Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die erste Klasse der möglichen Gegenstände unsers Vorstellungsvermögens ist die der anschaulichen, vollständigen, empirischen Vorstellungen. Sie sind anschauliche, im Gegensatz der bloß gedachten, also der abstrakten Begriffe; vollständige, sofern sie, nach Kants Unterscheidung, nicht bloß das Formale, sondern auch das Materiale der Erscheinungen enthalten; empirische, theils sofern sie nicht aus bloßer Gedankenverknüpfung hervorgehn, sondern in einer Anregung der Empfindung unsers sensitiven Leibes ihren Ursprung haben, auf welchen sie, zur Beglaubigung ihrer Realität, stets zurückweisen; theils weil sie, gemäß den Gesetzen des Raumes, der Zeit und der Kausalität im Verein, zu demjenigen end- und anfangslosen Komplex verknüpft sind, der unsere empirische Realität ausmacht. Da jedoch diese, nach dem Ergebniß der Kantischen Belehrung, die transscendentale Idealität derselben nicht aufhebt; so kommen sie hier, wo es sich um die formellen Elemente der Erkenntniß handelt, bloß als Vorstellungen in Betracht.
Die Formen dieser Vorstellungen sind die des innern und äußern Sinnes, Zeit und Raum. Aber nur als erfüllt sind diese wahrnehmbar. Ihre Wahrnehmbarkeit ist die Materie, auf welche ich weiterhin, wie auch § 21, zurückkommen werde.
Wäre die Zeit die alleinige Form dieser Vorstellungen; so gäbe es kein Zugleichseyn und deshalb nichts Beharrliches und keine Dauer. Denn die Zeit wird nur wahrgenommen, sofern sie erfüllt ist, und ihr Fortgang nur durch den Wechsel des sie Erfüllenden. Das Beharren eines Objekts wird daher nur erkannt durch den Gegensatz des Wechsels anderer, die mit ihm zugleich sind. Die Vorstellung des Zugleichseyns aber ist in der bloßen Zeit nicht möglich; sondern, zur andern Hälfte, bedingt durch die Vorstellung vom Raum; weil in der bloßen Zeit alles nach einander, im Raum aber neben einander ist: dieselbe entsteht also erst durch den Verein von Zeit und Raum.
Wäre andererseits der Raum die alleinige Form der Vorstellungen dieser Klasse; so gäbe es keinen Wechsel: denn Wechsel, oder Veränderung, ist Succession der Zustände, und Succession ist nur in der Zeit möglich. Daher kann man die Zeit auch definiren als die Möglichkeit entgegengesetzter Bestimmungen am selben Dinge.
Wir sehn also, daß die beiden Formen der empirischen Vorstellungen, obwohl sie bekanntlich unendliche Theilbarkeit und unendliche Ausdehnung gemein haben, doch grundverschieden sind, darin, daß was der einen wesentlich ist, in der andern gar keine Bedeutung hat: das Nebeneinander keine in der Zeit, das Nacheinander keine im Raum. Die empirischen, zum gesetzmäßigen Komplex der Realität gehörigen Vorstellungen erscheinen dennoch in beiden Formen zugleich, und sogar ist eine innige Vereinigung beider die Bedingung der Realität, welche aus ihnen gewissermaaßen wie ein Produkt aus seinen Faktoren erwächst. Was diese Vereinigung schafft ist der Verstand, der, mittelst seiner, ihm eigenthümlichen Funktion, jene heterogenen Formen der Sinnlichkeit verbindet, so daß aus ihrer wechselseitigen Durchdringung, wiewohl eben auch nur für ihn selbst, die empirische Realität hervorgeht, als eine Gesammtvorstellung, welche einen, durch die Formen des Satzes vom Grunde zusammengehaltenen Komplex, jedoch mit problematischen Gränzen, bildet, von dem alle einzelnen, dieser Klasse angehörigen Vorstellungen Theile sind und in ihm, bestimmten, uns a priori bewußten Gesetzen gemäß, ihre Stellen einnehmen, in welchem daher unzählige Objekte zugleich existiren, weil in ihm, ungeachtet der Unaufhaltsamkeit der Zeit, die Substanz, d. i. die Materie, beharrt, und ungeachtet der starren Unbeweglichkeit des Raums ihre Zustände wechseln, in welchem also, mit Einem Wort, diese ganze objektive reale Welt für uns da ist. Die Ausführung der hier nur im Umriß gegebenen Analysis der empirischen Realität, durch eine nähere Auseinandersetzung der Art und Weise, wie durch die Funktion des Verstandes jene Vereinigung und mit ihr die Erfahrungswelt für ihn zu Stande kommt, findet der theilnehmende Leser in der »Welt als Wille und Vorstellung,« Bd. 1. § 4 (oder erste Aufl. S. 12 fg.), wozu ihm die dem 4. Kapitel des 2. Bandes beigegebene und seiner aufmerksamen Beachtung empfohlene Tafel der »Prädikabilia a priori der Zeit, des Raumes und der Materie« eine wesentliche Beihülfe seyn wird; da aus ihr besonders erhellt, wie die Gegensätze des Raumes und der Zeit sich in der Materie, als ihrem in der Form der Kausalität sich darstellenden Produkt, ausgleichen.
Die Funktion des Verstandes, welche die Basis der empirischen Realität ausmacht, soll sogleich ihre ausführliche Darstellung erhalten: nur müssen zuvor, durch ein Paar beiläufige Erörterungen, die nächsten Anstöße, welche die hier befolgte idealistische Grund-Auffassung finden könnte, beseitigt werden.
Weil nun aber, ungeachtet dieser Vereinigung der Formen des innern und äußern Sinnes, durch den Verstand, zur Vorstellung der Materie und damit zu der einer beharrenden Außenwelt, das Subjekt unmittelbar nur durch den innern Sinn erkennt, indem der äußere Sinn wieder Objekt des innern ist und dieser die Wahrnehmungen jenes wieder wahrnimmt, das Subjekt also in Hinsicht auf die unmittelbare Gegenwart der Vorstellungen in seinem Bewußtseyn, den Bedingungen der Zeit allein, als der Form des innern Sinnes, unterworfen bleibt Vergl. Krit. d. rein. Vern., Elementarlehre Abschn. II, Schlüsse a. d. Begr., b und c. Der ersten Aufl. S. 33; der 5. S. 49.; so kann ihm nur eine deutliche Vorstellung, wiewohl diese sehr zusammengesetzt seyn kann, auf Ein Mal gegenwärtig seyn. Vorstellungen sind unmittelbar gegenwärtig heißt: sie werden nicht nur in der vom Verstande (der, wie wir sogleich sehn werden, ein intuitives Vermögen ist) vollzogenen Vereinigung der Zeit und des Raums zur Gesammtvorstellung der empirischen Realität, sondern sie werden als Vorstellungen des innern Sinnes in der bloßen Zeit erkannt und zwar auf dem Indifferenzpunkt zwischen den beiden auseinandergehenden Richtungen dieser, welcher Gegenwart heißt. Die im vorigen Paragraphen berührte Bedingung zur unmittelbaren Gegenwart einer Vorstellung dieser Klasse ist ihre kausale Einwirkung auf unsere Sinne, mithin auf unsern Leib, welcher selbst zu den Objekten dieser Klasse gehört, mithin dem in ihr herrschenden, sogleich zu erörternden Gesetze der Kausalität unterworfen ist. Weil dieserhalb das Subjekt, nach den Gesetzen sowohl der innern, wie der äußern Welt, bei jener einen Vorstellung nicht bleiben kann, in der bloßen Zeit aber kein Zugleichseyn ist; so wird jene Vorstellung stets wieder verschwinden, von andern verdrängt, nach einer nicht a priori bestimmbaren, sondern von bald zu erwähnenden Umständen abhängigen Ordnung. Daß außerdem Phantasie und Traum die unmittelbare Gegenwart der Vorstellungen reproduciren, ist eine bekannte Thatsache, deren Erörterung jedoch nicht hieher, sondern in die empirische Psychologie gehört. Da nun aber, ungeachtet dieser Flüchtigkeit und dieser Vereinzelung der Vorstellungen, in Hinsicht auf ihre unmittelbare Gegenwart im Bewußtseyn des Subjekts, diesem dennoch die Vorstellung von einem Alles begreifenden Komplex der Realität, wie ich diesen oben beschrieben, durch die Funktion des Verstandes, bleibt; so hat man, in Hinsicht auf diesen Gegensatz, die Vorstellungen, sofern sie zu jenem Komplex gehören, für etwas ganz anderes gehalten, als sofern sie dem Bewußtseyn unmittelbar gegenwärtig sind, und in jener Eigenschaft sie reale Dinge, in dieser aber allein Vorstellungen κατ' εξοχην genannt. Diese Auffassung der Sache, welche die gemeine ist, heißt bekanntlich Realismus. Ihr hat sich, mit dem Eintritte der neueren Philosophie, der Idealismus entgegengestellt und immer mehr Feld gewonnen. Zuerst durch Malebranche und Berkeley vertreten, wurde er durch Kant zum transscendentalen Idealismus potenzirt, welcher das Zusammenbestehn der empirischen Realität der Dinge mit der transscendentalen Idealität derselben begreiflich macht, und dem gemäß Kant, in der Krit. d. rein. Vern., sich unter Anderm so ausspricht: »Ich verstehe unter dem transscendentalen Idealismus aller Erscheinungen den Lehrbegriff, nach welchem wir sie insgesammt als bloße Vorstellungen, und nicht als Dinge an sich selbst ansehn.« Weiterhin in der Anmerkung: »Der Raum ist selbst nichts Anderes, als Vorstellung; folglich, was in ihm ist, muß in der Vorstellung enthalten seyn, und im Raum ist gar nichts, außer sofern es in ihm wirklich vorgestellt wird.« (Kritik des 4. Paralogismus der transsc. Psychol. S. 369 und 375 der ersten Aufl.) Endlich in der diesem Kapitel angehängten »Betrachtung« heißt es: »Wenn ich das denkende Subjekt wegnehme, muß die ganze Körperwelt wegfallen, als die nichts ist, als die Erscheinung in der Sinnlichkeit unsers Subjekts, und eine Art Vorstellungen desselben.« In Indien ist, sowohl im Brahmanismus, als im Buddhaismus, der Idealismus sogar Lehre der Volksreligion: bloß in Europa ist er, in Folge der wesentlich und unumgänglich realistischen jüdischen Grundansicht, paradox. Der Realismus übersieht aber, daß das sogenannte Seyn dieser realen Dinge doch durchaus nichts Anderes ist, als ein Vorgestelltwerden, oder, wenn man darauf besteht, nur die unmittelbare Gegenwart im Bewußtseyn des Subjekts ein Vorgestelltwerden κατ' εντελεχειαν zu nennen, gar nur ein Vorgestelltwerdenkönnen κατα δυναμιν: er übersieht, daß das Objekt außerhalb seiner Beziehung auf das Subjekt nicht mehr Objekt bleibt, und daß, wenn man ihm diese nimmt oder davon abstrahirt, sofort auch alle objektive Existenz aufgehoben ist. Leibnitz, der das Bedingtseyn des Objekts durch das Subjekt wohl fühlte, jedoch sich von dem Gedanken eines Seyns an sich der Objekte, unabhängig von ihrer Beziehung auf das Subjekt, d. h. vom Vorgestelltwerden, nicht frei machen konnte, nahm zuvörderst eine der Welt der Vorstellung genau gleiche und ihr parallel laufende Welt der Objekte an sich an, die aber mit jener nicht direkt, sondern nur äußerlich, mittelst einer harmonia praestabilita, verbunden war; – augenscheinlich das Überflüssigste auf der Welt, da sie selbst nie in die Wahrnehmung fällt und die ihr ganz gleiche Welt in der Vorstellung auch ohne sie ihren Gang geht. Als er nun aber wieder das Wesen der an sich selbst objektiv existirenden Dinge näher bestimmen wollte, gerieth er in die Nothwendigkeit, die Objekte an sich selbst für Subjekte ( monades) zu erklären, und gab eben dadurch den sprechendesten Beweis davon, daß unser Bewußtseyn, soweit es ein bloß erkennendes ist, also innerhalb der Schranken des Intellekts, d. h. des Apparats zur Welt der Vorstellung, eben nichts weiter finden kann, als Subjekt und Objekt, Vorstellendes und Vorstellung, und wir daher, wenn wir vom Objektseyn (Vorgestelltwerden) eines Objekts abstrahirt, d. h. als solches es aufgehoben haben, und dennoch etwas setzen wollen, auf gar nichts gerathen können, als das Subjekt. Wollen wir aber umgekehrt vom Subjektseyn des Subjekts abstrahiren und dennoch nicht nichts übrig behalten, so tritt der umgekehrte Fall ein, der sich zum Materialismus entwickelt.
Spinoza, der mit der Sache nicht aufs Reine und daher nicht zu deutlichen Begriffen gekommen war, hatte dennoch die nothwendige Beziehung zwischen Objekt und Subjekt, als eine ihnen so wesentliche, daß sie durchaus Bedingung ihrer Denkbarkeit ist, sehr wohl verstanden und sie deshalb als eine Identität des Erkennenden und Ausgedehnten in der allein existirenden Substanz dargestellt.
Anmerk. Ich bemerke bei Gelegenheit der Haupterörterung dieses Paragraphen, daß, wenn ich, im Fortgange der Abhandlung, mich, der Kürze
und leichtern Faßlichkeit halber, des Ausdrucks
reale Objekte bedienen
werde, darunter nichts Anderes zu verstehn ist, als eben die anschaulichen,
zum Komplex der an sich selbst stets ideal bleibenden empirischen Realität
verknüpften Vorstellungen.
In der nunmehr dargestellten Klasse der Objekte für das Subjekt, tritt der Satz vom zureichenden Grunde auf als Gesetz der Kausalität, und ich nenne ihn als solches den Satz vom zureichenden Grunde des Werdens, principium rationis sufficientis fiendi. Alle in der Gesammtvorstellung, welche den Komplex der erfahrungsmäßigen Realität ausmacht, sich darstellenden Objekte sind, hinsichtlich des Ein- und Austritts ihrer Zustände, mithin in der Richtung des Laufes der Zeit, durch ihn mit einander verknüpft. Er ist folgender. Wenn ein neuer Zustand eines oder mehrerer realer Objekte eintritt; so muß ihm ein anderer vorhergegangen seyn, auf welchen der neue regelmäßig, d. h. allemal, so oft der erstere daist, folgt. Ein solches Folgen heißt ein Erfolgen und der erstere Zustand die Ursache, der zweite die Wirkung. Wenn sich z. B. ein Körper entzündet; so muß diesem Zustand des Brennens vorhergegangen seyn ein Zustand 1) der Verwandtschaft zum Oxygen, 2) der Berührung mit dem Oxygen, 3) einer bestimmten Temperatur. Da, sobald dieser Zustand vorhanden war, die Entzündung unmittelbar erfolgen mußte, diese aber erst jetzt erfolgt ist; so kann auch jener Zustand nicht immer dagewesen, sondern muß erst jetzt eingetreten seyn. Dieser Eintritt heißt eine Veränderung. Daher steht das Gesetz der Kausalität in ausschließlicher Beziehung auf Veränderungen und hat es stets nur mit diesen zu thun. Jede Wirkung ist, bei ihrem Eintritt, eine Veränderung und giebt, eben weil sie nicht schon früher eingetreten, unfehlbare Anweisung auf eine andere, ihr vorhergegangene Veränderung, welche, in Beziehung auf sie, Ursache, in Beziehung auf eine dritte, ihr selbst wieder nothwendig vorhergegangene Veränderung aber Wirkung heißt. Dies ist die Kette der Kausalität: sie ist nothwendig anfangslos. Demnach also muß jeder eintretende Zustand aus einer ihm vorhergegangenen Veränderung erfolgt seyn, z. B. in unserm obigen Fall, aus dem Hinzutreten freier Wärme an den Körper, aus welchem die Temperaturerhöhung erfolgen mußte: dieses Hinzutreten der Wärme ist wieder durch eine vorhergehende Veränderung, z. B. das Auffallen der Sonnenstrahlen auf einen Brennspiegel, bedingt; dieses etwan durch das Wegziehn einer Wolke von der Richtung der Sonne; dieses durch Wind; dieser durch ungleiche Dichtigkeit der Luft; diese durch andere Zustände, und so in infinitum. Daß, wenn ein Zustand, um Bedingung zum Eintritt eines neuen zu seyn, alle Bestimmungen bis auf eine enthält, man diese eine, wenn sie jetzt noch, also zuletzt, hinzutritt, die Ursache κατ' εξοχην nennen will, ist zwar insofern richtig, als man sich dabei an die letzte, hier allerdings entscheidende Veränderung hält: davon abgesehn aber hat, für die Feststellung der ursächlichen Verbindung der Dinge im Allgemeinen, eine Bestimmung des kausalen Zustandes, dadurch daß sie die letzte ist, die hinzutritt, vor den übrigen nichts voraus. So ist, im angeführten Beispiel, das Wegziehn der Wolke zwar insofern die Ursache der Entzündung zu nennen, als es später eintritt, als das Richten des Brennspiegels auf das Objekt: Dieses hätte jedoch später geschehn können, als das Wegziehn der Wolke, und das Zulassen des Oxygens wieder später als dieses: solche zufällige Zeitbestimmungen haben denn in jener Hinsicht zu entscheiden, welches die Ursache sei. Bei genauerer Betrachtung hingegen finden wir, daß der ganze Zustand die Ursache des folgenden ist, wobei es im Wesentlichen einerlei ist, in welcher Zeitfolge seine Bestimmungen zusammengekommen seien. Demnach mag man, in Hinsicht auf einen gegebenen einzelnen Fall, die zuletzt eingetretene Bestimmung eines Zustandes, weil sie die Zahl der hier erforderlichen Bedingungen voll macht, also ihr Eintritt die hier entscheidende Veränderung wird, die Ursache κατ' εξοχην nennen: jedoch für die allgemeine Betrachtung darf nur der ganze, den Eintritt des folgenden herbeiführende Zustand als Ursache gelten. Die verschiedenen einzelnen Bestimmungen aber, welche erst zusammengenommen die Ursache kompletiren und ausmachen, kann man die ursächlichen Momente, oder auch die Bedingungen nennen, und demnach die Ursache in solche zerlegen. Ganz falsch hingegen ist es, wenn man nicht den Zustand, sondern die Objekte Ursache nennt, z. B. im angeführten Fall würden Einige den Brennspiegel Ursache der Entzündung nennen. Andere die Wolke, Andere die Sonne, Andere das Oxygen und so regellos nach Belieben. Es hat aber gar keinen Sinn zu sagen, ein Objekt sei Ursache eines andern; zunächst, weil die Objekte nicht bloß die Form und Qualität, sondern auch die Materie enthalten, diese aber weder entsteht, noch vergeht; und sodann, weil das Gesetz der Kausalität sich ausschließlich auf Veränderungen, d. h. auf den Ein- und Austritt der Zustände in der Zeit bezieht, als woselbst es dasjenige Verhältniß regulirt, in Beziehung auf welches der frühere Ursache, der spätere Wirkung heißt und ihre nothwendige Verbindung das Erfolgen.
Den nachdenkenden Leser verweise ich hier auf die Erläuterungen, welche ich in der »Welt als Wille und Vorst.« Bd. 2, Kap. 4, besonders S. 42 und fg. [3. Aufl. S. 46 fg] geliefert habe. Denn es ist von der höchsten Wichtigkeit, daß man von der wahren und eigentlichen Bedeutung des Kausalitätsgesetzes, wie auch vom Bereich seiner Geltung, vollkommen deutliche und feste Begriffe habe, also vor allen Dingen klar erkenne, daß dasselbe allein und ausschließlich auf Veränderungen materieller Zustände sich bezieht und schlechterdings auf nichts Anderes; folglich nicht herbeigezogen werden darf, wo nicht davon die Rede ist. Es ist nämlich der Regulator der in der Zeit eintretenden Veränderungen der Gegenstände der äußern Erfahrung: diese aber sind sämmtlich materiell. Jede Veränderung kann nur eintreten dadurch, daß eine andere, nach einer Regel bestimmte, ihr vorhergegangen ist, durch welche sie aber dann als nothwendig herbeigeführt eintritt: diese Nothwendigkeit ist der Kausalnexus.
So einfach demnach das Gesetz der Kausalität ist; so finden wir in den philosophischen Lehrbüchern, von den ältesten Zeiten an, bis auf die neuesten, in der Regel, es ganz anders ausgedrückt, nämlich abstrakter, mithin weiter und unbestimmter gefaßt. Da heißt es denn etwan, Ursache sei, wodurch ein Anderes zum Daseyn gelangt, oder was ein Anderes hervorbringt, es wirklich macht u. dgl. m.; wie denn schon Wolf sagt: causa est principium, a quo existentia, sive actualitas, entis alterius dependet; während doch, bei der Kausalität, es sich offenbar nur um Formveränderungen der unentstandenen und unzerstörbaren Materie handelt und ein eigentliches Entstehn, ein Ins-Daseyntreten des vorher gar nicht Gewesenen, eine Unmöglichkeit ist. An jenen hergebrachten, zu weiten, schiefen, falschen Fassungen des Kausalitätsverhältnisses mag nun zwar größtentheils Unklarheit des Denkens Schuld seyn: aber zuverlässig steckt mitunter auch Absicht dahinter, nämlich theologische, schon von ferne mit dem kosmologischen Beweise liebäugelnde, welche bereit ist, diesem zu gefallen, selbst transscendentale Wahrheiten a priori (diese Muttermilch des menschlichen Verstandes) zu verfälschen. Am deutlichsten hat man Dies vor Augen im Buche des Thomas Brown, On the relation of cause and effect, welches, 460 Seiten zählend, schon 1835 seine vierte Auflage, und seitdem wohl mehrere, erlebt hat und, abgesehn von seiner ermüdenden, kathedermäßigen Weitschweifigkeit, seinen Gegenstand nicht übel behandelt. Dieser Engländer nun hat ganz richtig erkannt, daß es allemal Veränderungen sind, welche das Gesetz der Kausalität betrifft, daß also jede Wirkung eine Veränderung sei: aber daß die Ursache ebenfalls eine Veränderung sei, woraus folgt, daß die ganze Sache bloß der ununterbrochene Nexus der in der Zeit sich succedirenden Veränderungen sei, – damit will er nicht heraus, obwohl es ihm unmöglich entgangen seyn kann; sondern er nennt jedesmal, höchst ungeschickt, die Ursache ein der Veränderung vorhergehendes Objekt, oder auch Substanz, und mit diesem ganz falschen Ausdruck, der ihm seine Auseinandersetzungen überall verdirbt, dreht und quält er sich, sein ganzes, langes Buch hindurch, erbärmlich herum, gegen sein besseres Wissen und Gewissen; einzig und allein, damit seine Darstellung dem etwan anderweitig und von Andern dereinst aufzustellenden kosmologischen Beweise nur ja nicht im Wege stehe. – Wie muß es doch mit einer Wahrheit bestellt seyn, der man durch solche Schliche schon von ferne den Weg zu bahnen hat.
Aber was haben denn unsere guten, redlichen, Geist und Wahrheit höher als Alles schätzenden deutschen Philosophieprofessoren ihrerseits für den so theuern kosmologischen Beweis gethan, nachdem nämlich Kant, in der Vernunftkritik, ihm die tödtliche Wunde beigebracht hatte? Da war freilich guter Rath theuer: denn (sie wissen es, die Würdigen, wenn sie es auch nicht sagen) causa prima ist, eben so gut wie causa sui, eine contradictio in adjecto; obschon der erstere Ausdruck viel häufiger gebraucht wird, als der letztere, und auch mit ganz ernsthafter, sogar feierlicher Miene ausgesprochen zu werden pflegt, ja Manche, insonderheit Englische Reverends, recht erbaulich die Augen verdrehn, wenn sie, mit Emphase und Rührung, the first cause, – diese contradictio in adjecto, – aussprechen. Sie wissen es: eine erste Ursache ist gerade und genau so undenkbar, wie die Stelle, wo der Raum ein Ende hat, oder der Augenblick, da die Zeit einen Anfang nahm. Denn jede Ursache ist eine Veränderung, bei der man nach der ihr vorhergegangenen Veränderung, durch die sie herbeigeführt worden, nothwendig fragen muß, und so in infinitum, in infinitum! Nicht ein Mal ein erster Zustand der Materie ist denkbar, aus dem, da er nicht noch immer ist, alle folgenden hervorgegangen wären. Denn, wäre er an sich ihre Ursache gewesen; so hätten auch sie schon von jeher seyn müssen, also der jetzige nicht erst jetzt. Fieng er aber erst zu einer gewissen Zeit an, kausal zu werden; so muß ihn, zu der Zeit, etwas verändert haben, damit er aufhörte zu ruhen: dann aber ist etwas hinzugetreten, eine Veränderung vorgegangen, nach deren Ursache, d. h. einer ihr vorhergegangenen Veränderung, wir sogleich fragen müssen, und wir sind wieder auf der Leiter der Ursachen und werden höher und höher hinaufgepeitscht von dem unerbittlichen Gesetze der Kausalität, – in infinitum, in infinitum. (Die Herren werden sich doch nicht etwan entblöden, mir von einem Entstehn der Materie selbst aus nichts zu reden? weiter unten stehn Korollarien, ihnen aufzuwarten.) Das Gesetz der Kausalität ist also nicht so gefällig, sich brauchen zu lassen, wie ein Fiaker, den man, angekommen wo man hingewollt, nach Hause schickt. Vielmehr gleicht es dem, von Goethes Zauberlehrlinge belebten Besen, der, ein Mal in Aktivität gesetzt, gar nicht wieder aufhört zu laufen und zu schöpfen; so daß nur der alte Hexenmeister selbst ihn zur Ruhe zu bringen vermag. Aber die Herren sind sammt und sonders keine Hexenmeister. Was haben sie also gethan, die edelen und aufrichtigen Freunde der Wahrheit, sie, die allezeit nur auf das Verdienst in ihrem Fache warten, um, sobald es sich zeigt, es der Welt zu verkünden, und die, wenn Einer kommt, der wirklich ist, was sie denn doch nur vorstellen, weit entfernt durch tückisches Schweigen und feiges Sekretiren seine Werke ersticken zu wollen, vielmehr alsbald die Herolde seines Verdienstes seyn werden, – gewiß, so gewiß ja bekanntlich der Unverstand den Verstand über Alles liebt. Was also haben sie gethan für ihren alten Freund, den hart bedrängten, ja, schon auf dem Rücken liegenden kosmologischen Beweis? – O, sie haben einen feinen Pfiff erdacht: »Freund,« haben sie zu ihm gesagt, »es steht schlecht mit dir, recht schlecht, seit deiner fatalen Rencontre mit dem alten Königsberger Starrkopf; so schlecht, – wie mit deinen Brüdern, dem ontologischen und dem physikotheologischen. Aber getrost, wir verlassen dich darum nicht (du weißt, wir sind dafür bezahlt): jedoch, – es ist nicht anders, – du mußt Namen und Kleidung wechseln: denn nennen wir dich bei deinem Namen, so läuft uns Alles davon. Inkognito aber fassen wir dich untern Arm und bringen dich wieder unter Leute; nur, wie gesagt, inkognito: es geht! Zunächst also: dein Gegenstand führt von jetzt an den Namen »das Absolutum«: das klingt fremd, anständig und vornehm, – und wie viel man mit Vornehmthun bei den Deutschen ausrichten kann, wissen wir am besten: was gemeint sei, versteht doch Jeder und dünkt sich noch weise dabei. Du selbst aber trittst verkleidet, in Gestalt eines Enthymems auf. Alle deine Prosyllogismen und Prämissen nämlich, mit denen du uns den langen Klimax hinaufzuschleppen pflegtest, laß nur hübsch zu Hause: man weiß ja doch, daß es nichts damit ist. Aber als ein Mann von wenig Worten, stolz, dreist und vornehm auftretend, bist du mit Einem Sprunge am Ziele: »Das Absolutum«, schreist du (und wir mit), » das muß denn doch, zum Teufel, seyn; sonst wäre ja gar nichts!« (hiebei schlägst du auf den Tisch.) Woher aber Das sei? »Dumme Frage! habe ich nicht gesagt, es wäre das Absolutum?« – Es geht, bei unserer Treu, es geht! Die Deutschen sind gewohnt, Worte statt der Begriffe hinzunehmen: dazu werden sie, von Jugend auf, durch uns dressirt, – sieh nur die Hegelei, was ist sie Anderes, als leerer, hohler, dazu ekelhafter Wortkram? Und doch, wie glänzend war die Carriere dieser philosophischen Ministerkreatur! Dazu bedurfte es nichts weiter, als einiger feilen Gesellen, den Ruhm des Schlechten zu intoniren, und ihre Stimme fand an der leeren Höhlung von tausend Dummköpfen ein noch jetzt nachhallendes und sich fortpflanzendes Echo: siehe, so war bald aus einem gemeinen Kopf, ja einem gemeinen Scharlatan, ein großer Philosoph gemacht. Also Muth gefaßt! Ueberdies, Freund und Gönner, sekundiren wir dich noch anderweitig; können wir doch ohne dich nicht leben! – Hat der alte Königsberger Krittler die Vernunft kritisirt und ihr die Flügel beschnitten; – gut! so erfinden wir eine neue Vernunft, von der bis dahin noch kein Mensch etwas gehört hatte, eine Vernunft, welche nicht denkt, sondern unmittelbar anschaut, Ideen (ein vornehmes Wort, zum Mystificiren geschaffen) anschaut, leibhaftig; oder auch sie vernimmt, unmittelbar vernimmt was du und die Andern erst beweisen wollten; oder, – bei Denen nämlich, welche nur wenig zugestehn, aber auch mit wenig vorlieb nehmen, – es ahndet. Früh eingeimpfte Volksbegriffe geben wir so für unmittelbare Eingebungen dieser unserer neuen Vernunft, d. h. eigentlich für Eingebungen von oben, aus. Die alte, auskritisirte Vernunft aber, die degradiren wir, nennen sie Verstand, und schicken sie promeniren. Und den wahren, eigentlichen Verstand? – was, in aller Welt, geht uns der wahre, eigentliche Verstand an? – Du lächelst ungläubig: aber wir kennen unser Publikum und die harum, horum, die wir da auf den Bänken vor uns haben. Hat doch schon Bako von Verulam gesagt: »Auf Universitäten lernen die jungen Leute glauben.« Da können sie von uns etwas Rechtschaffenes lernen! wir haben einen guten Vorrath von Glaubensartikeln. – Will dich Verzagtheit anwandeln, so denke nur immer daran, daß wir in Deutschland sind, wo man gekonnt hat was nirgend anderswo möglich gewesen wäre, nämlich einen geistlosen, unwissenden, Unsinn schmierenden, die Köpfe, durch beispiellos hohlen Wortkram, von Grund aus und auf immer desorganisirenden Philosophaster, ich meine unsern theuern Hegel, als einen großen Geist und tiefen Denker ausschreien: und nicht nur ungestraft und unverhöhnt hat man das gekonnt; sondern wahrhaftig, sie glauben es, glauben es seit 30 Jahren, bis auf den heutigen Tag! – Haben wir also, trotz Kant und Kritik, mit deiner Beihülfe, nur erst das Absolutum; so sind wir geborgen. – Dann philosophiren wir von oben herab, lassen aus demselben, mittelst der verschiedenartigsten und nur durch ihre marternde Langweiligkeit einander ähnlichen Deduktionen, die Welt hervorgehn, nennen diese auch wohl das Endliche, jenes das Unendliche, – was wieder eine angenehme Variation im Wortkram giebt, – und reden überhaupt immer nur von Gott, expliciren, wie, warum, wozu, weshalb, durch welchen willkürlichen oder unwillkürlichen Proceß, er die Welt gemacht, oder geboren habe; ob er draußen, ob er drinne sei u. s. f.; als wäre die Philosophie Theologie und suchte nicht Aufklärung über die Welt, sondern über Gott.«
Der kosmologische Beweis also, dem jene Apostrophe galt und mit dem wir es hier vorhaben, besteht eigentlich in der Behauptung, daß der Satz vom Grunde des Werdens, oder das Gesetz der Kausalität, nothwendig auf einen Gedanken führe, von dem es selbst aufgehoben und für null und nichtig erklärt wird. Denn zur causa prima (Absolutum) gelangt man nur durch Aufsteigen von der Folge zum Grunde, eine beliebig lange Reihe hindurch: bei ihr stehn bleiben aber kann man nicht, ohne den Satz vom Grunde zu annulliren.
Nachdem ich nun hier die Nichtigkeit des kosmologischen, wie, im zweiten Kapitel, die des ontologischen Beweises kurz und klar dargelegt habe, wird der theilnehmende Leser vielleicht wünschen, auch über den physikotheologischen, der viel mehr Scheinbarkeit hat, das Nöthige beigebracht zu sehn. Allein der ist durchaus nicht dieses Orts; da sein Stoff einem ganz andern Theil der Philosophie angehört. Ich verweise also hinsichtlich seiner zunächst auf Kant, sowohl in der Krit. der rein. Vernunft, als, ex professo, in der Krit. der Urtheilskraft, und, zur Ergänzung seines rein negativen Verfahrens, auf mein positives, im »Willen in der Natur,« dieser an Umfang geringen, an Inhalt reichen und gewichtigen Schrift. Der nicht theilnehmende Leser hingegen mag diese und alle meine Schriften intakt auf seine Enkel übergehn lassen. Mich kümmerts wenig: denn ich bin nicht für Ein Geschlecht da, sondern für viele.
Da, wie im nächsten § nachgewiesen wird, das Gesetz der Kausalität uns a priori bewußt und daher ein transscendentales, für alle irgend mögliche Erfahrung gültiges, mithin ausnahmsloses ist; da ferner dasselbe feststellt, daß auf einen bestimmt gegebenen, relativ ersten Zustand ein zweiter, ebenfalls bestimmter, nach einer Regel, d. h. jederzeit, folgen muß; so ist das Verhältniß der Ursache zur Wirkung ein nothwendiges: daher berechtigt das Gesetz der Kausalität zu hypothetischen Urtheilen und bewährt sich hiedurch als eine Gestaltung des Satzes vom zureichenden Grunde, auf welchen alle hypothetischen Urtheile sich stützen müssen, und auf welchem, wie weiterhin gezeigt werden soll, alle Nothwendigkeit beruht.
Ich nenne diese Gestaltung unsers Satzes den Satz vom zureichenden Grunde des Werdens, deswegen, weil seine Anwendung überall eine Veränderung, den Eintritt eines neuen Zustandes, also ein Werden, voraussetzt. Zu seinem wesentlichen Charakter gehört ferner, daß die Ursache allemal der Wirkung, der Zeit nach, vorhergehe (vergl. § 47), und nur daran wird ursprünglich erkannt, welcher von zwei durch den Kausalnexus verbundenen Zuständen Ursache und welcher Wirkung sei. Umgekehrt giebt es Fälle, wo uns, aus früherer Erfahrung, der Kausalnexus bekannt ist, die Succession der Zustände aber so schnell erfolgt, daß sie sich unserer Wahrnehmung entzieht: dann schließen wir, mit völliger Sicherheit, von der Kausalität auf die Succession, z. B. daß die Entzündung des Pulvers der Explosion vorhergeht. Ich verweise hierüber auf die »Welt als Wille u. Vorst.« Bd. 2, Kap. 4. S. 41 (3. Aufl. S. 44 fg.)
Aus dieser wesentlichen Verknüpfung der Kausalität mit der Succession folgt wieder, daß der Begriff der Wechselwirkung, strenge genommen, nichtig ist. Er setzt nämlich voraus, daß die Wirkung wieder die Ursache ihrer Ursache sei, also daß das Nachfolgende zugleich das Vorhergehende gewesen. Ich habe die Unstatthaftigkeit dieses so beliebten Begriffes ausführlich dargethan in meiner, der »Welt als Wille und Vorstellung,« angehängten »Kritik der Kantischen Philosophie«, S. 517-521 der zweiten Auflage [3. Aufl. S. 544-549], wohin ich demnach verweise. Man wird bemerken, daß Schriftsteller sich jenes Begriffes, in der Regel, da bedienen, wo ihre Einsicht anfängt unklar zu werden; daher eben sein Gebrauch so häufig ist. Ja, wo einem Schreiber die Begriffe ganz ausgehn, ist kein Wort bereitwilliger sich einzustellen, wie »Wechselwirkung«; daher der Leser es sogar als eine Art Allarmkanone betrachten kann, welche anzeigt, daß man in's Bodenlose gerathen sei. Auch verdient angemerkt zu werden, daß das Wort Wechselwirkung sich allein im Deutschen findet und keine andere Sprache ein gebräuchliches Aequivalent desselben besitzt.
Aus dem Gesetze der Kausalität ergeben sich zwei wichtige Korollarien, welche eben dadurch ihre Beglaubigung als Erkenntnisse a priori, mithin als über allen Zweifel erhaben und keiner Ausnahme fähig, erhalten: nämlich das Gesetz der Trägheit und das der Beharrlichkeit der Substanz. Das erstere besagt, daß jeder Zustand, mithin sowohl die Ruhe eines Körpers, als auch seine Bewegung jeder Art, unverändert, unvermindert, unvermehrt, fortdauern und selbst die endlose Zeit hindurch anhalten müsse, wenn nicht eine Ursache hinzutritt, welche sie verändert oder aufhebt. – Das andere aber, welches die Sempiternität der Materie ausspricht, folgt daraus, daß das Gesetz der Kausalität sich nur auf die Zustände der Körper, also auf ihre Ruhe, Bewegung, Form und Qualität bezieht, indem es dem zeitlichen Entstehn und Vergehn derselben vorsteht; keineswegs aber auf das Daseyn des Trägers dieser Zustände, als welchem man, eben um seine Exemtion von allem Entstehn und Vergehn auszudrücken, den Namen Substanz ertheilt hat. Die Substanz beharrt: d. h. sie kann nicht entstehn, noch vergehn, mithin das in der Welt vorhandene Quantum derselben nie vermehrt, noch vermindert werden. Daß wir dieses a priori wissen, bezeugt das Bewußtseyn der unerschütterlichen Gewißheit, mit welcher Jeder, der einen gegebenen Körper, sei es durch Taschenspielerstreiche, oder durch Zertheilung, oder Verbrennung, oder Verflüchtigung, oder sonst welchen Proceß, hat verschwinden sehn, dennoch fest voraussetzt, daß, was auch aus der Form des Körpers geworden seyn möge, die Substanz, d. i. die Materie desselben, unvermindert vorhanden und irgendwo anzutreffen seyn müsse; imgleichen, daß, wo ein vorher nicht dagewesener Körper sich vorfindet, er hingebracht, oder aus unsichtbaren Theilchen, etwan durch Präcipitation, konkrescirt seyn müsse, nimmermehr aber, seiner Substanz (Materie) nach, entstanden seyn könne, als welches eine völlige Unmöglichkeit implicirt und schlechthin undenkbar ist. Die Gewißheit, mit der wir Das zum voraus ( a priori) feststellen, entspringt daraus, daß es unserm Verstande an einer Form, das Entstehn oder Vergehn der Materie zu denken, durchaus fehlt; indem das Gesetz der Kausalität, welche die alleinige Form ist, unter der wir überhaupt Veränderungen denken können, doch immer nur auf die Zustände der Körper geht, keineswegs auf das Daseyn des Trägers aller Zustände, die Materie. Darum stelle ich den Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz als ein Korollarium des Kausalitätsgesetzes auf. Auch können wir die Ueberzeugung von der Beharrlichkeit der Substanz gar nicht a posteriori erlangt haben; theils weil, in den meisten Fällen, der Thatbestand empirisch zu konstatiren unmöglich ist, theils weil jede empirische, bloß durch Induktion gewonnene Erkenntniß immer nur approximative, folglich prekäre, nie unbedingte Gewißheit hat: daher eben auch ist die Sicherheit unserer Ueberzeugung von jenem Grundsatz ganz anderer Art und Natur, als die von der Richtigkeit irgend eines empirisch herausgefundenen Naturgesetzes, indem sie eine ganz andere, völlig unerschütterliche, nie wankende Festigkeit hat. Das kommt eben daher, daß jener Grundsatz eine transscendentale Erkenntniß ausdrückt, d. h. eine solche, welche das in aller Erfahrung irgend Mögliche vor aller Erfahrung bestimmt und feststellt, eben dadurch aber die Erfahrungswelt überhaupt zu einem bloßen Gehirnphänomen herabsetzt. Sogar das allgemeinste und ausnahmsloseste aller anderartigen Naturgesetze, das der Gravitation, ist schon empirischen Ursprungs, daher ohne Garantie für seine Allgemeinheit; weshalb auch es bisweilen noch angefochten wird, imgleichen mitunter Zweifel entstehn, ob es auch über unser Sonnensystem hinaus gelte, ja, die Astronomen nicht ermangeln, die gelegentlich gefundenen Anzeichen und Bestätigungen hievon hervorzuheben, hiedurch an den Tag legend, daß sie es als bloß empirisch betrachten. Man kann allerdings die Frage aufwerfen, ob auch zwischen Körpern, welche durch eine absolute Leere getrennt wären, Gravitation stattfände; oder ob dieselbe innerhalb eines Sonnensystems, etwan durch einen Aether, vermittelt würde und daher zwischen Fixsternen nicht wirken könnte; welches dann nur empirisch zu entscheiden ist. Dies beweist, daß wir es hier mit keiner Erkenntniß a priori zu thun haben. Wenn wir hingegen, der Wahrscheinlichkeit zufolge, annehmen, daß jedes Sonnensystem sich durch allmälige Kondensation eines Urweltnebels und darauf gemäß der Kant-Laplace'schen Hypothese gebildet habe; so können wir doch keinen Augenblick denken, daß jener Urstoff aus nichts entstanden wäre, sondern sind genöthigt, seine Partikeln als vorher irgendwo vorhanden gewesen und nur zusammengekommen vorauszusetzen; eben weil der Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz ein transscendentaler ist. Daß übrigens Substanz ein bloßes Synonym von Materie sei, weil der Begriff derselben nur an der Materie sich realisiren läßt und daher aus ihr seinen Ursprung hat, habe ich ausführlich dargethan und wie jener Begriff bloß zum Behuf einer Erschleichung gebildet worden speciell nachgewiesen in meiner Kritik der Kantischen Philosophie, S. 550 fg. der 2. Aufl. [3. Aufl. S. 581 fg.]. Diese a priori gewisse Sempiternität der Materie (genannt Beharrlichkeit der Substanz) ist, gleich vielen andern, eben so sichern Wahrheiten, für die Philosophieprofessoren eine verbotene Frucht; daher sie mit einem scheuen Seitenblick daran vorüberschleichen.
Von der endlosen Kette der Ursachen und Wirkungen, welche alle Veränderungen leitet, aber nimmer sich über diese hinaus erstreckt, bleiben, eben dieserhalb, zwei Wesen unberührt: einerseits nämlich, wie so eben gezeigt, die Materie, und andererseits die ursprünglichen Naturkräfte; jene, weil sie der Träger aller Veränderungen, oder dasjenige ist, woran solche vorgehn; diese, weil sie Das sind, vermöge dessen die Veränderungen, oder Wirkungen, überhaupt möglich sind, Das, was den Ursachen die Kausalität, d. i. die Fähigkeit zu wirken, allererst ertheilt, von welchen sie also diese bloß zur Lehn haben. Ursache und Wirkung sind die zu nothwendiger Succession in der Zeit verknüpften Veränderungen: die Naturkräfte hingegen, vermöge welcher alle Ursachen wirken, sind von allem Wechsel ausgenommen, daher in diesem Sinne außer aller Zeit, eben deshalb aber stets und überall vorhanden, allgegenwärtig und unerschöpflich, immer bereit sich zu äußern, sobald nur, am Leitfaden der Kausalität, die Gelegenheit dazu eintritt. Die Ursache ist allemal, wie auch ihre Wirkung, ein Einzelnes, eine einzelne Veränderung: die Naturkraft hingegen ist ein Allgemeines, Unveränderliches, zu aller Zeit und überall Vorhandenes. Z. B. daß der Bernstein jetzt die Flocke anzieht, ist die Wirkung: ihre Ursache ist die vorhergegangene Reibung und jetzige Annäherung des Bernsteins; und die in diesem Proceß thätige, ihm vorstehende Naturkraft ist die Elektricität. Die Erläuterung der Sache durch ein ausführliches Beispiel findet man in der »Welt als Wille und Vorstellung« Bd. 1. § 26. S. 153 fg. [3. Aufl. S. 160 fg.], woselbst ich an einer langen Kette von Ursachen und Wirkungen gezeigt habe, wie darin die verschiedenartigsten Naturkräfte successive hervortreten und ins Spiel kommen; wodurch denn der Unterschied zwischen Ursache und Naturkraft, dem flüchtigen Phänomen und der ewigen Thätigkeitsform, überaus faßlich wird: und da überhaupt daselbst jener ganze lange § 26 dieser Untersuchung gewidmet ist, war es hier hinreichend, die Sache kurz anzugeben. Die Norm, welche eine Naturkraft, hinsichtlich ihrer Erscheinung an der Kette der Ursachen und Wirkungen, befolgt, also das Band, welches sie mit dieser verknüpft, ist das Naturgesetz. Die Verwechselung der Naturkraft mit der Ursache ist aber so häufig, wie für die Klarheit des Denkens verderblich. Es scheint sogar, daß vor mir diese Begriffe nie rein gesondert worden sind, so höchst nöthig es doch ist. Nicht nur werden die Naturkräfte selbst zu Ursachen gemacht, indem man sagt: Die Elektricität, die Schwere u. s. f. ist Ursache; sondern sogar zu Wirkungen machen sie Manche, indem sie nach einer Ursache der Elektricität, der Schwere u. s. w. fragen; welches absurd ist. Etwas ganz Anderes ist es jedoch, wenn man die Zahl der Naturkräfte dadurch vermindert, daß man eine derselben auf eine andere zurückführt, wie, in unsern Tagen, den Magnetismus auf die Elektricität. Jede ächte, also wirklich ursprüngliche Naturkraft aber, wozu auch jede chemische Grund-Eigenschaft gehört, ist wesentlich qualitas occulta, d. h. keiner physischen Erklärung weiter fähig, sondern nur noch einer metaphysischen, d. h. über die Erscheinung hinausgehenden. Jene Verwechselung, oder vielmehr Identifikation, der Naturkraft mit der Ursache hat nun aber Keiner so weit getrieben, wie Maine de Biran, in seinen Nouvelles considérations des rapports du physique au moral; weil dieselbe seiner Philosophie wesentlich ist. Merkwürdig ist dabei, daß wenn er von Ursachen redet, er fast nie cause allein setzt, sondern jedesmal sagt cause ou force; gerade so, wie wir oben § 8 den Spinoza acht Mal auf einer Seite ratio sive causa setzen sahen. Beide nämlich sind sich bewußt, zwei disparate Begriffe zu identificiren, um, nach Umständen, bald den einen, bald den andern geltend machen zu können: zu diesem Zwecke nun sind sie genöthigt, die Identifikation dem Leser stets gegenwärtig zu erhalten. –
Die Kausalität also, dieser Lenker aller und jeder Veränderung, tritt nun in der Natur unter drei verschiedenen Formen auf: als Ursache im engsten Sinn, als Reiz, und als Motiv. Eben auf dieser Verschiedenheit beruht der wahre und wesentliche Unterschied zwischen unorganischem Körper, Pflanze und Thier; nicht auf den äußern anatomischen, oder gar chemischen Merkmalen.
Die Ursache im engsten Sinne ist die, nach welcher ausschließlich die Veränderungen im unorganischen Reiche erfolgen, also diejenigen Wirkungen, welche das Thema der Mechanik, der Physik und der Chemie sind. Von ihr allein gilt das dritte Neutonische Grundgesetz »Wirkung und Gegenwirkung sind einander gleich«: es besagt, daß der vorhergehende Zustand (die Ursache) eine Veränderung erfährt, die an Größe der gleichkommt, die er hervorgerufen hat (der Wirkung). Ferner ist nur bei dieser Form der Kausalität der Grad der Wirkung dem Grade der Ursache stets genau angemessen, so daß aus dieser jene sich berechnen läßt, und umgekehrt.
Die zweite Form der Kausalität ist der Reiz: sie beherrscht das organische Leben als solches, also das der Pflanzen, und den vegetativen, daher bewußtlosen Theil des thierischen Lebens, der ja eben ein Pflanzenleben ist. Sie charakterisirt sich durch Abwesenheit der Merkmale der ersten Form. Also sind hier Wirkung und Gegenwirkung einander nicht gleich, und keineswegs folgt die Intensität der Wirkung, durch alle Grade, der Intensität der Ursache: vielmehr kann, durch Verstärkung der Ursache, die Wirkung sogar in ihr Gegentheil umschlagen.
Die dritte Form der Kausalität ist das Motiv: unter dieser leitet sie das eigentlich animalische Leben, also das Thun, d. h. die äußern, mit Bewußtseyn geschehenden Aktionen, aller thierischen Wesen. Das Medium der Motive ist die Erkenntniß: die Empfänglichkeit für sie erfordert folglich einen Intellekt. Daher ist das wahre Charakteristikon des Thiers das Erkennen, das Vorstellen. Das Thier bewegt sich, als Thier, allemal nach einem Ziel und Zweck: diesen muß es demnach erkannt haben: d. h. derselbe muß ihm als ein von ihm selbst Verschiedenes, dessen es sich dennoch bewußt wird, sich darstellen. Demzufolge ist das Thier zu definiren »was erkennt«: keine andere Definition trifft das Wesentliche; ja, vielleicht ist auch keine andere stichhaltend. Mit der Erkenntniß fehlt nothwendig auch die Bewegung auf Motive: dann bleibt also nur die auf Reize, das Pflanzenleben: daher sind Irritabilität und Sensibilität unzertrennlich. Die Wirkungsart eines Motivs aber ist von der eines Reizes augenfällig verschieden: die Einwirkung desselben nämlich kann sehr kurz, ja sie braucht nur momentan zu seyn: denn ihre Wirksamkeit hat nicht, wie die des Reizes, irgend ein Verhältniß zu ihrer Dauer, zur Nähe des Gegenstandes und dergleichen mehr; sondern das Motiv braucht nur wahrgenommen zu seyn, um zu wirken; während der Reiz stets des Kontakts, oft gar der Intussusception, allemal aber einer gewissen Dauer, bedarf.
Diese kurze Angabe der drei Formen der Kausalität ist hier hinreichend. Die ausführliche Darstellung derselben findet man in meiner Preisschrift über die Freiheit (S. 30-34 der »beiden Grundprobleme der Ethik« [2. Aufl. S. 29-33]). Nur eins ist hier zu urgiren. Der Unterschied zwischen Ursache, Reiz und Motiv ist offenbar bloß die Folge des Grades der
Empfänglichkeit der Wesen: je größer diese, desto leichterer Art kann die Einwirkung seyn: der Stein muß gestoßen werden; der Mensch gehorcht einem Blick. Beide aber werden durch eine zureichende Ursache, also mit gleicher Nothwendigkeit, bewegt. Denn die Motivation ist bloß die durch das Erkennen hindurchgehende Kausalität: der Intellekt ist das Medium der Motive, weil er die höchste Steigerung der Empfänglichkeit ist. Allein hiedurch verliert das Gesetz der Kausalität schlechterdings nichts an seiner Sicherheit und Strenge. Das Motiv ist eine Ursache und wirkt mit der Nothwendigkeit, die alle Ursachen herbeiführen. Beim Thier, dessen Intellekt ein einfacher, daher nur die Erkenntniß der Gegenwart liefernder ist, fällt jene Nothwendigkeit leicht in die Augen. Der Intellekt des Menschen ist doppelt: er hat, zur anschaulichen, auch noch die abstrakte Erkenntniß, welche nicht an die Gegenwart gebunden ist: d. h. er hat Vernunft. Daher hat er eine Wahlentscheidung, mit deutlichem Bewußtseyn: nämlich er kann die einander ausschließenden Motive als solche gegen einander abwägen, d. h. sie ihre Macht auf seinen Willen versuchen lassen; wonach sodann das stärkere ihn bestimmt und sein Thun mit eben der Nothwendigkeit erfolgt, wie das Rollen der gestoßenen Kugel. Freiheit des Willens bedeutet (nicht Philosophieprofessorenwortkram, sondern) »
daß einem gegebenen Menschen, in einer gegebenen Lage, zwei verschiedene Handlungen möglich seien.« Daß aber Dies zu behaupten vollkommen
absurd sei, ist eine so sicher und klar bewiesene Wahrheit, wie irgend eine über das Gebiet der reinen Mathematik hinausgehende es seyn kann. Am deutlichsten, methodischesten, gründlichsten und dazu mit besonderer Rücksicht auf die Tatsachen des Selbstbewußtseyns, durch welche unwissende Leute obige Absurdität zu beglaubigen vermeinen, findet man die besagte Wahrheit dargelegt in meiner von der Königlich Norwegischen Societät der
Wissenschaften gekrönten Preisschrift über die Freiheit des Willens. In der Hauptsache haben jedoch schon Hobbes, Spinoza, Priestley, Voltaire, auch Kant
»Was man sich auch, in metaphysischer Absicht, für einen Begriff von der Freiheit des Willens machen möge; so sind doch die Erscheinungen desselben, die menschlichen Handlungen, eben so wohl, als jede andere Naturbegebenheit, nach allgemeinen Naturgesetzen bestimmt.« Ideen zu einer allgemeinen Geschichte. Der Anfang. –
»Alle Handlungen des Menschen, in der Erscheinung, sind aus seinem empirischen Charakter und den mitwirkenden andern Ursachen nach der Ordnung der Natur bestimmt: und wenn wir alle Erscheinungen seiner Willkür bis auf den Grund erforschen könnten; so würde es keine einzige menschliche Handlung geben, die wir nicht mit Gewißheit vorhersagen und aus ihren vorhergehenden Bedingungen als nothwendig erkennen könnten. In Ansehung dieses empirischen Charakters giebt es also keine Freiheit, und nach diesem können wir doch allein den Menschen betrachten, wenn wir lediglich beobachten und, wie es in der Anthropologie geschieht, von seinen Handlungen die bewegenden Ursachen physiologisch erforschen wollen.« Krit. der rein. Vern. S. 548 der 1., und S. 577 der 5. Aufl. –
»Man kann also einräumen, daß, wenn es für uns möglich wäre, in eines Menschen Denkungsart, so wie sie sich durch innere sowohl als äußere Handlungen zeigt, so tiefe Einsicht zu haben, daß jede, auch die mindeste Triebfeder dazu uns bekannt würde, imgleichen alle auf diese wirkenden äußern Veranlassungen, man eines Menschen Verhalten auf die Zukunft, mit Gewißheit, so wie eine Mond- oder Sonnenfinsterniß ausrechnen könnte.«
Krit. d. prakt. Vern. S. 230 der Rosenkranzischen, u. S. 177 der 4. Aufl. das Selbe gelehrt. Das hält nun freilich unsere würdigen Philosophieprofessoren nicht ab, ganz unbefangen und als wäre nichts vorgefallen, von der Freiheit des Willens als einer ausgemachten Sache zu reden. Wozu glauben denn die Herren, daß, von Gnaden der Natur, die genannten großen Männer dagewesen seien? – damit
sie von der Philosophie leben können; – nicht wahr? – Nachdem nun aber ich, in meiner Preisschrift, die Sache klärer, als jemals geschehn, dargelegt hatte, und noch dazu unter der Sanktion einer Königlichen Societät, die auch meine Abhandlung in ihre Denkschriften aufgenommen hat; da war es, bei obiger Gesinnung, doch wohl die Pflicht der Herren, einer solchen verderblichen Irrlehre und abscheulichen Ketzerei entgegenzutreten und sie auf das Gründlichste zu widerlegen; ja, es war dies um so mehr, als ich in dem selben Bande mit jener
(»Grundprobleme der Ethik«), in der Preisschrift über das Fundament der Moral, Kants praktische Vernunft, mit ihrem kategorischen Imperativ, den die Herren unter dem Namen »Sittengesetz« noch immer zum Grundstein ihrer platten Moralsysteme gebrauchen, als eine völlig unbegründete und nichtige Annahme so unwiderleglich und deutlich nachgewiesen habe, daß kein Mensch, der nur ein Fünkchen Urtheilskraft hat, wenn er es gelesen, an jene Fiktion noch länger glauben kann. – »Nun, Das werden sie doch wohl gethan haben!« – Werden sich hüten, aufs Glatteis zu gehn! Schweigen, das Maul halten, Das ist ihr ganzes Talent und ihr einziges Mittel gegen Geist, Verstand, Ernst und Wahrheit. In keinem der seit 1841 erschienenen Produkte ihrer unnützen Vielschreiberei ist meiner Ethik mit einem Worte erwähnt, obwohl sie unstreitig das Wichtigste ist, was seit 60 Jahren in der Moral geschehn: ja, so groß ist ihre Angst vor mir und meiner Wahrheit, daß in keiner der von Universitäten oder Akademien ausgehenden Litteraturzeitungen das Buch auch nur angezeigt worden ist.
Zitto, zitto, daß nur das Publikum nichts merke: Dies ist und bleibt ihre ganze Politik. Freilich mag diesem pfiffigen Benehmen der Selbsterhaltungstrieb zum Grunde liegen. Denn, muß nicht eine rücksichtslos auf Wahrheit gerichtete Philosophie zwischen den unter tausend Rücksichten und von ihrer guten Gesinnung halber dazu berufenen Leuten verfaßten Systemchen die Rolle des eisernen Topfes zwischen den irdenen spielen? Ihre erbärmliche Angst vor meinen Schriften ist Angst vor der Wahrheit. Und allerdings steht z. B. schon eben diese Lehre von der vollkommenen Nothwendigkeit aller Willensakte in schreiendem Widerspruch mit sämmtlichen Annahmen der beliebten, nach dem Judenthume zugeschnittenen Rockenphilosophie: aber, weit gefehlt, daß jene streng bewiesene Wahrheit davon angefochten würde, beweist vielmehr sie, als ein sicheres Datum und Richtepunkt, als ein wahres δοσ μοι που στω, die Nichtigkeit jener ganzen Rockenphilosophie und die Nothwendigkeit einer von Grund aus andern, ungleich tiefer gefaßten Ansicht vom Wesen der Welt und des Menschen; – gleichviel, ob eine solche mit den Befugnissen der Philosophieprofessoren bestehn könne, oder nicht.
In der Professorenphilosophie der Philosophieprofessoren wird man noch immer finden, daß die Anschauung der Außenwelt Sache der Sinne sei; worauf dann ein Langes und Breites über jeden der fünf Sinne folgt. Hingegen die Intellektualität der Anschauung, nämlich daß sie in der Hauptsache das Werk des Verstandes sei, welcher, mittelst der ihm eigenthümlichen Form der Kausalität und der dieser untergelegten der reinen Sinnlichkeit, also Zeit und Raum, aus dem rohen Stoff einiger Empfindungen in den Sinnesorganen diese objektive Außenwelt allererst schafft und hervorbringt, davon ist keine Rede. Und doch habe ich die Sache, in ihren Hauptzügen, bereits in der ersten Auflage gegenwärtiger Abhandlung, vom J. 1813, S. 53-55, aufgestellt und bald darauf, im J. 1816, in meiner Abhandlung über das Sehn und die Farben sie völlig ausgeführt, welcher Darstellung der Prof. Rosas in Wien seinen Beifall dadurch bezeugt hat, daß er sich durch sie zum Plagiat verleiten ließ; worüber das Nähere zu ersehn im »Willen in der Natur« S. 19 [2. Aufl. S. 14]. Hingegen haben die Philosophieprofessoren so wenig von dieser, wie von andern großen und wichtigen Wahrheiten, welche darzulegen, um sie dem menschlichen Geschlechte auf immer anzueignen, die Aufgabe und Arbeit meines ganzen Lebens gewesen ist, – irgend Notiz genommen: ihnen mundet das nicht; es paßt alles nicht in ihren Kram; es führt zu keiner Theologie; es ist ja auf gehörige Studentenabrichtung zu höchsten Staatszwecken gar nicht ein Mal angelegt; kurzum, sie wollen von mir nichts lernen, und sehn nicht, wie sehr viel sie von mir zu lernen hätten: alles Das nämlich, was ihre Kinder, Enkel und Urenkel von mir lernen werden. Statt Dessen setzt Jeder von ihnen sich hin, um in einer lang ausgesponnenen Metaphysik das Publikum mit seinen Originalgedanken zu bereichern. Wenn Finger dazu berechtigen, so ist er berechtigt. Aber wahrlich, Machiavelli hat Recht, wenn er, – wie schon vor ihm Hesiodus (εργα, 293) –, sagt: »Es giebt dreierlei Köpfe: erstlich solche, welche aus eigenen Mitteln Einsicht und Verstand von den Sachen erlangen; dann solche, die das Rechte erkennen, wenn Andere es ihnen darlegen; endlich solche, welche weder zum Einen noch zum Andern fähig sind.« ( il principe, c. 22.) –
Man muß von allen Göttern verlassen seyn, um zu wähnen, daß die anschauliche Welt da draußen, wie sie den Raum in seinen drei Dimensionen füllt, im unerbittlich strengen Gange der Zeit sich fortbewegt, bei jedem Schritte durch das ausnahmslose Gesetz der Kausalität geregelt wird, in allen diesen Stücken aber nur die Gesetze befolgt, welche wir, vor aller Erfahrung davon, angeben können, – daß eine solche Welt da draußen ganz objektiv-real und ohne unser Zuthun vorhanden wäre, dann aber, durch die bloße Sinnesempfindung, in unsern Kopf hineingelangte, woselbst sie nun, wie da draußen, noch ein Mal dastände. Denn was für ein ärmliches Ding ist doch die bloße Sinnesempfindung! Selbst in den edelsten Sinnesorganen ist sie nichts mehr, als ein lokales, specifisches, innerhalb seiner Art einiger Abwechselung fähiges, jedoch an sich selbst stets subjektives Gefühl, welches als solches gar nichts Objektives, also nichts einer Anschauung Aehnliches enthalten kann. Denn die Empfindung jeder Art ist und bleibt ein Vorgang im Organismus selbst, als solcher aber auf das Gebiet unterhalb der Haut beschränkt, kann daher, an sich selbst, nie etwas enthalten, das jenseit dieser Haut, also außer uns läge. Sie kann angenehm oder unangenehm seyn, – welches eine Beziehung auf unsern Willen besagt, – aber etwas Objektives liegt in keiner Empfindung. Die Empfindung in den Sinnesorganen ist eine durch den Zusammenfluß der Nervenenden erhöhte, wegen der Ausbreitung und der dünnen Bedeckung derselben leicht von außen erregbare und zudem irgend einem speciellen Einfluß, – Licht, Schall, Duft, – besonders offen stehende: aber sie bleibt bloße Empfindung, so gut wie jede andere im Innern unsers Leibes, mithin etwas wesentlich Subjektives, dessen Veränderungen unmittelbar bloß in der Form des innern Sinnes, also der Zeit allein, d. h. successiv, zum Bewußtseyn gelangen. Erst wenn der Verstand, – eine Funktion, nicht einzelner zarter Nervenenden, sondern des so künstlich und räthselhaft gebauten, drei, ausnahmsweise aber bis fünf Pfund wiegenden Gehirns, – in Thätigkeit geräth und seine einzige und alleinige Form, das Gesetz der Kausalität, in Anwendung bringt, geht eine mächtige Verwandlung vor, indem aus der subjektiven Empfindung die objektive Anschauung wird. Er nämlich faßt, vermöge seiner selbsteigenen Form, also a priori, d. i. vor aller Erfahrung (denn diese ist bis dahin noch nicht möglich), die gegebene Empfindung des Leibes als eine Wirkung auf (ein Wort, welches er allein versteht), die als solche nothwendig eine Ursache haben muß. Zugleich nimmt er die ebenfalls im Intellekt, d. i. im Gehirn, prädisponirt liegende Form des äußern Sinnes zu Hülfe, den Raum, um jene Ursache außerhalb des Organismus zu verlegen: denn dadurch erst entsteht ihm das Außerhalb, dessen Möglichkeit eben der Raum ist; so daß die reine Anschauung a priori die Grundlage der empirischen abgeben muß. Bei diesem Proceß nimmt nun der Verstand, wie ich bald näher zeigen werde, alle, selbst die minutiösesten Data der gegebenen Empfindung zu Hülfe, um, ihnen entsprechend, die Ursache derselben im Raume zu konstruiren. Diese (übrigens von Schelling, im 1. Band seiner philos. Schriften, v. 1809, S. 237, 38, desgleichen von Fries, in seiner Kritik d. Vernunft, Bd. 1. S. 52-56 und 290 d. ersten Aufl. ausdrücklich geleugnete) Verstandesoperation ist jedoch keine diskursive, reflektive, in abstracto, mittelst Begriffen und Worten, vor sich gehende; sondern eine intuitive und ganz unmittelbare. Denn durch sie allein, mithin im Verstande und für den Verstand, stellt sich die objektive, reale, den Raum in drei Dimensionen füllende Körperwelt dar, die alsdann, in der Zeit, dem selben Kausalitätsgesetze gemäß, sich ferner verändert und im Raume bewegt. – Demnach hat der Verstand die objektive Welt erst selbst zu schaffen: nicht aber kann sie, schon vorher fertig, durch die Sinne und die Oeffnungen ihrer Organe, bloß in den Kopf hineinspazieren. Die Sinne nämlich liefern nichts weiter, als den rohen Stoff, welchen allererst der Verstand, mittelst der angegebenen einfachen Formen, Raum, Zeit und Kausalität, in die objektive Auffassung einer gesetzmäßig geregelten Körperwelt umarbeitet. Demnach ist unsere alltägliche, empirische Anschauung eine intellektuale, und ihr gebührt dieses Prädikat, welches die philosophischen Windbeutel in Deutschland einer vorgeblichen Anschauung erträumter Welten, in welchen ihr beliebtes Absolutum seine Evolutionen vornähme, beigelegt haben. Ich aber will jetzt zunächst die große Kluft zwischen Empfindung und Anschauung näher nachweisen, indem ich darlege, wie roh der Stoff ist, aus dem das schöne Werk erwächst.
Der objektiven Anschauung dienen eigentlich nur zwei Sinne: das Getast und das Gesicht. Sie allein liefern die Data, auf deren Grundlage der Verstand, durch den angegebenen Proceß, die objektive Welt entstehn läßt. Die andern drei Sinne bleiben in der Hauptsache subjektiv: denn ihre Empfindungen deuten zwar auf eine äußere Ursache, aber enthalten keine Data zur Bestimmung räumlicher Verhältnisse derselben. Nun ist aber der Raum die Form aller Anschauung, d. i. der Apprehension, in welcher allein Objekte sich eigentlich darstellen können. Daher können jene drei Sinne zwar dienen, uns die Gegenwart der uns schon anderweitig bekannten Objekte anzukündigen: aber auf Grundlage ihrer Data kommt keine räumliche Konstruktion, also keine objektive Anschauung zu Stande. Aus dem Geruch können wir nie die Rose konstruiren; und ein Blinder kann sein Leben lang Musik hören, ohne von den Musikern, oder den Instrumenten, oder den Luftvibrationen, die mindeste objektive Vorstellung zu erhalten. Das Gehör hat dagegen seinen hohen Werth als Medium der Sprache, wodurch es der Sinn der Vernunft ist, deren Name sogar von ihm stammt; sodann als Medium der Musik, des einzigen Weges komplicirte Zahlenverhältnisse, nicht bloß in abstracto, sondern unmittelbar, also in concreto, aufzufassen. Aber der Ton deutet nie auf räumliche Verhältnisse, führt also nie auf die Beschaffenheit seiner Ursache; sondern wir bleiben bei ihm selbst stehn: mithin ist er kein Datum für den die objektive Welt konstruirenden Verstand. Dies sind allein die Empfindungen des Getasts und Gesichts: daher würde ein Blinder ohne Hände und Füße zwar den Raum in seiner ganzen Gesetzmäßigkeit a priori sich konstruiren können, aber von der objektiven Welt nur eine sehr unklare Vorstellung erhalten. Dennoch aber ist was Getast und Gesicht liefern noch keineswegs die Anschauung, sondern bloß der rohe Stoff dazu: denn in den Empfindungen dieser Sinne liegt so wenig die Anschauung, daß dieselben vielmehr noch gar keine Aehnlichkeit haben mit den Eigenschaften der Dinge, die mittelst ihrer sich uns darstellen; wie ich sogleich zeigen werde. Nur muß man hiebei Das, was wirklich der Empfindung angehört, deutlich aussondern von Dem, was in der Anschauung der Intellekt hinzugethan hat. Dies ist Anfangs schwer; weil wir so sehr gewohnt sind, von der Empfindung sogleich zu ihrer Ursache überzugehn, daß diese sich uns darstellt, ohne daß wir die Empfindung, welche hier gleichsam die Prämissen zu jenem Schlusse des Verstandes liefert, an und für sich beachten.
Getast und Gesicht nun also haben zuvörderst jedes seine eigenen Vortheile; daher sie sich wechselseitig unterstützen. Das Gesicht bedarf keiner Berührung, ja keiner Nähe: sein Feld ist unermeßlich, geht bis zu den Sternen. Sodann empfindet es die feinsten Nüancen des Lichts, des Schattens, der Farbe, der Durchsichtigkeit: es liefert also dem Verstande eine Menge fein bestimmter Data, aus welchen er, nach erlangter Uebung, die Gestalt, Größe, Entfernung und Beschaffenheit der Körper konstruirt und sogleich anschaulich darstellt. Hingegen ist das Getast zwar an den Kontakt gebunden, giebt aber so untrügliche und vielseitige Data, daß es der gründlichste Sinn ist. Die Wahrnehmungen des Gesichts beziehn sich zuletzt doch auf das Getast; ja, das Sehn ist als ein unvollkommenes, aber in die Ferne gehendes Tasten zu betrachten, welches sich der Lichtstrahlen als langer Taststangen bedient: daher eben ist es vielen Täuschungen ausgesetzt, weil es ganz auf die durch das Licht vermittelten Eigenschaften beschränkt, also einseitig ist; während das Getast ganz unmittelbar die Data zur Erkenntniß der Größe, Gestalt, Härte, Weiche, Trockenheit, Nässe, Glätte, Temperatur u. s. w. liefert und dabei unterstützt wird theils durch die Gestalt und Beweglichkeit der Arme, Hände und Finger, aus deren Stellung beim Tasten der Verstand die Data zur räumlichen Konstruktion der Körper entnimmt; theils durch die Muskelkraft, mittelst welcher er die Schwere, Festigkeit, Zähigkeit oder Spröde der Körper erkennt: Alles mit geringster Möglichkeit der Täuschung.
Bei allen Dem geben diese Data durchaus noch keine Anschauung; sondern diese bleibt das Werk des Verstandes. Drücke ich mit der Hand gegen den Tisch, so liegt in der Empfindung, die ich davon erhalte, durchaus nicht die Vorstellung des festen Zusammenhangs der Theile dieser Masse, ja gar nichts dem Aehnliches; sondern erst indem mein Verstand von der Empfindung zur Ursache derselben übergeht, konstruirt er sich einen Körper, der die Eigenschaft der Solidität, Undurchdringlichkeit und Härte hat. Wenn ich im Finstern meine Hand auf eine Fläche lege, oder aber eine Kugel von etwan drei Zoll Durchmesser ergreife, so sind es, in beiden Fällen, die selben Theile der Hand, welche den Druck empfinden: bloß aus der verschiedenen Stellung, die, im einen, oder im andern Fall, meine Hand annimmt, konstruirt mein Verstand die Gestalt des Körpers, mit welchem in Berührung gekommen zu seyn die Ursache der Empfindung ist, und er bestätigt sie sich dadurch, daß ich die Berührungsstellen wechseln lasse. Betastet ein Blindgeborener einen kubischen Körper, so sind die Empfindungen der Hand dabei ganz einförmig und bei allen Seiten und Richtungen die selben: die Kanten drücken zwar einen kleinern Theil der Hand: doch liegt in diesen Empfindungen durchaus nichts einem Kubus Aehnliches. Aber von dem gefühlten Widerstande macht sein Verstand den unmittelbaren und intuitiven Schluß auf eine Ursache desselben, die jetzt, eben dadurch, sich als fester Körper darstellt; und aus den Bewegungen, die, beim Tasten, seine Arme machen, während die Empfindung der Hände die selbe bleibt, konstruirt er, in dem ihm a priori bewußten Raum, die kubische Gestalt des Körpers. Brächte er die Vorstellung einer Ursache und eines Raumes, nebst den Gesetzen desselben, nicht schon mit; so könnte nimmermehr aus jener successiven Empfindung in seiner Hand das Bild eines Kubus hervorgehn. Läßt man durch seine geschlossene Hand einen Strick laufen; so wird er als Ursache der Reibung und ihrer Dauer, bei solcher Lage seiner Hand, einen langen, cylinderförmigen, sich in Einer Richtung gleichförmig bewegenden Körper konstruiren. Nimmermehr aber könnte ihm aus jener bloßen Empfindung in seiner Hand die Vorstellung der Bewegung, d. i. der Veränderung des Ortes im Raum, mittelst der Zeit, entstehn: denn so etwas kann in ihr nicht liegen, noch kann sie allein es jemals erzeugen. Sondern sein Intellekt muß, vor aller Erfahrung, die Anschauungen des Raumes, der Zeit, und damit der Möglichkeit der Bewegung, in sich tragen, und nicht weniger die Vorstellung der Kausalität, um nun von der allein empirisch gegebenen Empfindung überzugehn auf eine Ursache derselben und solche dann als einen sich also bewegenden Körper, von der bezeichneten Gestalt, zu konstruiren. Denn, wie groß ist doch der Abstand zwischen der bloßen Empfindung in der Hand und den Vorstellungen der Ursächlichkeit, Materialität und der durch die Zeit vermittelten Bewegung im Raum! Die Empfindung in der Hand, auch bei verschiedener Berührung und Lage, ist etwas viel zu Einförmiges und an Datis Aermliches, als daß es möglich wäre, daraus die Vorstellung des Raumes, mit seinen drei Dimensionen, und der Einwirkung von Körpern auf einander, nebst den Eigenschaften der Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Kohäsion, Gestalt, Härte, Weiche, Ruhe und Bewegung, kurz, die Grundlage der objektiven Welt, zu konstruiren: sondern Dies ist nur dadurch möglich, daß im Intellekt selbst der Raum als Form der Anschauung, die Zeit als Form der Veränderung, und das Gesetz der Kausalität als Regulator des Eintritts der Veränderungen präformirt seien. Das bereits fertige und aller Erfahrung vorhergängige Daseyn dieser Formen macht eben den Intellekt aus. Physiologisch ist er eine Funktion des Gehirns, welche dieses so wenig erst aus der Erfahrung erlernt, wie der Magen das Verdauen, oder die Leber die Gallenabsonderung. Nur hieraus ist es erklärlich, daß manche Blindgeborene eine so vollständige Kenntniß der räumlichen Verhältnisse erlangen, daß sie dadurch den Mangel des Gesichts in hohem Grade ersetzen und erstaunliche Leistungen vollbringen; wie denn vor hundert Jahren der von Kindheit auf blinde Saunderson zu Cambridge Mathematik, Optik und Astronomie gelehrt hat. (Ausführlichen Bericht über Saunderson giebt Diderot: Lettre sur les aveugles.) Und eben so nur ist der umgekehrte Fall der Eva Lauk erklärlich, welche, ohne Arme und Beine geboren, durch das Gesicht allein, eben so bald wie andere Kinder, eine richtige Anschauung der Außenwelt erlangt hat. (Den Bericht über sie findet man in der »Welt als Wille und Vorstellung« Bd. 2, Kap. 4.) Alles Dieses also beweist, daß Zeit, Raum und Kausalität weder durch das Gesicht, noch durch das Getast, sondern überhaupt nicht von außen in uns kommen, vielmehr einen innern, daher nicht empirischen, sondern intellektuellen Ursprung haben; woraus wieder folgt, daß die Anschauung der Körperwelt im Wesentlichen ein intellektueller Proceß, ein Werk des Verstandes ist, zu welchem die Sinnesempfindung bloß den Anlaß und die Data, zur Anwendung im einzelnen Falle, liefert.
Jetzt will ich das Selbe am Sinne des Gesichts nachweisen. Das unmittelbar Gegebene ist hier beschränkt auf die Empfindung der Retina, welche zwar viele Mannigfaltigkeit zuläßt, jedoch zurückläuft auf den Eindruck des Hellen und Dunkeln, nebst ihren Zwischenstufen, und den der eigentlichen Farben. Diese Empfindung ist durchaus subjektiv, d. h. nur innerhalb des Organismus und unter der Haut vorhanden. Auch würden wir, ohne den Verstand, uns jener nur bewußt werden als besonderer und mannigfaltiger Modifikationen unserer Empfindung im Auge, die nichts der Gestalt, Lage, Nähe oder Ferne von Dingen außer uns Aehnliches wären. Denn, was beim Sehn die Empfindung liefert ist nichts weiter, als eine mannigfaltige Affektion der Retina, ganz ähnlich dem Anblick einer Palette, mit vielerlei bunten Farbenklexen: und nicht mehr als Dies ist es, was im Bewußtseyn übrig bleiben würde, wenn man Dem, der vor einer ausgebreiteten, reichen Aussicht steht, etwan durch Lähmung des Gehirns, plötzlich den Verstand ganz entzieht, jedoch die Empfindung übrig lassen könnte: denn Dies war der rohe Stoff, aus welchem vorhin sein Verstand jene Anschauung schuf.
Daß nun aus einem so beschränkten Stoff, wie Hell, Dunkel und Farbe, der Verstand, durch seine so einfache Funktion des Beziehns der Wirkung auf eine Ursache, unter Beihülfe der ihm beigegebenen Anschauungsform des Raums, die so unerschöpflich reiche und vielgestaltete sichtbare Welt hervorbringen kann, beruht zunächst auf der Beihülfe, die hier die Empfindung selbst liefert. Diese besteht darin, daß, erstlich, die Retina, als Fläche, ein Nebeneinander des Eindrucks zuläßt; zweitens, daß das Licht stets in geraden Linien wirkt, auch im Auge selbst geradlinigt gebrochen wird, und endlich, daß die Retina die Fähigkeit besitzt, auch die Richtung, in der sie vom Lichte getroffen wird, unmittelbar mit zu empfinden, welches wohl nur dadurch zu erklären ist, daß der Lichtstrahl in die Dicke der Retina eindringt. Hiedurch aber wird gewonnen, daß der bloße Eindruck auch schon die Richtung seiner Ursache anzeigt, also auf den Ort des das Licht aussendenden, oder reflektirenden, Objekts geradezu hindeutet. Allerdings setzt der Uebergang zu diesem Objekt als Ursache schon die Erkenntniß des Kausalverhältnisses, wie auch der Gesetze des Raums voraus: diese Beiden aber sind eben die Ausstattung des Intellekts, der auch hier wieder aus der bloßen Empfindung die Anschauung zu schaffen hat. Sein Verfahren hiebei wollen wir jetzt näher betrachten.
Das Erste, was er thut, ist, daß er den Eindruck des Objekts, welcher verkehrt, das Unterste oben, auf der Retina eintrifft, wieder aufrecht stellt. Jene ursprüngliche Umkehrung entsteht bekanntlich dadurch, daß, indem jeder Punkt des sichtbaren Objekts seine Strahlen geradlinigt nach allen Seiten aussendet, die von dessen oberm Ende kommenden Strahlen sich, in der engen Oeffnung der Pupille, mit den vom untern Ende kommenden kreuzen, wodurch diese oben, jene unten, und eben so die von der rechten Seite kommenden auf der linken, eintreffen. Der dahinter liegende Brechungsapparat im Auge, also humor aqueus, lens et corpus vitreum, dient bloß, die vom Objekt ausgehenden Lichtstrahlen so zu koncentriren, daß sie auf dem kleinen Raum der Retina Platz finden. Bestände nun das Sehn im bloßen Empfinden; so würden wir den Eindruck des Gegenstandes verkehrt wahrnehmen; weil wir ihn so empfangen: sodann aber würden wir ihn auch als etwas im Innern des Auges Befindliches wahrnehmen, indem wir eben stehn blieben bei der Empfindung. Wirklich hingegen tritt sogleich der Verstand mit seinem Kausalgesetze ein, bezieht die empfundene Wirkung auf ihre Ursache, hat von der Empfindung das Datum der Richtung, in welcher der Lichtstrahl eintraf, verfolgt also diese rückwärts zur Ursache hin, auf beiden Linien: die Kreuzung wird daher jetzt auf umgekehrtem Wege wieder zurückgelegt, wodurch die Ursache sich draußen, als Objekt im Raum, aufrecht darstellt, nämlich in der Stellung wie sie die Strahlen aussendet, nicht in der wie sie eintrafen (siehe Fig. 1.). – Die reine Intellektualität der Sache, mit Ausschließung aller anderweitigen, namentlich physiologischen, Erklärungsgründe, läßt sich auch noch dadurch bestätigen, daß, wenn man den Kopf zwischen die Beine steckt, oder am Abhange, den Kopf nach unten, liegt, man dennoch die Dinge nicht verkehrt, sondern ganz richtig erblickt, obgleich den Theil der Retina, welchen gewöhnlich das Untere der Dinge traf, jetzt das Obere trifft, und Alles umgekehrt ist, nur der Verstand nicht.
Das Zweite, was der Verstand bei seiner Umarbeitung der Empfindung in Anschauung leistet, ist, daß er das zwei Mal Empfundene zu einem einfach Angeschauten macht; da jedes Auge für sich, und sogar in einer etwas verschiedenen Richtung, den Eindruck vom Gegenstand erhält, dieser aber doch als nur Einer sich darstellt; welches nur im Verstande geschehn kann. Der Proceß, durch den Dies zu Stande kommt, ist folgender. Unsere Augen stehn nur dann parallel, wenn wir in die Ferne, d. h. über 200 Fuß weit, sehn: außerdem aber richten wir sie beide auf den zu betrachtenden Gegenstand, wodurch sie konvergiren und die beiden, von jedem Auge bis zum genau fixirten Punkte des Objekts gezogenen Linien daselbst einen Winkel schließen, den man den optischen, sie selbst aber die Augenaxen nennt. Diese treffen, bei gerade vor uns liegendem Objekt, genau in die Mitte jeder Retina, mithin auf zwei in jedem Auge einander genau entsprechende Punkte. Alsbald erkennt der Verstand, als welcher zu Allem immer nur die Ursache sucht, daß, obwohl hier der Eindruck doppelt ist, derselbe dennoch von nur einem äußern Punkte ausgeht, also nur eine Ursache ihm zum Grunde liegt: demnach stellt nunmehr diese Ursache sich als Objekt und nur einfach dar. Denn Alles, was wir anschauen, schauen wir als Ursache an, als Ursache empfundener Wirkung, mithin im Verstande. Da wir indessen nicht bloß Einen Punkt, sondern eine ansehnliche Fläche des Gegenstandes mit beiden Augen und doch nur einfach auffassen; so ist die gegebene Erklärung noch etwas weiter fortzuführen. Was im Objekt seitwärts von jenem Scheitelpunkte des optischen Winkels liegt, wirft seine Strahlen nicht mehr gerade in den Mittelpunkt jeder Retina, sondern eben so seitwärts von demselben, jedoch, in beiden Augen, auf die nämliche, z. B. die linke, Seite jeder Retina: daher sind die Stellen, welche diese Strahlen daselbst treffen, eben so gut wie die Mittelpunkte, einander symmetrisch entsprechende, oder gleichnamige Stellen. Der Verstand lernt diese bald kennen und dehnt demnach die obige Regel seiner kausalen Auffassung auch auf sie aus, bezieht folglich nicht bloß die auf den Mittelpunkt jeder Retina fallenden Lichtstrahlen, sondern auch die, welche die übrigen einander symmetrisch entsprechenden Stellen beider Retinen treffen, auf einen und den selben solche aussendenden Punkt im Objekt, schaut also auch alle diese Punkte, mithin das ganze Objekt, nur einfach an. Hiebei nun ist wohl zu merken, daß nicht etwan die äußere Seite der einen Retina der äußern Seite der andern und die innere der innern, sondern die rechte Seite der rechten Retina der rechten Seite der andern entspricht u. s. f., die Sache also nicht im physiologischen, sondern im geometrischen Sinne zu verstehn ist. Deutliche und mannigfaltige, diesen Vorgang und alle damit zusammenhängenden Phänomene erläuternde Figuren findet man in Robert Smith's Optics, auch zum Theil in Kästner's Deutscher Uebersetzung, von 1755. Ich habe, Fig. 2, nur eine gegeben, welche eigentlich einen weiterhin beizubringenden speciellen Fall darstellt, jedoch auch dienen kann, das Ganze zu erläutern, wenn man vom Punkte R ganz absieht. Wir richten dem gemäß beide Augen allezeit gleichmäßig auf das Objekt, um die von den selben Punkten ausgehenden Strahlen mit den einander symmetrisch entsprechenden Stellen beider Retinen aufzufangen. Bei der Bewegung der Augen seitwärts, aufwärts, abwärts und nach allen Richtungen, trifft nun der Punkt des Objekts, welcher vorhin den Mittelpunkt jeder Retina traf, jedesmal eine andere, aber stets, in beiden Augen, eine gleichnamige, der im andern entsprechende, Stelle. Wenn wir einen Gegenstand mustern ( perlustrare), lassen wir die Augen hin und her darauf gleiten, um jeden Punkt desselben successive mit dem Centro der Retina, welches am deutlichsten sieht, in Kontakt zu bringen, betasten also das Objekt mit den Augen. Hieraus wird deutlich, daß das Einfachsehn mit zwei Augen sich im Grunde eben so verhält, wie das Betasten eines Körpers mit 10 Fingern, deren jeder einen andern Eindruck und auch in anderer Richtung erhält, welche sämmtlichen Eindrücke jedoch der Verstand als von Einem Körper herrührend erkennt, dessen Gestalt und Größe er danach apprehendirt und räumlich konstruirt. Hierauf beruht es, daß ein Blinder ein Bildhauer seyn kann: ein solcher war seit seinem fünften Jahre der im J. 1853 in Tyrol gestorbene, rühmlich bekannte Joseph Kleinhaus Ueber diesen berichtet das Frankfurter Konversationsblatt vom 22. Juli 1853: In Nauders (Tyrol) starb am 10. Juli der blinde Bildhauer Joseph Kleinhaus. In seinem fünften Jahre in Folge der Kuhpocken erblindet, tändelte und schnitzte der Knabe für die Langeweile. Prugg gab ihm Anleitung und Figuren zum Nachbilden, und in seinem zwölften Jahre verfertigte der Knabe einen Christus in Lebensgröße. In der Werkstätte des Bildhauers Nißl in Fügen profitirte er in der kurzen Zeit sehr viel und wurde vermöge seiner guten Anlage und seines Talents der weithin bekannte blinde Bildhauer. Seine verschiedenartigen Arbeiten sind sehr zahlreich. Bloß seine Christusbilder belaufen sich auf vierhundert, und in diesen tritt auch in Anbetracht seiner Blindheit seine Meisterschaft zu Tage. Er verfertigte auch andere anerkennungswerthe Stücke, und vor zwei Monaten noch die Büste der Kaisers Franz Joseph, welche nach Wien übersendet wurde.. Denn die Anschauung geschieht immer durch den Verstand; gleichviel, von welchem Sinn er die Data erhält.
Wie nun aber, wenn ich eine Kugel mit gekreuzten Fingern betaste, ich sofort zwei Kugeln zu fühlen glaube, weil mein auf die Ursache zurückgehender und diese den Gesetzen des Raumes gemäß konstruirender Verstand, die natürliche Lage der Finger voraussetzend, zwei Kugelflächen, welche die äußeren Seiten des Mittel- und des Zeigefingers zugleich berühren, durchaus zweien verschiedenen Kugeln zuschreiben muß; eben so nun wird mir ein gesehenes Objekt doppelt erscheinen, wenn meine Augen nicht mehr, gleichmäßig konvergirend, den optischen Winkel an einem Punkte desselben schließen, sondern jedes in einem andern Winkel nach demselben schaut, d. h. wenn ich schiele. Denn jetzt werden nicht mehr von den aus einem Punkte des Objekts ausgehenden Strahlen auf den beiden Retinen die einander symmetrisch entsprechenden Stellen getroffen, welche mein Verstand, durch fortgesetzte Erfahrung, kennen gelernt hat; sondern ganz verschiedene Stellen, welche, bei gleichmäßiger Lage der Augen, nur von verschiedenen Körpern also afficirt werden könnten: daher sehe ich jetzt zwei Objekte; weil eben die Anschauung durch den Verstand und im Verstande geschieht. – Das Selbe tritt auch ohne Schielen ein, wenn nämlich zwei Gegenstände in ungleicher Entfernung vor mir stehn und ich den entfernteren fest ansehe, also an ihm den optischen Winkel schließe: denn jetzt werden die vom näher stehenden Gegenstande ausgehenden Strahlen auf einander nicht symmetrisch entsprechende Stellen in beiden Retinen treffen, mein Verstand wird daher sie zweien Gegenständen zuschreiben, d. h. ich werde das näher stehende Objekt doppelt sehn. (Hiezu Fig. 2.) Schließe ich hingegen an diesem letzteren den optischen Winkel, indem ich es fest ansehe; so wird, aus dem nämlichen Grunde, das entferntere Objekt mir doppelt erscheinen. Man darf, um dies zu erproben, nur etwan einen Bleistift zwei Fuß vom Auge halten und abwechselnd bald ihn, bald ein weit dahinter liegendes Objekt ansehn.
Aber das Schönste ist, daß man auch das umgekehrte Experiment machen kann; so daß man, zwei wirkliche Gegenstände gerade und nahe vor beiden, offenen Augen habend, doch nur einen sieht; welches am schlagendesten beweist, daß die Anschauung keineswegs in der Sinnesempfindung liegt, sondern durch einen Akt des Verstandes geschieht. Man lasse zwei pappene Röhren, von etwan 8 Zoll Länge und 1½ Zoll Durchmesser, vollkommen parallel, nach Art des Binokularteleskops, zusammenfügen, und befestige vor der Oeffnung eines jeden derselben ein Achtgroschenstück. Wenn man jetzt, das andere Ende an die Augen legend, durchschaut, wird man nur ein Achtgroschenstück, von einer Röhre umschlossen, wahrnehmen. Denn, durch die Röhren, zur gänzlich parallelen Lage genöthigt, werden beide Augen von beiden Münzen gerade im Centro der Retina und den dieses umgebenden, einander folglich symmetrisch entsprechenden Stellen ganz gleichmäßig getroffen; daher der Verstand, die, bei nahen Objekten sonst gewöhnliche, ja nothwendige, konvergirende Stellung der Augenaxen voraussetzend, ein einziges Objekt als Ursache des also zurückgestrahlten Lichtes annimmt, d. h. wir nur Eines sehn: so unmittelbar ist die kausale Apprehension des Verstandes.
Die versuchten physiologischen Erklärungen des Einfachsehns einzeln zu widerlegen ist hier kein Raum. Ihre Falschheit geht aber schon aus folgenden Betrachtungen hervor. 1) Wenn die Sache auf einem organischen Zusammenhange beruhte, müßten die auf beiden Retinen einander entsprechenden Stellen, von denen nachweislich das Einfachsehn abhängt, die im organischen Sinne gleichnamigen seyn: allein sie sind es, wie schon erwähnt, bloß im geometrischen. Denn organisch entsprechen einander die beiden innern und die beiden äußern Augenwinkel und Alles demgemäß: hingegen zum Behuf des Einfachsehns entspricht umgekehrt die rechte Seite der rechten Retina der rechten Seite der linken Retina u. s. w.; wie Dies aus den angeführten Phänomenen unwiderleglich erhellt. Eben weil die Sache intellektual ist, haben auch nur die verständigsten Thiere, nämlich die obern Säugethiere, sodann die Raubvögel, vorzüglich die Eulen, u. a. m., so gestellte Augen, daß sie beide Axen derselben auf Einen Punkt richten können. 2) Die zuerst von Neuton ( Optics, querry 15th) aufgestellte Hypothese aus dem Zusammenfluß oder partieller Kreuzung der Sehenerven, vor ihrem Eintritt ins Gehirn, ist schon darum falsch, weil alsdann das Doppeltsehn durch Schielen unmöglich wäre: zudem haben bereits Vesalius und Caesalpinus anatomische Fälle angeführt, in denen gar keine Vermischung, ja, kein Kontakt der Sehenerven daselbst Statt fand, die Subjekte aber nichtsdestoweniger einfach gesehn hatten. Endlich spricht gegen jene Vermischung des Eindrucks Dieses, daß, wenn man, das rechte Auge fest zuhaltend, mit dem linken in die Sonne sieht, man das, nachher lange anhaltende Blendungsbild nur im linken, nie im rechten Auge haben wird, oder vice versa.
Das Dritte, wodurch der Verstand die Empfindung in Anschauung umarbeitet, ist, daß er aus den bis hieher gewonnenen bloßen Flächen Körper konstruirt, also die dritte Dimension hinzufügt, indem er die Ausdehnung der Körper in derselben, in dem ihm a priori bewußten Raume, nach Maaßgabe der Art ihrer Einwirkung auf das Auge und der Gradationen des Lichtes und Schattens, kausal beurtheilt. Während nämlich die Objekte den Raum in allen dreien Dimensionen füllen, können sie auf das Auge nur mit zweien wirken: die Empfindung beim Sehn ist, in Folge der Natur des Organes, bloß planimetrisch, nicht stereometrisch. Alles Stereometrische der Anschauung wird vom Verstande allererst hinzugethan: seine alleinigen Data hiezu sind die Richtung, in der das Auge den Eindruck erhält, die Gränzen desselben und die verschiedenen Abstufungen des Hellen und Dunkeln, welche unmittelbar auf ihre Ursachen deuten und wonach wir erkennen, ob wir z. B. eine Scheibe, oder eine Kugel vor uns haben. Auch diese Verstandesoperation wird, gleich den vorhergehenden, so unmittelbar und schnell vollzogen, daß von ihr nichts, als bloß das Resultat, ins Bewußtseyn kommt. Daher eben ist die Projektionszeichnung eine so schwierige, nur nach mathematischen Principien zu lösende Aufgabe und muß erst erlernt werden, obgleich sie nichts weiter zu leisten hat, als die Darstellung der Empfindung des Sehns, wie solche dieser dritten Verstandesoperation als Datum vorliegt, also des Sehns in seiner bloß planimetrischen Ausdehnung, zu deren allein gegebenen zwei Dimensionen, nebst den besagten Datis in ihnen, der Verstand alsbald die dritte hinzuthut, sowohl beim Anblick der Zeichnung, wie bei dem der Realität. Eine solche Zeichnung ist nämlich eine Schrift, welche, gleich der gedruckten, Jeder lesen, hingegen Wenige schreiben können; weil eben unser anschauender Verstand die Wirkung bloß auffaßt, um aus ihr die Ursache zu konstruiren, sie selbst aber, über dieser, alsbald ganz außer Acht läßt. Daher erkennen wir z. B. einen Stuhl augenblicklich, in jeder ihm möglichen Stellung und Lage; aber ihn in irgend einer zu zeichnen ist Sache derjenigen Kunst, die von dieser dritten Verstandesoperation abstrahirt, um bloß die Data zu derselben dem Beschauer, zu eigener Vollziehung, vorzulegen. Dies ist, wie gesagt, zunächst die Projektions-Zeichnenkunst, dann aber, im Alles umfassenden Sinn, die Malerkunst. Das Bild liefert Linien, nach perspektivischen Regeln gezogen, helle und dunkle Stellen, nach Maaßgabe der Wirkung des Lichtes und Schattens, endlich Farbenflecke, in Qualität und Intension der Erfahrung abgelernt. Der Beschauer liest Dies ab, indem er zu gleichen Wirkungen die gewohnten Ursachen setzt. Die Kunst des Malers besteht darin, daß er die Data der Empfindung beim Sehn, wie sie vor dieser dritten Verstandesoperation sind, mit Besonnenheit festzuhalten weiß; während wir Andern, sobald wir von ihnen den besagten Gebrauch gemacht haben, sie wegwerfen, ohne sie in unser Gedächtniß aufzunehmen. Wir werden die hier betrachtete dritte Verstandesoperation noch genauer kennen lernen, indem wir jetzt zu einer vierten übergehn, welche, als ihr sehr nahe verwandt, sie mit erläutert.
Diese vierte Verstandesoperation besteht nämlich im Erkennen der Entfernung der Objekte von uns: diese aber ist eben die dritte Dimension, von der oben die Rede war. Die Empfindung beim Sehn liefert uns zwar, wie schon gesagt, die Richtung, in welcher die Objekte liegen, aber nicht ihre Entfernung, also nicht ihren Ort. Die Entfernung muß also erst durch den Verstand herausgebracht werden, folglich aus lauter kausalen Bestimmungen sich ergeben. Von diesen nun ist die vornehmste der Sehewinkel, unter dem das Objekt sich darstellt: dennoch ist dieser durchaus zweideutig und kann für sich allein nichts entscheiden. Er ist wie ein Wort von zwei Bedeutungen: man muß erst aus dem Zusammenhang abnehmen, welche gemeint sei. Denn, bei gleichem Sehewinkel, kann ein Objekt klein und nahe, oder groß und fern seyn. Nur wenn uns seine Größe anderweitig schon bekannt ist, können wir aus dem Sehewinkel seine Entfernung erkennen, wie auch umgekehrt, wenn uns diese anderweitig gegeben ist, seine Größe. Auf der Abnahme des Sehewinkels in Folge der Entfernung beruht die Linearperspektive, deren Grundsätze sich hier leicht ableiten lassen. Weil nämlich unsere Sehkraft nach allen Seiten gleich weit reicht, sehn wir eigentlich Alles wie eine Hohlkugel, in deren Centro das Auge stände. Diese Kugel nun hat erstlich unendlich viele Durchschnittskreise nach allen Richtungen, und die Winkel, deren Maaß die Theile dieser Kreise abgeben, sind die möglichen Sehewinkel. Zweitens wird diese Kugel, je nachdem wir ihren Radius länger oder kürzer annehmen, größer oder kleiner: wir können sie daher auch als aus unendlich vielen koncentrischen und durchsichtigen Hohlkugeln bestehend denken. Da alle Radien divergiren, so sind diese koncentrischen Hohlkugeln, in dem Maaße, als sie ferner von uns stehn, größer, und mit ihnen wachsen die Grade ihrer Durchschnittskreise, also auch die wahre Größe der diese Grade einnehmenden Objekte. Diese sind daher, je nachdem sie von einer größern, oder kleinern Hohlkugel den gleichen Theil, z. B. 10°, einnehmen, größer oder kleiner, während ihr Sehewinkel, in beiden Fällen, der selbe bleibt, also unentschieden läßt, ob es 10° einer Kugel von 2 Meilen, oder von 10 Fuß Durchmesser sind, die sein Objekt einnimmt. Steht umgekehrt die Größe dieses Objekts fest; so wird die Zahl der Grade, die es einnimmt, abnehmen, in dem Maaße, als die Hohlkugel, auf die wir es versetzen, entfernter und daher größer ist: in gleichem Maaße werden mithin alle seine Gränzen zusammenrücken. Hieraus folgt die Grundregel aller Perspektive: denn da demnach, in stetiger Proportion mit der Entfernung, die Objekte und ihre Zwischenräume abnehmen müssen, wodurch alle Gränzen zusammenrücken; so wird der Erfolg seyn, daß, mit der wachsenden Entfernung, alles über uns Liegende herab, alles unter uns Liegende herauf, alles zu den Seiten Liegende zusammenrückt. So weit wir eine ununterbrochene Folge sichtbarlich zusammenhängender Gegenstände vor uns haben, können wir aus diesem allmäligen Zusammenlaufen aller Linien, also aus der Linearperspektive, allerdings die Entfernung erkennen. Hingegen aus dem bloßen Sehewinkel, für sich allein, können wir es nicht; sondern alsdann muß der Verstand immer noch ein anderes Datum zu Hülfe nehmen, welches gleichsam als Kommentar des Sehewinkels dient, indem es den Antheil, den die Entfernung an ihm hat, bestimmter bezeichnet. Solcher Data sind hauptsächlich vier, die ich jetzt näher angeben werde. Vermöge ihrer geschieht es, selbst wo mir die Linearperspektive fehlt, daß, obwohl ein Mensch, der 100 Fuß von mir steht, mir in einem 24 Mal kleinern Sehewinkel, als wenn er 2 Fuß von mir stände, erscheint, ich dennoch, in den meisten Fällen, seine Größe sogleich richtig auffasse; welches Alles abermals beweist, daß die Anschauung intellektual und nicht bloß sensual ist. – Ein specieller und interessanter Beleg zu dem hier dargelegten Fundament der Linearperspektive, wie auch der Intellektualität der Anschauung überhaupt, ist folgender. Wenn ich, in Folge des längern Ansehns eines gefärbten Gegenstandes von bestimmtem Umriß, z. B. eines rothen Kreuzes, dessen physiologisches Farbenspektrum, also ein grünes Kreuz, im Auge habe; so wird mir dieses um so größer erscheinen, je entfernter die Fläche ist, auf die ich es fallen lasse, und um so kleiner, je näher diese. Denn das Spektrum selbst nimmt einen bestimmten und unveränderlichen Theil meiner Retina, die zuerst vom rothen Kreuz erregte Stelle, ein, schafft also, indem sie nach außen geworfen, d. h. als Wirkung eines äußern Gegenstandes aufgefaßt wird, einen ein für alle Mal gegebenen Sehewinkel desselben, nehmen wir an 2°: verlege ich nun diesen (hier, wo aller Kommentar zum Sehewinkel fehlt) auf eine entfernte Fläche, mit der ich ihn unvermeidlich, als zu ihrer Wirkung gehörig, identificire; so sind es 2° einer entfernten, also sehr großen Kugel, die es einnimmt, mithin ist das Kreuz groß: werfe ich hingegen das Spektrum auf einen nahen Gegenstand; so füllt es 2° einer kleinen Kugel, ist mithin klein. In beiden Fällen fällt die Anschauung vollkommen objektiv aus, ganz gleich der eines äußern Gegenstandes, und belegt dadurch, indem sie ja von einem völlig subjektiven Grunde (das ganz anderweitig erregte Spektrum) ausgeht, die Intellektualität aller objektiven Anschauung. – Ueber diese Thatsache (welche im Jahre 1815 zuerst bemerkt zu haben ich mich lebhaft und umständlich erinnere) findet sich in den Comptes rendus vom 2. August 1858 ein Aufsatz von Mr. Séguin, der die Sache als eine neue Entdeckung auftischt und allerlei schiefe und alberne Erklärungen derselben giebt. Die Herrn illustres confrères häufen bei jedem Anlaß Experimente auf Experimente, und je komplicirter, desto besser. Nur expérience! ist ihre Losung: aber ein wenig richtiges und aufrichtiges Nachdenken über die beobachteten Phänomene ist höchst selten anzutreffen: expérience, expérience! und albernes Zeug dazu.
Zu den erwähnten subsidiarischen Datis also, die den Kommentar zum gegebenen Sehewinkel liefern, gehören erstlich, die mutationes oculi internae, vermöge welcher das Auge seinen optischen Brechungsapparat, durch Vermehrung oder Verminderung der Brechung, verschiedenen Entfernungen anpaßt. Worin nun aber diese Veränderungen physiologisch bestehn, ist noch immer unausgemacht. Man hat sie in der Vermehrung der Konvexität bald der Cornea, bald der Lens gesucht: aber die neueste, in der Hauptsache jedoch schon von Kepler ausgesprochene Theorie, wonach die Linse beim Fernesehn zurücktritt, beim Nahesehn aber vorgeschoben, und dabei durch Seitendruck stärker gewölbt wird, ist mir die wahrscheinlichere: denn danach wäre der Hergang dem Mechanismus des Opernkukers ganz analog. Diese Theorie findet man ausführlich dargelegt in A. Hueck's Abhandlung »Die Bewegung der Krystallinse«, 1841. Jedenfalls haben wir von diesen innern Veränderungen des Auges, wenn auch keine deutliche Wahrnehmung, doch eine gewisse Empfindung, und diese benutzen wir unmittelbar zur Schätzung der Entfernung. Da aber jene Veränderungen nur dienen, von etwan 7 Zoll bis auf 16 Fuß weit, das vollkommen deutliche Sehn möglich zu machen; so ist auch das besagte Datum für den Verstand nur innerhalb dieser Entfernung anwendbar.
Darüber hinaus findet dagegen das zweite Datum Anwendung, nämlich der bereits oben, beim Einfachsehn, erklärte, von den beiden Augenaxen gebildete, optische Winkel. Offenbar wird er kleiner, je ferner, und größer, je näher das Objekt liegt. Dieses verschiedene Richten der Augen gegen einander ist nicht ohne eine gewisse, leise Empfindung davon, die aber auch nur sofern ins Bewußtseyn kommt, als der Verstand sie, bei seiner intuitiven Beurtheilung der Entfernung, als Datum gebraucht. Dieses Datum läßt zudem nicht bloß die Entfernung, sondern auch genau den Ort des Objekts erkennen, vermöge der Parallaxe der Augen, die darin besteht, daß jedes derselben das Objekt in einer etwas andern Richtung sieht, weshalb es zu rücken scheint, wenn man ein Auge schließt. Daher wird man, mit einem geschlossenen Auge, nicht leicht das Licht putzen können; weil dann dies Datum wegfällt. Da aber, sobald der Gegenstand 200 Fuß, oder weiter, abliegt, die Augen sich parallel richten, also der optische Winkel ganz wegfällt; so gilt dieses Datum nur innerhalb der besagten Entfernung.
Ueber diese hinaus kommt dem Verstande die Luftperspektive zu Hülfe, als welche durch das zunehmende Dumpfwerden aller Farben, das Erscheinen des physischen Blau vor allen dunkeln Gegenständen (Goethes vollkommen wahrer und richtiger Farbenlehre gemäß) und das Verschwimmen der Kontoure, ihm eine größere Entfernung ankündigt. Dieses Datum ist in Italien, wegen der großen Durchsichtigkeit der Luft, äußerst schwach; daher es uns daselbst leicht irre führt: z. B. von Fraskati aus gesehn scheint Tivoli sehr nahe. Hingegen erscheinen uns im Nebel, welcher eine abnorme Vermehrung dieses Datums ist, alle Gegenstände größer, weil der Verstand sie entfernter annimmt.
Endlich bleibt uns noch die Schätzung der Entfernung mittelst der uns intuitiv bekannten Größe der dazwischen liegenden Gegenstände, wie Felder, Ströhme, Wälder u. s. w. Sie ist nur bei ununterbrochenem Zusammenhang, also nur auf irdische, nicht auf himmlische Objekte anwendbar. Ueberhaupt sind wir mehr eingeübt, sie in horizontaler, als perpendikulärer Richtung zu gebrauchen; daher die Kugel auf einem Thurm von 200 Fuß Höhe uns viel kleiner erscheint, als wenn sie auf der Erde 200 Fuß von uns liegt; weil wir hier die Entfernung richtiger in Anschlag bringen. So oft Menschen irgendwie uns so zu Gesicht kommen, daß das zwischen ihnen und uns Liegende großen Theils verborgen bleibt, erscheinen sie uns auffallend klein.
Theils dieser letztern Schätzungsart, sofern sie, gültig, nur auf irdische Objekte und in horizontaler Richtung anwendbar ist, theils der nach der Luftperspektive, die sich im selben Fall befindet, ist es zuzuschreiben, daß unser anschauender Verstand, nach dem Horizont hin, Alles für entfernter, mithin für größer hält, als in der senkrechten Richtung. Daher kommt es, daß der Mond am Horizont so viel größer erscheint, als im Kulminationspunkt, während doch sein wohlgemessener Sehewinkel, also das Bild, welches er ins Auge wirft, alsdann durchaus nicht größer ist; wie auch, daß das Himmelsgewölbe sich abgeplattet darstellt, d. h. horizontal weiter, als perpendikulär, ausgedehnt. Beides ist also rein intellektual, oder cerebral; nicht optisch, oder sensual. Die Einwendung, daß der Mond, auch wenn kulminirend, bisweilen getrübt und doch nicht größer erscheine, ist dadurch zu widerlegen, daß er daselbst auch nicht roth erscheint, weil die Trübung durch gröbere Dünste geschieht und daher anderer Art, als die durch die Luftperspektive ist; wie auch dadurch, daß wir, wie gesagt, diese Schätzung nur in der horizontalen, nicht in der perpendikulären Richtung anwenden, auch in dieser Stellung andere Korrektive eintreten. Saussüresoll, vom Montblanc aus, den aufgehenden Mond so groß gesehn haben, daß er ihn nicht erkannte und vor Schreck ohnmächtig ward.
Hingegen beruht auf der isolirten Schätzung nach dem Sehewinkel allein, also der Größe durch die Entfernung, und der Entfernung durch die Größe, die Wirkung des Teleskops und der Loupe; weil hier die vier andern, supplementarischen Schätzungsmittel ausgeschlossen sind. Das Teleskop vergrößert wirklich, scheint aber bloß näher zu bringen; weil die Größe der Objekte uns empirisch bekannt ist und wir nun ihre vermehrte scheinbare Größe aus der geringern Entfernung erklären: so erscheint z. B. ein Haus, durch das Teleskop gesehn, nicht 10 Mal größer, sondern 10 Mal näher. Die Loupe hingegen vergrößert nicht wirklich, sondern macht es uns nur möglich, das Objekt dem Auge so nahe zu bringen, wie wir dies außerdem nicht könnten, und dasselbe erscheint nur so groß, wie es, in solcher Nähe, auch ohne Loupe erscheinen würde. Nämlich die zu geringe Konvexität der Lens und Cornea gestattet uns kein deutliches Sehn in größerer Nähe, als 8-10 Zoll vom Auge: vermehrt nun aber die Konvexität der Loupe, statt jener, die Brechung; so erhalten wir, selbst bei ½ Zoll Entfernung vom Auge, noch ein deutliches Bild. Das in solcher Nähe und ihr entsprechender Größe gesehene Objekt versetzt unser Verstand in die natürliche Entfernung des deutlichen Sehns, also 8-10 Zoll vom Auge, und schätzt nun nach dieser Distanz, unter dem gegebenen Sehewinkel, seine Größe.
Ich habe alle diese das Sehn betreffenden Vorgänge so ausführlich dargelegt, um deutlich und unwiderleglich darzuthun, daß in ihnen vorwaltend der Verstand thätig ist, welcher dadurch, daß er jede Veränderung als Wirkung auffaßt und sie auf ihre Ursache bezieht, auf der Unterlage der apriorischen Grundanschauungen des Raums und der Zeit, das Gehirnphänomen der gegenständlichen Welt zu Stande bringt, wozu ihm die Sinnesempfindung bloß einige Data liefert. Und zwar vollzieht er dieses Geschäft allein durch seine eigene Form, welche das Kausalitätsgesetz ist, und daher ganz unmittelbar und intuitiv, ohne Beihülfe der Reflexion, d. i. der abstrakten Erkenntniß, mittelst Begriffen und Worten, als welche das Material der sekundären Erkenntniß, d. i. des Denkens, also der Vernunft, sind.
Diese Unabhängigkeit der Verstandeserkenntniß von der Vernunft und ihrer Beihülfe erhellt auch daraus, daß, wenn ein Mal der Verstand zu gegebenen Wirkungen eine unrichtige Ursache setzt, und mithin diese geradezu anschaut, wodurch der falsche Schein entsteht; die Vernunft immerhin den wahren Thatbestand in abstracto richtig erkennen mag, ihm damit jedoch nicht zu Hülfe kommen kann; sondern, ihrer bessern Erkenntniß ungeachtet, der falsche Schein unverrückt stehn bleibt. Dergleichen Schein ist z. B. das oben erörterte Doppeltsehn und Doppelttasten, in Folge der Verrückung der Sinneswerkzeuge aus ihrer normalen Lage; imgleichen der erwähnte, am Horizont größer erscheinende Mond; ferner das sich ganz als schwebender, solider Körper darstellende Bild im Brennpunkt eines Hohlspiegels; das gemalte Rilievo, welches wir für ein wirkliches ansehn; die Bewegung des Ufers, oder der Brücke, worauf wir stehn, während ein Schiff durchfährt; hohe Berge, die viel näher erscheinen, als sie sind, wegen des Mangels der Luftperspektive, welcher eine Folge der Reinheit der Atmosphäre, in der ihre hohen Gipfel liegen, ist; und hundert ähnliche Dinge, bei welchen allen der Verstand die gewöhnliche, ihm geläufige Ursache voraussetzt, diese also sofort anschaut, obgleich die Vernunft den richtigen Thatbestand auf andern Wegen ermittelt hat, damit aber jenem, als welcher ihrer Belehrung unzugänglich, weil in seinem Erkennen ihr vorhergängig, ist, nicht beikommen kann; wodurch der falsche Schein, d. i. der Trug des Verstandes, unverrückbar stehn bleibt, wenn gleich der Irrthum, d. i. der Trug der Vernunft, verhindert wird. – Das vom Verstande richtig Erkannte ist die Realität; das von der Vernunft richtig Erkannte die Wahrheit, d. i. ein Urtheil, welches Grund hat: jener ist der Schein (das fälschlich Angeschaute), dieser der Irrthum (das fälschlich Gedachte) entgegengesetzt.
Obgleich der rein formale Theil der empirischen Anschauung, also das Gesetz der Kausalität, nebst Raum und Zeit, a priori im Intellekt liegt; so ist ihm doch nicht die Anwendung desselben auf empirische Data zugleich mitgegeben: sondern diese erlangt er erst durch Uebung und Erfahrung. Daher kommt es, daß neugeborene Kinder zwar den Licht- und Farbeneindruck empfangen, allein noch nicht die Objekte apprehendiren und eigentlich sehn; sondern sie sind, die ersten Wochen hindurch, in einem Stupor befangen, der sich alsdann verliert, wann ihr Verstand anfängt, seine Funktion an den Datis der Sinne, zumal des Getasts und Gesichts, zu üben, wodurch die objektive Welt allmälig in ihr Bewußtseyn tritt. Dieser Eintritt ist am Intelligentwerden ihres Blicks und einiger Absichtlichkeit in ihren Bewegungen deutlich zu erkennen, besonders wenn sie zum ersten Mal durch freundliches Anlächeln an den Tag legen, daß sie ihre Pfleger erkennen. Man kann auch beobachten, daß sie noch lange mit dem Sehn und Tasten experimentiren, um ihre Apprehension der Gegenstände unter verschiedener Beleuchtung, Richtung und Entfernung derselben, zu vervollkommnen, und so ein stilles, aber ernstes Studium treiben, bis sie alle die oben beschriebenen Verstandesoperationen des Sehns erlernt haben. Viel deutlicher jedoch ist diese Schule an spät operirten Blindgeborenen zu konstatiren; da diese von ihren Wahrnehmungen Bericht erstatten. Seit Cheselden's berühmt gewordenem Blinden (über welchen der ursprüngliche Bericht in den Philosophical transactions Vol. 35 steht) hat der Fall sich oft wiederholt und es sich jedesmal bestätigt, daß diese spät den Gebrauch der Augen erlangenden Leute zwar gleich nach der Operation Licht, Farben und Umrisse sehn, aber noch keine objektive Anschauung der Gegenstände haben: denn ihr Verstand muß erst die Anwendung seines Kausalgesetzes auf die ihm neuen Data und ihre Veränderungen lernen. Als Cheselden's Blinder zum ersten Mal sein Zimmer mit den verschiedenen Gegenständen darin erblickte, unterschied er nichts daran, sondern hatte nur einen Totaleindruck, wie von einem, aus einem einzigen Stücke bestehenden Ganzen: er hielt es für eine glatte, verschieden gefärbte Oberfläche. Es fiel ihm nicht ein, gesonderte, verschieden entfernte, hinter einander geschobene Dinge zu erkennen. Bei solchen hergestellten Blinden muß das Getast, als welchem die Dinge schon bekannt sind, diese dem Gesicht erst bekannt machen, gleichsam sie präsentiren und einführen. Ueber Entfernungen haben sie Anfangs gar kein Urtheil, sondern greifen nach Allem. Einer konnte, als er sein Haus von außen sah, nicht glauben, daß alle die großen Zimmer in dem kleinen Dinge da seyn sollten. Ein Anderer war hocherfreut, als er, mehrere Wochen nach der Operation, die Entdeckung machte, daß die Kupferstiche an der Wand allerlei Gegenstände vorstellten. Im Morgenblatt vom 23. October 1817 steht Nachricht von einem Blindgeborenen, der im 17. Lebensjahre das Gesicht erhielt. Er mußte das verständige Anschauen erst lernen, erkannte keinen ihm vorher durch das Getast bekannten Gegenstand sehend wieder, hielt daher Ziegen für Menschen u. s. w. Der Tastsinn mußte dem Gesichtssinn erst jeden einzelnen Gegenstand bekannt machen. So auch hatte er gar kein Urtheil über die Entfernungen der gesehenen Objekte, sondern griff nach Allem. – Franz, in seinem Buche: The eye: a treatise on the art of preserving this organ in healthy condition, and of improving the sight (London, Churchill 1839), sagt pag. 34-36: »A definite idea of distance, as well as of form and size, is only obtained by sight and touch, and by reflecting on the impressions made on both senses; but for this purpose we must take into account the muscular motion and voluntary locomotion of the individual. – Caspar Hauser Feuerbach's Caspar Hauser – Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben eines Menschen. Anspach, 1832 . pag. 79, etc. , in a detailed account of his own experience in this respect states, that upon his first liberation from confinement, whenever he looked through the window upon external objects, such as the street, garden etc., it appeared to him as if there were a shutter quite close to his eye, and covered with confused colours of all kinds, in which he could recognise or distinguish nothing singly. He says farther, that he did not convince himself till after some time during his walks out of doors, that what had at first appeared to him as a shutter of various colours, as well as many other objects, were in reality very different things; and that at length the shutter disappeared, and he saw and recognised all things in their just proportions. Persons born blind who obtain their sight by an operation in later years only, sometimes imagine that all objects touch their eyes, and lie so near to them that they are afraid of stumbling against them; sometimes the leap towards the moon, supposing that they can lay hold of it; at other times they run after the clouds moving along the sky, in order to catch them, or commit other such extravagancies … Since ideas are gained by reflection upon sensation, it is further necessary in all cases, in order that an accurate idea of objects may be formed from the sense of sight, that the powers of the mind should be unimpaired, and undisturbed in their exercise. A proof of this is afforded in the instance related by Haslam Haslam's Observations on Madness and Melancholy, 2. Ed. p. 192. , of a boy who had no defect of sight, but was weak in understanding, and who in his seventh year was unable to estimate the distances of objects, especially as to height; he would extend bis hand frequently towards a nail on the ceiling, or towards the moon, to catch it. It is therefore the judgment which corrects and makes clear this idea, or perception of visible objects.«
Physiologische Bestätigung erhält die hier dargelegte Intellektualität der Anschauung durch Flourens: De la vie et de l’intelligence (Deuxième édition, Paris, Garnier Frères, 1858). Pag. 49, unter der Ueberschrift: Opposition entre les tubercules et les lobes cérébraux, sagt Flourens: » Il faut faire une grande distinction entre les sens et l’intelligence. L’ablation d’un tubercule détermine la perte de la sensation, du sens de la vue; la rétine devient insensible, l’iris devient immobile. L’ablation d’un lobe cérébral laisse la sensation, le sens, la sensibilité de la rétine, la mobilité de l’iris; elle ne détruit que la perception seule. Dans un cas, c’est un fait sensorial; et, dans l’autre, un fait cérébral; dans un cas, c’est la perte du sens; dans l’autre, c’est la perte de la perception. La distinction des perceptions et des sensations est encore un grand résultat; et il est démontré aux yeux. II y a deux moyens de faire perdre la vision par l’encéphale: 1° par les tubercules, c’est la perte du sens, de la sensation; 2° par les lobes, c’est la perte de la perception, de l’intelligence. La sensibilité n’est donc pas l’intelligence, penser n’est donc pas sentir; et voilà toute une philosophie renversée. L’idée n’est donc pas la sensation; et voilà encore une autre preuve du vice radical de cette philosophie.« Ferner sagt Flourens pag. 77 unter der Ueberschrift: Séparation de la Sensibilité et de la Perception: »Il y a une de mes expériences qui sépare nettement la sensibilité de la perception. Quand on enlève le cerveau proprement dit (lobes ou hémisphères cérébraux) à un animal, l’animal perd la vue. Mais, par rapport à l’oeil, rien n’est changé: les objets continuent à se peindre sur la rétine; l’iris reste contractile, le nerf optique sensible, parfaitement sensible. Et cependant l’animal ne voit plus; il n’y a plus vision, quoique tout ce qui est sensation subsiste; il n’y a plus vision, parce qu’il n’y a plus perception. Le percevoir, et non le sentir, est donc le premier élément de l’intelligence. La perception est partie de l’intelligence, car elle se perd avec l’intelligence, et par l’ablation du même organe, les lobes ou hémisphères cérébraux; et la sensibilité n’en est point partie, puisqu’elle subsiste après la perte de l’intelligence et l’ablation des lobes ou hémisphères.«
Daß die Intellektualität der Anschauung im Allgemeinen schon von den Alten eingesehn wurde, bezeugt der berühmte Vers des alten Philosophen Epicharmus:
Νους ὁρῃ και νους ακουει; τ' αλλα κωφα και τυφλα. ( Mens videt, mens audit; caetera surda et coeca.) Plutarch, der ihn ( de solert. animal: c. 3) anführt, setzt hinzu: ὡς του περι τα ομματα και ωτα παθους, αν μη παρῃ το φρονουν, αισθησιν ου ποιουντος ( quia affectio oculorum et aurium nullum affert sensum, intelligentia absente), und sagt kurz zuvor: Στρατωνς του φυσικου λογος εστιν, αποδεικνυων ὡς ουδ' αισθανεσθαι τοπαραπαν ανευ του νοειν ὑπαρχει ( Stratonis physici exstat ratiocinatio, qua »sine intelligentia sentiri omnino nihil posse« demonstrat). Bald darauf aber sagt er: ὁθεν αναγκη, πασιν, οἱς το αισθανεσθαι, και το νοειν ὑπαρχειν, ει τῳ νοειν αισθανεσθαι πεφυκαμεν ( quare necesse est, omnia, quae sentiunt, etiam intelligere, siquidem intelligendo demum sentiamus). Hiemit wäre denn wieder ein Vers des selben Epicharmus in Verbindung zu setzen, den Diogenes Laertius (III, 16) anführt:
Ευμαιε, το σοφον εστιν ου καθ' ἑν μονον,
αλλ' ὁσα περ ζῃ, παντα και γνωμαν εχει.
( Eumaee, sapientia non uni tantum competit, sed quaecunque vivunt etiam intellectum habent.) Auch Porphyrius ( de abstinentia, III, 21) ist bemüht, ausführlich darzuthun, daß alle Thiere Verstand haben.
Daß nun Diesem so sei, folgt aus der Intellektualität der Anschauung nothwendig. Alle Thiere, bis zum niedrigsten herab, müssen Verstand, d. h. Erkenntniß des Kausalitätsgesetzes, haben, wenn auch in sehr verschiedenem Grade der Feinheit und Deutlichkeit; aber stets wenigstens so viel, wie zur Anschauung mit ihren Sinnen erfordert ist: denn Empfindung ohne Verstand wäre nicht nur ein unnützes, sondern ein grausames Geschenk der Natur. Den Verstand der obern Thiere wird Keiner, dem es nicht selbst daran gebricht, in Zweifel ziehn. Aber auch daß ihre Erkenntniß der Kausalität wirklich a priori und nicht bloß aus der Gewohnheit, Dies auf Jenes folgen zu sehn, entsprungen ist, tritt bisweilen unleugbar hervor. Ein ganz junger Hund springt nicht vom Tisch herab, weil er die Wirkung anticipirt. Vor Kurzem hatte ich in meinem Schlafzimmer große, bis zur Erde herabreichende Fenstergardinen anbringen lassen, von der Art, die in der Mitte auseinanderfährt, wenn man eine Schnur zieht: als ich nun Dies zum ersten Mal, Morgens beim Aufstehn, ausführte, bemerkte ich, zu meiner Ueberraschung, daß mein sehr kluger Pudel ganz verwundert dastand und sich, aufwärts und seitwärts, nach der Ursache des Phänomens umsah, also die Veränderung suchte, von der er a priori wußte, daß sie vorhergegangen seyn müsse: das Selbe wiederholte sich noch am folgenden Morgen. – Aber auch die untersten Thiere, sogar noch der Wasserpolyp, ohne gesonderte Sinneswerkzeuge, wann er, auf seiner Wasserpflanze, um in helleres Licht zu kommen, mit seinen Armen sich anklammernd, von Blatt zu Blatt wandert, hat Wahrnehmung, folglich Verstand.
Und von diesem untersten Verstande ist der des Menschen, den wir jedoch von dessen Vernunft deutlich sondern, nur dem Grade nach verschieden; während alle dazwischen liegenden Stufen von der Reihe der Thiere ausgefüllt werden, deren oberste Glieder, also Affe, Elephant, Hund, uns durch ihren Verstand in Erstaunen setzen. Aber immer und immer besteht die Leistung des Verstandes in unmittelbarem Auffassen der kausalen Verhältnisse, zuerst, wie gezeigt, zwischen dem eigenen Leib und den andern Körpern, woraus die objektive Anschauung hervorgeht; dann zwischen diesen objektiv angeschauten Körpern unter einander, wo nun, wie wir im vorigen gesehn haben, das Kausalitätsverhältniß unter drei verschiedenen Formen auftritt, nämlich als Ursache, als Reiz und als Motiv, nach welchen Dreien sodann alle Bewegung auf der Welt vorgeht und vom Verstande allein verstanden wird. Sind es nun, von jenen Dreien, die Ursachen, im engsten Sinne, denen er nachspürt; dann schafft er Mechanik, Astronomie, Physik, Chemie, und erfindet Maschinen, zum Heil und zum Verderben: stets aber liegt allen seinen Entdeckungen, in letzter Instanz, ein unmittelbares intuitives Auffassen der ursächlichen Verbindung zum Grunde. Denn dieses ist die alleinige Form und Funktion des Verstandes; keineswegs aber das komplicirte Räderwerk der zwölf Kantischen Kategorien, deren Nichtigkeit ich nachgewiesen habe. – Alles Verstehn ist ein unmittelbares und daher intuitives Auffassen des Kausalzusammenhangs, obwohl es sogleich in abstrakte Begriffe abgesetzt werden muß, um fixirt zu werden. Daher ist Rechnen nicht Verstehn und liefert an sich kein Verständniß der Sachen. Dies erhält man nur auf dem Wege der Anschauung, durch richtige Erkenntniß der Kausalität und geometrische Konstruktion des Hergangs; wie solche Euler besser als irgend jemand gegeben hat; weil er die Sachen von Grund aus verstand. Das Rechnen hingegen hat es mit lauter abstrakten Größenbegriffen zu thun, deren Verhältniß zu einander es feststellt. Dadurch erlangt man nie das mindeste Verständniß eines physischen Vorgangs. Denn zu einem solchen ist erfordert anschauliche Auffassung der räumlichen Verhältnisse, mittelst welcher die Ursachen wirken. Das Rechnen bestimmt das Wieviel und Wiegroß, ist daher zur Praxis unentbehrlich. Sogar kann man sagen: wo das Rechnen anfängt, hört das Verstehn auf: denn der mit Zahlen beschäftigte Kopf ist, während er rechnet, dem kausalen Zusammenhang und der geometrischen Konstruktion des physischen Hergangs gänzlich entfremdet: er steckt in lauter abstrakten Zahlenbegriffen. Das Resultat aber besagt nie mehr, als Wieviel; nie Was. Mit l’expérience et le calcul, diesem Waidspruch der französischen Physiker, reicht man also keineswegs aus. – Sind hingegen die Reize der Leitfaden des Verstandes; so wird er Physiologie der Pflanzen und Thiere, Therapie und Toxikologie zu Stande bringen. Hat er endlich sich auf die Motivation geworfen; dann wird er entweder sie bloß theoretisch zum Leitfaden gebrauchen, um Moral, Rechtslehre, Geschichte, Politik, auch dramatische und epische Poesie, zu Tage zu fördern; oder aber sich ihrer praktisch bedienen, entweder bloß um Thiere abzurichten, oder sogar um das Menschengeschlecht nach seiner Pfeife tanzen zu lassen, nachdem er glücklich an jeder Puppe das Fädchen herausgefunden hat, an welchem gezogen sie sich beliebig bewegt. Ob er nun die Schwere der Körper, mittelst der Mechanik, zu Maschinen so klug benutzt, daß ihre Wirkung, gerade zu rechter Zeit eintretend, seiner Absicht in die Hände spielt; oder ob er eben so die gemeinsamen, oder die individuellen Neigungen der Menschen zu seinen Zwecken ins Spiel versetzt, ist, hinsichtlich der dabei thätigen Funktion, das Selbe. In dieser praktischen Anwendung nun wird der Verstand Klugheit und, wenn sie mit Ueberlistung Anderer geschieht, Schlauheit genannt, auch wohl, wenn seine Zwecke sehr geringfügig sind, Pfiffigkeit, auch, wenn sie mit dem Nachtheil Anderer verknüpft sind, Verschmitztheit. Hingegen heißt er im bloß theoretischen Gebrauch Verstand schlechtweg, in den höhern Graden aber alsdann Scharfsinn, Einsicht, Sagacität, Penetration; sein Mangel hingegen Stumpfheit, Dummheit, Pinselhaftigkeit u. s. w. Diese höchst verschiedenen Grade seiner Schärfe sind angeboren und nicht zu erlernen; wiewohl Uebung und Kenntniß des Stoffs überall zur richtigen Handhabung erfordert sind; wie wir dies ja selbst an seiner ersten Anwendung, also an der empirischen Anschauung, gesehn haben. Vernunft hat jeder Tropf: giebt man ihm die Prämissen, so vollzieht er den Schluß. Aber der Verstand liefert die primäre Erkenntniß, folglich die intuitive, und da liegen die Unterschiede. Demgemäß ist auch der Kern jeder großen Entdeckung, wie auch jedes welthistorischen Plans, das Erzeugniß eines glücklichen Augenblicks, in welchem, durch Gunst äußerer und innerer Umstände, dem Verstande komplicirte Kausalreihen, oder verborgene Ursachen tausend Mal gesehener Phänomene, oder nie betretene, dunkle Wege, sich plötzlich erhellen. –
Durch die obigen Auseinandersetzungen der Vorgänge beim Tasten und Sehn ist unwidersprechlich dargethan, daß die empirische Anschauung im Wesentlichen das Werk des Verstandes ist, dem dazu die Sinne nur den, im Ganzen ärmlichen Stoff, in ihren Empfindungen, liefern; so daß er der werkbildende Künstler ist, sie nur die das Material darreichenden Handlanger. Durchweg aber besteht dabei sein Verfahren im Uebergehn von gegebenen Wirkungen zu ihren Ursachen, welche, eben erst dadurch, sich als Objekte im Raume darstellen. Die Voraussetzung dazu ist das Gesetz der Kausalität, welches eben deshalb vom Verstande selbst hinzugebracht seyn muß; da es nimmermehr ihm von außen hat kommen können. Ist es doch die erste Bedingung aller empirischen Anschauung, diese aber die Form in der alle äußere Erfahrung auftritt: wie also sollte es erst aus der Erfahrung geschöpft seyn, deren wesentliche Voraussetzung es selbst ist? – Eben weil es Dies schlechterdings nicht kann. Locke's Philosophie aber alle Apriorität aufgehoben hatte, leugnete Hume die ganze Realität des Kausalitätsbegriffes. Dabei erwähnte schon er (im 7ten seiner essays on human understanding) zwei falsche Hypothesen, die man in unsern Tagen wieder vorgebracht hat: die eine, daß die Wirkung des Willens auf die Glieder des Leibes; die andere, daß der Widerstand, den die Körper unserm Druck gegen sie entgegensetzen, der Ursprung und Prototyp des Kausalitätsbegriffes sei. Hume widerlegt Beides in seiner Weise und seinem Zusammenhang. Ich aber so: zwischen dem Willensakt und der Leibesaktion ist gar kein Kausalzusammenhang; sondern Beide sind unmittelbar Eins und das Selbe, welches doppelt wahrgenommen wird: ein Mal im Selbstbewußtseyn, oder innern Sinn, als Willensakt; und zugleich in der äußern, räumlichen Gehirnanschauung, als Leibesaktion. (Vergl. Welt als Wille und Vorstellung, 3. Aufl. Bd. II, pag. 41.) Die zweite Hypothese ist falsch, erstlich weil, wie oben ausführlich gezeigt, eine bloße Empfindung des Tastsinnes noch gar keine objektive Anschauung, geschweige den Kausalitätsbegriff liefert: nie kann dieser bloß aus dem Gefühl einer verhinderten Leibesanstrengung hervorgehn, die ja auch oft ohne äußere Ursache eintritt; und zweitens, weil unser Drängen gegen einen äußern Gegenstand, da es ein Motiv haben muß, schon die Wahrnehmung desselben, diese aber die Erkenntniß der Kausalität, voraussetzt. – Die Unabhängigkeit des Kausalitätsbegriffes von aller Erfahrung konnte aber gründlich nur dadurch dargethan werden, daß die Abhängigkeit aller Erfahrung, ihrer ganzen Möglichkeit nach, von ihm, nachgewiesen wurde; wie ich Dies im Obigen geleistet habe. Daß Kants in der selben Absicht aufgestellter Beweis falsch ist, werde ich § 23 darthun.
Hier ist auch der Ort darauf aufmerksam zu machen, daß Kant die Vermittelung der empirischen Anschauung durch das uns vor aller Erfahrung bewußte Kausalitätsgesetz entweder nicht eingesehn, oder, weil es zu seinen Absichten nicht paßte, geflissentlich umgangen hat. In der Kritik d. rein. Vern. kommt das Verhältniß der Kausalität zur Anschauung nicht in der Elementarlehre, sondern an einem Orte, wo man es nicht suchen würde, zur Sprache, nämlich im Kapitel von den Paralogismen der reinen Vernunft, und zwar in der Kritik des vierten Paralogismus der transscendentalen Psychologie, in der ersten Auflage allein, S. 367 ff. Schon daß er jener Erörterung diese Stelle angewiesen, zeigt an, daß er, bei Betrachtung jenes Verhältnisses, immer nur den Uebergang von der Erscheinung zum Dinge an sich, nicht aber das Entstehn der Anschauung selbst im Auge gehabt hat. Demgemäß sagt er hier, daß das Daseyn eines wirklichen Gegenstandes außer uns nicht geradezu in der Wahrnehmung gegeben sei, sondern als äußere Ursache derselben hinzugedacht und also geschlossen werden könne. Allein wer Dies thut, ist ihm ein transscendentaler Realist, mithin auf dem Irrwege begriffen. Denn unter dem »äußern Gegenstande« versteht Kant hier schon das Ding an sich. Der transscendentale Idealist hingegen bleibt bei der Wahrnehmung eines empirisch Realen, d. h. im Raume außer uns Vorhandenen, stehn, ohne, um ihr Realität zu geben, erst auf eine Ursache derselben schließen zu müssen. Die Wahrnehmung ist nämlich, bei Kant, etwas ganz Unmittelbares, welches ohne alle Beihülfe des Kausalnexus, und mithin des Verstandes, zu Stande kommt: er identificirt sie geradezu mit der Empfindung. Dies belegt a. a. O. die Stelle S. 371: »Ich habe, in Absicht auf die Wirklichkeit äußerer Gegenstände, eben so wenig nöthig« u. s. w., wie auch, S. 372, diese: »Man kann zwar einräumen, daß« u. s. w. Aus diesen Stellen geht vollkommen deutlich hervor, daß bei ihm die Wahrnehmung äußerer Dinge im Raum aller Anwendung des Kausalgesetzes vorhergängig ist, dieses also nicht in jene, als Element und Bedingung derselben, eingeht: die bloße Sinnesempfindung ist ihm sofort Wahrnehmung. Bloß sofern man nach Dem, was, im transscendentalen Sinne verstanden, außer uns seyn mag, also nach dem Dinge an sich selbst frägt, kommt bei der Anschauung die Kausalität zur Sprache. Kant nimmt ferner das Kausalgesetz als allein in der Reflexion, also in abstrakter, deutlicher Begriffserkenntniß vorhanden und möglich an, hat daher keine Ahndung davon, daß die Anwendung desselben aller Reflexion vorhergeht, was doch offenbar der Fall ist, namentlich bei der empirischen Sinnesanschauung, als welche außerdem nimmermehr zu Stande käme; wie Dies meine obige Analyse derselben unwiderleglich beweist. Daher muß denn Kant das Entstehn der empirischen Anschauung ganz unerklärt lassen: sie ist, bei ihm, wie durch ein Wunder gegeben, bloß Sache der Sinne, fällt also mit der Empfindung zusammen. Ich wünsche sehr, daß der denkende Leser die angeführte Stelle Kants nachsehe, damit ihm einleuchte, wie sehr viel richtiger meine Auffassung des ganzen Zusammenhanges und Herganges ist. Jene äußerst fehlerhafte Kantische Ansicht hat seitdem in der philosophischen Litteratur immer fortbestanden, weil Keiner sich getraute, sie anzutasten, und ich habe hier zuerst aufzuräumen gehabt, welches nöthig war, um Licht in den Mechanismus unsers Erkennens zu bringen.
Uebrigens hat, durch meine Berichtigung der Sache, die von Kant aufgestellte idealistische Grundansicht durchaus nichts verloren; ja, sie hat vielmehr gewonnen; sofern bei mir die Forderung des Kausalgesetzes in der empirischen Anschauung, als ihrem Produkt, aufgeht und erlischt, mithin nicht ferner geltend gemacht werden kann zu einer völlig transscendenten Frage nach dem Ding an sich. Sehn wir nämlich auf meine obige Theorie der empirischen Anschauung zurück; so finden wir, daß das erste Datum zu derselben, die Sinnesempfindung, ein durchaus Subjektives, ein Vorgang innerhalb des Organismus, weil unter der Haut, ist. Daß diese Empfindungen der Sinnesorgane, auch angenommen, daß äußere Ursachen sie anregen, dennoch mit der Beschaffenheit dieser durchaus keine Aehnlichkeit haben können, – der Zucker nicht mit der Süße, die Rose nicht mit der Röthe, – hat schon Locke ausführlich und gründlich dargethan. Allein auch daß sie nur überhaupt eine äußere Ursache haben müssen, beruht auf einem Gesetze, dessen Ursprung nachweislich in uns, in unserm Gehirn liegt, ist folglich zuletzt nicht weniger subjektiv, als die Empfindung selbst. Ja, die Zeit, diese erste Bedingung der Möglichkeit jeder Veränderung, also auch der, auf deren Anlaß die Anwendung des Kausalitätsbegriffs erst eintreten kann; nicht weniger der Raum, welcher das Nach-außen-verlegen einer Ursache, die sich darauf als Objekt darstellt, allererst möglich macht, ist, wie Kant sicher dargethan hat, eine subjektive Form des Intellekts. Wir finden demnach sämmtliche Elemente der empirischen Anschauung in uns liegend und nichts darin enthalten, was auf etwas schlechthin von uns Verschiedenes, ein Ding an sich selbst, sichere Anweisung gäbe. – Aber noch mehr: unter dem Begriff der Materie denken wir Das, was von den Körpern noch übrig bleibt, wenn wir sie von ihrer Form und allen ihren specifischen Qualitäten entkleiden, welches eben deshalb in allen Körpern ganz gleich, Eins und das Selbe seyn muß. Jene von uns aufgehobenen Formen und Qualitäten nun aber sind nichts Anderes, als die besondere und speciell bestimmte Wirkungsart der Körper, welche eben die Verschiedenheit derselben ausmacht. Daher ist, wenn wir davon absehn, das dann noch Uebrigbleibende die bloße Wirksamkeit überhaupt, das reine Wirken als solches, die Kausalität selbst, objektiv gedacht, – also der Widerschein unsers eigenen Verstandes, das nach außen projicirte Bild seiner alleinigen Funktion, und die Materie ist durch und durch lautere Kausalität: ihr Wesen ist das Wirken überhaupt. (Vergl. Welt als W. und V. Bd. 1, § 4, S. 9; u. Bd. 2, S. 48, 49 [3. Aufl., I, 10, u. II, 52, 53.]) Daher eben läßt die reine Materie sich nicht anschauen, sondern bloß denken: sie ist ein zu jeder Realität als ihre Grundlage Hinzugedachtes. Denn reine Kausalität, bloßes Wirken, ohne bestimmte Wirkungsart, kann nicht anschaulich gegeben werden, daher in keiner Erfahrung vorkommen. – Die Materie ist also nur das objektive Korrelat des reinen Verstandes, ist nämlich Kausalität überhaupt und sonst nichts; so wie dieser das unmittelbare Erkennen von Ursache und Wirkung überhaupt und sonst nichts ist. Eben dieserhalb nun wieder kann auf die Materie selbst das Gesetz der Kausalität keine Anwendung finden: d. h. sie kann weder entstehn, noch vergehn, sondern ist und beharrt. Denn da aller Wechsel der Accidenzien (Formen und Qualitäten), d. i. alles Entstehn und Vergehn, nur vermöge der Kausalität eintritt, die Materie aber die reine Kausalität als solche, objektiv aufgefaßt, selbst ist; so kann sie ihre Macht nicht an sich selbst ausüben; wie das Auge Alles, nur nicht sich selbst sehn kann. Da ferner »Substanz« identisch ist mit Materie; so kann man sagen: Substanz ist das Wirken in abstracto aufgefaßt; Accidenz die besondere Art des Wirkens, das Wirken in concreto. – Dies sind nun also die Resultate, zu denen der wahre, d. i. der transscendentale Idealismus leitet. Daß wir zum Dinge an sich selbst, d. i. dem überhaupt auch außer der Vorstellung Existirenden, nicht auf dem Wege der Vorstellung gelangen können, sondern dazu einen ganz andern, durch das Innere der Dinge führenden Weg, der uns gleichsam durch Verrath die Festung öffnet, einschlagen müssen, habe ich durch mein Hauptwerk dargethan. –
Wenn man aber etwan die hier gegebene, ehrliche und tief gründliche Auflösung der empirischen Anschauung in ihre Elemente, welche sich sämmtlich als subjektiv ergeben, vergleichen, oder gar identificiren wollte mit Fichtes algebraischen Gleichungen zwischen Ich und Nicht-Ich, mit seinen sophistischen Scheindemonstrationen, die der Hülle der Unverständlichkeit, ja des Unsinns bedurften, um den Leser zu täuschen, mit den Darlegungen, wie das Ich das Nicht-Ich aus sich selbst herausspinnt, kurz, mit sämmtlichen Possen der Wissenschaftsleere; so würde Dies eine offenbare Schikane und nichts weiter seyn. Gegen alle Gemeinschaft mit diesem Fichte protestire ich, so gut wie Kant öffentlich und ausdrücklich in einer Anzeige ad hoc in der Jena'schen Litteratur-Zeitung dagegen protestirt hat. (Kant: »Erklärung über Fichtes Wissenschaftslehre«, im Intelligenzblatt der Jena'schen Litteratur-Zeitung, 1799, Nr. 109.) Mögen immerhin Hegelianer und ähnliche Ignoranten von einer Kant-Fichte'schen Philosophie reden: es giebt eine Kantische Philosophie und eine Fichte'sche Windbeutelei, – das ist das wahre Sachverhältniß und wird es bleiben, trotz allen Präkonen des Schlechten und Verächtern des Guten, an denen das Deutsche Vaterland reicher ist, als irgend ein anderes.
Die Sinnesempfindungen des Leibes also sind es, welche die Data zur allerersten Anwendung des Kausalgesetzes abgeben, aus welcher eben dadurch die Anschauung dieser Klasse von Objekten entsteht, die folglich ihr Wesen und Daseyn nur vermöge und in der Ausübung der also eingetretenen Verstandesfunktion hat.«
Insofern nun der organische Leib der Ausgangspunkt für die Anschauung aller andern Objekte, also das diese Vermittelnde ist, hatte ich ihn, in der ersten Auflage dieser Abhandlung, das unmittelbare Objekt genannt; welcher Ausdruck jedoch nur in sehr uneigentlichem Verstande gelten kann. Denn, obwohl die Wahrnehmung seiner Empfindungen eine schlechthin unmittelbare ist; so stellt doch er selbst sich dadurch noch gar nicht als Objekt dar; sondern soweit bleibt Alles noch subjektiv, nämlich Empfindung. Von dieser geht die Anschauung der übrigen Objekte, als Ursachen solcher Empfindungen, allerdings aus, worauf jene sich als Objekte darstellen; nicht aber er selbst: denn er liefert hiebei dem Bewußtseyn bloße Empfindungen. Objektiv, also als Objekt, wird auch er allein mittelbar erkannt, indem er, gleich allen andern Objekten, sich im Verstande, oder Gehirn (welches Eins ist), als erkannte Ursache subjektiv gegebener Wirkung und eben dadurch objektiv darstellt; welches nur dadurch geschehn kann, daß seine Theile auf seine eigenen Sinne wirken, also das Auge den Leib sieht, die Hand ihn betastet, u. s. f., als auf welche Data das Gehirn, oder Verstand, auch ihn, gleich andern Objekten, seiner Gestalt und Beschaffenheit nach, räumlich konstruirt. – Die unmittelbare Gegenwart der Vorstellungen dieser Klasse im Bewußtseyn hängt demnach ab von der Stellung, welche sie, in der Alles verbindenden Verkettung der Ursachen und Wirkungen, zu dem jedesmaligen Leibe des Alles erkennenden Subjekts erhalten.
Die Darlegung der Allgemeingültigkeit des Gesetzes der Kausalität für alle Erfahrung, seiner Apriorität und seiner eben aus dieser folgenden Beschränkung auf die Möglichkeit der Erfahrung ist ein Hauptgegenstand der Kritik der reinen Vernunft. Jedoch kann ich dem daselbst gegebenen Beweis der Apriorität des Satzes nicht beistimmen. Er ist im Wesentlichen folgender: »Die zu aller empirischen Kenntniß nöthige Synthesis des Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft giebt Succession, aber noch keine bestimmte: d. h. sie läßt unbestimmt, welcher von zwei wahrgenommenen Zuständen, nicht nur in meiner Einbildungskraft, sondern im Objekt, vorausgehe. Bestimmte Ordnung aber dieser Succession, durch welche allein das Wahrgenommene Erfahrung wird, d. h. zu objektiv gültigen Urtheilen berechtigt, kommt erst hinein durch den reinen Verstandesbegriff von Ursache und Wirkung. Also ist der Grundsatz des Kausalverhältnisses Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung, und als solche uns a priori gegeben.« (Siehe Krit. d. rein. Vern., 1. Aufl., S. 201; 5. Aufl., S. 246.)
Danach also soll die Ordnung der Succession der Veränderungen realer Objekte allererst vermittelst der Kausalität derselben für eine objektive erkannt werden. Kant wiederholt und erläutert diese Behauptung, in der Kritik der reinen Vernunft, besonders in seiner »zweiten Analogie der Erfahrung« (1. Aufl., S. 189; vollständiger in der 5. Aufl., S. 232), sodann am Schlusse seiner »dritten Analogie«, welche Stellen ich Jeden, der das Folgende verstehn will, nachzulesen bitte. Er behauptet hier überall, daß die Objektivität der Succession der Vorstellungen, welche er als ihre Uebereinstimmung mit der Succession realer Objekte erklärt, lediglich erkannt werde durch die Regel, nach der sie einander folgen, d. h. durch das Gesetz der Kausalität; daß also durch meine bloße Wahrnehmung das objektive Verhältniß auf einander folgender Erscheinungen völlig unbestimmt bleibe, indem ich alsdann bloß die Folge meiner Vorstellungen wahrnehme, die Folge in meiner Apprehension aber zu keinem Urtheil über die Folge im Objekt berechtigt, wenn mein Urtheil sich nicht auf das Gesetz der Kausalität stützt; indem ich außerdem, in meiner Apprehension, die Succession der Wahrnehmungen auch in ganz umgekehrter Ordnung könnte gehn lassen, da nichts ist, was sie als objektiv bestimmt. Zur Erläuterung dieser Behauptung führt er das Beispiel eines Hauses an, dessen Theile er in jeder beliebigen Succession, z. B. von oben nach unten, und von unten nach oben betrachten kann, wo also die Bestimmung der Succession bloß subjektiv wäre und in keinem Objekt begründet, weil sie von seiner Willkür abhängt. Und als Gegensatz stellt er die Wahrnehmung eines den Strohm herabfahrenden Schiffes auf, das er zuerst oberhalb und successive immer mehr unterhalb des Laufs des Strohms wahrnimmt, welche Wahrnehmung der Succession der Stellen des Schiffs er nicht ändern kann: daher er hier die subjektive Folge seiner Apprehension ableitet von der objektiven Folge in der Erscheinung, die er deshalb eine Begebenheit nennt. Ich behaupte dagegen, daß beide Fälle gar nicht unterschieden sind, daß beides Begebenheiten sind, deren Erkenntniß objektiv ist, d. h. eine Erkenntniß von Veränderungen realer Objekte, die als solche vom Subjekt erkannt werden. Beides sind Veränderungen der Lage zweier Körper gegen einander. Im ersten Fall ist einer dieser Körper der eigene Leib des Betrachters und zwar nur ein Theil desselben, nämlich das Auge, und der andere ist das Haus, gegen dessen Theile die Lage des Auges successive geändert wird. Im zweiten Fall ändert das Schiff seine Lage gegen den Strohm, also ist die Veränderung zwischen zwei Körpern. Beides sind Begebenheiten: der einzige Unterschied ist, daß im ersten Fall die Veränderung ausgeht vom eigenen Leibe des Beobachters, dessen Empfindungen zwar der Ausgangspunkt aller Wahrnehmungen desselben sind, der jedoch nichtsdestoweniger ein Objekt unter Objekten, mithin den Gesetzen dieser objektiven Körperwelt unterworfen ist. Die Bewegung seines Leibes nach seinem Willen ist für ihn, sofern er sich rein erkennend verhält, bloß eine empirisch wahrgenommene Thatsache. Die Ordnung der Succession der Veränderung könnte so gut im zweiten, wie im ersten Fall, umgekehrt werden, sobald nur der Betrachter eben so wohl die Kraft hätte, das Schiff strohmaufwärts zu ziehn, wie die, sein Auge in einer der ersten entgegengesetzten Richtung zu bewegen. Denn daraus, daß die Succession der Wahrnehmungen der Theile des Hauses von seiner Willkür abhängt, will Kant abnehmen, daß sie keine objektive und keine Begebenheit sei. Aber das Bewegen seines Auges in der Richtung vom Dach zum Keller ist eine Begebenheit und die entgegengesetzte vom Keller zum Dach eine zweite, so gut wie das Fahren des Schiffs. Es ist hier gar kein Unterschied; so wie, in Hinsicht auf das Begebenheitseyn oder nicht, kein Unterschied ist, ob ich an einer Reihe Soldaten vorbeigehe, oder diese an mir: beides sind Begebenheiten. Fixire ich, vom Ufer aus, den Blick auf ein diesem nahe vorbeifahrendes Schiff; so wird es mir bald scheinen, daß das Ufer mit mir sich bewege und das Schiff stillestehe: hiebei bin ich nun zwar in der Ursache der relativen Ortsveränderung irre, da ich die Bewegung einem falschen Objekte zuschreibe: aber die reale Succession der relativen Stellungen meines Leibes zum Schiff erkenne ich dennoch objektiv und richtig. Kant würde auch, in dem von ihm aufgestellten Fall, nicht geglaubt haben, einen Unterschied zu finden, hätte er bedacht, daß sein Leib ein Objekt unter Objekten ist und daß die Succession seiner empirischen Anschauungen abhängt von der Succession der Einwirkungen anderer Objekte auf seinen Leib, folglich eine objektive ist, d. h. unter Objekten, unmittelbar (wenn auch nicht mittelbar) unabhängig von der Willkür des Subjekts, Statt hat, folglich sehr wohl erkannt werden kann, ohne daß die successive auf seinen Leib einwirkenden Objekte in einer Kausalverbindung unter einander stehn.
Kant sagt: die Zeit kann nicht wahrgenommen werden: also empirisch läßt sich keine Succession von Vorstellungen als objektiv wahrnehmen, d. h. als Veränderungen der Erscheinungen unterscheiden von den Veränderungen bloß subjektiver Vorstellungen. Nur durch das Gesetz der Kausalität, welches eine Regel ist, nach der Zustände einander folgen, läßt sich die Objektivität einer Veränderung erkennen. Und das Resultat seiner Behauptung würde seyn, daß wir gar keine Folge in der Zeit als objektiv wahrnehmen, ausgenommen die von Ursache und Wirkung, und daß jede andere von uns wahrgenommene Folge von Erscheinungen bloß durch unsere Willkür so und nicht anders bestimmt sei. Ich muß gegen alles Dieses anführen, daß Erscheinungen sehr wohl auf einander folgen können, ohne aus einander zu erfolgen. Und Dies thut dem Gesetz der Kausalität keinen Abbruch. Denn es bleibt gewiß, daß jede Veränderung Wirkung einer andern ist, da Dies a priori fest steht: nur folgt sie nicht bloß auf die einzige, die ihre Ursache ist, sondern auf alle andern, die mit jener Ursache zugleich sind und mit denen sie in keiner Kausalverbindung steht. Sie wird nicht gerade in der Folge der Reihe der Ursachen von mir wahrgenommen, sondern in einer ganz andern, die aber deshalb nicht minder objektiv ist und von einer subjektiven, von meiner Willkür abhängigen, dergleichen z. B. die meiner Phantasmen ist, sich sehr unterscheidet. Das Aufeinanderfolgen in der Zeit von Begebenheiten, die nicht in Kausalverbindung stehn, ist eben was man Zufall nennt, welches Wort vom Zusammentreffen, Zusammenfallen, des nicht Verknüpften herkommt: eben so το συμβεβηκος von συμβαινειν. (Vergl. Arist. Anal. post. I. 4.) Ich trete vor die Hausthür, und darauf fällt ein Ziegel vom Dach, der mich trifft; so ist zwischen dem Fallen des Ziegels und meinem Heraustreten keine Kausalverbindung, aber dennoch die Succession, daß mein Heraustreten dem Fallen des Ziegels vorhergieng, in meiner Apprehension objektiv bestimmt und nicht subjektiv durch meine Willkür, die sonst wohl die Succession umgekehrt haben würde. Eben so ist die Succession der Töne einer Musik objektiv bestimmt und nicht subjektiv durch mich, den Zuhörer: aber wer wird sagen, daß die Töne der Musik nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung auf einander folgen? Ja sogar die Succession von Tag und Nacht wird ohne Zweifel objektiv von uns erkannt, aber gewiß werden sie nicht als Ursache und Wirkung von einander aufgefaßt, und über ihre gemeinschaftliche Ursache war die Welt bis auf Kopernikus im Irrthum, ohne daß die richtige Erkenntniß ihrer Succession darunter zu leiden gehabt hätte. Hiedurch wird, beiläufig gesagt, auch Hume's Hypothese widerlegt; da die älteste und ausnahmsloseste Folge von Tag und Nacht doch nicht, vermöge der Gewohnheit, irgend Einen verleitet hat, sie für Ursache und Wirkung von einander zu halten.
Kant sagt a. a. O., daß eine Vorstellung nur dadurch objektive Realität zeige (das heißt doch wohl von bloßen Phantasmen unterschieden werde), daß wir ihre nothwendige und einer Regel (dem Kausalgesetz) unterworfene Verbindung mit andern Vorstellungen und ihre Stelle in einer bestimmten Ordnung des Zeitverhältnisses unserer Vorstellungen erkennen. Aber von wie wenigen Vorstellungen erkennen wir die Stelle, die ihnen das Kausalgesetz in der Reihe der Ursachen und Wirkungen giebt! und doch wissen wir immer die objektiven von den subjektiven, reale Objekte von Phantasmen zu unterscheiden. Im Schlafe, als in welchem das Gehirn vom peripherischen Nervensystem und dadurch von äußern Eindrücken isolirt ist, können wir jene Unterscheidung nicht machen, daher wir, während wir träumen, Phantasmen für reale Objekte halten und erst beim Erwachen, d. h. dem Wiedereintritt der sensibeln Nerven und dadurch der Außenwelt ins Bewußtseyn, den Irrthum erkennen, obgleich auch im Traum, so lange er nicht abbricht, das Gesetz der Kausalität sein Recht behauptet, nur daß ihm oft ein unmöglicher Stoff untergeschoben wird. Fast möchte man glauben, daß Kant, bei obiger Stelle, unter Leibnitzens Einfluß gestanden hat, so sehr er auch sonst diesem, in seiner ganzen Philosophie, entgegengesetzt ist; wenn man nämlich beachtet, daß ganz ähnliche Aeußerungen sich in Leibnitzens Nouveaux essais sur l’entendement (Liv. IV, ch. 2, § 14) finden, z. B. la vérité des choses sensibles ne consiste que dans la liaison des phénomènes, qui doit avoir sa raison, et c’est ce qui les distingue des songes. – – – – Le vrai Critérion, en matière des objets des sens, est la liaison des phénomènes, qui garantit les vérités de fait, à l'égard des choses sensibles hors de nous.
Bei diesem ganzen Beweise der Apriorität und Nothwendigkeit des Kausalitätsgesetzes, daraus, daß wir nur durch dessen Vermittelung die objektive Succession der Veränderungen erkennten und es insofern Bedingung der Erfahrung wäre, ist Kant offenbar in einen höchst wunderlichen und so palpabeln Irrthum gerathen, daß derselbe nur zu erklären ist als eine Folge seiner Vertiefung in den apriorischen Theil unserer Erkenntniß, welche ihn aus den Augen verlieren ließ was sonst Jeder hätte sehn müssen. Den allein richtigen Beweis der Apriorität des Kausalitätsgesetzes habe ich § 21 gegeben. Bestätigt wird dieselbe jeden Augenblick durch die unerschütterliche Gewißheit, mit der Jeder in allen Fällen von der Erfahrung erwartet, daß sie diesem Gesetze gemäß ausfalle, d. h. durch die Apodikticität, die wir selbigem beilegen, die sich von jeder andern auf Induktion gegründeten Gewißheit, z. B. der empirisch erkannter Naturgesetze, dadurch unterscheidet, daß es uns sogar zu denken unmöglich ist, daß dieses Gesetz irgendwo in der Erfahrungswelt eine Ausnahme leide. Wir können uns z. B. denken, daß das Gesetz der Gravitation ein Mal aufhörte zu wirken, nicht aber daß dieses ohne eine Ursache geschähe.
Kant in seinem Beweise ist in den, dem des Hume entgegengesetzten Fehler gerathen. Dieser nämlich erklärte alles Erfolgen für bloßes Folgen: Kant hingegen will, daß es kein anderes Folgen gebe, als das Erfolgen. Der reine Verstand freilich kann allein das Erfolgen begreifen, das bloße Folgen aber so wenig wie den Unterschied zwischen rechts und links, welcher nämlich, eben wie das Folgen, bloß durch die reine Sinnlichkeit zu erfassen ist. Die Folge der Begebenheiten in der Zeit kann allerdings (was Kant a. a. O. leugnet) empirisch erkannt werden, so gut wie das Nebeneinanderseyn der Dinge im Raum. Die Art aber, wie etwas auf ein Anderes in der Zeit überhaupt folge, ist so wenig zu erklären, als die Art, wie etwas aus einem Andern erfolge: jene Erkenntniß ist durch die reine Sinnlichkeit, diese durch den reinen Verstand gegeben und bedingt. Kant aber, indem er objektive Folge der Erscheinungen für bloß durch den Leitfaden der Kausalität erkennbar erklärt, verfällt in den selben Fehler, den er (Kr. d. r. V., 1. Aufl., S. 275; 5. Aufl., S. 331) dem Leibnitz vorwirft, »daß er die Formen der Sinnlichkeit intellektuire.« – Ueber die Succession ist meine Ansicht diese. Aus der zur reinen Sinnlichkeit gehörigen Form der Zeit schöpfen wir die Kenntniß der bloßen Möglichkeit der Succession. Die Succession der realen Objekte, deren Form eben die Zeit ist, erkennen wir empirisch und folglich als wirklich. Die Nothwendigkeit aber einer Succession zweier Zustände, d. h. einer Veränderung, erkennen wir bloß durch den Verstand, mittelst der Kausalität: und daß wir den Begriff von Nothwendigkeit einer Succession haben, ist sogar schon ein Beweis davon, daß das Gesetz der Kausalität kein empirisch erkanntes, sondern ein uns a priori gegebenes ist. Der Satz vom zureichenden Grund überhaupt ist Ausdruck der im Innersten unsers Erkenntnißvermögens liegenden Grundform einer nothwendigen Verbindung aller unserer Objekte, d. h. Vorstellungen: er ist die gemeinsame Form aller Vorstellungen und der alleinige Ursprung des Begriffes der Nothwendigkeit, als welcher schlechterdings keinen andern wahren Inhalt, noch Beleg, hat, als den des Eintritts der Folge, wenn ihr Grund gesetzt ist. Daß in der Klasse von Vorstellungen, die wir jetzt betrachten, wo jener Satz als Gesetz der Kausalität auftritt, derselbe die Zeitfolge bestimmt, kommt daher, daß die Zeit die Form dieser Vorstellungen ist, daher denn die nothwendige Verbindung hier als Regel der Succession erscheint. In andern Gestalten des Satzes vom zureichenden Grunde wird uns die nothwendige Verbindung, die er überall heischt, in ganz andern Formen, als die Zeit, und folglich nicht als Succession erscheinen, aber immer den Charakter einer nothwendigen Verbindung beibehalten, wodurch sich die Identität des Satzes vom zureichenden Grunde in allen seinen Gestalten, oder vielmehr die Einheit der Wurzel aller Gesetze, deren Ausdruck jener Satz ist, offenbart.
Wäre die angefochtene Behauptung Kants richtig, so würden wir die Wirklichkeit der Succession bloß aus ihrer Nothwendigkeit erkennen: dieses würde aber einen alle Reihen von Ursachen und Wirkungen zugleich umfassenden, folglich allwissenden Verstand voraussetzen. Kant hat dem Verstand das Unmögliche aufgelegt, bloß um der Sinnlichkeit weniger zu bedürfen.
Wie läßt sich Kants Behauptung, daß Objektivität der Succession allein erkannt werde aus der Nothwendigkeit der Folge von Wirkung auf Ursache, vereinigen mit jener (Kr. d. rein. V., 1. Aufl., S. 203; 5. Aufl., S. 249), daß das empirische Kriterium, welcher von zwei Zuständen Ursache und welcher Wirkung sei, bloß die Succession sei? Wer sieht hier nicht den offenbarsten Cirkel?
Würde Objektivität der Succession bloß erkannt aus der Kausalität, so wäre sie nur als solche denkbar und wäre eben nichts als diese. Denn wäre sie noch etwas Anderes, so hätte sie auch andere unterscheidende Merkmale, an denen sie erkannt werden könnte, was eben Kant leugnet. Folglich könnte man, wenn Kant Recht hätte, nicht sagen: »Dieser Zustand ist Wirkung jenes, daher folgt er ihm.« Sondern Folgen und Wirkungseyn wäre Eins und das Selbe und jener Satz tautologisch. Auch erhielte nach also aufgehobenem Unterschied von Folgen und Erfolgen Hume wieder Recht, der alles Erfolgen für bloßes Folgen erklärte, also ebenfalls jenen Unterschied leugnete.
Kants Beweis wäre also dahin einzuschränken, daß wir empirisch bloß Wirklichkeit der Succession erkennen: da wir aber außerdem auch Nothwendigkeit der Succession in gewissen Reihen der Begebenheiten erkennen und sogar vor aller Erfahrung wissen, daß jede mögliche Begebenheit in irgend einer dieser Reihen eine bestimmte Stelle haben müsse; so folgt schon hieraus die Realität und Apriorität des Gesetzes der Kausalität, für welche Letztere der oben § 21 gegebene Beweis der allein richtige ist.
Mit Kants Lehre, daß objektive Succession nur möglich und erkennbar sei durch Kausalverknüpfung, geht eine andere parallel, daß nämlich Zugleichseyn nur möglich und erkennbar sei durch Wechselwirkung; dargelegt in der Krit. d. r. V. unter dem Titel »Dritte Analogie der Erfahrung.« Kant geht hierin so weit, zu sagen: »daß das Zugleichseyn von Erscheinungen, die nicht wechselseitig auf einander wirkten, sondern etwan durch einen leeren Raum getrennt würden, kein Gegenstand einer möglichen Wahrnehmung seyn würde« (Das wäre ein Beweis a priori, daß zwischen den Fixsternen kein leerer Raum sei): und »daß das Licht, das zwischen unserm Auge und den Weltkörpern spiele« (welcher Ausdruck den Begriff unterschiebt, als wirke nicht nur das Licht der Sterne auf unser Auge, sondern auch dieses auf jene), »eine Gemeinschaft zwischen uns und diesen bewirke und so das Zugleichseyn der letztem beweise.« Dies Letztere ist sogar empirisch falsch; da der Anblick eines Fixsterns keineswegs beweist, daß er jetzt mit dem Beschauer zugleich sei; sondern höchstens, daß er vor einigen Jahren, oft nur, daß er vor Jahrtausenden dagewesen. Uebrigens steht und fällt diese Lehre Kants mit jener ersteren, nur ist sie viel leichter zu durchschauen: zudem ist von der Nichtigkeit des ganzen Begriffes der Wechselwirkung schon oben § 20 geredet worden.
Mit dieser Bestreitung des in Rede stehenden Kantischen Beweises kann man beliebig zwei frühere Angriffe auf denselben vergleichen, nämlich den von Feder, in seinem Buche »über Raum und Kausalität«, § 29, und den von G. E. Schulze, in seiner Kritik der theoretischen Philosophie, Bd. 2, S. 422 fg.
Nicht ohne große Scheu habe ich es (1813) gewagt, Einwendungen vorzubringen gegen eine hauptsächliche, als erwiesen geltende und noch in den neuesten Schriften (z. B. Fries, Krit. der Vernunft, Bd. 2, S. 85) wiederholte Lehre jenes Mannes, dessen Tiefsinn ich bewundernd verehre und dem ich so Vieles und Großes verdanke, daß sein Geist in Homer's Worten zu mir sagen kann:
Αχλυν δ'αυ τοι απ' οφθαλμων ἑλον, ἡ πριν επηεν.
Unserer bisherigen Auseinandersetzung zufolge begeht man einen solchen, so oft man das Gesetz der Kausalität auf etwas Anderes, als auf Veränderungen, in der uns empirisch gegebenen, materiellen Welt anwendet, z. B. auf die Naturkräfte, vermöge welcher solche Veränderungen überhaupt erst möglich sind; oder auf die Materie, an der sie vorgehn; oder auf das Weltganze, als welchem dazu ein absolut objektives, nicht durch unsern Intellekt bedingtes Daseyn beigelegt werden muß; auch noch sonst auf mancherlei Weise. Ich verweise hier auf das in der »Welt als W. u. V.« Bd. 2, Kap. 4, S. 42 fg. [3. Aufl., II, 46 fg.] darüber Gesagte. Der Ursprung solches Mißbrauchs ist allemal, theils, daß man den Begriff der Ursache, wie unzählige andere in der Metaphysik und Moral, viel zu weit faßt; theils, daß man vergißt, daß das Gesetz der Kausalität zwar eine Voraussetzung ist, die wir mit auf die Welt bringen, und welche die Anschauung der Dinge außer uns möglich macht, daß wir jedoch eben deshalb nicht berechtigt sind, einen solchen, aus der Vorrichtung unsers Erkenntnißvermögens entspringenden Grundsatz auch außerdem und unabhängig von Letzterem als die für sich bestehende ewige Ordnung der Welt und alles Existirenden geltend zu machen.
Da der Satz vom zureichenden Grunde des Werdens nur bei Veränderungen Anwendung findet, darf hier nicht unerwähnt bleiben, daß schon die alten Philosophen die Frage aufgeworfen haben, in welcher Zeit die Veränderung vorgehe? sie könne nämlich nicht Statt haben, während der frühere Zustand noch dasei, und auch nicht nachdem schon der neue eingetreten: geben wir ihr aber eine eigene Zeit zwischen beiden; so müßte, während dieser, der Körper weder im ersten, noch im zweiten Zustande, z. B. ein Sterbender weder todt, noch lebendig, ein Körper weder ruhend, noch bewegt seyn; welches absurd wäre. Die Bedenklichkeiten und Spitzfindigkeiten hierüber findet man zusammengestellt im Sextus Empirikus, adv. Mathem, lib. IX, 267-271, et Hypot. III, c. 14, auch etwas davon im Gellius, L. VI, c. 13. – Plato hatte diesen schwierigen Punkt ziemlich cavalièrement abgefertigt, indem er, im Parmenides (S. 138 Bip. ), eben behauptet, die Veränderung geschehe plötzlich und fülle gar keine Zeit; sie sei im εξαιφνης ( in repentino), welches er eine ατοπος φυσις, εν χρονῳ ουδεν ουσα, also ein wunderliches, zeitloses Wesen (das denn doch in der Zeit eintritt) nennt.
Dem Scharfsinn des Aristoteles ist es demnach vorbehalten geblieben, diese schwierige Sache ins Reine zu bringen; welches er gründlich und ausführlich geleistet hat, im 6. Buch der Physik, Kap. 1-8. Sein Beweis, daß keine Veränderung plötzlich (dem εξαιφνης des Plato), sondern jede nur allmälig geschehe, mithin eine gewisse Zeit ausfülle, ist gänzlich auf Grundlage der reinen Anschauung a priori der Zeit und des Raums geführt, aber auch sehr subtil ausgefallen. Das Wesentliche dieser sehr langen Beweisführung ließe sich allenfalls auf folgende Sätze zurückführen. An einander gränzen heißt die gegenseitigen äußersten Enden gemeinschaftlich haben: folglich können nur zwei Ausgedehnte, nicht zwei Untheilbare, (da sie sonst Eins wären) an einander gränzen; folglich nur Linien, nicht bloße Punkte. Dies wird nun vom Raum auf die Zeit übertragen. Wie zwischen zwei Punkten immer noch eine Linie, so ist zwischen zwei Jetzt immer noch eine Zeit. Diese nun ist die Zeit der Veränderung; wenn nämlich im ersten Jetzt ein Zustand und im zweiten ein anderer ist. Sie ist, wie jede Zeit, ins Unendliche theilbar: folglich durchgeht in ihr das sich Verändernde unendlich viele Grade, durch die aus jenem ersten Zustande der zweite allmälig erwächst. – Gemeinverständlich ließe sich die Sache so erläutern: Zwischen zwei successiven Zuständen, deren Verschiedenheit in unsere Sinne fällt, liegen immer noch mehrere, deren Verschiedenheit uns nicht wahrnehmbar ist; weil der neu eintretende Zustand einen gewissen Grad, oder Größe, erlangt haben muß, um sinnlich wahrnehmbar zu seyn. Daher gehn demselben schwächere Grade, oder geringere Ausdehnungen, vorher, welche durchlaufend er allmälig erwächst. Diese zusammengenommen begreift man unter dem Namen der Veränderung, und die Zeit, welche sie ausfüllen, ist die Zeit der Veränderung. Wenden wir dies an auf einen Körper, der gestoßen wird; so ist die nächste Wirkung eine gewisse Schwingung seiner innern Theile, welche, nachdem durch sie der Impuls sich fortgepflanzt hat, in äußere Bewegung ausbricht. – Aristoteles schließt ganz richtig, aus der unendlichen Theilbarkeit der Zeit, daß alles diese Ausfüllende, folglich auch jede Veränderung, d. i. Uebergang aus einem Zustand in den andern, ebenfalls unendlich theilbar seyn muß, daß also Alles, was entsteht, in der That aus unendlichen Theilen zusammenkommt, mithin stets allmälig, nie plötzlich wird. Aus den obigen Grundsätzen und aus dem daraus folgenden allmäligen Entstehn jeder Bewegung zieht er im letzten Kapitel dieses Buches die wichtige Folgerung, daß nichts Untheilbares, folglich kein bloßer Punkt, sich bewegen könne. Dazu stimmt sehr schön Kants Erklärung der Materie, daß sie sei »das Bewegliche im Raum.«
Dieses also zuerst vom Aristoteles aufgestellte und bewiesene Gesetz der Kontinuität und Allmäligkeit aller Veränderungen finden wir von Kant drei Mal dargelegt: nämlich in seiner Dissertatio de mundi sensibilis et intelligibilis forma § 14; in der Kritik der reinen Vernunft, 1. Aufl., S. 207 und 5. Aufl., S. 253; endlich in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft, am Schluß der »Allgemeinen Anmerkung zur Mechanik.« An allen drei Stellen ist seine Darstellung der Sache kurz, aber auch nicht so gründlich, wie die des Aristoteles, mit der sie dennoch im Wesentlichen ganz übereinstimmt; daher nicht wohl zu zweifeln ist, daß Kant diese Gedanken direkt, oder indirekt, vom Aristoteles überkommen habe; obwohl er ihn nirgends nennt. Der Satz des Aristoteles ουκ εστι αλληλων εχομενα τα νυν findet sich darin wiedergegeben mit »zwischen zwei Augenblicken ist immer eine Zeit«; gegen welchen Ausdruck sich einwenden läßt: »Sogar zwischen zwei Jahrhunderten ist keine; weil es in der Zeit, wie im Raum, eine reine Gränze geben muß.« – Statt also des Aristoteles zu erwähnen, will Kant, in der ersten und ältesten der angeführten Darstellungen, jene von ihm vorgetragene Lehre identificiren mit der lex continuitatis des Leibnitz. Wäre diese mit jener wirklich das Selbe, so hätte Leibnitz die Sache vom Aristoteles. Nun hat Leibnitz diese loi de la continuité (nach seiner eigenen Aussage, S. 189 der opera philos. ed. Erdmann) zuerst aufgestellt in einem Briefe an Bayle ( ibid. S. 104), wo er es jedoch principe de l'ordre général nennt und unter diesem Namen ein sehr allgemeines und unbestimmtes, vorzüglich geometrisches Räsonnement giebt, welches auf die Zeit der Veränderung, die er gar nicht erwähnt, keine direkte Beziehung hat.