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Wo die Berghänge schroff gegeneinander abfallen und eine Mulde bilden, liegt der Waldsee. In seinem tiefdunklen Gewässer spiegeln sich der dunkelgrüne Tann und der hellblaue Himmel mit den weißen Wölkchen darauf. In mächtigen Sätzen tost der Wildbach durch den Graben hinab ins Tal, und von dort plätschert er schön behaglich hinaus ins weite, weite Land.
Wenn das letzte Abendrot oben am Himmel zerfließt und tiefe Schatten sich über den See lagern, dann ist er fast unheimlich düster. Die Wellen plätschern und glucksen an dem steinigen Ufer, der Tann rauscht und säuselt im Abendwinde, und über das Wasser huschen die Seejungfern dahin, und ihre luftigen Gewänder schleifen auf der Oberfläche des Wassers. Aber nicht jedermann sieht sie, nur Sonntagskindern zeigen sie sich. Die Leute sagen, sie seien von vollendeter Schönheit, und wer das Glück habe, ihrer ansichtig zu werden, müsse hinunter zu ihnen in die schaurige Tiefe.
Aber Kordl hatte sie oft und oft gesehen und weilte doch noch oben in der würzigen, sonnigen Bergesluft. Besonders vor Jahren! Damals hütete sie noch die Kuh, die Kalben und die zwei Geißen um den See herum. Ihres Vaters Hütte stand kaum drei Büchsenschuss weit weg vom Ufer inmitten von lauter hochanstrebendem Tann. Wie ein Rehlein im Walde wuchs sie da auf. Wenn die Morgensuppe verzehrt war, ging sie in den Stall, ließ das Vieh los, hing ihm die Schellen um und trieb es hinaus an den See.
Sie kauerte sich dann hinter einen Busch am Ufer, hart bei der Brandung, sah stundenlang nach den Wellen, die eine nach der andern angehüpft kamen und niemals ein Ende nehmen wollten. Wo ihrer nur so viele herkamen? Gewiss schickte sie alle der Wassermann herauf aus der grundlosen Tiefe. Wie es wohl in dem seiner Stube aussehen mochte? Gesehen hätte sie es doch gerne; aber wenn er sie hinuntergezogen hätte in seine Behausung … Davor graute ihr doch. Dann hörte sie wieder dem Wispeln der Bäume zu, wenn ein sanfter Windhauch durch ihr Geäste strich, dem Sange der Vögel und dem Rauschen des Wildbaches. Wie alles so schön und lauschig zusammenklang! Und dann die Schellen des Viehes!
Hier am See gefiel es ihr am besten in der Welt. Vom Fenster aus daheim konnte man sie ganz sehen, weit, weit hinaus bis zu jenen blauen, duftigen Bergen, wo gewiss keine Leute mehr leben. Und die ganze Gegend draußen kam ihr so eben, so tot und öde vor. Nein, dort wollte sie nie hinaus. Nicht einmal ins Dorf ging sie gerne hinunter. Die Kinder unten spöttelten immer über das schmächtige, schüchterne Ding mit den dicken Flachszöpfen und den großen, blauen Augen und lachten es immer weidlich aus.
»Kordl, Kordl!« kicherten sie. »Wie kann der Mensch nur Kordl heißen? Nein, so ein unchristlicher Nam'! Aber die verdient keinen schöneren Namen.«
Das Blut stieg ihr da allemal mächtig in die Wangen, und sie eilte, so schnell sie ihre Füße trugen, hinauf in die Hütte beim See, und wenn sie später wieder am Ufer hockte, kam es ihr wieder so gut vor, so schön wie im Himmel.
Was konnte sie dafür, dass sie Kordl hieß? Sie war am zweiundzwanzigsten des Kirchweihmondes geboren, und weil da gerade Kordula im Kalender steht, hat man sie auf den Namen getauft. Ihre Schuld war es also nicht. Und wenn Kordula ein unchristlicher Name wäre, könnte er nicht im Kalender stehen. Aber mit den Jahren wurde es anders. Als ihre Mutter vom Krank befallen wurde und bald nachher verstarb, führte sie den Haushalt. Die Arbeit war größer als sie, aber sie wurde ihrer Herr und groß und stark dabei.
Nun spöttelte man weder über das Dirndl mehr noch über ihren Namen. Wenn sie sonntags ins Dorf hinunter kam in der schmucken Feiertagstracht, schaute ihr wohl mehr als ein Augenpaar nach. Sie war die Schönste in der Gemein.
»Wie mein' Kordl eine ist, so eine muss man mit dem Spanlicht suchen«, sagte der alte Bergmichl, ihr Vater, allemal, wenn die Rede auf das Dirndl kam. »Sel will ich euch gesagt haben als wahr. Die wird noch einmal ein großes Glück machen müssen.«
Mit dem Ersteren waren alle einverstanden. So ein schönes und braves Dirndl gab es weit und breit nicht; aber mit dem Letzteren manche nicht. »Ein schönes Leut hat kein Glück«, sagten viele, und noch mehr glaubten es.
Sie war die Schönste in der Runde. Wer sie oben im Holzschlag, wo sie mit ihrem Vater unter dem groben Holz herumwerkte, stehen sah, den rechten Fuß und die Hacke auf einem Baumstumpf und mit gekreuzten Armen auf den Hackenstiel gestützt, mit funkelnden Augen und wallendem Haar, der musste unwillkürlich an die Walküren denken. Das Antlitz glühte von der Arbeit, und die kräftigen Arme hätten einen Panzer sprengen mögen.
Hinter ihr stieg die Häng' an wie ein Hausdach, und die starken Stämme lagen kreuz und quer auf dem steinigen Boden. Und vor ihr, tief, tief drunten breitete sich das ebene Land aus bis in die Ferne, wo der Himmel auf den bläulichen Bergzügen auflag. Dort ruhte ihr Blick.
An was sie dabei dachte?
»Wir müssen doch wieder an das Holz, Kordl«, gemahnte der Alte. »Sel fällt nicht von selbst um … und nachher kriegen wir Zwanziger. Gelt! … Sel schon!« Seit ihn vor Jahren ein fallender Baum niedergeworfen, war er nimmer recht hell im Kopfe. Die Ärzte hatten etwas von einer Gehirnerschütterung gesagt. Wer weiß, was es war, aber es haperte ein Weniges in seinem Oberstübel.
Kordl wandte sich um. Die Axt sauste nieder in das Holz, dass die Späne nur so herumstoben, und Scheit um Scheit türmte sich zum Stoße.
Wenn sie bei der Arbeit war, gab es aus, sie schaffte so viel als ein starker Mann. Aber sie konnte auch träumen. Oft saß sie einen ganzen Sonntagnachmittag über am steinigen Ufer des Waldsees, wie sie es als Kind getan, und sah dem flimmernden und glitzernden Wasser zu.
Die Wellen kamen eine nach der anderen angehüpft wie vor Jahren, und das Plätschern am Ufergestein klang einen Tag wie den anderen. Alles war ihr so bekannt: die Wellen, das Plätschern, das Säuseln der Bäume, der Sang der Vögel und das Tosen des Wildbaches. Beim Waldsee fühlte sie sich am heimischsten und wohlsten.
Oft kam es ihr vor, wenn sie so in die nimmer ruhigen Wellen sah, als bemerkte sie darin ein Gesicht. Erst dämmrig und verschwommen, trat es immer schärfer und deutlicher hervor, bis es schließlich ein bärtig Männergesicht wurde mit kühn gebogener Adlernase und hellbraunen, lachenden Augen. Auf den hellblonden Haaren saß keck auf eine Seite gerückt der Hut mit den Birkhahnfedern; aber wenn sie recht genau zusah, war das Bild allemal verschwunden. Die Wellen hatten es zerstört.
Dann träumte sie wieder vor sich hin, und die Täuschung begann von Neuem.
Das Bild, das sie in dem Gewässer zu sehen wähnte, sah dem Gesichte des Wernharten-Girgl drunten im Tale auf ein Haar ähnlich. Und den sah sie schon seit Jahr und Tag gerne. Er war einer der schönsten Burschen im Tale. Zur lustigen Zeit war er lustig wie kein anderer, an Werktagen schaffte er wie ein Bär, und hausen tat er auch. Die Leute sagten, er hätte schon an die fünfzig Gulden auf Zins geliehen. Was Wunder also, wenn ihn manches Dirnlein gerne sah.
Auch die Kordl sah ihn gerne. Und er? Du mein! Er hatte seinen Spaß mit der und jener, und wenn in der Dorfschenke drunten Tanz war, tanzte er schier mit allen. Keine konnte sich einbilden, er ziehe sie den anderen vor.
Das war so bis zum letzten Ostermontag-Tanze. Da tanzte er fast nur mit ihr, der Kordl. Von der Zeit an kam ihr der Wald viel schöner vor als die ganzen Jahre her, das Plätschern der Wellen am Waldsee und das Säuseln der Bäume klangen viel lieblicher und angenehmer, und die Wellen spiegelten ihr sein Bild.
Die Sonne sank schon tief hinab gegen die dunkel bewaldeten Bergesrücken, und die Bäume warfen lange Schatten. Da legte Kordl die Hacke beiseite und wischte sich den Schweiß von Stirn und Gesicht.
»Jetzt ist Feierabend«, sagte sie. »Es ist Zeit, dass wir heimgehen; das Vieh will auch sein Fressen zur rechten Zeit.«
Der Bergmichl hätte noch lange nicht an Feierabend gedacht. Seit ihm selbiges Mal das Unglück getroffen, wollte er schier Tag und Nacht arbeiten. Er hieb seine Hacke in einen Klotz, hielt sich die flache Hand über die Augen und sah nach der Sonne.
»Kunst'st leicht recht haben, Kordl«, gab er zu. »Die Sonn' geht wirklich schon recht stark nieder. Und ich kann gerade daheim auch was werken. Gelt!«
»Wohl!«
Sie suchten ihr Werkzeug zusammen und stiegen die Häng' hinunter. Daheim angekommen, sah Kordl gleich nach dem Vieh und bereitete das Abendessen, und nach demselben setzte sie sich ein wenig auf den Schragen vor dem Hause, und ihr Vater werkte bei der Schupfen herum. Was er noch tat oder tun wollte? Vielleicht war er sich selbst nicht recht klar darob, aber er konnte, ohne irgendetwas zu schaffen, nicht sein.
Ein lindes Lüftchen strich über den Wald hin, die Bäume säuselten so geheimnisvoll, und der Mond lugte gerade über die Berge empor.
Kordl saß und träumte wieder vor sich hin. Da war's ihr, als hörte sie Schritte durch den Wald herüberkommen. Sie sah auf und schrak schier zusammen. Der Girgl! Wo mochte der heute noch hin? Zum See? In die Häng' hinauf? Was hatte er dort zu schaffen?
Vor dem Schragen blieb er stehen. »Guten Abend, Kordl«, grüßte er.
Ihr Herz begann zu klopfen und zu hämmern, und die Brust drohte schier das Mieder zu sprengen. »Guten Abend auch!« dankte sie. »Wo wirst denn du heute noch hin?«
Er schob den Hut mit der Birkhahnfeder darauf auf das andere Ohr. »Bis zum Bergmichl, nicht weiter«, gab er zur Antwort. »Darf ich mich auf Vaterunser-Länge neben dich auf den Schragen hinsetzen?«
»Wohl!« Kordl rückte, und er setzte sich.
Ein Weilchen war es totenstille. Man hörte die Grillen zirpen, den Wildbach tosen und den alten Bergmichl in der Schupfe herumwandern.
»Willst leicht mit dem Vater was bereden?« frug nachher die Kordl. »Der werkt noch in der Schupfe herum. Du weißt ja, wie er es treibt. Ich werde ihn rufen.«
»Nein«, wehrte er und legte seine raue Hand auf ihren Arm. »Bleib' sitzen, Kordl! Ich hab' mit dir was zu reden … Ich hab' müssen herauf heut' zu euch; es hat mir keinen Frieden mehr gelassen. Ich muss dir's sagen, dass ich dich gern hab' … recht gern. Kunt'st mich du auch ein Weniges gern haben?«
Ihr stieg das Blut zu Kopfe. In ihren Schläfen hämmerte es, und es war ihr, als breche ein Tag an, schöner als all' die anderen, und ein Glück, groß und unfassbar, schwebe hernieder über die Hütte beim See.
Da stapfte der Alte in seinen großen Holzschuhen über die gepflasterte Gred herüber.
»Kordl!« mahnte der Girgl.
»Ja«, hauchte sie.
»Ah, da ist noch wer in die Sitzweile kommen«, wunderte sich der Alte und stellte sich vor dem Schragen hin. »Wer ist's denn? Wer bist?«
»Ich wär' der Wernharten-Girgl«, gab dieser Auskunft. »Weil ich gerade vorbeigegangen bin, hab' ich mich auf ein Weilchen zur Kordl hergesetzt. Was schafft Ihr all'weil?«
»Ich? Nun mein. Es gibt allweil zu werken«, sagte der Michl und setzte sich auch auf den Schragen. Nun erzählte er, was es noch alles zu tun gäbe und dass der Herrgott die Tage viel zu kurz gemacht habe.
Girgl stimmte ihm zu jeder Rede bei, und als er später aufstand und heimwärts ging, hatte er auch bei dem Alten einen schweren Stein im Brett.
Für Kordl gab es nun Tage reinsten Glückes. Auch am regnerischsten Tage wähnte sie die Welt voll eitel Sonnenschein und Glanz. An Sonntagnachmittagen saß sie wie gewöhnlich am See. Die hüpfenden Wellen, der dunkelgrüne Tann und die düster niederschauenden Felsenwände schienen von rosenrotem Lichte umflossen zu sein, und das Plätschern der Wellen, das Rauschen des Wildbaches und das Säuseln der Lüfte im Geäste klangen ihr wie himmlische Musik.
Zu solcher Zeit ist jedes Herz so. Einmal im Leben lugt selbst in das verborgenste und unscheinbarste Kämmerlein ein Strahl jenes Glückes, wenn auch oft nur auf Augenblicke, um dann die Finsternis desto schwärzer hervortreten zu lassen.
Als der Sommer schwand, begann sich Kordls Rosenlaune merklich zu verdüstern. Der herannahende Herbst trug die Schuld nicht. Was scherte sich der um die jungen Leute und deren Laune? War nun Girgl daran schuld oder die Kordl oder beide? Auf Ehr' und Gewissen hätte es keines zu sagen vermocht; aber ein kleiner Zwist, ein schwacher Misston hatte sich eingeschlichen. Es war, als ob sich in ein Saitenspiel ein falscher Ton gemengt und die Harmonie gestört hätte. Über dem Suchen und Stimmen kamen immer mehr Missklänge zum Vorschein, und zum Schlusse war eine regelrechte Verstimmung da.
Kordl litt schwer darunter. Ihre Wangen wurden merklich bleicher, und kein frohes Lachen wollte mehr über ihre Lippen kommen. Sie träumte am Waldsee, der ihr mit einem Male düster und unheimlich vorkam, und sie träumte schier auch bei der Arbeit im Holzschlage.
»Kordl, dir geht der Krank an«, mutmaßte eines Tages ihr Vater. »Du singst nimmer und lachst nimmer, und allweil lostest du so herum. Was fehlt dir?«
Aber Kordl schüttelte nur den Kopf. »Mir fehlt nichts; ich bin so gesund wie von ehe. Es muss der Herbst machen, dass eins nimmer so gut aufgelegt ist wie im Sommer.«
Der Michl schüttelte den Kopf. Der Herbst focht ihn nicht an. Ihm war der Sommer wie der Winter, und der Auswärts wie der Herbst. Dass seine Kordl anders wäre denn er? Er sann hin und her, aber er konnte es nicht herauskriegen, was seinem Kinde fehlte.
Wenn Kordl so am Ufer des Waldsees saß und die Wellen zu ihren Füßen hart und eintönig an das Gestein plätscherten und zwischen dem Glitzern und Flimmern die düstere Tiefe herauf gähnte, fuhr es ihr wohl öfter denn einmal durch den Sinn, dort drunten müsse es sich kühl und ruhig schlafen. Aber dann kam ihr wieder der Gedanke an ihren Vater. Was würde der ohne sie anfangen? Wer würde ihm die Wirtschaft führen und ihn in seinen alten Tagen hegen und pflegen?
Dann schlichen sich wohl aus ihren blauen Augen kleine Tränlein und kollerten die beiden Wangen hernieder und fielen in den See.
Es kam der Erntetanz. Sie war zwar nicht aufgelegt zu tanzen und zu lachen; aber sie ging trotzdem und tanzte mit jedem, der sie aufforderte. Girgl holte sie auch ein- oder zweimal. Sie redeten mitsammen, aber der Missklang war nicht zu verscheuchen. Aus jedem Worte gellte er heraus.
Klopfenden Herzens sah sie, wie Girgl ein um das andere Mal des Haidbauern Magd zum Tanze führte, wie er mit ihr scherzte und lachte, und ein Gefühl, das sie bislang noch niemals angewandelt, schlich sich in ihr Herz und begann dort zu nagen.
Bald zog sie ihre Joppe an und ging heim. Ihr Vater machte große Augen, da er sie schon um halben Nachmittag herum kommen sah.
»Gelt, Dirndl, du bist doch krank!« sagte er und betrachtete besorgten Blickes ihr blasses Gesicht.
»Was ihr nur allweil mit dem Kranksein habt«, gegenredete sie. »Es hat mich nicht gefreut heute und derentwegen bin ich heimgegangen.«
Die folgende Woche schlief sie fast halbe Nächte lang nicht, und am Sonntag war sie mit sich einig. Des Haidbauern Dirn war ihre größte Feindin und musste aus dem Wege geschafft werden.
Am Nachmittage ging sie statt zum See hinüber den Berghang hinunter. In einem alten, halbverfallenen Häuschen auf der anderen Seite drüben hauste die Zigeuner-Margareth, ein altes Weib mit krummer Nase, eingeschrumpftem und zerfurchtem Gesicht, roten Augen und vielen Kenntnissen. Sie konnte das Vieh bezaubern und den Zauber davon nehmen, wie es gewünscht und begehrt wurde; sie kannte alle Kräuter und bereitete mannigfache Pulver und Tränklein zum Heile und Unheile der Leute, wie man es wollte. Und ihre Kunst ernährte sie.
Zu der ging Kordl.
Als sie in die niedrige, rauchgeschwärzte und mit Schachteln und Gläsern vollgepfropfte Stube eintrat, saß die Alte gerade beim Tische und zerzupfte allerhand Gekraut. Die rotberandeten Augenlider zwinkerten vergnüglich beim Aufschauen zu dem Gaste, und um den faltigen, zahnlosen Mund spielte ein Lächeln.
»Setz' dich nieder!« lud die Alte ein und rückte einen Stuhl herbei. Dann wischte sie das Gekraut in ein ungewaschenes Leinensäckchen und setzte sich Kordl gegenüber.
»Willst dir Karten schlagen lassen?« frug sie.
Kordl wurde abwechselnd hochrot und kreidebleich. Ihr Atem ging stockend, und schier reute es sie, dass sie hergegangen. »Nein.«
»Ist's im Vieh was?«
»Auch nicht.«
»Was willst denn nachher?«
Es brauchte geraume Zeit, bis sie es herausbrachte. »Könnt Ihr einem das Leben abbeten?«
»Schon«, bejahte die Alte. »Willst leicht das haben?«
»Ja.«
»Wem soll ich es den abbeten?«
Kordl wurde wieder rot im Gesichte, aber sie machte keine Anstalten, den Namen zu nennen. »Ist's ein Mann oder ein Weiberleut?« frug nun die Alte wieder.
»Ein Weiberleut.«
»So, jetzt hat's seine Richtigkeit. Kannst dich verlassen, dass ich es zuwege bringe …, wenn die nicht etwa Unrat schwant und einen geweihten Segen bei sich trägt. Aber ich mein' nicht.«
Kordl legt einen Zwölfer auf den Tisch und wollte gehen.
»Da musst schon noch einen drauflegen«, forderte die Alte. »Das ist ein recht schweres Stück, und ich muss drei Monate lang alle Abend zum Pointner-Kreuz hinübergehen und einen Rosenkranz beten. Da musst einen Zwölfer nicht anschauen. Es wird wohl helfen, und das ist oft mehr wert als einen Zwölfer.«
Kordl legte noch einen dazu und ging. Als ihr die frische Bergluft wieder entgegen strömte, deuchte es ihr, es sei ein gewaltiger Alp von ihrer Brust gefallen. Die Sonne neigte sich schon stark, und ehe sie das Tal erreichte, begann es zu dunkeln. In den Häusern wurden die Lichter aufgezündet, und sie verlängerte ihre Schritte, so sehr sie es vermochte.
Sie kam am Wieshofe vorbei. Das Inhäusel stand hart neben dem Wege. Dort drinnen wohnte die Mutter der Haidbauern-Großdirn, der sie das Leben abbeten ließ. Schier gab es ihr einen Stich im Herzen, da sie daran dachte. Es war Licht in dem Stübchen. Sie musste an dem Fensterchen vorbei. Wenn sie hineinsähe! Sie konnte nicht widerstehen. Verstohlen stellte sie sich neben das vordere Fensterchen und spähte hinein. Am Tische saß die Alte und vor ihr stand die Kathl, die Großdirn im Haidhofe, das Bündel in der Hand. Offenbar war sie auf dem Wege, heimzugehen zu ihrer Arbeit.
»Dirndl, du wirst wohl heiraten müssen«, hörte Kordl die Alte reden.
Das Dirndl lacht hell auf. »Es ist noch Zeit, Mutterl!« lehnte es ab. »Allweil gescheiter, ledig nichts haben als verheiratet noch weniger.«
»Es wird sein müssen«, bestand die Alte. »Der Bauer hat mir vorgestern die Herberg zu Georgi aufgesagt, weil ich nimmer arbeiten kann und er Inhäusler haben muss, die ihm in der Arbeit helfen können. Was soll ich tun?«
Kordl sah, wie die Kathl das keck gehobene Köpfchen sinken ließ. Sie wartete keine Widerrede oder Zustimmung mehr ab. Wie der Wind huschte sie am Fenster vorbei und den holprigen Weg hinauf. Oben am Waldesrande blieb sie erst stehen, um zu verschnaufen.
Einige Tage und Nächte lang stürmte es gar gewaltig in ihrem Herzen. Die Rede, die sie im Wieshofer-Inhäusel gehört, wollte ihr nicht aus dem Kopfe. Und von ihrem Glücke, das eigentlich kein rechtes mehr war, doch am Ende noch immer eines werden konnte, von dem wollte sie auch nicht lassen. Wer würde leichten Handels auf sein Glück verzichten?
Der alte Michl sah sein Kind mit immer größerer Besorgnis an. Was mochte ihr sein? Das Dirndl wurde von Tag zu Tag bleicher und verzagter.
»Herrgott!« flehte er oft, »nimm mir mein' Kordl nicht! Was tät' ich alter Scherben auf der Welt ohne das Dirndl: Oder nimm mich auch!«
Eines Morgens, als sie nach wieder durchwachter Nacht aufstand, war sie mit sich im Reinen. Sie hatte abgeschlossen mit ihrem Glücke, sie wollte verzichten und selbst das Ihrige tun, das ohnedem schon etwas gelockerte Verhältnis mit Girgl zu lösen.
Hochaufgerichtet, fast stolz und trotzig ging sie ihrem Vater voraus, als sie die Häng' zu dem Holzschlage emporstiegen. Unterwegs gesellten sich einige junge Leute zu ihnen, die in den Schlag hinaufgingen, die Tannenäste zusammenzusuchen und in Haufen zu schlichten. Sie waren lustig, und Kordl lachte und scherzte auch mit ihnen.
Dem alten Michl schwoll das Herz vor Freude, als er sein Dirndl wieder einmal lachen hörte. »Dank Gott!« sagte er zu sich selbst. »Jetzt wird die Kordl wieder gesund. Sie geht auch schon ganz anders daher, viel rascher.«
Mit dem Holze war es heute ein schweres Arbeiten. Oben auf der Höhe hatte es über Nacht gefroren. Der Boden war hart, und die Bäume hatten einen dünnen Eisüberzug, auf dem sie dahinfuhren wie auf einem Glase.
»Kordl, heut' müssen wir achtgeben«, mahnte der Michl, als sie zu arbeiten anfingen. »Das Zeug rutscht, und so ein Holz hat keinen Verstand. Leicht könnt' es uns ein Schienbein abschlagen.«
»Bis die Sonne heraufkommt über die Höhe, dann wird's besser«, tröstete ihn Kordl. »Dann zergeht das Eis, und wir können nochmals so flink arbeiten.«
»Sel schon«, nickte er, und sie machten sich an die Arbeit.
Kaum hatten sie die Säge ordentlich eingeschnitten, schrien ober ihnen schon mehrere: »Bergmichl! Aufgeschaut! Es kommt einer.«
Kordl riss schnell die Säge aus dem Baum und sprang zur Seite; ihr Vater ließ die Holzschuhe stehen und flüchtete ebenfalls hinter einen noch stehenden Baum.
Da fuhr er schon hart an ihnen vorbei. Ein ungeschnittener und glatt ausgeästeter Baum war es. Er war quer über die anderen hinüber gelegen, und als sie an ihm rüttelten, fuhr er ab. Donnernd und polternd fuhr er den Schlag hinab. Ungefähr in der Mitte desselben stieß er mit dem Wipfel an einen anderen Baum. Ein Krach, in weitem Bogen flog ein Stück des Wipfels davon; aber das Übrige fuhr weiter. Unten wühlte er sich mit dem abgebrochenen Ende in einen Erdhügel, dass Steine und Erde nur so herumstoben.
Sie hatten ihm nachgesehen, bis er stak. »Was so ein Holz für eine Kraft hat!« verwunderte sich der Michl. »Zu Brei zerdrückte es ein Leut, käme es ihm in den Weg … Dirndl, da heißt es aufschauen!«
Sie arbeiteten weiter; aber es wollte nicht recht schlaunen. Bald donnerte hier, bald dort einer der gewaltigen Waldriesen zu Tale. Sie mussten in der Arbeit innehalten und sehen, ob er nicht auf sie zukäme. Und so verging die Zeit.
Als sie wieder einem nachsahen, gewahrte Kordl nicht weit unterhalb ihnen die Haidhofer-Ehehalten, die dort Tannenäste zusammenschleppten. Auch Kathl, die Großdirn, war bei ihnen.
Nun kamen mit einem Male wieder gar unchristliche Gedanken daher gestürmt. Kordl wehrte sie nach Kräften ab, aber sie waren nicht zu verscheuchen.
»Aufgeschaut!« scholl es von oben.
Michl sprang zur Seite und stellte sich hinter einen Baum. Kordl sah den Stamm herunterschießen.
»Kathl, aufgeschaut!« schrie sie; aber dort kümmerte man sich nicht um den Schrei. »Kathl, der Baum!« warnte sie nochmals; auch wieder, ohne gehört zu werden.
Donnernd polterte er daher. Ein böser Gedanke fuhr ihr durch den Kopf: Ihr Glück! Aber im selben Augenblick hatte sie schon einen Wagbaum erfasst und stellte sich dem unheilbringenden Holze entgegen. Daran sollte er abweichen. Schon polterte er heran, nun war er zur Hälfte weg, da stieß ein Aststummel an den Wagbaum, ein geller Schrei, und der Baum polterte weiter.
In wilden Sätzen stürzte der Bergmichl herzu. »Kordl, mein' Kordl!« schrie er und hob die am Boden Liegende empor. Ein Blutstrom quoll aus ihrem Munde, aus der Nase und aus den Ohren. Sie sank wieder zurück.
»Kordl, mein' Kordl!«
Die Leute eilten zusammen. Atemlos kamen sie an. »Was ist geschehen? Was ist der Kordl zugestoßen? Hat sie der Baum erwischt?«
Auch die Kathl kam herbei. Stieren Blickes trat ihr der Alte entgegen. »Du, du! Dich hat sie retten wollen, und nun liegt sie da als eine Tote. Kordl, mein' Kordl!«
Die Buben trugen in den Hüten kaltes Wasser aus dem Bache herbei. Wie die Rehe setzten sie über das Gestämme. Man wusch sie, man versuchte dies und jenes; Kordl rührte und regte sich nimmer.
Einige Männer banden eine Bahre zusammen aus halbschüssigen Stämmen und legten Reisig darüber. Auf diese legten sie Kordl und trugen sie zu Tale in das Haus am See.
Der alte Bergmichl ließ Werkzeug und Holzschuhe liegen und wankte den Männern nach. »Kordl, mein' Kordl! … Herr, erbarme dich ihrer! … Herrgott! Ich wär' auch noch da; vergiss nicht auf mich!« So schrie und jammerte er in einem Atem.
»Er ist jetzt ein ganzer Narr geworden«, sagten die Leute, und einige arbeiteten weiter, als wäre gar nichts geschehen. Andere redeten und deuteten noch lange fort, und einige Weibersleute gingen der Bahre und dem Alten nach.
»Er wird sich nicht zu helfen wissen«, sagten sie. »Wir werden die Kordl waschen und anziehen und nachher aufbahren … Schad' um das Leut! So schön und brav, und es muss so einen Tod nehmen!«
»Sie hat der anderen helfen wollen; das kann ihr der Herrgott nicht schlecht anrechnen. Sie wird ein gutes Örtel haben im Himmel.«
In der Stube stellten die Männer die Bahre nieder und hoben Kordl ins Bett. Die Weiber stellten nochmals Wiederbelebungsversuche an, aber Kordl war und blieb tot.
Der alte Mann kauerte sich auf die Ofenbank hin und jammerte in einem Atem. Einige Mädchen blieben bis abends, bis die Leute zur Totenwacht kamen. Sie fütterten das Vieh und kochten dem Alten eine Suppe. Aber der aß sie nicht. Um Mitternacht wurde der Rosenkranz gebetet, und nachher gingen alle heim. Nur einige Männer wollten bleiben.
»Wir bleiben da«, sagten sie. »Es ist so scheusam in einem Hause, in dem ein Totes liegt«, sagten sie. »Und du bist allein, Michl. Wir bleiben bei dir.«
»Geht nur heim«, lehnte der ab. »Mein' Kordl hat mich als eine Lebende gern gehabt; die tät' mir als eine Tote schon gar nichts. Ich fürcht' mich nicht. Geht heim!«
Da er es nicht haben wollte, gingen sie. Noch eine gute Weile hockte der Alte auf der Ofenbank. Dann raffte er sich auf und ging hin zu seinem Kinde, das vorn in der Ecke auf einem Brette lag. Zu ihren Häupten brannte das Totenlicht und stand ein Glas mit Weihbrunnen und einem Ährenbüschel darin zum Besprengen.
Vor der Leiche kniete er nieder und weinte wie ein kleines Kind. »Kordl, mein' Kordl!«
Als ein leichter Schein am Morgenhimmel den anbrechenden Tag verkündete, ging der Alte in den Stall, ließ das Vieh los und trieb es hinaus. Es wollte noch nicht hinaus; aber er hieb es vom Hause weg. Dann holte er einen Span hinter dem Ofen hervor, zündete ihn am Totenlichte an und ging damit in den Stadel …
Als die Leute im Tale aufstanden zum neuen Tagewerke, sahen sie oben im Gehänge ein Feuer brennen.
»Das ist des Bergmichl Häusel!« errieten sie sofort. »Der Alte ist ganz verrückt geworden und wird mit dem Licht unvorsichtig umgegangen sein. Man hätte ihn sollen nicht allein lassen.«
Die Männer eilten hinauf. Aber als sie oben ankamen, war es helllichter Tag, und nur ein Haufen glimmender Asche lag an der Stelle, wo das Häuslein gestanden. Und darunter lagen der Bergmichl und sein' Kordl.