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Gemeiniglich gründeten die Landesherren Städte und Städtchen, denen sie Erbrecht, Selbstverwaltung, eigene Gerichtsbarkeit, Marktfreiheit und noch andere Vorrechte gaben. Die Zinsungen solcher Orte wurden eine gute Einnahmequelle für die landesherrliche Kammer, und die aufgebotene und bewaffnete Bürgerschaft war eine stets hilfsbereite Verstärkung des landesherrlichen Heerbannes, rascher zur Hand als das Gefolge des zumeist nur auf den eigenen Vorteil bedachten oder mit dem Landesherren gar in Hader und Fehde liegenden Adels.
Als jedoch diese gemerkt, welche Vorteile die Gründung solch fester Plätze dem Gründer boten, hatten sie sich auch übers Städtegründen gegeben. Viele hatten den Ort neben oder um ihre Feste her angelegt. Im ersteren Falle hatten sie die Stadtmauer mit der äußeren Ringmauer ihrer Feste verbunden, im letzteren mit dieser gewissermaßen noch einen festen Mauerring um die Feste gelegt.
Die Bärnsteiner jedoch hatten ihr Städtlein im Talgrunde angelegt, gutding eine Viertelstunde Weges von ihrem Felsenneste entfernt. Welche Gründe sie dazu bewogen, konnte später kaum einer mehr erraten. Tatsache blieb nur, daß das Städtlein im Talgrunde lag und die Bärnsteiner Feste ein gut Stück talauf wie ein Geiernest auf jähem Felsen dräute und trutzte.
In weitem Bogen zog sich vom Bärnsteiner Tore des Städtleins der Weg an den Berghängen entlang bis vor den gähnenden Burggraben, und Gras und Gekraute wucherten darauf, wo nicht der nackte Felsen zu Tage trat.
Diesen Weg schlenderten des anderen Vormittages Herr Hillebrandt und sein Eidam, der kaiserliche Ungelteinnehmer, hinan und redeten und raunten halblaut und geschäftig miteinander.
»Wenn dieses Gevölke schon in diese Gegend käme, den würde es am wenigsten anfechten«, meinte Herr Hillebrandt und schaute an den Steilfelsen und den Mauern und Türmen. »In so einen Kobel kommen, wenn die Brücke aufgezogen ist ...! Aber warnen können wir ihn ja. Macht ein gutes Gesicht und gibt eine schöne Vorrede.«
»Da sind schon ganz andere Nester genommen und umgeworfen worden«, erinnerte der Einnehmer.
»Was sollen wir denn im Städtlein ...?«
»Mmm! Wenn ihrer genug anrücken, würde wohl nichts übrigbleiben, als sich gutwillig zu geben. Sollen sein wie die wilden Vieher, wo sie auf Widerstand stoßen.«
»Gutwillig geben! Zusehen, was sie mit einem und mit jeglichem machen, wie sie rauben und plündern und alles fortschleppen, was man sich zeitlebens verdienet ...«
»Ginge wohl kaum anders.«
»Sich in den Bärnstein heraufflüchten?«
»Wäre das gleiche, wenn überhaupt soviel Zeit bliebe. Gut und Wert wäre allweg wieder in ihren Händen.«
»Ja, wenn etwas zu machen wäre mit ihm! Ich habe schon so gesonnen: Wenn er wieder Geld brauchte ...«
»Das braucht der allerwegen.«
»... und wenn er einen oder gar zwei Meierhöfe dafür verkaufte! Den Wieshof da unten ...«
»Wäre ein Edelsitz. Der Einfall wäre nicht übel.«
»Gewiß. Geld und Gut können sie rauben und wegplündern, einen Meierhof nicht. So habe ich gesonnen.«
»Wenn er es täte! Dann dürfen wir aber die Gefahr nicht größer nennen ...«
Ein Weilchen blieben sie stehen und schauten auf den im Talgrunde unweit des Städtels liegenden Meierhof hinab, der geradeswegs wie eine Grafenpfalz inmitten der maigrünen Fluren lag und von eitel Sonnenglast überflirrt wurde ... Wenn er es täte ...!
Die wuchtige Brücke im Bärnsteiner Schlosse war wie allweg aufgezogen und wie eigens noch zum Schutze des schuhdicken Tores vor dieses gehängt. Etliche Klafter breit gähnte davor der brunnentiefe Graben.
Herr Hillebrandt legte die Hände um den Mund und rief wider die Feste; aber es dauerte geraume Zeit, bis sich der wildbärtige Kopf des Torwärters in der Luke neben dem Törlein zeigte und dessen Augen Ausschau hielten, wer da wohl vor dem Graben stünde. Als er jedoch den Stadtrichter und den kaiserlichen Ungelteinnehmer gewahrte, begann die Brückenwinde bald zu knarren, und das Ungetüm senkte sich. Dann öffnete sich das Törlein.
»Gestohlen könnt ihr wohl keiner werden«, scherzte Herr Hillebrandt, als sie an dem Wärter vorbeikamen. »Ist der Herr daheim?«
»Ei wohl, ja. Scheint eben einen ungeraden Tag zu haben.«
»Uns ficht solches nicht an ...«
Herr Hillebrandt wußte schon Jahre her Gang und Stiegen, die zu den Gemächern dieses Zaunkönigleins führten. Die Hauptsache, daß er daheim war und nicht etwa irgendwo bei einem Nachbar beim tagelang dauernden Trinkgelage saß.
Hatte aber auch daheim einen mächtigen Krug auf dem ungefügen Buchentische vor sich stehen, an dem er saß und aus lauter Langweile an einem schweren Zwiehänder Schwert, das nur mit beiden Händen gehandhabt und geschwungen werden konnte. herumschabte. Langsam wandte er den eckigen, wie aus halbverwittertem Steine gemeißelten Kopf mit dem leicht blattermasigen Blattermasig, mhd. mase = Narbe, auch mundartlich., glattgeschorenen Gesichte und dem langen Haare herum, und langsam lehnte er den Zwiehänder weg.
»Euer Begehren, Richter ...?«
»Weder Begehren noch Bitten«, deutete der kurz an. »Ledig etwas ungute Mär. Mein Eidam, der kaiserliche Ungelteinnehmer, hat durch sichere Leute Kunde erhalten, daß die Hussen und Kelchner im Umritt sein sollen.«
»Den Bärnstein rennen sie wohl nicht um.«
»Kaum. Aber das Städtel ... Wir werden Mauern und Tore ausbessern lassen müssen und vielleicht noch dies und jenes vorkehren ... für den Fall, wenn das Gewilde wirklich anrückte. Man kann doch nicht wissen ...«
»Es wird Übles genug von ihnen erzählt. Wohl, es wird gut sein, wenn ihr euch vorseht. Im übrigen kann man ja bei uns auch rüsten.«
»Vorsicht ist schon ein Vorteil. Vielleicht tätet Ihr uns die Gnade und ließet es Euren hörigen Bauern schaffen, sie sollten uns mit Scharwerksdiensten helfen. Wenn das Städtel verwüstet würde, könnte es Euch ja für eine gute Weile keine Zinsungen leisten. Also liegt es in Eurem Vorteile selbst ...«
»Scharwerksleute?« fuhr der Bärnsteiner unwillig auf. »Brauche ich selber, und im Städtel sind der Leute genug.«
»Fast lauter Leute, die ein Geschäft betreiben, und wo das Geschäft Schaden leidet, wenn sie scharwerken müssen.«
»Darüber muß ich erst mit meinem Amtsvogt reden ... ja, reden«, wich er aus. »Der mag Euch dann Bescheid geben.«
»Ist gut, Euer Gnaden. Jetzt etwas anderes.« Er zog einen Fleck des Tischgradels aus der Tasche, den ihm der Baderweber ins Geschäft gebracht. »Wie gefällt Euch das? Tischleinen für eine Kaisertafel.«
Des Bärnsteiners Augen streiften schier gleichmütig über den Fleck, den des Stadtrichters Hand geflissentlich und wie kosend streichelte.
»Mag sein. Für unseren Tisch taugt auch das Gelumpe, das wir haben. Und dann: womit zahlen? Wird sündteuer sein, und die leidigen Zinsungen fressen meine Leute auf ...«
Kein Geld! Das war alter Brauch auf dem Bärnsteine, und das hatten die zwei auch vorausgesehen. Der Bärnsteiner war weitaus nicht der schlechteste seiner Standesgenossen, wenn auch durchaus nicht der beste. Er war kein Strauchritter und Wegelagerer, er nahm nicht mit Gewalt, was er sonst nicht bekommen konnte; er lag nur auf der Wildbahn und machte sich keine übrigen Gedanken, wenn es ein oder das andere Mal durch seiner Bauern Getreidefelder ging, und er brauchte viel für Trunk und Essen. Daher reichten die Zinsungen nie aus, daher mußten die Bauern mit schwerer Fron und übermäßigem Zehent geschunden werden, und daher war auf dem Bärnsteine wundersselten Geld im Kasten. Schulden hatte er wohl, doch selten Geld.
»Zu drei Vierteilen geschenkt«, lockte Herr Hillebrandt.
»Was kostet denn nachher das Gelumpe?«
»Wie gesagt: zu drei Vierteilen geschenkt. Zwei Pfund Pfennige Damalige Rechnung: 2 Pfennige = 1 Kreuzer, 15 Kreuzer = 1 Schilling, 4 Schillinge oder 60 Kreuzer oder 120 Pfennige = 1 Pfund. Statt Pfund sagte man auch Gulden. So bis 1859. die Elle. Eurer wohledlen Hausfrauen würde das Zeug sicherlich über alle Maßen gefallen. Soll ich ihr's zeigen?«
»Kein Geld; augenblicklich wieder gar keines. Die Zinsungen ...«
Herrn Simon den Föder, den Ungelteinnehmer, widerte dieser Handel kleinweise an, und er schämte sich beinahe des Schwähers. Hätte er nicht gewußt, daß es sich noch um den Wieshof handeln würde, wäre er davon.
»Geht anderen auch nicht besser, Euer Gnaden. Wie der Mondschein in seinen Vierteln. Ich habe gutding eine Woche auch keines gehabt, Zahlungen gehabt und nichts verkauft, nichts verkaufen können. Ihr könntet doch etwas verkaufen ...«
»Was dann?«
»Einen Hof, ein Gut, allerhand ... Bringt so kaum einen Nutzen. Den Wieshof etwa ...«
»Was trägt er Euch? Kaum der Rede wert. Ich hätte ein gutes Geschäft in Aussicht, und wenn es gelingt, könnte ich Euch zweihundert Pfund dafür bieten. Bedenket: zweihundert Pfund Pfennige! Da könnt Ihr jahrelang nur so wühlen im Gelde wie der Mullwurf Maulwurf, das Tier, das die Erde, den Mull, aufwirft. in der Erde.«
Der Bärnsteiner gab dem Zwiehänder einen Stoß mit dem Fuße und meinte damit diesen ... Bändleinkrämer, diese Wucherseele, bei dem er alleweil mehr aufs Kerbholz kriegte, ohne auch nur irgendeine Aussicht zu haben, die Kerben einmal glatt und eben schneiden zu können. Vielleicht schlüge dieser Wicht auch den Kauf nur deswegen vor, um zu seinen paar Pfennigen zu kommen.
Herr Hillebrandt ließ den Wieshof derweil eine Zeitlang aus der Rede und fing wieder vom Tischgradel an, redete und schwatzte so lange, bis der Bärnsteiner seine Eheliebste herbeirief. Nun hatte Herr Hillebrandt schon mehr als halbgewonnen Spiel.
In solchen Stücken ist das Weibsgemensche aller Stände und Zeiten gleich: Putz und Flitter! Wenngleich oft kein Pfennig im Kasten liegt, so Zeug muß herbei.
Mit dem Gelde stünde es wohl knapp, dieweil die Häuter nicht zinsen wollten oder auch nicht könnten, aber wenn er, Herr Hillebrandt, den Kaufpreis borgen könnte ...
So kam der Handel zustande, und Herr Simon, der Einnehmer, wandelte sein Schämen beinahe in helles Bewundern. Der Schwäher verstand sein Geschäft und wußte mit den Leuten umzugehen und ans Ziel zu gelangen. Auf solche Weise mußte der Gewinn wachsen und sich mehren. Freilich: empfindlich durfte einer nicht sein, und das gewöhnte er wohl beim Geschäfte.
Nun gab sich Herr Hillebrandt wieder an den Wieshof. Dies und jenes, und er täte es mehr zu Gefallen als zum eigenen Vorteile, wenn er eine Sache kaufte, die nichts trüge und abwürfe, und schließlich auch nur aus dem einen Grunde, für seine Hausleute nicht jedes Körnlein Korn und jeden Tropfen Milch von anderen Leuten erbetteln und dabei noch sündteuer zahlen zu müssen. Soundsoviel bares Geld bliebe ihm, dem Bärnsteiner, bei diesem Handel, und damit könnte er sein halbes Leben lang in Freud' und Wonne leben. Wenn dieser Wieshof nicht zu kaufen wäre, müßte er, der Hillebrandt, aus letztgenanntem Grund eben ein ander Bauerngut kaufen, und dann brauchte er all seine ausgeliehenen Gelder ...
Der Bärnsteiner gab dem Zwiehänder abermals einen festen Fußtritt, so daß der umfiel und polternd auf die Stubenbühne schlug.
Dreihundert Pfund Pfennige, anders schon gar nicht.
Jetzt ging das Handeln und Feilschen los; denn Herr Hillebrandt hielt seit jeher den Grundsatz hoch: was sich einer erhandelt, braucht er nicht mit barem Gelde zu zahlen ... Zweihundertfünfzig! Weiter war der Bärnsteiner nicht herunterzudrücken, aber schließlich war der Meierhof weitaus mehr wert.
Ein fester Handschlag bekräftigte den Handel, und der Bärnsteiner versprach, den Kaufbrief dieser Tage von seinem Amtsvogte schreiben zu lassen und gelegentlich etliche Gutsnachbarn zu Gaste zu laden, die nachher als Zeugen ihr Handzeichen und Siegel daruntersetzen können.
Als Herr Hillebrandt wieder jenseits des Burggrabens stand, entrang sich ihm ein Lachen, das schier ein Jauchzen zu nennen war.
»Also! Nur einen Ernst muß sich einer fürnehmen, dann geht alles. Ist ein Herrengut, dieser Wieshof.«
»Ist auch eines«, bestätigte der Eidam.
»Und wenn die Geschäfte so weitergehen, lasse ich ihn zum Schlosse umbauen. Wieviel kann das kosten?«
»Ich kenne den Hof nur vom Vorübergehen. Hübsch ein etliche Pfunde wohl.«
»Ist gut. Muß der Handel bringen. Und unter uns gesagt, Eidam: Unsere römische Majestät steckt so gut allweg in Geldesnöten wie der Bärnsteiner und all die anderen Herren. Dann borge ich nimmer dem Bärnsteiner, dann müsset Ihr einmal bei der Hofkammer zu verstehen geben, daß der Hans Hillebrandt mit etlichen hundert Pfunden aushelfen könnte, wenn man ihm und Euch etwa auch den Adelstitel verwilligte und zuerkennte. Was sagt Ihr zu solchem Fürhaben?«
Der Einnehmer riß unwillkürlich die Augen ein Stück weiter auf und starrte den Schwäher halb staunend, halb bewundernd an. Daß der allweg sann und strebte, wußte er, und daß er es verstand, zum Ziele zu gelangen, wo andere sich vielleicht abschrecken ließen, hatte er gerade vorhin gehört und gesehen; aber daß sein Sinnen und Trachten bis in solche Weiten sich wagte, hätte er sich nimmer auch nur träumen lassen.
»Unmöglich ist nichts«, stellte er dahin.
»Nein, gar nichts. Hätte sich mein Vater, der Höllebrand-Peter, der mit Schuhriemen und mit Pfaidknöpflein handelte, wie mir dieser Wicht, dieser Kühwolf, in offener Schankstube vorhielt, je träumen lassen, daß sein Bub es dahin bringen könnte, dem Bärnsteiner Geld zu borgen? Hätte ich mir in meinen jungen Tagen träumen lassen können, ich wäre einmal Eigner des Wieshofes, des schönsten Bärnsteiner Meierhofes? Heute ist es. Und wer weiß, was morgen ist und übermorgen? Aber dazu müsset Ihr mir schon noch behilflich sein. Was dem einen nützet, frommt auch seinem Tochtermanne.«
»Gewiß, Schwäher.«
»Und nun gehen wir gleich in den Wieshof. Nach dem Handschlage mein Eigen, und es mag gleich allerhand zu schaffen und anzuordnen geben ...«
*
Denselben Abend noch ließ Herr Hillebrandt eine allgemeine Ratsherrenversammlung in wichtigen und dringlichen Sachen ansagen, und am anderen Tage war er der erste im Rathause und in der Ratsstube.
Mathes Schwarzschädel, der Stadtschreiber, wunderte sich gebührendermaßen über solches. Was etwa vorgefallen wäre, das eine Versammlung zu solch ungewöhnlicher Zeit erheischte?
Vorgefallen! Einstweilen noch nichts; aber es könnte über Nacht einmal sein. Und kluge Leute bauten vor. Sicherem Vernehmen nach käme das Hussengesindel der Gegend allweg näher, und da müßte es wohl sein, daß beizeiten zur Gegenwehr gerüstet würde.
Die Hussen! Des Alten ehemals beinahe rußfarbe Mähne sträubte sich fast vor hellem Entsetzen. Das Hussengesindel! Brandleger, Mörderer und Landräuber! Gott sei dem armen Gevölke gnädig, wo diese Bösewichte anrückten ... Seine knochendürren Arm' und Hände begannen wie im Fieberfroste zu zittern, und darüber kippte ein Tintentöpflein um, das er an seinen Platz zurechtrücken wollte.
Schier ein halbes Jahrhundert dem Städtlein in guten und bösen Zeiten den Schreiber gemacht und jeglichen Stadtrichter mit fortgerissen und zuletzt vielleicht von den raubviehmäßigen Kelchnern an den Spieß gesteckt und totgeschunden werden ...!
Die meisten der Ratsherren ahnten wohl den Grund für die ungewöhnliche Versammlung, und die meisten wußten auch, daß die Gefahr vorläufig noch nicht vor den Toren stand, sondern daß es nur galt, sich beizeiten wider sie zu rüsten, aber sie besorgten in der Versammlung etwas anderes, das gutding auch zuwider genug war. Der Stadtrichter und Herr Kühwolf wären sich beim Sonnenwirt in die Haare gefahren, und Herr Hillebrandt hätte den kürzeren Halm gezogen und das Feld geräumt. Irgendein unbedacht oder unrecht aufgenommen Wort konnte den Hader von neuem entfachen und die zwei wieder gegeneinander bringen, und das machte Aufsehen und weckte böse Reden unter den Leuten. In etlichen Wochen wäre die Sache vielleicht von selber eingeschlafen, aber jetzt, nach einigen Tagen erst ...
»Nur was hierher gehört!« mahnte der Bräuer zu aller Vorsicht und beizeiten. »Nur was hierher gehört!«
»Was denn sonst?« versicherte Herr Hillebrandt. »Was meint Ihr denn? Wird eh' genug zu reden geben, was hierher gehört.«
Daraus vermeinte auch Herr Kühwolf zu hören, daß der leidige Zwist vergessen und ausgeglichen wäre und daß wieder alles in den alten Geleisen führe. Trotzdem aber gab er sich alle Mühe, durch kein unbedacht Wörtlein anzustoßen.
Herr Hillebrandt, der Stadtrichter, brachte vor, was man von den Hussenscharen befürchte und daß es notwendig wäre, sich beizeiten vorzurichten. Die Stadtmauern und Tore müßten ausgebessert werden, und er hätte es erreicht, daß auch der Bärnsteiner zu solcher Arbeit Scharwerksleute schickte.
Das trug ihm Lob und Beifall ein.
Weiter müßten Gewaffen und Rüstungen in wohl brauchbaren Zustand gesetzt und unter die Bürger verteilt werden. Es nützte nichts, wenn das Zeug im Rathaus läge und in der Stunde eines jähen Überfalles kein Mensch wüßte, was er zur Verteidigung zur Hand nehmen und wohin er rennen solle. Aus diesem Grunde sollte auch alle wehrfähige Mannschaft des Städtleins wohl eingeteilt und unterwiesen werden, und das Stadtfähnlein sollte einem mutigen und einsichtigen Manne unterstellt werden, der etwas verstände von Krieg und Stadtverteidigung. Ihm, dem Stadtrichter, dem solches in erster Reihe zustünde, ließen Geschäft und sonstige Obliegenheiten keine Zeit hierzu.
»Kein Geschick auch«, dachte sich Herr Kühwolf, sagte es aber nicht heraus.
»Wer sonst?« fragte der Stadtmüller schandenhalber. »Sollen doch immer all' beide Leitseile in einer Hand sein.«
»Was weiß ich? Nehmet ihr euch einer oder der andere darum an oder nennet etwen! Ihr ... Pankrazi ...? Das Umbringen brächt' Euer Geschäft mit sich.«
Sie waren alle mit- und nebeneinander aufgewachsen innerhalb der Stadtmauern, wenn auch der eine oder der andere einige Jährlein älter oder jünger war, und sie hatten sich in jungen Jahren auch geduzt, aber Zeitsitte und Herkommen und nebenbei auch ein wenig Größertuerei brachten es mit sich, daß nun alles durcheinander Ihr sagte. Taten doch solches in letzter Zeit schon halberwachsene Kinder.
»Ich?« verwahrte sich der Metzger. »Warum nicht auch? Vom Ochsenumbringen versteh' ich etwas, aber vom Kriegführen ... Mich lasset aus dem Spiele!«
Also ließ man derweilen die Besetzung der Führerstelle des Stadtfähnleins offen. Alles andere aber wurde beraten und beschlossen, und der Stadtschreiber brachte es zu Papier. Seine Schrift war sonst so schön und regelmäßig wie gestochen, diese Schrift war seine schlechteste seit seinen Schuljahren. So war ihm der Hussenschreck in die Glieder gefahren.
Nach Beschluß und Unterschrift ging man wie gewöhnlich und nach uraltem Herkommen ins Bräustübel, trotzdem das Bier beim Sonnenwirte besser war. Dorten wurde erst alles noch einmal durchgeredet, und dorten geschah es auch, daß Herr Hillebrandt und Herr Kühwolf wieder miteinander redeten, etwas gezwungen und zurückhaltend wohl, doch immerhin mitsammen redeten.
Herr Hillebrandt erwähnte von solchem keine Silbe daheim, Herr Kühwolf aber erzählte es gleich beim Mittagessen. Daraufhin nahm sich sein Wolf vor, gleich morgen oder übermorgen wieder einmal ins Hillebrandthaus zu gehen und mit Jungfer Christel und ihrer Mutter ein Stündlein zu verplaudern.
Ein Tag, wo er solches notgedrungen versäumen oder unterlassen mußte, kam ihm allemal vor wie ein Tag ohne ein bißchen Sonnenschein.
Den ganzen Nachmittag über sang und pfiff er ein Liedel und eine Weise nach der anderen, wenn gerade kein Käufer im Gewölbe war und der Lehrling seinen kleinen Verrichtungen oblag. Der alte Kühwolf hielt und zahlte nämlich keinen Gesellen mehr, seit er die Kinder im Geschäfte verwenden gekonnt. Einmal hatte er sogar schon ihrer dreie im Gewölbe gehabt, zwei Buben und ein Maidlein, und vierzehn Tage nachher kein einziges mehr. Die Blattern, der »Blattermann«, wie die Leute in der ganzen Gegend sagten, hatte alle drei, eines hartnahe nach dem anderen, unter die Erde geworfen. War nur mehr ein Maidlein geblieben und der eine Bub, der Jüngste, der Wolf; aber das Maidlein mußte im Geschäfte helfen von den Schuljahren weg bis etliche Tage vor dem Ehrentage, und der Wolf war von derselben Zeit ab Geselle, voraussichtlicher Erbe, der es genau so halten sollte, wie es der Alte gehalten: Jeder Pfennig will verdient sein, und ein selbstverdienter wiegt ein klein bißchen mehr als einer, den eine andere Hand in den Kasten geworfen. Er pfiff und schwegelte sogar halblaut vor sich hin, wenn der Vater an seinem Schreibpulte etwas vermerkte oder rechnete, und wenn ein Käufer kam, hatte er allerlei Scherz und Schalkheit bereit.
Herr Egyd Kühwolf ahnte wohl den Grund solcher Aufgeräumtheit und freute sich, daß der unüberlegt heraufbeschworene Zwist auf so glimpfliche Weise sich ausgeebnet. Hatte ja auch einmal eine Zeit gegeben, wo er Tag und Nacht hätte singen und jubeln können wie eine Lerche über lenzgrünen Gefilden und wo er todtraurig geworden wäre, wenn so ein Hader alle Freudseligkeit verscheucht hätte.
Nach der Gewölbesperre und vor dem Abendessen brach Wolf Kühwolf das erste Nägelein Nelke, das am sonnseitigen Fenster aus den Knösplein drängte, und schlenderte damit ins Hillebrandthaus hinüber. Wohl klopfte und puchte es zeitweise gar heftig in seiner Brust, und etwas wie gefürchtiges Zagen schlich ihn an, aber wenn der Zwist wieder beigelegt war und die Gemüter der beiden Alten sich weislicherweise wieder beruhigt hatten, mußte wohl wieder alles beim alten sein und bleiben. Und er konnte ja schließlich gar nichts dafür, wenn sein Vater einmal ein paar ungefüge Reden herausgepoltert.
Jungfer Christel wurde schier so rot wie das Nägelein in seiner Hand, als er etwas zagschüchtern in die Stube trat und die Tageszeit bot, und Frau Susel klapperte unter einigen Töpfen herum.
»Das erste Nägelein der heurigen Blust ...«, lächelte er und bot die Blume dem noch allweg glutroten Jungfräulein. »Und weil bei uns leider keine Schwester mehr im Hause ist, die es anstecken könnte, bringe ich das Blümlein Euch. Wenn Ihr ... Es hält sich wohl einige Tage.«
»Wie schön!« wunderte Jungfer Christel, nahm die Blume und nestelte sie gleich an ihre Brust. »Nägelein sind wunderholde Blumen; und der feine Duft! Wir müssen doch auch zusehen, Mutter, daß wir so einen Stock ins Fenster kriegen.«
»Wir haben zwei oder dreie«, meinte Wolf Kühwolf. »Die Mutter hält viel auf solche Sachen und kann umgehen damit. Wenn Ihr einen wollt, recht gerne.«
»Wenn ihr ihn nicht misset ... Wir müssen halt nachher etwas anderes geben dafür ...«
»Warum nicht gar ...?«
»Das meine ich auch«, nickte Frau Susel, die Fensterblumen kaum höher einschätzte als das Gras der Wiesen, das auch Blumen trieb und brachte. »Wenn man bei jedem Tand gleich fragen sollte, was man wiederum dafür gäbe ...! Setzet Euch doch ein wenig nieder, Jungherr Wolf! Gar so eilig werdet Ihr es ja heute nimmer haben, und ... daß Ihr uns den Schlaf nicht aus- und davontragt, wie die Leute gemeiniglich sagen. Ich habe die letzte Nacht ohnehin gar schlecht geschlafen. Das Gerede übereinander von der Hussennot ...!«
Wolf Kühwolf rückte sich einen der Stühle zurecht und ließ sich darauf nieder. Die Sache schien also wirklich wieder völlig ausgeebnet und in die alten Geleise gebracht. »Wird oft mehr geredet, als was wahr und nötig ist«, beruhigte er. »Will heißen: sicher ist ja heute kein Ort und keine Gegend vor diesem Gevölke, aber ich meine, in unseren Waldwinkel hier werden sie sich doch wohl kaum verirren. Und dann: wenn jetzt alles gut zur Gegenwehr gerüstet wird, kann es ja nichts geben, auch wenn einmal ihrer etliche kämen. Wir Jungen müssen uns halt mit Fleiße einüben ...«
»Mich kriegten sie nicht lebendig«, nahm sich Jungfer Christel vor. »Raufen wie eine Katze, wenn es sein müßte, und raufen, bis ich todwund umfiele.«
»Ist eine Rede, Christel!« lobte Wolf Kühwolf und schaute mit Stolz und Bewunderung an dem Leute, das manchmal so mild und lieb sein konnte und für den Ernstfall solches Fürnehmen aufzubringen vermochte. »Das habe ich mir auch fürgenommen, und solang ich eine Hand rühren könnte ...«
Da kam Herr Hillebrandt in die Stube, gerüstet für den Gang zum Abendtrunke. Auch ihm flog jähe Röte an, als er diesen ... Leimsieder in seiner Stube und bei seinen Weiberleuten sitzen sah, und der nur mühsam und mit kühler Berechnung niedergedämpfte Ärger lohte wieder und jählings auf in ihm wie das Feuer in einem Strohhaufen, darunter ein Kohlenhäuflein liegt, wenn ein jäher Windstoß in die Glut schnaubt. Ein etliche Male riß und zuckte es in seinem Gesichte wie lediger Krampf, derweil ihm der Jungherr den Gruß entbot, und dann breitete sich ein beinahe hämisches Grinsen über das ganze Antlitz.
»Ist schön, Jungherr Wolf, daß Ihr uns doch wieder heimsuchet. Habe schon gemeint, Ihr stießet Euch auch daran wie Euer Vater, daß mein Vater mit Schuhriemen und Pfaidknöpflein von Tür zu Türe gehandelt. Aber freilich: heut ist es anders, und heute sucht mancher auch das Geld, das lediglich mit Glück und Listen zusammengescharret worden ...«
Wolf Kühwolf wähnte sich plötzlich unter den Wasserüberfall einer Mühle gekommen, dessen eisige Kälte bis ins Mark schauerte und dessen Brausen und Wucht ihm Hören und Sehen verschlug.
»Ich ... von allem dem weiß ich nichts«, stotterte er völlig verwirrt und verlegen heraus. »Und was Ihr ... miteinander gehabt ...«
Ein paar Augenblicke waren auch die beiden Weiberleute ganz erkommen Erschrocken; mhd. erkommen. und sprachlos. Dem Anscheine nach war der leidige Bierbankhader beigelegt und vergessen, und überhaupt konnte der Wolf ja gar nichts für die Torheit und den Unverstand der Alten.
»Aber Hans!« suchte Frau Susel abzutragen und zu beschwichtigen. »Ich weiß gar nicht ... Wie wenn der leibhaftige Dunner ...«
»Was kann denn da der Jungherr Wolf dafür, wenn ihr euch auf der Bierbank zerstreitet?« preßte Jungfer Christel mit fiebernder Stimme heraus.
»Wenn der Kühwolf etwas gesagt hat, das nicht haareben war, wirst halt auch du etwas gesagt haben. Biernarrenreden.« So wieder Frau Susel.
»Freilich kann er nichts dafür«, grinste und hämte Herr Hillebrandt in mühsam bewahrter Ruhe weiter. »Ich verdenke ihn auch nicht deswegen. Aber das möge er sich nicht einbilden, daß er das Geld einer so verlästerten Sippe kriegt ... Nein, Jungherr Wolf: Eine Heimsuch' ist uns allemal lieb, aber so Absichten, wie schon Absichten sind ... Wäre für einen Kühwolfen zu ... schmierig, mein Geld. Verstanden?«
Nun wallten dem also Gehöhnten doch Blut und Ärger über. Mit jähem Rucke schnellte er vom Stuhle auf, und sein Gesicht wechselte alle daumlang die Farbe.
»Meinethalben ist Euer Geld schmierig oder nicht«, mühte er unter aller Zurückhaltung und Rücksicht als Gast des Hauses heraus. »Was geht denn das mich an? Ich brauche es nicht, und ich habe auch noch nie zu kennen gegeben, daß ich es wollte. Wenn ich öfter herüberkam, so war es, weil ... was drück' ich da lange herum? ... weil ich Jungfer Christel so gut leiden mag und weil es schier ausgemachte Sache ist, daß ...«
»Geht doch allemal wieder um ... dieses schmierige Geld. Nennt man den Hund Pudel oder Bummerl ...«
»Ich brauch' es nicht, sage ich. Ich ... Wir haben selber ...«
»So? Auftrumpfen möchtet Ihr auch noch?« ging nun Herr Hillebrandt zum letzten und wuchtigsten Hiebe über. »Mir meine Kunden und Arbeiter vom Geschäfte ziehen, in offener Schankstube böse Reden anwerfen, mich zugrunde richten wollen, wenn es ginge, und doch um mein vertadeltes Geld schleichen wie der Marder um den Taubenkobel! Wisset Ihr, wer solches tut? Wichte«, schrie er plötzlich mit schier überschnappender Stimme heraus. »Wichte, leidige Wichte. Und dorten ist die Türe. Daß Ihr es auch wißt ... Hinaus ...!«
»Aber Vater!« entsetzte sich Frau Susel geradezu. »Was ... hast du denn auf einmal ...?«
»Hinaus, sage ich. Und keinen Tritt mehr über meine Schwelle. So leidige Wichte ...«
*
Herr Egyd Kühwolf war noch nicht zum Abendtrunke gegangen, als der Bub völlig verstört und außer sich heimkam und erzählte, was ihm in des Stadtrichters Hause widerfahren. Ein paar Augenblicke wähnte auch er sich wie vom jähen Thorer betäubt und aller Sinne beraubt; dann schüttelten ihn ein etliche Augenblicke Entrüstung und fiebernder Ärger, und er mußte für ein Zeitlein in eine Nebenstube gehen; doch als er wieder zurückkam in die Stube, hatten kalte Überlegung und beinharter Trutz die Überhand gewonnen. Geschehen war geschehen; was nutzte da unmächtiges Ärgern? Das machte am Ende das Übel noch ärger, wenn es Zügel und Leitseile in die Hand bekam ... Es einfach machen wie dieser Wicht: nichts sagen dazu und nichts scheinen lassen, aber zu gelegener Zeit rechnen und heimzahlen!
»Deswegen ist noch nicht alles aus«, suchte er mit gerade nur fiebernder Stimme zu vertrösten. »Wenn die Jungfer einen richtigen Ernst hat und ... besser ist als der alte Schelm, so wird alles wie es werden soll, und hält sie es ebenso, dann brauchst du ihr nicht nachzureusen Nachtrauern. Fakultativum und Intensivum von reuen, aus ahd. hraiwan in der Bedeutung jammern. Mundartlich noch gebräuchlich.. Aber der Schelm muß herunter vom Richterstuhle im Rathause ... muß herunter. Hätt' eh' nicht hinaufgehört und wäre auch nicht hinaufgekommen, wenn der Bärnsteiner nicht nachgeschoben hätte. Der schuldet ihm, soviel man weiß, und so treibt ein Keil den andern. Doch nun muß er weg; muß er weg ...«
»Da wird das Übel allweg größer«, jammerte Frau Eva; doch er schupfte nur die breiten Schultern.
»Wenn es nicht anders geht ... Wenn er es nicht anders haben will ...«
Dann ging er. Bis zum Kirchengäßlein hielt er den Weg ein, der zum Sonnenwirtshause trug, dort aber schwenkte er jählings gegen das Reichstor ab. Der Ärger mußte zuerst soweit wie möglich abkühlen und auskühlen, ehevor er sich auf die Bierbank setzte, auf der wahrscheinlich auch dieser Schelm hockte. Hatte er sich da nicht schon völlig in Zügel und Gewalt, konnte es leicht zu neuem Hader kommen. Und das war nicht notwendig. Die Ohren hängenlassen wie ein Jagdrüde und nur schnüffeln, bis man eine Fährte gefunden.
Unterm Reichstore standen ihrer drei und ... verteidigten das Städtel wider ein belagernd Hussenheer: der alte Klaus, der Stadtsöldner und Wächter am Reichstore, der neue Magister und Jost Helmschmied, der Kantor und Schullehrer des Städtleins.
»Wenn ich ein Räuber bin und ein Schächer und wider ein Haus anrücke, wo Türen und Fenster versperrt und verriegelt sind und wo dahinter die Hausleute mit Beilen und Gewaffen stehen, muß ich allemal den kürzeren Halm ziehen«, behauptete der alte Klaus und maßte sich dabei ein so grimmig Geschau an wie ein Mordbrenner. »Und wenn zwei- und dreihundert Hussen anrücken wider die Stadt und es sind die Tore geschlossen und hinter den Toren alles voll handfester Leute, die jedem den Schädel einschlagen ...«
»Da irrt Ihr Euch schon«, widerredete Magister Achmiller. »Die Hussenheere sind gemeiniglich viel tausend Mann stark.«
»Da ... müßte ja gleich das ganze Land ...«
»Ist auch das ganze Gesindel vom ganzen Lande beisammen.«
»Im Livio steht zu lesen, wie die Römer die Stadt verteidigt hatten wider den anstürmenden Hannibal ...«, wollte der Kantor erklären, ein langer, knochiger und eckiger Mann mit lang wallendem Haare und allweil beweglichen Armen.
»Was Livius und die Römer!« fiel ihm der Magister hastig in die Rede. »Die Hussen kümmern sich den Dunner um Römer und klassische Kriegskunst. Sie haben sich selber eine solche ersonnen, und die Verteidiger müssen sich danach richten. Ich meine, wenn Mauern und Tore gut sind und alle Männer an ihrer Stelle ...«
»Das sage ich ja auch«, schrie der alte Klaus. »Jedem den Schädel einschlagen! Einmal muß ein Ende hergehen.«
»Den Vorteil des Schutzes innerhalb der Mauern haben die Verteidiger allemal für sich, doch auch den Nachteil, daß sie ...«
»Gibt keinen Nachteil, wenn ich im Vorteile bin.« So wieder der Klaus.
»Lasset mich nur ausreden!«
»Jedem den Schädel einschlagen! Die Gescheiteren rennen von selber davon.«
» Incendio magno ... durch große Feuersbrunst ...«, fiel dem Kantor plötzlich ein, da er über mögliche Nachteile nachsann.
»Das wollte ich ja sagen. Ihnen ist nichts in Brand zu stecken, aber sie, die Schelme, können die beste Verteidigung verwirren, wenn sie Feuer in die Stadt werfen. Alles rennt dann von den Mauern und den gefährdeten Häusern zu, und die Stadt fällt. Wenn aber gute Zucht und Ordnung gehalten wird, und wenn jeglicher das tut, was er tun soll, geht es nicht so leicht, einen festen Ort über den Haufen zu rennen. Einem Aushungern muß wohl beizeiten vorgebeugt werden.«
Herr Kühwolf hörte solchem Widerstreite ein Weilchen zu, bis der alte Klaus seiner gewahr wurde.
»Es ist so und nicht anders«, stellte er baumfest als seine unwiderlegliche Meinung hin. »Nicht wahr, Herr Kühwolf? Wäre nicht schlecht, wenn wir vor ein paar Wildlingen in die Hosen täten, mit Verlaub zu sagen. Unser Städtel ist noch nie eingenommen worden ...«
»Ist auch noch nie belagert worden«, hielt der Kantor entgegen. »In der ganzen Chronika ist nicht ein Wort zu lesen ...«
»Leut' müssen die Leute sein«, faßte Herr Kühwolf sein Urteil in ein paar Worte zusammen. »Jeder sein Möglichstes tun ... Mauern und Tore werden in den nächsten Tagen ausgebessert. Muß dann noch genug Brotgetreide eingelagert werden, und die Hauptsache: ein tüchtiger Anführer des Stadtfähnleins ...«
»Ein Stadthauptmann«, berichtigte Magister Achmiller.
»Auch so. Nachher kann nichts fehlen, meinte man.«
»Wer ... wird der Stadthauptmann?« forschte der alte Klaus. »Ein tüchtiger, alter Söldner halt, der etwas versteht von dem Handwerke. Ich meinetwegen ... ich wäre schon zu alt dazu.«
»Noch kein Antrag. Der Stadtrichter aber taugt nicht dazu«, zwickte er gleich nach dieser Seite hin. »Das sage ich offen weg. In solchen Sachen kein Geschick, und nachher ... gehört einer dazu, der es sich angelegen sein läßt, und der ... Na, weiß man eh',« brach er vielsagend ab.
»Wohl, der sich's angelegen sein läßt,« bekräftigte Magister Achmiller. »Gute Zucht, fleißiges Einüben der Leute und ein Ansehen. Muß zur Zeit der Belagerung soviel gelten wie der Stadtrichter, wenn nicht mehr.«
»Wird in dem Falle wohl sein müssen.«
»Gute Einteilung. Die besten Leute auf die Mauern und Mordgänge, die anderen, wenn Brände geworfen werden, auf daß sie rasch löschen ...«
»Ihr hättet so das Zeug zum Stadthauptmann«, nickte der Kantor.
»Ich? Nein, mein Lieber. Erstlich bin ich ein Fremder in der Stadt, und nachher würde es für mich sonst genug Arbeit geben, wenn wirklich der Fall eintreten sollte. Verwundete, Kranke ...«
»Ist auch wahr ...«
Herr Kühwolf stapfte seines Weges weiter und über die Brücke hinaus. Eine Weile wurmte und zürnte er wieder über diesen Wicht, diesen Hillebrandt, und über den Schimpf, den er seinem Buben und damit seinem ganzen Hause angetan, bis zufällig sein Blick die festen, über haushohen Mauern des Städtleins streifte, die wuchtigen Türme und die festen Tore ... Meinen sollte man, es wäre unmöglich, einen solchen Ort umzurennen und einzunehmen, wenn sich hinter den Mauern auch nur einige kräftige Hände regten. Und sie würden sich regen und regen müssen, wenn es soweit käme und die Not dazu zwänge, was Gott aber weislich und gnädig verhüten möge. Wenn so vorgerüstet würde, wie der Magister meinte und rät, könnte es wohl gelingen, sich dieser Geißeln Gottes zu erwehren. Wer aber ...? Dieser Hillebrandt darf in keinem Falle mehr noch eine Würde bekommen, noch dazu eine, der er noch weniger gewachsen wäre als der Würde und dem Amte eines Stadtrichters. Wer aber etwa ...? Ein Ansehen, sagt der Magister ... sich's angelegen sein lassen ... und zur Zeit einer Belagerung soviel gelten wie der Richter selbst ... Wen könnte man dazu nehmen? Jedenfalls nur einen, der im geheimen nicht der beste Freund des Hillebrandt ist. Vielleicht wäre solches schon der Anfang von des Richters Ende. Er, der Kühwolf, selber? Nein, er taugt nicht dazu. Erstens versteht er von all diesen Sachen nichts, weil er sich die ganze friedliche Zeit über nicht darum gekümmert und so wenig wie jeder andere sich darum zu kümmern gebraucht, und dann ist er schon zu alt dazu, um sich dareinzufinden. Der Bärnsteiner oder einer seiner Leute? ... Nein. Gerade der hat diesen ... Hillebrandt, bei dem er auf dem Kerbholze steht, auf den Richterstuhl des Städtchens geschoben ... Wenn sein Bub, der Wolf, nur ein wenig etwas verstünde vom Kriegshandwerke! Das wäre so ein Streich, den er diesem Schelmen spielen könnte! Stadthauptmann! Soviel gelten wie er selber. Da müßte ihn schon der Ärger krank machen und ... zersprengen wie der gärende Trunk das mürbe Faß.
Nun wandte er sich und schaute geflissentlich an den Mauern und Türmen des Städtleins. Wäre ein Streich! Und wenn sich kein anderer findet und finden läßt, muß er, der Wolf, muß er, und wenn er, der Egyd, für den Buben zwei Gesellen einstellen und zahlen müßte. Zum Trutze, lediglich zum Trutze ...
Also sann und trutzfieberte er dahin und trabte zurück zum Tore. Wenn dieser Magister noch dorten stünde und wenn der vielleicht vom Kriegshandwerke mehr verstünde als landfahrender Mensch, als man in einem gemeinen Bader suchen wollte ...
Aber der war nimmer dort, und der alte Klaus wartete sichtlich schon auf seine Rückkehr, um das Tor zu schließen.
Also ging er zum Balthes.
Dort saßen schon einige der Ratsherren an ihrem Tische und ein etlich Volk am Ofentische, und auch der Magister hockte unter diesem. Geflissentlich winkte er ihn abseits.
»Eine kurze Frage, Magister. Nach Euren Reden am Reichstore vermute ich, daß Ihr etwas verstündet vom Kriegshandwerke«, ging er den an.
»Sonst nicht«, widerneinte der. »Nur was man so hört und sieht, wenn man im Lande herumkommt, und was einem der eigene Verstand weiset. Auf der hohen Schule haben wir uns wohlgeübt im Schirmen und Fechten mit kurzen Messern und langen Stangen, aber Schirmen und Fechten ist nicht Kriegshandwerk und auch nicht einmal Stadtverteidigung.«
»Möchtet Ihr einen in solcher Kunst unterweisen und in allem, was Ihr über das Kriegshandwerk wisset? Würde Euch gut gelohnt werden. Ich meine, wenn ... einer ... genötigt würde zum Führer des Stadtfähnleins, der wohl Eifer und Willen hätte, aber keine Erfahrung.«
»Recht gerne, Herr ...«
»Ein Wort also ...!«
Dann erst ging er zum Ratstische vor und begrüßte die Herren einen um den anderen. Er nahm sich sogar vor, auch diesen Wicht, den Hillebrandt, zu grüßen und sich beinahe nichts anmerken zu lassen, aber der saß nicht dort. Dafür aber ging die Rede von ihm und daß er vom Bärnsteiner den Wieshof gekauft hätte.
»Der Mensch hat ein Narrenglück«, wunderte der Torbäck. »Mit beinahe nichts anfangen und ... die paar Jährlein her ...«
»Glück und ... Wagemut«, umschrieb der Gerber. Herrn Kühwolfen aber dünkte ein Lichtlein aufzugehen, das von einer anderen Seite her seinen Schein auf den seinem Buben angetanen Schimpf warf. Nun war dem reichen Handels- und hochmütigen Grundherrn der Freier wohl zu klein geworden; er trachtete mit seiner Tochter höher hinaus und wollte dieses Freiers loswerden. Auch recht.
»Nun hätte er schon gar keine Zeit mehr, daß er sich um das Stadtfähnlein und um die Verteidigung der Stadt kümmerte«, schlug er von weitem her an den Busch.
»Wär eh' nichts mit ihm,« knurrte ein anderer.
»Wenn sich keiner dazu herbeiließe und wenn keiner ... Zeit hätte dazu ...«, deutete Herr Kühwolf nun an. »Einer muß es sein, und zu solcher Zeit muß jeglicher ein Opfer bringen, weil es auch um seine Haut geht. So habe ich gedacht: mein Wolf ... Ich müßte mir halt für ihn einen oder gar zwei Gesellen halten. Ginge nicht anders. Schon im Evangeli heißt es: niemand vermag zween Herren zu dienen.«
»Einer muß es sein, und keiner wird recht wollen«, meinte auch der Bräu. »Wenn es ein Amt wäre, das Gewinn brächte ...«
»Wie die Bräuerei ...«, zwickte der Nagelschmied. »Oder der Salzhandel.«
»Kann wohl sein!«
»Soll er sich annehmen darum, der Wolf!« billigte der Pankrazimetzger. »Wenn er den Willen hat ... Einer muß es sein.«
»Ratet nachher halt ab!« forderte Herr Kühwolf nun geradeweg. »Er weiß nichts davon. Mir ist es vorhin erst eingefallen, wie ich ein Zeitlein für's Reichstor hinaus bin und unsere Mauern so angeschaut habe. Wenn halbwegs eine richtige Gegenwehr ist oder wäre ... unmöglich, daß uns etwer bezwänge. Er weiß also noch nichts, aber er wird nicht widerneinen, wenn ich rate. Aber das müßte wohl sein, daß kein Gerede unter die Leute kommt, er strebte nach dem Amte, das mich einen oder gar zwei Gesellen kostete, und das müßte sein, daß ihm keiner dareinzureden hätte. Wo fünf befehlen, gerät alles zehnmal unrecht.«
»Ist eine Ratsrede in ernster Zeit«, lobte der Bräu. »Und wenn einer noch dazu Geldopfer bringt nebenbei ... Muß sogar den Richter freuen, wenn er darum erführt.«