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3.

Entlang der Stadtmauer, die sich vom Reichstore zum Bärnsteinertore hinzog und stellenweise schon etwas verwittert aussah, schmiegte sich eine Reihe kleiner Häuschen an den wuchtigen Mauerwall wie ein paar spielende Kinder, die sich mit dem Rücken an eine Wand lehnen. Kleine, halbblinde Fensterlein lugten auf das schmale Gäßchen, das sich davor nur so hindurchzwängte, und eine Schar zerrissener und zerlumpter Kinder trieb sich den ganzen Tag über lärmend und schreiend, jauchzend und streitend in dem Gäßchen herum. Armes Volk, das in den Häuschen lebte, und kleine Schüsseln, die dort auf den Tisch kamen und weniger zu fassen vermochten wie die hungrigen Mäuler darumher.

Eines dieser Häuschen hatte frische Tünche und wasserhelle Fensterlein und sogar ein kleines Gärtlein nebenan, in dem Veigeln und Tausendschön blühten und allerlei Heilwurzeln wucherten.

Das war das Baderhäusel, wie es die Leute nannten. Vor ein Stücker dreißig oder etlichen dreißig Jahren hatte es der Bader-Hirl gekauft und sauber herrichten lassen. Bei einem Bader soll es allweg sauber zugehen, weil zu einem solchen allerhand Leute kommen, und schon das Häusel sollte darnach aussehen. Zum alten Hirl sind wirklich allerhand und auch viele Leute gekommen; denn er hat sein Geschäft verstanden und nicht nur Haar und Bärte sauber geschnitten und zur richtigen Zeit zur Ader zu lassen verstanden, sondern auch vielen wieder zum Gesund und auf die wackelig gewordenen Füße geholfen. Doch er hat überlings einmal denselben Weg in die Ewigkeit genommen, den noch jedweder Alte vor ihm gegangen, und das Badergeschäft hat sein jüngerer Bub, der Tobies, übernommen. Das Geschäft wohl, aber nicht das Wissen und Können des Vaters Er schnitt wohl Haar' und Bärte, und er ließ auch zur Ader, doch hatte er zur sonstigen Baderei wenig Gemerk' und Geschicke. Er wußte oftmals gar nicht einmal die richtigen Aderlaßzeiten und nicht, ob er wider dies oder jenes Übel am Arme oder am Fuße die Ader schlagen oder lediglich schröpfen sollte. Er hatte, kurz gesagt, nicht den richtigen »Stiel zu diesem Löffel,« wie die Leute es nannten.

Da wäre wohl der ältere der beiden Buben, der Dikel ... Doch der war ein Weber, und vom frühen Morgen bis spät in den Abend hinein puchte der Webstuhl in dem Häusel, und das Rollen des Spulrades scholl dazwischen bis auf die enge Gasse heraus und in das Lärmen der Kinderschar. Mit weit aufgestülpten Pfaidärmeln saß dorten der Dikel schier den ganzen Tag über im Webstuhle, trat Schäften um Schäften, warf die Weberschütze hin und wider und klopfte mit der Schlaglade die Einschußfäden fest, während sein Weib, die Nandl, am Spulrade saß und Spule um Spule aufwickelte. Manchmal, wenn die Nandl gerade kochte oder mit dem Kleinen beschäftigt war und wenn gerade kein Kunde im Stübel nebenan, im Baderstübel, war, tat solches auch der Tobies. Und dabei schimpfte er über schlechte Zeiten, über Landräuber und Blutsauger oder erzählte die neuesten Stadtneuigkeiten. Und deren wußte und erfuhr er so ziemlich alle; manchmal auch solche, die gar nicht unterlaufen waren, und die ihm einer zugetragen, um eine faustdicke Lüge auf kürzestem Wege unter die Leute zu bringen.

Was aber gestern alles vor sich gegangen, wußte er unerklärlicherweise noch nicht und erfuhr erst davon, als die Gertraud für ein paar Augenblicke heimkam zu den Brüdern.

»Ist ein neuer Bader gekommen«, erzählte sie schon an der Türe. »Soll sogar Magister sein, sagt er. Jetzt kannst du zusperren, Tobies.«

»Gleich schon?« scherzte der und tat, als ob er eilends dieses Willens wäre.

»Ohne Spaß ... In Klattau hätten sie ihn vertrieben, sagt er, weil er ein Deutscher ist, und bei uns ißt und herberget er, bis er eine eigene Herberge findet. Magister Sebald Achmiller heißt er.«

Nun wurde des Tobiesen Gesicht schier halbarmeslang, und beinahe völlig geschreckt starrte er die Schwester an, die solche Neuigkeit ins Haus brachte.

»Nicht schlecht! Lassen sich eh' nur mehr die reichsten Leute alle heiligen Zeiten einmal Haare und Bärte abzwicken; die anderen scheren einander selbst. Und lieber machen sie sich auf die Himmelfahrt, als daß sie den Bader holeten und zahlten. Jetzt ... noch einer, wo ich allein kaum etwas zu tun habe!«

»Das ist's ja, und das ist mir gleich zu Herzen gegangen.«

»Zu Herzen braucht es dir alleweil noch nicht zu gehen. Wird halt eine Zeitlang ein Trutzgeschäft, und nachher geht er von selber wieder. Wenn er Herberg' und Kost bei fremden Leuten nehmen und zahlen muß, kann er unmöglich drauskommen. Ich werde übrigens einmal ein gescheites Wort reden mit ihm. Wird nicht so heiß geschluckt werden müssen, wie es das Herschauen hat.«

»Alleweil geht es nur um des Kleinen Haut«, knurrte der Dikel und wollte wieder zu weben anfangen, hielt aber schon nach dem ersten Schützenwurf inne, als die Schwester mit der anderen Neuigkeit herausrückte.

»Der Richter und der Kühwolf haben sich zerstritten.«

»Nicht übel!«

»Und der Kühwolf hat dem Richter alles vorgehalten, was er nur gewußt hat. Wie sein Vater mit Schuhriemen und Bändlein gehandelt, wie er angefangen ...«

»Nicht auch, wie er die Leute ausschindet?«

»Kann eh' auch sein. Man hat ja kaum so rasch hören können ...«

»Das ist einmal etwas, das sich hören läßt. Wenn nur diese Sippschaften einmal so übers Kreuz kämen, daß sie einander die Haare ausrupften!« So die Nandl, die Weberin, da sie den Kleinen in die Wiege zurücklegte.

»Und was hat er darauf gesagt, der ... Landräuber ... unter uns gesagt? Weißt, mir hat er für die Ellen schönen Tischgradel kaum einen Schilling geben wollen, und der Kühwolf hat mir vorhin von selber dritthalb Schillinge geboten«, erzählt und klagt der Dikel der Schwester zur Schilderung der Wilddächtigkeit des Stadtrichters.

»Nichts. Aufgestanden und aus der Stube gefahren wie die Hexen in der Walpurgisnacht durch den Rauchfang. Und die Leute haben es ihm vergönnt!«

»Mag wohl sein. Er wird schon zu groß, der Mann, und sein Wams wird ihm zu enge«, grinste der Tobies zwischen Ernst und Spotte. »Gut macht Mut, und Mut schafft Übermut. Seit ihm auch noch der Bärnsteiner schuldet, hat er die Nase höher wie den Scheitel.«

»Früher ist auszukommen gewesen mit ihm. Hat gezahlt, was sich ein anderer verdient hat; aber jetzt ist nichts mehr zu machen mit ihm. Ein Schilling für eine Ellen Tischgradel!« So wieder der Dikel.

»Gehöret' weg. Wenn die Bullen bösartig werden, müssen sie aus dem Stalle, sagen die Bauern ... Ja, und den Magister werde ich noch heute heimsuchen. Vielleicht gibt er etwas ums Reden und Raten.«

»Wenn er kein Geschäft machet, ging er wohl ohne Rat und Rede von selber, und es hieße nachher nicht so und so.«

»Werden ja sehen ...«

Als die Schwester wieder fort war, begann der Tobies zu sinnen, wie er den ungebetenen Gast auf die handsamste Weise vom Troge beißen könne, der ihm selbst keinen Überfluß bot.

Knapp vor dem Mittagessen kam Herr Hillebrandt in das Baderhäusel. Wie ein Flug aufgescheuchter Spärvlinge stob die Kinderschar im Gäßchen auseinander, als sie seiner ansichtig wurde, und ganz erkommen warfen sich der Dikel, sein Weib und der Tobies ein paar flüchtige, fragende Blicke zu.

Was wird der bei ihnen wollen? Bart- und Haareschneiden nicht; zu diesem mußte der Tobies allemal selber ins Haus kommen.

Trotz aller heimlichen Abneigung sprang der Dikel doch gleichen Fußes aus dem Webstuhle, und die Nandl wischte in der Hast mit dem Fürtuch über einen der Stühle und rückte ihn zum Niedersitzen zurecht. Aber Herr Hillebrandt setzte sich nicht darauf. Geradewegs schritt er auf den Webstuhl zu und besah das gestern erst aufgebäumte Garn und die erst ein etliche Ellen breit angefangene, dickfädige Bauernleinwand.

»Bauernleinen?«

»Wohl, Herr Hillebrandt«, nickte der Dikel. »Gehört dem Stoffelgangerl im Bärnsteiner Winkel hinten. Liegt eh' schon beinahe Jahrzeit im Hause herum ...«

»Wie lange habt Ihr Arbeit damit?«

»Die Woche wird wohl daraufgehen damit.«

»Ist gut. Nachher macht Ihr Euch sogleich wieder über ein Stück Tischgradel, wie Ihr ihn dieser Tage gebracht habt.«

Des Webers ganzer Kopf wurde so rot wie eine überzeitige Kirsche, und die Nandl warf hinter dem Rücken des Richters dem Schwager einen spöttelnden Blick zu und wies für einen flüchtigen Augenblick den Daumen zwischen den übrigen Fingern der Faust.

»Geht nicht, Herr Hillebrandt«, drückte der Dikel nach kurzem, verlegenem Besinnen heraus. »Wie ich gesagt habe: erst muß ich doch die Bauernarbeit einmal wegklopfen. Die Leute brauchen das Zeug auch, und manche rennen mir alle Sonntage über den Hals und klagen, daß sie keinen guten Lappen Gewandes mehr hätten. Trägt auch mehr, weil ich mehr wegarbeite.«

»Glaub' es nicht.«

»Gewiß, Herr Hillebrandt. Einige Tage vergehen nutzlos, bis ich die vielen Schemmel und Schäften richtig einspanne und überhaupt den ganzen Stuhl dazu richte, und nachher ...«

»Wäre denn das auch noch ein Verdienst?« kam nun die Nandl ihrem sichtlich redeverlegenen Eheherren auf schnurgeradem Wege zu Hilfe. »Ein Schilling Pfennige für die Ellen, Garn und Arbeit miteinander! Der Kühwolf zahlt dritthalb Schillinge, sagt er. Hat sogar den Preis selber geboten.«

Nun begann sich Herrn Hillebrandts Gesicht zu röten. »Dritt ... halb Schillinge? Unmöglich! Da müßte ...«

»Gewiß, Herr Hillebrandt«, bekräftigte der Weber.

»Nachher ist's ein Trutzstücklein. Man weiß doch auch, wie und was. Doch meinethalben. Werden ja sehen, wer den Trutz länger aushält. Wenn der Wind von dieser Seiten geht, zahle ich auch soviel. Werden ja sehen, wer früher aufhören muß mit dem Trutze. Also: gleich nach diesem Stück den Tischgradel aufbäumen!«

»Wie ich gesagt habe, Herr Hillebrandt«, drückte sich der Weber um eine gerade Absage herum. »Erst muß ich die notwendigsten Arbeiten wegräumen.«

Um des Kaufherrn Mund zuckte es ein paar Male, als risse eine ungefüge Rede mit aller Macht an der Zunge, dann aber reckte er sich trutzig auf und nickte ein paar Male vor sich hin.

»Wenn es nicht geht, geht es nicht. Hätt' eine Nachfrage gehabt nach solchem Zeuge; doch wie Ihr könnt. Jeder muß das Seine wissen. Behüt' Gott also!«

Und er wandte sich und polterte durch Türe und Vorhaus davon.

Die drei atmeten sichtlich erleichtert auf, aber es dünkte unwillkürlich doch ein jedes, als wäre eine Luft in der Stube zurückgeblieben, die sich beinahe stickend auf den Atem legte ... Er war beleidigt. Das vermochte ihm jedes anzumerken.

»Reitet ihn der Dunner bis in unsere Stube!« ärgerte sich der Dikel. »Wenn ich eh' schon sage: nimmer.«

»Jetzt könnte er auch die dritthalb Schillinge zahlen!«

»Mußt ihm halt doch wieder arbeiten«, riet der Tobies. »Schon wegen des Geschäftes. Ein Keil muß den andern treiben.«

»Das nächste muß der Kühwolf kriegen. Da gibt es nichts«, erklärte der Dikel. »Ein Wort ist ein Wort. Wann nachher einmal ...«

»So ein Zochen kann einem böslich mitspielen, wenn er will, und der hat die Macht in Händen.«

»Ein Kreuz wird er uns auch nicht in den Rücken beißen können«, trutzte die Nandl dawider. »Wenn er jetzund soviel zahlen kann, warum nicht früher auch? Gerade nur die Leute drücken und ausschinden. Wie der Dikel sagt: ein Wort ist ein Wort. Des Kühwolfen Geld hat auch den nämlichen Klang.«

Während des Mittagessens wurde nicht viel geredet. Eines sann so, das andere anders, und dem Tobiesen war es um die Kundschaft und um das Geschäft. Daher machte er sich gleich nach dem Essen auf den Weg zum neuen Bader.

Auf den warteten gerade der junge Wilhalm und sein Weib, das eine bösartige Geschwulst am Knie hatte, den sogenannten »Schwamm«, und kaum mehr gehen konnte. Es war sicher schon zehn oder zwölf Male beim Tobiesen gewesen und hatte Mittel und Heilung gesucht, aber bislang noch nicht gefunden. Einmal hatte er zur Ader gelassen, ein ander Mal Umschläge von warmem Kuhmist empfohlen, und als dies nichts änderte und fruchtete, ein Stück frischen Buchenschwammes darüber gebunden. Der Schwamm müßte den Schwamm aufzehren, hatte er gesagt.

Nun suchten alle beide Hilfe und Heilung bei dem neuen Bader. Der aber war für ein Zeitlein fortgegangen.

»Müssen doch auch hören, was der Neue zu dem Übel sagt«, meinte der Wilhalm verlegen, als der Tobies auch daherstolperte. »Wird alleweilen leider Ärger, schlimmer.

»Etwa kann er gar Wunder wirken«, spöttelte der. »Aber das sage ich gleich: Wenn er die Sache verhunzet, ich mühe mich nachher nimmer lange.« Und er ging derweil in die Schenke, kaufte sich eine Kanne Bieres und zeterte über Zeitläufte und Wilddächtigkeit der Leute. Wo sich einer ein Stück Brot vom Laibe schnitte, wollten gleich ihrer drei, viere davon beißen, und wo einer notdürftig säße, drängten links und rechts etliche andere herzu.

»Wird auf das erste Glück ankommen«, meinte der Balthes. »Versteht er etwas, und gerät es ihm, nachher frage ich ihn wegen meiner Anne auch. Dein Vater wenn halt noch lebte!«

»Wunder kann keiner wirken, und wenn man eh' alles versucht ...«

Unterdessen kam Magister Achmiller heim.

»Ja, da nutzet kein Aderlassen«, meinte er, als er das Übel untersucht. »Ist wahrscheinlich durch Verkältung entstanden und muß so geheilt werden. Etliche Tage Strohabsud kalt überbinden und allemal warm werden lassen am Fuße und nachher heiße Heublumenumschläge aufbinden! Wird sich bald geben.«

Als die zwei Leutlein die Stiege herunterstolperten und der Mann seine Eheliebste mehr trug als führte, hastete der Tobies zur Schanktüre hinaus und ihnen in den Weg.

»Na, ist das Wunder schon vollbracht?«

Der Bauer aber knurrte ihm eine gröbliche Antwort zu und schleppte sein Weib weiter. Wenn das nicht half, dieses Spottmaul konnte schon gar nicht helfen.

Darauf stieg er, der Tobies, die Stiege empor und ging zu dem Eindringling.

Der schaute ihn ein paar Augenblicke forschend an und fragte hernach: »Was fehlt Euch?«

»Nichts, gar nichts«, kreißte er halb verlegen, halb verärgert. »Ich käme nur wegen etlicher Worte. Ich bin selber Bader, der Tobies. Mein Vater schon Bader gewesen im Städtel ... Wie wir es eigentlich haben und halten miteinander?«

Also das ist der Mensch, von dem ihm der Richter schon sagte? Magister Achmiller schaute wieder ein paar Augenblicke an dem Manne und nickte darauf einige Male leicht vor sich hin.

»Wie wir es halten miteinander? Das ist kurz herausgesagt. Wer zu Euch Vertrauen hat, soll zu Euch kommen, und wer zu mir kommen will, an dem versuche ich meine Kunst.«

»Versuchen ...«, spöttelte der Tobies in seiner Weise. »Ganz recht gesagt, Herr Magister. Versuchen kann man alles. Ich werde es auch erst versuchen müssen, Haar und Bärte so zu schneiden, wie es etwa jetzt die neueste Weise ist und wie es vielleicht in Klattau der Brauch war. Ich kann Euch auch nicht zurückbleiben ...«

»Ich ... Haar' und Bärte schneiden und nach der neuesten Weise?« entsetzte sich der Magister schier und starrte den Menschen an wie etwa einen Köter, dem das Beißen nicht unlieb wäre. »Herr ... Ich weiß nicht, wie Ihr heißet, aber ich merke, daß Euch der Neid im Genacke sitzt. Scheret, wen Ihr wollt und wie es Euch und den Leuten gefällt, aber mich lasset ...«

»Nichts für ungerade, Herr Bader! Es war nicht übel gemeint. Ich ...«

»Der Dunner hol' Euch und Euren Bader!« ging der Magister nun in die Hitze. »Ich bin Magister, verstanden, magister medicinae, und kümmere mich den Valentin Euphemismus für Teufel. um Euer Bart- und Haarescheren. Ich könnt' es nicht einmal. Und so, meine ich, haben wir ausgeredet, so Ihr nichts weiter wollet.«

»Da ist nicht zu reden mit Euch«, gackerte der Tobies nun wendend heraus. »Ich habe Euch nur sagen wollen ... Aber da wäre schade um jegliches Wort. Behüt' Gott, Herr ... Herr Magister!«

Und er tappte nach der Türklinke und trollte von dannen. In der Schankstube unten aber lachte er kichernd vor sich hin: »Ein schöner Bader! Nicht einmal Bart und Haare kann er abzwicken, sagt er. Wenn er in den anderen Stücken auch so viel versteht ...«

»Sei froh!« schalt ihn die Gertraud ob dieser Übelrede. »Wenigstens macht er dir dann keinen Eintrag.«

»Der nicht. Jetzt bin ich schon aus den Sorgen. Der nicht. Er könnt' es nicht einmal, sagt er selber.« ...

Er könnt' es nicht einmal ... Ungefähr dieselbe Rede brachte der Handelsgesell Pali Herrn Hillebrandt als Bescheid zurück, als ihn der zum neuen Bader geschickt, auf daß dieser kommen und ihm die Haare kürzer schneiden möge ... Er könnte es nicht einmal, hätte er selber gesagt. Was sich der Herr Stadtrichter wohl unter einem magister medicinae vorstellen möge ...?

Herr Hillebrandt war etliche Augenblicke fast sprachlos ... Er ... könnt' es nicht einmal und wollt' ein Bader oder gar Magister sein, und was er, der Stadtrichter ... Sollte er solche Rede als schier stinkenden Hochmut nehmen oder als Eigengeständnis leidiger Dummheit? Nicht einmal fünfzig Pfunde Hab und Gut auf dem Rücken mit sich tragen und vielleicht auch nicht ein Pfund Pfennige im Sacke haben und ihm, dem Stadtrichter, einen solchen Bescheid schicken ...! Er könnt' es nicht einmal, und was er, der Stadtrichter, da dächte ...!

»Das hat man allemal, wenn man zu gut ist mit den Leuten«, prustete er in seinem brodelnden Ärger heraus und warf ein Stück Leinewand weitmächtig zur Seiten. »Kaum sitzt nachher so ein Gauch rechtschaffen auf dem Stänglein, spöttelt er noch ... spöttelt er einen noch aus. Aber ich werde Ordnung schaffen im Städtel ... Ordnung ...«

Für ein Weilchen riß ihn ein Bote aus seinem Argsinnen, der fünf Säcke Salz und etliche andere Waren kaufte und auf seinen Wagen lud; aber als der wieder aus dem Hause war, begann der Ärger wieder zu nagen.

Es war beinahe, als wenn sich alles wider ihn, den Stadtrichter, verbündelt und verschworen hätte und der ledige Neid von allen Seiten her wider ihn hetzte. Dieser Kühwolf, dieser Mensch, von dem er am allerwenigsten eine Feindseligkeit erwartet hätte! Ungefallen, Lästerreden vor allen Leuten, Geschäftsabtrag und was vielleicht noch hinterrücks alles geschehen und geschieht, von dem er gar nichts weiß! Einem Gauche wie dem Weber das Zwei- und Dreifache bieten für den Tischgradel, nur um ihm den Verdienst aus der Hand zu winden! Aber diese Badersippe möge sich's auch merken. Keine Zeit, für ihn zu arbeiten; wenn er die Bauernarbeit weg hat, sagt er. Gut! Er wird die Bauernarbeit weg haben, aber keine Elle mehr weben für ihn, den Hillebrandt, keine Elle mehr, und wenn er mit aufgehobenen Händen um Arbeit bäte. Auch der andere wird ihm kein Härlein mehr abschneiden, wenngleich es dieser neue Pflasterschmierer auch nicht kann ... selber nicht kann, wie er sagt. Wird sich schon einer finden, der sich darum annimmt und leidlich ein Geschicke hat dazu, muß sich einer finden lassen. So gut wie dieser Tobies versteht es bald einer. Und nachher: wenn man einen Hund schlagen will, findet man allemal einen Stecken; ihm, dem Stadtrichter, liegt jeder Prügel zur Hand.

So sann und wurmte er dahin, ließ aber sonst nicht viel merken von seiner Zerfahrenheit. Sie sollten keines etwas argwöhnen und aus Unverstand oder Gutmütigkeit in die Fäden seiner Gespunst fahren. Weiberrat ist sonst nicht immer zu verachten, doch in Geschäften gilt er nichts. In diesen Stücken gilt nur der eiserne Willen und der feste Griff, und ... diesen Leimsieder will er schon so packen, daß der ganzen Sippe für ein Weilchen Sehen und Hören vergeht.

Gegen Abend kam der Davidl-Schneider ins Gewölbe, um einiges für sein Geschäft zu kaufen. War ein zierliches und bewegliches Männlein mit vogelkrallartigen Fingern, hagerem Gesichte und langem, schütterem Barte und stak alleweilen voll Schnacksen und loser Einfälle. Den ging Herr Hillebrandt an, ob er nicht auch Haare und Bärte schneiden könnte.

»Wurzweg«, bejahte der.

Nein, nicht wurzweg, sondern wie es Brauch und Herkommen wäre. Mit dem Tobiesen wäre fast nimmer auszukommen. Wenn ihn einer brauchte, wäre er nicht zu haben, und wenn es einer so haben wollte, machte er es zufleiß anders. Und der neue Bader gestände selber, er könnt' es nicht einmal ... könnt' es nicht einmal ... Wenn sich er, der Davidl, darum annehmen wollte ... Soviel wie das Schneidern würde dieses Geschäft wohl auch tragen, und zu müßiger Zeit könnte er immerhin an dem Gewamse der Leute herumnähen, soviel er wollte.

»Wenn es gerade sein müßte ...«, ließ sich der halb und halb ein. »Unmöglich ist nichts auf der Welt, und für den Anfang würden halt etliche mein Lehrgeld zahlen müssen.«

Gut! Nachher mög' er es erst an etlichen versuchen, denen das Lehrgeld nicht soviel machte, und am Sonnabende sollte er zu ihm, dem Stadtrichter, kommen und all seine Kunst zusammensuchen.

»Die Zunft ...!« wandte der Davidl ein, da er einen Ernst merkte.

Ah was: Zunft! Wenn er, der Stadtrichter, etwen auf's Roß hübe, gäbe er ihm schon auch die Zügel in die Hand. Um solches hätte er sich weder zu sorgen noch zu kümmern ...

*

Denselben Abend humpelte Honso, der Zwiebel-Böhm' wie er im Städtlein und dessen Umgegend allgemein genannt wurde, zum Wassertore herein. Von weitem schon verriet seine Tracht den Slawen: Enge Hosen aus ungefärbtem und lediglich gewalktem Halbwollzeuge, eine Joppe aus ehemals weißem Leder mit allerlei Schnurwerk und Pelzbrämen verziert, lange, unten ebengeschnittene Haare und darübergestülpt den buntbebänderten Filzhut. Über dem Rücken schleppte er den unvermeidlichen Zwiebelsack.

»Bin ich mich wieder einmol do«, grinste er den Amschel an, den Stadtsoldaten, dem die Wache am Wassertore anvertraut war und der zumeist den ganzen Tag über unterm Tore saß, seinen Strumpf strickte und jeden Fremdling nach Woher und Wohin ausfragte.

Der zwängte die bärbeißigste Miene in sein wildbärtig Gesicht.

»Mmm!« knurrte er. »Hätte gewiß etwer um dich geschickt.«

»Was wollten Frauen tun, wenn brächte ich nicht Zwiebel, Anis, Knoblauch ... Honso ist bei Frauen immer gern gesehenes Mensch.«

»Kann wohl sein. Und ... was gibt's Neues bei euch drinnen? Rauben halt, morden, brennen und lauter so Teufelswerk.«

»Nu ja. Wie halt schon geht. Alles rauben, morden, brennen, Kaiserliche und Kelchner. Kehr' ich den Hand nicht um; einer wie andere.«

Und er humpelte seines Weges weiter. Der Amschel kannte den Gauch schon Jahre her als ungefährlichen und harmlosen Menschen, der sich um die paar Pfennige Verdienst schier die Seele aus dem Leibe rannte, schleppte und redete und die Frauen des Städtleins und dessen Umgegend mit Küchenwürzen versorgte. Also tat er nie lange mit ihm um und ließ ihn torein- und -auswärts stolpern, wie er eben kam oder ging. Der Honso aber strebte gleich dem engen Winkelgäßlein zu, das sich zwischen dem Reichs- und dem Bärnsteiner Tore der Stadtmauer entlang zog. Dort hatte er schon seit Jahren seinen Unterschlupf und seine Herberge, wenn er ins Städtlein kam.

Neben dem Baderhäusel stand ein uralt Holzhäusel, in dem der alte Steffel-Hannes hauste, der Sägen feilte, Besen band und auch Rechen und Gabeln machte. Bei diesem herbergte er sich immer ein, wenn er um die Wege war, und ließ dafür dessen brummiger Ehefrau allemal einige Häuptel Zwiebel und etliches andere Gewürze zurück.

Auch dorten stolperte er mit der allweg gleichen Anrede in die Stube.

»Bin ich wieder einmal da, Hannes.« Dort aber radebrechte er das Deutsche nicht so unmenschlich, daß es einem schier die Ohren zerreißen wollte. Wann und wo er es für gut hielt, konnte er sogar leidlich gut Deutsch reden, und daher sagten die Leute auch gemeinhin von jedem, der »zweierlei Zungen im Munde hatte«, er wäre so verschlagen wie ein Zwiebelböhm.

»Auch recht«, nickte der alte Hannes und hielt ein paar Augenblicke aus in seiner Arbeit. Er bohrte gerade die Zahnlöcher in ein Rechenhaupt. »Ist eh' schon hie und da gefragt worden nach dir.«

»So?« lachte der Honso kichernd und setzte seinen Sack auf die Bank. »Braucht man halt doch in ganzen Welt Böhm. Böhmen ist Herz von ganzer Welt, und Böhmen wird noch größte Land werden ...«

»Ja, freilich«, spöttelte der Hannes. »Schaut ganz darnach her. Muß ja ganz erschrecklich zugehen bei euch drinnen, soviel man hört.«

»Was heißt: zugehen? Ist nicht zugegangen, wenn Volk will Ordnung haben im Lande. Ist das Geschäft, mein Lieber, wenn gelten ein paar alles und alle andern nichts? Ist das Ordnung, wenn haben ein paar alles und alle anderen nichts ...?«

»Das wohl, aber eure Kelchner oder wie diese Landräuber heißen ...«

»Wollen Ordnung machen, mein Lieber, wollen nur Ordnung machen. Sonst nichts. Und wer biegt sich nicht, muß brechen. Geht nicht anders.«

»Schönen Dank für so eine Ordnung ...!«

Die Kinderscharen hatten den Zwiebelböhm zum Steffelhannes gehen sehen und es daheim gleich lautmärig gemacht: Der Honso ist wieder im Umritt und beim Sägfeiler. Daher schlenderte am Abend ein Nachbar um den anderen herbei und in des Sägfeilers Stube, um zu hören, was es in der Welt und insonderheit in Böhmen drin wohl Neues geben möge. Reden hörte man ja gar manches, das nicht das Beste und Schönste war, doch so ein Mensch, der weitmächtig im Lande herumkam und überall selber sah und hörte, mochte doch mehr und glaubwürdiger zu erzählen wissen wie hundert andere, die all' dieses nur gehört und wieder gehört hatten.

Sogar der Bader-Dikel, der Weber, ließ für denselben Abend seinen Webstuhl ruhen und ging mit seinem Bruder Tobies zum Sägfeiler hinüber.

Der Zwiebelböhm erzählte und redete sich schier heiser. Das und jenes wäre hier und dort vorgefallen und diese und jene Städte und Burgen hätten die Kelchner schon eingenommen; doch nicht aus lediger Mordlust hätten sie solches getan, sondern nur, um Ordnung zu schaffen. Der Magister Hus wäre ein sehr gescheiter Mann gewesen und hätte ganz wohl erkannt, wo überall es fehlte. Und weil er solches gesagt und gelehrt, hätten sie ihn vor Gericht geladen nach Konstanz, und der Kaiser selber hätte ihm freies Geleite hin und zurück versprochen. Hinzu hätte es gestimmt, aber heimzu nimmer. Der Kaiser hätte übler gehandelt als manches alte Weib, das doch zumeist ihr gegeben Wort hielte, und der Magister Hus wäre für Wahrheit und Recht elendiglich verbrennet worden. Einen Kaufmann Krasa, der etliche abfällige Reden darüber verloren, hätte der Kaiser durch die Straßen der Stadt und zu Tode schleifen lassen.

»Da läuft mir auch die Galle über«, knurrte der Tobies dazwischen.

Der Zwiebelböhm warf ihm einen lauernden Blick zu. Die wäre nun anderen auch übergelaufen, und sie hätten sich zur Gegenwehr und für Recht und Ordnung verbündet. Daß den Mächtigen solches nicht genehm, wäre begreiflich, aber Recht müßte eben immer Recht bleiben. Recht wäre es, wie es in der Schrift stünde, daß der Herr den Seinen zum Abendmahle gereicht das Brot und den Kelch, und recht wäre es daher, wenn die Christenheit also zu allen Zeiten so abendmahlete, weil er, der Herr, gesagt: Also tuet zu meinem Andenken ...

»Ist auch nicht anders, wenn man es recht betrachtet,« stimmte ein dicklicher Drechsler zu. »So wäre ich auch gesonnen.«

Recht wäre es nicht, daß die geistlichen und die weltlichen Fürsten das ganze Erdreich unter sich geteilt und nichts für den armen Wicht übriggelassen, der auch ein Mensch wäre wie sie. Recht wäre es nicht, daß der arme Wicht als Höriger gehalten würde wie das liebe Vieh und daß er sich für diese Faulenzer schinden und plagen müßte sein ganzes Leben lang. Und recht wäre es nicht, daß hinwiederum etliche Wucher trieben mit dem armen, ausgeschundenen Volke und ihm so das letzte Brotkrümlein vom Munde zögen ...

»Da wäre gar manches noch, was nicht recht wäre«, nickte der Weber. »Wenn man reden wollte ...«

»Auch den Gall' überlaufen lassen!« riet der Honso halb im Scherze, halb in berechnendem Ernste. »Machen wie die Böhmen!«

»Zwänge einen schier dazu ...«

Über dem Städtlein lachte der Mondschein mit breitrundem Schalksgesichte über die Narrheit der leidigen Menschheit, und auf der Stadtmauer juchzte eine Nachteul', bis sie der Bindermarx verscheuchte, als er durch das Gäßchen zog und zwölfmal recht kräftig in sein Tuthorn stieß.

Da hoben sich aber auch beim Sägfeiler die Abendgäste und gaben sich auf den Heimweg.

»Man muß hören alle beid'«, meinte heraußen auf der Gasse der Kammschneider. »Ein ander Mund, eine andere Rede. Wenn man nur allerwegen die Unseren erzählen hört und von lauter Grausamkeiten und Blutrunst vernimmt ...«

»Wenn man da reden wollte über unsern Blutsauger ...!« So der Weber.

»Ich wäre gleich im selben Geleise«, nahm sich der Tobies vor. »Die letzten Brotkrümlein vom Munde ziehen ..., das muß doch nicht sein ...«


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