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6.

Die Mena hat am Andreastage er Bötin in Steinbrunn drunten achten Gulden mitgegeben für die Post und einen Brief für ihren Buben und hat die ganze Zeit her gesonnen und gegrübelt: Kommt er oder kommt er nicht? Könnt' gar leicht sein, dass sie ihn nicht ausließen, und es könnt' auch sein, dass er sich selbst nicht recht arg risse ums Heimreisen zur Weihnacht. Wer weiß denn?

Aber vorgestern hat die Bötin einen Brief gebracht, in dem er schreibt, dass er am Heiligen Abend zu Mittag ins Städtchen kommt mit der Post.

Und heut hat man Heiligen Abend.

Wenn nicht alles voll Arbeit wär' im ganzen Haus, oder wenn ein Männerleut ein bissel handsamer und besser zu gebrauchen wäre zu all der Weiberarbeit, wahrhaftig: heut kunnt' sie ihm nicht helfen, heut müsst' sie ihm den Besen und den Scheuerfetzen in die Hand drücken, ihm dies und das noch zu tun schaffen und selbst dem Buben entgegengehen. Aber was nutzt alles Wenn und So, wenn gleich dahinter ein Aber hervorlugt? So muss halt sie daheim bleiben und der Christoph um den Buben gehen.

Am Heiligen Abend fastet im Walde jeder vernünftige Christenmensch, der über sechs Jahre alt ist, und auch beim Geldweber gibt es für keines eine Morgensuppe. Gar der Christoph nimmt keinen Bissen zu sich, und er hat doch den Weg bis ins Städtlein und zurück zu machen; aber eine Mahlzeit mehr oder weniger bringt keinen um, und manchen wird es geben, der länger fasten muss, weil der Erde Überfluss ihm nimmer bis in den Magen reicht.

Er zieht die Pelzhaube fest über die Ohren herab, langt den Stecken aus der Ecke und stapft nachher davon, die Hänge hinab.

Man tät' es schier nicht glauben, dass die Zeit so schnell vergeht. Wie lang ist's her, seit er mit dem Buben zu Tal gestiegen, seit oben die Sonne so glöckelhell geschienen und unten finsterer, eiskalter Nebel gelegen? Wie wenn's vorgestern gewesen wär' oder längstens vor acht Tagen, und jetzt ist schon Weihnacht! Die Zeit eilt dahin, wie wenn eine einschichtige Wolke über das Tal hinschwebt, da hinter ihr drein der Hebstwind brauset, und über Ja und Nein wird ein Jahr herum sein und nachher wieder eins, und ehe man recht wissen wird, wie es geschehen, wird's heißen: den und den Tag hat der Bub die Primiz.

Denselben Tag wird mit der Mena schon kein vernünftiges Wörtel zu reden sein, sel kann einer wahrsagen, der kein Prophet ist. Aber er vergunnt ihr die Freud', eine Mutter hat Müh' und Sorgen genug, bis sie ein Kind so weit in die Höhe bringt, dass es ihr aus dem Wege rennen kann. Jedes bissel Freud' ist nachher hundertfach verdient. Und eine Freud' können sie nachher all' zwei haben, wenn der Bub seine Sach' richtig durcharbeitet und ein Mann wird, den groß und klein achtet und schätzt, wenn er seinen Stand richtig hält. Geht gar nichts über einen richtigen Pfarrer! Er ist kein Richter und schlichtet Streit und Tageshändel; er ist kein Rechtsverdreher und gibt Rat in den und den Angelegenheiten, der zum Frieden führt, und er mahnt zu jeder Zeit an den ihm zur Hut anvertrauten Schäflein, bis eins wie das andere die richtige Zaunlucke findet, durch die der Pfad zum ewigen Leben führt.

So sinnt und grübelt der Christoph dahin und ist schon mehr in der Zukunft drüben wie herüben in der rauen, winterfrostigen Gegenwart, und da er gen Mittag sich dem Städtchen nähert, schreckt ihn überlings einmal das Geläut eines auf der glattbahnigen Strecke daherkommenden Fuhrwerkes auf. Er springt zur Seite und schaut, und da der Schlitten an ihm vorbeiknirscht, gibt es ihm gerade einen Riss: der Schwager ist's, der Lipp, der seinen Buben – heimfährt ... Nun ja! Jeder treibt's, wie er es treiben kann, einer fährt, und der zweite geht, aber ... sind Geschwisterkinder, sitzen auf ein und derselben Schulbank, und – was wär' es denn gewesen, wenn man gesagt hätte: Sitz' auch auf, Gaberl! Wegen dem hätt' noch niemand wieder gut sein brauchen, noch lange nicht. Aber wenn's nicht ist, so ist's halt nicht, und deswegen kommt der Bub auch heim.

Er stößt den Stecken wuchtig in die hartgefrorene Bahn und stapft seines Weges weiter, aber seine Gedanken lässt der, wenn auch unbedeutende Ärger, nicht mehr hinüber in die sonnumstrahlten Gefilde der Zukunft. Jeden Augenblick schaut er, ob der Bub nicht etwa schon daher gerannt komme, dann ängstigt er sich wieder, ob er nicht am Ende die Richtung verfehlt und auf einer ganz andern Seite zum Städtlein hinaus stapfe, und nachher ärgert er sich wieder über den Nachbar und auch über sich selbst, dass er nicht zeitlicher fortgegangen von daheim.

Im Gasthause zur Post sitzen ihrer drei an einem Tische beim Ofen, und des Christophs Gesicht verzieht sich zu einem seligen Lächeln, als er sie ersieht: sein Bub, der Gaberl, der Fischer von Waldzell, der die Beinbrüche so gut richtet und noch ein Bub, wahrscheinlich des Fischers Bub.

»Bist doch so gescheit gewesen?« lächelt er und rückt sich einen Stuhl zurecht, aber seine Blicke können sich nicht losreißen vom frostgeröteten Gesichte des Buben. »Ich hab' schon gemeint, du wärst schlankweg fort und hättest dich in der Richtung verrannt.«

»Er wär' fort«, nickt der Fischer. »Vom Postwagen herunter und sein Bündel über die Schulter geworfen und staubaus! Oha! Hab' ich gesagt. Jetzt wartest, bis dein Vater kommt, wenn dich dein Vetter nicht mitnimmt!«

»Geh', er!« macht es der Christoph geringschätzig. »Was wär's denn gewesen, wenn er gesagt hätt': Soundso? ... Und der ist leicht der Deine?«

»Ist der Meine«, nickt der Fischer. »Wird der künftige Doktor von Waldzell, wenn uns der Herrgott das Leben so lang' schenkt, einem und dem andern. Lernen tät' ich ihm meine Kunst sowieso, aber dass es ihm nicht geht wie mir, dass er alle Bünd' eingesperrt wird deswegen, weil er einem hilft, so soll er ein studierter Doktor werden. Nachher hat der Schwatz gleich ein End'.« Er ist ein kaum mittelgroßer, untersetzter, kräftiger Mann mit etwas dummem Gesichte, und kein Mensch würde hinter diesem Äußeren den geschicktesten Chirurgen der ganzen Gegend in ihm suchen. Aber er, der Fischer, versteht seine Sache und ist weit und breit bekannt und wird auch weithin geholt, wenn – ihn zuvor nicht etwa wieder ein Arzt anzeigt und er wegen Kurpfuscherei im Käfig sitzt. Geht halt so!

Es geht hübsch gegen Mittag, und man nimmt etwas Warmes zu sich. Die zwei Alten würden am Ende auch nüchtern heimgehen, aber es ist wegen den Buben. Zieht sich doch ein hübscher Weg bis ins Gebirge hinein, und so ein Kerlchen braucht Atzung, auf dass sie Wärme erzeuge von innen heraus.

Des Fischers Bub hat wohl zwei Röcke, eine Joppe und einen langen Rock darüber – Überzug oder Überzieher, wie man sel Ding heißt – aber der Gaberl hat nur sein Lodenjöppel am Leibe, das man ihm bei Winteranbruch nachgeschickt. Nun, hat auch im Lodenjöppel noch keiner erfroren, der sich ein bissel gerührt.

Sie wünschen einander glückliche Feiertage und gehen ihrer Wege, die einen rechts, die andern links. Der Gaberl hat ein paar Bücher zusammengebunden in ein Paket, damit er über die Weihnachtsferien dies und jenes nach- oder vorlernen könne, und das nimmt der Christoph in den Arm, und sie schreiten nebeneinander dahin, bis sie draußen sind vor den letzten Häusern des Städtchen. Dort bleibt er stehen, klopft seine Pfeife aus und schaut dem Buben baumfest und unverwandt ins Gesicht.

»Wie geht's dir denn gerad'?« fragt er langsam und bedächtig.

»Ja, was müsst' mir fehlen?« lächelt der Gaberl.

»Geht das Studieren?«

»Ich mein', ich könnt' hübsch einer von den ersten werden«, gibt der Bub seiner Mutmaßung Ausdruck und seinen stillen Wünschen. »Der Fischer kann ein bissel mehr Latein, weil er schon übers Jahr zum Pfarrer in die Schul' gangen ist, aber sonst sind wir so ziemlich gleich. Und der Fischer soll der Erste werden, heißt es.«

»Nun, das ist ja gar nicht schlecht«, schmunzt der Christoph. »Wenn's nur geht! Wie ... werkt sich denn der ... Lipp?« fragt er nachher, als sie schon wieder nebeneinander dahingehen.

»Recht gut nicht. Der verlegt sich zu viel aufs Abschreiben.«

»Sitzest weit ... Aber da wird ja wohl kein Unterschied gemacht werden, ob einer vom reichen Stand' ist oder vom armen, gelt?«

»Da kennt eins gar nichts«, erzählt der Gaberl. »Der Lipp sitzt gerad' neben mir, weil wir all zwei Seeböck heißen.«

»Und vertragt ihr auch gut mitsammen?«

»Jetzt schon wieder; aber eine Zeitlang sind wir zornig gewesen. Er hat gesagt, ich ging betteln, weil ich Kosttag' habe, und mich hat die Red' geärgert, und ich hab' ihm lange Zeit nichts mehr abschreiben lassen ...«

»Betteln?« dehnt der Christoph langmächtig heraus, reißt die Augen auf und bleibt wieder vor dem Buben stehen. »Betteln, hat er gesagt? Betteln? Ist's denn wirklich auf so eine ... Art?«

»Gar nicht denken«, versichert der Gaberl. »Die ersten paar Male ist's mir wohl auch fast so vorkommen, und ich wär' am liebsten heimgerannt, aber ... es ist ganz anders. Studenten aus der Quarta und Quinta haben noch Kosttage, und es ist keine Schande. Sind oftmals die besten Studenten.«

Der Christoph tut einen tiefen Seufzer, schaut den Buben noch einmal von oben bis unten an und geht dann wieder des Weges weiter. Das Wort krabbelt ihm im Kopfe herum und zieht und zerrt an Fäden, die hübsch mitten im Herzen angeheftet sind.

Ist halt eine dumme Sach', wenn sich der Mensch nicht so regen und rühren kann, wie er es gern möchte.

Allmählich kommt er über lauter Sinnen und Grübeln in einen Schritt hinein, dem der Gaberl nur mit Mühe zu folgen vermag, und schier bis gen Steinbrunn fällt kein Wort mehr.

»Hast für das Linerl nichts mitgebracht?« fragt der Christoph überlings

»O ja«, hastet der Gaberl heraus. »Im Packl drinnen sind ein paar Bröckel, die ich gestern beim Direktor von meinem Mittagessen eingesteckt. Kriegt ein jedes ein Bröckel.«

Und das ist wieder für lange Zeit die einzige Rede.

Erst als sie so beifällig mitten ins Gehänge hinaufkommen und der Bub schon hübsch pfaucht und schnaubt, bleibt der Christoph ein Zeitlein stehen, tut ein paar kräftige Züge aus seiner Pfeife, sieht den Buben an und dann gen Schönbergerhof hinauf und fängt zu reden an.

»Das weißt ja, dass der alte Schönberger dein Ähnl ist?« sagt er, und seine Stimme klingt eigentümlich hart und herb.

»Ja, das weiß ich«, bejaht der Gaberl.

»Er ist so gut dein Ähnl wie er den Schönbergerkindern ihr Ähnl ist, und der Lipp, der junge Bauer, ist dein Vetter.«

»Ja, wir heißen alle Seeböck.«

»Nicht deswegen; aber deine Mutter ist des Lippen Schwester. Und da schau' dir das Gesickert übereinander an! Hätt' er nicht heut' sagen können, du sollst aufsitzen auf seinen Schlitten? Nein. Könnt' der Alte nicht ein paar Gulden hergeben, dass es dich leichter hielte? Nein. Nicht einmal deiner Mutter hat er geben, was ihr gehört hätt', und sie ist sein Dirndl ... Gaberl, das sag' ich dir heut', weil du einen Verstand kriegst: Folgen wirst mir und kein gutes Wort wirst haben für solche Leut'! Und wenn einmal eine Zeit käm', wo man leicht dort vergessen möcht', was gewesen ist, du denkst mir jede Stund' daran!«

»Ich red' nichts mehr mit ihnen«, verspricht der Bub, und dann gehen sie wieder bergan.

Es beginnt schon zu dämmern und zu nachten, als man gen das Häusel hinaufkommt, aber droben muss man sie schon bemerkt haben, und die Linerl rennt und jubelt die Boint herunter, hüpft ein paar Male um den Bruder herum wie ein anhängliches Hündlein und hascht ihn dann bei der Hand und lässt nimmer aus, bis sie auf der Gred stehen und die Mutter nach des Buben beiden Händen langt.

»Wie lange darfst daheim bleiben?« Das ist ihre erste Frage, und die helle Freude zittert aus jedem Tone und jeder Silbe.

»Bis zu Neujahr.«

»So komm' nur herein, dass ich dich sehen kann, wie du ausschaust!«

Und sie zieht ihn in die Stube und vor das auf dem Tische brennende Lampenlicht hin und mustert ihn lange Zeit, und die Musterung muss halbwegs befriedigend ausfallen, da sie nachher ein paar Male nickt.

»Am Essen hast keine Not, gelt?«

»Kein bissel«, versichert der Gaberl. »Und das Essen in der Stadt ist alle Werktage besser wie bei uns zur Kirchweih', aber ... ich mein', schmecken tät' es mir daheim doch besser.«

»Wenn nur am Essen nichts fehlt!« Und dann folgt Frage um Frage, und der Christoph wundert sich selbst, dass sie auf einmal so geschwätzig sein kann, da ihr doch sonst jedes Wort fast abgekauft werden muss.

Nun heute die Stallarbeit schon besorgt und die zwei Männerleute Hunger haben werden, deckt sie den Tisch und richtet zur Nachtsuppe. Wie sie aber die Strohschüssel voll dampfender Erdäpfel auf den Tisch stellen will, hallt von der Gred herein leises Wimmern und Wuißern (Jammern), und ihr Gesicht wird mit einem Male bleich und fahl: Die Klagmutter! (Spuk, der durch Weinen und Jammern den Tod naher Verwandter voranzeigen soll.)

»Habt Ihr es auch gehört?« fragt sie hastig. Es sitzen alle um den Tisch herum, und wenn es jedes gehört, kann es von ihnen keines angehen, denn nur dasjenige hört die Andeutung nicht, das der »angedeutete« Unglücksfall treffen soll.

»Das Flennen?« fragt die Linerl. »Sonst hat aber das Christkindel allemal geläutet.«

»Gerad' vorm Fenster draußen muss eins vorbeigangen sein und so gewinselt haben«, behauptet der Gaberl.

»Die Klagmutter halt«, bedeutet der Christoph gleichmütig. »Wer weiß denn, wessen Stund' und Zeit wieder am Abrutschen ist? Jemand geht's an, und einmal läuft das Radel auch bei uns ab. Kann's keins anders machen; wie Gott, der Herr, will.«

»Aus der Freundschaft gilt's einem«, sagt nun die Mena merklich leichter. »Aber von uns aus! Wir haben soweit keine Freundschaft.«

»Nein, wir haben wirklich keine«, nickt der Christoph. »Heut' hab' ich es wieder gesehen und gekannt; aber wir brauchen keine, wir ... brauchen keine. Zum Teuxel schon mit dem ewigen Wuißern! Wie wenn ein Kind flennen täte.«

»Gerad' so«, bestätigt der Gaberl. »Vielleicht ...«

»Behüt' uns der Herrgott vor so einem Kind!« macht es die Mena. »Lass es flennen und wuißern, wie es will! Heut' ist auch noch die heilige Christnacht.«

»Wenn's ein Kind wär'!« sinnt der Gaberl in seiner lebhaften Phantasie gleich, »oder wenn der Herrgott als ein Kind umgehen täte auf der Welt und nachschauen, ob heuzutag' die Leut' auch noch so hartherzig sind wie früher ...«

»Heut' erfraget' er es erst!« stößt die Mena spöttisch heraus. »Heut' ließen sie ihn kein Jahr alt werden, so hingen sie ihn schon ans Kreuz.«

Es wimmert und winselt wieder, und der Christoph fährt mit einem Rucke vom Schragen auf. »Jetzt muss ich schon sehen, was es ist und was es bedeutet«, entschließt er sich kurz.

»Irrt es dich?« entsetzt sich die Mena.

»Sehen muss ich es«, besteht er. »In meinem Haus und um mein Haus bin ich Herr, und ich möcht' sehen, was Böses Macht hätte über mich, wenn ich auf keinem schlimmen Weg bin. In Gottes Namen!« sagt er noch unter Türe, gleichsam jeden Schritt und Tritt in den besonderen Schutz des Höchsten stellend.

Vorsichtig tappt er durch die Finsternis des Hausflözes zur Haustüre und tritt nachher einen Schritt auf die Gred hinaus.

»Ist wer da?« fragt er laut, aber niemand meldet sich.

Vom Tale herauf, und von den Hängen und Höhen herüber hallen die Schüsse, die dem menschgewordenen Welterlöser zu Ehren in die stille Nacht hinausgefeuert werden, und aus den Himmelshöhen hernieder glitzern und gleißen die Sterne durch das sich mählig zerteilende Gewölke, und in die Herzen der Menschen schleicht sich eine eigentümliche Weihestimmung, über die sich der Gescheiteste oftmals nicht recht klar werden kann. Das Glück des Gebens, sagen manche, aber da und dort ist einer, der weder bekommt noch gibt, und die Christnacht zieht ihn doch in ihren Zauberbann.

»Ist wer da?« fragt der Christoph nochmals und sieht sich überall um, und dabei wähnt er auf der Gred unter den Fenstern etwas kauern zu sehen, etwas Schwarzes mit unenträtselbarer Gestalt, wie ... wie ein Hündlein, und doch auch wieder nicht ... Soll er hingehen dazu, oder soll er nicht? Was geht es ihn an, wer und was sich in der heiligen Christnacht als Schwarzes herumtreibt vor der Leute Fenstern? Ah was! Auf seiner Gred ist das Ding, und er hat ein Recht, dass er nachschaut.

Er langt um eine Hacke ins Hausflöz, die er zu aller Vorsicht mitnehmen will, und dann geht er auf das schwarze Ding los, aber ein Gruseln läuft doch seinen Rücken hinab beim Gehen.

»Ich frag' dich in Gottes Namen: Wer bist du denn? ... Wie d' es nicht sagst, schlag' ich dich mit der Hacke zusammen«, droht er gleich darauf, da sich immer noch keine Antwort und kein Bescheid hören lassen wollen.

»Ich ... ich bin's«, wimmert etwas ganz kläglich wie ein Kind, dem der Schüttelfrost nur die Zähne so aufeinander schlägt.

»Wer denn?« Seine Stimme klingt schon viel freundlicher wie vorher.

»Ich bin's halt«, winselt das Ding wieder, ohne einen Namen zu nennen, an dem sich eins auskennen könnte.

»So geh' in die Stube und lass dich anschauen und sag', was du willst!« schafft er, und da regt sich das Ding und schleicht an ihm vorbei gen die Haustüre.

Also ein Kind! So wär's manchmal, wenn einer gleich mit der Hacke zuschlüge oder wenn er gar nicht vor die Tür schaute!

In der Stube bleibt das Kind im Besenwinkel stehen und sagt weder so mehr noch so, bis es die Mena zum Tische zerrt und zum Essen nötigt. Wird halt ein Bettelkind sein, das sich in den Gehängen verirrt und verlaufen; gibt ja recht arme Wesen und Würmlein auf der Welt, und es ist nur zu verwundern, dass der Herrgott mit seiner himmlischen Liebe solch Elend anschauen kann.

»Iss nur!« schafft sie. »Iss nur, bis du genug hast!« Und das Ding isst und schlingt wie der ledige Hunger selbst, und von Zeit zu Zeit überläuft ein Schütteln und Beben das spandürre, blaurote Körperchen.

»Heut' bleibst eh' da«, sagt sie dann, als endlich das Ding den Löffel aus der Hand legt und zagflüchtig, unstät und ratlos um sich sieht, von einem zum andern.

»J ... ja.«

»Was gehst denn aber nicht gleich herein und bleibst auf der Gred draußen hocken in der Kälte?« tadelt der Christoph. »Wir wissen nicht, ob wer draußen ist, und wenn ich nicht gerad' zufällig hinaus geh', nachher liegst halt morgen früh draußen, starr und tot wie ein Eiszapfen.«

»Ich hab' mich ... nimmer traut«, dehnt das Ding heraus. »Da drüben ... in dem Hof haben sie mich fortgewiesen.«

»Die Schönberger!« lacht der Christoph hart auf. »Ja, sel sind arme Leut' und gingen betteln, wenn sie einem ein paar Löffel voll Suppe vorstellen müssten.«

»Sie halt«, nickt die Mena. »Heißt ja nicht umsonst Kathl. Wo eine Kathl im Haus ist, braucht man keine Zange mehr.«

Sie stehen vom Tische auf und verrichten ihr gewöhnliches Tischgebet, und nachher lädt der Christoph ein uraltes Gewehr und tut auf der Gred draußen auch seinen Schuss zu Ehren des Christkindleins, das vor soundso viel hundert Jahren in einem armseligen Stalle zur Welt gekommen, weil es nirgend anders Platz gefunden.

»Wo bist denn her?« fragt später die Mena das fremde Ding.

»Ich ... weiß nicht.«

Über diese Antwort ist es nicht hinauszubringen. Es weiß nicht, wem es angehört, es weiß nicht, ob es Eltern hat oder nicht, es weiß gar nichts. Nur, dass es schon lange so in der Welt herumirrt und herumbettelt, sel kommt nach und nach brockenweise heraus, nicht mehr, nicht weniger.

Bei vorrückender Nacht kendet die Mena den Wachsstock an, und der Christoph sucht ein altes Gebetbuch hervor, und dann knien sie sich um den Tisch herum und beten ein paar Gebete, die sie alljährlich an diesem Abend beten und die schon seit vielen, vielen Jahren im Geldweberhäusel zu dieser Zeit gebetet werden, und dann richtet man die Kinder zu Bette. Dem fremden Ding aber richtet man in der »Hölle«, dem Zwischenraum zwischen Ofen und Wand, ein Nachtlager her.

Während sich die Linerl entkleidet, nimmt die Mena den Gaberl zur Seite und flüstert ihm ein paar Worte zu.

»Du magst eh' nichts mehr vom Christkindel?« sagt sie. »Du bist ein Student und weißt schon alles ...«

»Ich mag nichts mehr.«

»Nachher legen wir dem fremden Ding ein paar Bröckel zurecht, die du bekommen hättest.«

»Von mir aus schon.«

»Gute Nacht!«

Die zwei Alten setzen sich nachher an den Tisch zusammen und raunen und flüstern mit einander und greinen auch über die Schönberger, die in allem so hart und herzlos.

»Wie wenn mich eins ins Herz geschnitten hätte, so weh hat es mir tan, als der Bub das erzählt hat«, klagt er. »Betteln sollt' er gehen! Was sagt denn eins zu so einer Red'? ... Aber ich hab' mir vorgenommen: von der Vakanz an geht der Gaberl nimmer – betteln. Am End' geht's, dass man so viel zusammenbringt, dass er sel nimmer braucht. Und wenn wir zuletzt Schulden machen müssen, bald er fertig ist, kann er alles wieder abzahlen.«

»Das wird nicht recht gehen«, zweifelt sie. »Ja ... wenn ich mein Heiratsgut krieget!«

»Von dem denk' ich mir nichts mehr.«

»Aber gehören tät' es mir.«

»Wenn's dir lang gehört, wenn er dir's aber nicht gibt?«

Dann fällt lange Zeit kein Wort; eins wie das andere stiert in das ruhig brennende Lampenlicht und sinnt in seiner Weise dahin. Plötzlich aber hebt der Christoph seinen Kopf empor und schaut seinem Weibe in die Augen.

»Du, Mena«, sagt er, »tun wir ein gutes Werk und opfern wir es auf die Meinung, dass uns auf diesem Weg eine Hilf' wird.«

»Wie meinst das?«

»Behalten wir das fremde Dirndl eine Zeitlang bei uns um Gottes willen, und nachher schauen wir ihm um einen Dienstplatz, wo es in Zucht und Ordnung gehalten wird, bei rechten Leuten. Was tät' auf so eine Weis' werden aus ihm?«

»Umbringen tät' uns sel nicht«, nickt sie langsam und bedächtig. »Wenn du meinst, mir ist es recht. Leicht hat es uns der Herrgott vor die Tür geschickt.«

Dann sitzen und losen sie wieder, bis es hübsch gen Mitternacht geht und die Mena überlings aufsteht und ein mit allerhand Lebzelten und mit Äpfeln und Nüssen behangenes Tannenbäumchen vom Boden herunterholt und auf den Tisch stellt.

Die Wachskerzen werden angezündet, und die Lampe verlöscht, und dann weckt man die Kinder aus dem Schlafe: Das Christkind ist dagewesen.

Das Linerl springt vor Freude nur auf und nieder, schlägt die Händchen zusammen und lacht und lacht, während das fremde Dirnlein vor der Ofenbank stehen bleibt und am ganzen Körper zittert und bebt und mit weit aufgerissenen Augen die schlichte Pracht des einfachen Christbäumchens anstaunt. Es hat noch keinen Christbaum im Glanze der Lichter gesehen, nur ab und zu einen vollbehängten Tannenbaum bei Tage und bei einem Nachbar; zu ihm ist das Christkind nie so gekommen.

»Geh nur hin«, rät der Gaberl und schiebt das Dirnlein vorwärts. »Geh hin, vielleicht ist auch für dich etwas dort.« Er fühlt sich ob seiner Entsagung zugunsten der Fremden um Jahre gewachsen und seines Alters voraus.

»Geh her!« mahnt auch die Mena. »Ich mein', das hier hat das Christkind für dich hergelegt.«

Da zwängt sich ein heiserer Aufschrei aus der Brust des Kindes, und die hellen Tränen drängen sich in seine Augen. Für es und in der Wildfremde! Es kann die Botschaft nicht glauben, es fühlt und glaubt die Wirklichkeit erst, als es die buntbemalten Lebzeltenstücke in den zitternden Händen hält.

»Vergelt's Gott tausendmal!« stammelt es dann und schaut und staunt von Neuem am Scheine der Lichter.

Dem Christoph und der Mena ist es in diesem Augenblicke, als stände der Herrgott selbst neben ihnen und raunte ihnen Verstohlenes ins Ohr: Was ihr dem Geringsten unter euch tuet, das tut ihr mir. Und eine Freude und eine Wonne schleicht um ihr Herz, als ständen sie mitten im Paradiese und nicht in der engen Stube der Geldweberhäuschens.

Dann langt der Christoph nach dem alten Gebetbuche und betet das Weihnachtsevangelium vor.

»In jener Zeit ging ein Befehl aus vom Kaiser Augustus, das ganze Reich zu beschreiben ... Und es ging auch Joseph von Galiläa, von der Stadt Nazareth nach Judäa in die Stadt Davids, und es kam ein Kindlein zur Welt, das der Welt Heiland werden sollte. ... Und eine Menge himmlischer Heerscharen lobten Gott und sprachen: ›Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind!‹«

Hierauf bläst die Mena ein Licht ums andere aus und zündet wieder die Lampe an, und im Dufte der Wachskerzen und des dunstenden Lebzeltens sitzt man um den Tisch herum, und die Kinder reden und wundern, und selbst das fremde Kind wird nach und nach redselig und lässt seiner Freude Raum nach außen hin.

Die Mena hat ihren Arm auf die blank gescheuerte Tischplatte gelegt, und ihres Mannes Hand hat sich unvermerkt auf die ihre gelagert, und so sinnen sie in ihrer Weise still vor sich hin und meinen, das andere drüben müssen das Sinnen und Grübeln auch hören und verstehen, das hüben durch Kopf und Herz zieht wie ein lichter Sonnenstrahl durch eine maigrüne Gegend.

*

Den ganzen Christtag über schneit es, dass schier eine Schneeflocke die andere bei einem der sechs Zipfelchen hält, und der Leute sind nicht gerade viel, die durch die Schneemengen zu Tale waten zur Kirche, trotzdem an so einem Festtage niemand gern daheim bleiben will. Aber gen Abend wird das Wetter überlings milder, der flaumige Schnee wird weich und sitzt in sich zusammen, und als sich in der Nacht der Wind wendet und von Osten her eine leichte Gefrier mitbringt, trägt der Horst wie eine gutgebühnte Tenne.

Im Schönbergerhofe putzt und striegelt der Knecht in aller Frühe an den Rossen herum und richtet den Schlitten her, denn der Bauer will wider alle hergebrachte Gepflogenheit einmal zu Kirche fahren. Nun, seinetwegen schon; er tut seine Arbeit, und das andere geht ihn nichts an.

»Die Bauernluder treiben's jetzt trotz einer Herrschaft«, tadelt die Großdirn. »Solang' ich denk', ist aus dem ganzen Schönwinkel noch niemals einer in die Kirche gefahren, derweil der Himmel mühselig verdient sein will, aber der Lipp bringt jetzt einen andern Brauch auf.«

»Leicht tut er es nur, dass das Studentlein nicht zu gehen braucht«, mutmaßt die Kleindirn. »Für das Zuckerstangel werden sie schon noch ein eigenes Trüherl machen lassen.«

»Früher denn nicht«, gibt der Knecht bei. »Pflanz machen mit dem Kunden! Nun, geraten hat er schon, er braucht bloß mehr gut zu tun, nachher wird schon das richtige Früchtel daraus.«

Nach der Morgensuppe wird eingespannt, und der Bauer und sein Student fahren zu Tale. Wie mit dem leibhaftigen Sausewind geht es über die festgefrorene Schneedecke dahin, und die Rosse dampfen und schwitzen, als sie in des Wirtes Stall geführt werden.

Männiglich schaut und staunt, als er Schönberger daher gefahren kommt, und oft einer sagt etwas, das nicht für des Lippen Gehör berechnet, aber der nimmt das Schauen und Staunen anders und bildet sich etwas ein auf seinen Einfall.

Nach der Messe setzen sich ein paar zusammen in den Ofenwinkel und reden und schwatzen von dem und jenem, was gerade im Interessenkreise der Bauernleute liegt, und dazwischen fragt und erzählt auch wohl der eine oder der andere, was die Zeitungen von dem großen Kriege schreiben, wie die Sachen wohl stehen und enden mögen und dies und das, und des Kleebointners Inmann fragt sogar einmal den jungen Lipp, den Studenten, was man in der Stadt alles höre und erzähle.

Aber was weiß der von dem Völkerstreit und dem Krieg? Er gibt stattdessen in seiner großsprecherischen Weise zum Besten, was er nun schon alles lernen müsse und lernte, und der alte Lipp nickt in einem dazu.

»Eh' schon ein halber Doktor«, lächelt er nachher. »Das ist grenzenlos, was in einen Menschenkopf hineingeht; aber sel begreif' ich nicht, dass sie zwölf Jahr' studieren müssen, zwölf Jahr'. Ein Jahrl oder zwei, nachher – meinet ich – langet der Kund schon überall hin.«

»Dass halt nicht ein jeder dazu kann«, mutmaßt der Roteisenbauer. »Denk' dir: Wenn sel so leicht ging, nachher gäb' es lauter Doktoren, lauter Avekaten und solches Gesakert auf der Welt, und keinen arbeitsamen Menschen fändest nimmer.«

»Ob der Geldweber den seinen durchbringt?« fragt der Ster-Bockel.

»Der bettelt sich durch«, nickt der alte Lipp. »Aber sel wär' schon mein Letztes.«

»Betteln?«

»Ja«, bestattet der junge Lipp und erzählt in etwas abfälliger Weise, wie es mit den sogenannten Kosttagen ist.

»So ja, so ja. Nun ... was will einer tun, der nicht fliegen kann und nicht schwimmen? Gehen muss er ... Wenn der Bub ein gutes Gemerk' hat, kann er ein richtiger Herr werden. Schadet oftmals nicht, wenn ein Herrenleut weiß, wie kiersauer die Armut ist.« So des Kleebointners Inmann; aber der Schönberger nimmt die Rede anders, als wie sie gemeint.

Er schafft für sich und seinen Buben ein Mittagessen an, und nachher rücken ihrer sechs zusammen und tun ein »Bauernspiel« – Einundzwanzig mit einem Viertelgulden Einsatz. Das ganze Kartenspiel übereinander ist ein Lumpengespiel, sobald um Geld oder Geldeswert gespielt wird, und es bleibt sich vollkommen gleich, wer es spielt, der Bauernknecht, der um Kreuzer spielt, der Bauer, der einen Viertelgulden setzt, und der »hochgeborene« Mensch, der ein Vermögen auf den Spieltisch wirft. Der Lipp ist trotz seiner Hängohrigkeit ein recht schlauer und hinterlistiger Spieler, aber heute ist ihm das Glück abhold, und er verliert nahezu drei Hunderter.

Der junge Lipp merkt wohl, dass sein Vater nicht gerade gewinnt, aber um wie viel es nach und nach fehlt, sel kennt er nicht, trotzdem trägt ihm der Alte im Heimfahren auf, nichts zu sagen von dem Spiel.

»Wenn eins sagt, was wir den Tag über getan, so sagst, wie haben halt so geschwatzt mit den andern Leuten«, rät er an. »Es braucht niemand darum zu wissen; wir sind wir ... Wie Bräunel! Teuxelsvieh! Wo gehst denn wieder um? ... Wir sind wir«, wiederholt er nachher wieder in etwas schwerfälligerer Weise denn sonst. Das Spiel hat ihm höllisch warm gemacht, und er hat in seinem Ärger nach Durst getrunken. »Wir zwei halten zusammen, gelt? Die Mutter ist auch so eine Knauschen (zänkisches Weib) und reibt mir's jeden Tag um die Nase, dass ich auch was gesagt, wie selmal der Sepperl ertrunken ist. Sie hat die Schuld, kein Mensch sonst, sie ist daheim gewesen bei ihm. Und weil ich sel gesagt hab', ist der Teuxel oben auf dem Baum. Aber ich ... Wir zwei halten zusammen. Der Jakoberl ist auch keiner ... ist keiner ...«

Damit ist sein Redefluss vertrocknet, und er sagt nichts mehr, bis sie in den Hof einfahren und der Knecht die Rosse ausschirrt und in den Stall führt.

»Habt euch aber hübsch lang verhalten«, tadelt der alte Schönberger, während die Bäuerin schweigend den Tisch deckt und das warmgestellte Essen aufträgt. Allem Anscheine und ihrem Geschau nach ist ihr etwas nicht recht.

»Geht halt so«, sagt der Lipp darauf und schupft die Schultern. »Der ist dort und der auch, und man redet und schwatzt, und der Tag ist um diese Zeit rein mehr eine Spanne lang.«

»Hat dich nicht gefroren?« erkundigt sich der Jakoberl bei dem Bruder und hilft ihm den Mantel ausziehen.

»Meinst, ich wär' auch so ein Gefrierling wie du?« gegenredet der geringschätzig.

»Ich hab' fein den ganzen Nachmittag über Schlitten gefahren, und es hat mich nicht gefroren«, verwahrt sich der Jakoberl hastig wider den Vorwurf des Gefrierlings.

»Mit dem Gelumpe muss man sich rein noch zu Tode ärgern«, stößt da die Bäuerin hart und ärgerlich heraus, stellt sich vor den Tisch hin und stemmt die Arme in die Hüften.

»Mit wem?« fragt der Lipp gleichmütig und macht sich über das Essen.

»I, Kindergetu'!« macht es der Alte leichthin. »Wenn sich eins unter das kleine Gevölk mischen wollt', dasselb' würd' nie fertig mit Ärger und Zorn. Heut' schimpfen sie einander oder raufen, und morgen gäben sie eins für das andere ihr Leben.«

»Hört mir auf!« schreit die Bäuerin förmlich auf. »Da steckt sonst was dahinter.«

»Was hat's denn nachher gegeben?« der Lipp hält im Essen inne und schaut sein Weib neugierig und überrascht an. Wenn sie sich so erbittert, muss was vorgefallen sein.

»Stell dir nur gerad' so ein ... so eine Bissigkeit vor!« sprudelt sie nun heraus. »Nach Mittag fahren die Nachbarsbälge vom Berg herunter Schlitten, der siebengescheite Pfaff, das halbnärrische Ding und der Bettelfransen, den wir am Heiligen Abend davongejagt. Soll sich jetzt drüben aufhalten, so viel man hört. Und der Jakoberl, der Tatsch, nimmt auch seinen Schlitten und geht ihnen zu, dass sie ihn schimpfen können. »Wie haben sie gesagt?« wendet sie sich an den Buben, um sich gleich auf den Hauptzeugen berufen zu können.

»Ich hab' ihnen nichts tan«, versichert der. »Aber der Gaberl hat mich nicht mitfahren lassen wollen und ... wie ich sie geschimpft hab', hat er gesagt, wir wären halt eins wie das andere. Der Ähnl hätt' auch seine Mutter ausgestohlen.«

»Hörst es?« schreit die Bäuerin wieder heraus. »Wo kommt so ein Schwatz her? Von dem Alten, von sonst niemandem.«

»Mm!« macht es der Alte etwas verlegen. »Der hat geschimpft, der auch, und was verstehen denn Kinder?«

»Aber reden können sie, was sie hören«, ereifert sie sich. »Ausgestohlen! Lasst Ihr Euch das gefallen?«

»Mein'!« macht es der Alte geringschätzig und schupft die Schultern. »Ich bin mein Lebtag noch nicht bei Gericht gewesen, ich renn' wegen einem unguten Wort nicht dorthin, wo sie »Recht« sprechen, ich nicht. Und nachher ... ist's doch am End' so, dass eins nicht recht sagen kann, so oder so.«

»Ich mein' gar, Ihr ... sattelt um«, entsetzt sich die Bäuerin.

»Du ... du ... Sel wär' gerad' meine Sach'«, gibt der Alte zu verstehen. »Was wir haben, sel haben wir durcheinander ...«

»Nachher wären wir zwei fertig«, droht sie.

»Wär' auch nicht über den Himmel hinaus gefehlt«, brummt er zurück. »So hab' ich es überall wie bei Euch da. Wär' mir überhaupt so eine Mode die letzte Zeit her! Heut' geht's schon den ganzen Nachmittag so fort: das Geflank', das Gelump' und soundso. Weißt, wer das Gelump ist? Deine Freundschaft ... Und mit solchen Reden dass mir niemand mehr kommt.« Er zieht die Zipfelhaube über die Ohnen herunter und geht zum Inmann hinüber.

So ärgerlich und so aufgeregt ist er schon lange nimmer gewesen wie heute, und so viel und so entschieden geredet hat er auch hübsch eine Weile nimmer. Es ist wohl nicht die Menge, die er vorgebracht, denn was zwischen den einzelnen Sätzen liegt, muss sich bei ihm eins gewöhnlich denken, aber langen tut es überall hin, was er gesagt, zumindest ihm.

Das ewige Fortgreinen und Fortschimpfen! Steht nicht dafür, dass eins auf die Erde niederlangt darum, und so ein Aufheben machen davon! Wenn der Geldweberbub die Red' getan hat auch, was liegt denn viel an einem Kinderwort? Aber nachher in einem Zuge schimpfen über Geflank' und Gesindel und solches Zeug, sel ... gehört sich nicht. Wer ist das Geflank'? Sein Dirndl und deren Sippe. Und wenn sie schon jahrelang in Zwist und Trutz leben mitsammen, sein Blut ist's, das ein Gelumpe sein soll, und recht ist's ihm nicht, wenn also geschimpft wird.

Beim Inmann drüben setzt er sich an den Tisch hin, stützt den Kopf in die arbeitsraue Hand und loset seiner Gewohnheit nach so vor sich hin, was die Leute reden und tun, und keines wundert sein Gehaben, weil man es von ihm nicht anders gewohnt ist.

*

Am dritten Weihnachtsfeiertage, dem Hanstage, kommen nach Mittag der Kronwitterne und dessen Bub, der Sepp, und der alte Kalmann zum Geldweber auf ein Pläuschchen.

»Nun, Herr Pfarrer, wie geht's?« lacht der Kalmann schon zur Türe hinein. »Gehört hab' ich, dass du wieder einmal heimgeschaut hast.« Der Pfarrer geht den Gaberl an, und der wird über und über rot und zeigt dem Alten die Bücher, die er sich mit heimgenommen, und sagt auch, was alles sie schon gelernt hätten.

»Und das kannst alles?« wundert der absichtlich.

»Alles«, bestätigt der Bub.

»Das lässt sich ja gar nicht übel an. Nur nimmer auslassen nachher!« rät er dann. »Von den ersten einer willst werden? Schau', das freut mich, und wenn d' es bist, wird's mich noch mehr freuen, dass das Bäumel so schön wächst, das ich abgepelzt hab'. Wirklich wahr. Und dass ich dir sag: Sel merk' dir: Wenn einer bis zu drei Vierteilen hinauf will auf eine hohe Leiter, derselb' muss allweil nach dem oberen End' zielen, nachher langt ihm die Kraft. So ist's bei allem. Nur allweil zu höchst hinaus, nachher wird's halbwegs etwas.«

»Mmm!« macht es der Kronwitterne zweifelnd. »Hat nicht allemal viel Wert, wenn einer gar zu hoch hinaus will.«

»Wie es halt passt«, bescheidet der Kalmann gewichtig. »In den Stücken, die ich mein', passt die Lehr' wie abgeschliffen ... Was hast denn da für ein Dirndl?« wendet er sich nachher an die Mena. »Wem gehört denn das an?«

»Das weiß sie selbst nicht«, erzählt sie. »Am Heiligen Abend hat sie der Christoph auf der Gred draußen funden, wie man ein halberfroren und weggeworfen Katzel findet, und weil auf die Weis' nichts würd' aus dem Kind, lassen wir es da, bis es sich verdingen kann.«

»Davon hab' ich gestern schon beim Kleepointner drunten reden hören«, brummt der Kronwitterne. »Haben ein paar so geredet, und ich hab' mir denkt: ich tät' es nicht.«

»Was ihr dem Geringsten unter euch tuet ...« erinnert der Kalmann.

»Gerad' so haben wir uns auch denkt«, sagt der Christoph. »Wenn sich gar keins erbarmen täte über so ein armes Schaf, was müsst' denn daraus werden?«

»Wahr ist's ja«, bestattet der Konwitterne, »aber das andere ist auch wahr: Was soll ich mir ein Kreuz aufheben vom Weg, wenn ich nicht weiß, wie mich das meine noch martert? So sagt da und dort einer, und mancher sagt auch mehr ... Von mir aus tut ein anderer, wie er tun will, aber so denkt sich nicht ein jeder. Der Hofweber, der Isidori, hätt' mich schon bald geärgert mit seinen spitzen Reden. Der kann dir's herausbringen!«

»Ist der auch unten gewesen?«

»Der hat gestiftet.«

»Gestiftet? Was? Wo?« wundert die Mena.

»Was stiftet denn einer am Stefanstag?« erinnert der Kronwitterne. »Eine Herberg' halt. Zum Kleepointner komme er ins hintere Inhäusel.«

»So?« macht der Christoph gleichmütig. »Aber ich mein', er hätt' auch besser stiften können, wenn er im andern Tal drüben gestiftet hätt'. Hüben reicht die Weberei kaum einem zum ständigen Verdienst.«

»Er will dich trocken setzen, sagt er. Von jeder Elle rechnet er einen Kreuzer weniger.«

»Ich geh' mit dem Weberlohn nicht zurück«, nimmt sich der Christoph vor. »Und ich mein', ich werd' keine Kundschaft einbüßen.«

»Ein Elend heutigtags!« nickt der Kalmann. »Wo einer hingehörte, sind fünf und sechs, und einer tut dem andern zum Trutz, was er nur kann. Da ist's wirklich, als wenn Kriege sein müssten, um die Leut' weniger zu machen.«

»Wie kommen aber die dazu, die dort umgebracht werden?« wendet die Mena ein.

»Mm!« macht es der Kalmann. »Geht halt so ... Jetzt stehen die nord- und süddeutschen Regimenter schon mitten in Frankreich drinnen, und der Franzos' liegt auf der Erd'. Das meiste ist vorüber, und man wird bald hören, was herausspringen wird aus dem Schachterl. Wenn sie nur nicht wieder recht gescheit sein wollen!«

Nun das Gespräch auf den Krieg gebracht, hält es sich in diesem Geleise, bis es zu nachten beginnt. Der eine rät und meint so, der andere anders, und zum Schlusse kommen sie gar darauf, wie es wohl da ginge, wenn irgendein Krieg sich über den Wald daherzöge und in den Schönwinkel herein, und wer da der Verspielte wäre, der oder jener.

Ist wohl ein recht leerer Schwatz, aber die Zeit vergeht auch dabei, und man kann sich ein bissel ereifern und abstreiten und zum Scheine so tun, als wenn man auch etwas anders tun dürfe, denn Steuern und Abgaben zahlen und gehorsamen.

»Der will uns trocken setzen«, sinnt die Mena, als die Besucher fortgegangen, und der Christoph versteht sie vom ersten Wort an. »Von jeder Elle rechnet er einen Kreuzer weniger ...«

»Soll er«, stößt der Christoph ärgerlich heraus. »Meinetwegen arbeitet er ganz und gar umsonst; was frag' ich danach? Und wer bei ihm wirken lassen will, der soll seine Gespunst nur hintragen. Ich rechne nicht mehr und nicht weniger als all die Zeit her, und ich komm' keinen an um Arbeit.«

»Zuwider ist's halt doch«, seufzt sie leicht und geht ihrer Arbeit nach, während Christoph mit dem Buben über die und die Verhältnisse in der Stadt redet und schwatzt, dabei aber doch zeitenweise des sich einnistenden Wettbewerbers gedenkt.


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