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Achtes Kapitel.
Allgemeine Bemerkungen und Resultate.

§ 46.
Die systematische Ordnung.

Die Reihenfolge, in welcher ich die verschiedenen Gestaltungen unsers Satzes aufgestellt habe, ist nicht die systematische, sondern bloß der Deutlichkeit wegen gewählt, um das Bekanntere und Das, welches das Uebrige am wenigsten voraussetzt, voranzuschicken; gemäß der Regel des Aristoteles: και μαθησεως ουκ απο του πρωτου, και της του πραγματος αρχης ενιοτε αρκτεον, αλλ' ὁτεν ραστ' αν μαθοι. (et doctrina non a primo, ac rei principio aliquando inchoanda est, sed unde quis facilius discat.) Metaph. IV, 1. Die systematische Ordnung, in der die Klassen der Gründe folgen müßten, ist aber diese. Zuerst müßte der Satz vom Seynsgrund angeführt werden und zwar von diesem wieder zuerst seine Anwendung auf die Zeit, als welche das einfache, nur das Wesentliche enthaltende Schema aller übrigen Gestaltungen des Satzes vom zureichenden Grunde, ja, der Urtypus aller Endlichkeit ist. Dann müßte, nach Aufstellung des Seynsgrundes auch im Raum, das Gesetz der Kausalität, diesem das der Motivation folgen und der Satz vom zureichenden Grunde des Erkennens zuletzt aufgestellt werden; da die andern auf unmittelbare Vorstellungen, dieser aber auf Vorstellungen aus Vorstellungen geht.

Die hier ausgesprochene Wahrheit, daß die Zeit das einfache, nur das Wesentliche enthaltende Schema aller Gestaltungen des Satzes vom Grunde ist, erklärt uns die absolut vollkommene Klarheit und Genauigkeit der Arithmetik, worin keine andere Wissenschaft ihr gleichkommen kann. Alle Wissenschaften nämlich beruhen auf dem Satze vom Grunde, indem sie durchweg Verknüpfungen von Gründen und Folgen sind. Die Zahlenreihe nun aber ist die einfache und alleinige Reihe der Seynsgründe und Folgen in der Zeit: wegen dieser vollkommenen Einfachheit, indem nichts ihr zur Seite liegen bleibt, noch irgendwo unbestimmte Beziehungen sind, läßt sie an Genauigkeit, Apodikticität und Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Hierin stehn alle andern Wissenschaften ihr nach; sogar die Geometrie: weil aus den drei Dimensionen des Raums so viele Beziehungen hervorgehn, daß die Uebersicht derselben sowohl der reinen, wie der empirischen Anschauung zu schwer fällt; daher die komplicirteren Aufgaben der Geometrie nur durch Rechnung gelöst werden, die Geometrie also eilt, sich in Arithmetik aufzulösen. Daß die übrigen Wissenschaften mancherlei verdunkelnde Elemente enthalten, brauche ich nicht darzuthun.

§ 47.
Zeitverhältniß zwischen Grund und Folge.

Nach den Gesetzen der Kausalität und der Motivation muß der Grund der Folge, der Zeit nach, vorhergehn. Dies ist durchaus wesentlich, wie ich ausführlich dargethan habe im 2. Bande meines Hauptwerks, Kap. 4, S. 41, 42 [3. Aufl. S. 44 fg.]; worauf ich hier verweise, um mich nicht zu wiederholen. Danach wird man sich nicht irre machen lassen durch Beispiele, wie Kant (Krit. d. rein. Vern., 1. Aufl., S. 202; 5. Aufl., S. 248) eines anführt, nämlich daß die Ursache der Stubenwärme, der Ofen, mit dieser seiner Wirkung zugleich sei, – sobald man nur bedenkt, daß nicht ein Ding Ursache des andern, sondern ein Zustand Ursache des andern ist. Der Zustand des Ofens, daß er eine höhere Temperatur, als das ihn umgebende Medium hat, muß der Mittheilung des Ueberschusses seiner Wärme an dieses vorhergehn; und da nun jede erwärmte Luftschicht einer hinzuströmenden kälteren Platz macht, erneuert sich der erste Zustand, die Ursache, und folglich auch der zweite, die Wirkung, so lange, als Ofen und Stube nicht die selbe Temperatur haben. Es ist hier also nicht eine dauernde Ursache, Ofen, und eine dauernde Wirkung, Stubenwärme, die zugleich wären, sondern eine Kette von Veränderungen, nämlich eine stete Erneuerung zweier Zustände, deren einer Wirkung des andern ist. Wohl aber ist aus diesem Beispiel zu ersehn, welchen unklaren Begriff von der Kausalität sogar noch Kant hatte.

Hingegen der Satz vom zureichenden Grunde des Erkennens bringt kein Zeitverhältniß mit sich, sondern allein ein Verhältniß für die Vernunft: also sind vor und nach hier ohne Bedeutung.

Beim Satz vom Grunde des Seyns ist, sofern er in der Geometrie gilt, ebenfalls kein Zeitverhältniß, sondern allein ein räumliches, von dem sich sagen ließe, alles wäre zugleich, wenn nicht das Zugleich hier, sowohl als das Nacheinander, ohne Bedeutung wäre. In der Arithmetik dagegen ist der Seynsgrund nichts anderes, als eben das Zeitverhältniß selbst.

§ 48.
Reciprokation der Gründe.

Der Satz vom zureichenden Grunde kann in jeder seiner Bedeutungen ein hypothetisches Urtheil begründen, wie denn auch jedes hypothetische Urtheil zuletzt auf ihm beruht, und immer bleiben dabei die Gesetze der hypothetischen Schlüsse gültig, nämlich: vom Daseyn des Grundes auf das Daseyn der Folge, und vom Nichtseyn der Folge auf das Nichtseyn des Grundes, ist der Schluß richtig: aber vom Nichtseyn des Grundes auf das Nichtseyn der Folge, und vom Daseyn der Folge auf das Daseyn des Grundes ist der Schluß unrichtig. Nun ist es merkwürdig, daß dennoch in der Geometrie fast überall auch vom Daseyn der Folge auf das Daseyn des Grundes und vom Nichtseyn des Grundes auf das Nichtseyn der Folge geschlossen werden kann. Dies kommt daher, daß, wie § 37 gezeigt ist, jede Linie die Lage der andern bestimmt und es dabei einerlei ist, von welcher man anfangen, d. h. welche man als Grund und welche als Folge betrachten will. Man kann hievon sich überzeugen, indem man sämmtliche geometrische Lehrsätze durchgeht. Nur da, wo nicht bloß von Figur, d. h. von Lage der Linien, sondern von Flächeninhalt, abgesehn von der Figur, die Rede ist, kann man meistens nicht vom Daseyn der Folge auf das Daseyn des Grundes schließen, oder vielmehr die Sätze reciprociren und das Bedingte zur Bedingung machen. Ein Beispiel hievon giebt der Satz: Wenn Dreiecke gleiche Grundlinien und gleiche Höhen haben, sind sie an Flächeninhalt gleich. Er läßt sich nicht also umkehren: Wenn Dreiecke gleichen Flächeninhalt haben, sind auch ihre Grundlinien und Höhen gleich. Denn die Höhen können sich auch umgekehrt wie die Grundlinien verhalten.

Daß das Gesetz der Kausalität keine Reciprokation zulasse, indem die Wirkung nie die Ursache ihrer Ursache seyn könne, und daher der Begriff der Wechselwirkung, seinem eigentlichen Sinne nach, nicht zulässig sei, ist schon oben, § 20, zur Sprache gekommen. – Eine Reciprokation nach dem Satz vom Grunde des Erkennens könnte nur bei Wechselbegriffen Statt finden; indem nur die Sphären dieser sich gegenseitig decken. Außerdem giebt sie den circulus vitiosus.

§ 49.
Die Nothwendigkeit.

Der Satz vom zureichenden Grunde, in allen seinen Gestalten, ist das alleinige Princip und der alleinige Träger aller und jeder Nothwendigkeit. Denn Nothwendigkeit hat keinen andern wahren und deutlichen Sinn, als den der Unausbleiblichkeit der Folge, wenn der Grund gesetzt ist. Demnach ist jede Nothwendigkeit bedingt; absolute, d. h. unbedingte, Nothwendigkeit also eine contradictio in adjecto. Denn Nothwendig-seyn kann nie etwas Anderes besagen, als aus einem gegebenen Grunde folgen. Will man es hingegen definiren »was nicht nichtseyn kann«; so giebt man eine bloße Worterklärung und flüchtet sich, um die Sacherklärung zu vermeiden, hinter einen höchst abstrakten Begriff; von wo man jedoch sogleich herauszutreiben ist durch die Frage, wie es denn möglich, oder nur denkbar, sei, daß irgend etwas nicht nichtseyn könne; da ja doch alles Daseyn bloß empirisch gegeben ist? Da ergiebt sich denn, daß es nur insofern möglich sei, als irgend ein Grund gesetzt oder vorhanden ist, aus dem es folgt. Nothwendigseyn und Aus einem gegebenen Grunde folgen sind mithin Wechselbegriffe, welche als solche überall einer an die Stelle des andern gesetzt werden können. Der bei den Philosophastern beliebte Begriff vom » absolut nothwendigen Wesen« enthält also einen Widerspruch: durch das Prädikat » absolut« (d. h. »von nichts Anderm abhängig«) hebt er die Bestimmung auf, durch welche allein das » Nothwendige« denkbar ist und einen Sinn hat. Wir haben daran wieder ein Beispiel vom Mißbrauch abstrakter Begriffe zum Behuf metaphysischer Erschleichung, wie ich ähnliche nachgewiesen habe am Begriff » Immaterielle Substanz«, »Grund schlechthin«, »Ursache überhaupt« u. s. w. Vergl. über »immaterielle Substanz« die Welt als Wille und Vorstellung, I, 582 fg. (der 3. Aufl.), und über »Grund schlechthin« den § 52 des vorliegenden Werkes. Der Herausgeber. Ich kann es nicht genug wiederholen, daß alle abstrakte Begriffe durch die Anschauung zu kontrolliren sind.

Demnach giebt es, den vier Gestalten des Satzes vom Grunde gemäß, eine vierfache Nothwendigkeit. 1) Die logische, nach dem Satz vom Erkenntnißgrunde, vermöge welcher, wenn man die Prämissen hat gelten lassen, die Konklusion unweigerlich zuzugeben ist. 2) Die physische, nach dem Gesetz der Kausalität, vermöge welcher, sobald die Ursache eingetreten ist, die Wirkung nicht ausbleiben kann. 3) Die mathematische, nach dem Satz vom Grunde des Seyns, vermöge welcher jedes von einem wahren geometrischen Lehrsätze ausgesagte Verhältniß so ist, wie er es besagt, und jede richtige Rechnung unwiderleglich bleibt. 4) Die moralische, vermöge welcher jeder Mensch, auch jedes Thier, nach eingetretenem Motiv, die Handlung vollziehn muß, welche seinem angeborenen und unveränderlichen Charakter allein gemäß ist und demnach jetzt so unausbleiblich, wie jede andere Wirkung einer Ursache, erfolgt; wenn sie gleich nicht so leicht, wie jede andere, vorherzusagen ist, wegen der Schwierigkeit der Ergründung und vollständigen Kenntniß des individuellen empirischen Charakters und der ihm beigegebenen Erkenntnißsphäre; als welche zu erforschen ein ander Ding ist, als die Eigenschaften eines Mittelsalzes kennen zu lernen und danach seine Reaktion vorherzusagen. Ich darf nicht müde werden, dies zu wiederholen, wegen der Ignoranten und Dummköpfe, welche die einhellige Belehrung so vieler großen Geister für nichts achtend, noch immer, zu Gunsten ihrer Rockenphilosophie, das Gegentheil zu behaupten dreist genug sind. Bin ich doch kein Philosophieprofessor, der nöthig hätte, vor dem Unverstande des andern Bücklinge zu machen.

§ 50.
Reihen der Gründe und Folgen.

Nach dem Gesetz der Kausalität ist die Bedingung immer wieder bedingt und zwar auf gleiche Art: daher entsteht a parte ante eine series in infinitum. Eben so ist es mit dem Seynsgrund im Raum: jeder relative Raum ist eine Figur, hat Gränzen, die ihn mit einem andern in Verbindung setzen und wieder die Figur dieses andern bedingen, und so nach allen Dimensionen, in infinitum. Betrachtet man aber eine einzelne Figur in sich, so hat die Reihe der Seynsgründe ein Ende; weil man von einem gegebenen Verhältniß anhub: wie auch die Reihe der Ursachen ein Ende hat, wenn man bei irgend einer Ursache beliebig stehn bleibt. In der Zeit hat die Reihe der Seynsgründe sowohl a parte ante, wie parte post eine unendliche Ausdehnung, indem jeder Augenblick durch einen früheren bedingt ist und den folgenden nothwendig herbeiführt, die Zeit also weder Anfang noch Ende haben kann. Die Reihe der Erkenntnißgründe dagegen, d. h. eine Reihe von Urtheilen, deren jedes dem andern logische Wahrheit ertheilt, endigt immer irgendwo, nämlich entweder in einer empirischen, oder transscendentalen, oder metalogischen Wahrheit. Ist das erstere, also eine empirische Wahrheit der Grund des obersten Satzes, darauf man geführt worden, und man fährt fort zu fragen Warum; so ist was man jetzt verlangt kein Erkenntnißgrund mehr, sondern eine Ursache: d. h. die Reihe der Gründe des Erkennens geht über in die Reihe der Gründe des Werdens. Macht man nun aber es ein Mal umgekehrt, läßt nämlich die Reihe der Gründe des Werdens, damit sie ein Ende finden könne, übergehn in die Reihe der Gründe des Erkennens; so ist Dies nie durch die Natur der Sache herbeigeführt, sondern durch specielle Absicht, also ein Kniff, und zwar ist es das unter dem Namen des ontologischen Beweises bekannte Sophisma. Nämlich nachdem man, durch den kosmologischen Beweis, zu einer Ursache gelangt ist, bei welcher man stehn zu bleiben Belieben trägt, um sie zur ersten zu machen, das Gesetz der Kausalität jedoch sich nicht so zur Ruhe bringen läßt, sondern fortfahren will, Warum zu fragen; so schafft man es heimlich bei Seite und schiebt ihm den ihm von Weitem ähnlich sehenden Satz vom Erkenntnißgrunde unter, giebt also, statt der hier verlangten Ursache, einen Erkenntnißgrund, der aus dem zu beweisenden, seiner Realität nach also noch problematischen, Begriff selbst geschöpft wird und der nun, weil er doch ein Grund ist, als Ursache figuriren muß. Natürlich hat man jenen Begriff schon zum voraus darauf eingerichtet, indem man die Realität, allenfalls, des Anstandes halber, noch in ein Paar Hüllen gewickelt, hineinlegte und sich also die nunmehrige, freudige Ueberraschung, sie darin zu finden, vorbereitete, – wie wir Dies schon oben, § 7, näher beleuchtet haben. – Beruht hingegen eine Kette von Urtheilen zuletzt auf einem Satz von transscendentaler, oder metalogischer Wahrheit, und man fährt fort zu fragen Warum; so giebt es darauf keine Antwort, weil die Frage keinen Sinn hat, nämlich nicht weiß, was für einen Grund sie fordert. Denn der Satz vom Grunde ist das Princip aller Erklärung: eine Sache erklären heißt ihren gegebenen Bestand, oder Zusammenhang, zurückführen auf irgend eine Gestaltung des Satzes vom Grunde, der gemäß er seyn muß, wie er ist. Diesem gemäß ist der Satz vom Grunde selbst, d. h. der Zusammenhang, den er, in irgend einer Gestalt, ausdrückt, nicht weiter erklärbar; weil es kein Princip giebt, das Princip aller Erklärung zu erklären, – oder wie das Auge Alles sieht, nur sich selbst nicht. – Von den Motiven giebt es zwar Reihen, indem der Entschluß zur Erreichung eines Zwecks, Motiv wird des Entschlusses zu einer ganzen Reihe von Mitteln: doch endigt diese Reihe immer a parte priori in einer Vorstellung aus den zwei ersten Klassen, woselbst das Motiv liegt, welches ursprünglich vermochte, diesen individuellen Willen in Bewegung zu setzen. Daß es nun Dieses konnte, ist ein Datum zur Erkenntniß des hier gegebenen empirischen Charakters: warum dieser aber dadurch bewegt werde, kann nicht beantwortet werden, weil der intelligible Charakter außer der Zeit liegt und nie Objekt wird. Die Reihe der Motive als solcher findet also in einem solchen letzten Motiv ihr Ende und geht, jenachdem ihr letztes Glied ein reales Objekt, oder ein bloßer Begriff war, über in die Reihe der Ursachen, oder in die der Erkenntnißgründe.

§ 51.
Jede Wissenschaft hat eine der Gestaltungen des Satzes vom Grunde vor den andern zum Leitfaden.

Weil die Frage Warum immer einen zureichenden Grund will und die Verbindung der Erkenntnisse nach dem Satz vom zureichenden Grunde die Wissenschaft vom bloßen Aggregat von Erkenntnissen unterscheidet, ist § 4 gesagt worden, daß das Warum die Mutter der Wissenschaften sei. Auch findet sich, daß in jeder derselben Eine der Gestaltungen unsers Satzes, vor den übrigen, der Leitfaden ist; obgleich in derselben auch die andern, nur mehr untergeordnet, Anwendung finden. So ist in der reinen Mathematik der Seynsgrund Hauptleitfaden (obgleich die Darstellung in den Beweisen nur am Erkenntnißgrunde fortschreitet); in der angewandten tritt zugleich das Gesetz der Kausalität auf; und dieses gewinnt ganz die Oberherrschaft in der Physik, Chemie, Geologie u. a. m. Der Satz vom Grunde des Erkennens findet durchaus in allen Wissenschaften starke Anwendung, da in allen das Besondere aus dem Allgemeinen erkannt wird. Hauptleitfaden und fast allein herrschend aber ist er in der Botanik, Zoologie, Mineralogie und andern klassificirenden Wissenschaften. Das Gesetz der Motivation ist, wenn man alle Motive und Maximen, welche sie auch seien, als Gegebenes betrachtet, aus dem man das Handeln erklärt, Hauptleitfaden der Geschichte, Politik, pragmatischen Psychologie u. a. – wenn man aber die Motive und Maximen selbst, ihrem Werth und Ursprung nach, zum Gegenstand der Untersuchung macht, Leitfaden der Ethik. Im 2. Bande meines Hauptwerks findet man, Kap. 12, S. 126 [3. Aufl. S. 139], die oberste Eintheilung der Wissenschaften nach diesem Princip ausgeführt.

§ 52.
Zwei Hauptresultate.

Ich habe mich bestrebt, in dieser Abhandlung zu zeigen, daß der Satz vom zureichenden Grund ein gemeinschaftlicher Ausdruck sei für vier ganz verschiedene Verhältnisse, deren jedes auf einem besonderen und (da der Satz vom zureichenden Grund ein synthetischer a priori ist) a priori gegebenen Gesetze beruht, von welchen vier, nach dem Grundsatz der Specifikation gefundenen, Gesetzen, nach dem Grundsatz der Homogeneität angenommen werden muß, daß, so wie sie in einem gemeinschaftlichen Ausdruck zusammentreffen, sie auch aus einer und der selben Urbeschaffenheit unsers ganzen Erkenntnißvermögens, als ihrer gemeinschaftlichen Wurzel, entspringen, welche demnach anzusehn wäre als der innerste Keim aller Dependenz, Relativität, Instabilität und Endlichkeit der Objekte unsers in Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft, Subjekt und Objekt befangenen Bewußtseyns, oder derjenigen Welt, welche der hohe Plato wiederholentlich als das αει γιγνομενον μεν και απολλυμενον, οντως δε ουδεποτε ον, deren Erkenntniß nur eine δοξα μετ' αισθησεως άλογου wäre, herabsetzt, und welche das Christenthum, mit richtigem Sinn, nach derjenigen Gestaltung unsers Satzes, welche ich § 46 als sein einfachstes Schema und den Urtypus aller Endlichkeit bezeichnet habe, die Zeitlichkeit nennt. Der allgemeine Sinn des Satzes vom Grunde überhaupt läuft darauf zurück, daß immer und überall Jegliches nur vermöge eines Andern ist. Nun ist aber der Satz vom Grunde in allen seinen Gestalten a priori, wurzelt also in unserm Intellekt: daher darf er nicht auf das Ganze aller daseienden Dinge, die Welt, mit Einschluß dieses Intellekts, in welchem sie dasteht, angewandt werden. Denn eine solche, vermöge apriorischer Formen sich darstellende Welt ist eben deshalb bloße Erscheinung: was daher nur in Folge eben dieser Formen von ihr gilt, findet keine Anwendung auf sie selbst, d. h. auf das in ihr sich darstellende Ding an sich. Daher kann man nicht sagen: »Die Welt und alle Dinge in ihr existiren vermöge eines Andern«; – welcher Satz eben der kosmologische Beweis ist.

Ist mir die Ableitung des so eben ausgesprochenen Resultats durch gegenwärtige Abhandlung gelungen; so wäre, dächte ich, an jeden Philosophen, der, bei seinen Spekulationen, auf den Satz vom zureichenden Grunde einen Schluß baut, oder überhaupt nur von einem Grunde spricht, die Forderung zu machen, daß er bestimme, welche Art von Grund er meine. Man könnte glauben, daß, so oft von einem Grunde die Rede ist, Jenes sich von selbst ergebe und keine Verwechselung möglich sei. Allein es finden sich nur gar zu viele Beispiele, theils daß die Ausdrücke Grund und Ursache verwechselt und ohne Unterscheidung gebraucht werden, theils daß im Allgemeinen von einem Grund und Begründeten, Princip und Principiat, Bedingung und Bedingten geredet wird, ohne nähere Bestimmung; vielleicht eben weil man sich im Stillen eines unberechtigten Gebrauchs dieser Begriffe bewußt ist. So spricht selbst Kant von dem Ding an sich als dem Grunde der Erscheinung. So spricht er (Krit. d. r. V., 5. Aufl., S. 590) von einem Grunde der Möglichkeit aller Erscheinung; von einem intelligiblen Grund der Erscheinungen; von einer intelligiblen Ursache, einem unbekannten Grund der Möglichkeit der sinnlichen Reihe überhaupt (S.592); von einem den Erscheinungen zum Grunde liegenden transscendentalen Objekt und dem Grunde warum unsere Sinnlichkeit diese viel mehr als alle andern obersten Bedingungen habe (S. 641); und so an mehreren Stellen. Welches alles mir schlecht zu passen scheint zu jenen gewichtigen, tiefsinnigen, ja unsterblichen Worten (S. 591): »daß die Zufälligkeit Die empirische Zufälligkeit ist gemeint, welche bei Kant so viel bedeutet, wie Abhängigkeit von andern Dingen; worüber ich auf meine Rüge, S. 524 [3. Aufl. S. 552] meiner »Kritik der Kantischen Philosophie« verweise. der Dinge selbst nur Phänomen sei und auf keinen andern Regressus führen könne, als den empirischen, der die Phänomene bestimmt.«

Daß, seit Kant, die Begriffe Grund und Folge, Princip und Principiat u. s. w. noch viel unbestimmter und ganz und gar transscendent gebraucht sind, weiß jeder dem die neueren philosophischen Schriften bekannt sind.

Gegen diesen unbestimmten Gebrauch des Wortes Grund und mit ihm des Satzes vom zureichenden Grunde überhaupt ist Folgendes meine Einwendung und zugleich das zweite, mit dem ersten genau verbundene Resultat, welches diese Abhandlung über ihren eigentlichen Gegenstand giebt. Obgleich die vier Gesetze unsers Erkenntnißvermögens, deren gemeinschaftlicher Ausdruck der Satz vom zureichenden Grunde ist, durch ihren gemeinsamen Charakter, und dadurch, daß alle Objekte des Subjekts unter sie vertheilt sind, sich ankündigen als durch Eine und die selbe Urbeschaffenheit und innere Eigenthümlichkeit des als Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft erscheinenden Erkenntnißvermögens gesetzt, so daß sogar, wenn man sich einbildete, es könnte eine neue, fünfte Klasse von Objekten entstehn, dann ebenfalls vorauszusetzen wäre, daß in ihr auch der Satz vom zureichenden Grund in einer neuen Gestalt auftreten würde; so dürfen wir dennoch nicht von einem Grunde schlechthin sprechen, und es giebt so wenig einen Grund überhaupt, wie einen Triangel überhaupt, anders, als in einem abstrakten, durch diskursives Denken gewonnenen Begriff, der als Vorstellung aus Vorstellungen, nichts weiter ist, als ein Mittel Vieles durch Eines zu denken. Wie jeder Triangel spitz-, recht- oder stumpf-winklicht, gleichseitig, gleichschenklicht oder ungleichseitig seyn muß; so muß auch (da wir nur vier und zwar bestimmt gesonderte Klassen von Objekten haben) jeder Grund zu einer der angegebenen vier möglichen Arten der Gründe gehören und demnach innerhalb einer der vier angegebenen möglichen Klassen von Objekten unsers Vorstellungsvermögens, – die folglich, mit sammt diesem Vermögen, d. h. der ganzen Welt, sein Gebrauch schon als gegeben voraussetzt und sich diesseit hält, – gelten, nicht aber außerhalb derselben, oder gar außerhalb aller Objekte. Sollte dennoch Jemand hierüber anders denken, und meinen, Grund überhaupt sei etwas Anderes, als der aus den vier Arten der Gründe abgezogene, ihr Gemeinschaftliches ausdrückende Begriff; so könnten wir den Streit der Realisten und Nominalisten erneuen, wobei ich in gegenwärtigem Fall auf der Seite der letztern stehn müßte.


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