Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Durch das niedere Tor der kleinen, nur mit einem einfachen Holztürmchen versehenen Dorfkirche wallen die Kirchgänger auf den mäßig großen, mit schattigen Ulmen umsäumten Dorfplatz und sammeln sich dort zu größeren und kleineren Gruppen. Das Weibsgevölke hält sich wohl nur so lange, als es zum Sammeln zu gemeinsamem Heimgange braucht oder bis eine Nachbarin beim Krämer dies oder jenes besorgt und eingekauft, aber die Männerleute stehen schon länger beisammen, besonders wenn das Wetter so schön passt wie heute.
Auf dem Platze vor der Kirche lässt der Bürgermeister durch den Polizeimann alle die Gemeinde betreffenden Kundmachungen ausrufen, unter den Rüstern werden Gemeindeangelegenheiten besprochen und beraten, Neuigkeiten erzählt, Käufe und Händel angebahnt und fortgesetzt, mitunter auch abgeschlossen, und es wird auch allerlei Scherz und Spaß geredet, wie es halt die Zeit und die Verhältnisse mit sich bringen.
Heute redet fast männiglich von dem Kriege, den die Ränke und Pläne der Kaiserin und einiger ebenso gearteter Männer in einflussreichen Stellungen über das Nachbarland heraufbeschworen und von dem die Zeitungen schon Nachrichten über die ersten Kämpfe auf den Spicherer Höhen und bei Weißenburg gebracht.
»Lässt sich nicht schlecht an«, meint der Ster-Bockel und zieht an seiner Pfeife, als hätte das Rohr gar keine Bohrung. Sind halt doch noch Fäust daheim auf deutschem Boden, die was einen Zug haben und Gewicht.«
»Leut' sollen sein, dass es gerad' aus der Weis' ist«, erzählt der Rosenbauer. »Ist schon geredet worden, wie viel tausend und tausend dass die deutschen Soldaten im Feld haben. Und alles tät' sich melden. Ich bin unlängst draußen gewesen im Bayerischen auf einen Viehhandel, und da haben steinalte Scherben so getagt (streiten), sie wären als Alte noch da, wenn es sein müsst', und wenn die Jungen zu wenig würden. ...«
»Sollen ja von unsern Studenten einige freiwillig dazu gegangen sein, hat der Doktor erzählt«, berichtet der Bäck.
»Und die Franzosen haben gerechnet, dass wir wegen den sechsundsechziger Jahr dem Preußen in den Rücken fallen«, sagt ein dürrhaariger, untersetzter Mann mit schier viereckigem Kopfe, graugesprenkeltem Haar, glattgeschorenem Gesichte und buschigen Augenbrauen, der alte Schönberger. »Hätt' aber Ernst braucht, sel Ding, mein' ich.«
»Kann schon sein«, stößt der Bäck bedeutsam heraus. »Sind allweil noch Leut' darunter, die im Achtundvierziger Jahr ein Bandel tragen haben, das man heut nicht gern sieht.«
Da kommt der Pfarrer vorüber und tupft dem alten Schönberger gelinde auf die Schulter.
»Hättet Ihr nicht ein bissel Zeit, Seeböck?« fragt er. »Muss nicht gleich sein, in einem Weilchen vielleicht. Ich hätt' ein bissel was zu reden mit Euch.«
»Ganz gut, Herr Pfarrer«, nickt er und zieht wie alle andern den Hut vom Kopfe. »Ich komm in den Pfarrhof ... in einem Weilchen.«
»Gerad' auf ein paar Worte.«
»Wenn's auf eine Stund' ist oder zwei; ein Leibtummann (Ausgedinger) hat Zeit.«
Der Pfarrer geht vorüber, und nachdem jeder seinen Hut wieder aufgesetzt, reden die Männer weiter, wie sie es verstehen, wie sie reden und erzählen gehört und wie sie selbst es sich zurechtlegen. Hernach gehen die meisten ins Wirtshaus hinüber, und der Schönberger stampft dem Pfarrhofe zu.
Schon im Hausflur des Pfarrhofes nimmt er seinen Hut ab und pocht nachher so linde an die Tür, als er kann, aber es ist trotzdem noch, als wenn einer mit hübsch einem Steinchen daranschlägt.
»Herein!« ruft der Pfarrer drinnen, und er geht hinein.
»Gelobt sei Jesus Christus!« grüßt er. »Jetzt kann's halt losgehen.«
»Setzt Euch nieder!« lädt der Pfarrer ein, und der Alte lässt sich nach einigen sträubenden Redensarten auf den dargebotenen Stuhl nieder.
»Wie geht's allweil?«
»Mein'! Wie geht's denn bei und Bauernleuten? Alle Händ' sind allweil voll Arbeit den ganzen Sommer, und wenn der Herrgott den Rasttag in der Wochen nicht eingesetzt hätt', wo man sich auch besuchen soll und an ihn denken, ich mein', es wär' denselben Tag auch keine müßige Stund'.«
»Es ist halt alles so eingerichtet, dass es nach allen Seiten hin recht ist, gelt: eine Zeit zu dem, eine Zeit zum andern. Und das Wetter ist auch so«, beginnt der Pfarrer langsam auf sein Ziel zuzusteuern. »Heut' regnet's, morgen ist es schön, übermorgen kommt ein Wetter und hagelt oftmals, und nachher folgt wieder der schönste Tag. Nur die Leut' sind zumeist nicht so ...«
»Gibt schon einige, Herr Pfarrer, die rechte Waschkitteln sind«, widerredet der Schönberger. »Heut so, morgen so. Wie sie sich halt ausgeschlafen haben.«
Wie einer ist, so denkt er. Was lässt sich auf so eine Rede sagen? Er hat wollen einen Ansturm unternehmen gegen Trutzköpfigkeit und gleichwertiger Eigenschaften, und der Mensch kommt gleich mit Waschkitteln daher. Von manchem Standpunkte aus mag ja ein fester Wille und ein unbeugsamer Sinn recht und gut sein, aber wieder in anderen Stücken soll eins nachgeben und nachgeben können. So wär' es das Rechte.
»Hat alles seine guten und bösen Seiten«, sagt er nach einigem Nachdenken. »Ich mein', der Mensch soll unentwegt gerad'aus gehen, wenn er den rechten Weg hat, und er soll sich auch nicht schämen umzukehren, wenn er auf einen unrechten Steig geraten.«
»Wird auch keiner so ... so ... unüberlegt sein, bald er es kennt.«
»Bei der Red' hat' ich Euch, Seeböck.«
»O ja, Herr Pfarrer; ich bin bei jedem Wort zu nehmen. Was gilt' nachher?«
»Schaut, Seeböck! Wird so ein siebzehn, achtzehn Jahr her sein, seit ich hierher kommen bin als Pfarrer, und gutding so dreizehn, vierzehn Jahr ist's, seit Ihr mir in einem Stück nicht recht gefallt ...«
»Das wär', wenn man fragen dürft?«
»Das unchristliche Verhalten gegen Eure leibliche Tochter. Wo doch die denkbar nächste Verwandtschaft vorhanden ist und wo die lauterste Lieb' herrschen soll, da steht der ledige Hass und Zorn dazwischen ...«
»Über sel Ding reden wir nicht«, lehnt der Schönberger eine diesbezügliche Erörterung schlankweg ab. »Das ist geschehen, und ... aus ist der Tanz.«
»Ich red' aber trotzdem, weil es mir zusteht und weil es meine Pflicht ist«, besteht der Pfarrer. »Nehmen wir an, die Mena hätte wirklich groß Unrecht getan, und Ihr hättet Grund gehabt zu höchsten Entrüstung, darf da wirklich kein Ausgleich und keine Verzeihung mehr sein? Wenn der Herrgott so wär' und niemals mehr verzeihen würde, wenn sich einer aufgelehnt wider seinen Willen und sein Gebot, – wohin käme denn da die Menschheit? Und gar so weit wird's nicht gefehlt gewesen sein. Eure Tochter ist glücklich, so viel man kennt und erfährt, und das ist schließlich immer die Hauptsache. Nicht Geld und Gut schaffen Glück, sonst wäre das arme Volk auch allweg unglücklich. Und inmitten von Reichtümern liegt oft das Unglück wie eine giftige Schlange in einem Haufen Leckerbissen, wo jedem ekelt vor jedem Bissen. Und der Herr sagt: Wer seinem Bruder nicht verzeiht, dem werde auch ich nicht verzeihen. Folgt mir, Eurem Seelsorger, und reicht Euch einmal die Hände, in denen das gleiche Blut rinnt, versöhnt Euch und lebt fürder mitsammen wie Vater und Kind nach dem Willen des Höchsten.«
Er setzt ab in seiner Rede und erwartet augenscheinlich eine Äußerung, aber der Schönberger sieht unentwegt auf die Stubentüre zu seinen Füßen nieder und sagt nicht so, nicht so.
»Folgt mir!« mahnt und bittet der Pfarrer wieder. »Schaut, was sollen sich der Mena Kinder von ihrem Großvater denken? Besonders der Bub, der Gaberl, hat so einen hellen und klugen Sinn, dass ihm das unselige Verhältnis gewiss zeitenweise Anlass zum Nachdenken geben muss. Als was für ein Mensch muss ihm der Großvater vorkommen?«
»Mm!« macht es der Schönberger geringschätzig.
»Nicht mm!« widerspricht der Pfarrer hastig. »Wisst Ihr, was es heißt, einem Kinderherzen böses Beispiel zu geben? Und so Gott will, soll der Bub einmal ein Geistlicher werden, wenn ... sein Vater bis zum guten Ende die Zahlungen erschwingen kann. Meint Ihr, dass dies möglich sein wird?«
»Was weiß ich?« stößt der Schönberger unwillig und unwirsch heraus und dreht seinen Hut so, als wollte er ihn schon alle Augenblicke aufsetzen und nachher gehen. »Was gehen mich andere Leut' an?«
»Andere Leut'?« tadelt der Pfarrer. »Mit lauter solchen Reden, wenn Ihr mir kommt, werd' ich unwillig ...«
»Ich bin schon vor dreizehn, vierzehn Jahren unwillig worden ...«
»Seeböck! Könnt Ihr denn Euren Dickkopf gar nicht abschrauben? ... Lasst Euch noch was sagen! Ihr habt Geld; greift Eurem Enkelkinde, dem der Herrgott so ein wunderschönes Talent gegeben, unter die Arme und helft, dass es sich eine seinem Talente entsprechende Stellung erringen kann ...«
»Ich hab' kein Geld mehr«, wendet der Schönberger hastig ein. »Hof und Geld, alles hat der Lipp ... Übrigens kann ich mir ... die Sach' ja so ein acht Tage über daheim übersinnen«, flüchtet er nachher aus, hebt sich fast überstürzt von seinem Sitze und geht mit kurzem Gruße von dannen. Wenn er nur einmal auf gute Art draußen ist, zu so einer Zwiesprach' kriegt ihn der Pfarrer eine hübsche Weile nimmer.
Der Pfarrer schüttelt eine Zeitlang den sich schon mählig verfärbenden Kopf und denkt sich etwas über solch' dickschädelige und herzlose Leute, und der Schönberger stapft so eilig gen Berg, als rennte ihm einer nach, der ihn wieder zurückholen wolle in die stille Pfarrerstube, wo so sonderbare Reden fallen können.
Eine Dummheit vom Pfarrer, dass er sich in solche Sachen mischen will und mag. Was geht es ihn an, wie er, der Schönberger, mit seinem unfolgsamen, dickköpfigen und eigenwilligen Dirndl steht? Seinem Dirndl? Sel ist auch schon lang' nimmer wahr. Er hat einmal seine Meinung gesagt, und bei der bleibt es, er hat im Geldweberhäusel kein Kind. Wozu nachher der Schwatz? ... Aber ins Gewissen kann er einem reden, wenn er mag, das muss ihm schon jeder lassen. Mit jeder Farb' käm' er daher, es wär' so weit nicht gefehlt gewesen, die Mena wär' glücklich. Soundso hätt' der Herrgott gesagt und dies und jenes, und wenn einer ein bissel ein weiches Herz hätt', den brächt' er auf seinen Weg. Aber er, der Schönberger, ist der Schönberger und bleibt es, und was er einmal gesagt, sel gilt. Daran beißt die Maus keinen Faden ab ... So, ein Pfarrer sollt' der Bub werden, weil er so ein schönes Talent hätt'? Kann eh' sein, dass er ein heller Kopf ist; er braucht gerad' nur der Mena nachzugeraten, so ist er ein richtiger Schönberger. Teuxel übereinander! Eine blitzdumme Spekulation! Sie könne sich keins wegleugnen von ihm und er nicht von ihnen; es ist allweg das gleiche Blut, wie der Pfarrer gesagt hat. Da könnt' sich früher noch der Lipp wegleugnen, der im Ganzen die Art hat, wie seine Mutter – der Herrgott gib ihr die ewige Ruh! Gerad' um die Halbscheid' dümmer ist er.
So sinnt und grübelt er dahin in währendem Gehen, und als er so die halbe Hänge hinan kommt, hat er sich so weit vergrübelt, und seine Gedanken haben sich so ineinander verflochten und gleichsam zum Stricke zusammengetan und ihn in eine Ecke gedrängt, dass ihm der Einfall kommt, um allem Gerede und allem Weiteren auszuweichen, gibt er der Mena ihr gebührendes Heiratsgut, und davon soll die den Buben studieren lassen. Aber in den andern Stücken bleibt es, wie es bislang gewesen. So braucht er keine anzüglichen Reden mehr anzuhören, und er bleibt doch der Schönberger.
Als er heimkommt, legt er Hut und Joppe ab und setzt sich bis zum Mittagessen zur Immhütte hinaus, schaut den fleißigen und emsigen Tierlein zu und lässt seinem Sinnen freien Lauf. Über den Feldern trillern die Lerchen, im Geäste des Mostbirnbaumes krächzen ein paar Stare, vom Stalle her klingt ab und zu das Schellengeläute einiger fressender oder wiederkäuenden Rinder, und im Nussbaume über der Immhütte schwegelt ein Gartenspötter; sonst ist alles still und sonntäglich ruhig um und um. Und dies ist gerade so die richtige Zeit zu stillem Grübeln.
Ein paar Male schweifen seine Blicke hinüber zum Geldweberhäusel und von dort gen das jenseitige Gehänge, wo der Roteisenhof liegt. Dort könnt' heut' die Mena als Bäuerin leben und werken, wenn sie gefolgt hätte, und wer wäre sie heut'? Der Roteisenhof ist hübsch einer der besten in der ganzen Gemeine, und seine Bäuerin tauscht mit keiner Stadtfrau. Was hat aber die Geldweberin, um das ihr eins neidig sein könnte? Darf heut' oder morgen der Flachs missraten, oder darf das Geschäft anderweitig aufhören, so sitzt sie halt da und kann dem Hunger ins Gesicht sehen oder Winter und Sommer im Tagwerk' herumrennen. Und da sollt' einer noch vergessen, verzeihen und wer weiß, was noch alles? O nein, Pfarrer, die Freundschaft hat sich aufgehört und ist abgestorben, und was gestorben ist, wird nimmer lebendig. Ihr Heiratsgut kriegt sie, und damit ist der Handel zu End'.
Der Jakoberl springt daher, schaut ein Weilchen an den Immen und richtet dann seine Botschaft aus: Zum Essen wär' es.
So geht er denn zum Mittagessen, und der Bub hängt sich an seine Hand und hüpft neben ihm her, vor der Haustüre aber bleibt er stehen.
»Ähnl, ich weiß was«, sagt er. »An sel würdet Ihr auch nicht denken; soll aber wahr sein.«
»Was weißt denn?«
»Was meint Ihr, das der Gaberl wird?«
»Was weiß ich?« lächelt der Alte. Der Bub ist sein Liebling, und da neckt er ihn, wo er kann. »Leicht gar ... auch ein Weber.«
»Nicht erraten. Etwas viel ... viel anderes. Ratet noch einmal!«
»Am End' ein Pfarrer?«
»Jetzt stimmt's. Aber das muss Euch wer verraten haben. Uns hat's der Gaberl heut' erst erzählt, und er hat gesagt, wir sollen nichts unter die Leut bringen derweil.«
»So ja ... derweil'.« Und er nickt einige Male hastig vor sich hin. Derweil'! Die Sach' scheint mit einem Male das Ansehen zu bekommen, als wär' sie fein abgesponnen. Er sollt' unter die Arme greifen, sagt der Pfarrer, und die Geldweberleut' wollen derweil' nichts unter die Leut' gebracht wissen, derweil' ... bis er zahlt. Könnt' am End' auch gerad' so ein Fangtrüherl sein. Wenn er einging und zahlet' das Heiratsgut!
Der junge Schönberger, der Lipp, betet schon das Tischgebet vor, als sie in die Stube treten, und als das letzte Amen heraußen, setzt sich jedes an seinen Platz. Nur der kleine Sepperl weiß noch nicht, wo er hingehört, zur Mutter oder zum Ähnl, und er hangelt sich auf die Bank zum Ähnl. Ist ein Kerlchen von so gegen zwei Jahren und, soweit eins raten kann, wird auch ein Schönberger aus ihm. Schon die trutzig zusammengezogenen Augenbrauen und die träumerischen Augen scheinen dies zu verraten.
»Was hat Euch denn heut' der Pfarrer gewollt?« fragt der junge Schönberger.
»Mm! Steht nicht dafür, dass man davon redet«, brummt der Alte. »Mir scheint, der Nachbar will seine Buben studieren lassen.«
»Das haben die Buben heut' auch erzählt«, fällt die Bäuerin hastig ein, und an der Rede merkt eins gleich, dass sie ein ganz ander Mundwerk hat als die ganze Freundschaft. »Mit was denn, frag ich.«
»Solltet Ihr leicht ...?« rät der Lipp, der Bauer.
»Mir scheint, ich sollt'«, bejaht der Alte.
»So? Da wär't Ihr gut genug?« lacht die Bäuerin spöttisch auf. »Da schau her! So gescheit wären die Leut'. Wenn Ihr einem was geben wollt, wir haben auch Buben.«
»Wir kunnten einen in die Studie geben«, nimmt der Lipp wie gewöhnlich den Gedanken seines Weibes auf, so wie ein kleines Kind die von einem andern sorgsam gekäute Speise zur weiteren Beförderung nimmt. »Die Sach' müssen wir einmal ausreden.«
»Der Jakoberl wär' so ein Kreuzköpfel«, neckt die Großdirn den Buben. »Wenn du ein Pfarrer würdest, nachher käm' ich zu dir als Köchin. Ich tät' dir alle Tag Küchel richten.« Küchel sind nämlich des Kunden Leibspeise.
»Möchtest du ein Pfarrer werden?« fragt der Alte.
»Wenn ich alle Tag' Küchel krieg', nachher gleich morgen.«
»Wenn einer fortkäm', so müsst' schon der Lippl fort«, entscheidet die Bäuerin kurzweg, und der Bauer nickt zustimmend.
»Was andere Leut' tun können, sel können wir auch tun. Dir ist's recht, Kathl.«
»Muss ich denn jedes Wort auf ein weißes Tüchel breiten, dass du es siehst?« stichelt die ihres Eheherrn langsame Auffassung an. »Was andere imstand' sind, tun wir allweil' auch. Muss halt der Ähnl ein bissel vorspannen.«
»Mm«, macht es der wieder und sinnt, wohin er am Ende mit dem Vorspann kommen könnte. Eh' einer etwas sagt, besonders was Geldsachen angeht, da muss er zuerst rechnen. So hat er es schon seit jeher.
Nach dem Essen richten sich die Ehehalten zum Fortgehen, die beiden Knechte gehen wahrscheinlich ins Wirtshaus hinunter, ein bissel zu kegeln, und die Dirnen gehen zu ihren Eltern heim. Der Alte holt seine Pfeife aus der Joppentasche und stopft sie behutsam. Den ganzen Heimweg über hat er nicht daran gedacht über lauter Grübeln und Sinnen, trotzdem er auf dem Gange ins Tal und zurück noch immer geraucht, aber jetzt denkt er daran, weil er sie braucht. Redet sich manches viel leichter, wenn man ein bissel tändelt dabei.
»Wie viel hätt' denn die Line Heiratsgut bekommen?« fragt er nachher ganz unvermittelt.
»Dreitausend Gulden, scheint mir, sind beim Heiratstag ausgesprochen worden«, bescheidet der Lipp. »Z'wegen was denn?«
»Kann schon sein«, erinnert sich der Alte. »Glaubst, dass ich schon anfang' vergesslich zu werden?«
»Wie kommt Ihr denn auf die alte Geschicht'?« fragt die Bäuerin wundernd.
»Weil ich im Heimgehen so geohrt hab': der Mena gibst auch ihren Teil, damit der Leut'schwatz aufhört. Oft eins mag mich darum anschauen, wenn es gleich nichts sagt davon, wo ich es hören könnt' ...«
»So dumm könntet Ihr auch noch sein!« entrüstet sich die Bäuerin, und beim Geschirrabtrocknen entgleitet ein irden Teller ihrer Hand und schlägt sich auf der Stubenbühne zu Scherben. »Da müsst' Euch noch jeder Narr auslachen.«
»Die nächste Zeit zahlt Ihr es aus!« fordert er den Jungen auf. »Ich will die Geschicht' im Gleichen und in der Ordnung haben.«
»Kunnt' ihm ja einfallen!« schreit die Bäuerin gellend auf und kommt mit in die Hüften gestemmten Armen zum Tische vor. »Nicht unterstehen, sag' ich. Die hätt' sich zuerst so stellen sollen, dass alles in der Richtigkeit abgangen wär', oder hätt' gleich sagen sollen: das und jenes krieg' ich. Könnt Ihr Euch leicht nimmer erinnern, was sie Euch für eine Botschaft zurückgeschickt hat? Und jetzt spännet Ihr so ein Garn? Nein, das wenn mir geschieht, nachher sieht keiner von Euch mehr ein gutes Aug' von mir.«
Damit ist die Angelegenheit vorläufig erörtert, wenigstens für den Alten. Er stochert eine Weile in der Pfeife herum, weil sie zu wenig Luft zu haben scheint, und geht nachher wieder zur Immhütte hinaus. Aber der Junge, der Lipp, bekommt noch manches zu hören, wovon ihm graut und gruselt, bis ihm auch so ist wie der Bäuerin: Keinen roten Heller für solche Leute!
Sie führt eine strenge Herrschaft, die Kathl, die Bäuerin im Schönbergerhofe, sel weiß männiglich um und um. Sie hat ein gutes Mundstück, und so beweglich wie ihre Zunge ist auch ihr Geist. Dieserhalb trägt sie von allem Anfange an schon bei jeder Gelegenheit den Sieg davon über die etwas schwerfälligen Männerleute im Hause. Vollends der Lipp geht in ihrem Zaum und Zügel wie ein gut abgerichtetes Ross.
Der Alte brummt zwar einige Male etwas von einem lästerlichen Leut, das den Schinder barfuß hat rennen sehen, vor sich hin, sinnt hin und wider und findet zum Schlusse die Ansicht doch nicht so uneben. Sie hätt' sich zuerst anders stellen sollen, die Mena, oder hätt' eine andere Botschaft schicken oder bringen sollen. Sie hätt' überhaupt folgen sollen. Aber nein! Wie sie sich's in ihren Dickschädel gesetzt, so hat es geschehen müssen, und alles Reden und Raten ist fruchtlos gewesen. Sollt' da nicht jedem so werden wie ihm?
Er sinnt und grübelt sich wieder in die nun längst vergangenen Zeiten und Verhältnisse hinein, frischt seinen Zorn und Ärger auf und kommt zuletzt auch zu dem Entschlusse: Nichts kriegt sie mehr, weil ... er kein Kind mehr hat, das Mena heißt.
Am andern Tag geht die Schönbergerin mit dem jungen Lipp nach Steinbrunn hinunter und redet eine Weile verstohlens mit dem Lehrer, und von der Zeit ab geht der Bub alle Tage zur Schule und muss nach derselben in des Lehrers Wohnung noch einmal lernen.
Das erzählt der Jakoberl einmal dem Gaberl, da sie beim Hüten zusammenkommen, aber der lacht dazu und meint, dem Kunden geschähe ganz recht, wenn er alle Tage nach der Schule sitzen bleiben müsse, weil er gar nicht lernen wolle.
Und dann bauen sie mitsammen einen Altar aus Steinen und Holzpflöckchen, und der Gaberl ist ein Pfarrer und hält eine Predigt, aber dem Jakoberl gefällt sie wohl nicht recht, und die Line merkt gar nicht auf, aber sie vertrösten sich, dass eben alles gelernt sein müsse. Bis er, der Gaberl, so groß wäre wie der Pfarrer in Steinbrunn, nachher würd' es wohl besser gehen.
Sein ganzes Sinnen und Denken bewegt sich in letzter Zeit nur mehr um das bevorstehende Studium und den Beruf, dem er voraussichtlich sein Leben weihen soll. Seine Einbildungskraft malt ihm die Stadt vor, wie sie es imstande ist, doppelt, selbst dreimal so groß wie Steinbrunn, das Kirchdorf, die Schule und die Schullehrer, die dort leben und wirken und das, was seiner Ansicht nach sein zukünftiger Beruf an Annehmlichkeiten auch naturgemäß Unannehmlichkeiten verbunden sind, dafür hat er noch kein Verständnis.
Er lernt, was ihm der alte Kalmann lehrt, und fühlt sich inmitten der Schönberger Einöde schon in ganz anderen Verhältnissen und in einem ganz anderen Leben.