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Sind spaßige Kunden, die Leute in den Bergeinöden oben, voller Ecken und Schroffen, um und um voller Seltsamkeiten und Schrullen. Sie reden nicht mehr, als gerade notwendig ist, sinnen und grübeln aber an allem Möglichen und Unmöglichen dahin während ihrer Arbeit. Einige kümmern und sorgen sich nur um diese und um sonst gar nichts, und es könnte die halbe Welt neben und um sie her einfallen, so scherten sie sich nicht weiter darum; andere treiben das leidige Streben nach Geld und Gut und nach Immermehr vor sich her und durch ihr ganzes Leben, wie ein sackgrober Fuhrknecht ein paar abgerackerte Zugtiere und manchmal sogar auf Irr- und Abwege; wieder andere füllen die karge Feierzeit mit Karteln aus oder mit Jagern und – Prozessen, und einige wenige versinnen sich in ihrer Weise in Menschenschicksale, Weltgetriebe und Ewigkeitsgrübeleien, bis sie sich oftmals nimmer zurechtfinden oder einfach gestehen müssen: es ist alles nicht so, wie man – meint. Die ganze Woche über schindet und plagt sich jedweder und nimmt sich kaum rechtschaffen Zeit zum Essen, vor lauter Eifer und Arbeitsgier, und am Sonntag setzen sie sich nach der Messe in des Postwirts rauchgefüllte Gaststube und – sind nicht weiter zu bringen, sind nicht weiter zu bringen.
Da sitzen sie beisammen um den großen Ecktisch herum, trinken und schnupfen und schwatzen in ihrer langsamen, schwerfälligen Weise dahin, über dies und jenes, oder lachen, wenn der Postwirt ein paar Späße macht. Aber heimgehen vor halbem Nachmittag oder gar vor Nacht und etwa noch später …? Nein. Nur die ärgsten Knicker und Knauser heben sich gegen Mittag, etwa der Röthel oder so Kunden, die es am allerwenigsten not hätten.
Der Röthel, der Gangerl! Schaut so einfältig aus, der Kund', dass ihn viele für hübsch beschränkt halten, zumindest um gut fünfzig Jahre rückständig. Er sagt nicht mehr, als gerade unbedingt sein muss, und lächelt zu allem. Aber er hat es trotzdem faustdick hinter den Ohren, und er hat zumeist Ursache zu lächeln. Ob seiner Redekargheit hat er es einst versäumt, um des Kerschbaumers Nani anzuhalten, und derweilen hat ihm diese der hintere Dorner weggeschnappt. Daher wirtschaftet er allweg noch mit seiner Mutter dahin, aber er – lächelt heute auch über dieselbe versäumte Heiratsgelegenheit und hat auch Ursache zu lächeln. Der hintere Dorner hat mit der Nani eine hübsch sauere und bissige Rübe aus dem Acker gezogen.
Er lächelt über alles; er lächelt sogar, als ihm der Postwirt einen bunt bedruckten Zettel hinhält und ein wenig hämisch und zuwider grinset dabei. »Das wär' etwas für dich, Röthel. Ein Lotterielos. Kauf' es mir ab!«
»Hm! Was täte ich denn damit?«
»Narr! Gewinnen tust damit. Einen ganzen Leiterwagen voll Geld.«
»Hm! Was täte ich mit so viel Geld?«
»Was vermeinst ihm denn wieder?« fragte der Buchberger dazwischen und rasselt eine feste Prise in seine Geiernase.
»Ein Staatslos. Zwei Gulden nur, und ein ganzer Leiterwagen voll Geld damit zu gewinnen. Habe zehn zugeschickt bekommen. Alle schon weg, bis auf das eine da.«
»Und den Leiterwagen voll Geld vergönnst dir nicht selber?« spöttelt der Steinriegler.
»Vergunnen! Ich gewänne ja gar nichts; ich habe kein Glück. Der Röthel da … Alle Jahre Erdäpfel so groß wie die Kinderköpfe und … mehr wie zu viel …«, umschreibt er in seiner spottelnden Weise.
»Tu weg!« knurrte der Röthel gleichmütig. »Was täte ich mit dem vielen Gelde! Etwan lockte es mich gar noch in die Hölle hinein.«
»Zwei Gulden! Was scheren dich zwei Gulden.«
»So nimm es!« rät der Franzenwagner. »Wenigsten haben wir nachher unsere Ruhe vor ihm. Wird ja doch kein solches Glückspapier mehr haben, wenn dieses schon das letzte ist. Und dir verschlägt's nicht viel.«
»Ist auch das letzte.«
»So tue es halt her!« willigt der Röthel nach langem Zureden einmal ein, steckt das Papier ins Westentäschlein und legt zwei Guldenzettel auf den Tisch. »Eh wurscht, wie man das Geld anbringt.«
»Da hast wohl recht«, schmunzelt der obere Ecker. »Bleiben will es eh nicht bei uns oben. Verrieselt sich alleweil wie in einer Seihpfanne.«
Ein paar Neckereien ziehen schwerfällig hin und wider wie behagliche Schmetterlinge durch die Schwüle der Mittagssonnenhitze, und dann machen sich der Röthel und der Holzmichel auf den Heimweg. Mögen die anderen hocken bleiben, so lange sie wollen, sie halten ihre Zeit ein. Er, der Röthel, hat seine Arbeit daheim, deren die Mutter und der Hütbub nicht Herr zu werden vermögen, und der Holzmichel hat eine andere Ursach'. Wenn er sich bei seiner Eheliebsten den Sonntag verdirbt, hat er die ganze Woche über Hundstage.
Langsam und behaglich vor sich hin plaudernd, schlendern sie die Höhen und Hänge hinan und sinnen dazwischen ihre eigenen Wege und Pfade. Das und jenes bringt die Zeit an Arbeit und Mühe mit sich, der Hafer steht heuer schlecht, und das Unkraut will ihm schon über den Kopf wachsen, und die Viehpreise gehen auch wieder zurück …
An das Glückspapier aber denkt keiner mehr, der Röthel nicht und der Holzmichel noch weniger. Erst gegen Abend fällt dem Röthel der unnötige Handel wieder ein, und er nimmt sich vor, eine gute Zeitlang nicht mehr beim Postwirte einzukehren. Ob er dessen Schnacksen und Schnurren hört oder nicht. Das Bier ist beim anderen Wirte genauso gut, und zum Wenigsten hat er dort seine Ruhe, und kein Mensch nötigt ihm zwei Gulden aus dem Sacke für ein lumpiges Papiertrumm, an dem spielende Kinder nicht einmal eine Freude haben dürften. Nächsten Sonntag kommt er nicht hinunter ins Kirchdorf, außer es hätte gerade schlechtes Wetter, da geht seine Mutter wieder in die Kirche, und er muss daheim bleiben, das Haus zu hüten. Doch übernächsten Sonntag; und … der andere Wirt hat auch ein Bier und betet um tägliche Brot …
Auf dem Heimwege von der Totenwacht, die sie in Schlehenberg drüben bei dem alten Kajetan gehalten, haben sie das Himmelszeichen zu ersten Male gesehen. Über den Brandriegel hin hat eine Nachteul' geschrien, und da des Gurtenzauners Jockerl unwillkürlich aufgeschaut zu sternübersäten Nachthimmel, ist es ihm zufällig aufgefallen.
Eine glühende Gerte am Himmel!
Und nun haben auch die anderen aufgeschaut und das Zeichen erblickt, das wie ein großer, glühender Besen unweit des großen Heerwagens am Himmel hängt, wie etwa eine Birkengerte unter dem Trambaum in der Stube, die als Mahnung für widerborstige Buben aufgesteckt worden.
»Jetzt … das bedeutet etwas«, sinnt der Kogler. »Das … hat ein Bedeuten.«
»Ein Krieg, eine Krankheit, eine Hungersnot«, mutmaßt auch der Pechschaber. »Unchristen gibt es genug auf der Welt.«
Während des ganzen Heimwegs schauen sie an dem Himmelszeichen und raten und mutmaßen hin und wider. Der eine meint so, der andere anders, aber alle sind darüber einig, dass es ein Bedeuten haben dürfte.
Am nächsten Tag hat der alte Kajetan sein Begräbnis, und die Leute aus den Bergeinöden kommen am Schlehenberge zusammen, um dem allweg leutseligen Alten das letzte Geleite zu geben nach Christenweise und Waldesbrauch; und männiglich redet und rät wegen des Himmelszeichens, das auch andere gesehen.
»Es werden Zeichen geschehen am Himmel, an der Sonne, am Monde und an den Sternen«, erinnert der Schustersimmerl, der Vorbeter bei Leichen und Wallfahrten. Er ist ein belesener Mann und weiß, was in der Schrift steht. »Und nachher kommt einmal das Ende aller Dinge, und es geht die Welt zugrunde.«
»Kunnt ja!« entsetzt sich die Bärengruberin. »Jetzt, wo meine Hennen gerade gut zu legen anfangen!«
»Und nächste Woche soll unsere Rotscheckige das Kalbel kriegen!« So wieder die Pingartnerin.
»Na wohl: wegen eurer Hühner und Kühe!«
Manche zweifeln an des Simmerls Deutung mehr wie stark, und manche besorgen lediglich Krieg oder Krankheiten; nur der Raffael, der Haderlump, lächelt gleichmütig und sorglos unter seinen buschigen Augenbrauen und der unförmlichen Fuchsfellmütze hervor und schupft ab und zu die eckigen Schultern … Himmelszeichen oder nicht, Weltuntergang oder ewige Zeit? Ihm kann all dieses völlig … wurscht sein; ihm ist sonst nichts hin wie lediglich sein Hadernsack, mit dem er sich und seine allweg greinende Alte recht und schlecht durchs Leben bringt, das bissel Zwirn, die paar Nadeln und Bänder, die er im Ranzen mit sich im Gäu herumträgt und welches Zeug er wieder gegen Hadern verhandelt und vertauscht, und … seine Schulden. Ihm fällt kein Häusel ein und keine Schindel vom Dache, ihm verschwemmt und überflutet es keine Wiese und kein Feld, und wenn er und sein Hadernsack bei dem Trubel zugrunde gehen sollten, trifft dasselbe Schicksal auch alle anderen, denen die Geschichte ganz ungelegen kommen dürfte, und … sind seine Schulden gezahlt bei Kreuzer und Pfennig. Die Schulden sind also das einzige, das er verlieren könnte, und um diese ist ihm wahrhaftig nicht leid.
Nach den üblichen Gebeten wird der Sarg mit dem Verstorbenen aus dem Stüblein und aus dem Hause getragen, und dann geht es zu Tale mit dieser Fuhre. Während des Betens hat niemand Zeit, über das Himmelszeichen zu reden, aber als die letzten Erdschöllchen auf den Sarg und ins Grab gekollert und die Leute den Freithof verlassen, geht das Gerede und Gemutmaße von Neuem los. Der Steinriegler fragt sogar den Pfarrer, was dieser Himmelsbesen zu bedeuten haben möchte und ob die Welt zugrunde ginge, wie manche mutmaßten.
»Unsinn!« belehrt der. »Ein Kometenstern, ein Himmelskörper, wie ihrer vielleicht hunderte oder tausende durch den Weltraum ziehen; nicht mehr und nicht weniger wie jeder andere Himmelskörper. Deswegen wird kein Augenblick anders, wie er eben ist, und deswegen fällt kein Blättlein vom Baume, geschweige denn, dass die Welt untergeht …«
Beim Schustersimmerl kommt der Pfarrer wegen solcher Meinung und Behauptung wohl in einen Verdacht gelinder Freigeisterei und Ketzerei, aber sogar ihm schwindet das meiste Grauen und Sorgen vor dem Unglücksstern. Wird also nicht recht viel auf sich haben der ganze Besen, und … wenn es wäre, so wär' es halt. Träfe alle anderen ebenso gut.
Beim Postwirte drüben witzeln schon einige junge Kerle über die glühende Gerte am Himmel und necken einander damit in ihrer Weise.
Der Postwirt kennt sich bald aus, was diese Bergeinöder wieder einmal in ein anderes Sinnen gedrängt; haben ja selbst einige Dörfler allerhand Unheil gewittert und gewahrsagt, als sie den Kometenstern gesehen.
»Man lacht und witzelt«, gibt er in seiner Schalkheit zu bedenken, »aber man weiß heute noch gar nicht, wie die Geschichte ausgehen wird. Kann geraten und auch nicht. In der Zeitung ist dieser Tage schon gestanden, dass möglicher Weise auch die ganze Welt in Brüche gehen könnte. Der Unglücksstern kommt schnurgerade auf sie zu, und wenn alle zwei zusammenstoßen …«
»Habe ich es denn nicht eh' gleich g'sagt?« erinnert der Schustersimmerl, und es steigt ihm trotz der Rede des Pfarrers wieder gelindes Sorgen und Fürchten auf. »Umsonst steht nichts in der Schrift.«
»Steht auch in der Zeitung nicht völlig umsonst. Da leset selber!« Er bringt ein Zeitungsblatt herbei und legt es auf den Tisch … Sollen den Schwefel lesen! Verstehen werden ihn wohl die wenigsten; kennt er selber sich nicht aus vor lauter Wenn und Aber.
Nun geht das Gerede und Gemutmaße wieder los, und selbst das Gewitzel der Jüngeren verstummt für ein Zeitlein. Wenn es schon in der Zeitung steht …
»Der Röthel heute nicht herunten?« fragt dann plötzlich einmal der Postwirt.
»Eh' wohl. Kann eh' noch kommen.«
»Ist zum Geiswirt hinüber«, bescheidet der Franzenwagner.
»So wohl … der Kund hat wirklich ein Sauglück. Schön braucht der Mensch nit zu sein, gescheit nicht, aber … Glück muss er haben. Gewinnt der Lackel richtig … zwölf Hunderter …«
»In der … Lutterie?«
»Mit diesem … Glückspapiere leicht?«
Nun sind Kometenstern und Weltuntergang vergessen. Ein Lotteriegewinn und zwölf Hunderter sind eine ganz andere Neuigkeit. Jegliches schaut mit Mund und Augen, der liebe Neid regt sich hier und dorten, und ein bissel Gespötte lockert sich. Zwölf Hunderter! Und gerade dieser Klachel brauchte so eine Last Geldes am allerwenigsten.
»Wennst eine Maß zahlst, bring' ich ihn her«, erbietet sich der Raffel.
»Kriegst sie«, versprach der Wirt. »Und er zahlt dir sicher mehr.«
Also geht der Raffel zum Geiswirt und sucht den Röthel. Das und jenes wär' es, und er sollte gleich mitkommen.
»Ist schon recht«, nickte der Gangerl ungläubig. »Sagst ihm: wenn er wieder einen brauchet, der …«
Als er aber eine Maß beim Geiswirt getrunken und über den kleinen Dorfplatz hin dem Heimwege zustreben will, ruft ihn der Postwirt selber an: »He, du! Geh' her ein bissel!«
So geht er denn notgedrungen und schandenhalber hin, nimmt sich aber vor, sich weder aufzuhalten noch sich aufhalten zu lassen. Ist ein Lump, dieser Posterer.
»Wie viel denn?« fragt er in seiner Weise, und das soll bei ihm heißen: Was gibt es denn eigentlich?
»Zwölf Hunderter, die Abzüge abgerechnet. Hast das Los mit?«
»Fopp' deine Hauskatz!« knurrt der Röthel ungläubig.
»Was foppen! Ich zahle dir den Krempel gleich aus. Verstehst mich? Auslagen und Spesen natürlich abgezogen. Einen baren Tausender kriegst vor allen Gästen. Verstanden?«
»Mhm«, knurrt der Gangerl noch alleweil völlig ungläubig. So eine Last Geldes zu kriegen, ohne eine Hand gerührt zu haben, will ihm nicht eingehen.
»Hast das Lospapier mit?«
»Wird eh' sein.« Und er tappt in das Westentäschlein und zieht das zerknitterte und zerknüllte Papier hervor, das noch genau so darinnen steckt, wie er es nach dem Kaufe hineingedrückt.
»Also geh' mit herein, in ein paar Augenblicken hast dein Geld.«
Der Gangerl nickt ein paar Mal vor sich hin und geht in die Wirtsstube, wo ihm der Wirt nach einem Zeitlein wirklich tausend Gulden bar vorzählt. Die zwei übrigen Hunderter, sagt er, gingen in Auslagen und so Teufelszeug darauf. Wären eigentlich zwei Tausender, aber der … Klachel da kann mit dem einen auch wohl zufrieden sein. Überdies ist es ein Unsinn, einem so viel Geld vor allen Leuten vorzuzählen. Das weiß er, der Postwirt auch, aber … Geschäft ist Geschäft. Wenn diese Einödhasen heute das viele Geld sehen, raufen sie das nächste Mal um die Lose, wenn er solche wieder zu verkaufen hat. Vierzig, fünfzig bringt er dann leichtlich weg und … gewinnt auch wieder.
Tausend Gulden! So viel wie auf dem Wege draußen gefunden. Das zerwirrt des Röthels klar nüchternes Sinnen für ein gutes Weilchen und lockt nachher den Leichtsinn herbei. Sein ganzes Gesicht strahlt wie der leibhaftige Vollmond, als er das Geld ins Messbüchel steckt und in die Joppentasche schiebt. – Tausend Gulden! Sollt' er den Grafen fragen, was sein Schnackerlwirtschaft kostet, oder gar den Kaiser, wie viel der für das ganze Land verlangte?
»Heut zahlst ein Fassel!« spricht der Raffel an und wähnt noch allweg das viele Geld auf dem Tische liegen zu sehen … So viel Geld, so eine Last Geldes, und … Röthel brauche es am allerwenigsten. Wenn er …
Der Röthel zahlt wirklich ein Fassel. Was liegt heute an ein etlichen Gulden? Sollten sich auch mitfreuen können, die Kunden! Das größte Trumm der Freude ist doch in seiner Hand geblieben und steckt in seiner Joppentasche.
Dem Raffel aber kommt das viele Geld nicht aus dem Sinnen. Wenn er … einen Fünfziger davon hätte! Lediglich einen Fünfziger! Mehr verlangte er sich derweilen nicht. Die Schulden zahlte er davon weg, den Hadernsack würfe er in irgendein Gestrüpp, und in dem Häusel richtete er einen kleinen Kramladen ein. Gehört wohl nicht sein, das Häusel, gehört dem Bruckmüller, aber … es könnt einmal so werden, dass es sein gehörte, wenn der Kramladen ein wenig Gewinn abwürfe. Könnte sogar einmal eine Kuh im Ställchen brüllen, und könnte … Ja, was weiß er, was alles noch sein und werden könnte? Wenn er nur über den Anfang draußen wäre, wenn er nur so viel hätte, was andere zu viel haben! Nur einen Fünfziger derweilen! Und wenn es ein Hunderter wäre, tät' es auch nichts. Der Röthel hätte immer noch … mehr als er braucht und eigentlich wert ist. Wenn! Den Kunden darum anreden wie um das Fassel Bier? Er tut es nicht … er tut es nicht. Das weiß er im Vorhinein. Auch wenn er einmal sein' Rausch hätte, tät er's nicht. Einen Fünfziger oder gar einen Hunderter wirft keiner so mir nichts, dir nichts weg, der Röthel am allerwenigsten. Sich … selber nehmen? … Ja, der Dunner …! Würde in diesem Falle die Sünde nicht gar zu groß sein, aber, »die ganze Welt ist ein Pimperltheater«, knurrt er mittendrein. »Lauter Fopperei um und um. Einer hat den Sack, und der andere hat das Geld. Und … wenn eh' die Welt untergeht!«
»Eh' wahr!« schmunzelt der Postwirt. »Gerade recht, das Geld zum Abschiedstrunke!«
»Da wären wir alle mitsammen früher hin wie die Welt«, meint der Steinriegler. »Tausend Gulden! Sind nicht leicht vertrunken.«
»Käme aber auf eins hinaus.«
Als der Röthel einmal hinausgeht, schleicht ihm der Raffel nach und nimmt sich vor, wegen eines Fünfzigers oder gar wegen eines Hunderters anzusprechen, bringt aber die Rede doch wieder nicht aus dem Munde. So viel Geld wirft keiner weg, der Röthel am allerwenigsten, und wozu nachher eine unnötige Rede wagen, über die vielleicht so oder so geschwatzt werden könnte.
Der Röthel aber trällert im Zurückgehen in die Wirtsstube sogar schon ein Liedel vor sich hin, das ungefähr seinem Vorhaben entspricht.
»Heut' geh'n wir nimmer heim,
heut' geh'n wir nimmer heim,
bis dass der Kuckuck schreit …«
Es dämmert schon bedenklich in den Talwinkeln unten, als der Röthel von den zwei nächsten Nachbarn weg und seinen eigenen Weg heimzu stolpert.
»Komme gut heim!« wünscht der eine, dessen Füße noch steifer und ungelenker geworden sind wie die des Röthels.
»Wennst meinst, ging ich noch ein Örtel mit …«, erbietet sich der andere; aber er, der Gangerl, lacht nur dazu.
»Möchte wissen! Möchte wissen! Geht eh' noch nicht unter die Welt. Und das spannenlange Wegel bis zu mir hinüber …«
Im Abendhimmel richtet sich das letzte Abendrot zum Verglimmen wie die Röte eines Riesenbrandes, und im Gehänge droben liegt das Röthelhöfel im glutroten Scheine, und die Fensterchen flammen und flinseln, als ob es in der Stube brenne.
Das alles sieht und merkt der Röthel heute nimmer. Aus dem Fassel Bier ist noch eines geworden, und jeder hat davon so viel bekommen, dass es für heute mehr als reicht. Er, der Gangerl, der das Wirtshaushocken gar nicht gewohnt ist, langt weitaus. Er wähnt sich bergehoch über der ganzen Welt draußen und in einer Freudseligkeit, die keine Sorgen und keine Kümmernisse kennt. Ihm ist es wurscht, ob dieses arbeitgesegnete Jammertal tief unter ihm in Brüche und Scherben geht, wie sie sagen, oder ob der Unglücksstern am Himmel daneben vorbeifindet, und ihm ist es gleich, ob die Mutter heute greinen oder schelten wird, weil er nicht zur Zeit heimgekommen, oder ob sie ihn deswegen lobt. Er denkt nicht einmal mehr daran, dass er das viele Geld im Messbüchel bei sich trägt, noch weniger an etwas anderes …. Hoppla! Da liegt er schon wieder bretteben auf dem Wege und … Wo denn heute nur die lästerlich vielen und großen Steine herkommen und die riesenhaften Baumwurzen, an denen er allweg sich verstolpert? Ist doch sonst allerwegen so schön zu gehen gewesen.
Während er sich wieder emporarbeitet, hockt der Raffel am Hohlwege hinter einem Erlenbusch und lauert! … Ein Fünfziger oder ein Hunderter auf und ab! Was weiß der Kund' heute mehr, wie viel er gebraucht hat oder was er etwa gar … verloren und verstreut hat? Hat eh' mehr wie genug. Und wie wäre es denn, wenn er das ganze Geld verlöre? Ihm aber, dem Raffel, ist mit so einem Teile geholfen, und mehr nimmt er nicht von all dem Gelde; mehr … nicht. Wenn es ihn im Hohlwege da wieder einmal hinwirft, springt er rasch hinzu, nimmt sich … sein Teil aus dem Büchel und … Nein, rauben und morden nicht! Nur sich seinen Teil nehmen, den er gerade braucht und den der andere gar nicht verspürt. Ist wohl auch nicht recht, aber …
Da streift sein Blick zufällig über die Wegufer dahin, ob wohl niemand um die Wege wäre, der ihn sehen und erkennen könnte, und dabei nimmt er etwas gewahr, das ihm den Herzschlag für etliche Augenblicke hemmt.
In der Hänge oben, zwischen dem abendroten Himmel und der verdämmernden Ödheide rührt und regt sich etwas … etwas mit armlangen Hörnern auf dem Kopfe, das zusehends größer und länger wird, als wüchse es in aller Jähen aus dem Erdboden heraus. Der … Leibhaftige vielleicht! … Nicht schlecht! Wenn einer … noch nicht einmal … Nein, mit dem Gesellen will er nichts Übriges zu tun haben. Ob er nun den Fünfziger oder Hunderter hat oder nicht: er hab ihn vorher auch nie gehabt und hat auch gelebt … als ehrlicher Haderlump. Der … Drack kommt herunterzu … schnurgerade auf ihn los.
Nein, derweilen hat er noch gar kein Recht an ihm, und … kriegt auch keines … kriegt keines! Nicht einen roten Kreuzer nimmt er dem Röthel, keinen Knopf. Wäre so ein Gefährte, der … Hornige, wenn er sich einem zugesellen dürfte.
Er will auf und davon, aber jählings geht ihn die Furcht an. Der … dieser Grausling kommt schnurgerade auf ihn zu; da rennt er ihm vielleicht auch sogar noch nach, um ihn …
Des Weges daher stolpert und taumelt der Röthel, auf den er gelauert. Gottlob, dass doch wenigstens der um die Nähe ist! Dem weicht er nun nimmer von der Seite, um …
»Du … du …«, stottert er völlig geschreckt heraus. »Weißt was? Ich geleite dich heim. So ein Mordsrausch und das viele Geld …! Hast es doch noch?«
»Geld?« dehnt der Gangerl wie jählings vom Schlafe ermuntert heraus und starrt den Kunden groß an. »Ich! … Ja, richtig«, entsinnt er sich nach einem Zeitlein, »der Gewinst.«
Er tappt nach der Joppentasche, greift aber nichts mehr.
»Tu nit schelten, Gangerl!« mahnt der Raffel hastig ab. »Ist eh' um die Wege, der … Spaßige. Hast es etwa … verloren … verstreut …?
»Muss eh' so sein. Da hinten … die ganze Welt voll Steine und Baumwurzen …«
»Geh mit zurück! Ich … helfe dir suchen …«
Ein ganzes Päcklein Zündhölzer verkratzt und verleuchtet der Raffel, bis sie endlich das Messbüchel mit dem vielen Gelde finden. Dann steckt er beides in seine eigene Joppentasche, packt den beständig herumtorkelnden und über jedes Steinchen stolpernden Röthel kräftig unter den Armen und schleppt ihn die Hänge hinauf und ins Haus.
Die alte Röthlin schlägt vorerst die Hände über dem Kopf zusammen in hellem Entsetzen. So einen Rausch hat der Bub all seiner Lebtage noch nie heimgebracht. Aber natürlich, wenn der Raffel bei ihm ist …
»Ihr … Haderlumpen!« fängt sie dann zu zetern und zu greinen an, und es kommt noch mancherlei heraus, bis sie von dem unverhofften Gewinne als Ursache des heutigen Über-die-Stränge-Schlagens hört und das viele Geld mit eigenen Augen sieht, das der … Haderlump auf den Tisch legt.
Tausend Gulden! So etwas mag eines schon als Entschuldigung gelten lassen.
»Und schon verloren gehabt«, erzählt und beschönigt der Raffel. »Wenn ich nicht … zufällig noch einen Gang habe und … zu ihm komme …«
Denselben Abend geht der Raffel nimmer heim. Er will sich selber kaum gestehen, dass er sich nicht mehr hinaus traut in nachtende Welt, wo der Hornige im Umritte ist, geschweige denn, dass er den Röthelleuten davon eine Andeutung machte, aber … er getraut sich wirklich nimmer. Sicher ist allemal sicher. Sogar am anderen Morgen schaut er noch ganz verstört und geschreckt darein, und sein Geschau wird erst heller und sein Gesicht breiter, als er vom Finderlohn hört.
»Nein, du, ich nehme nichts«, wehrt er schandenhalber ab. »Ich … weißt … wegen … wegen Brauchenkönnen wär es ja nicht, aber … dies und jenes hätte ich wohl im Fürnehmen, aber … Wie ich gesagt habe …«
»Etwas musst du nehmen«, nötigt auch die alte Röthlin. »Wenn das Büchel etwa ein Lump findet …«
»Nun ja; wenn es sein muss!« … Und er nimmt, was ihm geboten wird. Ist aber richtig ein Fünfziger.
Ein Juchezer könnte er hinausschreien in die Welt, dass die Berge auf ihren Grundfesten erzittern, aber er verdrückt ihn. Der Hornige fällt ihm wieder ein, und die Ursache, warum der wohl so jählings aus dem Erdboden gestiegen. Wäre nicht … viel besser gewesen wie gestohlen oder geraubt. Und solchem Geschäfte gesellt sich wohl der Hornige als stiller Teilhaber bei, sagen die Kaufleute … Stiller Teilhaber! Dank schön für so einen … Gesellschafter! Lieber sich als Haderlump und alleiniger Geschäftsinhaber mühsam und ehrlich durch die lumpige Welt schlagen, bis sie der Kometenstern einmal über den Haufen wirft, als so einen … Teilhaber um sich wissen! …
Ein paar Tage darauf ist die Rede, dass zur selben Zeit der Drechsler-Girg aus dem Gäu heimgegangen und mit seiner Kraxen desselben Weges gekommen. Da geht dem Raffel langsam ein Lichtlein auf, wen er für den Hornigen gehalten haben mag, aber es reut ihn nimmer, dass er sich von seinem Vorhaben durch ein bissel Altweiberfurcht hat abschrecken lassen. Ist so weitaus besser, und … einmal könnt' er es doch sein, der … wirkliche. Dank schön! Lieber ein ehrlicher Haderlump wie … Gesellschafter dieses Kunden!