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Einer der Stillen im Lande.

Still und traumverloren liegt das Waldgebirge oder, wie die Leute sagen, der Wald, in der großen, weiten Welt, und still und sachte streicht die Zeit an ihm vorüber, gleich wie an der Wiege eines schlummernden Kindleins, um ihn nicht zu wecken und aufzustöbern aus seinem sanften Dahinträumen. Und still und traumverloren wandeln auch die Leute im Walde ihre mitunter recht einsamen und schmalen Lebenspfade, und selten tut eines von ihnen einen Schritt daneben. Ein holder Märchentraum spinnt und schlingt sein Rosengehecke um die Wiege der jungen Erdenwürmlein, und holder Märchentraum umfängt den Jüngling und die Jungfrau. Wie in einem blühenden und duftenden Hag treten sie in den Stand der Ehe und wandeln Hand in Hand ihre Wege durch ihn, bis die Blüten verwelken, und das Blattwerk im Todherbste des Lebens zur Erde sinket.

Wohl toben zuzeiten über Wald und Berggehänge mächtige Wetterstürme hin, Blitze zucken um Fels und Hütte, und der aus festem Urgesteine gefügte Gebirgswall scheint unter den mächtigen Donnerschlägen bis in die Grundfesen zu erbeben, und es stürmen auch über manchen Lebenspfad solche oder ähnliche Wetter dahin; aber nachdem solche Missetat vorüber ist, ist die Luft nur desto reiner, sind die Höhen desto sonniger und die Täler desto grüner, und was gewesen, ragt wie ein Traum in den Traum. Die Stürme vermögen die Berge des Waldes nicht zu stürzen, die Thorer die Grundfesten des Gebirges nicht zu erschüttern und die Stürme des Lebens die allerwenigsten aus dem rechten Geleise zu drängen.

So leben die Waldleute neben- und miteinander dahin, so wandeln sie den Lebenspfad, bis der Ring sich schließt und Ende und Anfang hart aneinander marken, und so träumen sie dahin, wie von einem holden Märchen betan, bis der Traum ein Ende hat.

So Leute leben am ruhigsten und glücklichsten. Sie arbeiten und schaffen, weil die Arbeit des Menschen Lebenszweck ist, sie kümmern sich nicht um mehr, als was ihren kleinen Gesichtskreis berührt und streift, sie lieben ehrlich und hassen kräftig und lassen liegen, was ihnen zu schwer ist, und wenn manchen von ihnen die Leidenschaften rütteln und hin und wieder biegen wie die Stürme die mächtigen Baumriesen, so schwanken sie halt eine Weile hin und her, bis die Stürme nachlassen, und selten, äußerst selten bricht einer wurzweg ab, wie anderwärts gar mancher, wo Holz und Leute minder hart und zähe.

Es gibt aber auch im Walde wie auch hie und da anderwärts Leute, die man die Stillen im Lande nennt, nur dass ihrer im Walde mehr wachsen als in anderen Gegenden … Wie solche sind und ausschauen? Warum sie also genannt werden? … Mein', du! Wer kann oftmals so in kurzen, treffenden Worten heraussagen, was sich nicht so ohne Weiteres klipp und klar mit Worten ummarken lässt? Solche Leute schauen nicht rechts und nicht links, nicht über und nicht unter sich, haben mehr oder minder Eigenheiten, die man oftmals Schrullen nennt, sehen im kleinsten Blümchen ein Wunder und im größten Wunder eine Tatsache, über die sie nicht hinaus und an der sie nicht vorbei können, grübeln über alles nach, was ihnen auf ihrem Lebenswege unter die Augen kommt und – träumen erst recht über Welt und Leben hinaus.

Manche von diesen hören sogar im Gekrächze des Raben ein wohlklingend Lied, manche grübeln Geschichten und Sagen nach, die sich um das Leben der Ahnen geschlungen wie immergrüner Efeu um das Gemäuer verfallener Trutzburgen, manche vertiefen sich in die Geheimnisse des Glaubens und der Ewigkeit, bis sie oftmals weder ein noch aus finden, und manche wieder schauen und staunen an jedem Grashalme, an der Farbenpracht jedes Feihfalters und an der Schönheit der ganzen Welt, wie man sie von den sonnigen Gehängen des Gebirges aus sehen und schauen kann. Solcher Leute Herz und Sinnen gleichen einem stillen, weltabgeschiedenen Gebirgssee, in dessen Wasser sich Himmel und Welt widerspiegeln, und dessen Tiefe gemeiniglich als grundlos benannt wird.

Der Thomerl! Mein', du liebe Zeit! Der ist freilich so einer, und schon als Bub hat er so eine Litz gehabt, so eine losende, traumselige. Ob sie ihm schon von Geburt aus angehaftet und eingewachsen, oder ob ihm nur der frühe Tod seiner Eltern so zu Herzen gegangen und er das Losen und Insichhineingrübeln gewohnt? Wer weiß es, und … wer fragt auch danach? Zur selben Zeit ist er gerade zum Kollertischler in die Lehre gekommen gewesen, und man hat es erklärlich und ganz in Ordnung gefunden, dass sich das Bübel den Tod seiner Eltern so hart zu Herzen genommen. Man hat ihn nicht frevel aufgestört aus seinem Dahinsinnen und seinem Trauern und ihn zu trösten versucht, so gut dies eben in so einem Falle geht. Er hat gearbeitet, was er zu arbeiten imstande gewesen, er hat alles schön und sauber gemacht, mitunter sauberer und zierlicher, als es der Meister gewünscht, und man ist recht zufrieden gewesen mit ihm. freilich die Litz ist ihm halt geblieben, aber die hat keins behindert und beirrt. Und erst viel später, als der Thomerl schon Geselle gewesen, hat man eines Tages gefunden, dass er ein ganz Stiller, ein … richtiger Träumer ist.

Anderes Gebursch ist in diesen Jahren gerade lauter Lust und Leben, lauter Frohmut und Freudseligkeit, lauter Gesang und Tanz und so weiter, und am Thomerl ist von alledem spottwenig zu merken gewesen. Er ist nicht mehr unter das junge Gebursch gegangen, er hat nicht getanzt und vielleicht nur alle heiligen Zeiten einmal ein Liedlein vor sich hingeträllert; er hat an Wochentagen gearbeitet und ist an Sonn- und Feiertagen allen und einsam seiner eigenen Wege gegangen, die fernab gelegen von denen, die seine Altersgenossen gewandelt in jugendlichem Übermute und in freudseligem Drängen der Jugend. Er ist in den Wäldern oben in den Berghängen herumgestreift, hat die stürzenden Bergbäche angestaunt, dem Singen der Vögel zugehorcht oder hat von den sonnigen Höhen aus die blaudämmernde Ferne betrachtet, die so sonnig und lockend hereingelugt in die stille Einsamkeit des Waldes, oder er hat sich in das Geschilfe des Weiherufers hingelegt, hat dem gleichmäßigen Glucksen und Platschen der Wellen und dem geheimnisvollen Raunen und Rauschen des Schilfes zugehört, hat das Geflimmer des Lichtes auf den Wellen betrachtet, die gelben und weißen Wasserrosen und die anderen Blumen und auch mancherlei Geviehe, das dazwischen herumgekrochen, und hat nachher wieder einmal … Gras und Blumen möglichst so auf die Truhen und Kästen gemalt, wie er sie gesehen oder zu sehen gewähnt. Dem Kollertischler ist diese Schrulle des Gesellen anfänglich ganz umstürzlerisch vorgekommen, und er ist vor dem ersten Blumensträußchen, das dieser in solcher Neuweise auf eine Truhe ge … patzt, gestanden wie ein heller Narr. Seit Truhen und Kästen bemalt werden, hat man Blumen und Blumensträuße so gemalt, wie er sie gemalt, und wie er es dem … verrückten Menschen als ehrlicher Meister gelehrt, und jetzt … patzt der so etwas zusammen! Aber schlecht macht sich die Geschichte nicht im Grunde genommen: er soll in der Weise weiterpatzen, wenn er gerade meint. Übrigens kann es ja sein, dass er, der Meister, selbst einmal so von ungefähr so eine Lehre gegeben, denn sonst könnte der Geselle, der doch bei und von ihm das ehrsame Handwerk gelernt, niemals auf so einen Gedanken kommen. Ja, er soll nur weiter machen!

Und der Thomerl hat fürder die Blumen und Blumensträuße so gemalt, wie sie ihm am schönsten gedünkt, und er hat sogar selbst an der Form der Arbeiten allerhand Neuerungen versucht und zur Ausführung gebracht, die man anderswo und noch niemals zu Gesichte bekommen. Er ist daher seinen Wochenlohn ehrlich und richtig wert, und … was schert sich unter diesen Umständen ein Meister darum, ob der Geselle ein richtiger Bursche ist, wie sie der Brauch sind, oder ein Träumer und Sonderling?

Und der Thomerl ist weiter im Walde herumgestrichen und am Ufer des Weihers herumgelegen, hat gehorcht und geschaut an dem, was die Welt an kleinen Wundern um ihn her gezeigt und geboten, hat nach der Richtung gesonnen und gegrübelt und nach anderen auch, und hat sich mit der Zeit ein ganzes Spinnennetz von Ansichten zusammengereimt, die mitunter nach ganz verschiedenen Richtungen auseinanderstreben, mitunter auch hübsch ebenschlächtig nebeneinander dahinlaufen. Zufällig einmal aber hat er etwas von einer Poesie des Lebens gelesen, und dass diese so ein eigentümlich und handsam Ding wäre, das die Schönheit der Welt erst recht sehen und begreifen ließe, und das das leidige Menschenleben so umzugestalten vermöchte, wie etwa ein geschickter Gärtner ein ödes Stück Land in einen Garten verwandelt. Und das Ding hat ihm gefallen, zu denken und zu strubeln gegeben, und er hat sich dieses Ding in seinem Sinnen und Grübeln zusammengereimt, wie es für einen Tischler taugt und wie er es brauchen kann. Er hat sich in eine Art Märchenstimmung hinein gesonnen, sieht alles von der Seite an, von der es den schönsten Anblick gewährt, vermeint in einem Paradiese zu leben, und das Weiherufer ist dessen Mittel … Nein, noch ein schöner Plätzchen gäbe es, hat er sich nach und nach gedacht: das Fischerhäuschen auf der Weiherhalbinsel. Ringsum platschen und plätschern die Wellen und glitzern die Wasser im Sonnenschein, ringsum rauscht und flüstert es im Schilf und Rohre, und in den mächtigen Linden, die ihre Kronen wie ein schirmend Dach über das Häuschen breiten, lispelt und säuselt der Wind und summen die Immen.

Er ist manchmal vorbeigegangen und hat so sehnlich neidig geschaut an dem alten, wurmstichigen Häuschen, und einmal ist die Fischerwitib auf dem Gredbänkchen gesessen, ganz einsam und allein, und hat ihn angeredet und zum Hinsetzen eingeladen. Jede Rede ist einer Gegenrede wert und jedes Geheiß eines Bescheides, und er hat sich hingesetzt zu ihr auf die Gredbank, hat die schöne Zeit gelobt und ihre Klagen über den Witibenstand angehört. Geht halt keinem wie geschliffen, und auch eine junge Witib kann Sorg' und Kümmernisse haben … Er ist den folgenden Sonntag nachmittags wieder am Weiherufer herumgestreift und herumgelegen, und die Fischerwitib ist nachher wieder auf dem Gredbänkchen gesessen und hat ihn angeredet und zu kurzer Rast eingeladen und … gegen den Herbst hin hat sich's einmal geschickt, dass sie all' beide verabredet, gemeinsam durch dieses Erdenleben pilgern zu wollen und so ein drei Wochen nachher ist Hochzeit gewesen.

Der Kollertischler hat einen Gesellen verloren, und das Fischerhäuschen hat einen Herrn und allmählich einen anderen Namen bekommen; der Thomerl hat die Tischlerei auf eigene Faust angefangen und sich im Häuschen ein Stübel als Werkstatt hergerichtet, und Herbst und Winter sind nur so im Fluge vorbeigehuscht an dem Häuschen. Aber wie es allmählich Auswärts geworden ist, hat es den Thomerl manchmal wie mit Stricken hinuntergezogen zum Weiherufer, und ein paar Sonntagnachmittage hat er dort wieder in der alten Weise verträumt. Aber es ist ihm vorgekommen, als wenn die Wellen greller glitzerten und melodischer ans Ufer platschen, wie wenn die Blümchen schöner blühten und das Schilf anheimelnder rauschte, nachdem er auf eigenem Grund und Boden liegt und ruht. Ist jedoch lediglich eine Täuschung gewesen und tauber Wahn für ein Zeitlein. Sein Eheweib hat ihm nach und nach rundweg heraus erklärt, solch müßig Herumlungern schickte sich nicht für eine verheirateten Christenmenschen.

Den Thomerl hat dieselbe Rede gedünkt, als wäre es so, wie wenn er bislang im Traume über lauter blumenübersäte Gefilde dahin gewandelt, und die Rede rüttelte ihn auf aus diesem Traume und brächte ihm die Erkenntnis, dass er eigentlich auf herbstlich-öder Flur stünde. Er hat nichts gesagt dazu, hat sich in den Stand eines verheirateten Christenmenschen gefügt, ist nimmer draußen herumgelungert, sondern hat sich auch nach Feierabend und an freien Nachmittagen in die Werkstatt gesetzt und dort allerhand Zeichnungen gemacht über Einfälle, die ihm gerade einmal gekommen. Hat es aber auch nicht getroffen mit solchem Tun, denn sein Eheweib hat keine Ahnung von einer Zeichnung und kann nicht begreifen, was das Gekratzel mit der ehrsamen Tischlerei zu tun haben könnte.

Da ist ihm geworden wie einem Vogel, der Zeit seines Lebens in der Freiheit der schönen Gotteswelt aufgewachsen, der nach Gelüsten herumflattert in Wald und Flur und sich nun abscheulich verflogen in ein enges Bauer. Überall starren ihm die Stäbe entgegen, das Türchen ist zu und geht nimmer auf, überall stößt und prallt er an, und es gibt kein Zurück mehr in die schöne, sonngoldige Freiheit.

Eine Zagheit und Mutlosigkeit hat sich seiner bemächtigt, und sein Sinnen und Sehnen hat angefangen, sich neue Ziele und neue Wege zu suchen. Er ist auf eine Fährte gestoßen, auf der die Kunst manchmal wandelt, und hat diese Fährte verfolgt, so gut er dies vermocht. Und er hat mit der Zeit gefunden, dass sich hart neben dieser Fährte auch eine Spur hinschlängelt, auf der das zuzeiten dahin schleicht, was er seine Poesie des Lebens getauft.

Er hat fürder gearbeitet und gesonnen, hat sein Weib über seine Litzen murren und greinen lassen und dazwischen manchmal gegrübelt, wie es wohl wäre, wenn er heimlich den Flug suchte und wagte, der ihn aus diesem Käfig in die frühere Freiheit führte. Frühere Freiheit! Unsinn! Die findet und erreicht er nimmer, wendet er sich so oder so; das Wort, das er vor dem Altare gegeben, muss er halten, und das Kreuz, das er sich in seiner Achtlosigkeit und … Dummheit auf den Rücken geladen, muss er tragen. Dawider gibt es nichts, und dawider ist kein Kraut gewachsen. Eingefangen ist eingefangen.

Da hat es sich einmal geschickt, dass der Pfarrer in der Kirche geredet, der Hochaltar wäre unter dem Zahn der Zeit schon morsch und schlecht geworden, und es wäre an der Zeit, einen neuen an seine Stelle zu setzen; die Pfarrkinder sollten durch milde Gaben die Anschaffung und Aufstellung eines neuen ermöglichen.

Ein neuer Hochaltar! Wer den wohl machen wird? Einer muss ihn machen und … Höllteufel! Das wäre so eine Arbeit für ihn.

Er ist zum Pfarrer gegangen und hat nachgefragt, ob er diese Arbeit wohl bekommen könnte.

Arbeit! Ja, wäre ganz schön und recht, wenn so eine Sache in der Gemeine hergestellt und gearbeitet werden könnte, und auch das Geld bliebe in der Gemeine, aber … so eine Arbeit ist eigentlich eine Kunst, die nicht jeder kann, und wenn schon etwas gemacht werden soll, soll es so schön als möglich sein.

All das wisse er wohl, hat der Thomerl gemeint, aber … er tät' und möchte es wagen.

So sollt' er halt einmal so etwas wie einen Plan ausarbeiten und vorlegen, an dem man sehen und beurteilen könne, wie die Geschichte aussehen und werden solle. Nachher wäre schon zu reden darüber, und … es würde ihn freuen, wenn die Arbeit im Pfarrorte selbst gemacht werden könnte.

Mit diesem Bescheide ist der Thomerl heim und hat gesonnen an seinem Plane.

Die Kirche ist im romanischen Stil erbaut, und da taugt also von Vornherein kein gotischer Hochaltar; das ist schon einmal etwas ganz Gewisses. Also romanisch! Nein, da ist ein wuchtiger, altdeutscher Aufbau mit Würfelkapitälern, und was daran und dazu gehört, noch schöner und wirkungsvoller für eine Kirche auf deutschem Boden. Also macht er den Plan so.

Und er hat zu zeichnen angefangen, hat den ganzen Nachmittag gezeichnet und gesonnen, und wie der grobe Aufriss fertig gewesen, hat er ihm … nicht zugesagt. Die Sache sollt' etwas Schönes, Wirkungsvolles und einem Throne des Höchsten Würdiges werden, und … es scheint nicht so werden zu wollen.

Die halbe Nacht über hat er gesonnen und gestrubelt, und die folgenden Tage hat er oftmals in währender Arbeit angefangen zu zeichnen und irgendeinen Entwurf, der ihm gerade eingefallen, zu skizzieren, und sein Weib hat gegreint und gescholten, dass solches keine Arbeit wäre und der Mensch nur von der Arbeit leben könne, nicht aber von solchen Schnacksen und Dummheiten. Aber er hat nicht aufgemerkt und fortgegrübelt, und endlich ist ihm doch einmal ein Plan eingefallen, der ihn das Schönste und Würdigste deuchte für einen Hochaltar. Er hat den ersten Aufriss genommen, den im altdeutschen Stile gehaltenen, und ist zum Pfarrer gegangen damit. Jetzt hätt' er einen Plan, aber der wäre nicht so ohne Weiteres aufs Papier zu bringen von einem Tischler. So und so sollte die Geschichte werden. Hinter einer wuchtigen Mensa, hübsch weit im Hintergrunde, drückte sich der altdeutsche Aufbau, den er da aufgerissen, hart an die Rückwand und gebe mit seiner sehr dunklen Beize einen Hintergrund für das, was er nicht zeichnen könne. Auf der Mensa aber wölbte sich ein Teil der Erdkugel, und darauf stünden frei das Kreuz mit dem Welterlöser und rechts und links davon die beiden Apostelfürsten Petrus und Paulus, und der eine zeigte mit erhobener Hand auf das Kreuz und den Erlöser … So dächte er sich die Sache. Den Aufbau und die Mensa mache er, die Figuren aber müsste ein Bildhauer hübsch gegen Lebensgröße machen.

Der Pfarrer hatte lange Weile gesonnen an dem Plane und den Reden und sich bemüht, sich die Sache vorzustellen, und als er dies zustande gebracht, hat er beifällig zu nicken angefangen. Wär' ein ganz eigenartiger und guter Plan … er müsste sich wunderschön machen. Mensa und rückwärtigen Aufbau dürfte er, der Thomerl, als guter Tischler schon zusammenbringen, und die Figuren müssten sowieso bei einem Bildhauer bestellt werden; so bliebe man bei diesem Entwurfe, und es konnte bald angefangen werden, damit der Altar bis zum Kirchenfeste fertig wäre.

Dem Thomerl ist gewesen, als wüchse er bei dieser Rede um die Hälfte seiner hübsch knapp geratenen Körperlänge, und eine Freude hat sich in sein Herz genistet, größer wie … wie, wer weiß was. Er macht den Hochaltar! Er hat ein schönes Ziel vor sich, und … nach hundert und zweihundert Jahren noch werden sie reden von ihm und seinem Meisterwerke: der Thomerl, der kleine Tischlertomerl, hat das große, schöne Werk hergestellt.

In aller Eile arbeitet er weg, was an dringender Arbeit da ist, und dann macht er sich an den Altar. Die aufgehende Sonne findet ihn schon in der Werkstatt und die untergehende sieht ihn noch alleweil schaffen und werken, und bald darauf nimmt er sich sogar einen Gesellen, damit das Werk ja zur Zeit fertiggestellt sein könne. Sein Weib redet ihm oft zu Gehör, sie wähne, dass er noch vor dem Altare fertig werden würde, fix und fertig bis aufs Leimen, ein gemachter Narr, aber er bückt sich nimmer darum und arbeitet fort.

Stück für Stück und Teil für Teil wird fertig, und vierzehn Tage vor dem Kirchenfeste steht der Altar aufgestellt und fertig gestrichen in der Kirche, und auch die Figuren sind da und werden aufgestellt.

Aber wie ein wuchtiger Felsblock legt sich die Enttäuschung auf das Herz und das Sinnen des Thomerl, als der den Altar so betrachtet und damit das Bild vergleicht, das er sich in seinem Kopfe davon zurecht gesonnen. Stumpf, schwerfällig und düster steht die Geschichte dort, und selbst der Pfarrer meint, man hätte sich doch für einen anderen Plan entscheiden sollen.

Licht! Licht brauchte das Werk, um Leben in die Gruppe zu bringen und … woher dies nehmen?

Mit einem tiefen Seufzer verlässt er die Kirche und streicht ziel- und planlos durch die Fluren und durch die Gehänge des Waldes, bis der Abend dunkelt, und immer schwebt ihm der Altar vor, wie er sich ihn gedacht, um immer sieht er daneben den, den er gefertigt. Licht! Nur eine feste Hand voll Licht!

Am anderen Morgen aber kommt ihm etwas in die Augen, das ihm einen Weg zeigt.

Die Strahlen der aufgehenden Sonne fallen auf ein kleines Handspiegelchen, das der Geselle in der Werkstatt aufhängt, und sie prallen zurück an dem Glase und erhellen hinten im Ofenwinkel einen ganzen Fleck.

Eine Weile schaut, sinnt und reimt er im Stillen, und dann richtet er sich zusammen und wandert in die Stadt. Dort fragt er herum, bis er einen gefunden, der Spiegel zu verkaufen hat und der ihm zwei große Hohlspiegel anrät für diesen Zweck … Also, der soll solche machen und hinausbringen.

Ein paar Tage später ist der Mann mit den Hohlspiegeln zur Stelle. Der eine Spiegel wird hoch oben im Gewölbe befestigt, nachdem der andere am Kirchenfenster angebracht worden war – und die Sache gelingt. Die Strahlen der Sonne prallen am einen ab, streben schnurgerade dem anderen zu, und dieser wieder wirft sie auf die Figurengruppe auf dem Altare.

Wie ein Strahl aus Himmelhöh'n flutet das Licht über die Gruppe, umglänzt das Bild des sterbenden Welterlösers in wunderbarer Fülle, bringt Leben in die Gruppe, und es ist schier, als hörte man den einen der beiden Apostelfürsten, der mit der Hand nach dem Kreuze deutet, sagen: Dieser ist das Licht, das Leben und die Wahrheit.

Wie aus Stein gemeißelt steht der Thomerl inmitten der Kirche und schaut und schaut und kann kein Auge verwenden von dem schönen, gewaltigen Werke, das sich jetzt schöner und prächtiger zeigt, als er es geträumt. Er hört nicht das Wundern und Staunen der andern, nicht Lob und Beifall, die dem Meister gelten, und nicht dies und jenes.

Er schaut nur und schaut an seinem Werke und dessen Schöne, und dann zwängt sich plötzlich ein gebrochenes Jauchzen aus seiner Brust und aus seinem Munde, und dann sinkt er … tot zusammen.

Ein kleiner Mensch mag ein kleines Herz haben, und ein solches kann eine derartig große Freude nicht fassen und halten; es zerspringt vor dem Übermaße …

Das ist die Geschichte des kleinen Thomerl, eines Sonderlings, der so ein großes Werk ersonnen und geschaffen.



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