. Nun fällt es mir zu, den Bestrebungen gegenüber, auf die er selbst den größten Wert legt, und deren Erfolg für ihn eine wesentliche Voraussetzung jenes Lebensgenusses ist, pflichtgemäß die Dinge vom ärztlich wissenschaftlichen Standpunkt so zu schildern, wie sie sich mir nach meiner Beobachtung darstellen, und damit das Material zu liefern, das eventuell der Bestätigung der von ihm angefochtenen Entmündigung als Grundlage zu dienen hat. Es liegt in der Wiedergabe der im intimen Verkehr gemachten Wahrnehmungen immerhin ein Moment, das leicht als Mißbrauch der ärztlichen Vertrauensstellung gedeutet und empfunden werden kann, und wenn auch dem Gericht gegenüber der Arzt von der sonst gebotenen Rücksicht gegen den Patienten entbunden ist, so bleibt für den letzteren die rückhaltlose Aussprache über seine Krankheitserscheinungen immer empfindlich und kann nicht dazu beitragen, das gegenseitige Verhältnis zu einem unbefangenen und vertraulichen zu gestalten, wie es der Natur der Sache nach sein sollte. So objektiv der ärztliche Sachverständige sich in seinen Äußerungen auch zu halten bemüht sein mag, er wird nie dahin gelangen können, von dem psychisch Kranken seine Anschauungen als objektiv begründet anerkannt zu sehen, es müßte denn eben der Kranke seinen Zustand richtig beurteilen, damit aber beweisen, daß er tatsächlich nicht krank sei.

Um deswillen wäre es mir lieb gewesen, wenn nunmehr ein anderer Sachverständiger bestellt worden wäre, um auf Grund der gegebenen Unterlagen sein Urteil zu fällen, um deswillen habe ich mich aber auch in dem früheren Gutachten besonders vorsichtig an meine Kompetenz als ärztlicher Sachverständiger gehalten, wie ich sie auffasse. Von seiten des Klägers sowohl als der Königlichen Staatsanwaltschaft ist allerdings diese Haltung als ungerechtfertigt bezeichnet worden, ich glaube aber doch an meiner Anschauung festhalten zu sollen, wenn auch in den gewöhnlich vorkommenden zweifellosen Fällen der Sachverständige (und ich nehme mich nicht aus) der Kürze halber ohne weiteres die Konsequenzen aus der konstatierten Geisteskrankheit oder Geistesschwäche selbst zieht. Ich darf mich in dieser Richtung unter anderen auf die Ausführungen Endemanns (Einführung in das Studium des B. S. C. 3. Aufl. Seite 147 ff.) beziehen und glaube auch aus dem Inhalt des Beweisbeschlusses entnehmen zu dürfen, daß das Königliche Oberlandesgericht meine Anschauung nicht bemängelt, indem es von mir nicht die gutachtliche Erklärung darüber, ob der Kläger seine Angelegenheiten infolge seiner Geisteskrankheit nicht besorgen könne, sondern nur eine Erläuterung und Ergänzung meines früheren Gutachtens verlangt. Mit Rücksicht auf die gewünschte Ergänzung habe ich denn auch die Abgabe des Gutachtens etwas zurückgehalten, um die Vorgänge der neueren Zeit, in der dem Kläger nicht nur freiere Bewegung, sondern auch die Verfügung über etwas größere Geldmittel zustand, mit berücksichtigen zu können. –

Bei Erledigung des Beweisbeschlusses möchte ich mit der in demselben an dritter Stelle formulierten Frage beginnen, da sie eine generelle ist und durch ihre Beantwortung auf manche in den vorhergehenden Fragen berührten Punkte Licht geworfen wird.

Wenn man, vielleicht übertrieben, behauptet, daß kein Blatt eines Baumes dem anderen vollkommen gleiche, so gilt das mit noch größerem Rechte von den Erkrankungen des menschlichen Gehirns, soweit es das Substrat der psychischen Funktionen ist. Dasselbe ist ein so überaus komplizierter Apparat und ist in so verschiedenem Maße entwickelt, daß die Störungen innerhalb seines Bereichs eine unendliche Mannigfaltigkeit aufweisen, die einzelnen abnormen Erscheinungen in einer unerschöpflichen Zahl von Kombinationen sich miteinander verbinden und demzufolge kein Einzelfall dem anderen absolut gleich ist. Es wird das auch dem in psychischen Erkrankungen Unerfahrenen ohne weiteres einleuchtend sein, wenn er sich vergegenwärtigt, wie verschieden die psychischen Individualitäten gesunder Menschen sind, wie sehr sie nach der Promptheit und Fülle der Assoziationen, der Lebhaftigkeit und Tiefe der Affekte, der Energie der Willensimpulse usw. voneinander abweichen, so daß kaum je die eine Persönlichkeit in allen Einzelzügen sich mit einer anderen vollständig deckt. Daß die ursprüngliche Individualität von wesentlichem Einfluß auf die Gestaltung eines pathologischen Prozesses ist, daß krankhafte Ideen nach Inhalt und Form ein ganz anderes Gepräge tragen müssen bei einem geistig reich begabten, kenntnisreichen, ethisch hochstehenden Menschen als bei einem von Haus aus minderwertigen, ärmlich entwickelten, stumpfsinnigen Individuum, liegt auf der Hand, und berücksichtigt man weiter, daß in dem so oder so gearteten Organismus wiederum das komplizierte Getriebe des psychischen Geschehens in einer besonderen Richtung gestört sein kann, so ergibt sich der denkbar weiteste Spielraum für die Ausgestaltung des Details der Krankheitsbilder. So überaus mannigfaltig und verschiedenfarbig aber die Einzelfälle von Seelenstörung sich darstellen, soviel Besonderes und Eigenartiges in jedem Falle der aufmerksamen Beobachtung sich darbieten mögen, so unabweislich drängen sich doch bei einer Überschau über die Einzelfälle innerhalb derselben gewisse Gruppierungen der Wahrnehmung auf, bestimmte Komplexe krankhafter Erscheinungen, die sich nach Entwicklung, Verlauf und Ausgang, nach Beteiligung der einzelnen psychischen Funktionen mehr oder weniger scharf voneinander abheben und die auf Grund tausendfältiger Beobachtung zur Feststellung einer gewissen Zahl von Krankheitsformen geführt haben. Und so bunt, so unerschöpflich an Variationen die Einzelausführung der psychischen Krankheitsbilder sein möge, so konstant sind die wesentlichen Richtungslinien, und in fast überraschender eintöniger Gleichmäßigkeit wiederholen sich, wenn man so zu sagen von den Arabesken des Einzelfalles absieht, die charakteristischen Grundzüge der Krankheitsformen.

Von diesem wissenschaftlich gesicherten Standpunkte aus kann nicht entfernt davon die Rede sein, daß die bei dem Kläger sich kundgebende Seelenstörung in ihrer Eigenart in der Psychiatrie bisher nicht bekannt gewesen sei, vielmehr gehört sie zweifellos einer wohlbekannten und wohl charakterisierten psychischen Krankheitsform, der Paranoia, an und trägt alle wesentlichen Merkmale derselben an sich. Gewiß ist der vorliegende Fall, eine so häufige Seelenstörung die Paranoia an sich auch ist, kein gewöhnlicher, landläufiger, so wenig der Kranke selbst ein gewöhnliches Durchschnittsindividuum ist. Mehr als bei anderen Krankheitsformen ist gerade bei der Paranoia die ursprüngliche Persönlichkeit des Erkrankten von maßgebender Bedeutung für die Ausgestaltung des Irrseins und, so lange nicht etwa die sekundäre (bei Paranoia seltene) geistige Abschwächung platzgegriffen hat, werden, wie gesagt, von einem geistig bedeutenden, mit umfassenden Kenntnissen ausgestatteten, von lebhaftem Interesse für wissenschaftliche und sonstige ideale Probleme beseelten Mann mit reicher Phantasie und gut geschulter Urteilskraft die krankhaften Produkte eine dem geistigen Besitz entsprechende Ausstattung erhalten, – im wesentlichen in der Bildung und Systematisierung von Wahnvorstellungen wird aber das Krankheitsbild das gleiche sein wie bei einem Menschen, dessen Vorstellungskreis über die trivialsten Vorgänge des alltäglichen Lebens nicht hinausreicht.

Ich habe bereits in den früheren Gutachten die Krankheitsform der Paranoia in ihrer Eigenart geschildert, muß es aber aus Anlaß der an mich gerichteten Frage hier nochmals in Kürze tun. Die Paranoia ist eine ausgesprochen chronische Krankheit. Sie entwickelt sich meist ganz allmählich, kann aber auch ziemlich akut unter den Erscheinungen halluzinatorischer Verwirrtheit einsetzen und dann nach Ablauf der stürmischen Symptome den weiteren langsam fortschreitenden Entwicklungsgang einschlagen. Als charakteristisch für die Paranoia ist zu bezeichnen, daß ohne primäre Mitwirkung stärkerer Stimmungsanomalien, häufig aber im Zusammenhang mit Halluzinationen und Erinnerungstäuschungen Wahnideen auftreten, sich bald fixieren und zu einem dauernden unkorrigierten und unerschütterlichen Wahnsystem verarbeitet werden, wobei die Besonnenheit, die Gedächtniskraft, die Ordnung und die Logik des Gedankenganges vollständig erhalten bleiben. Ob die Wahnideen sich auf die Verfassung des eigenen Körpers (hypochondrische Form) oder auf das politische, religiöse, sexuelle etc. Gebiet beziehen, ist für die Beurteilung des Gesamtzustandes nicht von wesentlicher Bedeutung, als charakteristisch aber ist hervorzuheben, daß der Mittelpunkt der krankhaften Vorstellungen immer die eigene Person ist, daß gewöhnlich Beeinträchtigungs-, bez. Verfolgungsideen einerseits, Überschätzungsideen andererseits sich kombinieren und daß zumeist – für längere Zeit wenigstens – die Wahnideen sich auf ein bestimmtes Vorstellungsgebiet beschränken, während die übrigen Gebiete relativ intakt bleiben. Mit Rücksicht darauf hat man denn auch früher eine »partielle Verrücktheit« angenommen und wenn auch die in dieser Bezeichnung sich kundgebende Auffassung jetzt verlassen ist, so kann man ihr eine gewisse Berechtigung nicht absprechen. Zwar muß jedes Wahnsystem, weil es sich als Träger desselben um ein »Individuum«, ein Unteilbares, handelt, sämtliche Vorstellungen des Kranken irgendwie beeinflussen und das würde sich auch nachweisen lassen, wenn wir jede Vorstellung eines Menschen in allen ihren Beziehungen zu anderen ganz genau verfolgen könnten. Eine solche Verfolgung ist aber tatsächlich nicht möglich und selbst bei sorgfältiger Beobachtung erscheint in nicht wenigen Fällen von Paranoia die Beeinflussung, welche das Urteil in manchen größeren Vorstellungskomplexen, die nur unbedeutende und indirekte Beziehungen zu dem Wahnsystem haben, durch das letztere erfährt, so gering, daß man für die praktische Rechnung diese Größe unter Umständen gleich Null setzen kann. Man kann sich den Sachverhalt vielleicht durch ein Beispiel aus dem gesunden psychischen Leben dem Verständnis näherbringen. Wir können mit einem Menschen längere Zeit in regem wissenschaftlichen Verkehr stehen, ohne in seine religiösen Überzeugungen einen Einblick zu gewinnen, weil die letzteren keine näheren Beziehungen zu seinen wissenschaftlichen Anschauungen haben, beide Vorstellungskomplexe gewissermaßen eine Sonderexistenz in seinem Gehirne führen. Es wird aber fast immer ein Moment kommen, in dem wir erkennen, daß doch auch die wissenschaftlichen Gesichtspunkte von der bis dahin nicht an die Oberfläche getretenen religiösen Überzeugung in maßgebender Weise beeinflußt werden, vielleicht ohne daß sich die betr. Person dieses Einflusses bewußt wird. Ähnlich ist es mit dem Wahnsystem eines Paranoikers: nicht speziell berührt, wird es für den Dritten leicht verborgen bleiben und sich in dem gewöhnlichen Verhalten kaum merklich geltend machen, während es doch in Wirklichkeit den Untergrund seines geistigen Lebens bildet. Es ist darum die Tatsache weder eine seltene noch eine auffällige, daß Paranoiker lange Zeit hindurch zwar vielleicht als Sonderlinge gelten, aber ihren Berufspflichten genügend gerecht werden, ihre Geschäfte ordnungsgemäß besorgen, selbst wissenschaftlich mit Erfolg tätig sind, obwohl ihr geistiges Geschehen schwer gestört ist und sie im Banne eines oft recht absurden Wahnsystems sich befinden. Jedem Psychiater von einiger Erfahrung sind solche Fälle in größerer Zahl bekannt, ja sie illustrieren recht eigentlich die Eigenart der Paranoiker. Zumeist ereignet es sich nun freilich bei diesen immer einen durchaus chronischen Charakter tragenden Fällen, daß der Kranke bei irgendeiner Gelegenheit aus dem Geleise seines der Außenwelt gegenüber festgehaltenen modus vivendi gerät, infolge seiner krankhaften Anschauungen irgendwie mit der Umgebung kollidiert, über die Grenze des Erträglichen in seinem Gebaren hinausgeht und nun als Kranker erkannt und behandelt wird. Letzteres lehrt die Erfahrung, man wird aber nicht mit Sicherheit in Abrede stellen können, daß manche derartige Fälle von Paranoia überhaupt nicht in das Bereich der ärztlichen Erfahrung treten, letzterer ganz entzogen bleiben und, vielleicht nur der nächsten Umgebung bekannt, dauernd ohne wesentliche Störung des Betreffenden in seinem bürgerlichen Leben verlaufen.

In die Gruppe dieser Krankheitsfälle gehört nun ohne Zweifel die Psychose des Klägers in ihrer schon seit mehreren Jahren sich darbietenden Gestaltung, wenn sie auch nicht wie gewöhnlich allmählich und unmerklich entstanden ist, sondern aus einem Stadium akuter Krankheitsvorgänge sich entwickelt hat.

Hier möchte ich aber in Befolgung der mir in dem Beweisbeschlusse des Königlichen Oberlandesgerichts erteilten Weisung, die bei den Akten befindlichen Eingaben des Klägers zu berücksichtigen, auf einige von dem letzteren mir gemachte Einwürfe kurz eingehen.

Der Kläger meint (Blatt 118), daß mein Gutachten a priori von der stillschweigenden Voraussetzung ausginge, daß alles das, was er über seinen Verkehr mit Gott und über die an seiner Person geschehenen göttlichen Wunder habe verlauten lassen, nur auf krankhafter Einbildung beruhe. Diese Auffassung ist nicht zutreffend. Abgesehen davon, daß ich den Ausdruck »Einbildung« kaum irgendwo gebraucht haben dürfte, habe ich den krankhaften Charakter der betr. Ideen keineswegs a priori vorausgesetzt, vielmehr an der Hand der Krankengeschichte auseinandergesetzt, wie der Kläger zunächst von hochgradiger Hyperästhesie, Überempfindlichkeit gegen Licht und Geräusch heimgesucht worden ist, wie sich daran massenhafte Halluzinationen und namentlich Gemeingefühlsstörungen angeschlossen und seine Auffassung gefälscht haben, wie auf Grund dieser Sinnestäuschungen sich zuerst phantastische Beeinträchtigungsvorstellungen entwickelten und den Patienten so beherrschten, daß er zu Selbstmordversuchen gedrängt wurde, und wie denn endlich aus diesen pathologischen Vorgängen das System von Ideen sich herausbildete, das der Kläger in seinen Denkwürdigkeiten so eingehend und drastisch geschildert hat und dessen Einzelheiten in den früheren Gutachten soweit möglich wiedergegeben worden sind. Wenn nun der rechtliche Vertreter des Klägers nach dessen Äußerungen die Sache so darstellt, als habe für den Begutachter und den Richter nur in dem in jenem Vorstellungskomplex sich kundgebenden »Wunderglauben« das Moment für die Annahme geistiger Erkrankung gelegen, letztere sei aber um deswillen nicht zutreffend, weil sehr viele Menschen dem Wunderglauben ergeben wären, ohne daß man deshalb auf den Gedanken käme, sie für geisteskrank zu erklären, so ist das nicht richtig. Von dem, was man Wunderglauben nennt, von der naiven, jeder Kritik sich unabsichtlich oder absichtlich enthaltenden theoretischen Anschauung, daß der liebe Gott gelegentlich gegen die uns bekannten Naturgesetze oder über sie hinaus die Dinge nach seinem allmächtigen Willen sich vollziehen lassen, kann in dem vorliegenden Falle nicht die Rede sein. Hier handelt es sich um Vorstellungen, die, wie der Kläger selbst wiederholt hervorhebt und wie deren Inhalt ohne weiteres erkennen läßt, nicht aus einem frommen Kinderglauben hervorgegangen, sondern direkt und im Gegensatz zu früheren Anschauungen durch zweifellos pathologische Vorgänge im Gehirn bedingt sind, Vorgänge, die sich namentlich auch durch Gemeingefühlsstörungen und Täuschungen der Sinne dokumentieren und somit auf einem ganz andern Gebiet liegen als jener harmlose »Wunderglauben«. Der Kläger selbst kann ja selbstverständlich nicht zu der Einsicht gelangen, daß diese halluzinatorischen Vorgänge (im weiteren Sinne – es gehören dazu u. a. auch die von dem Patienten beschriebenen Muskelempfindungen –) lediglich subjektiv bedingt sind, und seine Auseinandersetzungen Bl. 164 ff. gehen im wesentlichen darauf hinaus, seine Halluzinationen als etwas ganz besonderes hinzustellen und ihnen eine reale Grundlage zu vindizieren. Das tut aber jeder Halluzinant und muß es tun, andernfalls hätte er überhaupt keine wirklichen Halluzinationen. Für letztere ist es eben charakteristisch, daß sie für bar und tatsächlich genommen werden und volle sinnliche Schärfe haben. Es wäre falsch zu sagen, es sei dem Halluzinanten so, als ob er etwas sähe oder höre, er sieht und hört wirklich und es wäre ganz vergeblich, mit ihm über die Realität seiner Eindrücke zu diskutieren. »Wenn meine Wahrnehmungen irrige sein sollen«, sagte ein Kranker, »so muß ich auch an allem zweifeln, was Sie mir sagen, ich muß daran zweifeln, daß ich Sie sehe.« Es würde viel zu weit führen, hier auf die Lehre von den Halluzinationen näher einzugehen, und für den vorliegenden Zweck auch wenig Nutzen haben; es sei nur kurz bemerkt, daß bei der Halluzination die innere abnorme Erregung apperzipierender Hirnapparate im Bewußtsein des betr. Individuums dasselbe hervorbringt, was unter normalen Verhältnissen durch äußere Eindrücke erzeugt wird, nämlich eine Wahrnehmung, ein Vorgang, den man auch so bezeichnen kann, daß man sagt, der Halluzinierende apperzipiert nicht die Welt, sondern sich selbst, d. h. Vorgänge in seinem zentralen Nervenapparate. Die ungleich größere Macht aber, die die Sinnestäuschungen über den gesamten Bewußtseinsinhalt des Kranken zu gewinnen pflegen als die wirklichen Wahrnehmungen, ist nicht allein auf deren sinnliche Deutlichkeit zurückzuführen, sondern auch darauf, daß sie der jeweils dominierenden Vorstellungsrichtung adäquat sind und auf demselben Boden erwachsen wie jene zunächst vielleicht noch dunklen und unklaren Gedankengänge, die durch sie wiederum mächtig gefördert und befestigt werden. Daß aber der Kläger halluziniert hat und noch halluziniert, kann ja gar nicht bezweifelt werden und zwar unterscheiden sich seine Halluzinationen bzw. Illusionen (krankhaft subjektive Deutung tatsächlicher Vorgänge) im wesentlichen nicht von denen sehr zahlreicher anderer Kranken, nur daß sie eben seiner Individualität entsprechend sich ausgestaltet haben. Auch der von ihm ausgesprochene Zweifel, ob jemals kontinuierliche Halluzinationen beobachtet worden seien, ist unbegründet; sie sind, wenn auch seltener, als die intermittierenden, häufig genug.

Ebenso ist die Voraussetzung, daß die »Brüllzustände« wohl noch nie vorgekommen seien, unbegründet. Bei den sog. katatonischen Kranken ist das automatische Ausstoßen unartikulierter Töne oder endlos wiederholter Worte kein seltenes Vorkommnis, aber auch bei Paranoikern habe ich es beobachtet. So befand sich unter meinen Patienten mehrere Jahre hindurch ein Herr aus vornehmer Familie von ungewöhnlich guten Geistesgaben und nicht gewöhnlicher allgemeiner Bildung, der u. a. von der Wahnidee beherrscht war, daß frühere Bekannte, namentlich ihm vermeintlich unfreundlich gesinnte, in den hohlen Wänden des Hauses eingesperrt seien, ihn von dort aus durch beleidigende höhnische Redensarten belästigten usw. Dieser paranoische Kranke, der sich ganz geordnet benahm, im Verkehr sehr unterhaltend war, besonders auch durch gelungene poetische Gabe erfreute, pflegte täglich wiederholt halbe Stunden lang ununterbrochen überlaute unartikulierte Laute (»Brüllaute«) oder Schimpfworte zwangsmäßig auszustoßen und zwar fast nur in seinem Zimmer, – er nannte dies »sich psychisch räuspern.«

Weiter ist der wiederholt ausgesprochenen Meinung des Klägers, daß ich mein Urteil über seinen Zustand im Laufe der Zeit geändert hätte, und voraussichtlich auch noch weiterhin zu einer andern Anschauung über denselben kommen dürfte, entgegenzutreten. Nicht mein Urteil, sondern der Zustand selbst hat sich allmählich geändert und sehr verschiedene Phasen durchlaufen. Ich habe das schon in meinem früheren Gutachten ganz ausführlich und, wie ich meine, verständlich dargelegt und glaube in gleicher Ausführlichkeit auf den Entwicklungsgang des vorliegenden Krankheitszustandes nicht nochmals zurückkommen zu sollen. Zwischen der Okkupation durch ungeheuerliche hypochondrische Wahnideen, den schweren halluzinatorischen Stupor, dem negativistischen, durch Nahrungsverweigerung, Abweisung jeden Verkehrs wie jeder Beschäftigung sich charakterisierenden Gebaren der früheren Zeit und der besonnenen, umgänglichen, den Ansprüchen und Interessen des Tages sich nicht verschließenden Haltung der Gegenwart besteht ein großer Unterschied, ein Unterschied, der bei der Würdigung des Gesamtzustandes selbstverständlich ins Gewicht fällt. Wie erheblich die Veränderung des Zustandes ist, darauf weist u. a. auch die Modifikation in den Halluzinationen hin. Wenn sie früher nach Form und Inhalt von gewaltiger Art, von lebhaftem Affekt begleitet und daher von unmittelbarer mächtiger Wirkung waren, so haben sie sich allmählich abgeschwächt und sind jetzt nach der anschaulichen Schilderung des Patienten (vgl. Bl. 166 ff.) nur noch ein lispelndes, leises Geräusch, ein Gezisch, das sich mit dem Geräusch des aus einer Sanduhr herabträufelnden Sandes vergleichen läßt, während zugleich auch der Inhalt ärmlicher und skurriler ist, die Aufeinanderfolge der halluzinierten Worte immer langsamer geworden ist, die »Stimmen« durch ein gewöhnliches Gespräch übertönt werden und dem Patienten lästig und widerwärtig sind, nicht aber sein Fühlen und Denken in maßgebender Weise beeinflussen. Es ist eben, wie ich schon früher auseinandergesetzt habe, das akutere Medium der Psychose mit seiner lebhaften gemütlichen Alteration schon längst in ein chronisches übergegangen, aus der stürmisch bewegten, trüben Flut der akuten Krankheitsvorgänge hat sich das bekannte, komplizierte Wahnsystem kristallisiert und fixiert, und mit diesem hat sich der Kranke in der oben angedeuteten Art abgefunden, daß es in gewissem Maße eine Sonderexistenz in seinem Vorstellungsleben führt, zwar einen sehr bedeutsamen Teil desselben darstellt, aber doch bei dem Mangel lebhafter Affektbetonung mit den übrigen Vorstellungskreisen, namentlich den das alltägliche Leben in sich fassenden, nur in relativ geringer Wechselwirkung steht und sie nicht überall durch Erregung entsprechender Willensimpulse merklich beeinflußt.

Damit ist nicht gesagt, daß ein solcher Einfluß ganz ausgeschlossen ist, er wird sich unter Umständen sehr wohl auch auf trivialem Gebiete geltend machen und zu falschen Anschauungen führen können. Ich will hier nur beispielsweise, da der Kläger über diesen Punkt eine sachverständige Äußerung begehrt, dessen eigentümliche, in seinem Wahnsystem eine Rolle spielende Auffassung des männlichen und weiblichen Körpers berühren.

Er ist der Meinung, daß der weibliche Körper im Gegensatz zu dem männlichen überall, namentlich aber an den Brüsten »Wollustnerven« aufweise, er selbst aber in dieser Beziehung dem weiblichen Typus ähnle und daher entsprechende Empfindungen habe, und läßt sich von dieser Meinung nicht abbringen, obwohl in Wirklichkeit »Wollustnerven« nur an den Genitalien vorhanden sind und die weibliche Brust ihre schwellende Form lediglich der Entwicklung der Milchdrüse und der Fettablagerung verdankt. –

Nach diesen durch die im Beweisbeschluß gestellte Schlußfrage veranlaßten allgemeinen Bemerkungen komme ich nun zur Beantwortung der praktisch wichtigeren ersten Frage.

Hierbei darf zunächst konstatiert werden, daß dem Kläger seit Erstattung des früheren, mit Rücksicht auf seinen Gesamtzustand eine allmählich weitergehende Bewegungsfreiheit eingeräumt worden ist. Wenn ihm schon vorher gestattet worden war, in Begleitung eines Pflegers größere und kleinere Ausflüge zu unternehmen, Restaurationen und öffentliche Vergnügungsorte zu besuchen, in Geschäftslokalen Besorgungen zu machen pp., so ist seit dem Sommer v. J. auch die Begleitung durch den Pfleger weggefallen. Es hatten damals Mutter und Schwester des Klägers Aufenthalt in dem benachbarten Wehlen genommen, zu welchem Herr Präsident Schreber selbst den Anlaß gegeben und die Vorbereitungen in zweckmäßiger Weise getroffen hatte. Bei den eine Reihe von Wochen hindurch fast täglich den Angehörigen abgestatteten, öfters auf den größten Teil des Tages sich erstreckenden Besuchen erschien, abgesehen von den immerhin beachtlichen Unkosten, aus naheliegenden Gründen die Anwesenheit des Pflegers wenig opportun, ja störend und wurde daher auf dieselbe verzichtet. Da nun aber Unzuträglichkeiten infolge der Unterlassung der bisher noch geübten Vorsichtsmaßregel der Anstaltsdirektion nicht bekannt geworden waren, ist sie auch nach der Abreise der Angehörigen nicht wieder aufgenommen worden.

Seitdem ist dem Kläger freier Ausgang aus der Anstalt ohne weitere Beschränkung als die selbstverständliche Verpflichtung zur Einhaltung der Hausordnung gewährt geblieben und er hat ihn dazu benutzt, um in fast täglichen Ausflügen zu Fuß, zu Schiff oder unter Benutzung der Eisenbahn alle bemerkenswerten Punkte der Umgegend teils allein, teils in Gesellschaft des einen oder anderen von ihm dazu aufgeforderten Patienten aufzusuchen, ebenso auch gelegentlich Konzert, Theater, öffentliche Schaustellungen pp. zu frequentieren; er ist aber auch wiederholt zur Abwartung von gerichtlichen Terminen, zum Besuch seiner Gattin, zur Besorgung kleiner Geschäfte in Dresden gewesen und neuerdings hat er auf Einladung seiner Angehörigen mit Zustimmung der Anstaltsdirektion allein eine Reise nach Leipzig unternommen, von der er nach achttägiger Abwesenheit gestern zurückgekehrt ist und die nach einer mir von der Schwester zugegangenen Mitteilung ganz glücklich abgelaufen ist.

Was nun das Verhalten des Klägers bei allen diesen Gelegenheiten anlangt, so ist ihm zunächst das Zeugnis zu geben, daß er nie ein unverständiges und unpassendes Unternehmen ausgeführt, über seine aus dem Rahmen des Alltäglichen fallenden Pläne und Absichten sich stets offen und rückhaltlos ausgesprochen, beziehentlich sich des Einverständnisses der Direktion vor ihrer Ausführung versichert hat, bei letzterer auch mit Überlegung und verständiger Berücksichtigung aller Verhältnisse vorgegangen, auch immer rechtzeitig von seinen Exkursionen zu Hause eingetroffen ist. Ebenso glaube ich bestimmt annehmen zu dürfen, daß erhebliche Unzuträglichkeiten bei dem Verkehr des Klägers in der Außenwelt niemals vorgekommen sind. Ein Nachteil hat sich aus dem Mangel der Begleitung durch einen Anstaltsbeamten bei diesem Verkehr ja insofern ergeben müssen, als nunmehr eine zuverlässige Kunde über das Verhalten des Patienten außerhalb der Anstalt fehlte. Seine eigenen Angaben können in dieser Richtung nicht ausschließlich maßgebend sein. Er ist streng wahrheitsliebend und wird, glaube ich, wissentlich nie eine Unwahrheit sagen, es hat aber nicht unbemerkt bleiben können, daß ihm über die Tragweite und die Wirkung seines Gebarens nach außen hin doch das objektive Urteil, wie leicht erklärlich, vielfach abgeht. Es ist beispielsweise nicht selten geschehen, daß das lärmende Treiben des Patienten während der Nacht zu lebhaften Klagen der Umgebung Anlaß gegeben hat, er selbst aber bei bezüglichem Vorhalt an eine derartige Störung gar nicht recht glauben wollte und sie als ganz geringfügig einschätzte. Wenn man nun wahrzunehmen hat, wie laut der Patient nicht nur in seinem Zimmer, sondern auch sonst im Bereiche der Anstalt ist und wie er überdies durch seine sonstigen notorischen Absonderlichkeiten auffällig wird, so ist es schwer zu glauben, daß er an andern Orten jede Auffälligkeit zu vermeiden vermöge. In der Tat ist das denn auch nicht der Fall.

Ich habe schon früher beschrieben, wie an dem Patienten sich auch in Gesellschaft während der täglichen Mahlzeiten und bei einigen anderen Gelegenheiten recht auffällige Erscheinungen wahrnehmen lassen, die auch dem halbwegs aufmerksamen Laien ohne weiteres als krankhaft imponieren, nicht nur das Grimassieren, das Zukneifen der Augen, das Räuspern, die sonderbare Haltung des Kopfes pp., sondern mehr noch das zeitweilige vollständige Abgelenkt- und Entrücktsein, das ihn die Äußerungen der Umgebung gar nicht apperzipieren läßt; es ist aber auch in neuerer Zeit – freilich nur einmal – vorgekommen, daß er sich nicht hat enthalten können, bei Tisch die bekannten »Brüllaute« auszustoßen, und dadurch namentlich die anwesenden Damen in die größte Bestürzung versetzt hat. Zu derselben Zeit hat er sich auch in Gegenwart seiner ihn besuchenden Gemahlin so laut gebärdet, daß sie sich alsbald wieder hat entfernen müssen. Weiter ist mir auch von Augenzeugen gemeldet worden, daß der Kläger wenigstens in der Nähe der Anstalt (auf der Treppe) laut geworden ist und auf der Straße durch Gesichtsverzerrungen auffällig geworden ist. Ich kann endlich auch nicht verschweigen, daß mir von einem Pirnaer Bürger im Juni v. J. brieflich Vorwürfe darüber gemacht worden sind, daß ich einen Kranken, der sich so gebärde wie der Kläger, »der Öffentlichkeit preisgebe,« – diese Insinuation erschien mir aber so sehr übertrieben und wurde durch die Versicherung des Patienten so glaubhaft entkräftet, daß ich ihr keinen besonderen Wert beilegen zu müssen geglaubt habe; es ist mir auch ähnliches nie wieder hinterbracht worden.

Immerhin wird man daran nicht wohl zweifeln können, daß der Kläger, wenn sein Gesamtzustand nicht noch eine weitere Besserung erfährt, nach der eventuellen Rückkehr in seine Häuslichkeit mindestens innerhalb der letzteren den geräuschvollen zwangsmäßig erfolgenden Entäußerungen seines abnormen motorischen Drangs nicht wird entsagen können und dadurch für die Umgebung störend sein wird. – Hierbei muß ich noch mit einigen Worten auf das Verhältnis des Klägers zu seiner Gattin zurückkommen. Er hat es begreiflicherweise unangenehm empfunden, daß ich ihm in dieser Beziehung »krankhaft gesteigerten Egoismus« beigemessen habe. Ich bin weit entfernt davon gewesen, bei diesem Hinweise an eine Herabminderung seiner ethischen und moralischen Gefühle zu denken, ich erkenne vielmehr deren ungeschwächte Fortdauer auch der Gattin gegenüber vollständig an, der Akzent liegt in der oben zitierten Äußerung ganz auf dem Worte »krankhaft« und ich habe dabei nur die egozentrische Gedankenrichtung im Auge gehabt, die jedem Kranken eigen ist und die die Vorgänge an der eigenen Person durchaus in den Mittelpunkt des Geschehens rückt, während die Wirkung dieser Vorgänge auf andere unterschätzt, für deren Mitleidenschaft nicht der richtige Maßstab gefunden wird. Wie dem aber auch sein möge, zu bezweifeln dürfte füglich nicht sein, daß nach den tatsächlich bestehenden Umständen und solange eine weitere Besserung nicht eintritt, bei dem äußeren Verhalten des Kranken die eheliche Gemeinschaft nicht oder doch nur mit einem Maß von Selbstverleugnung seitens der Ehefrau wieder aufgenommen werden könnte, das sie mit Rücksicht auf ihren eigenen schwankenden Gesundheitszustand nicht aufzuwenden vermöchte.

Seitdem dem Kläger ganz freier Ausgang aus der Anstalt gewährt wird, ist ihm auch eine etwas größere Summe (... Mk. monatlich) als Taschengeld zur Bestreitung seiner Ausflüge und kleinen Bedürfnisse zur Verfügung gestellt worden. Es ist nun nicht wahrgenommen worden, daß er mit diesem Gelde verschwenderisch umgegangen und infolgedessen nicht mit ihm ausgekommen sei. Den Eindruck besonderer Sparsamkeit hat man nicht gehabt, wohl aber bemerken können, daß er sich jede Ausgabe wohl überlegt, Kostspieliges vermeidet, auch nicht etwa Unnützes (abgesehen etwa von den früher erwähnten kleinen Schmucksachen) zusammenkauft. Aus wiederholten Äußerungen der Gattin glaubte ich zwar entnehmen zu können, daß ihrer Ansicht nach der Patient relativ zuviel Geldmittel in Anspruch nehme; da mir die Vermögensverhältnisse des Klägers nicht näher bekannt sind, kann ich über die Berechtigung dieser Äußerungen nicht urteilen, ich meine aber, daß eine irgend erhebliche Überschreitung des nach den Verhältnissen erlaubten Maßes in den hier gemachten Ausgaben nicht wird gefunden werden können. Durchaus orientiert über seine pekuniäre Lage ist der Kläger jedenfalls und es liegt zur Zeit kein Anhalt für die Annahme vor, daß er etwa aus irgendwelchen krankhaften Motiven über die durch dieselbe gezogenen Grenzen hinausgehen und auch bei unbeschränkter Disposition über dasselbe sein Vermögen verwahrlosen werde.

Daß der Kläger seine Gesundheit in acht zu nehmen nicht verstände und sie durch willkürliche Handlungen schädige, kann nicht gesagt werden. Er hält auf Reinlichkeit und Körperpflege, ißt genügend, wenn auch nicht überreichlich, ist im Trinken durchaus mäßig und darauf bedacht, sich durch regelmäßige Körperbewegung Elastizität und Frische zu bewahren. Daß freilich die oft sehr erhebliche Störung des Schlafs, zu dessen Herbeiführung jetzt übrigens nur noch selten Medikamente in Anwendung gekommen sind, sowie auch die am Tage sich vielfach geltend machende Unrast und Ruhelosigkeit nicht günstig auf seinen Gesamtzustand zurückwirken, läßt sich aus seinem öfters recht angegriffenen Aussehen schließen und daß er unter Umständen bei etwaiger Indisposition ein sehr irrationelles Verhalten einschlagen kann, hat erst neulich beobachtet werden können. Der Kläger war von einer an und für sich nicht weiter bedenklichen Verdauungsstörung mit Durchfall und Erbrechen befallen worden, er geriet durch sie aber, indem er sie als »göttliches Wunder« ansah, in große Erregung und statt im Bett zu bleiben, die durch das Leiden gebotene strenge Diät einzuhalten und die indizierten Medikamente zu nehmen, tat er unter dem Einfluß der krankhaften psychischen Vorgänge von alledem (soweit möglich) so ziemlich das Gegenteil und zog dadurch die Indisposition in die Länge.

Für gewöhnlich dürfte der Kläger, wie gesagt, kaum eine seine Gesundheit beeinträchtigende Handlung unternehmen, aber die hier angedeutete Episode weist doch darauf hin, wie unberechenbar auf der gegebenen pathologischen Grundlage die jeweiligen Impulse sind. –

Als krankhaft bedingt und unbefangener verständiger Überlegung ermangelnd, muß wiederum die bestimmte und wiederholt bekräftigte Absicht des Klägers angesehen werden, seine »Denkwürdigkeiten« zu veröffentlichen. Ich brauche wohl nicht nochmals auf die Einzelheiten dieser Schrift einzugehen – sie liegt dem Königlichen Oberlandesgericht vor und es wird von dem Inhalte derselben genaue Kenntnis genommen worden sein. Jeder unbefangene Beurteiler wird diese Darstellung eines komplizierten Wahnsystems zwar als sehr interessant, speziell für den Fachmann, bezeichnen, ihre mehr oder weniger unverkürzte Veröffentlichung aber mit allen in ihr enthaltenen geradezu »unmöglichen« Partien für ebenso anstößig als kompromittierend für den Verfasser erachten. Mit letzterem ist eine Diskussion über die Opportunität der Veröffentlichung seiner Schrift aussichtslos; er sieht in ihr die Offenbarung einer neuen für die Welt wichtigen Wahrheit, und wenn er sich der mündlichen Propaganda für sie enthält, so will er wenigstens durch das gedruckte Wort die Menschheit an der ihm gewordenen Erkenntnis Gottes und des Jenseits teilhaftig machen und alle etwa ihm daraus erwachsenden persönlichen Unannehmlichkeiten auf sich nehmen.

Was von den im Vorstehenden erwähnten Abweichungen von der Norm im Sinne des Beweisschlusses als »Neigung zu unverständigem und verkehrtem Tun« anzusehen sei, wird das Gericht zu beurteilen wissen, das aber wird auch ärztlicherseits hervorgehoben und insoweit dem rechtlichen Vertreter des Klägers bzw. ihm selbst beigestimmt werden dürfen, daß die krankhaften Erscheinungen sich zur Zeit nach außen hin zumeist nur in relativ untergeordneten Gebieten geltend machen, ihre störende Wirkung vorwaltend im intimeren häuslichen und gesellschaftlichen Verkehr äußere, ihrer Art nach mehr eine sozusagen wohlfahrtspolizeiliche als eine rechtliche Bedeutung haben und die vitalsten persönlichen Interessen des Kranken selbst, Interessen zugleich, die durch vormundschaftliches Eingreifen gesichert werden können, also etwa Gesundheit, Vermögen, Ehre, nicht erheblich zu schädigen drohen. Nur bezüglich des letzteren Punktes kann, wie gesagt, die auf Veröffentlichung der Denkwürdigkeiten gerichtete Bestrebung als ein schädigendes Moment angesehen werden.

Es wird nun aber im Beweisbeschlusse unter b noch gefragt, ob nach der Natur der bestehenden geistigen Erkrankung ungeachtet des gegenwärtigen günstigen Verhaltens des Kranken Grund zu der Besorgnis vorliege, daß der Kläger, sobald ihm die Freiheit der rechtlichen Verfügung zurückgegeben werde, durch unvernünftiges und zweckwidriges Handeln die oben genannten und sonstige beachtliche Lebensinteressen gefährden werde. Ich habe schon im früheren Gutachten darauf hingewiesen, daß es sich nach der Natur einer so tief eingreifenden Krankheit, wie es die Paranoia ist, nicht voraussagen läßt, ob und in welcher Richtung im gegebenen Moment der Folgezeit die vorhandenen krankhaften Vorstellungen das Handeln des Patienten beeinflussen könnten; ich habe ferner erwähnt, wie viele Paranoiker mit ausgebildetem Wahnsystem anstandslos und ihren Beruf ausübend in der Außenwelt existieren, bis sie bei irgendeiner Gelegenheit durch verkehrte Handlungen ihren krankhaften Zustand dokumentieren; ich habe auch oben an einem Beispiel gezeigt, wie sehr der Kläger durch äußere Umstände außer Fassung gebracht und durch seine krankhaften Eingebungen zu unzweckmäßigem Handeln gedrängt werden kann, und habe daher nur zu wiederholen, daß auch jetzt eine Beeinflussung des Klägers durch pathologische Vorgänge bei seinen Handlungen nicht ausgeschlossen werden kann. Wenn der Kläger (Bl. 118 u. 119) sagt, daß die durch die Einsicht in das wahre Wesen göttlicher Dinge gewonnenen Ergebnisse, die Gewißheit, daß er es mit Gott und göttlichen Wundern zu tun habe, zum Mittelpunkt seines ganzen Lebens geworden seien, daß sich Gott ihm jetzt noch täglich und stündlich in seinen Wundern und seiner Sprache offenbare, daß darauf die gleichmäßige Heiterkeit seiner Stimmung, sein Wohlwollen auch gegen desselben minder Würdige beruhe usw., so ist es gar nicht denkbar, daß diese mächtige Grundströmung seiner Gedanken und Empfindungen unter allen Umständen ganz ohne Einfluß auf seine Handlungen bleiben sollte, zumal ja auch gegenwärtig manche seiner Handlungen ohne seinen Willen direkt durch »Wunder« veranlaßt werden. Daran kann auch die Versicherung des Klägers, »daß er seinen Wahnideen auf die Gestaltung seiner Angelegenheiten grundsätzlich keinerlei Einfluß vergönne«, kaum etwas ändern, da er sich einesteils solcher Einflüsse gar nicht bewußt zu werden braucht, andernteils die Macht der krankhaften Vorgänge so wachsen kann, daß ein Widerstand unmöglich wird. Eine Gewähr also dafür, daß durch die bestehende Krankheit in Zukunft keinerlei wichtige Lebensinteressen des von der Bevormundung befreiten Patienten gefährdet werden würden, kann nach der Natur dieser Krankheit nicht gegeben werden. Im übrigen ist indes auch vom ärztlichen Standpunkt auf zwei Momente hinzuweisen. Einmal erscheint es doch fraglich, ob die bloße Befürchtung bedenklicher Eventualitäten, die Möglichkeit schwerer Gefährdung zur Begründung der Annahme ausreiche, daß der Kranke seine Angelegenheiten nicht besorgen könne, und dann ist die Gefahr für die Zukunft insofern nicht groß als eben zu konstatieren ist, daß bei dem Kläger der wahnhafte Vorstellungskreis sich allmählich von den übrigen Vorstellungskreisen schärfer geschieden hat und seit längerer Zeit eine wenn auch nur relative Sonderexistenz führt, daß nach der bisherigen Erfahrung tatsächlich die Beurteilung und Behandlung einer Reihe gerade der wichtigeren Lebensinteressen von jenem wahnhaften Vorstellungskomplex nicht merklich beeinflußt wird, sondern in einwandfreier Weise erfolgt. Den gegenwärtigen Verhältnissen gegenüber liegt aber ein Grund zu der Vermutung nicht vor, daß der psychische Zustand des Klägers in absehbarer Zeit eine wesentliche Veränderung bzw. Verschlechterung erfahren werde, und man darf daher die Sorge für die Zukunft bei der Beurteilung der Gesamtlage nicht mehr so hoch einschätzen wie früher. –

Geheimer Medizinalrat (gez.) Dr. Weber.

E. Urteil des Königlichen Oberlandesgerichts Dresden,
vom 14. Juli 1902.

O.I. 152/01. Nr. 22

Ausfertigung.

Verkündet
am 14. Juli 1902.
gez.: Ref. Dr. Förster,
als Gerichtsschreiber.
F. XI 6894/02.

Tag
des Aushangs
der 14. Juli 1902.
gez.: Sekr. Diethe,
Gerichtsschreiber.

Im Namen des Königs!

In Sachen

des Senatspräsidenten a. D. Dr. Daniel Paul Schreber,
früher in Dresden, jetzt in der Landesheilanstalt Sonnenstein,
Klägers und Berufungsklägers,
(Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Justizrat Windisch),

gegen

den Staatsanwalt beim Königlichen Landgericht zu
Dresden und nunmehr den Staatsanwalt beim Königlichen
Oberlandesgericht zu Dresden,
Beklagten und Berufungsbeklagten,
wegen Anfechtung der Entmündigung,

erkennt der erste Zivilsenat des Königlich Sächsischen Oberlandesgerichts
unter Mitwirkung

des Senatspräsidenten Hardraht
und der Oberlandesgerichtsräte Vogel, Dr. Steinmetz,
Nicolai, Dr. Paul,

für Recht:

Auf die Berufung des Klägers wird unter Abänderung des Urteils
der siebenten Zivilkammer des Landgerichts zu Dresden
vom 13. April 1901 der Entmündigungsbeschluß des Amtsgerichts
Dresden vom 13. März 1900 aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens mit Einschluß der in der Berufungsinstanz
erwachsenen werden der Staatskasse auferlegt.

Tatbestand.

Der Kläger ist auf Antrag der Königlichen Staatsanwaltschaft durch Beschluß des Amtsgerichts Dresden vom 13. März 1900 wegen Geisteskrankheit entmündigt worden. Der Amtsrichter erklärt sich auf Grund des sachverständigen Gutachtens des Geh. Med. Rats Dr. Weber, in dessen Behandlung sich der Kläger seit dem Jahre 1894 befindet, sowie nach dem Eindrucke, den er aus der persönlichen Vernehmung des Kranken gewonnen hat, für überzeugt, daß der Kläger des Vernunftgebrauchs beraubt und infolgedessen unfähig sei, seine Angelegenheiten zu besorgen. Dr. Schreber werde von Wahnideen beherrscht. Er halte sich für berufen, die Welt zu erlösen und ihr die verlorengegangene Seligkeit wiederzubringen. Das könne er aber nur, wenn er sich zuvor aus einem Manne zu einem Weibe verwandelt habe. In dieser geschlechtlichen Wandlung wähne der Kranke ein Gegenstand fortdauernder göttlicher Wunder zu sein, und er meine die Vögel und die Winde mit sich sprechen zu hören, die ihn in seinem Wunderglauben bestärkten. –

Ein Mensch unter dem Einflusse solcher Wahnideen und Sinnestäuschungen sei nicht mehr Herr seines freien Willens. Er stehe unter äußeren, von seinem eigenen Wollen unabhängigen Einwirkungen, gegen die er machtlos sei und die ihn unfähig machten, sein Tun und Handeln nach praktischer, vernünftiger Überlegung einzurichten.

Der Kläger hat den Entmündigungsbeschluß rechtzeitig im Prozeßwege angefochten und die Aufhebung des Beschlusses beantragt. Er bestreitet, durch die von dem Sachverständigen bei ihm festgestellte geistige Erkrankung (Paranoia) an der Besorgung seiner Angelegenheiten irgendwie gehindert zu sein. Tatsächliche Unterlagen für diese Annahme habe das Amtsgericht nicht beigebracht. Es sei eine reine petitio principii, wenn gesagt werde: ein Mensch unter dem Einflusse von Wahnideen und Sinnestäuschungen sei nicht Herr seines freien Willens. Mit der Frage seiner Geschäftsfähigkeit habe das, was dem Gerichte als Wahnvorstellung erscheinen möge, überhaupt nichts zu tun; jedenfalls sei seine Krankheit nicht von der Art, daß sie ihn außerstande setze, diejenigen Vorgänge des menschlichen Verkehrs, die im Sinne des Gesetzes, »seine Angelegenheiten« ausmachten, richtig zu beurteilen, selbst wenn man die »Angelegenheiten« im weitesten Sinne begreife, also unter Einschluß derer, die sich bezögen auf: Leben, Gesundheit, Freiheit. Ehre, Familie, Vermögen. In allen diesen Dingen habe die Klarheit seines Urteils durch die Erkrankung keine Einbuße erlitten.

Niemand werde ihm nachsagen können, daß er seinem Körper und seiner Gesundheit nicht die erforderliche Pflege angedeihen lasse. Selbstmordgedanken seien ihm im ersten Jahre seiner Krankheit allerdings nicht fremd gewesen, sie seien aber mit der fortschreitenden Besserung seines Zustandes schon längst gewichen. Daß ihm die persönliche Freiheit und seine Ehre am Herzen lägen, beweise gerade das Streben, sich der Fesseln der Entmündigung zu entledigen; sein männliches Ehrgefühl fühle sich dadurch verletzt, daß er in rechtlicher Beziehung wie ein unmündiges Kind behandelt werden solle. Mit seiner Frau und seiner Familie stehe er auf dem besten Fuße und er lasse sich auch deren Interessen angelegen sein. Was aber schließlich seine Vermögensangelegenheiten anlange, so sei er durchaus imstande, sie selbständig wahrzunehmen. Vor Übervorteilungen im Geschäftsverkehr fühle er sich ebenso sicher wie jeder andere Mensch. Das Amtsgericht gehe im Entmündigungsbeschlusse zugunsten des Klägers selbst davon aus, daß er auch jetzt noch die Fähigkeit besitze, einem Richterkollegium vorzusitzen, die verwickeltsten Prozesse zu entscheiden und die schwierigsten Rechtsgutachten mit durchschlagender juristischer Begründung abzugeben. Sei das der Fall, so sei schlechterdings nicht einzusehen, weshalb er nicht fähig sein solle, die einfachen Rechtsgeschäfte abzuschließen, welche die Verwaltung eines geordneten Vermögens mit sich bringe.

Das Landgericht hat die persönliche Vernehmung des Klägers durch einen beauftragten Richter und die nochmalige Begutachtung seines Geisteszustandes durch den Direktor der Kgl. Landesanstalt Sonnenstein, Geh. Med.-Rat Dr. Weber, angeordnet, namentlich in der Richtung; ob nach der Natur der Erkrankung des Klägers und nach den in den letzten Jahren bis zur Gegenwart an ihm gemachten ärztlichen Beobachtungen Grund zu der Annahme besteht, daß der Kläger im Falle der Wiederaufhebung der über ihn verhängten Entmündigung sein Leben, seine Gesundheit, sein Vermögen oder irgendwelche andere Lebensinteressen durch unvernünftiges Handeln gefährden werde. Das Ergebnis der persönlichen richterlichen Vernehmung des Klägers liegt in dem Protokolle Bl. 38 fg. vor, während der Sachverständige Dr. Weber das erforderte Gutachten in einem ausführlichen schriftlichen Berichte vom 28. November 1900 niedergelegt hat. (Bl. 44–53.) Der Sachverständige hat dem Gerichte hierzu die Aufzeichnungen überreicht, die Dr. Schreber in 23 Heften unter dem Titel »Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken« über seine religiösen Vorstellungen und über die Geschichte seiner Krankheit abgefaßt hat.

Das Landgericht hat durch Urteil vom 13. April 1901 die Klage Dr. Schrebers abgewiesen. Es erkennt in Übereinstimmung mit dem Weber'schen Gutachten an, daß die hohe Intelligenz des Klägers und seine Fähigkeit, formal logisch zu denken, durch die geistige Erkrankung nicht wesentlich getrübt sein möge. Trotzdem bestehe bei ihm die Gefahr unvernünftigen Handelns. Denn wie die Durchsicht der »Denkwürdigkeiten« ergebe und wie der Sachverständige Dr. Weber bestätige, unterliege der Kläger in ausgedehntem Maße Sinnestäuschungen und Wahnvorstellungen, deren Mittelpunkt seihe Beziehungen zu Gott und seine exzeptionelle Stellung im Weltganzen bildeten. Dieses Wahnsystem beherrsche sein ganzes Empfinden und Denken, es beeinflusse seine Weltanschauung und sein Urteil über Menschen und Dinge. Unter solchen Umständen sei es ganz unberechenbar, wie einmal die Entschließungen des Klägers ausfallen würden, wenn man ihm jetzt die Freiheit des Handelns zurückgäbe, ob nach Maßgabe des von seinem Irrwahne verhältnismäßig unberührt gebliebenen Vorstellungskreises oder unter dem Zwange der vorhandenen krankhaften seelischen Erregungen. In zwei Tatsachen trete der nachteilige Einfluß dieser Wahnideen auf die Anschauungsweise Dr. Schrebers besonders klar zutage: in den Beziehungen zu seiner Frau, die unter dem Wahne seiner bevorstehenden Entmannung schwer zu leiden habe und der gegenüber er, wenn sie gegen seine Ideen Einwendungen zu erheben versuche, rasch mit der Andeutung bei der Hand sei, daß sie sich ja von ihm scheiden lassen könne. Sodann aber hege der Kläger den dringenden Wunsch, seine »Denkwürdigkeiten« durch den Druck der Öffentlichkeit zu übergeben, und erstrebe die Aufhebung seiner Entmündigung hauptsächlich zu dem Zwecke, um einen rechtsgültigen Verlagsvertrag über die Schrift abschließen zu können. Tatsächlich seien nun die »Denkwürdigkeiten« zur Veröffentlichung durchaus ungeeignet; der Kläger würde dadurch sich und seine Familie in unerhörter Weise bloßstellen, sich nach Befinden sogar der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen. Daß der Kläger dies nicht selber zu erkennen vermöge, beweise gerade, wie sehr ihm infolge seiner krankhaft veränderten Weltanschauung der richtige Maßstab für die tatsächlichen Verhältnisse des Lebens, das Unterscheidungsvermögen hinsichtlich dessen, was erlaubt und was unerlaubt sei, verloren gegangen.

Der Kläger hat gegen das landgerichtliche Urteil Berufung eingelegt und seinen Antrag auf Aufhebung des Entmündigungsbeschlusses wiederholt, wogegen der Staatsanwalt um Verwerfung des Rechtsmittels gebeten hat. Das angefochtene Urteil, auf das Bezug genommen wird, ist seinem vollen Umfange nach nebst allen darin angeführten Schriftstücken, den von Dr. Schreber persönlich verfaßten Eingaben an Gericht und Anstaltsdirektion, sowie dem Inhalte der Entmündigungsakten des Amtsgerichts C J I 64/99 zum Vortrage gelangt. Der Vortrag der Schreberschen »Denkwürdigkeiten« ist im Einverständnis beider Teile auf die Abschnitte 1. 2. 18. 19. beschränkt geblieben.

Der Kläger ist in den Verhandlungen vor dem Berufungsgerichte persönlich erschienen und hat neben seinem Prozeßbevollmächtigten wiederholt selbst das Wort ergriffen. Von ihm rühren eine Anzahl Schriftsätze her, in denen er unter Widerspruch gegen die Ausführungen der ersten Instanz und das ihnen zugrunde liegende Weber'sche Gutachten seine gegenteilige Auffassung in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung eingehend begründet. Auf diese Schriftsätze, die ihrem wesentlichen Inhalte nach ebenfalls vorgetragen worden sind, muß verwiesen werden. Der Kläger legt Gewicht darauf, daß die formale Behandlung, die er persönlich der Streitsache gewidmet habe, bei der Beurteilung der Frage seiner Geschäftsfähigkeit vom Richter mit verwertet werde. Wer eine so schwierige und verwickelte Rechtsangelegenheit wie die hier vorliegende in selbstverfaßten Prozeßschriften mit Umsicht, Sachkenntnis und, soweit die Meinungen anderer Menschen in Betracht kämen, zugleich taktvoll und diskret zu führen wisse, zu dem werde man wohl das Zutrauen hegen dürfen, daß er auch fähig sein werde, die zumeist viel sehr einfacheren und minder wichtigen Angelegenheiten des bürgerlichen Lebens verständig zu erledigen.

Aus den Vorträgen des Klägers ist folgendes hervorzuheben:

I.

Der Kläger verwahrt sich zunächst gegen die Annahme, als ob er in erster Instanz zugestanden hätte, geisteskrank zu sein oder gewesen zu sein. Er räume nur ein, daß sich sein Nervensystem seit Jahren in einer krankhaften Verfassung befinde; sein Geist dagegen, d. h. das Zusammenwirken seiner Verstandeskräfte, sei klar und gesund, wie nur irgend bei einem anderen Menschen. Wenn der Sachverständige bei ihm das Vorhandensein einer Art von Verrücktheit (Paranoia) annehme, indem er a priori alles das, was der Kläger in seinen »Denkwürdigkeiten« über den intimen Verkehr zwischen ihm und Gott und über göttliche Wunder berichtet habe, für krankhafte Einbildung erkläre, so schlage das der Wahrheit ins Gesicht. Er wisse freilich, daß der Sachverständige füglich nicht anders gekonnt habe, als an seinen (Dr. Schrebers) Fall den Maßstab der gewöhnlichen wissenschaftlichen Erfahrung anzulegen, und er sei weit entfernt, ihn wegen dieser seiner Auffassung irgendwie zu nahe treten zu wollen. Dr. Weber stehe eben auf dem Boden des Rationalismus, der die Möglichkeit übernatürlicher Vorgänge von vornherein leugne.

Ihm gegenüber vertrete der Kläger grundsätzlich den entgegengesetzten Standpunkt: die Sicherheit seiner Gotteserkenntnis und die unmittelbare Gewißheit, daß er es mit Gott und göttlichen Wundern zu tun habe, stehe ihm turmhoch über aller menschlichen Wissenschaft. Sie sei der Mittelpunkt seines ganzen Lebens geworden und müsse es sein, da sich ihm Gott auch jetzt noch täglich und stündlich in seinen Wundern und in seiner Sprache von neuem offenbare. Darauf beruhe die gleichmäßige Heiterkeit seiner Stimmung, die ihm trotz aller Widerwärtigkeiten des Lebens eigen geblieben sei, und die jedermann im Verkehre mit ihm beobachten könne; daraus entspringe das ruhige Wohlwollen, das er auch denen entgegenbringe, die ihm in früheren Jahren unwissentlich wehe getan hätten, und daraus erkläre sich zugleich der hohe Wert, den er auf eine Bekanntgabe seiner »Denkwürdigkeiten« lege. Er denke nicht daran, für seinen Wunderglauben Propaganda zu machen und noch viel weniger werde er ihm zu Liebe auch nur einen Groschen seines Vermögens aufopfern wollen. Worauf es ihm bei der beabsichtigten Veröffentlichung seiner Denkwürdigkeiten allein ankomme, sei: Zweifel darüber zu erwecken, ob es nicht denkbar sei, daß seinem »Wahnsystem«, wie man es nun einmal zu nennen beliebe, etwas Wahres zugrunde liege, und ob es ihm nicht vielleicht doch vergönnt gewesen sein könne, einen Blick hinter den dunklen Schleier zu werfen, der sonst das Jenseits den Augen der Menschen verhülle. Er sei überzeugt, daß die wissenschaftliche Welt nach dem Erscheinen der Schrift lebhafte Veranlassung nehmen werde, sich für seine Persönlichkeit zu interessieren. Den Propheten einer neuen Religion zu spielen, liege ihm vollständig fern, er betrachte sich lediglich als wissenschaftliches Beobachtungsobjekt. Wie man aber auch über seinen Wunderglauben im übrigen denken möge, niemand habe das Recht, darin einen geistigen Defekt zu erblicken, der den Kläger der staatlichen Fürsorge bedürftig erscheinen lasse. Pflege man doch auch die Anhänger des Spiritismus nicht ohne weiteres für geisteskrank zu erklären und zu entmündigen, obgleich ihre übersinnliche Anschauungsweise von der überwältigenden Mehrheit ihrer Mitmenschen ebenfalls nicht verstanden und nicht begriffen werde.

II.

Selbst angenommen aber, er hätte im Sinne der psychiatrischen Wissenschaft als geisteskrank zu gelten, so müsse ihm doch nachgewiesen werden, daß er infolge davon seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermöge.

Der Sachverständige habe es abgelehnt, über den letzteren Punkt eine bestimmte Meinung zu äußern. Er spreche sich nur dahin aus: es sei unberechenbar, ob und inwieweit der Kläger bei gegebener Verfügungsfreiheit vielleicht veranlaßt werden könne, unvernünftige Handlungen vorzunehmen. Mit so allgemeinen Redewendungen und vagen Befürchtungen sei es indes nicht abgetan. Es hätte vielmehr an der Hand von Tatsachen und auf Grund tatsächlicher Erfahrungen, namentlich aus den letzten Jahren, nachgewiesen werden müssen, daß und in welcher Richtung eine Neigung zu unvernünftigem Handeln infolge seiner »Wahnideen und Sinnestäuschungen« bei ihm hervorgetreten sei.

Nun gebe er zu, daß die Gelegenheit, derartige Erfahrungen zu sammeln, bei einem in der Anstalt Detinierten nicht so reichlich vorhanden sei, wie bei einem anderen Menschen, der sich auf freiem Fuße befinde. Insbesondere habe der Sachverständige Dr. Weber den Kläger eigentlich erst seit Ostern 1900, seitdem er ihn regelmäßig an den Mahlzeiten seiner Familie mit teilnehmen lasse, näher kennengelernt. Allein das habe sich in der Zwischenzeit wesentlich geändert. Seit der Erstattung des letzten Gutachtens sei über ein Jahr verflossen. Während dem sei ihm von der Anstaltsdirektion eine ziemlich weitgehende Bewegungsfreiheit eingeräumt worden. Er habe zahlreiche kleinere und größere Ausflüge unternommen, habe an öffentlichen Vergnügungsorten, in Geschäftslokalen, Kirchen, Theater und Konzerten verkehrt, im letzten halben Jahre ohne Begleitung eines Pflegers und mit einer gewissen Barschaft versehen. Nie werde jemand bei einer dieser Gelegenheiten auch nur das geringste Anzeichen einer verkehrten Handlungsweise an ihm wahrgenommen haben. Es sei ihm nicht eingefallen, anderen Personen jemals mit Kundgebung seiner Wahnideen lästig zu fallen. Er glaube z. B. behaupten zu dürfen, daß die Damen an der Familientafel des Anstaltsvorstandes, wenn sie nicht zufällig etwa auf anderem Wege davon Kenntnis erlangt haben sollten, auch nicht die leiseste Spur von dem Vorhandensein jener Wahnideen haben würden. Daß er seiner Frau gegenüber zuweilen Andeutungen davon gemacht habe, sei richtig, erkläre sich aber ausreichend durch die zwischen ihnen bestehende innige Lebensgemeinschaft.

Der einzige Punkt, in dem sein Verhalten zur Außenwelt einer gewissen Beeinflussung durch seine »Wahnvorstellungen« unterliege und der in den Augen anderer Menschen vielleicht als unvernünftig erscheinen könne, sei der auch von dem Sachverständigen Dr. Weber hervorgehobene Umstand, daß er seinen Körper zuweilen mit etwas weiblichem Zierrat (Bändern, unechten Ketten u. dergl.) behänge. Das möge, wie er zugebe, vielen läppisch vorkommen. Allein, er habe seine guten Gründe dazu. Er erziele damit nämlich in der Regel eine erhebliche Mäßigung der sonst für ihn, wie für seine Umgebung so überaus lästigen Brüllzustände. Und schlimmstenfalls liege darin eine bloße Schrulle, die absolut harmlos und weder für ihn selbst, noch für andere Personen mit irgendwelchen Nachteilen verbunden sei.

Der finanzielle Gesichtspunkt könne nicht weiter in Betracht kommen; der ganze Kram habe ihm kaum etwas mehr als einige Mark gekostet.

III.

Der Sachverständige hebe in seinem Gutachten hervor:

Das wichtigste Moment für die Beurteilung der Handlungsfähigkeit des Patienten bilde die Tatsache, daß alles dasjenige, was der objektiven Betrachtung sich als Sinnestäuschung und Wahnidee darstelle, für ihn unumstößliche Wahrheit und vollberechtigtes Motiv zum Handeln sei.

Von dieser Tatsache gebe er den ersten Teil unumwunden zu, während er dem zweiten Teile ein unbedingtes »Nein« entgegenzusetzen habe. Die religiösen Vorstellungen, die ihn erfüllten, würden ihn nie und nimmer zu einem unvernünftigen Tun im praktischen Leben verleiten können. Auf die Fähigkeit, seine Angelegenheiten zu besorgen und seine Interessen selbständig zu wahren, seien sie gänzlich ohne Einfluß. Er wisse nicht, wie Dr. Weber zu seiner entgegengesetzten Aufstellung gekommen sei. Durch sein bisheriges Verhalten habe er jedenfalls keinen Anlaß dazu gegeben. Er denke nicht daran, zur Förderung seines Glaubens oder zur Konstatierung der bei ihm vorhandenen »Wollustnerven« pekuniäre Opfer darzubringen. Die Sicherheit seiner Gotteserkenntnis sei so groß und unerschütterlich, daß es ihm an und für sich ganz gleichgültig sei, was andere Menschen über die Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit seiner Vorstellungen dächten.

Für diese Versicherung in betreff seines zukünftigen Verhaltens beanspruche er Glauben, da er noch niemals Veranlassung gegeben habe, an der Unverbrüchlichkeit seiner Wahrheitsliebe zu zweifeln. Die Befürchtungen des Sachverständigen, es sei »vollständig unberechenbar«, wie weit der Kläger einmal durch seine Wahnideen zu einer Unvernünftigkeit verleitet werden könne, seien somit grundlos. Das Landgericht selbst erachte jene Besorgnis vorzugsweise in zwei Punkten für gerechtfertigt: zunächst in dem ehelichen Verhältnis zu seiner Frau, das bei einer Aufhebung der Entmündigung zerstört werden könne, sodann aber namentlich im Hinblick auf die von ihm geplante Veröffentlichung der »Denkwürdigkeiten«, da er sich hierdurch kompromittieren werde und sogar der Gefahr einer Bestrafung aussetze. Keine dieser beiden Erwägungen könne indes dazu führen, seine Entmündigung aufrecht zu erhalten.

a) Die eheliche Gemeinschaft zwischen ihm und seiner Frau sei infolge seiner Krankheit schon seit vielen Jahren so vollständig als möglich aufgehoben und würde bei Fortdauer der Entmündigung auch für die Zukunft, nach Befinden bis zum Lebensende eines der Ehegatten, aufgehoben bleiben. Möglich sei ja, daß die Rückkehr zur Familie, die er anstrebe, für seine Gattin Unzuträglichkeiten im Gefolge haben werde. Das könne jedoch nicht in Betracht kommen, da die Entmündigung doch nur im Interesse des zu Entmündigenden selbst erfolgen dürfe, um ihn vor den aus seinem unvernünftigen Handeln drohenden Gefahren zu schützen, niemals aber um andere, und wären es noch so nahestehende Personen, vor Unbequemlichkeiten zu bewahren. Selbstverständlich habe er auch rechtliche Verpflichtungen gegen seine Frau, insofern er ihr den standesgemäßen Unterhalt zu gewähren habe. Der Erfüllung dieser Rechtspflicht werde er sich niemals entziehen; er sei vielmehr jederzeit bereit, seine Frau mit den zum Getrenntleben erforderlichen Mitteln auszustatten, falls sich nach seiner Rückkehr aus der Anstalt Umstände ergeben sollten, bei denen jener ein Zusammenleben mit ihm füglich nicht zugemutet werden könne.

Die Bemerkung des Sachverständigen: wenn seine Frau Einsprache gegen seinen Wunderglauben zu erheben versuche, sei er ihr gegenüber rasch mit der Andeutung bei der Hand, sie könne sich ja scheiden lassen, beruhe augenscheinlich auf einem Mißverständnis. Er habe niemals mit dem Gedanken einer Scheidung gespielt, noch Gleichgültigkeit gegen das Fortbestehen des ehelichen Bundes zu erkennen gegeben. Die ganze umfängliche Korrespondenz, die er seit Jahren mit seiner Frau geführt habe, werde beweisen, mit wie herzlicher Liebe er ihr noch zugetan sei und wie schmerzlich er es empfinde, daß auch sie durch seine Krankheit so tief unglücklich geworden. Demnach habe er auch die Eventualität einer Scheidung mit ihr nur in dem Sinne besprochen, daß er ihr einige Male gesagt habe, wenn ihr infolge seiner leidigen Brüllzustände das Zusammenleben mit ihm unerträglich sein sollte, oder wenn es ihr unmöglich sei, ihn wegen gewisser anderer, aus seinem Wunderglauben entspringenden Absonderlichkeiten die frühere Liebe und Achtung zu bewahren, sie dann ja nach dem Gesetz das Recht habe, sich von ihm scheiden zu lassen.

b) Das zweite Beispiel dafür, wie sehr seine Handlungsweise unter dem Zwange krankhafter Vorstellungen stehe, entnehme die erste Instanz dem Inhalte der »Denkwürdigkeiten« und seinem Wunsche, sie veröffentlicht zu sehen.

Daß der Bekanntgabe der Denkwürdigkeiten gewisse Bedenken entgegenstünden, habe er sich nie verhehlt und habe er bereits im Vorworte der Schrift selbst ausgesprochen. Sollte es noch zur Drucklegung kommen, so behalte er sich vor, das und jenes vorher darin zu streichen und einzelne Ausdrücke zu mildern. In der jetzt vorliegenden Form solle die Abhandlung keinesfalls veröffentlicht werden. Dem Verlagsbuchhändler in Leipzig, mit dem er sich wegen der Herausgabe der Denkwürdigkeiten bereits vorläufig ins Einvernehmen gesetzt habe, sei die Schrift zunächst nur zur Einsichtnahme übergeben worden.

Selbst wenn die Schrift aber völlig unverändert bliebe, müsse er sich doch mit aller Entschiedenheit dagegen verwahren, als ob dadurch eines der Mitglieder seiner Familie »bloßgestellt« werden könne, – wie der Vorderrichter anzunehmen scheine. Davon sei keine Rede. Die »Denkwürdigkeiten« enthielten nicht das mindeste, was dem Andenken seines Vaters, seines Bruders oder seiner Frau zu schaden geeignet wäre. Was dagegen die Gefahr betreffe, daß sich der Kläger durch Bekanntgabe seiner »Denkwürdigkeiten« selbst kompromittieren könne, so nehme er diese Gefahr mit vollem Bewußtsein auf sich. Das Schlimmste, was ihm passieren könne, sei doch nur, daß man ihn für geistig gestört halte, und das tue man ja schon ohnedies. In Wahrheit glaube er nicht befürchten zu müssen, daß irgend jemand, der seine »Denkwürdigkeiten« mit Aufmerksamkeit lese, nach der Lektüre von ihm geringer denken werde, als vorher. Ihm sei es überall nur auf die Erforschung der Wahrheit angekommen. Wenn das angefochtene Urteil an seiner Schrift aussetze, daß sie hin und wieder anstößige Kraftausdrücke gebrauche, so sei das ja richtig. Allein, jene Ausdrücke stammten nicht von ihm selbst her, sondern kämen nur dort vor, wo er referierend über den Inhalt des mit ihm geführten Stimmengesprächs berichtet habe. Daß diese Stimmen sich vielfach nichts weniger als salonfähiger Ausdrücke bedienten, sei nicht seine Schuld. Im übrigen seien seine »Denkwürdigkeiten« doch nicht für Backfische oder höhere Töchter geschrieben.

Eine Persönlichkeit gebe es allerdings, die sich durch die Veröffentlichung der »Denkwürdigkeiten« vielleicht verletzt fühlen und die nach Befinden sogar wegen Beleidigung gegen ihn werde vorgehen können. Das sei der Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Flechsig in Leipzig. Immerhin habe er auch hier nur über Vorgänge berichtet, die er nach den Mitteilungen der mit ihm redenden Stimmen habe für wahr halten müssen. Er sei überzeugt, daß Flechsig ihm das zugute halten werde, und habe sogar schon daran gedacht, ihm ein Exemplar der »Denkwürdigkeiten« zukommen zu lassen, weil er glaube, daß Geh. Rat Flechsig an dem dort erörterten Problem wissenschaftliches Interesse nehmen werde. Die persönliche Ehrenhaftigkeit Flechsigs anzugreifen, habe ihm vollständig fern gelegen. Sollte aber die Veröffentlichung der Schrift ihm wider Erwarten dennoch eine Bestrafung wegen Beleidigung eintragen, so sei er um des guten Zweckes willen bereit, auch dies neue Martyrium auf sich zu nehmen, und niemand habe seines Erachtens ein Recht, ihn daran zu hindern. –

Der Staatsanwalt hält die Aufrechterhaltung der Entmündigung für gesetzlich notwendig und durch das eigene Interesse des Klägers dringend geboten. Daß Dr. Schreber an Paranoia leide, könne nach seinen Ausführungen in der Berufungsverhandlung keinem Zweifel unterliegen. Ebenso zweifellos sei aber auch, daß er dadurch außerstande gesetzt worden sei, seine Angelegenheiten vernunftgemäß zu besorgen, wenn schon der Sachverständige in zu enger Auffassung seiner Kompetenz sich darüber nicht mit der wünschenswerten Bestimmtheit ausgesprochen habe. Denn, wie Dr. Weber mit Recht hervorhebe, beruhe das psychische Geschehen auf einer organischen Einheitlichkeit und es sei nicht denkbar, daß die von der Wahnidee nicht unmittelbar erfüllten Gebiete des Seelenlebens davon ganz unberührt bleiben könnten, daß die mündlichen und schriftlichen Auslassungen des Klägers zum Teil den Eindruck der Klarheit erweckten, dadurch dürfe man sich nicht täuschen lassen.

Der Anführung einzelner Tatsachen, aus denen das Unvermögen des Klägers zur Besorgung seiner Angelegenheiten hervorgehe, bedürfe es nicht. Übrigens seien Tatsachen dieser Art vorhanden. So sei der Kläger offenbar nicht in der Lage, zu beurteilen, wie lange er sich noch in der Anstalt aufzuhalten habe. Werde die Entmündigung aufgehoben, so werde er über kurz oder lang sicherlich darnach trachten, aus der Anstalt entlassen zu werden. In einem seiner Briefe an den Justizrat Dr. Thürmer, seinen erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten (Bl. 68 74 der Akten), schreibe er u. a.:

Was ihm körperlich und geistig wohltue, wisse er genau und besser als irgendein Arzt, da es sich um die Abwehr der nachteiligen Einwirkungen göttlicher Wunder handle.

Man sehe hieraus, wie der Kläger kein richtiges Urteil über seine Krankheit besitze und daß er auf den Rat dritter Personen nicht hören werde. Hierzu komme, daß er auch von Halluzinationen heimgesucht werde, die ihn nach dem Zeugnis Dr. Webers zuweilen mitten in der Unterhaltung präokkupierten und durch die seine Aufmerksamkeit abgelenkt werde. Es liege auf der Hand, daß das für ihn bei der Vornahme vermögensrechtlicher Geschäfte unter Umständen verhängnisvoll werden könne. Sein und seiner Frau Vermögen zu verwalten, sei nicht so einfach. Es bestehe nach dem letzten, vom Amtsgerichtspräsidenten Schmidt in Leipzig als Vormund aufgestellten Vermögensverzeichnis (Bl. 177 der Bevormundungsakten ) zum Teil in Grundstücksanteilen und in einem Anteile an einem Verlagsrechte. Auch das Verhalten Dr. Schrebers zu seiner Frau erwecke begründete Zweifel, ob er fähig sein werde, sich in seinen Verfügungen ihr gegenüber von dem Einflusse der ihn beherrschenden Wahnvorstellungen frei zu machen, wie denn überhaupt trotz aller in dieser Hinsicht vom Kläger abgegebenen gegenteiligen Versicherungen die Befürchtung nicht abzuweisen sei, daß er in Verfolgung der Idee der ihm zugedachten göttlichen Mission vielleicht Aufwendungen machen werde, die er als willensfreier Mann unterlassen würde. Und wie sehr sich die ganze Denkweise Dr. Schrebers auf verschobener Grundlage bewege, dafür spreche nicht am wenigsten die auch gegenwärtig noch mit solcher Hartnäckigkeit festgehaltene Absicht, seine »Denkwürdigkeiten« zu veröffentlichen. –

Der Kläger tritt diesen Ausführungen allenthalben entgegen. Die seit der Erstattung des letzten Weber'schen Gutachtens vom 28. November 1900 in der Zwischenzeit mit ihm gemachten Erfahrungen hätten den Beweis geliefert, daß er trotz aller angeblichen Wahnideen und Sinnestäuschungen dennoch vollkommen imstande sei, seine geschäftlichen wie sonstigen Angelegenheiten selbständig und in der durch seine rechtlichen Interessen gebotenen Weise vernünftig zu erledigen. Er sei überzeugt, daß Dr. Weber auf Grund jener Erfahrungen die in seinem früheren Gutachten hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit des Klägers angedeuteten Folgerungen jetzt nicht mehr werde aufrechterhalten wollen.

Daß er in näherer oder entfernterer Zukunft seine Entlassung aus der Anstalt erstrebe, sei richtig. Von einer Fortdauer des Aufenthaltes auf dem Sonnenstein erwarte er für die Wiederherstellung seiner Gesundheit keine Vorteile. Immerhin könne darüber noch einige Zeit hin vergehen. Er bescheide sich namentlich, daß, solange nicht in seinen Brüllzuständen eine Besserung eintrete, es für ihn vielleicht ratsamer sein werde, noch eine Weile in der Anstalt zu verbleiben, obschon er die Beobachtung gemacht habe, daß die Brülllaute immer nur bei dem Aufenthalte in der Anstalt, so gut wie niemals aber außerhalb derselben, auf Reisen usw. vorgekommen seien. Indes, mit der Bejahung oder Verneinung seiner Geschäftsfähigkeit hätten jene »Vociferationen« nichts zu tun. Insoweit walteten lediglich wohlfahrtspolizeiliche Rücksichten ob. die der Anstaltsverwaltung kraft der ihr zustehenden sicherheitspolizeilichen Befugnisse unter Umständen allerdings vielleicht das Recht geben würden, ihn gegen seinen Willen in der Anstalt zurückzuhalten. Er wiederholte jedoch, daß es eines Zwanges in dieser Richtung gegen ihn nicht bedürfen werde, da er, solange aus dem häufigeren Auftreten der Brüllaute Unzuträglichkeiten zu befürchten seien, gegen ein Verbleiben in der Anstalt seinerseits gar nicht ankämpfe. –

Das Berufungsgericht hat durch Beweisbeschluß vom 30. Dezember 1901 den Geh. Med.-Rat Dr. Weber in dem unter a, b, c des Beschlusses hervorgehobenen drei Richtungen zu einer Erläuterung und Ergänzung seines ersten Gutachtens veranlaßt und ihn insbesondere um Auskunft darüber ersucht, welcher Art die Erfahrungen gewesen sind, die man seit dem November 1900 über die Fähigkeit des Klägers gemacht hat, sich außerhalb der Anstalt frei zu bewegen und seine Geschäfte zu besorgen. Dr. Weber hat das erforderte Gutachten Bl. 203 flg. unter Berufung auf seinen im allgemeinen geleisteten Eid schriftlich erstattet und es, veranlaßt durch einige von Dr. Schreber (Bl. 223 flg.) gegen die tatsächlichen Unterlagen seines Gutachtens erhobenen Einwendungen, durch den Nachtragsbericht Bl. 231 ergänzt. Beide Gutachten sind dem Berufungsgerichte vorgetragen worden.

Der Kläger glaubt, die neueren Auslassungen des Gutachtens in einem für sich günstigen Sinne deuten zu dürfen. Für ihn genüge es schon, daß der Sachverständige jetzt Zweifel hege, ob eine Fortdauer der Entmündigung notwendig sei. Tatsächlich sei ihm während der letztverflossenen zwei Jahre auch nicht in einem einzigen Falle ein unvernünftiges Handeln nachzuweisen gewesen. Selbst die störenden Brüllaute, deren zeitweiliges Vorkommen dem Sachverständigen noch Bedenken zu machen scheine, die aber außerhalb der Anstalt niemals einen Charakter annähmen, daß sie als grober Unfug oder als ruhestörender Lärm angesehen werden könnten, hätten in der letzten Zeit nachgelassen. Während seines achttägigen Besuchsaufenthaltes in Leipzig seien sie, wie ihm seine Angehörigen bezeugen würden, auch nicht ein einziges Mal aufgetreten. Da das Brüllen automatisch veranlaßt werde, also von seinem Willen unabhängig sei, könne es als Äußerung einer Neigung zu unverständigem Gebaren ohnedies nicht in Betracht kommen.

Unzutreffend sei, wenn der Sachverständige ihm vorwerfe, daß er in dem von ihm erwähnten Krankheitsfalle (Brechdurchfall) sich unzweckmäßig benommen und die ihm verordneten Arzneien verschmäht habe. Er habe die ärztlichen Anordnungen sehr wohl befolgt (Beweis: Pfleger Müller), wie sich überhaupt nicht sagen lasse, daß er die Bedeutung der Medikamente verkenne oder sie gar mißachte. Das Gegenteil ergebe sich schon daraus, daß er ja auch bei Schlaflosigkeit sich nicht weigerte, Schlafmittel zu sich zu nehmen.

Im übrigen habe er in neuerer Zeit geflissentlich jede Gelegenheit aufgesucht, um auf seinen Spaziergängen, Ausflügen und Reisen mit anderen, ihm zum Teil bis dahin fremden Menschen, Unterhaltungen anzuknüpfen. Auf deren Zeugnis berufe er sich. Er benenne aus der großen Zahl der in Frage kommenden Personen vorläufig nur folgende als Zeugen: seinen Schwager, den Kaufmann Karl Jung in Leipzig und dessen Ehefrau, seine älteste Schwester, seinen Schwager Landgerichtsdirektor Krause in Chemnitz und dessen Ehefrau, seine jüngste Schwester, seinen Vormund: den Amtsgerichtspräsidenten Schmidt in Leipzig und dessen Gemahlin, den Sanitätsrat Dr. Nakonz, den Rechtsanwalt Geh. Justizrat Dr. Schill, den Arzt Dr. med. Hennig, den Verlagsbuchhändler Nauhardt, den in Aussicht genommenen Verleger seiner »Denkwürdigkeiten«, – sämtlich in Leipzig, endlich den Senatspräsidenten a.D. Thierbach in Dresden und die Majore Meißner und Sander in Pirna. Alle diese Personen würden bestätigen, daß sie bei den betreffenden Begegnungen von ihm den Eindruck eines vollkommen verständigen, jeder Anforderung des gesellschaftlichen und geschäftlichen Verkehrs gewachsenen Menschen empfangen, dem sie als Laien auch nicht die leiseste Spur einer Geisteskrankheit, geschweige denn einer solchen, die zur Besorgung der eigenen Angelegenheiten unfähig macht, angemerkt hätten.

In jüngster Zeit sei eine neue, für die Beurteilung seiner Geschäftsfähigkeit sehr wichtige Tatsache hinzugetreten. Um die Anstaltsverwaltung zu einer etwas bestimmteren Stellungnahme zur Frage seiner Entmündigung zu veranlassen, habe er sie jüngsthin in der Richtung auszuforschen gesucht, ob sie gegen seine demnächstige Entlassung aus der Anstalt wohl Bedenken habe. Eine unvermittelte Entlassung, etwa von heute auf morgen, strebe er freilich nicht an. Die Rücksicht auf die angegriffene Gesundheit seiner Frau, mit der er gern wieder zusammenleben möchte, und die Wahl einer für ihre, wie für seine eigenen Bedürfnisse, geeigneten Wohnung würden eine Reihe umsichtiger Erwägungen und rechtsgeschäftlicher Vorbereitungen bedingen, die nicht so rasch zu erledigen seien. Auch nehme er an, daß die Anstaltsverwaltung sich vor seiner Entlassung erst mit seinem Vormunde, vielleicht auch mit seiner Gattin werde ins Einvernehmen setzen, und vor allem sich darüber werde vergewissern wollen, ob für seine anderweite Unterbringung gesorgt sei. Er habe daher seine Anfrage an Herrn Geh. Med.-Rat Dr. Weber in einer Zuschrift vom 29. Mai 1902 dahin formuliert:

ob die Anstaltsverwaltung nach dem jetzigen Stande der Dinge unter der Voraussetzung, daß von dem Vormunde und dem Vormundschaftsgerichte besondere Bedenken gegen die Entlassung nicht erhoben werden sollten, dieselbe auch einer ausgesprochenen Abneigung seiner Frau nicht begegnen würde oder sonst für sein Unterkommen gesorgt wäre, einem zu gelegener Zeit von ihm geäußerten Wunsche auf Entlassung unter den dann wohl allein in Betracht kommenden wohlfahrtspolizeilichen Gesichtspunkten willfahren zu können glauben würde.

Daraufhin sei ihm vom Herrn Geh. Med.-Rat Dr. Weber die Bl. 252 b/253 D. A. im Original befindliche Antwort vom 30. Mai 1902 zuteil geworden, folgenden Inhalts:

»Die Anstaltsdirektion würde unter den in der Zuschrift erwähnten Voraussetzungen und solange in Ihrem Befinden keine Verschlimmerung eintritt, gegenwärtig keinen Anlaß haben, Ihrer Entlassung aus der Anstalt ein Hindernis in den Weg zu legen.

Für die Anstaltsdirektion kommt, von etwa erbetenem ärztlichen Rat abgesehen, bei der Entlassung oder versuchsweisen Beurlaubung im wesentlichen nur die etwaige ›Gefährlichkeit‹ des Krankheitszustandes für den Patienten selbst oder für andere in Frage. Solche besteht im gegenwärtigen Falle nicht ... etc.« –

Der Staatsanwalt erkennt den Briefwechsel zwischen dem Kläger und dem Geh. Med.-Rat Dr. Weber an. Er widerspricht gleichwohl einer Aufhebung der Entmündigung, da trotz allem, was der Kläger dagegen sage, die Besorgnis nicht abzuweisen sei, daß er unter dem Zwange des ihn beherrschenden Irrwahns sich zu törichten und unvernünftigen Handlungen werde hinreißen lassen. So werde der Kläger beispielsweise, um die geplante Veröffentlichung der »Denkwürdigkeiten« ins Werk setzen zu können, sicherlich bedeutende finanzielle Opfer bringen müssen, da das Zustandekommen eines normalen Verlagsvertrags ausgeschlossen sei.

Zu dem letzteren Punkte erwidert der Kläger:

Die Herausgabe der »Denkwürdigkeiten« sei nach den mit dem Verlagsbuchhändler Nauhardt in Leipzig vorläufig getroffenen Abmachungen in der Form eines Kommissionsvertrags geplant, derselben Verlagsform, in der die »Zimmergymnastik« seines Vaters erschienen sei. Dabei beschränke sich das von ihm zu übernehmende geschäftliche Risiko auf die Herstellungskosten des Werkes im Betrage von ... Mark. Seinem Gesamtvermögen gegenüber, das auf annähernd ... Mark zu schätzen sein möge, bedeute eine solche Ausgabe nicht viel. Im übrigen wiederhole er seine frühere Versicherung, daß er für seinen Wunderglauben keine Propaganda mache und daß es ihm nicht einfalle, ihm zuliebe auch nur einen Groschen seines Vermögens aufzuopfern.

Entscheidungsgründe

Die Tatsache, daß der Kläger geisteskrank ist, unterliegt auch für das Berufungsgericht keinem Zweifel. Nur wird man mit dem Kläger natürlich über das Bestehen der bei ihm als Paranoia erkannten Geisteskrankheit nicht rechten wollen. Ihm fehlt eben die Einsicht in die Krankhaftigkeit der ihn bewegenden Eingebungen und Vorstellungen. Was der objektiven Beobachtung als Sinnestäuschung und Wahn-Idee sich darstellt, ist für ihn unumstößliche Gewißheit. Hält er doch auch heute noch unerschütterlich fest an der Überzeugung, daß Gott sich ihm unmittelbar offenbare und unablässig an ihm seine Wunder verrichte. Die Überzeugung steht ihm, wie er selbst sagt, turmhoch über aller menschlichen Einsicht und Wissenschaft.

Die Feststellung, daß sich der Kläger in einem Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, reicht indes zur Entmündigung nicht aus. Das BGB knüpft in § 6 Ziff. 1 deren Zulässigkeit noch an die weitere Voraussetzung, daß der Kranke infolge seines Zustandes seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermöge. Nicht jede geistige Anomalie führt mithin notwendig zugleich zur Verneinung der Geschäftsfähigkeit. Die Verhängung der Entmündigung ist nur zu rechtfertigen, wenn die Geisteskrankheit in solcher Schwere auftritt, daß der Kranke dadurch nach Art eines Kindes unter sieben Jahren an der Besorgung aller seiner Angelegenheiten behindert erscheint. Ist dem Erkrankten die Fähigkeit zu überlegtem und verständigem Handeln nicht vollständig genommen, ist er durch sein geistiges Gebrechen vielmehr nur an der Wahrnehmung einzelner seiner Angelegenheiten oder eines bestimmten Kreises seiner Angelegenheiten behindert, so kann das zwar nach Befinden zur Einleitung einer Pflegschaft Anlaß bieten (§ 1910, Abs. 2 B.G.B.'s), niemals aber zur Anordnung der Entmündigung.

Unter den »Angelegenheiten«, von denen das Gesetz in § 6 Ziff. 1 spricht, sind, wie die erste Instanz mit Recht annimmt, nicht nur die Vermögensangelegenheiten zu verstehen.

Der Begriff umfaßt die Gesamtheit der Lebensverhältnisse, an deren geordneter Regelung die Rechtsordnung interessiert ist: die Sorge für die eigene Person des zu Entmündigenden, für sein Leben und seine Gesundheit, nicht minder wie die Fürsorge für seine Angehörigen und für sein Vermögen. Denn die Entmündigung ist in erster Linie Schutzmaßnahme. Sie will demjenigen zu Hilfe kommen, der sich gegen die nachteiligen Folgen seiner Einsichtslosigkeit und gegen deren Ausbeutung durch andere nicht selbst zu schützen vermag. Soweit in dieser Beziehung das Schutzbedürfnis des Kranken reicht, soweit auch die Fürsorgepflicht des Staates. Nur muß das von der Rechtsordnung dem Kranken in der Entmündigung dargebotene Schutzmittel zur Abwendung der ihm aus seiner Willenslosigkeit im bürgerlichen Verkehr drohenden Gefahren auch tatsächlich geeignet und wirksam sein. Die Entmündigung darf nur Platz greifen, wenn es sich um solche Gefahren für den zu Entmündigenden handelt, denen durch Aberkennung der rechtlichen Geschäftsfähigkeit (§ 104 3 B.G.B.'s) und durch Bestellung eines Vormundes zur allgemeinen Fürsorge für seine persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten (§ 1896) mit Erfolg begegnet werden kann. (Vergl. Denkschrift zum Entwurfe B.G.B.'s S. 2.)

Ist der Kläger in dem angegebenen Sinne des Schutzes bedürftig, oder vermag er seine Angelegenheiten selbständig zu besorgen?

Der Sachverständige Dr. Weber gibt in seinen beiden Gutachten keine bestimmte Antwort auf die Frage. Er beantwortet sie weder direkt mit Ja noch mit Nein. Die Entscheidung fällt ihm offenbar schwer. Während er in gewöhnlichen und zweifellosen Krankheitsfällen meist kein Bedenken zu tragen pflegt, die aus der konstatierten Geisteskrankheit sich ergebenden rechtlichen Konsequenzen der Kürze halber ohne weiteres selber zu ziehen (Bl. 203 b), lehnt er das im vorliegenden Falle ab. Er beschränkt sich darauf, das Bild der geistigen Erkrankung des Klägers vorzuführen und diejenigen tatsächlichen Momente zusammenzustellen, in denen das gestörte Seelenleben des Kranken nach außen hin besonders auffällig in die Erscheinung tritt, es dem Richter überlassend, sich an der Hand dieser Darlegungen selbst ein Urteil darüber zu bilden, ob der Kläger darnach für fähig zu erachten sei, seine Lebensinteressen im bürgerlichen Verkehr selbständig zu wahren.

Gegen diese Haltung des Sachverständigen ist kein Einwand zu erheben. Es gehört in der Tat nicht zur Zuständigkeit des ärztlichen Gutachtens, über die praktische juristische Seite der von ihm an einer Person festgestellten geistigen Erkrankung, ihren Einfluß auf die Gestaltung der Geschäftsfähigkeit, mit zu entscheiden. Die Beurteilung dieser Frage fällt ausschließlich dem Richter anheim.

Da der Sachverständige das Krankheitsbild, das die Wahnideen des Klägers darbieten, als Paranoia bezeichnet, könnte man versucht sein, hierdurch allein schon die zu entscheidende Frage für entschieden anzusehen. So Endemann in seinem Lehrbuche § 31, S. 136, Nr. 8. S. 137 (3. Aufl.), der jeden an Paranoia Erkrankten schlechthin für entmündigungsreif erklärt und dem schon die Natur dieser Geisteskrankheit einen ausreichenden Beweis dafür liefert, daß der davon Betroffene unvermögend sei, die Folgen seines Handelns vernünftig zu überlegen.

Das geht zu weit. Wie der Sachverständige Dr. Weber, eine anerkannte Autorität der psychiatrischen Wissenschaft, mit Recht hervorhebt, gibt es zahlreiche Paranoiker, die trotz schwerer seelischer Störungen und obgleich ihr Denken sich zuweilen im Banne der absurdesten Wahnideen bewegt, von ihrer Umgebung doch kaum als Kranke anerkannt werden und die ihre täglichen Geschäfte ordnungsmäßig erledigen, auch den Pflichten ihres Berufs in der Hauptsache genügend gerecht werden. Man hält sie wohl für Sonderlinge, erklärt sie für schrullenhaft und mit fixen Ideen behaftet, denkt aber in der Regel gar nicht daran, sie unter Entmündigung zu stellen. Darin liegt gerade der Fortschritt der neueren Gesetzgebung, daß es nunmehr möglich ist, derartige mehr oder minder harmlose Naturen, ungeachtet der auch bei ihnen festzustellenden geistigen Gestörtheit, nach Befinden dennoch im Besitze der zu ihrem Fortkommen im Leben notwendigen rechtlichen Verfügungsfreiheit zu belassen. Stehen diese Personen auch unter dem Einflüsse von Zwangsideen, die sie auf dem davon unmittelbar berührten Gebiete des Seelenlebens unzurechnungsfähig erscheinen lassen, so ist ihnen damit doch nicht überhaupt die Fähigkeit genommen, vernünftig zu handeln. Auf den von ihrer Wahnidee weiter ab gelegenen, der Beeinflussung durch sie entzogenen oder ihr doch in minderem Grade ausgesetzten Vorstellungsgebieten sind sie meist imstande, ihre beruflichen Angelegenheiten einwandfrei zu besorgen.

Vgl. Krafft-Ebing, die zweifelhaften Geisteszustände S. 8, auch Samter in Gruchots Beitr. v. J. 1901, S. 3.

In die Gruppe dieser Krankheitsfälle gehört nach dem Gutachten Dr. Webers (Bl. 206) auch die Psychose des Klägers in der Gestalt, die sie seit einigen Jahren, seit ihrem Übergange aus dem Stadium des akuten Irrseins in das der chronischen Krankheit, genommen hat. Wohl ist es wahr, daß die Weltanschauung des Klägers durch die ihn beherrschende Idee von seiner Ausnahmestellung zu Gott verfälscht ist, und daß Dr. Schreber in ausgedehntestem Maße Sinnestäuschungen unterliegt. Die Überzeugung, der unausgesetzte Gegenstand göttlicher Wundergewalt zu sein, ist ihm, wie er selbst bekennt, zum Mittelpunkte des Lebens geworden. Immerhin handelt es sich hierbei zunächst nur um ein einziges Gebiet des klägerischen Seelenlebens, das religiöse Gebiet. Was mit unseren Anschauungen über göttliche Dinge und mit unserem Glauben über das Verhältnis des Menschen zu Gott im Zusammenhang steht, wird der Kläger bei der ihm fehlenden Einsicht in die Krankhaftigkeit seiner Denkweise niemals richtig zu beurteilen vermögen. Allein daraus folgt nicht, daß sein Urteil auf allen übrigen Gebieten des Seelenlebens nun ebenfalls krankhaft verändert sein müßte. Das religiöse Empfinden eines Menschen mag zahlreiche und bedeutungsvolle Berührungspunkte mit anderen Seiten seines geistigen Daseins haben; daß es alle diese Seiten gleichmäßig oder mit gleicher Stärke umfasse, wird man trotzdem nicht sagen können. Die religiöse Überzeugung, die den gläubigen Menschen erfüllt und die auch für den psychisch Gesunden oft genug den Mittelpunkt seines Lebens bildet, hat nicht auf allen Lebensgebieten Raum sich zu betätigen, und Dr. Weber weist zutreffend darauf hin, wie jemand lange Zeit hindurch mit einem anderen in regem wissenschaftlichem Verkehr stehen kann, ohne in seinen religiösen Überzeugungen irgendeinen Einblick zu gewinnen: die Letzteren haben eben zumeist keine näheren Beziehungen zu seinen wissenschaftlichen Anschauungen, beide Vorstellungskomplexe führen in seinem Gehirne gewissermaßen eine Sonderexistenz.

Ähnlich ist es nach dem Ausspruche des Sachverständigen (Bl. 205 b) mit dem Wahnsysteme des Paranoikers. Es ist daher nicht richtig, wenn die Kgl. Staatsanwaltschaft in Anlehnung an die Ausführungen Endemanns a. a. O. dem Kläger einhält: weil er unter dem Einflusse von Wahnvorstellungen stehe, bewege sich sein gesamtes Denken auf einer von Haus aus verschobenen Grundlage, und dies müsse zur Folge haben, daß mehr oder minder alle von ihm ausgehenden Willensakte krankhaft beeinflußt würden; bei der Einheitlichkeit des Geisteslebens sei ein Hinübergreifen der krankhaften Vorstellungsgebiete auf die anscheinend gesunden und von dem Wahnsystem relativ wenig berührten nicht zu vermeiden.

Die hier herein spielende Idee von der Einheitlichkeit des psychischen Geschehens mag der wissenschaftlichen Anschauung der neueren Irrenheilkunde entsprechen. Auch der Sachverständige Dr. Weber nimmt sie in seinem Gutachten zum Ausgangspunkte (Bl. 47, 205). Immerhin hat sie zunächst nur theoretische Bedeutung. In früheren Zeiten huldigte man entgegengesetzten Anschauungen; man sprach hier unbedenklich von »partieller Verrücktheit«, und der in dieser Bezeichnung sich kundgebenden Auffassung wird in dem Weberschen Gutachten auch heute noch eine gewisse Berechtigung zuerkannt (Bl. 205 b). Wie man aber auch wissenschaftlich und theoretisch sich zu der Frage stellen mag: der Entmündigungsrichter hat mit der Erfahrungstatsache zu rechnen, daß der Einfluß der Wahnideen, die den Paranoia-Kranken beherrschen, sich im bürgerlichen Verkehrsleben nicht auf allen Gebieten gleichmäßig zu äußern pflegt. Häufig genug bleibt es bei einer bloß »partiellen Verrücktheit«, indem die krankhaften Vorstellungen sich auf ein bestimmtes einzelnes Gebiet zurückziehen und in dieser Beschränkung eine Art »Sonderexistenz« bilden, während andere Lebensgebiete davon verhältnismäßig unberührt bleiben und ein seelisches Gestörtsein des Kranken in keiner Weise erkennen lassen. (Bl. 205.)

Die Möglichkeit eines Übergreifens der partiellen Störung auf die Gesamtheit der übrigen geistigen Funktionen im Menschen ist freilich nicht von der Hand zu weisen. Sie besteht in thesi bei jeder Form der geistigen Anomalie. Dies, und nichts anderes, hat wohl auch Dr. Weber nur zum Ausdrucke bringen wollen, wenn er es in seinem ersten Gutachten (Bl. 53) für unberechenbar erklärte, wie einmal im gegebenen Augenblicke die Entschließung des Klägers, falls man ihm die Freiheit des Handelns zurückgäbe, ausfallen werde, ob nach Maßgabe seines relativ gesund gebliebenen Vorstellungsinhalts oder unter dem Zwange des ihn beseelenden krankhaften Wunderglaubens.

Das allein reicht jedoch zur Vornahme der Entmündigung nicht aus. Wie der Kläger sich mit Recht verwahrt, kann ihm die Geschäftsfähigkeit nicht schon auf den bloßen Verdacht hin genommen werden, daß er durch seine Wahnvorstellungen sich auf dem oder jenem Gebiete vielleicht zu unvernünftigem Tun verleiten lassen könne. Hierzu ist nach dem Gesetze vielmehr die positive Feststellung erforderlich, daß er infolge der Geisteskrankheit seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermöge. (§ 6¹ B. G. B.) Und daß dem so sei, hat derjenige zu beweisen, der die Entmündigung beantragt hat. Kann der Beweis gegen den Kläger nicht erbracht werden und ist auch an der Hand der nach § 653 C. P. O. über den Geisteszustand des Kranken von Amts wegen anzustellenden Ermittlungen zu keinem sicheren und zweifelsfreien Ergebnis zu gelangen, dann kann die Entmündigung nicht aufrechterhalten werden.

Welche Anforderungen man an jenen Beweis zu stellen habe, darüber läßt sich streiten. Man wird sicherlich nicht so weit gehen dürfen wie der Kläger, der eine Entmündigung des Kranken erst dann zulassen will, wenn die Gefahr seines unvernünftigen Handelns unmittelbar auf Gewißheit beruhe. Auf der anderen Seite wird man sich aber ebensowenig an der bloßen Befürchtung genügen lassen dürfen. Die Befürchtung muß zum mindesten in greifbare Nähe gerückt, muß durch Tatsachen oder sonstwie wahrscheinlich geworden sein.

Damit ist die Beweisführung auf dasjenige Gebiet gedrängt, das allein auf die zu entscheidende Frage eine zutreffende Antwort zu bieten vermag: auf das Gebiet der tatsächlichen Erfahrungen.

Die Entmündigung hat festzustellen, in welchem Maße die Wahnvorstellungen eines Kranken sein Tun und Lassen im Verkehrsleben bestimmen. Ist der zu Entmündigende trotz seiner Geistestrübung noch den Anforderungen des praktischen Lebens gewachsen oder sind die Einwirkungen der Sinnesstörung so tiefgehender Natur, daß ihm dadurch das Augenmaß für die Wirklichkeit der Dinge und deren vernünftige Erfassung verlorengegangen ist? Das läßt sich mit Sicherheit nur an der Hand der Erfahrung beurteilen. Der Kranke muß den Anforderungen des Lebens wirklich ausgesetzt gewesen sein und, mitten im rechtsgeschäftlichen Verkehre innestehend, Gelegenheit gehabt haben, sich mit ihnen abzufinden. Die dabei an ihm gemachten Beobachtungen werden die beste Probe abgeben für die Wahrheit seiner Behauptung, daß er, obgleich krank, dennoch imstande sei, seine Angelegenheiten wie jeder andere verständige Mensch zweckmäßig und in der durch seine Interessen gebotenen Weise zu besorgen. Die Natur der Geisteskrankheit bietet dem ärztlichen Sachverständigen keinen zuverlässigen Anhalt. Sie gestattet in dieser Richtung nur Vermutungen. Wie bereits gezeigt wurde, ist das Vorhandensein der Paranoia mit dem Fortbestehen voller Geschäftsfähigkeit an sich nicht unverträglich.

In dieser Auffassung begegnet sich das Gericht mit dem ärztlichen Gutachter. Dr. Weber gab schon in seinem ersten Berichte vom 28. November 1900 dem Bedauern Ausdruck, daß der Kläger bis dahin nur in ziemlich beschränktem Maße in der Lage gewesen sei, außerhalb der Anstaltsmauern selbständig handelnd in die Gestaltung seiner Verhältnisse einzugreifen, so daß die eigentliche Probe auf das Exempel noch nicht habe gemacht werden können (Bl. 45). Er beschränkte sich daher früher in der Hauptsache darauf, das Krankheitsbild zu zeichnen, wie es sich den Augen des pathologischen Beurteilers damals darstellte.

Das ist in der Zwischenzeit besser geworden. Dem Kranken ist seit der Erstattung des ersten Gutachtens größere Bewegungsfreiheit eingeräumt worden. Man hat ihn mit den verschiedensten Kreisen der Außenwelt in Verkehr treten lassen. Er hat Gelegenheit gehabt, im Umgange mit seinen Angehörigen und mit dritten Personen zu zeigen, in welchem Grade die Wahnideen, die seine Seele erfüllen, die Herrschaft auch über sein sonstiges Denken und Empfinden an sich gerissen haben, und inwieweit sie auf die Ausgestaltung der Verkehrsbeziehungen zu seinen Mitmenschen von Einfluß sind. Dem Berufungsgerichte steht für seine Beurteilung jetzt ein weit reicheres Tatsachenmaterial zu Gebote, als es in erster Instanz zur Zeit der Urteilsfällung vorlag. Die Beobachtungen, die man in dieser Hinsicht gemacht hat, sind aber für den Kläger durchaus günstig ausgefallen.

Eine Wahrnehmung hat sich auch den Berufungsrichtern in ihrem Prozeßverkehr mit der Person des Klägers unmittelbar aufgedrängt, die nämlich, daß die Verstandeskräfte Dr. Schrebers und die Klarheit seiner Gedanken durch die Erkrankung keine Beeinträchtigung erfahren haben. Die Art der persönlichen Aufnahme des Kampfes gegen die über ihn verhängte Entmündigung und dessen planvolle Durchführung, die Schärfe der dabei entwickelten logischen und juristischen Operationen, die Besonnenheit seines Vorgehens und nicht zuletzt auch die vornehme, maßvolle Haltung in der Opposition gegen Gutachter und Staatsanwalt: alles das liefert einen unwiderleglichen Beweis dafür, daß der Kläger auf diesem Gebiete keines vormundschaftlichen Schutzes bedarf, daß er bei der Behandlung seiner prozessualen Angelegenheiten vielmehr seine Interessen im vollen Maße selbständig zu wahren vermag, besser als dies irgendein anderer an seiner Statt zu tun vermöchte.

Allzu großes Gewicht wird man auf diese Seite des Geisteslebens des Klägers freilich nicht legen dürfen. Die Fähigkeit, logisch richtig zu denken, scheint, wie Dr. Weber (Bl. 50ᵇ) andeutet, bei den Paranoikern vielfach entwickelt zu sein; sie ist kein untrügliches Kennzeichen dafür, daß der Kranke auf den außerhalb des reinen Denkens liegenden Lebensgebieten ebenso richtig zu urteilen vermöchte. Hier greifen nun ergänzend die Erfahrungen ein, die der Sachverständige Dr. Weber über das Verhalten des Klägers in seinem Verkehr mit der Außenwelt während der letzten anderthalb Jahre zu machen Gelegenheit hatte und über die er in seinem zweiten Gutachten vom 5. April 1902 berichtet.

Hatte Dr. Weber schon in seinem ersten Berichte trotz der geringen Erfahrungen, die ihm damals aus dem Verkehrsleben Dr. Schrebers zur Seite standen, anerkennen müssen, daß sich das krankhafte Gebiet seines Geistes von den übrigen Gebieten bereits ziemlich scharf abgesondert habe, und hatte er dort hinzufügen müssen, daß sich das Urteil des Klägers über solche Dinge und Verhältnisse, die von dem festgehaltenen Wahnsystem fernab lägen, meist als zutreffend erweise (Bl. 47, 50 b), so wiederholt er das mit verstärktem Akzente in seinem zweiten Berichte.

Das Krankheitsbild selbst hat keine Veränderungen erfahren. Es ist heute noch im wesentlichen dasselbe, wie es zur Zeit der Erlassung des Entmündigungsbeschlusses war. Nur das Beobachtungsmaterial ist seitdem ergiebiger geflossen; es hat dem Sachverständigen die Möglichkeit geboten, sein früheres Urteil, das sich auf ziemlich beschränkten tatsächlichen Unterlagen aufbaute, zu ergänzen und bzw. zu berichtigen. Es kann daher keinem Bedenken unterliegen, die Ergebnisse, zu denen der Sachverständige erst in seinem späteren Gutachten gelangt, im Wege des Rückschlusses für die Beurteilung der Geistesverfassung des Klägers zur Zeit seiner früheren Entmündigung unmittelbar zu verwerten.

Dr. Weber ist nunmehr der Überzeugung, daß die Wahnideen des Klägers eine relative Sonderexistenz an seinem Seelenleben führen und daß sie sich außerhalb des von ihnen unmittelbar beherrschten religiösen Gebiets, namentlich in den Vorstellungskreisen des täglichen Lebens, kaum noch bemerklich machen. Auch von den Sinnestäuschungen, denen der Kläger fortgesetzt unterliegt, stellt er fest, daß sie sein Fühlen und Denken jetzt nicht mehr in maßgebender Weise beeinflussen. Was an krankhaften Erscheinungen zutage tritt, macht sich nach außen hin zur Zeit meist nur in verhältnismäßig untergeordneten Gebieten geltend. Gerade die wichtigeren Lebensinteressen haben sich ihrer Herrschaft entzogen und werden in einwandfreier Weise wahrgenommen. (Bl. 208 a/b. 211 b, 212 b.)

Zur näheren Begründung dieses Urteils führt der Sachverständige eine Reihe tatsächlicher Vorgänge an, die er teils selbst beobachtet, teils von zuverlässigen Gewährsmännern sich hat berichten lassen, und die auch in dem Berufungsgerichte die Überzeugung befestigt haben, daß die Gefahr eines verkehrten und unzweckmäßigen Handelns beim Kläger im Rechtsverkehre so gut wie ausgeschlossen erscheint, jedenfalls nicht so nahe liegt, daß sie die Aufrechterhaltung der Entmündigung zu rechtfertigen vermöchte.

Der Kläger ist seit einigen Jahren der tägliche Tischgast an der Familientafel des Anstaltsvorstandes, ohne daß sich für die Beteiligten daraus bisher Unzuträglichkeiten ergeben haben. Dr. Weber,, der sein Verhältnis zum Kläger als ein freundschaftliches auffaßt, rühmt im Gegenteil den zarten Takt des Kranken und seine Zurückhaltung, die ihn niemals verleitet habe, der Tischgesellschaft durch die Erwähnung seiner wunderlichen Ideen lästig zu fallen (Bl. 50b). Dr. Schreber selbst glaubt versichern zu dürfen, daß dritte Teilnehmer an der Tafel, insbesondere die anwesenden Damen, ihm dabei nie auch nur eine Spur seiner Geisteskrankheit angemerkt haben werden. Nach dem, was Dr. Weber a. a. O. über den Verkehr mit ihm bekundet, wird man dem Glauben schenken dürfen.

Aber auch der Verkehr des Klägers außerhalb der Anstalt hat zu keinen nennenswerten Beanstandungen geführt. Während Dr. Schreber sich bis zum Sommer 1900Unrichtig: bis zum Sommer 1900 gar nicht, ohne Begleitung eines Pflegers seit Herbst 1901. in der Hauptsache nur in Begleitung eines Pflegers im Freien hatte bewegen dürfen, ist diese Begleitung seitdem weggefallen und ihm unbeschränkter freier Ausgang aus der Anstalt verstattet worden. Er hat ihn dazu benutzt, um in fast täglichen Ausflügen zu Fuß, zu Schiff oder mit der Eisenbahn alle bemerkenswerten Punkte der Umgegend von Pirna teils allein, teils in Gesellschaft aufzusuchen, ebenso auch gelegentlich Konzert, Theater, öffentliche Schaustellungen usw. zu frequentieren. Wiederholt ist er zur Abwartung von Terminen, zum Besuche seiner Gattin oder zur Besorgung kleiner Geschäfte in Dresden gewesen, und neuerdings hat er auf Einladung seiner Angehörigen mit Zustimmung der Anstaltsdirektion sogar allein eine Reise nach Leipzig unternommen, von der er nach achttägiger Abwesenheit zurückgekehrt ist und die nach einer Mitteilung der Schwester ganz glücklich abgelaufen ist.

Dr. Weber bezeugt hierbei dem Kläger, daß er nie ein unverständiges und unpassendes Unternehmen ausgeführt, über seine aus dem Rahmen des Alltäglichen fallenden Pläne und Absichten sich stets offen und rückhaltlos ausgesprochen, bzw. sich von ihrer Ausführung des Einverständnisses der Anstaltsdirektion versichert hat, bei der Ausführung auch mit Überlegung und verständiger Berücksichtigung aller Verhältnisse vorgegangen ist. Dr. Weber glaubt ebenso bestimmt annehmen zu können, daß erheblichere Unzuträglichkeiten bei diesem Verkehre des Klägers in der Außenwelt niemals vorgekommen sind. (Bl. 209 a/b.)

Mit den ihm seit ungefähr Jahresfrist zur Bestreitung seiner Ausflüge und kleinerer Bedürfnisse zur Verfügung gestellten Taschengeldern, monatlich 50 Mark, hat der Kläger ordnungsmäßig, nach der Art eines sorgfältigen Hausvaters, zu wirtschaften gewußt. Es ist nie wahrgenommen worden, daß er das Geld verschwendet hätte und infolgedessen nicht damit ausgekommen wäre. Den Eindruck besonderer Sparsamkeit hat man nicht gehabt, wohl aber bemerkt, daß er sich jede Ausgabe wohl überlegt, Kostspieliges vermeidet, auch nicht etwa (von den kleinen weiblichen Schmucksachen abgesehen) Unnützes zusammenkauft. –

Kurzum, in dem ganzen bisherigen Verhalten des Klägers im Verkehre außerhalb der Anstalt ist auch nicht eine einzige Tatsache zutage getreten, welche begründeten Anlaß zu der Besorgnis geben könnte, der Kranke werde sich bei gegebener freier Selbstbestimmung unter dem Zwange seines Wahnsystems verleiten lassen, seine rechtlichen Interessen durch verkehrtes Tun zu schädigen. Der praktische Versuch hat gelehrt, daß der Irrwahn des Wunderglaubens, mag er immerhin den Untergrund seines geistigen Daseins bilden, den Kläger doch nicht in dem Maße ausschließlich beherrscht, daß er ihm die Fähigkeit des ruhigen und vernünftigen Überlegens auf anderen Lebensgebieten geraubt hätte. So ist denn in der Tat nirgends ein beachtliches rechtliches Interesse des Klägers erkennbar, das bei einer Wiederaufhebung der Entmündigung gefährdet erschiene.

Daß der Kläger etwa sein Leben gefährden könnte, ist ausgeschlossen. Ebensowenig droht von seiner Seite aber auch dem Leben anderer Gefahr, so daß die Entmündigung auch nicht etwa als Sicherungsmaßnahme zum Schutze der Umgebung des Kranken in Frage gezogen werden kann. Zuzugeben ist nur das Störende der »Brüllzustände«, von denen der Kläger zeitweilig heimgesucht wird und die seiner Umgebung häufig genug recht lästig fallen mögen, obschon er versichert, daß er außerhalb der Anstalt von ihnen so gut wie vollständig verschont werde. Mit der Frage der Entmündigung haben indes jene sogenannten Vociferationen, die sich gegen den Willen des Kranken automatisch und zwangsmäßig vollziehen, nichts zu tun. Sie mögen nach Befinden, wenn die Ruhe der Nachbarschaft dadurch gestört werden sollte, das Einschreiten der Wohlfahrtspolizei erfordern, zur Rechtfertigung der Entmündigung können sie nicht dienen, schon deshalb nicht, weil das gewählte Mittel insoweit keinen Erfolg haben könnte, sondern wirkungslos bleiben müßte.

Unbeachtlich ist ferner der Hinweis der Königl. Staatsanwaltschaft, daß während der Dauer der Brüllzustände und in denjenigen Momenten, wo der Kranke durch Halluzinationen in seinen Gedanken abgelenkt werde, die Willensfreiheit ganz aufgehoben erscheine. Das mag sein. Allein eine Gefahr kann für den Kläger daraus gleichwohl nicht entspringen: denn bei alledem handelt es sich offenbar nur um rasch vorübergehende Bewußtseinsstörungen in der Dauer von Augenblicken, während deren ein rechtsgeschäftliches Handeln sich ohnedies von selbst verbietet. –

Eine Gefährdung seiner Gesundheit steht nach dem Weber'schen Gutachten für den Kläger ebenfalls nicht auf dem Spiele. Er versteht seine Gesundheit im allgemeinen wohl in acht zu nehmen und hütet sich, sie durch willkürliche Handlungen zu schädigen (Bl. 211). Also auch insoweit bedarf es für ihn keiner vormundschaftlichen Fürsorge.

In seinem zweiten Berichte vom 5. April 1902 erwähnt der Sachverständige allerdings eine Krankheitsepisode, bei der der Kläger unter Einwirkung seiner seelischen Störung in der Behandlung der Krankheit (Brechdurchfall) unzweckmäßig verfahren sein soll. Allein er legt auf den Zwischenfall selbst kein besonderes Gewicht, er muß auch auf Vorhalt des Klägers nachträglich zugeben, daß dieser sich in dem angegebenen Falle den ärztlichen Anordnungen schließlich gefügt hat. (Bl. 231 a/b). Daß der Kläger seinem Wunderglauben gemäß die ärztlichen Medikamente überhaupt mißachte, ist gewiß nicht richtig. Zutreffend verweist der Kläger auf die von ihm zur Beförderung des Schlafes in früheren Jahren fast alltäglich willig genommenen künstlichen Schlafmittel (Bl. 226, 231 b). Und wäre es auch der Fall, so würde dem durch Anordnung der Entmündigung nicht abgeholfen werden können. Weder durch die Anerkennung der rechtlichen Geschäftsfähigkeit, noch durch die Beiordnung eines Vormunds ließe sich die Abneigung des Kranken gegen Arzt und Apotheke, die übrigens in Wirklichkeit nicht besteht, überwinden.

Bedenklicher wäre es schon, wenn die Krankheit des Klägers zu ihrer Besserung ein längeres Verbleiben des Kranken in der Heilanstalt erheischte, wenn die vorhandene psychische Störung ihn aber hinderte, die Notwendigkeit davon einzusehen und er die Aufhebung seiner Entmündigung gerade mit zu dem Zwecke betriebe, um, von der Überwachung des Vormundes befreit, seine Entlassung aus der Anstalt durchzusetzen. Nach dem amtlichen Bescheide, den die Anstaltsdirektion des Sonnensteins dem Kläger erst jüngsthin auf seine Anfrage vom 29. Mai d. J. hat zuteil werden lassen (Bl. 252/253), können indes Besorgnisse in dieser Richtung zur Zeit nicht mehr Platz greifen. Dr. Weher ist mit einer Entlassung des Klägers aus der Anstalt unter gewissen, sich von selbst verstehenden Voraussetzungen grundsätzlich einverstanden. Er erklärt ausdrücklich, daß er eine »Gefährlichkeit« des Patienten für sich selbst oder für andere nicht als gegeben erachte, und ihm gehen auch sonst keine Bedenken dagegen bei, den Kläger dem freien Verkehre der menschlichen Gesellschaft zurückzugeben. Damit ist das Bedürfnis einer vormundschaftlichen Fürsorge für die Gesundheit des Kranken verneint. Wollte der Richter die Notwendigkeit der Entmündigung aus dem hervorgehobenen Gesichtspunkte gleichwohl bejahen, würde er sich mit dem maßgebenden Urteile des ärztlichen Sachverständigen und der Anstaltsverwaltung in Widerspruch setzen.

In vermögensrechtlichen Angelegenheiten ist eine Gefährdung des Kranken durch verkehrte und unvernünftige Verfügungen ebenfalls nicht zu befürchten.

Wie der Sachverständige bekundet, ist Dr. Schreber über seine Vermögensverhältnisse vollkommen unterrichtet. Die Versuche des letzten Jahres, ihn durch Gewährung eines Taschengeldes finanziell wenigstens teilweise auf eigene Füße zu stellen, haben ein durchweg günstiges Ergebnis geliefert, der Kläger hat sich in jeder Beziehung als sorgsamer haushälterischer Wirt erprobt. Daß er bei Rückgabe der unbeschränkten Disposition über sein Vermögen dasselbe verwahrlosen werde, dafür liegt schlechterdings gar nichts vor. Dr. Weber, der den Kläger am besten kennt und den Einfluß seiner Wahnvorstellungen am zutreffendsten zu beurteilen weiß, versichert wenigstens keinen Anhalt dafür zu haben, daß er aus irgendwelchen krankhaften Motiven über die ihm durch seine finanzielle Lage gezogenen Grenzen hinausgehen und sein Vermögen verschleudern werde. (Bl. 211.)

Die in erster Instanz aufgetauchte Besorgnis, der Kläger möchte sich unter dem Zwange seiner wunderlichen Ideen und in der Absicht dafür Propaganda zu machen, vielleicht zur Ausschreibung wissenschaftlicher Preisaufgaben verleiten lassen, war von Haus aus nicht eben hoch zu veranschlagen. Eine Neigung, sich seinem Wunderglauben zuliebe in Unkosten zu stürzen, ist beim Kläger bisher nirgends zutage getreten. Das Berufungsgericht hat daher, zumal im Hinblick auf die oben hervorgehobenen zustimmenden Auslassungen des Sachverständigen, keinen Grund, dem Kläger zu mißtrauen, wenn er beteuert, er denke nicht daran, für die Förderung seines Wunderglaubens Opfer darzubringen und es werde ihm nie in den Sinn kommen, zu diesem Zwecke auch nur einen Groschen seines Vermögens aufzuwenden.

Die Möglichkeit ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß der Kläger trotz dieser Versicherungen im gegebenen Augenblicke einmal unbewußt durch die ihn beherrschenden phantastischen Vorstellungen bei seiner Vermögensgebarung beeinflußt werden könnte. Die Möglichkeit einer Einflußnahme besteht bei jeder Geistesabnormität, auch wenn sie nicht gerade die Formen einer eigentlichen Geisteskrankheit angenommen hat. Für das Recht und die Rechtsordnung kann jene Möglichkeit jedoch erst in Betracht kommen, sobald sie zur wirklichen Gefahr geworden ist. Davon ist hier nichts zu verspüren. Nur in einem einzigen Punkte hat sich bisher eine unmittelbare Einwirkung der religiösen Wahnideen des Klägers auf seine Vermögensgebarung nachweisen lassen. Und auf den hat Dr. Schreber selbst aufmerksam gemacht. Es betrifft seine Neigung zu allerhand kleinen Zieraten, mit denen er, nach Art eines Weibes, seinen Busen, den er in der Umbildung zu einem weiblichen begriffen wähnt, hin und wieder zu schmücken pflegt. Zu so törichtem Zeuge Geld auszugeben würde ihm, wenn er geistig vollständig normal wäre, natürlich nicht in den Sinn kommen können. Indessen handelt es sich dabei um Geringfügigkeiten, deren Geldwert viel zu unbedeutend ist, als daß er bei der schwerwiegenden Entscheidung über die Zu- oder Aberkennung der rechtlichen Geschäftsfähigkeit eine Rolle spielen könnte. Auch wenn man ganz davon absieht, daß der Kranke jene Zieraten, wie er versichert, als eine Art seelisches Medikament verwendet, um sich mit ihrer Hilfe eine Beruhigung der ihn befallenden Nervenerregungen zu verschaffen, ist darin schlimmstenfalls eine Schrulle zu erblicken. Derartigen Schrullen werden aber selbst von im übrigen gesunden Leuten oft genug noch ganz andere Geldsummen geopfert.

Daß der Kläger seinen verstandesmäßigen Fähigkeiten nach der Aufgabe, sein und seiner Frau Vermögen zu verwalten, vollauf gewachsen ist, steht außer Frage. So verwickelt, wie der Staatsanwalt meint, ist die Verwaltung nicht, auch wenn man die einzelnen Objekte ins Auge faßt, aus denen sich nach dem Verzeichnis Bl. 175 fg. der Vormundschaftsakten das Vermögen der Eheleute Schreber zusammensetzt. Einen glänzenden Beweis seiner Fähigkeit hat der Kläger in dieser Richtung erst jüngsthin erbracht, indem er die nach dem Konkurse des Verlegers der Schreberschen »Zimmer-Gymnastik« unter den Beteiligten überaus schwierig gewordene Frage der ferneren geschäftlichen Verwertung jenes Werks in einem auf Wunsch der Familie erstatteten Gutachten mit solcher Schärfe, Klarheit und Einsicht der tatsächlichen Verhältnisse behandelt hat, daß seine Angehörigen kein Bedenken getragen haben, seinen Vorschlägen zu folgen. So nach der glaubhaften Darstellung seines Schwagers, des Kaufmanns Jung in Leipzig (Bl. 41/43 der Entmünd.-Akten). Der Vorgang zeugt aber nicht bloß von der technischen Befähigung Dr. Schrebers, Angelegenheiten der Art überhaupt zu besorgen, sondern beweist zugleich, daß es ihm weder an Neigung noch an Interesse fehlt, der Ordnung seiner Vermögens-Verhältnisse die ihr gebührende geschäftliche Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Die Beziehungen Dr. Schrebers zu seiner Familie sollen bedroht sein, die eheliche Gemeinschaft mit seiner Gattin Gefahr laufen, zerstört zu werden. Auch das kann nicht zugegeben werden.

Wie der Kläger mit Recht hervorhebt, ist die eheliche Gemeinschaft zwischen ihm und der Frau infolge seiner Geisteskrankheit und der dadurch für ihn bedingten Notwendigkeit, von ihr getrennt leben zu müssen, schon seit Jahren so vollständig als möglich aufgehoben. Es ist nicht abzusehen, wie sich dies Verhältnis soll verschlechtern können, wenn man dem Kläger jetzt die freie Selbstbestimmung über seine Person zurückgibt. Dr. Schreber hat den sehnlichen Wunsch, sobald ihm die Rückkehr aus der Anstalt offensteht, die häusliche Gemeinschaft mit seiner Gattin wieder aufzunehmen und in der Zurückgezogenheit eines ruhigen, ländlichen Wohnsitzes bei ihr seine Tage zu verleben. Er strebt also an seinem Teile gerade eine Verbesserung des bestehenden ehelichen Verhältnisses. Ob sie sich in der Wirklichkeit wird erreichen lassen, ist freilich eine andere Frage. Die Wunderideen, in deren Banne sich das Seelenleben des Klägers bewegt und die der Gattin im intimen Verkehre sich wahrscheinlich noch weit lästiger bemerklich machen werden, als dem fernerstehenden Dritten, lassen es zweifelhaft erscheinen, ob ein gedeihliches Zusammenleben der Eheleute auf die Dauer möglich sein wird. Es käme erst darauf an, die Probe zu machen.

Wie diese Probe aber immerhin auch ausfallen möchte, auf die Entscheidung darüber, ob die Entmündigung fortzubestehen habe, könnte sie keinen Einfluß ausüben. Denn dem Kläger ist auch darin recht zu geben, daß die Rücksicht, auf das Wohlbehagen dritter Personen, und wären es selbst die nächsten Familienangehörigen, hierbei nicht in Anschlag kommen darf. Die Entmündigung hat in erster Linie für das Wohl des zu Entmündigenden zu sorgen. Sie lediglich im Interesse anderer zu verfügen ist unstatthaft.

Vergl. auch § 2 Just M.V.O., das Verfahren bei Entmündigung wegen Geisteskrankheit etc. betr. vom 23. Dezember 1899.

Im übrigen ist Dr. Schreber, wie seine Erklärungen im Prozeß erkennen lassen, sich der sittlichen Pflichten, die ihm aus den angedeuteten, schwierigen Verhältnissen gegen seine Gattin erwachsen, wohl bewußt. Sein Geist ist nicht in dem Grade gestört, daß er blind wäre für das Maß von Selbstverleugnung, das seine Frau bei einem Zusammenleben mit ihm unter Umständen aufzubringen haben würde. Er wird ihr, wenn sich das Zusammenleben als tatsächlich untunlich herausstellen sollte, keine unbilligen Zumutungen machen; er wird auch in diesem Falle alles gewähren, worauf sie ihm gegenüber einen rechtlichen Anspruch hat. Daß er seine gesetzliche Unterhaltspflicht vernachlässigen oder aus Unmut gegen sie über sein Vermögen zu ihrem Nachteile verfügen werde, – den Gedanken weist er weit von sich. Nach seiner Angabe liegt ein gemeinschaftliches Testament aus dem Jahre 1886 vor, das ihm solche Verfügungen ohnehin verbieten würde. Und, wie vorsichtig man auch sonst vielleicht in der Bewertung von Versicherungen geisteskranker Personen regelmäßig wird sein müssen: – der hohe sittliche Ernst, der die Person des Klägers erfüllt und die durch keine Krankheit beeinträchtigte, auch von Dr. Weber rühmend anerkannte Lauterkeit seines Charakters, wie sie in allen seinen Erklärungen vor Gericht zutage tritt, machen es unbedenklich, ihnen hier Vertrauen zu schenken.

Damit verliert auch die frühere Bemerkung des Sachverständigen, daß Dr. Schreber im Verkehr mit seiner Gemahlin schon jetzt mitunter auf Ehescheidung andeute, wenn sie auf seine Wahnideen nicht gleich willig eingehe, an Gewicht. Bei diesem Berichte, dem, wie es scheint, Angaben der Frau Dr. Schreber zugrunde liegen, walten augenscheinlich Mißverständnisse ob. Der Kläger hat erläuternd hierzu tatsächliche Aufklärungen gegeben, die sein Benehmen gegen die Gattin als einwandfrei erscheinen lassen, und denen Dr. Weber, dem jene Erklärungen vorgelegen haben, in seinem zweiten Gutachten in keiner Weise entgegengetreten ist. –

Es bleibt mithin nur übrig, daß der Kläger durch die geplante Veröffentlichung der »Denkwürdigkeiten« sich und seine Familie bloßstellen, nach Befinden sogar sich mit dem Strafgesetz in Konflikt bringen werde.

Daß die Bekanntgabe der Schrift erheblichen Bedenken unterliegt, wird kein Einsichtiger in Abrede stellen wollen. Nicht einmal Dr. Schreber selbst hat sich dieser Einsicht ganz verschließen können. Wenn er gleichwohl dringend auf der Veröffentlichung besteht, so ist das nicht ein Beweis seiner mangelnden Fähigkeit, sich die Folgen seines Tuns vorher zu überlegen, sondern nur ein Beleg für die Stärke seines Glaubens an die Wahrheit der ihm von Gott zuteil gewordenen Offenbarungen:

»Ich kann nun einmal« – bemerkt er wörtlich – »nicht wünschen, daß die Erkenntnis Gottes, die sich mir erschlossen hat, mit meinem Ableben ins Nichts versinke und damit der Menschheit eine vielleicht niemals wiederkehrende Gelegenheit zur Erlangung richtigerer Vorstellungen über das Jenseits verlorengehe.« (Bl. 160.)

Daß ihm Unannehmlichkeiten daraus erwachsen können, darüber ist sich der Kläger nicht im unklaren. Nur verwahrt er sich mit Recht gegen den Vorwurf der ersten Instanz, als ob er in den »Denkwürdigkeiten« irgend etwas geschrieben hätte, wodurch der Ehre seiner Familie Abbruch geschehen könnte. Davon ist in der Schrift in der Tat nichts zu finden. Es läßt sich auch nicht sagen, daß der Inhalt der »Denkwürdigkeiten« dazu angetan wäre, den Kläger selbst bloßzustellen. Die Schrift ist das Produkt einer krankhaften Einbildungskraft, und wer sie liest, wird keinen Augenblick die Empfindung verlieren, daß ihr Verfasser geistig gestört ist. Das kann den Kranken aber unmöglich in der Achtung seiner Mitmenschen herabsetzen, zumal andererseits gewiß niemand den hohen Ernst und das Streben nach Wahrheit wird verkennen wollen, das die Schrift in jedem Kapitel durchweht. Sehr richtig bemerkt Dr. Schreber selbst: das Schlimmste, was ihm passieren könne, sei wohl, daß man ihn für verrückt halten werde, und das tue man ja schon ohnedies. An den Kraftausdrücken, die sich in dem Werke finden, darf man keinen Anstoß nehmen. Sie kommen nicht auf Rechnung des Klägers, sondern enthalten nur eine Wiedergabe der Geisterstimmen, die in früheren Jahren, zur Zeit der schwersten Halluzinationen, auf den Kläger eingeredet haben.

Das muß im Auge behalten werden, wenn man den richtigen Maßstab finden will für die Beurteilung der Verunglimpfungen, die sich der Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Flechsig in den »Denkwürdigkeiten« gefallen lassen muß, insofern ihm Seelenmord vorgeworfen wird und noch viel Schlimmeres. Auch hier tritt der Kläger keineswegs selbstredend und selbsthandelnd auf, sondern er berichtet nur über das, was ihm die Stimmen wunderlicher Geister, mit denen er nach seiner Meinung im Verkehr steht, hinterbracht haben. Die Absicht, den Professor Flechsig anzugreifen und ihn in seiner Ehre wissentlich zu kränken, hat dem Kläger, als er die »Denkwürdigkeiten« schrieb, sicherlich fern gelegen. Die Gefahr, daß er deshalb von Flechsig werde wegen Beleidigung belangt werden, ist somit nicht sehr groß, zumal an der Schrift vor ihrer Drucklegung noch in der Form verschiedenes geändert werden soll. Eine Bestrafung erscheint jedenfalls ausgeschlossen, da dem Kläger unter allen Umständen der Schutz des § 51 Str. G. B. zur Seite stehen würde. Und läge selbst die Gefahr einer strafrechtlichen Verurteilung des Klägers vor, so wäre auch das noch kein hinreichender Grund, ihm darum die Geschäftsfähigkeit abzusprechen. Die Entmündigung kann nicht als Mittel angewendet werden, um eine Person, die trotz ihres geistigen Defekts im übrigen durchaus fähig ist, ihren Geschäften nachzugehen, von der Vornahme einer einzelnen verkehrten Handlung abzuhalten, um ihr die etwaigen nachteiligen Folgen davon zu ersparen. Das gilt auch von dem Hinweise der Königl. Staatsanwaltschaft auf die Unvorteilhaftigkeit des Verlagsgeschäfts, das der Kläger zur Veröffentlichung der »Denkwürdigkeiten« abzuschließen genötigt sein werde. Zunächst ist keineswegs so unbedingt sicher, ob das abzuschließende buchhändlerische Kommissionsgeschäft dem Kläger unbedingt werde Verlust bringen müssen. Wahrscheinlich genug ist es allerdings. Zu bedenken bleibt auf alle Fälle, daß das geschäftliche Risiko, das der Kläger auf sich nimmt, im Verhältnis zu seinem übrigen Vermögen am Ende nicht so sehr groß ist. Und ihn vor diesem Risiko zu bewahren, ist nicht die Aufgabe der Entmündigung. Der Kläger besitzt vollkommen die Einsicht, zu erkennen, daß die Herausgabe der »Denkwürdigkeiten« sein Vermögen nach Befinden belasten kann. Eines rechtlichen Schutzes, wie ihn die Entmündigung zu bieten bestimmt ist, ist er auch insoweit nicht bedürftig.

Das Berufungsgericht hat hiernach die Überzeugung gewonnen, daß der Kläger auf allen hier besprochenen Lebensgebieten – und es sind die wichtigsten, an deren ordnungsmäßiger Regelung der Rechtsordnung gelegen ist – den Anforderungen des Lebens gewachsen ist. Jedenfalls liegt nichts dafür vor und kann nicht als festgestellt angesehen werden, daß er infolge seiner Wahnvorstellungen seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermöge. Dies mußte in Beachtung des eingewendeten Rechtsmittels zur Aufhebung der über den Kläger verhängten Entmündigung führen, ohne daß auf seine neueren Zeugenbeweisanerbietungen eingegangen zu werden brauchte. (§ 672 C. P. O.)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 673 C. P. O. gez.: Hardraht. Vogel. Dr. Steinmetz. Nicolai. Dr. Paul.

Ausgefertigt
Dresden, am 26. Juli 1902.

(L. S.) Der Gerichtsschreiber
des König. Sächs. Oberlandesgerichts:
Heinker, Bur.-Assistent.

In vorbezeichneter Prozeßsache ist innerhalb der mit dem 1. September 1902 abgelaufenen Notfrist ein Schriftsatz zum Zwecke der Terminbestimmung bei dem Reichsgerichte nicht eingereicht worden.

Leipzig, den 3. September 1902.
Gerichtsschreiberei VI des Reichsgerichts.
Schubotz.
(L. S.) VI. Z. 1520/02.

Daß vorstehendes Urteil am 1. September 1902 rechtskräftig geworden ist, wird hiermit bezeugt.

Dresden, am 17. September 1902.
Der Gerichtsschreiber des Königl. Landgerichts.
Müller, Sekr.
(L.S.)


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