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Aus der im vorigen Kapitel gegebenen Uebersicht ergiebt sich als allgemeines Resultat, daß man, obwohl erst allmälig und auffallend spät, auch nicht ohne öfter von Neuem in Verwechselungen und Fehlgriffe zu gerathen, zwei Anwendungen des Satzes vom zureichenden Grunde unterschieden hat: die eine auf Urtheile, die, um wahr zu seyn, immer einen Grund, die andere auf Veränderungen realer Objekte, die immer eine Ursache haben müssen. Wir sehn, daß in beiden Fällen der Satz vom zureichenden Grund zur Frage Warum berechtigt, welche Eigenschaft ihm wesentlich ist. Allein sind unter jenen beiden Verhältnissen alle Fälle begriffen, in denen wir Warum zu fragen berechtigt sind? Wenn ich frage: Warum sind in diesem Triangel die drei Seiten gleich? So ist die Antwort: weil die drei Winkel gleich sind. Ist nun die Gleichheit der Winkel Ursache der Gleichheit der Seiten? Nein, denn hier ist von keiner Veränderung, also von keiner Wirkung, die eine Ursache haben müßte, die Rede. – Ist sie bloß Erkenntnißgrund? Nein, denn die Gleichheit der Winkel ist nicht bloß Beweis der Gleichheit der Seiten, nicht bloß Grund eines Urtheils: aus bloßen Begriffen ist ja nimmermehr einzusehn, daß, weil die Winkel gleich sind, auch die Seiten gleich seyn müssen: denn im Begriff von Gleichheit der Winkel liegt nicht der von Gleichheit der Seiten. Es ist hier also keine Verbindung zwischen Begriffen, oder Urtheilen, sondern zwischen Seiten und Winkeln. Die Gleichheit der Winkel ist nicht unmittelbar Grund zur Erkenntniß der Gleichheit der Seiten, sondern nur mittelbar, indem sie Grund des So-seyns, hier des Gleichseyns der Seiten ist: darum daß die Winkel gleich sind, müssen die Seiten gleich seyn. Es findet sich hier eine nothwendige Verbindung zwischen Winkeln und Seiten, nicht unmittelbar eine nothwendige Verbindung zweier Urtheile. – Oder wiederum, wenn ich frage, warum zwar infecta facta, aber nimmermehr facta infecta fieri possunt; also warum denn eigentlich die Vergangenheit schlechthin unwiederbringlich, die Zukunft unausbleiblich sei; so läßt sich Dies auch nicht rein logisch, mittelst bloßer Begriffe, darthun. Und eben so wenig ist es Sache der Kausalität; da diese nur die Begebenheiten in der Zeit, nicht diese selbst beherrscht. Aber nicht durch Kausalität, sondern unmittelbar durch ihr bloßes Daseyn selbst, dessen Eintritt jedoch unausbleiblich war, hat die jetzige Stunde die verflossene in den bodenlosen Abgrund der Vergangenheit gestürzt und auf ewig zu nichts gemacht. Dies läßt sich aus bloßen Begriffen nicht verstehn, noch durch sie verdeutlichen; sondern wir erkennen es ganz unmittelbar und intuitiv, eben wie den Unterschied zwischen Rechts und Links und was von diesem abhängt, z. B. daß der linke Handschuh nicht zur rechten Hand paßt.
Da nun also nicht alle Fälle, in denen der Satz vom zureichenden Grunde Anwendung findet, sich zurückführen lassen auf logischen Grund und Folge und Ursache und Wirkung; so muß bei dieser Eintheilung dem Gesetz der Specifikation kein Genüge geschehn seyn. Das Gesetz der Homogeneität nöthigt uns jedoch vorauszusetzen, daß jene Fälle nicht ins Unendliche verschieden seyn, sondern auf gewisse Gattungen müssen zurückgeführt werden können. Ehe ich nun diese Eintheilung versuche, ist es nöthig zu bestimmen, was dem Satz vom zureichenden Grunde, als sein eigenthümlicher Charakter, in allen Fällen eigen sei; weil der Geschlechtsbegriff vor den Gattungsbegriffen festgestellt werden muß.
Unser erkennendes Bewußtseyn, als äußere und innere Sinnlichkeit (Receptivität), Verstand und Vernunft auftretend, zerfällt in Subjekt und Objekt, und enthält nichts außerdem. Objekt für das Subjekt seyn, und unsere Vorstellung seyn, ist das Selbe. Alle unsere Vorstellungen sind Objekte des Subjekts, und alle Objekte des Subjekts sind unsere Vorstellungen. Nun aber findet sich, daß alle unsere Vorstellungen unter einander in einer gesetzmäßigen und der Form nach a priori bestimmbaren Verbindung stehn, vermöge welcher nichts für sich Bestehendes und Unabhängiges, auch nichts Einzelnes und Abgerissenes, Objekt für uns werden kann. Diese Verbindung ist es, welche der Satz vom zureichenden Grund, in seiner Allgemeinheit, ausdrückt. Obgleich dieselbe nun, wie wir schon aus dem Bisherigen entnehmen können, je nach Verschiedenheit der Art der Objekte, verschiedene Gestalten annimmt, welche zu bezeichnen der Satz vom Grunde dann auch wieder seinen Ausdruck modificirt; so bleibt ihr doch immer das allen jenen Gestalten Gemeinsame, welches unser Satz, allgemein und abstrakt gefaßt, besagt. Die demselben zum Grunde liegenden, im Folgenden näher nachzuweisenden Verhältnisse sind es daher, welche ich die Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde genannt habe. Diese nun sondern sich, bei näherer, den Gesetzen der Homogeneität und der Specifikation gemäß angestellter Betrachtung, in bestimmte, von einander sehr verschiedene Gattungen, deren Anzahl sich auf vier zurückführen läßt, indem sie sich richtet nach den vier Klassen, in welche Alles, was für uns Objekt werden kann, also alle unsere Vorstellungen, zerfallen. Diese Klassen werden in den nächsten vier Kapiteln aufgestellt und abgehandelt.
In jeder derselben werden wir den Satz vom zureichenden Grund in einer andern Gestalt auftreten, sich aber überall dadurch, daß er den oben angegebenen Ausdruck zuläßt, als den selben und als aus der hier angegebenen Wurzel entsprossen zu erkennen geben sehn.