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Garten im Hause des Herrn von Sala. Links das weiße ebenerdige Haus, mit breiter Terrasse, von der sechs Steinstufen in den Garten herabführen. Von der Terrasse führt eine breite Glastüre in den Salon. Im Vordergrund ein kleiner Teich, im Halbkreis herum eine kleine Baumanlage. Eine Allee läuft von hier aus schief nach rechts bin. Am Beginn dieser Allee, dem Teich nahe, zwei Säulen. Auf diesen Säulen die Marmorbüsten von zwei römischen Kaisern. Eine steinerne Bank mit Lehne halbkreisförmig, rechts vom Teich, unter Bäumen. Rückwärts schimmert das Gitter durch das dünn gewordene Gesträuch. Hinter dem Gitter Wald, rötlich belaubt, mäßig ansteigend. Blaßblauer Herbsthimmel. Stille. – Die Szene einige Augenblicke leer.
Von der Terrasse aus treten auf Sala und Johanna. Johanna schwarz gekleidet, Sala in grauem Anzug, dunklen Überzieher um die Schulter geworfen. – Sie gehen langsam die Treppe hinab.
Sala. Es wird dir ein wenig kühl sein. Er macht ein paar Schritte ins Zimmer zurück, nimmt ein Cape, das dort bereit lag, legt es Johanna um die Schultern. Sie kommen allmählich in den Garten herab.
Johanna. Weißt du, was ich mir einbilde? . . . Daß dieser Tag heute unser Tag ist – uns gehört, uns ganz allein. Wir haben ihn gerufen, und wenn wir wollten, könnten wir ihn halten . . . Die andern Menschen wohnen heute nur wie zu Gast in der Welt. Nicht wahr? . . . Es kommt wohl daher, daß du einmal von diesem Tag gesprochen hast.
Sala. Von diesem –?
Johanna. Ja . . . als die Mutter noch lebte . . . Und nun ist er wirklich da. Die Blätter sind rot, der goldene Dunst liegt über den Wäldern, der Himmel ist blaß und fern, – und der Tag ist noch viel schöner und trauriger, als ich ihn je hätte ahnen können. Und ich erlebe ihn in deinem Garten und spiegle mich in deinem Teich. Sie steht dort und blickt hinab. Und doch werden wir ihn so wenig halten können, diesen goldenen Tag, als das Wasser hier mein Bild behalten wird, wenn ich gehe.
Sala. Sonderbar, in dieser klaren, lauen Luft weht doch schon eine Ahnung von Winter und Schnee.
Johanna. Was kümmert's dich? Wenn diese Ahnung hier Wahrheit wird, bist du längst in einem andern Frühling.
Sala. Wie meinst du das?
Johanna. Nun, dort wo ihr hingeht, gibt's doch wohl keinen Winter wie bei uns.
Sala nachdenklich. Nein, keinen Winter wie bei uns. Pause. Und du?
Johanna. Ich –?
Sala. Ich meine, wenn ich nun fort bin, was wirst du tun?
Johanna. Wenn du fort bist –? Sie betrachtet ihn. Er schaut in die Ferne. Warst du nicht lange fort von mir? Und bist du's nicht am Ende auch in diesem Augenblick?
Sala. Was sprichst du denn da? Ich bin bei dir . . . Was wirst du tun, Johanna?
Johanna. Ich habe dir's ja schon gesagt: Fortgehen – wie du.
Sala schüttelt den Kopf.
Johanna. So bald als möglich. Jetzt hab' ich noch den Mut dazu. Wer weiß, was später aus mir wird, wenn ich hierbleibe.
Sala. Solang man jung ist, stehen alle Türen offen, und vor jeder Türe fängt die Welt an.
Johanna. Aber erst, wenn man an niemandem hängt, ist die Welt weit und der Himmel unendlich. Und darum will ich fort.
Sala. Fort – das sagt sich so leicht. Dazu braucht es doch Vorbereitungen aller Art und irgend einen Plan. Du sprichst aber dieses Wort aus, als wenn du dir nur Flügel anzulegen brauchtest, um in die Ferne zu fliegen.
Johanna. Entschlossen sein – heißt auch Flügel haben.
Sala. Hast du gar keine Angst, Johanna?
Johanna. Eine Sehnsucht ohne Angst, das wäre eine wohlfeile Sehnsucht, der man gar nicht wert wäre.
Sala. Wohin wird sie dich führen?
Johanna. Ich werde meinen Weg finden.
Sala. Man kann sich den Weg wählen, aber nicht die Menschen, denen man begegnet.
Johanna. Denkst du, ich weiß nicht, daß es mir nicht bestimmt sein kann, nur Schönes zu erleben? Auch Häßliches, auch Gemeines steht mir bevor.
Sala. Und wie wirst du es tragen? . . . Wirst du es ertragen können?
Johanna. Ich werde ja nicht immer wahr sein wie zu dir. Ich werde lügen, – und ich freu' mich darauf. Ich werde nicht immer froh sein und nicht immer klug. Ich werde irren und leiden. So muß es wohl sein.
Sala. Du weißt das alles im voraus, und doch . . .
Johanna. Ja.
Sala. Und warum? . . . Warum gehst du fort, Johanna?
Johanna. Warum ich fortgehe? . . . Ich will später einmal vor mir selbst erschauern müssen. So tief erschauern, wie man es nur kann, wenn einem nichts fremd geblieben ist. So wie es dir geschehen muß, wenn du auf dein Leben zurückblickst. Nicht wahr?
Sala. Manchmal wohl. Aber gerade in solchen Augenblicken des Schauerns liegt eigentlich nichts hinter mir zurück, – alles ist wieder gegenwärtig. Und das Gegenwärtige ist vergangen. Er sitzt auf der Bank.
Johanna. Wie meinst du das?
Sala die Hand vor den Augen, schweigt.
Johanna. Was ist dir? Wo bist du?
Leiser Wind, Blätterrauschen und -fallen.
Sala. Ich bin ein Kind und reite auf dem Ponny übers Feld. Mein Vater ist hinter mir her und ruft. Dort am Fenster wartet meine Mutter; sie hat einen grauen Seidenshawl ums dunkle Haar und winkt mir zu . . . Und ich bin ein junger Leutnant auf Manöver und steh' auf einem Hügel und melde meinem Obersten, daß hinter dem Gehölz die feindlichen Jäger lauern, bereit, hervorzubrechen, und unten in der Mittagssonne seh' ich Bajonette und Knöpfe leuchten . . . Und ich liege einsam im treibenden Kahn und schau' in die dunkelblaue Sommerluft, und unbegreiflich schöne Worte reihen sich mir aneinander, – so schön, wie ich sie niemals habe niederschreiben können . . . Und ich ruhe auf einer Bank in dem schwülen Park am See von Lugano, und Helene sitzt neben mir; sie hat ein Buch mit rotem Umschlag in der Hand; drüben unter dem Magnoliabaum spielt Lilli mit dem blonden englischen Buben, und ich höre, wie sie plaudern und lachen . . . Und ich spaziere mit Julian über raschelnden Blättern langsam auf und ab, und wir reden über ein Bild, das wir gestern gesehen haben. Und ich sehe das Bild: Zwei alte Matrosen mit zermürbten Gesichtern; sie sitzen auf einem umgewandten Nachen, den trüben Blick aufs unendliche Meer hinaus. Und ich fühle ihr Elend tiefer, als der Maler, der er gemalt hat, tiefer, als sie selber es fühlten, wenn sie lebendig wären . . . All das, all das ist da – wenn ich nur die Augen schließe, ist mir näher als du, Johanna, wenn ich dich nicht sehe und wenn du schweigst.
Johanna hat die Augen mit Webmut auf ihn gerichtet.
Sala. Gegenwart . . . was heißt das eigentlich? Stehen wir denn mit dem Augenblick Brust an Brust, wie mit einem Freund, den wir umarmen, – oder mit einem Feind, der uns bedrängt? Ist das Wort, das eben verklang, nicht schon Erinnerung? Der Ton, mit dem eine Melodie begann, nicht Erinnerung, ehe das Lied geendet? Dein Eintritt in diesen Garten nicht Erinnerung, Johanna? Dein Schritt über diese Wiese dort nicht gerade so vorbei wie der Schritt von Wesen, die längst gestorben sind?
Johanna. Nein, es soll nicht so sein. Es macht mich traurig.
Sala wieder in der Gegenwart. Warum? . . . das sollt' es nicht Johanna. Gerade in solchen Stunden wissen wir, daß wir nichts verloren haben und eigentlich nichts verlieren können.
Johanna. Ach, hättest du doch alles vergessen und verloren und könnte ich dir alles sein!
Sala beinah erstaunt. Johanna –
Johanna leidenschaftlich. Ich liebe dich. Pause.
Sala. In wenig Tagen bin ich fort, Johanna. Du weißt es . . . du hast es gewußt.
Johanna. Ich weiß es. Warum wiederholst du es? Denkst du vielleicht, ich will mich mit einemmal an dich hängen wie ein verliebtes Ding und von Ewigkeiten träumen? – Nein, das ist wahrhaftig nicht meine Art, o nein! . . . Aber ich wollt' es dir doch einmal sagen, daß ich dich lieb habe. Einmal darf ich's doch? – Hörst du? Ich liebe dich. Und ich möchte, daß du es später einmal geradeso hörst, wie ich es jetzt sage – in irgend einem andern Augenblick, schön wie dieser . . . und in dem wir beide nichts mehr voneinander wissen werden.
Sala. Wahrhaftig, Johanna, dessen darfst du sicher sein, daß der Ton deiner Stimme mir niemals entschwinden wird. – Aber wozu von ewiger Trennung reden? Vielleicht sehen wir uns später wieder . . . in drei Jahren . . . oder in fünf . . . Lächelnd. Dann bist du vielleicht eine Prinzessin geworden und ich Fürst einer versunkenen Stadt . . . Warum schweigst du?
Johanna nimmt das Cape fester um.
Sala. Fröstelt dich?
Johanna. O nein. – Aber ich muß nun gehen.
Sala. Eilst du so?
Johanna. Es wird spät. Ich möchte zu Hause sein, eh' mein Vater nach Hause kommt.
Sala. Wie sonderbar! – Heute eilst du nach Hause und willst dich nicht verspäten, damit dein Vater sich nicht ängstigt, und in ein paar Tagen . . .
Johanna. Dann wird er mich auch nicht mehr erwarten. Leb' wohl, Stephan.
Sala. Auf morgen also.
Johanna. Ja, auf morgen.
Sala. Du kommst wieder durch die Gartentür, natürlich.
Johanna. Bleibt nicht ein Wagen vor dem Hause stehen?
Sala. Die Türen sind abgeschlossen. Es kann niemand in den Garten kommen.
Johanna. Also leb' wohl.
Sala. Auf morgen.
Johanna. Ja. Sie sind im Gehen.
Sala. Höre, Johanna. – Wenn ich dir nun sagte: Bleibe.
Johanna. Nein, ich muß jetzt fort.
Sala. Nicht so mein' ich's.
Johanna. Wie denn?
Sala. Ich meine, wenn ich dich bäte, bei mir zu bleiben – für . . . lange.
Johanna. Du machst sonderbare Scherze.
Sala. Ich scherze nicht.
Johanna. Vergißt du, daß du – fortfährst?
Sala. Ich bin nicht gebunden. Nichts hindert mich, zu Hause zu bleiben, wenn ich nicht gelaunt bin, fortzugehen.
Johanna. Um meinetwillen?
Sala. Das sag' ich nicht. Um meinetwillen vielleicht.
Johanna. O nein, du darfst darauf nicht verzichten. Du würdest es mir nicht verzeihen, daß ich dir das genommen habe.
Sala. Glaubst du? Lauernd. Und wenn wir beide gingen?
Johanna. Wie?
Sala. Wenn du mit mir die Reise wagtest? Nun, es gehört ein bißchen Kourage dazu, natürlich. Du wärst vielleicht nicht die einzige Frau. Die Baronin Golobin geht auch mit, wie ich höre.
Johanna. Sprichst du im Ernst?
Sala. Ganz im Ernst. Ich frage dich, ob du die Reise mit mir machen willst . . . als meine Frau natürlich, um auch von diesen äußerlichen Dingen zu reden.
Johanna. Ich sollte –?
Sala. Was bewegt dich so sehr?
Johanna. Mit dir? . . . Mit dir?
Sala. Mißversteh mich nicht, Johanna. Du sollst deswegen nicht für alle Zeit an mich gebunden sein. Wenn wir wieder zurückkommen, können wir einander Lebwohl sagen – ohne weiteres. Es ist eine ganz einfache Sache. Denn alle deine Träume kann ich dir nicht erfüllen – das weiß ich ganz gut . . . Du brauchst nicht gleich zu erwidern. Stunden wie diese verleiten allzu leicht zu Worten, die am nächsten Tage nicht mehr wahr sind. Ich möchte dich nie ein solches Wort reden hören.
Johanna hat ihn während dieser Worte angeschaut, als wollte sie seine Worte eintrinken. Nein, ich sage nichts . . . ich sage gar nichts.
Sala sieht sie lang an. Du wirst darüber nachdenken und wirst mir morgen antworten.
Johanna. Ja. Sie sieht ihn lang an.
Sala. Was ist dir?
Johanna. Nichts. – Auf morgen. Leb' wohl. Er geleitet sie. Sie gebt durch die Gartentür ab.
Sala kommt zurück und bleibt vor dem Tisch stehen. Als wollt' ich ihr Bild drin suchen . . . Warum war sie so bewegt? . . . Glück? – Nein, das war nicht Glück . . . Warum hat sie mich so angesehen? Warum ist sie erschrocken? In dem Blick lag etwas wie Abschied für ewig. Erschrickt plötzlich. Sollte es so mit mir stehen? . . . Aber woher kann sie's wissen? . . . Dann wissen es andre auch –! Er starrt vor sich hin.
Er geht langsam die Terrasse hinauf, dann in den Salon, kommt gleich wieder, mit Julian.
Sala und Julian.
Julian. Und diese Herrlichkeit wollen Sie so bald verlassen?
Sala. Sie wird sich hoffentlich wiederfinden lassen.
Julian. Ich wünsch' es für uns beide.
Sala. Sie sagen das so zweifelnd . . .
Julian. Nun ja, – ich denke an den merkwürdigen Artikel in der Tagespost.
Sala. Worüber?
Julian. Nun, über die Vorgänge am Kaspischen Meer.
Sala. Ah, haben das die hiesigen Zeitungen auch schon aufgegriffen?
Julian. Die Zustände in einzelnen Strichen, die Sie passieren, scheinen ja wirklich höchst gefahrvoll zu sein.
Sala. Übertreibungen. Wir sind besser unterrichtet. Meiner Ansicht nach stecken hinter diesen Artikeln englische Gelehrten-Eifersüchteleien. Was Sie gelesen, ist aus den Daily News übersetzt. Da stand es schon vor drei Wochen. – Haben Sie übrigens Felix gesehen?
Julian. Er war noch gestern abend bei mir. Und heute war ich bei Wegrat. Er verlangte das Bild seiner Mutter zu sehen, das ich vor dreiundzwanzig Jahren gemalt habe. – Und so hat es sich gefügt, daß ich ihm alles gesagt habe.
Sala. So. Nachdenklich. Und wie hat er es denn aufgenommen?
Julian. Es hat ihn beinahe mehr bewegt, als ich gedacht hatte.
Sala. Nun, Sie haben hoffentlich nicht erwartet, daß er Ihnen in die Arme stürzen würde wie der wiedergefundene Sohn in der Komödie.
Julian. Nein. Gewiß nicht. – Ich habe ihm alles erzählt, ohne jede Schonung für mich; darum fühlte er das Unrecht, das an dem Gatten seiner Mutter verübt worden ist, stärker als alles andere. Aber das wird nicht lange währen. Er wird bald verstehen, daß im höheren Sinne kein Unrecht geschehen ist. Leute von der Art Wegrats sind nicht dazu geschaffen, wirklich zu besitzen – weder Frau noch Kinder. Sie mögen Zuflucht, Aufenthalt bedeuten – Heimat nie. Verstehen Sie, wie ich das meine? Es ist ihr Beruf, Wesen in ihren Armen aufzunehmen, die von irgend einer Leidenschaft müde oder zerbrochen sind. Aber sie ahnen nicht, woher sie kommen. Es ist ihnen auch gegönnt, Wesen heranzuziehen und zu betreuen, aber sie verstehen nicht, wohin sie gehen. Sie sind da, um sich unbewußt aufzuopfern und in diesen Opfern ein Glück zu finden, das andern vielleicht recht armselig vorkäme . . . Sie schweigen?
Sala. Ich höre Ihnen zu.
Julian. Und sagen mir nichts?
Sala. Nun ja . . . es läßt sich ganz geläufig Skalen spielen, auch wenn der Geigenkasten einen Sprung hat . . .
Julian, Sala und Felix. Dann der Diener.
Es wird etwas dunkler.
Sala. Wer ist's?
Felix auf der Terrasse. Ich bin's. Ihr Diener sagte mir . . .
Sala. Oh Felix! Seien Sie mir willkommen.
Felix herunterkommend. Guten Abend, Herr von Sala. – Guten Abend, Herr Fichtner.
Julian. Guten Abend, Felix.
Sala. Ich freue mich sehr, Sie bei mir zu sehen.
Felix. Die prachtvollen alten Bäume!
Sala. Ein Stück Wald – Sie müssen sich nur das Gitter wegdenken. – Was führt Sie zu mir, Felix? Ich habe Sie erst morgen früh erwartet. Sollten Sie schon zu einem Entschluß gekommen sein?
Julian. Stör' ich?
Felix. O nein. Es ist kein Geheimnis. – Ich nehme Ihren Vorschlag an, Herr von Sala, und bitte Sie um die Freundlichkeit, mit dem Grafen Ronsky zu sprechen.
Sala reicht ihm die Hand. Das freut mich . . . Zu Julian. Es handelt sich um unsere asiatische Unternehmung.
Julian. Wie? . . . Du hast die Absicht, dich dieser Expedition anzuschließen?
Felix. Ja.
Sala. Haben Sie mit Ihrem Vater schon darüber gesprochen?
Felix. Ich will es heute abend tun. – Aber das ist eine Formalität. Ich bin entschlossen, wenn nicht irgend ein anderes Hindernis dazwischen tritt . . .
Sala. Ich werde den Grafen heute noch sprechen.
Felix. Wie soll ich Ihnen danken?
Sala. Dazu liegt gar keine Ursache vor. Es braucht überhaupt keines Wortes mehr von mir. Der Graf weiß alles über Sie, was zu wissen notwendig ist.
Der Diener erscheint auf der Terrasse. Eine Dame fragt, ob der gnädige Herr zu Hause sind.
Sala. Sie nannte ihren Namen nicht? – Die Herren entschuldigen einen Augenblick. Dem Diener entgegen, entfernt sich.
Julian und Felix.
Julian. Du gehst fort?
Felix. Ja. Ich bin sehr glücklich, daß sich mir diese Gelegenheit bietet.
Julian. Hast du dich denn über das eigentliche Wesen dieser Unternehmung auch schon näher unterrichtet?
Felix. Jedenfalls steht mir eine wirkliche Tätigkeit bevor und eine neue weitere Welt.
Julian. Ob sich nicht all dies finden könnte in Verbindung mit hoffnungsvolleren Aussichten?
Felix. Das wäre wohl möglich. Aber ich habe keine Lust zu warten.
Felix, Julian, Sala und Irene.
Irene noch auf der Terrasse, mit Sala. Ich konnte doch nicht Wien verlassen, ohne mein Wort zu halten.
Sala. Ich danke Ihnen sehr, Fräulein Herms.
Irene mit Sala herunterkommend. Sie haben es hier aber wirklich wundervoll. – Guten Abend, Julian. Guten Abend, Herr Leutnant.
Sala. Sie hätten etwas früher kommen sollen, Fräulein Herms, da hätten Sie alles noch im Sonnenschein gesehen.
Irene. Ich war ja schon vor zwei Stunden da. Aber da war es ein verzaubertes Schloß. Man hat nicht hereinkönnen. Die Klingel hat gar keinen Ton gegeben.
Sala. Ach ja. Entschuldigen Sie; wenn ich geahnt hätte . . .
Irene. Aber es macht ja gar nichts. Ich habe die Zeit ganz gut benützt. Ich bin tiefer in den Wald hineingefahren, bis über Neustift und Salmannsdorf. Und dann bin ich ausgestiegen und bin einen Weg gegangen, der mir aus früherer Zeit in Erinnerung war. Sie sieht Julian an. Ich hab' mich auf einer Bank ausgeruht, wo ich vor vielen, vielen Jahren mit einem guten Bekannten gesessen bin. Lächelnd. Wissen Sie noch, Herr Fichtner? Der Blick ist so schön. Über die Wiesen und über die ganze Stadt sieht man hin, bis zur Donau.
Sala auf die Steinbank weisend. Wollen Sie hier nicht ein bißchen Platz nehmen, Fräulein Herms?
Irene. Danke. Sie lorgnettiert die Kaiserbüsten. Da kommt man sich ja ganz römisch vor . . . Aber hab' ich die Herren nicht in einer Unterredung gestört?
Sala. Durchaus nicht.
Irene. Es scheint mir doch. Sie schauen alle so ernst drein. – Ich will lieber gehen.
Sala. Nein, das dürfen Sie nicht, Fräulein Herms. – Haben Sie vielleicht noch irgend eine Frage an mich, Felix, in unserer Angelegenheit?
Felix. Wenn Fräulein Herms uns eine Minute entschuldigt . . .
Irene. Aber bitte, natürlich!
Sala. Sie verzeihen, Fräulein Herms –
Felix. Es handelt sich nämlich um die Schritte, die ich bei meinem Kommando . . . Im Gehen. Er entfernt sich langsam mit Sala.
Irene und Julian.
Irene. Was haben die zwei für Geheimnisse? Was geht hier überhaupt vor?
Julian. Gar nichts Geheimnisvolles. Dieser junge Mann will auch die Expedition mitmachen, hör' ich. Und da haben sie natürlich einiges zu besprechen.
Irene hat Felix und Sala nachgesehen. Julian. – Er ist es.
Julian schweigt.
Irene. Du brauchst nicht zu antworten. Ich hab' ununterbrochen darüber nachdenken müssen . . . ich begreif nur nicht, daß ich's nicht früher gewußt hab'. Er ist es. – Und dreiundzwanzig Jahre ist er alt. – Und ich hab' mir damals wirklich gedacht, wie du mich davongejagt hast: Wenn er sich nur nicht umbringt! . . . Und dort spaziert sein Sohn.
Julian. Was hilft's mir? Mir gehört er nicht.
Irene. Schau' doch hin! Er ist da, er lebt, er ist jung und schön! Ist das nicht genug? Sie steht auf. Und ich war ruiniert.
Julian. Wie? . . .
Irene. Verstehst du mich? Ruiniert . . .
Julian. Das hab' ich nicht geahnt.
Irene. Du hättest mir doch nicht helfen können. Pause. Adieu. Entschuldig' mich. Sag' ihnen, was du willst. Ich fahr' fort, ich will nichts mehr wissen.
Julian. Was hast du denn? Es hat sich ja nichts geändert.
Irene. Glaubst du? . . . Mir kommt vor, diese ganzen dreiundzwanzig Jahre sind plötzlich was ganz anderes geworden. – Leb' wohl.
Julian. Leb' wohl. Auf Wiedersehen.
Irene. Auf Wiedersehen? Liegt dir denn was daran? Ja? – Bist du traurig, Julian? . . . Jetzt tust du mir schon wieder leid. Kopfschüttelnd. Ihr seid halt so. Was soll man da machen!
Julian. Nimm dich zusammen, da kommen sie.
Irene, Julian) Sala und Felix.
Sala. So, nun wäre alles erledigt.
Felix. Ich danke Ihnen sehr. Nun muß ich mich empfehlen.
Irene. Morgen fahren Sie schon wieder weg?
Felix. Ja, Fräulein.
Irene. Sie wollen jetzt wahrscheinlich auch in die Stadt, Herr Leutnant? Wenn es Ihnen nicht unangenehm ist, nehm' ich Sie gleich mit.
Felix. Sie sind sehr freundlich.
Sala. Wie, Fräulein Herms . . .? Das war aber ein kurzer Besuch.
Irene. Ja, ich habe noch einiges zu besorgen. Denn morgen geht's wieder in die Wildnis; und jetzt komm' ich wahrscheinlich so bald nicht wieder nach Wien. – Also, Herr Leutnant?
Felix. Adieu, Herr Fichtner. Und falls ich Sie nicht mehr sehen sollte . . .
Julian. Wir werden uns noch sehen.
Irene. Die Leute werden sich denken: Der Herr Leutnant mit der Frau Mama. Sie wirft einen letzten Blick auf Julian.
Sala begleitet Irene und Felix die Terrasse hinauf.
Julian bleibt zurück; er gebt auf und ab. Nach einiger Zeit kommt Sala wieder zurück.
Julian und Sala.
Julian. Sie halten es für zweifellos, daß Ihre Schritte beim Grafen Ronsky Erfolg haben werden?
Sala. Ich habe schon vorher vom Grafen bestimmte Zusicherungen erhalten, sonst hätte ich Felix keine Hoffnungen gemacht.
Julian. Warum haben Sie das getan, Sala?
Sala. Wahrscheinlich, weil mir Felix sehr sympathisch ist, und ich gern in angenehmer Gesellschaft reise.
Julian. Und Sie haben gar nicht daran gedacht, daß mir der Gedanke schmerzlich ist, ihn zu verlieren?
Sala. Was soll das, Julian! Verlieren kann man doch nur, was man besessen hat. Und besitzen kann man nur, worauf man sich ein Recht erwarb. Das wissen Sie so gut wie ich.
Julian. Verleiht es nicht schließlich auch ein gewisses Anrecht auf jemanden, wenn man seiner bedarf? – Verstehen Sie es denn nicht, Sala, daß er meine letzte Hoffnung ist? . . . Daß ich überhaupt niemand und nichts mehr habe außer ihm? . . . Daß ich nach allen Seiten ins Leere greife? . . . Daß mir vor der Einsamkeit graut, die mich erwartet?
Sala. Und was hülfe es Ihnen, wenn er bliebe? Was hülfe es Ihnen selbst, wenn er irgend etwas wie kindliche Zärtlichkeit zu Ihnen empfände? . . . Was hülfe er Ihnen oder irgend ein anderer als er? . . . Es graut Ihnen vor der Einsamkeit? . . . Und wenn Sie eine Frau an Ihrer Seite hätten, wären Sie heute nicht allein? . . . Und wenn Kinder und Enkel um Sie lebten, wären Sie es nicht? . . . Und wenn Sie sich Ihren Reichtum, Ihren Ruhm, Ihr Genie bewahrt hätten – wären Sie es nicht? . . . Und wenn uns ein Zug von Bacchanten begleitet – den Weg hinab gehen wir alle allein . . . wir, die selbst niemandem gehört haben. Das Altern ist nun einmal eine einsame Beschäftigung für unsereinen, und ein Narr, wer sich nicht beizeiten darauf einrichtet, auf keinen Menschen angewiesen zu sein.
Julian. Und Sie, Sala, Sie glauben, daß Sie keines Menschen bedürfen?
Sala. So, wie ich sie gebraucht habe, werden sie mir jederzeit zu Gebote stehen. Ich bin stets für gemessene Entfernungen gewesen. Daß es die andern nicht merken, ist nicht meine Schuld.
Julian. Da haben Sie allerdings recht, Sala. Sie haben nie ein Wesen auf Erden geliebt.
Sala. Möglich. Und Sie? So wenig, Julian, als ich . . . Lieben heißt, für jemand andern auf der Welt sein. Ich sage nicht, daß es ein wünschenswerter Zustand sei, aber jedenfalls, denke ich, wir waren beide sehr fern davon. Was hat das, was unsereiner in die Welt bringt, mit Liebe zu tun? Es mag allerlei Lustiges, Verlogenes, Zärtliches, Gemeines, Leidenschaftliches sein, das sich als Liebe ausgibt, – aber Liebe ist es doch nicht . . . Haben wir jemals ein Opfer gebracht, von dem nicht unsere Sinnlichkeit oder unsere Eitelkeit ihren Vorteil gehabt hätte? . . . Haben wir je gezögert, anständige Menschen zu betrügen oder zu belügen, wenn wir dadurch um eine Stunde des Glücks oder der Lust reicher werden konnten? . . . Haben wir je unsere Ruhe oder unser Leben aufs Spiel gesetzt – nicht aus Laune oder Leichtsinn . . . nein, um das Wohlergehen eines Wesens zu fördern, das sich uns gegeben hatte? . . . Haben wir je auf ein Glück verzichtet, wenn dieser Verzicht nicht wenigstens zu unserer Bequemlichkeit beigetragen hätte? . . . Und glauben Sie, daß wir von einem Menschen – Mann oder Weib – irgend etwas zurückfordern dürften, das wir ihm geschenkt hatten? Ich meine keine Perlenschnur und keine Rente und keine wohlfeile Weisheit, sondern ein Stück von unserm Wesen – eine Stunde unseres Daseins, das wir wirklich an sie verloren hätten, ohne uns gleich dafür bezahlt zu machen, mit welcher Münze immer. Mein lieber Julian, wir haben die Türen offen stehen und unsere Schätze sehen lassen – aber Verschwender sind wir nicht gewesen. Sie so wenig als ich. Wir können uns ruhig die Hände reichen, Julian. Ich bin etwas weniger wehleidig als Sie, das ist der ganze Unterschied. – Aber ich erzähle Ihnen ja da nichts neues. Sie wissen das alles gerade so gut wie ich. Es gibt ja für uns gar keine Möglichkeit, uns nicht zu kennen; wir geben uns wohl zuweilen redliche Mühe, uns über uns selbst zu täuschen, aber es gelingt uns nicht. Andern mögen unsere Torheiten, unsere Niederträchtigkeiten verborgen bleiben – uns selber nie. In unserer tiefsten Seele wissen wir immer, woran wir mit uns sind. – Es wird kühl, Julian, gehen wir ins Zimmer. Sie beginnen hinaufzugehen.
Julian. All das mag wahr sein, Sala. Aber Sie werden mir zugeben: Wenn es einen auf der Welt gibt, der uns die Fehler unseres Lebens nicht dürfte entgelten lassen, so ist es gewiß der, der uns selbst das Dasein verdankt.
Sala. Von entgelten ist hier gar nicht die Rede. Ihr Sohn hat den Sinn für das Wesentliche, Julian, Sie selbst haben es gesagt. Und er fühlt es, daß man sehr wenig für einen Menschen getan hat, wenn man nichts tat, als ihn in die Welt zu setzen.
Julian. So soll es wenigstens werden wie vorher, da er noch nichts wußte. Ich will wieder ein Mensch für ihn sein wie jeder andere. So darf er nicht von mir gehen . . . Ich ertrag' es nicht. Verdien' ich denn, daß er vor mir flieht? . . . Und wenn auch alles, was ich bis heute in mir für gut und wahr gehalten – am Ende auch die Neigung für diesen jungen Menschen, der mein Sohn ist –, nichts gewesen ist als Selbstbetrug – jetzt lieb' ich ihn . . . Verstehen Sie mich, Sala? Ich liebe ihn und verlange nichts anderes mehr, als daß er es glaube, eh' ich ihn für immer verlieren muß . . .
Dunkelheit. – Beide über die Terrasse hinauf, durch den Salon ab. – Bühne eine Weile leer. Der Wind ist etwas stärker geworden.
Johanna kommt von rechts durch die Allee, langsam am Teich vorbei bis zur Terrasse. – Die Fenster des Gartensaals sind erleuchtet. Sala hat sich an den Tisch gesetzt; der Diener ist gekommen und schenkt ein Glas Wein ein. – Johanna bleibt stehen. Sie scheint in großer Erregung und geht zwei Stufen der Terrasse hinauf. Sala hört ein Geräusch und wendet flüchtig den Kopf. Johanna bemerkt es, eilt wieder die Treppe hinunter und bleibt am Teiche stehen. Sie blickt ins Wasser.
Vorhang.