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2.

Neben dem Reichstore stand zwischen etlichen niedrigen Holzhäusern ein stöckig Gebäu mit flachem, steinbeschwertem Dache und zwei Erkern gegen die Straße hin, und über dem breiten Tore hing und schaukelte eine vergoldete, allweg breit und behäbig lächelnde und von armeslangen Strahlen umgebene Sonne.

Das war das Bier- und Herbergshaus »Zur Sonne«, allwo man im ganzen Städtlein das beste Bier fand und die längsten Würste.

Selbst der Bräu vermochte seinen Gästen keinen solchen Tropfen vorzustellen, wie ihn der rote Balthes, der Sonnenwirt, schenkte, und daher vermutete er, der rote Wildbart kannte und nutzte irgendein Geheim- oder gar Zaubermittel, um sein, des Bräuers eigenes Bier so zu bessern, daß es jedweden anderen Keller zuschanden stellte. Ging aber selbst gerne hin und trank »in der Sonne« mehr Bier wie im eigenen Hause. Denselben Weg nahmen Abend für Abend auch weitaus die meisten Bürger des Städtleins, um sich zum Abendtrunke und zu einem Zeitlein gemütlichen Schwatzes zusammenzusetzen. Nur Handwerker und Geschäftsleute wechselten des Geschäftes wegen hin und wieder nach dem alten Grundsatze: leben und leben lassen.

Sogar den neuen Bader, der sich Magister nannte, hat einer spießgerade zum Sonnenwirte gewiesen, als der um Herberg und Beköstigung fragte.

Beköstigung hat ihm der rote Balthes wohl zugesagt für so lange, als er keinen eigenen Hausstand hätte, doch mit der Herberg vermöchte er ihm nur für einige Zeit auszuhelfen. Er würde aber selbst Umschau und Nachfrage halten nach einer solchen.

Daher saß auch der Magister, der neue Bader, am Ofentische »In der Sonne« und gab Rede und Bescheid allen und jedem, die sich am selben Tische niedergelassen. Zu fragen aber wußte männiglich genug. Die Welt ist groß, und die Zeiten waren schlimm, und Kriegs- und Mordgerüchte drangen von allen Seiten bis selbst in diesen stillen Waldwinkel herein.

»Aus schmutzigem Lehme macht man Häfen und aus Nichtigkeiten Welthandel«, meinte der Hafnergürg und fuhr sich mit seinem Joppenärmel über den bartstummeligen Mund. »Die ganze Ursach' ist eine Ursach', um die man sich nicht einmal bücken sollte.«

»Wenn sie den Magister Hus nicht verbrannt hätten, wäre der ganze Rummel ausgeblieben«, meinte ein stichelbärtiger Schuster. »Nun können es Hunderte und Tausende büßen.«

»Ist allemal so: Trutz bringt wieder Trutz, und Schlag heischet Gegenschlag.« So ein anderer.

»War ein Irrlehrer und Ketzer,« bedeutete der Pfarrer, »Und solche ...«

»Sagt man,« stellte der Gürtler dahin. »Aber warum hat schon der Heiland das Brot gebrochen und den Kelch gereicht? Und was zur selben Zeit recht gewesen ist, meine ich ...«

»Die Kirche hat es untersagt, und sie wird ihre Gründe dafür haben.«

»Sind auch ganz begreiflich,« meinte der Magister. »Zum Tische des Herrn kann und soll jeder gehen, Gesunde wie Kranke. Nun trinkt ein Kranker aus dem Kelche oder einer mit Aussatz oder ähnlichem Übel, und hinter ihm soll ein Gesunder trinken! Gar nicht zu reden von Süfflingen, die ein Faß aussüffen, nicht nur einen Kelch. Und nachher ist das auch noch gar nicht die causa causarum Grund der Ursachen. des ganzen Rummels. Ist nur der Vorwand.«

»Ist nur der Vorwand,« bekräftigte auch der Pfarrer, froh, in dem neuen Magister einen guten Verteidiger der Wahrheit gefunden zu haben.

»Ja ... was denn sonst ...?«

»Als ich vor elf oder zwölf Jahren als blutjunger Scholar auf die hohe Schule in der Prager Stadt zog, war es dorten noch Brauch, daß die Professoren und die gesamte Studentenschaft in vier »Nationen« geteilt war und daß jede dieser eine Stimme im Rate hatte. Derselbe Magister Hus und seine Helfer in der Umgebung des Königs aber setzten es durch, daß fürder die »böhmische Nation« drei Stimmen haben sollte und die übrigen drei, die bayrische, die sächsische und die polnische, mitsammen nur eine. Daher zogen wir Deutschen alle am 10. Maien 1409 von Prag aus und nach Leipzig, und hinterher predigte derselbe Magister Hus von der Kanzel und öffentlich die causa causarum: »Kinder, gelobt sei der Allmächtige, daß wir die Deutschen vertrieben haben ...« Das, meine ich, muß für jeden langen. Das war damals die Ursach' und ist sie heute noch: Die Deutschen aus dem Lande treiben ... Freilich, wenn der Kaiser ein Mann wäre! Ein Mann hält sein Wort und sein Versprechen zu jeglicher Zeit, und ein kluger Mann trägt ab, statt den Brand zu schüren und den Trutz zu reizen.«

»So mache ich es auch allemal,« nickte der Balthes, der Sonnenwirt, und gab seinem grünsamtenen Schlägelkäpplein einen Stoß zur Seiten. »Abtragen statt den Trutz reizen. Wenn sich einmal zwei an der Kehle haben, hat der Dunner gewonnen Spiel.«

Ein untersetzter und trotz seiner Jugendlichkeit schon hübsch gerundeter Mann schob sich langsam zur Türe herein: Simon der Föder, der kaiserliche Zoll- und Ungelteinnehmer im Städtlein. Sein Leib stak in beinahe völlig neuem Sammetgewande, der Mantel hing nur lose über den Schultern. Der dunkle Bart war säuberlich gestutzt und geschnitten, und sein ganzes Gehaben verriet auf den ersten Blick, daß er es wohl wußte und auch geflissentlich jedermann zu kennen geben wollte, daß er der kaiserliche Ungelteinnehmer, also der höchste Beamte im Städtlein war, der selbst dem fast allmächtigen Bärnsteiner da hinten auf seiner Zwingburg in nichts nachstand und auch nicht nachstehen wollte.

»Schön guten Abend, Herr Einnehmer!« wünschte der Balthes, lüpfte sein Schlägelkäpplein und machte einen ungefügen und linkischen Bückling. Auch eine Maid hüpfte herbei, knickte flüchtig die Knie und wünschte die Tageszeit. War ein schmuckes Leutchen in etwas altväterischem, ziemlich abgetragenem Gewande, und statt einer Haube trug sie das volle, lange Haar zierlich aufgenestelt. Ledig Leben und Jungübermut sprühten aus Gesicht und Augen, und ein zuvorkommend Lächeln spielte um den vollen Mund. Es war Gertraud, das Dirndel des verstorbenen Baders und die Niftel der Sonnenwirtin, die schon beinahe die Jahrzeit über aushalf im Geschäfte, weil die Wirtin an einer auszehrenden Krankheit litt.

»Eine Kanne, Herr Einnehmer?«

Der schaute vorerst um und um und wußte nicht recht, ja oder nein.

»Herr Hillebrandt nicht da, der Stadtrichter?«

»Noch nicht; kann aber jeden Augenblick kommen.«

»Nun so: eine Kanne! Werden ja sehen. Vielleicht ist er heute zum Drachenwirt hinüber. Sollen Säumer dagewesen sein, wenn sie nicht noch im Städtel und beim ›Drachen‹ sind.«

Der Balthes rückte ihm einen Stuhl neben den neuen Magister und nannte diesen gleich bei Geschäft und Namen. »Ein Magister, auch noch dazu von der hohen Schule«, fügte er hinzu.

»So! So!« Das war für eine Weile das einzige, das der Zöllner neben einem herablassenden Nicken herausbrachte. Erst nach einem Zeitlein darauf frug er nach Wie und Woher und was es Neues gäbe in der Klattauer Gegend.

Gottlob noch nicht viel mehr, als daß man eben alle Deutschen vertrieb.

»Gottlob!« nickte auch der Einnehmer. »Da habe ich heute ganz andere Mär erfahren. Ein Bote vom Kreisamte hier gewesen. Es wird allweg ärger; Morden und Mordbrennen hüben und drüben. Die Hussen haben Prachatitz erobert und böslich gehauset. Nachher haben sie im Rosenberger Gebiete das Kloster Goldenkron zerstört und alle Mönche darin an den Linden bei der Kirche aufgehängt ... alle ...«

»Wie Ihr gesagt habet«, nickte der Pfarrer dem neuen Magister zu und schüttelte sich vor Entsetzen. »Nicht um den Glauben geht es diesen Leuten ... zerstören, morden wie Werwölfe.«

»Gott möge uns in Gnaden behüten vor diesem Volke!« seufzte der Hafner. »Was wollten wir anfangen, wenn sie uns vor die Tore und Türen rückten ...?«

»Abwehren«, kreißte einer kiesrauh heraus.

»Schon recht. Sagt man leicht. Unsere zwei Dutzend Mann Stadtwache? Wir? Wer denn? Und dann geht es uns wie allen den anderen Städten.«

»Nur nicht heute schon in Unmachten fallen!« versuchte der Balthes zu scherzen, aber es wollte nicht recht anklingen. »Bei Hochzeiten und zu Festeszeiten raufen die Wichte wie bissige Hunde; wenn sie vom Hussen hören, fällt ihnen das Herz in die Strümpfe. Es machen wie der Imm', wenn man ihm an den Stock schlägt!«

»Sagt man. Sind größere Städte mit mehr Männern und Fäusten ...«

»Deswegen wollte ich mit dem Richter und den Ratsherren reden«, meinte der Einnehmer. »Doch sie sind heute wohl anderswo hingegangen.« Er trank seine Kanne leer und rüstete zum Gehen.

»Wenn Mauern und Tore gut sind, meinte man ...« sann der junge Gerber-Heini und trommelte mit den Knöcheln leicht auf die Tischplatte. »Wenn da alles ohne Fehl und Lücke wäre, und wenn wir ...«

»Vom selben rede ich ja«, erinnerte der Balthes. »Hexen können sie auch nicht, und wenn alles fest und sicher wäre ... könnt' es nichts geben.«

»Da plagt und mühet man sich all seiner Lebetage um das bissel Ware und die leidigen paar Pfennige, und nachher ... kann in Stundenweile alles hinsein,« klagte ein schon mausgrauer Krämer. »Wie das Gevieh in den Wäldern hinten: lediglich eines das andere umbringen. Und dabei steht in der Schrift: nach meinem Ebenbilde will ich schaffen den Menschen. Sollte auch noch stehen: das größte Raubtier.«

»Und Krämer dazu«, witzelte der Schuster.

Nach einer Weile stand auch der Pfarrer auf und ging heim, doch bald nachher kamen ein etliche Ratsherren an und mit ihnen Mathes Schwarzschädel, der Stadtschreiber. Setzten sich aber nicht zu den anderen am Ofentische, sondern gleich an den vordersten Ecktisch, darüber das blecherne Stadtwappen hing und der gemeiniglich der Ratstisch genannt wurde. Nur ein leichtes Grüßen wurde Wirt und Gästen zuteil.

»Der Richter nicht mit?« fragte der Balthes. »Gerade vorhin ist der Einnehmer dagewesen und hätte ihn gesucht.«

»Noch nicht gesehen heute«, beschied der Bräu. »Etwa geht er heute gar nicht fort von seinen Salzsäcken. Waren beim Ochsenwirte drüben am Wassertore. Ein hundselendig Gesäufe, das dieser Mensch auf den Tisch stellt. Und siedet in derselben Pfanne und rinnt aus demselben Bottich wie jedes andere. Weiß nicht, was der Zagel treibt mit dem Biere.«

»Mit allem muß einer umgehen können«, schmunzelte der Balthes vergnüglich.

»Und alles will gelernt sein«, trumpfte der Schuster darauf und hinüber.

»Hat der Einnehmer nicht gesagt, warum ... er ihn suchte, den Hillebrandt?« näselte der Stadtmüller.

»Mir scheint, es ... geht ein wenig Gefürchtigkeit um. Die Hussen ... Prachatitz erobert, in Goldenkron die Mönche aufgehangen, sagt er ...«

»Könnte uns noch abgehen«, knurrte ein dürrhagerer Alter, dessen Haar schon völlig ergraut und dessen Bartwildnis bis über die Mitte der Brust niederwallte: Herr Egyd Kühwolf, der Kaufherr am Ecke des Schmiedgäßleins.

Und nun ging am Ratstische das Gerede über Hussen und böse Zeitläufte los. Manche fürchteten und manche wollten allen Hussen und Hölldunnern trotzen. Das und jenes müßte sogleich unternommen werden und geschehen, um wider alles gerüstet zu sein, und jeglicher müßte sich mit Wehr und Waffen versorgen, so er dies nicht schon getan hätte. Ein eigener Stadthauptmann müßte erkoren werden und dies und jenes ...

Und während solchen Ratens und Fürnehmens kam Herr Hillebrandt, der Stadtrichter, in die Stube.

»Nun also: da hocken sie!« schmunzelte er und nickte grüßend hin und wider. »Und ich fahnde hier und dorten ...«

»Wenn man nicht ab und zu der Kundschaft wegen hier oder dorthin gehen müßte, sagte ich schon: Abend um Abend ohne Ausnahm' sich in die Sonne setzen ... zum Auswärmen«, schlug der Metzger Pankrazi vor. »Das Gesäufe beim Ochsen ...! Wahrhaftig ein Ochsentrank.«

»Schickt man zeitenweise einen oder zwei Gesellen hin«, riet der Bräu. »Wozu hätte der Schmied seine Zangen?«

Der Balthes rückte dem Stadtobersten den bequemsten Stuhl zurecht, und die Gertraud stellte die schäumende Kanne schon auf den Tisch, noch ehe Herr Hillebrandt sich niedergelassen und während er noch dem und jenem der Ratsherren die Hand bot zum üblichen Willkommgruße.

Erst dann setzte er sich, hatte aber ... aus ledigem Versehen und über lauter Reden und Fragen die dargebotene Hand des Herrn Kühwolf übersehen.

Der lehnte sich daraufhin kurzerhand baumfest zurück und redete eine gute Weile kein Wörtel. Er mochte sich vielleicht Übersehen und Ursache zusammenreimen und war verstimmt. Wahrscheinlich hatte dieser Mensch schon wieder erfahren, daß er doch Fingerlein im Gewölbe hat und deren auch verkauft, und der ledige Geschäftsneid herrschte ihn zur Stunde. Soll seinetwegen! Was hat er, der Kühwolf, nach dem Hillebrandt zu fragen, wenn er noch neunmal Stadtrichter wäre? Was fragt der nach ihm? Jeden Kunden schnappt er ihm weg, so er es zuwegebringt, und die Salzniederlage ... Weiß man eh': wenn der Eidam nicht der Ungelteinnehmer ist, dann hat er sie heute auch nicht. Was hat also er sich um das Wohl- oder Übelwollen dieses Menschen zu bücken, dem der Neid nicht einmal so viel Einsehen aufkommen läßt, daß jeder Gewinn, der in des Kühwolfen Sack rieselt, auch seiner Docke Puppe. zugute kommt, nachdem sein Bub, der Wolf, diese als Ehefrau heimführen will? ... Seinethalben also schon ...

Der Schwatz von Hussen und Hussengreueln hub am Ratstische von neuem an, und auch alle Fürnahmen wurden wieder erörtert, bis nach einer Weile eine zufällige Rede fiel, der schandenhalber keiner der beiden hätte recht ausweichen können, der aber Herr Hillebrandt doch auswich.

»Was ist's denn mit Euch zwei ... Schwähern?« forschte der Bräu leichthin. »Ansonsten die dicksten Freunde und heute wie zwei Schafböcke, die zum Stoßen rüsten wollen. Etwa gar wegen der Mitgift nicht handelseinig geworden?«

»Ich ... von mir aus ...« drückte Herr Kühwolf verlegen herum; doch Herr Hillebrandt vermochte seinen von neuem zu krabbeln anfangenden Ärger nimmer völlig zu meistern.

»Täte den und jenen verdrießen, wenn er hinter so eine ... Hinterhältigkeit käme,« prustete er trutzend heraus, ohne den andern auch nur anzusehen.

»Das muß schon noch ausgeredet werden«, knurrte Herr Kühwolf halb verlegen, halb ebenfalls trutzend. »Von Hinterhältigkeit wenn man sagen wollte ...«

»So reden wir es halt aus ...«

»Ihr werdet doch nicht etwa ...?« legte sich der Stadtmüller ins Mittel. »Alles voll Leute und Ohren, und wenn zwei vom Magistrate und noch dazu in öffentlichen Schenken ... Sind doch keine Bauern oder gar Bauernknechte.«

Das dämpfte für einige Zeit, doch Herrn Hillebrandt ließ der Ärger nicht zur gewohnten Ruhe kommen. Eine ganz harmlose Antwort Herrn Kühwolfs, welche dieser dem Metzger gab, und hinter der er in seiner Verärgerung eine Anspielung witterte, hob ihn wieder auf den Hahnbaum und sträubte ihm die Federn.

»Jetzt habe ich genug, Kühwolf«, polterte er jählings heraus, und sein ganzes Gesicht wurde biberrot. »Daß Ihr es auch wisset.«

»Ist ja doch ...« staunte der Metzger.

»Ich weiß es schon. Wo ihr hinwollet, dort ist der Hans Hillebrandt schon längst gewesen. Verstanden?«

»Was habt Ihr denn heute, Richter?« wunderte auch der Bräu. »Wie völlig ausgewechselt und vertan. Kein Mensch will irgendwohin, soviel ich merke.«

»Ich weiß es schon ...«

Nun riß aber Herrn Kühwolfen doch der letzte Geduldsfaden. In seinem Gesichte begann es zu rucken und zu zucken, und die Hände tappten nur so zwecklos herum auf dem Tische.

»Was wisset Ihr? Was ... was ...? Nur heraus mit der Rede, so sie eine Mannesrede sein soll! Ich weiß es ... verstanden? ... ich ... Wegen den paar Fingerlein ist es wohl, mit denen ich nicht gleich auf dem Stühlchen gesessen bin, weil ich diese War' im Augenblicke selber brauche. Als ob man Euch seit jeher nicht schon mehr wie genug Gefallen getan hätte! Aber daran denkt Ihr wohl nimmer. Da hat Euer Vater noch mit Schuhriemen und Pfaidknöpflein von Türe zu Tür gehandelt, hat ihm mein Vater selig schon mehr wie hundert Gefallen erwiesen, und da habt Ihr noch nicht um zwei Pfund War' im ganzen Gewölbe gehabt, seid Ihr um schier jeglichen Gefallen zum Kühwolfen gelaufen. Jetzt, wo Ihr es mit Glück und Listen zum großen Handelsherren gebracht und zum Stadtrichter, und wo Euch Euer Eidam auch noch die Salzniederlage in die Hand gespielt hat, jetzt wisset Ihr das alles nicht mehr, und jetzt wolltet Ihr wegen ein paar leidigen Fingerlein beleidiget sein ...«

In der großen Schankstube verstummte plötzlich jegliche Rede, und alles starrte völlig verdutzt nach dem aufgebrachten Kaufherrn, der sich kecklich solcher Reden vermaß. Daß es so war, wie der in seinem Ärger herausprustete, wußte männiglich, und daß des mächtigen Stadtrichters Vater noch mit Schuhriemen und Pfaidknöpflein zu handeln angefangen, erzählten ältere Leute hin und wider. Daß Herr Hans Hillebrandt sich mit viel Geschicke und mit noch mehr Glück emporgearbeitet, wußte jeder, und das mit der Salzniederlage raunte man einander auch in allen Gassenecken zu. Ihm, dem Stadtrichter, all dieses aber in offener Gaststube ins Gesicht zu sagen, hätte im Städtlein wohl niemand gewagt; daß es der Kühwolf jedoch in seinem Ärger herauspolterte, tat schier einem so wohl wie dem anderen. Nur Magister Sebald Achmiller kannte die Verhältnisse im Städtlein nicht und beurteilte den Streit der beiden Stadtgrößen nur als solchen und fand ihn peinlich und widerlich.

Herrn Hillebrandts Gesicht wurde zuerst wachsfahl und gleich nachher biberrot, und ein Zeitlein saß er am Tische wie völlig betäubt. Wie Schläge mit einem ungefügen Prügel sumsten diese Reden wider seine Ohren, und er vermochte zuerst selber kaum zu glauben, daß solches geredet und ihm angeworfen werden könne. Dann gab es seinem Arme und seiner Hand überlings einen jähen Ruck, als wollte er nach der Kanne tappen, um diese dem Lästerer an den Kopf zu schlagen, aber er fuhr damit gleich darauf in die Tasche und warf ein etliche Geldstücke auf den Tisch.

»Meine Zeche ...« keuchte er mühsam heraus.

Nun suchten sich die Ratsherren und der Balthes ins Mittel zu werfen.

»Aber Herr Kühwolf ...! Ratsherren untereinander ...! Was sollen die Leute ...«

»Weil es nicht anders ist«, bestand der trutzig.

Herr Hillebrandt stand mit jähem Rucke auf. Seine wutsprühenden Blicke bohrten sich wie Nadelspitzen in das Gesicht des Lästerers und mit fiebernder Stimme presste er mühsam und schandenhalber ein paar Brocken heraus.

»Herr Kühwolf, über das ... werden wir noch reden.«

»Ist schon geredet«, prustete der. »Weil es nicht anders ist ...«

Herr Hillebrandt warf nicht einmal die Türe hinter sich ins Gesperre. Wie im Schlaftaumel stolperte er hinaus und davon, und draußen auf der Gasse mußte er erst eine Weile schauen, ob er sich rechts oder links hinwenden sollte.

Im Wassergäßlein unten tutete der Binder-Marx, der Nachtwächter, die erste Runde und krähte das altgewohnte Sprüchel dazu.

»Ihr Herrn und Frauen, laßt euch sagen ...«

Doch ihm, dem Richter, kam es beinahe vor, als ob ihn auch der aushöhnen wollte ... du ... du ...! Schuh ... riem' ... Knöpf ... lein ... Wenn es nicht in offener Schankstube gewesen wäre und wenn er, der Hans Hillebrandt, nicht als Stadtrichter sich besonderer Überlegung zu befleißen hätte, ein etliche Kannen hätte er an diesem Spottmaule zu Schaden geschlagen ... Was geht den sein Vater an, oder was geht er ihn, den heutigen Kaufherren und Stadtrichter, mehr an? Es ist ja wahr, daß der ehezeit einmal mit kleinen Waren den Handel angefangen, aber heute ist das soviel wie nimmer wahr. Es ist einmal gewesen, und es ist einmal gewesen, wo der größten Kauf- und Handelsherren Ahnen mit Kleinigkeiten angefangen ... einer wie der andere. Besser allweg, es arbeitet sich einer hinaufzu wie hinab. Er, der Hans Hillebrandt ... Mit Glück und Listen ... Mit was für Listen? Damit wird dieses Spottmaul schon herausrücken müssen. Er ... sie, die ganze Kühwolfensippe ... Täte sich dieser ... Leimsieder, der junge Kühwolf, wohl um die Christel so arg streben, wenn sie lediglich die Tochter des Hans Hillebrandt wäre, der ... vor Jahren noch nicht einmal um zwei Pfund Pfennige Waren im Gewölbe gehabt? Die Tochter des Kaufherren und Stadtrichters Hans Hillebrandt freite er. Aber noch hat dieser Wolf sein Lämmlein nicht im Rachen. Dazu hat er zu wenig Glück und Listen. Noch hat der Sohn des alten Höllebrand-Petern, wie sie seinen Vater genannt haben, der ... mit Schuhriemen und Knöpflein gehandelt, ein rechtschaffen Wort dareinzureden, und der sagt: Nein! Aus und Amen! Aus dem Schlafe weckt er sie noch, die Frau Susel und das Dirnlein, falls sie sich schon zur Ruhe begeben, wenn er heimkommt, und Schelt' und Schläge droht er an, sollte man sich an sein Verbot nicht halten wollen ...

So sann und wutschnaubte er des Heimweges dahin, aber als er daheim das Frauenzimmer wirklich schon in der Ruhe fand, weckte er doch keine von beiden mehr. Zornfiebernd riß er das Gewand vom Leibe und warf es stückweise im Gemache umher, und zornfiebernd legte auch er sich zu Bette. Doch vom Einschlafen war keine Rede, bis des alten Marxen Tuthorn nur zweimal durch die Gassen der nachtschlafenden Stadt hallte. Anfänglich sann er sogar zwischendurch Mord und Mannschlag, aber mählich wurde sein zornwallend Blut ruhiger und sein Sinnen klarer, und bis der Schlaf doch leislich an sein Lager schlich, hatte er ein ganz ander Fürnehmen zusammengereimt. Nicht mit Schelt' und Wettern unter die Weiberleute fahren, die eigentlich nichts dafür können und mit des Alten Lästerrede genau so geschmäht sind wie er, sondern mit dem Gegenschlage einen Kühwolfen treffen und gut treffen! Den Weiberleuten gegenüber erwähnt er morgen wohl des Bierhandels, aber als eines solchen, der kaum des Erzählens wert ist, dem jungen Kühwolfen jedoch sagt er so das Notwendigste, wenn er wieder einmal ins Haus und zur Christel kommt, aber schon in einer Weise, die ein Narr nicht mißdeuteln könnte. Aus und Amen!

Herrn Kühwolf schlich schon die Reue von weitem herum an, kaum daß der Stadtrichter ein Weilchen aus der Schankstube war.

Hätte es eigentlich nicht not gehabt, gleich mit solchen Trümmern zu kommen. Ein paar handfeste Brocken, und der andere hätte sich auszukennen vermocht daran. Und wenn er gar nichts gesagt hätte zu der Geschichte, hätte es auch dieselbe Münze gegolten. Seinetwegen wohl ... Was fragt er nach diesem Menschen, der nicht genug Geld erwuchern und nicht genug Ehrenstellen erschleichen kann? Die Kühwolfen waren schon ein angesehen und vermöglich Haus, da der Höllebrand-Peter noch von Tür zu Türe handelte und bei ihnen auf Borg nahm, was er anderwärts nicht bekommen konnte. Das Geschäft der Kühwolfen gleicht einem alten Bürgerhause, das vom ersten Grundsteine auf sorgsam und fest gebaut worden und nicht innerhalb etlicher Wochen in die Höhe gerissen worden. Aber des Buben wegen ist es, des Wolfen wegen. Diesem mag man die Reden etwa nachtragen und übelnehmen, und er ist völlig versessen auf das Leut, diese Christel, die übrigens dem Hause auch einen geschoberten Strumpf Geldes mitbringen wird. In solchen Sachen läßt sich der Hillebrandt nicht schänden; das muß man ihm schon lassen. Lieber zwickt und zwackt er das Geld an anderen Orten ab. Daher waren diese Aufregung und diese Lästerreden eigentlich eine Torheit und noch dazu vor den Leuten eine Unüberlegtheit.

»Muß ein verrückter Tag sein heute«, suchte er nachher zu beschönigen und zu ebnen.

»Hat das Aussehen darnach«, nickte der Balthes.

»Wenn er nicht so hui-hui! ist, muckse ich eh' nicht. Als Geschäftsmensch ist man das Verschlucken der Bösreden schon gewohnt. Aber alles ... Wär' eh' wieder eingeschlafen, die ganze Sache.«

»Etwa hat er schon ein paar Maß hinterm Koller gehabt,« mutmaßte der Stadtmüller.

»Mmm?«

»Geschadet hat es ihm aber auch nicht,« redete der Hafnergürg herüber zum Ratstische. »Wird schon ein wenig ... hoch hinaus, der Mann. Und es tät' es kleiner auch noch.«

»Biertischreden!« urteilte der Bräuer leichthin. »Alles die bösen Geister, die meine Gesellen ins Gebräu bannen. Morgen seid ihr wieder die Alten: Ratsherrn und inskünftige Schwäher.«

»Muß den Herren auch zeitenweis' eine Torheit in den Weg laufen«, grinste ein anderer. »Nicht allweg uns.«

Eine Torheit unterlaufen ... Das sagte am anderen Morgen auch Herr Kühwolf, da er den Biertischzwist bei der gemeinsamen Morgensuppe erzählte und geflissentlich trachtete, diesen viel harmloser hinzustellen, als er eigentlich war. Ein wenig Trutzerei wegen den paar Fingerlein, ein paar trutzige Reden hin und wider, und ... der Bub, der Wolf, möge fürsichtigerweise ein etliche Tage nicht zur Heimsuche gehen zu Hillebrandt, bis man über das bissel Trutzen wieder hinübergefunden.

»Wenn wir ein paar hinübergeschickt hätten ...« erinnerte der mit gelindem Vorwurfe. »Hätte ja kein Schock sein müssen. Und der gute Willen wäre gezeigt gewesen.«

»Jetzt ist es einmal so.«

»Sie hätten uns eh' auch kaum denselben Gefallen getan«, argwöhnte Frau Eva Kühwolf, der man unschwer ansah, daß sie Kochlöffel und Pantoffel gleich gut zu schwingen verstand und ansonsten auch ihren Willen durchzusetzen wußte. »Eines leidigen Bierbankzwistes wegen geht die Welt nicht zugrunde und eine Heirat nicht aus Leim und Fugen.«

»Den Anlaß hat er gegeben«, berichtete Herr Kühwolf. »Fürsätzlich übersehen beim Handgeben und nachher kein Ende gefunden mit seinem Nörgeln, bis mir auch das Töpflein übergelaufen ist ...«

Denselben Vormittag trieb sich Wolf Kühwolf die meiste Zeit bei Tür und Fenster des Verkaufsgewölbes herum und hatte beständig die Augen auf der Gasse.

Egyd Kühwolf, der Vater, hockte still und schweigsam am Schreibpulte, blätterte in einem dicken Buche hin und wider und kratzelte ab und zu ein etliche Zahlen auf ein zur Hand liegendes Stück Papier. Und als er nachher einmal einen festen Strich unter all' diese Zahlen ziehen wollte, kam der Baderdikel, der Weber, ins Gewölbe.

Was er benötigte, frug der Wolf.

Derweilen so viel wie nichts. Lediglich reden möchte er mit Herrn Egyd.

Da legte der den Bleigriffel aus der Hand und kam aus seiner Ecke herfür und zum Verkaufstisch, wo der Weber ein Stücklein Tischgradel ausbreitete, ein etliche Hände großes Muster des Zeuges, den er für den Stadtrichter gearbeitet.

Wie ihm solche Arbeit gefiele ...? Das ganze Eßzeug sauber eingewebt und dazwischen Vögel mit Blumenkränzlein ...

Wunderschön ... Ob er so Zeug etwa zu verkaufen hätte?

Im Augenblicke nicht, aber in etlichen Wochen könnte ein Stück fertig sein. Was er, der Herr Kühwolf, wohl für die Elle zahlen täte? Einer Kleinigkeit wegen finge er, der Dikel, solche Schindersarbeit nicht bald wieder an.

Zahlen! Herr Kühwolf wiegte sinnend und berechnend den Kopf hin und wider ... Zwei Schillinge, dritthalb Schillinge, wenn es nicht anders ginge, mehr aber um keinen Pfennig. Einen kleinen Gewinn müßte er doch noch daraufschlagen, und zu solchen Preisen fänden sich nicht viele Käufer.

Mehr hörte Wolf Kühwolf nimmer von dem Handel. Die Gasse daher trippelte Christel Hillebrandt ein Körblein in der Hand, um wahrscheinlich zum Metzger zu gehen. Flugs war er zur Tür draußen, grüßte von weitem und schlenderte nachher ein Örtlein Weges neben dem Jungfräulein dahin ... Ob sie gesund und geruhsam geschlafen und dies und jenes ...? Gleich darauf jedoch sprang er ganz unvermittelt auf den Bierbankzwist der Väter über.

»Soll gestern abend wieder einmal Schalkszeit gewesen sein«, versuchte er zu scherzen. »Unsere Väter sollen sich, hör' ich, ein wenig zerwörtelt haben.«

»Der Vater hat so etwas erzählt«, bestätigte Jungfer Christel, und ihre Wangen färbten sich etwas dunkler. »So und so ...«

»Nun ja, dann mag es wohl so gewesen sein. Viel anders erzählte mein Vater diese Torheit auch nicht.

»Bierbankgewäsche! In zwei, drei Tagen und wenn sie einmal bei der vierten und fünften Maß beisammensitzen, haben sie den ganzen Handel wieder vergessen.«

»Ich meine auch. Aber weißt du, Christel? Zur Fürsicht komme ich ein etliche Tage nicht hinüber zu euch ... bis der Ärger verraucht und alles wieder auf ebenen Wegen ist. Wird so besser sein, meine ich. Nur, daß du darum weißt und nicht etwa übel denkest.«

»Wird eh' gut sein. Aber weißt du: wegen dieser leidigen Fingerlein ...«

»Ein böser Zufall, Christel«, log er beschönigend. »Ein etliche Kästlein waren leer, und kein Mensch wußte, daß der Geselle das volle Kästlein verstellt hatte. So konnten wir nur diesen Bescheid geben. Als der Geselle aus dem Warengewölbe kam und zu suchen begann, war der Bescheid schon gegeben und euer Geselle wieder fort. Ein böser Zufall eben ...«

»Glaub' es eh', und ich habe auch gleich so gemutmaßet. Aber wenn der Dunner sein Spiel haben will, bläst er etwo in ein Häuflein Glut, und wenn er diese erst zusammentragen müßte.«

»Also nichts übel aufrechnen, wenn ich nicht komme, bis der Hader der Alten wieder in die gleiche Wage zurückgeschwankt ist!«

»Gar nicht. Es ist ohnehin das Beste ...«


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