Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

12.

Auf den Bärnstein lachten schier ein halbes Dutzend Sonnen herab, insonderheit aber durch alle Fensterluken von Meinrad Sündels Herberg'.

Vor dem Tische stand der Weber Dikel aus dem Städtlein unten, und auf dem Tische lag ein Stück Tischgradel mit etlichen zwanzig Ellen, so schön und sauber gewirkt, wie ihn nur die Schloßherrin auf Bärnstein hatte, sonst niemand im ganzen Erdenrund. Hinter dem Tische aber standen der Amtmann und Frau Hadwig, seine Eheholde. Des Amtmannes Gesicht mochte nur der Widerglanz der vielen Sonnen umflirren, aber Frau Hadwigs Gesicht strahlte wie eine der Sonnen selber.

»Wunderschön und zierlich«, lobte sie ein um das andere Mal und streichelte kosend mit der weichen Hand immer und immer wieder über das buntgemusterte Leinenzeug. »Wie kunstvoll gemalet, nicht anders wie aus dem Ei geschält und gemalet.«

»Gibt wohl eine Arbeit, bis man das Zeug alles hineinwirkt«, gab der Weber vorbauend zu bedenken. »Soundsoviel Schemmel, auf jeden Wurf und Faden achten ...«

»Und das hat wirklich noch sonst niemand wie Frau Gerlint, die Schloßherrin, und ich?«

Der Amtmann warf dem Weber einen abwinkenden Blick zu, und daher log dieser.

»Derweil noch nicht. Das war das erste Stück dieser Art, das ich Herrn Hillebrandt verkauft habe. Und der hat es wieder der Schloßherrin verkauft.«

»Kostet?« ging nun Herr Meinrad zum Geschäfte über. Des Wunderns war genug getan, und er wollte wieder zu halbwegs einer Ruhe kommen. Nach der Trübzeit der letzten Wochen deuchte ihn dieser Sonnenglast im Hause schier zu grell und blendend.

»Herr Amtmann, ich könnte auch den Preis nennen, den der Hillebrandt gefordert hat ...«

»Landräuber!« fuhr der Amtmann jählings auf.

»Aber ich tu es nicht. Soundsoviel zahlt mir der Kühwolf dafür, und ich verlange auch sonst nicht mehr.«

»Ja ... hat der auch schon so Zeug?« dehnte Frau Hadwig nun heraus; doch der Dikel hatte des Amtmannes Blick vorhin verstanden, und er log abermals.

»Noch nicht; aber er will es ... will es. Und ich bin ein ehrsamer Handwerker, der vom Verdienste leben muß. Also mache ich ihm auch eines.«

»Aber ja nicht so schön.«

»Man tut sich nicht immer diese Mühe an.«

Damit gab sich Frau Hadwig zufrieden, und der Amtmann zählte dem Weber das Geld auf den Tisch.

»Richtig?«

»Danke, Herr Gestrengen. Und wenn Ihr wieder einmal etwas brauchet ...« Dann trollte er von dannen und schmunzelte behaglich vor sich hin. Der gestrenge Amtmann mag sich mit seiner Eheliebsten wohl ein gülden Kreuz auf die Schulter geladen haben, doch tauschte er sein hölzernes nicht dafür. Güldene Kreuze sind auch Kreuze und ungleich schwerer wie andere.

Frau Hadwig lobte und lobte in einem Atem an dem wunderschönen Tischlinnen, das bislang nur die Schloßherrin hatte und jetzt auch sie, und nachher rüstete sie gleich übers Ausmessen und Zuschneiden. Sonntag war das Kirchenfest im Städtel und in der ganzen Pfarre, und wenn man vielleicht gar ... einen Gast bekäme oder nur etwen zur Heimsuche ... Mit dem Kirchenfeste aber kam ihr auch das neue Gewand wieder in den Sinn, doch war sie klug genug, dies nur von weitem herum anzudeuten, zumal ja kein Schneider imstande wäre, es die paar Tage über zu machen.

Herr Meinrad aber hörte den Wink leislich aus der Rede Freudenschwall klingen und zog sich in seine Amtsstube. Unwillkürlich fiel ihm der gereimte Stoßseufzer eines alten Lateiners ein, dem es vielleicht eben so ergangen haben mochte wie ihm, dem gestrengen Amtmanne auf dem Bärnstein.

Quae mala sint hominum rebus tria maxima, scire
Quaeris? Habe paucis: femina, flamma, fretum.
Freie Übersetzung: Nach den drei größten Plagen der Menschheit frägst du? Wisse kurz: Weib, Feuer und Wassernot.

Das Tröstlichste war nur, daß es manch anderem nicht viel besser ging. Herr Gangolf, der Bärnsteiner, sein Dienstherr, litt ebensogut am selben Übel wie er und tausend andere. Sogar die kaiserlich römische Majestät dürfte keine Ausnahme machen, was das Punktum Eins betraf, die femina ... Unter Feuer- und Wassernot hatten weitaus weniger zu leiden ... Der Hillebrandt ... War ein schlimmer Handel, den Herr Gangolf da gemacht, aber jetzt war es beinahe gut, daß er gemacht worden. Das Wetter hätte den Wieshof auch niedergebrannt, wenn er dem Bärnsteiner gehört hätte. Wird einen guten Strumpf Geldes kosten der Aufbau. Freilich: einige Beihilfe da und dorten, wie es der Brauch war. – Richtig: Herrn Gangolf mußte er auch noch erinnern wegen solcher Beihilfe.

Als der vom Weidgange heimkam, ging er zu ihm.

»Einige Bäume werden wir ihm wohl geben müssen«, riet er. »Auch etliche Bauern zum Scharwerk aufdingen.«

»Ist ein Wicht«, knurrte der Bärnsteiner verdrossen. »Hat mir ein Sündengeld abgenommen für ... für ...«

»Ist einer; doch schandenhalber müssen wir wohl eine Brandsteuer leisten. Man weiß nicht, wie man ihn einmal brauchen kann.«

»Also gebt nach Billigkeit und Gutdünken! Nur kein Geld, kein bares Geld! Das hat er ohnehin mehr wie wir ... Hat Frau Hadwig ihren Tischgradel schon?«

»Heute hat ihn der Weber gebracht.«

»Wieviel die Elle ...? Ein Landschächer Landräuber, ahd. scachari = Räuber.!« pfauchte er dann vor Ärger, als er den gezahlten Preis vernommen. »Kaufe nicht ein Salzkorn mehr bei ihm. Gibt andere ... Räuber auch noch. Aber die Brandsteuer weiset ihm zu! ...«

Daher stieg Herr Meinrad gen Abend zu Tale und ins Städtchen, um den Auftrag auszuführen und ... wieder einmal ein wenig unter die Leute zu kommen. Heute würde wohl Frau Hadwig nicht so arg murren, wenn ... der Hillebrandt gerade nicht daheim wäre und ... vielleicht in etlichen Wirtsschenken gesucht werden müßte. Auch nahm er zur Fürsorg' ein paar Troßknechte mit wider ein etwaiges Verirren auf den nachtfinsteren Ödheiden.

Die schickte er derweilen zum Balthes, bis er den Auftrag seines Herrn an den rechten Ort gebracht.

Herr Hillebrandt war ein klein Zeitlein vorher von der Brandstatt heimgekommen und hatte ein Geschau wie ein Mordbrenner. Nun hatte sich erst gezeigt, wie groß der Schaden war. Das war hin und verbrannt und jenes auch, und alles mußte nachgeschafft werden und kostete Geld. Die Wagen und der Hausrat waren wohl ausgebracht worden, aber was sonst an Kleinigkeiten noch im Hause gesteckt, die man sonst nicht achtet, die aber ein erklecklich Loch in den Beutel reißen, wenn man sie alle wieder kaufen muß. Außerdem hatte der Baumeister einen Preis genannt für den Wiederaufbau, abgerechnet alle Brandsteuer und alles Brandscharwerk, der ihn schier rücklings zu Boden geworfen. Eine Last Geldes. So billig dieser Hof sonst gewesen, so teuer wurde er nun. Es war wirklich, als wenn das nicht gefruchtet hätte, was er dem Bärnsteiner so nebenbei noch aufs Kerbholz geschnitten, da dieser weder rechnen konnte noch auch rechnete, sondern lediglich zu leihen und auf Borg nahm. Eine Last Geldes, die seine Geldtruhen hübsch leer machen wollte und die für eine gute Weile all' seine Fürnahmen und Anträge über den Haufen warf. Derweilen war es nichts mit dem Geldverleihen an den Kaiser und sonach auch nichts mit dem Adelsbriefe und allen den anderen Träumen, die sich darum geschart. Es hatte überhaupt den Anschein, als wollte es für ein Zeitlein mit gar nichts mehr etwas sein. Daheim die Not mit der Susel, im Rate den kürzeren Halm gezogen und alle diese ... ehrbaren Wichte wider sich, und jetzt auch noch ... diesen Stoß!

Herr Meinrad sprach erstlich für seinen Herrn und in gleichem Atem auch für sich das Beileid aus ob des Unglückes, das ihn, Herrn Hillebrandt, getroffen und meldete nachher gleich, welche Brandsteuer vom Schlosse zu erwarten wäre. In den nächsten Tagen würden die Bäume zugefahren werden, die sich wohl überall sehen lassen könnten, und wegen des Brandscharwerkes sollte er zu gelegener Zeit Botschaft schicken.

Herr Hillebrandt lächelte wie einer, der einen Laib Brot erwartet, aber nur ein klein winzig Stücklein gereicht bekommen, und klagte gleich darauf, daß ansonsten kein einziger noch eine Beihilfe angetragen. Es hätte gerade den Anschein, als ob ihm männiglich das Unglück gönnte.

»Wird schon noch,« vertröstete Herr Meinrad. »In so einem Falle hilft jeder. Viele sagen gar nichts dazu und schleppen ihre Sache kurzweg daher. Kenne sie mehr wie genug, unsere Wichte.«

Nachdem er sich auch noch nach der Frau Susel erkundet, ging er wieder und nahm den Weg zum roten Balthes. Dort knöchelten seine Troßknechte schon in allem Eifer und trieben dazwischen mit der Gertraud ihren Scherz, und am Ratstische redete man über den Brand des Wieshofes.

»Gibt ihm einen argen Puff, dem Richter«, nickte der Bräu. »Wenn die Beihilfe noch so groß ist, dreht so ein Fall dem Geldsäckel den Kragen ab.«

»Schaut auch ganz zerwirret drein, der Mann.« So ein anderer.

»Wer weiß, sind die Geldsäcke so geschobert, wie man meint,« mutmaßte ein Dritter. »Hat wohl eine Geldschmiede, der Mann, an seinem Geschäfte, aber schneien kann es das ledige Geld denn doch nicht. Mit nichts angefangen, wie jeder weiß; wo sollte denn nachher ...?«

»Hat schon, der Hillebrandt,« bekräftigte der Stadtmüller. »Noch alles nach Wunsch gegangen und nach Fürnehmen; aber ... mir kommt er schon eine Zeit her ganz anders vor als sonst. Es hat ihn etwo, oder es geht ihn an.«

»Übersonnen etwa ... Wäre kein Wunder ...«

Als der Schloßamtmann in die Schankstube kam, verstummten diese Reden, und jeder rückte, diesem Manne genug Platz zu schaffen. War schon der Ungelteinnehmer etwer, so war dies erst recht der Schloßamtmann, die rechte Hand des Bärnsteiners.

In kurzer Weile war die Rede wieder bei dem Brandunglücke, und männiglich rühmte den Mut und die Umsichtigkeit des jungen Kühwolfen und des Magisters.

»Den Mann möchte ich kennen,« meinte Herr Meinrad. »Magister! Da ist er kein gewöhnlicher Bader, da muß er die hohe Schule haben, und da ... wird einer über alle Leisten geschlagen,« lenkte er ins Scherzhafte ab. »Etwa ist er auch erfahren im Schirmen und Fechten.«

»Nicht einmal meine Anne hat er gesund machen können,« knurrte der Balthes abfällig. »Wird also nicht so weit her sein.«

»Habe einen gekannt, der hat sogar die kaiserlich römische Majestät nimmer gesund machen können,« hielt der Amtmann entgegen. »Und ein Lehrer auf der hohen Schule hätte sich aller Welt Lohn und Dank verdienen können, wenn er ergrübelt hätte, wie manche zu Verstande kommen können.«

Der Balthes tat noch etliche Knurrer und setzte sich nachher zu den Troßknechten, die keine so spitzen Reden auf der Zunge hatten und nur dahinknöchelten und dahintranken wie durstig gemühte Öchslein.

»Waret Ihr vielleicht auf der Brandstatt?« fragte der Gerber dazwischen.

»Nein. Bei Herrn Hillebrandt selber. Das und jenes kriegt er vom Herrn als Beihilfe, daß er gleich darum weiß und damit rechnen kann. Muß ihm eben jeder ein wenig unter die Arme greifen.«

»Und ... wie kommt er Euch für?« forschte der Stadtmüller. »Zerwirrt, ganz zerwirrt, nicht wahr?«

»Kein Wunder. So ein Stoß bringt einen Baum ins Wanken. Jeder hängt an dem, was er sich erworben, und wenn es dann in einer Stunde oder in zweien hin und weg ist ... dazu noch die Krankheit der Frau ...«

»Kann noch mehr mitwirken, was man nicht weiß,« deutete der Metzger von weitem herum nach dem Verräumen der Tochter.

»Mag auch sein. Und daher wäre es wirklich kein Wunder, wenn einer für ein Weilchen ins Sinnen und Grübeln käme. Das Amt auch noch dazu! Soll ihm halt doch einer wenigstens diese Sorgen abnehmen, bis er mit dem Baue halbwegs fertig und aus dem ärgsten Rummel draußen ist.«

»Wär' eh' wahr ...«

Denselben Abend wurde über diesen Rat nimmer geredet, zumal der Amtmann allmählich munterer wurde, doch am nächsten Tage nahm man ihn wieder auf. Zuerst kamen der Bräu und der Waffenschmied darauf zu sprechen; dann beriet man sich darüber mit dem Stadtmüller und dem Metzger, und schließlich hinterbrachte man Rat und gegenseitige Meinung auch dem Kühwolfen ... Im Grunde genommen wäre es so, und was einem zu schwer würde, wäre zuviel. Das gelte für Mensch und Vieh. Etwa müßte man selbst die Unüberlegtheit wegen der Maulschlagsache auch schon auf dieses Kerbholz schneiden.

Herr Kühwolf jedoch schupfte fürsichtig die Schultern. »Wie es euer Raten und Dafürhalten ist. Ich sage nicht so und nicht so, weil er jedes meiner Worte übelnimmt. Aber das beste wär' es für ihn und für den Stadtrat.«

»Lediglich bis er wieder bei ruhigem Kopfe ist.«

»Fraget zuerst im geheimen beim Stadtschreiber an! Was der dazu sagt?«

Also fragten sie bei dem an.

Eine Erleichterung wäre es ja für ihn, meinte der auch. Kümmernis im Hause, das große Geschäft übereinander mit all seinen Sorgen und Ränken Hier in guter Bedeutung: Geschäftskunst, Überlegung. und noch dazu das Amt, wenn er da auch nicht so arg viel zu tun hätte! Viel leichter täte er sich, wenn er ein Gewicht von der Schulter brächte. Raten könnte man es ihm wohl. Müßte eben ein anderer diese Weile über für ihn einspringen und das Richteramt übernehmen.

Gut. So wollte man es ihm raten.

Der Bräu und der Stadtmüller suchten ihn auf und fragten zuerst, wie und womit sie ihm wohl am besten behilflich sein könnten. Sie gäben und versprächen vorläufig nichts wie den ehrlichen Willen, doch wenn er dies oder jenes brauchte, das andere nicht böten, sollte er nur einen Wink geben oder ein Wörtlein verlauten lassen, was immer es wäre und in ihren Kräften stünde. Des Scharwerks wegen würden sie gleich mit dem Baumeister reden, auf daß er sich alles nach Bedürfen einteilte und nicht einen Tag zuviel und andern Tags zuwenig hilfsbereite Hände hätte. Leute schickten sie schon; doch wie gesagt: nach Bedürfen des Baumeisters. Ihm, dem Stadtrichter, wäre in solch harten Tagen nicht zuzumuten, daß er sich auch noch um die Scharwerksleute kümmere, wo er ohnehin den Kopf geschobert voll Sorgen und Kümmernisse hätte, mehr als oft einer zu tragen vermöchte. Doch auch weiter wollten sie und der gesamte Rat ihm diese harte Zeit nach Kräften erleichtern. Bis er mit dem Aufbaue des Wieshofes fertig wäre und alles wieder in den früheren Gang und Lauf gebracht hätte, möge er wenigstens die eine Bürde von sich werfen und sich der Sorgen um Rat und Stadtwohl entledigen. Es würde recht gern ein anderer für ihn einspringen und alles nach Recht und Gerechtem lenken und schlichten, bis er der Sorgen und Kümmernisse wieder los und ledig wäre.

Herr Hillebrandt hatte wirklich ein ganz ander Geschau denn allerwegen vorher. Das fiel jedem auf. Wie ein völlig Zerwirrter schaute er drein. Nur als sie von Beihilfe redeten und von Baumeister und Scharwerksleuten, wurde es etwas lichter. Auch im Amte ... Gleich faßte er in seiner Zerfahrenheit den Sinn dieser Reden nicht und nahm diese, wie sie gegeben wurden. Mittendrin aber stieg ihm ein böser Verdacht auf: Sie wollten ihn weghaben. Beim Theiding hatten sie sich's wohl nicht offen zu sagen getraut, und auch jetzt kamen sie auf Schlichen und Umwegen. Sie nutzten seine Not aus, um ihn mit dieser vom Amte zu locken, und wenn er einmal weg war ... blieb er weg. Gerade wie man einen Buben vom Spielplatze lockt. Aber nein und hundertmal nein! Er war Stadtrichter und blieb es ... wollte es bleiben. Ob er Sorgen und Kümmernisse hatte oder nicht, ging niemanden an, und wie es ihm mit der Zeit ausging, kümmerte jeden ebensowenig.

Sein Gesicht verfinsterte sich unwillkürlich und trotz aller Mühe wieder, und hart und trutzend kam die Ablehnung dieser ... Beihilfe und Hilfsbereitschaft heraus.

»Wird schon gehen. Muß gehen.«

»Wir hätten es Euch aber recht gut gemeint ...«

»Ich glaub' es.« Wie schier das hölzerne Lachen eines Irren kam es aus seinem Munde. »Ich glaube Euch's aufs Wort ...«

Als die Ratsherrn fort waren, ging er wieder zur Brandstatt hinaus. Wie im Schlafwandel stolperte er durch die Gassen, trotzdem er sich soviel wie möglich zusammennahm, sich gar keine Sorgen oder kein Trübsinnen anmerken zu lassen und die ... hochweisen Ratsherren Lügen zu strafen. Er hatte eigentlich auch keine richtigen Sorgen. Was focht ihn der Brand viel an? Bis die Herbstblümlein blühten, war der Wieshof wieder aufgebaut, und weil es schon unter einem Zahlen ging, aufgebaut wie ein Grafenschloß. Frau Susel würde wieder gesund werden, sobald das Kind wieder im Hause war, und das holte er in der kommenden Woche heim. Und wenn sie sonstwie krank wäre? Wieviel Leute sind krank? Was sollte es dann mit den Sorgen heißen, die man ... zum Vorwand nehmen wollte? Ein seidefeiner Faden, diese Gespunst! Aber er müßte nicht der Hans Hillebrandt sein, der sich von des Höllebrandtpeter Buben emporgearbeitet bis zum Großhandelsherren und Stadtrichter, merkte er ihn nicht allsogleich. Weghaben wollte man ihn von Amt und Würde; das war das ganze. Und der Urheb' all dieser Ränke war dieser Kühwolf mit seinem unstillbaren Geschäftsneide. Hätte der die Salzniederlage bekommen, wäre vielleicht alles im alten geblieben. So aber wußte sein Ärger nicht, wo er durchbrechen sollte. Aus diesem Grunde hatte er ihn schon in offener Schankstube gelästert und ihm seine Abstammung vom Höllebrandtpeter vorgeworfen, aus diesem Grunde hatte er ihn vor den Theiding gefordert, und aus diesem Grunde wollten die hochweisen Ratsherren ihn nun vom Amte des Stadtrichters weglocken, nachdem sie ihn nicht wegzudrängen vermocht. Doch er ...? Gar nicht denken! Weder Gewalt noch süßen Lockungen weicht er. Wie eine Mauer bleibt er stehen, wo er steht.

So sann und wurmte er des Weges dahin, und manchmal merkte er sogar nicht, daß ihn etwer grüßte.

»Stetiger Wind biegt die Felber, doch ein jäher Stoß bricht die Eiche«, meinte der Heimbert, da ihn der Fischer mit dem Ellbogen anstieß.

»Er ist eben die Not nicht gewohnt«, raunte der. »Da ihm nun eine über den Weg gelaufen, wird er verzagt.«

Auf der Brandstatt draußen war der Baumeister mit etlichen Gesellen und maß und spannte die Kreuz und Quere. Ob alles wieder werden sollte, wie es ehedem gewesen, oder ob er, der Richter, hier und dorten eine Änderung möchte. Ginge unter einem Anschicken und Aufbauen, und jetzt wäre noch Zeit zum Wünschen und Wollen. Wäre das Holz einmal da und zugeschnitten, müßte schon fortgearbeitet werden.

Gut. Wenn es unter einem Anschicken und Aufbauen ginge, wollt' er wünschen. Stall, Stadel und Schupfen sollten so gebaut werden, wie sie ehedem gestanden, aber das Haus möchte er anders haben, auch wenn es etliche Pfunde mehr kostete. Ginge auch unter einem Anschicken und ... Zahlen. Ein wuchtiger Torturm, und an den zwei äußeren Ecken des Hauses feste Rundtürme. Und ein Stockwerk höher denn früher, so daß oben noch ein Saal Platz fände.

Ein Schloß also?

Wäre gleich, wie man es nennen wollte; aber ihm gefiele es so, und wenn er dem Geldsäckel schon die Ohren locker reißen müßte, so sollten sie ganz abgerissen werden. Ginge unter einem Zahlen.

Also maß, spannte und pflockte der Baumeister in dieser Weise.

Eine Weile schaute er zu, dann aber schlenderte er gegen die Felder hinaus, und zwischen Winterkorn und Hafer ließ er sich auf einem Rain nieder. Über die Ähren und Rispen strich ein lindwarmes Lüftlein, im Gehalme wisperte und zischelte es, und in seinem Sinnen zogen die Gedanken hin und wider, kreuz und quer. Manche huschten wie pfeilschnelle Fliegen dahin, deren man kaum gewahr wird, und manche wieder wuchteten und sumsten durch das Gewirre der anderen wie kübelgroße Steine, die mutwillige Buben einen Abhang niederkollern, und die Gras und Rasen unter sich aufwühlen ... Sie wollten ihn weghaben, wollten ihn zur Seite stellen wie einen Schragen, der morsch und moderig geworden. Doch: gerade nicht. Wie eine Mauer bleibt er stehen ... Manchmal aber deuchte ihn, er wäre keine Mauer, sondern ein anbrüchig Baumstämmlein, dem der noch anbrüchigere Stützstecken umgefallen. Seinethalben auch. Soll umgefallen sein! Erstens brauchte er gar keine Stütze, und nachher gäbe es deren auch andere, wenn wirklich eine notwendig wäre. Erstlich ist dieser Wicht, der ihm den üblen Rat gegeben, der Einnehmer, sein Eidam, und zum anderen sind noch mehr Leute im Städtel daheim, denen er eine Stütze sein kann und ... den hochweisen Ratsherren zum Trutz und Ärger auch sein will. Der Mirt muß seine Gerberei kriegen, muß, der und jener mag ein Anliegen haben, das er wider diese Hochmächtigen durchsetzen möchte, und ... Ja, der Dunner! Eine Wanze steckt er diesen Schelmen ins Bett, die ihnen wahrlich keine Ruhe lassen soll. Mit eiserner Faust hat er die Kelchner niederzuhalten versprochen, jetzt ... fördert er sie zu all dieser Schelme Trutz. Sollen aufschreien, aufheulen seinetwegen vor ohnmächtiger Wut! Sollen schimpfen und zetern, wie sie wollen! Wenn er dieses Genistes Stütze und Schirmer ist, nutzt alles Schreien und Zetern nichts, da die Menge hinter ihm steht.

In währendem Trutzsinnen aber wurde ihm doch manchmal, als rieselten ihm Bäche eiskalten Wassers über den Rücken hinab. Leidig genug, wenn es so kommen soll, aber wenn die einen an dem Seilende ziehen, müssen andere ans zweite.

Auf dem Heimwege suchte er den Heindl auf, der den Eidam in die Stadt gefahren.

»Richtet Zeug und Wagen für eine Stadtfahrt in nächster Woche!« ging er den an. »Will selber einmal eine Landfahrt machen ... in Geschäften und dabei gleich das Kind heimholen. Der Tag ist noch ungewiß, weil unsereiner selten im voraus weiß, ob nichts dawiderläuft, aber den Tag vorher kriegt Ihr Botschaft.«

Dem Hillebrandt glaubte es der Heindl aufs Wort, daß er Geschäfte haben mochte, wenn er eine Landfahrt unternahm. Der stak Tag und Weile in Geschäften. Doch das mit dem Heimholen gab ihm für etliche Augenblicke zu denken. War es doch so, wie der Einnehmer gleich gesagt hatte, und war alles übrige lediglich Schwatz und Gerede?

Denselben Abend ging Herr Hillebrandt auch wieder einmal zum roten Balthes. Zum Trutze wollte er zeigen, daß ihn weitaus nicht die Sorgen drückten, die man ihm aufschwatzen wollte, und daß er daher noch lange nicht den Willen hatte, vom Platze zu weichen.

Etwas ernst und würdevoll ging es ja am Ratstische immer zu; das war alter Brauch und wohlbedachte Art, weil man doch allweg ein gut Beispiel geben wollte, aber denselben Abend war es beinahe langweilig. Jeder hütete sich augenscheinlich vor einem unbedachten Wörtlein, und der alte Kühwolf redete schier gar nichts. Nicht einmal da verlor er mehr als ein paar gleichmütige Knurrer, als man seines Buben Mut und Umsicht bei dem Brande rühmte.

Herr Hillebrandt deutete von weitem herum und in berechneter Absicht an, wie der Wieshof nun wieder aufgebaut würde, und daß das Unglück noch lange nicht imstande wäre, einer seiner Geldtruhen den Boden durchzuschlagen. Der erste Schrecken eben und die erste Aufregung, aber sonst wäre und bliebe alles beim alten.

Beim alten? Der schupfte die Schultern und jener auch. So einen Schlag spürte jeder, und wenn sonst auch noch allerhand drückte ...

War nirgends unrecht gemeint; aber wenn einen einmal das Mißtrauen und der Argwohn herrschen, verdrehen sie jedes Wort. Herr Hillebrandt hörte auch nur heraus, was ihn ärgerte, und was er von diesen Leuten mutmaßte, und dieser Ärger trieb ihn bald wieder von dannen und heim. Es war nicht anders, als es ihm fürgekommen. Man wollte seiner auf handsame Weise und ohne Aufsehen los werden, und ... er ging nicht ... ging auf keinen Fall.

Er geriet wieder ins alte Sinnen und fand das alte Gestapfe wie ein im pfadlosen Neuschnee Verirrter, wenn er auf seinen eigenen Pfad wieder zurückkommt und so beständig die Runde dahintrottet, und am anderen Vormittage ging er zum Tuchscherer, diesem ... Geniste seinen Schutz und Schirm anzubieten zum Trutze wider diese hochweisen Ratswichte.

Der Tuchscherer und seine Gesellen waren in der Werkstatt und emsig an der Arbeit. Sie alle hielten verwundert inne und starrten den Stadtgewaltigen mit großen Augen an.

Was mochte der wieder wollen?

Herr Hillebrandt besah ein paar Augenblicke die Arbeit und fragte nach dem und jenem. Also vielleicht ein Geschäft. Doch auch von solchem spann sich nichts an, und der Tuchscherer kam an kein Ziel mit seinem Raten. Erst als er den Arbeitstörer brauchgemäß wieder vor die Türe geleitet, rückte der langsam mit seiner Farbe heraus.

»Ihr waret einmal beim Pfarrherrn wegen des Abendmahles in beiderlei Gestalt?«

Dem Tuchscherer schoß die Röte ins Gesicht, und ein paar böser Blicke streiften den Stadtrichter. Wenn der Handel etwa noch nicht zu Ende war oder gar von neuem anfangen sollte ...

»Ja«, hackte er kurz heraus. »Habt uns auch deswegen schon zum Amtmann auf den Bärnstein geschickt.«

»Ich? Da irret Ihr wohl. Ich war im Rate dawider, weil solches kein Verschulden ist. Eine Frage steht jedem Narren frei. Aber die Mehrheit ist allenthalben der Herrscher ... Ich habe nachgelesen in der Schrift, und es ist so: Brot und Wein.«

»Ist auch nicht anders,« trutzte der Tuchscherer.

»Ich habe solches Begehren nicht unbillig gefunden, und ich will Euch nur sagen, daß ... ich gekoren bin als Richter für die und jene. Nicht lediglich für einige Geschlechter.«

»Wäre auch so,« drückte der Tuchscherer aufs Geratewohl heraus, da er sich noch alleweil nicht auszukennen vermochte, wo der Mann hin wollte und zu welchem Ziele solche Rede suchen sollte. »Und ... wenn man fragen darf: was ...?«

»Ich will Euch nur sagen: wenn Ihr wieder solches Begehren stellen wollet, tut es nicht ungebührlich. In Ruhe und mit Bedacht, wie es ruhigen Bürgern geziemet. Und ... wie ich gesagt habe ...« wand er sich unschlüssig und etwas verlegen herum. »Was recht und billig ist ... ob es nun den anderen recht ist oder nicht ... bringt euer Begehren geziemend vor, und ich selber setze mich dafür ein ...«

Der Tuchscherer griff sich unwillkürlich an den Kopf. Träumte er, oder redete wirklich der Stadtrichter so zu ihm? War das ein Wank und eine Falle oder ernste Mannesrede? War der Mann noch der Stadtgewaltige von ehedem, oder ... hatte ihn wirklich die letzte Zeit etwas zerrüttet, wie man sich heimlich zutuschelte?

»Wie ich gesagt habe,« bekräftigte Herr Hillebrandt nochmals. »Wegen fünf oder zehn Leuten wird ja der Pfarrherr keine Ausnahme machen können, aber wenn ihrer mehr sich auf die Schrift berufen ...«

Bis zum Mittage schlich die Kunde schon von einem Hause zum anderen, wo Leute hausten, die Gefallen fanden an der neuen Lehre, die eigentlich und vorgeblich die alte sein sollte, und um halben Nachmittag herum erfuhr man auch im Gäßlein an der Stadtmauer schon, daß sich die eiserne Hand des Stadtrichters gewandelt in ein mullweich Pfötlein.

»Entweder wendet sich der Wind oder es steckt eine List dahinter«, mutmaßte der Baderweber, da ihm solches zugeraunt wurde. »Ist ein Schelm, so weit er warm ist, der Herr Hillebrandt.«

»Von mir aus das oder jenes,« knurrte der Sägfeiler. »Ich halte es, wie ich es halten will, aber ich verbrenne mir den Schnabel nimmer.«

»Werden es bald herausfinden,« schlug der Hafnergürg vor. »Wenn er es geziemend und mit Bedacht haben will, so kann man geziemend zu ihm gehen und ihn mit Bedacht bitten, er solle selber mit zum Pfarrherrn gehen und uns dort zu Gunsten reden. Tut er es, und nutzt es, hat sich ein anderer Wind gehoben, und tut er es nicht, steckt eine Falle dahinter.«

Das war richtig. Aber wer würde auf die Gefahr hin, abermals zum Bärnsteiner Amtmann geschickt und von dem etwa in den Turm gesteckt zu werden, den Fragegang wagen? Der schüttelte den Kopf und jener auch, und andere durften von daheim aus nicht. Über Nacht berieten und entschlossen sich der Tuchscherer, der Hafnergürg und der Färber. Gelang es, war es recht, und gelang es nicht, wollten sie alles wider den falschmäuligen Stadtrichter in Bewegung setzen.

Herr Hillebrandt stand vor der Gewölbetür, als sie des Weges kamen, und er drückte eine Weile verlegen herum, als er hörte, um was man ihn anging. Das würde wohl die hochweisen Ratsherren ärgern, aber auch für ihn war und würde es eine widerliche Sache. Der Pfarrherr ... der und jener ... und jeder mochte reden.

Erst als ihm der Tuchscherer das unerbeten gegebene Anerbieten vorhielt, willigte er ins Mitgehen. Aber geziemend und wohlgesetzt müßte das Begehren dem Pfarrherrn vorgetragen werden.

Der Hafner und der Färber nickten einander verständnisinnig zu. Also wehte wirklich ein anderer Wind. Nur konnte keiner ergrübeln, von welcher Seite der kommen mochte. War ein »Deuter« von oben gekommen, hatte der Bärnsteiner Herr also gewinkt, oder wollte man sich wider die Hussen auch auf solche Weise sichern?

Im Pfarrhause jedoch merkten sie nichts von einem anderen Winde. Der blies dorten noch allweg aus der alten Richtung und hübsch bissig auch noch dazu.

Er, der Pfarrherr, hätte es ihnen schon einmal und ganz undeutelbar gesagt, daß dieses nicht ginge, weil es von der Kirche verboten wäre und er als Pfarrherr sich schnurgerade an deren Gebot oder Verbot halten müßte. Im übrigen wäre es eine Torheit, sich auf solche Nebensache setzen und dabei den Kirchen- und Volksfeinden in die Hand arbeiten zu wollen.

»Wenn es halbwegs anginge ...« versuchte Herr Hillebrandt zu unterhandeln. »Ist keiner von unseren Bürgern ein Kirchenfeind. Lauter ehrbare Christen ...«

»Es geht nicht«, beharrte der Pfarrer. »Was verboten ist, das ist verboten. Daneben wundert es mich viel harte, Euch heute so reden zu hören, nachdem Ihr vor kurzem noch ganz anders gesagt.«

Herr Hillebrandt verfärbte sich verlegen und rüstete zum Aufbruche. Man hätte eben gemeint, wenn es doch ginge und sich auf ebenen Wegen ermachen ließe, weil die Leute, weil die Mehrheit der Bürger diesen Willen hätten. Was aber durchaus nicht ginge, müßte man notgedrungen liegen lassen.

»Geht es anderswo, muß es auch da gehen,« trutzte draußen vor der Türe der Tuchscherer. »Nicht nachlassen! Etwa ist zu einer anderen Zeit leichter zu reden mit ihm.«

»Mit dem nicht,« mutmaßte der Hafner.

»Nachher ... brauchen wir ihn nicht. Nachher ... richten wir uns selber eine Kirche her und nehmen einen Pfaffen auf. Tun's anderswo auch.«

»Anderswo verjagt man die alten und holt neue herbei,« verbesserte der Färber.

»Nur alles geziemend und mit Bedacht!« mahnte Herr Hillebrandt ab. »Was recht und billig ist, für das bin ich allerwegen. Nur keine Unüberlegtheiten!«

»Gar keine. Nachdem wir nun wissen, daß Ihr auch für uns einsteht, werden wir nichts tun ohne Euren Rat und Willen,« versprach der Tuchscherer.

»Werde wohl wieder gelästert werden darob,« baute er berechnet vor. »Ihr wisset ja, wie manche schon sind. Habe ich reichlich kennengelernt.«

Daran merkten die drei allmählich, woher eigentlich der Wind wehen dürfte. Er hatte diese ... Manchen kennengelernt und schlug sich daher von jener auf diese Seite. Ihnen konnte es da nur recht und lieb sein, wenn er noch mehr gelästert und sonach noch näher auf ihre Seite gedrängt würde.

Hatten sich um solches Lästern auch gar nicht lange zu kümmern. Denselben Tag noch hob es sich an etlichen Orten. Es wurde lautmärig, daß die Wichte, die auch beim heiligen Abendmahle Wein saufen wollten, wieder beim Pfarrherrn gewesen, und daß sogar der Stadtrichter den Fürsprech gemacht. Manche lachten darüber und hingen ihre Scherze daran, wie sie eben wuchsen, gedrechselte und rindenrauhe; manche lobten den Richter, daß er sich auch der geringeren Bürger annahm, und andere fuhren in Zorn und Ärger und lästerten, was ihnen einfiel. Einesteils müßte man zahlen, fronen und scharwerken, um Tore und Mauern auszubessern, und anderenteils zöge und zügelte man in der Stadt selber Hussen und Hussengenossen. Der Stadtrichter gehörte auf den Galgen oder zumindest in den Turm, je nachdem er noch bei Sinnen wäre oder nimmer.

Das sagte der Bräu Herrn Hillebrandten nun spießgerade ins Gesicht, da er ihn von ohngefähr traf. Jetzt wäre das Maß zum Überlaufen voll, und jetzt könnte man nimmer länger zusehen. In der Maulschlaggeschichte hätte man noch beide Augen zugedrückt und einen glimpflichen Verlauf herbeigezwungen, mit solcher Weise aber müßte man kurzweg aufräumen. Heute noch möge er dem Stadtrichteramte entsagen und es nicht darauf ankommen lassen, daß man nochmals einen Theiding wider ihn ansage.

Doch Herr Hillebrandt lächelte wider alles Erwarten nur dazu wie ein loser Bub, der sich darüber freut, einen andern ins Wüten gebracht zu haben. Fiele ihm nicht ein, meinte er seelenruhig. Er bliebe, wer er wäre, da ihn weder Sorgen noch Unrecht drückten. Jeder hätte sein Recht und seinen freien Willen, und wenn er mit diesen Leuten zum Pfarrherrn gegangen, hätte er nur seine Pflicht getan, nach welcher ihm einer wie der andere sein müßte. Daß der Pfarrherr den Unsinn nicht verwilligen würde, hätte er von vornherein gewußt, und die Leute wüßten es jetzt auch und würden sich damit zufrieden geben.

Für den Augenblick war der Bräu sprachlos. Sich wider solchen Vorwurf noch verteidigen und noch dazu in einer Weise, der man nicht gut beikommen konnte! Der Mensch war also ein ausgemachter Schelm, der sich als solcher nun offen zeigte, oder ein fertiger Narr. Über beides jedoch mußte im Theiding abgeraten werden.

»Die Leute verteidigt er, die uns Wucherer und Blutsauger schänden!« entrüstete sich der Gerber, als das Gerede vor seine Ohren kam. »So ein Stadtrichter könnte uns jede Weile gestohlen werden. Nun muß er weg.«

»Nicht einen Weizenbalg leiste ich mehr als Beihilfe,« entschloß sich der Stadtmüller. »Und keinen Schulbuben schicke ich ins Scharwerk auf die Brandstatt.«

Herr Kühwolf aber schaute eine Weile wie ein ganz Zerwirrter, als ihm der Bub diese neueste Märe zugetragen.

»Jetzt haben sie es ... Nun haben sie es,« pfauchte er nachher. »Nun werden sie es selber einsehen. Daß er im Handel wenig oder gar kein Gewissen hat, habe ich längst gewußt, aber dieses Kerbholz hat er selbst vor den Richter zu tragen; daß er jedoch auch in Sachen der Allgemeinheit und des Stadtwohles derselbe Schelm wäre, hätte ich ihm doch nicht zugetraut. Jetzt muß er weg ... muß er weg.«

»Fiele ihm nicht ein, hat er – hör ich – zum Bräu gesagt,« bedeutete der Wolf. »So und so, und er hätte nur seine Pflicht getan.«

»Wird sich weisen. Nein, so ein ... ein ... Erzschelm!«


 << zurück weiter >>