Daniel Paul Schreber
Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken
Daniel Paul Schreber

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XIX. Fortsetzung des Vorigen. Göttliche Allmacht und menschliche Willensfreiheit

Wenn ich in dem vorigen Kapitel der Überzeugung Ausdruck gegeben habe, daß eine Urzeugung (elternlose Zeugung) in der Tat stattfinde und zur Begründung der gewonnenen Überzeugung meine Wahrnehmungen hinsichtlich der gewunderten Insekten mitgeteilt habe, so bedarf die betreffende Behauptung gleichwohl einer gewissen Begrenzung, um gegen mißverständliche Auffassung gesichert zu sein. Ich kann diese Begrenzung am besten vielleicht in dem Satze ausdrücken: es gibt wieder eine Urzeugung auf unserer Erde, seitdem weltordnungswidrige Zustände eingetreten sind, während vorher wahrscheinlich viele Jahrtausende hindurch von einer Urzeugung auf unserem Weltkörper nicht mehr die Rede gewesen ist. »Urzeugung« ist eben im Grunde weiter nichts als eine andere wörtliche Bezeichnung für das, was ich sonst – in Übereinstimmung mit der Sprache der Bibel und anderer Quellen der religiösen Überlieferung – ein Erschaffen durch göttliche Wunder genannt habe.

Die von mir gewonnene Grundanschauung über das Verhältnis Gottes zu dem Schöpfungswerke geht also dahin, daß Gott die Ausübung seiner Wundergewalt auf unserer Erde – wie vermutlich auf jedem anderen, zu gleicher Entwicklungshöhe gelangten Weltkörper – nur auf solange betätigte, bis das Ziel des Schöpfungswerks mit der Erschaffung des Menschen erreicht war. Von diesem Zeitpunkte ab überließ er die geschaffene organische Welt gewissermaßen sich selbst, höchstens noch etwa in Ausnahmefällen ab und zu mit einem Wunder eingreifend (vgl. Kap. I). Im übrigen wendete er seine Tätigkeit nur noch anderen Weltkörpern und dem Heraufziehen der Seelen verstorbener Menschen zur Seligkeit zu; er selbst zog sich in ungeheure Entfernung zurück.Ich glaube mich zu erinnern, daß ich früher irgendwo in einer der Quellen unserer Religion den Satz gelesen habe: »Der Herr ging – scilicet nach Beendigung des Schöpfungswerkes – auf Reisen«, ein Satz, in dem ein bildlicher Ausdruck des von mir angedeuteten Verhältnisses enthalten sein würde. Ich habe lange Zeit angenommen, daß der Satz irgendwo in der Bibel stehe, habe mich aber, nachdem mir ein Exemplar derselben verschafft worden ist, überzeugen müssen, daß derselbe wenigstens da, wo ich ihn gesucht hatte – in dem mosaischen Schöpfungsberichte – nicht vorkommt. Ob er sich vielleicht irgendwo anders findet, würden wohl Theologen beantworten können. Ich selbst habe die Empfindung, daß derselbe keinesfalls eine in meinem Kopfe entstandene Formulierung des betreffenden Gedankens ist. Sollte er sich also in unseren Religionsquellen nicht finden, so müßte ich annehmen, daß ich denselben bei irgendeinem von mir vergessenen Anlasse von den Stimmen empfangen habe.

Es kann nicht in meiner Absicht liegen, eine eigentliche wissenschaftliche Begründung dieser Grundanschauung zu liefern, ich beabsichtige nicht ein wissenschaftliches Werk über die Entwicklungsgeschichte des Weltalls zu schreiben, sondern referiere nur, was ich erlebt und erfahren habe, indem ich dabei zugleich die Folgerungen andeute, die daraus nach dem bis jetzt von mir erlangten Maße der Erkenntnis vielleicht gezogen werden dürfen. Die Bestätigung meiner Grundanschauung erwarte ich in der Hauptsache von der Gestaltung meiner eigenen persönlichen Schicksale, insofern danach wohl ein Zeitpunkt kommen wird, wo sich auch andere Menschen der Anerkennung der Tatsache, daß meine Person zum Mittelpunkt göttlicher Wunder geworden sei, nicht mehr werden entziehen können. Den wissenschaftlichen Ausbau der von mir nur angedeuteten Folgerungen und deren vielleicht notwendige Berichtigung in manchen Einzelheiten müßte ich dann anderen Menschen überlassen. In diesem Sinne wende ich mich zur Fortsetzung des begonnenen Themas.

Ich nehme also an, daß das Ganze des Schöpfungswerks auf einem Weltkörper in dem Aufeinanderfolgen einzelner Schöpfungsakte bestanden hat, bei denen im allgemeinen ein Fortschreiten von niederen Formen des organischen Lebens zu höheren Formen bemerkbar ist. Der letztere Gedanke ist bekanntlich nichts Neues, sondern mehr oder weniger Gemeingut aller derjenigen, die sich in neuerer Zeit mit entwicklungsgeschichtlichen Vorgängen beschäftigt haben. Die Streitfrage ist nur die, ob man bei diesem Fortschreiten das Walten eines blinden Zufalls annehmen soll, der sonderbarer Weise dazu führt, daß immer vollkommenere Dinge entstehen, oder ob man eine »intelligente Ursache« Gott anzuerkennen hat, die mit bewußtem Willen auf Entstehung der höheren Formen hinarbeitet. Das Vorhandensein einer gewissen »Zielstrebigkeit« (Du Prel) müssen selbst solche Forscher einräumen, die sonst geneigt sind, die »Zähigkeit deistischer Vorstellungen« nur aus einer bei der Mehrzahl der Menschen vorhandenen Schwäche des Denkens zu erklären. Für mich ist nach dem Gesamtinhalte der gegenwärtigen Arbeit die Existenz eines lebendigen Gottes zur unmittelbaren Gewißheit geworden. Ich kann es daher versuchen, das Verhältnis zwischen Gott und der geschaffenen Welt unter dem Lichte der mir zuteil gewordenen übersinnlichen Eindrücke einer ganz neuen Betrachtungsweise zu unterziehen.

Wie bereits im Kap. 1 erwähnt, stehe ich der Frage, ob auch die Weltkörper selbst (Fixsterne, Planeten usw.) von Gott geschaffen worden sind, ebenso unwissend gegenüber wie im Grunde genommen alle anderen Menschen; ich muß daher die Möglichkeit, daß es mit der Nebularhypothese von Kant-Laplace seine Richtigkeit habe, gelten lassen. In betreff der organischen Welt will es mir scheinen, als ob man genötigt sei, einen sehr wesentlichen Unterschied des Schöpfungsvorgangs hinsichtlich der Pflanzenwelt auf der einen und hinsichtlich der Tierwelt auf der anderen Seite anzunehmen. Denn man kann sich zwar vorstellen, daß etwa minimale Teile göttlicher Nerven (Strahlen) bei der ihnen durch den Schöpfungsakt gegebenen Veränderung die Form von Tierseelen annehmen, die doch, so niedrig sie auch sonst stehen mögen, wenigstens noch die eine Eigenschaft des Selbstbewußtseins mit den göttlichen Strahlen gemeinsam haben. Allein kaum faßbar ist es wenigstens für den Menschen, daß göttliche Strahlen in Pflanzen aufgehen sollten, die, wenn auch in gewissem Sinne lebend, so doch des Selbstbewußtseins entbehrende Wesen sind. Vielleicht hat man also an die Möglichkeit zu denken, daß zur Erschaffung der Pflanzenwelt der bloße Abglanz der Strahlenverteilung, der durch Vermittlung des Sonnenlichts auf die Erde fällt, unter gewissen günstigen Voraussetzungen genügte, so daß etwa eine Annäherung Gottes, welche zu dem Zwecke stattfand, um auf der Venus eine organisierte Tierwelt zu schaffen, gleichzeitig den Erfolg haben konnte, auf der damals noch weniger entwickelten Erde wenigstens eine Pflanzenwelt ins Leben zu rufen. Indessen stehen mir für Betrachtungen der vorstehenden Art irgendwelche göttliche Eingebungen nicht zu Gebote; ich würde mich daher vielleicht in unfruchtbaren Spekulationen verirren, in denen mich jeder naturwissenschaftlich gebildete Forscher handgreiflicher Irrtümer überführen könnte, wenn ich den Faden dieser Betrachtungen noch weiter ausspinnen wollte. Einen sehr viel sicheren Anhalt habe ich schon für die Annahme, daß das Vermögen, sich in Tiere aller Art, in letzter Linie den Menschen umzuwandeln, diese Geschöpfe aus sich selbst hervorzubringen, als latente Fähigkeit in den göttlichen Strahlen gewissermaßen im Keime enthalten ist.

Hier stehen mir verschiedene überaus merkwürdige Erfahrungen, Wahrnehmungen zu Gebote. Vor allen Dingen sei erwähnt, daß die Strahlen (Nerven) des oberen Gottes, wenn sie in Folge der Anziehungskraft sozusagen zu mir herabgeschleudert wurden, lange Zeit hindurch und in einer überaus großen Anzahl von Fällen in meinem Kopfe selbst das Bild einer menschlichen Gestalt darboten. Durch einen glücklichen Zufall bin ich hier in der Lage, anstatt einer Beschreibung in Worten auf eine wirklich vorhandene Abbildung verweisen zu können, die dem Bilde, das ich oft in meinem Kopfe gesehen habe, mit einer geradezu überraschenden Ähnlichkeit entspricht. In dem 5. Bande der »Modernen Kunst« (Berlin, Verlag von Richard Bong) findet sich der Abdruck eines Gemäldes von Pradilla »Liebesreigen«; in der linken oberen Ecke dieses Bildes ist eine weibliche Gestalt sichtbar, die mit vorgestreckten Armen und gefalteten Händen von oben herabkommt. Man braucht diese Gestalt nur in das Männliche zu übersetzen, um ein ziemlich genaues Bild von der Erscheinung zu haben, in welcher die Nerven des oberen Gottes – wie schon erwähnt in sehr zahlreichen Fällen – beim Herabkommen in meinem Kopfe sich darstellten. Kopf, Brust und Arme waren deutlich unterscheidbar; die letzteren wurden dabei seitlich geschwungen, gleichsam als ob die betreffenden Nerven gegen ein ihrer Annäherung geschaffenes Hindernis – die damals von der Flechsig'schen Seele eingerichtete Überspannung des Himmelsgewölbes mit Nerven, vgl. Kap. VIII – sich Bahn brechen wollten. Nicht minder gewähren mir die Strahlen des niederen Gottes (Ariman) in meinem Kopfe sehr oft das Bild eines Menschenantlitzes und zwar in der Weise, daß (sobald Seelenwollust vorhanden ist) der betreffende Mensch mit der Zunge zu lenken scheint, ähnlich wie es wohl Menschen ab und zu zu machen pflegen, wenn ihnen etwas besonders gut schmeckt, mit anderen Worten wenn sie unter dem Eindruck eines sinnlichen Behagens stehen.

Ich habe ferner in diesem Zusammenhange nochmals auf die in den früheren Kapiteln (Kap. VI, XI) mehrfach erwähnte Erscheinung der »kleinen Männer« zurückzukommen. Wenn ich hiernach in einer überaus großen Zahl von Fällen zu beobachten hatte, daß Seelen (Strahlen) unter gewissen Voraussetzungen in der Gestalt von Miniaturmenschen in meinem Kopfe oder an irgendwelchem meiner Körperteile auftraten, so scheint mir die Annahme sehr nahe zu liegen, daß die Fähigkeit, unter gewissen Umständen sich in Menschengestalt zu verwandeln oder Mensch zu werden, als eine in dem innersten Wesen der göttlichen Strahlen liegende Potenz derselben anzusehen sei. Auch fällt unter diesem Gesichtspunkte ein ganz neues Licht auf das bekannte Bibelwort: »Er schuf den Menschen Ihm zum Bilde; zum Bilde Gottes schuf er ihn.« Es gewinnt den Anschein, als ob diesem Bibelworte eine gewisse buchstäbliche Bedeutung beigemessen werden dürfe, die ihm Menschen wohl bisher noch kaum beizulegen gewagt haben.

Der Mensch war sonach vermutlich das Höchste, was Gott überhaupt erschaffen konnte. Alle anderen geschaffenen Wesen bildeten nur eine unendlich lange Kette von Vorbereitungen, mit denen Gott dem letzten Ziele, der Erschaffung des Menschen, zustrebte. Bloß Menschen zu erschaffen, wäre selbstverständlich ein Unding gewesen, da der Mensch, um sich zu behaupten, an das Vorhandensein zahlreicher niederer Tierformen, die ihm teils zur Nahrung, teils zu anderen Zwecken dienen, gebunden ist. Die Fähigkeit, den Menschen zu erschaffen, schloß aber als das Höhere die Fähigkeit, die niederen Tierformen zu erschaffen, als das Mindere in sich. Der Mensch konnte also erst erschaffen werden, wenn der Boden für sein Erscheinen vorbereitet war. In der langen Reihe der Tierformen, die vor ihm erschaffen wurden, ist eine immer größere Annäherung an den Bau des Menschen nicht zu verkennen.

Mit der Erschaffung jeder einzelnen Art war voraussetzlich für Gott das Schöpfungswerk in betreff dieser Art, mit Erschaffung des Menschen, das ganze Schöpfungswerk abgeschlossen. Jeder einzelnen Art war durch die vorher geschaffene Daseinsbedingungen, durch die Fortpflanzungsfähigkeit und durch die Fortdauer der Sonnenwärme die Möglichkeit der Selbstbehauptung gegeben. In welchem Maße dies den einzelnen Arten und in weiterer Folge den zu denselben gehörigen Individuen gelang, blieb der Widerstandsfähigkeit der Arten und der Geschicklichkeit der Individuen überlassen, unterlag aber nicht mehr der unmittelbaren Einwirkung Gottes.

An das vorstehend Ausgeführte will ich noch einige, an früherer Stelle (Kap. XIII, Anmerkung 81) vorbehaltene Bemerkungen über das Verhältnis der göttlichen Allmacht und Allwissenheit zur menschlichen Willensfreiheit anschließen.Aufklärungen über das Verhältnis Gottes zur menschlichen Willensfreiheit spielten eine wesentliche Rolle gleich in einer der ersten Visionen, die ich überhaupt (also etwa Anfang März 1894) gehabt habe, soviel ich mich erinnere der ersten Vision, in der Gott, wenn ich so sagen darf, mir gegenüber sich offenbarte. Leider sind die Einzelheiten bei der Länge der Zeit und unter dem Eindruck der späten massenhaft aufgetretenen Visionen zum größten Teil aus meinem Gedächtnisse entschwunden. Ich erinnere mich nur noch, daß ich am Vormittag nach der betreffenden Nacht dem Professor Flechsig eine Mitteilung über den Inhalt der Vision gemacht und eine mündliche Unterhaltung über diesen Gegenstand mit demselben gehabt habe. Die Frage, ob Gott das Zukünftige wisse, und in welcher Weise eine Bejahung dieser Frage mit der unzweifelhaft vorhandenen Willensfreiheit des Menschen sich vereinigen lasse, hat von jeher die Menschen beschäftigt. Um den richtigen Standpunkt zu gewinnen, hat man sich zu vergegenwärtigen, daß es für Gott in gewissem Sinne weder Vergangenheit noch Zukunft gibt: Für sich selbst hat Gott von einer kommenden Zeit weder besondere Glücksumstände, noch widrige Schicksale zu erwarten; er bleibt sich zu allen Zeiten gleich; dies liegt im Begriff der Ewigkeit. Wird aber die Frage so gestellt, ob Gott die Zukunft der von ihm geschaffenen Wesen – Arten und Individuen – wissen könne, so wird diese Frage meines Erachtens am besten an der Hand von Beispielen erörtert. Ich werfe daher die Fragen auf: Besteht eine göttliche Allwissenheit in betreff der Zukunft in dem Sinne, daß Gott im voraus auch wissen könne

  1. bis zu welchem Lebensalter es ein jeder der vielen auf der Erde lebenden Millionen von Menschen bringen werde?
  2. Ob und welche einzelne Mücken innerhalb eines gegebenen Zeitraumes einer Spinne in dem von ihr gesponnenen Gewebe einzufangen gelingen werde?
  3. Auf welche der Hunderttausende von Losnummern in einer Lotterie das große Los gezogen werden werde?
  4. Unter welchen Bedingungen in dem gerade jetzt von Japan und den europäischen Großmächten gegen China geführten Kriege dereinst der Friede geschlossen werden werde?

Ich glaube mit der Wahl der vorstehenden Beispiele ziemlich genau den Ton getroffen zu haben, in dem meines Wissens die scholastische Philosophie des Mittelalters die Frage der Prädestination und die damit zusammenhängenden Fragen in der Tat Jahrhunderte lang behandelt hat. Man braucht die obengedachten Fragen eigentlich nur aufzuwerfen, um den Widersinn zu erkennen, der in einer Bejahung derselben liegen würde. In allen den gewählten Beispielen handelt es sich um Fragen, die für die betreffenden Einzelwesen, beziehentlich Völker, von höchstem Interesse, zum Teil geradezu Lebensfragen sind; für Gott sind dieselben in gewissem Sinne sämtlich gleichwertig unbedeutend. Gott hat alle von ihm geschaffenen Arten (und demnach mittelbar auch die dazu gehörigen Einzelindividuen) mit den zu ihrer Selbsterhaltung erforderlichen Voraussetzungen ausgestattet; inwieweit sie sich diese Voraussetzungen zunutze machen und welche Erfolge sie damit erzielen, bleibt den betreffenden Wesen überlassen, kann demnach von Gott nicht im voraus erkannt werden.Dagegen erachte ich, um das Beispiel ad 3) noch weiter zu verfolgen, in abstracto allerdings die Möglichkeit für gegeben, daß Gott bestimmen könnte, auf welche Nummer das große Los einer Lotterie fallen solle. Entsprechend vielen ähnlichen Wundern, die ich teils an meiner Person, teils an Personen meiner Umgebung wahrgenommen habe, wäre es an sich nicht unmöglich, dem Blick desjenigen Menschen (Waisenknaben), dem das Herausziehen der Lose aus der Urne obliegt und dessen Muskeln diejenige Richtung zu geben, daß gerade eine von Gott gewollte Losnummer gezogen würde. Die Füglichkeit der Wahrnehmung, an welcher Stelle jede einzelne Losnummer in der Urne sich befindet, ist für Gott jedenfalls vorhanden. Ich schließe dies aus den bereits in Anmerkung 100 erwähnten Vorgängen, bei denen Gott offenbar weiß, wo irgend ein von mir gesuchter, vermöge seiner Kleinheit dem menschlichen Auge nicht sofort bemerkbarer Gegenstand liegt. Nur wird ein derartiges Lotteriewunder (um einmal kurz diesen Ausdruck zu gebrauchen) voraussetzlich niemals geübt worden sein, da es für Gott an jedem Motive fehlt, seine Wundergewalt lediglich zu dem Zweck in Bewegung zu setzen, daß irgendeinem einzelnen Menschen ein außerordentliches Glück ohne jedes besondere Verdienst in den Schoß falle. Mit anderen Worten, Gott kann zwar in diesen und ähnlichen Fällen die Zukunft nicht wissen, könnte sie aber immerhin, sofern ein genügender Bestimmungsgrund dafür vorhanden wäre, bis zu einem gewissen Grade machen. Damit ist selbstverständlich nicht ausgeschlossen, daß Gott den von ihm geschaffenen höheren Formen, also namentlich der Erhaltung des Menschengeschlechts als ganzen oder einzelner Teile desselben ein erhöhtes Interesse zuwendete und daher in geeigneten Fällen ausnahmsweise auch nachträglich noch mit Wundern eingriff. Auch in diesen Fällen aber wird sich nicht annehmen lassen, daß dauernde Erfolge durch die aufgewandten göttlichen Machtmittel allein schon verbürgt gewesen seien.

Alles, was ich bisher in diesem Kapitel ausgeführt habe, bezieht sich auf weltordnungsmäßige Zustände. Aus Anlaß meines Falles hat sich in den betreffenden Verhältnissen eine tiefgreifende Veränderung vollzogen, deren Tragweite auch ich nicht vollkommen zu übersehen vermag. Dadurch, daß Gott genötigt worden ist, sich näher an die Erde heranzuziehen und dauernd in (relativer) Nähe derselben zu bleiben, ist die Erde – vielleicht mit Vernachlässigung anderer Weltkörper und jedenfalls mit Einstellung der Neubegründung von Seligkeiten – wieder zum andauernden Schauplatz göttlicher Wunder geworden. Im Zustande völliger Untätigkeit zu verharren ist, wie es scheint, für Strahlen unmöglich; das Schaffen (Wundern) liegt einmal in ihrer Natur, nachdem die Erfüllung der ihnen weltordnungsmäßig obliegenden Aufgaben wenigstens vorläufig zur Unmöglichkeit geworden ist, wendet sich die Wundergewalt anderen Dingen zu, wobei allerdings meist nur zwecklose Kraftäußerungen zutage treten, die der dauernden Erfolge ermangeln.

Gewundert wird in erster Linie an meiner Person und an allen Gegenständen, mit denen ich mich beschäftige; gewundert werden alle Lebensäußerungen von Menschen, die sich in meiner Nähe befinden, indem ihre Nerven durch Strahleneinwirkung zum Sprechen, zur Ausübung aller natürlichen Funktionen, zum Husten, zum Niesen, selbst zu Blähungen und zum Ausleeren usw. in Bewegung gesetzt werden; gewundert wird auch an lebenden Tieren meiner Umgebung, indem, wie mir nach den darüber gemachten Beobachtungen unzweifelhaft geworden ist, z. B. auch das Wiehern der Pferde, das Bellen der Hunde usw. durch entsprechende Einwirkung auf die Nerven dieser Tiere hervorgerufen wird. Gewundert wird endlich auch durch Neuerschaffung von niederen Tieren (der im vorigen Kapitel erwähnten Insekten usw.) – Alles eigentlich zwecklos, da die lebenden Tiere und Menschen die Fähigkeit zu den betreffenden Lebensäußerungen schon ohnedies besitzen würden, und die neuerschaffenen Insekten zu Gattungen gehören, die auch ohnedies schon in zahlreichen Exemplaren vorhanden sind und es sich hierbei also nicht darum handelt, neue Arten ins Leben zu rufen.

Die Betätigung der Wundergewalt kommt daher in allen und jeden Punkten in Ansehung meiner auf zwecklose Quälerei, in Ansehung anderer Menschen und Tiere auf leere Spielerei hinaus. Für Gott ist der geschilderte Zustand – wie bereits früher bemerkt worden ist – ebenfalls mit Mißständen verknüpft, indem die jeweilig nur kurze Zeit andauernde Freude über die neuerschaffenen Dinge alsbald durch Angstzustände abgelöst wird, bei denen die infolge der Anziehungskraft von der Gesamtmasse losgelösten Gottesnerven »Hilfe« rufend zu mir herunterkommen. Ob und wie es etwa möglich sein wird, diese für alle Teile unerquicklichen Verhältnisse dereinst wieder in normale, weltordnungsmäßige Bahnen überzuleiten, darüber kann ich der Natur der Sache nur Vermutungen haben, rücksichtlich deren ich mich vielleicht am Schlusse dieser Arbeit noch in einigen Betrachtungen ergehen werde.


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