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Im Westen der Hauptstadt gibt es ein kleines, fast unscheinbares Speisehaus mit einem grünen Teppich, einem Dutzend Tischen, ein paar Spiegeln und einigen kleinen Sonderräumen. Ein heute regierender Bundesfürst hat es als Thronfolger einst seinem Leibkoch eingerichtet, um in der Hauptstadt eine angenehme Zuflucht zu haben, wenn er dort mit seiner Geliebten unauffällig und auserlesen speisen wollte. Dieser Koch war eine majestätische Persönlichkeit aus Frankfurt a. M. von starkem etwas rundlichem Wuchs. Über einem langen, schwarzen Vollbart glänzte ein Paar wohlgenährter Wangen. Die hohe weiße Stirn und das üppige zurückgestrichene Haar schienen einem Künstler zu gehören. Trotzdem oder vielmehr gerade darum verschmähte er es nicht, selbst in der Küche zu stehen und nur hie und da, nach Pariser Art, in seiner weißen Berufstracht an den Tischen seiner Vorzugsgäste zu erscheinen, um mit ihnen verwickelte kulinarische Fragen zu erörtern. In seinen verschwiegenen Räumen waren schon Minister gemacht und gestürzt, Ehen zerstört und Vermögen begründet worden. Benachrichtigte man rechtzeitig den geschickten Besitzer, so konnte man leicht durch einen rückwärtigen Eingang ungesehen in einen kleinen Raum schlüpfen und in aller Verschwiegenheit mit wem man wollte sein Nachtmahl verzehren. Die wenigen, aber um so treueren Gäste hatten Kennworte ausgemacht, durch die sie sich am Fernsprecher leicht mit dem Besitzer dieser nützlichen Anstalt verständigen konnten.
Hier saßen nun der Gesandte und die Fürstin gegen ½ 10 Uhr beim Essen in einem kleinen Kabinett unter orangefarbig umschleierter Lampe. Die Persönlichkeit des Herrn von Hiergeist erkannte, daß hier zwei Menschen wie irrende Sterne aus verschiedenen Himmelsrichtungen einander begegnet waren und während einiger unvergeßlicher Stunden ihr Licht miteinander vermischt hatten.
»Und du reisest wirklich schon in den nächsten Tagen in diesen dummen Orient?« fragte die Fürstin, als ihr Freund nach Tisch zu ihr auf das Sofa gerückt war und lächelnd in ihre rätselhaften schwarzen Augen blickte, die etwas feucht schimmerten.
»Ich kann es nicht ändern.«
»O, es ist gräßlich einen Deutschen zu lieben«, schmollte die Fürstin, ihre etwas fleischige Unterlippe vorschiebend, »immer ist ihm die Pflicht das Erste; ich hasse die Pflicht, die man wegen einer angebeteten Frau nicht übertreten darf.«
»Ein paar Tage darf ich vielleicht zugeben, Liebste«, erwiderte der Gesandte leichthin.
In diesem Augenblick blitzte ein boshafter Glanz des Triumphes in den Augen der Fürstin.
»Also du bist doch auch von Fleisch und Blut?« sagte sie spitz, »das hätte ich gar nicht erwartet. Wirklich, er opfert mir ein paar Tage!«
Dies alles bemerkte die genau beobachtende Persönlichkeit des Herrn von Hiergeist sehr deutlich. Sie ergriff den Gesandten am Arm, stieß ihn nach dem gegenüberliegenden Spiegel, der sein Bild sofort aufnahm, und die Person des Herrn von Hiergeist riß mit unerwarteter Gewalt die überraschte Fürstin an sich.
»Du gehörst mir, Henriette,« flüsterte er, »ganz und gar mir, weißt du das? Ich werde dich lieben, aber du mußt alles tun, was ich befehle, versprichst du das?« Sie sah seine lichten Augen klar und tief über ihrem heißen Antlitz leuchten. »Versprichst du es mir?« drängte er. »Ich verspreche was du willst,« lallte sie, »ich bin dein, ganz dein, du bist der Einzige, mache mit mir, was du willst.«
»Das werde ich tun,« sagte Herr von Hiergeist. »Noch frage ich mich, ob ich dich nicht lieber vernichten soll, denn ich kenne das ganze Gewebe, das deine Fingerchen gesponnen haben.« »Vernichte mich, Geliebter, wenn es dir gut scheint«, flüsterte die Fürstin, überwältigt ohne jede Furcht, »aber wenn du mich verschonst, dann mußt du mich lieben.«
Er hielt sie eine Zeitlang im Arm und schaute prüfend in ihre gar nicht mehr rätselhaften, sondern kindlich frommen Augen.
»Also du schwörst mir, daß du, ehe ich abreise, auf dein Gut zurückkehrst und niemals, niemals wieder deine Händchen in die Politik steckst. Das Netz, das du hier gesponnen hast, blase ich fort, sobald du es nicht mehr hältst.« Die Fürstin brach in Tränen aus. »Ich schwöre dir, was du willst«, sagte sie, »ich habe das alles ja nur getan, weil ich so unglücklich, so einsam, so ohne Liebe war.«
»Gut, ich glaube dir. Das zweite was ich verlange, ist leichter zu erfüllen. Wir werden uns unsere Kreise gegenseitig nicht stören. Du bleibst bei deinem Gatten und bringst mir den Frieden meiner Familie nicht in Gefahr. Ich liebe Erika nicht, ich gebe ihr nichts, was nur der Geliebten, der Angebeteten gebührt, aber du wirst die Mutter meiner Kinder ehren.« »Und die Geliebte, die Angebetete bin ich?« lächelte die Fürstin, wie ein Kind, das hören will, daß es die Eltern am liebsten haben.
»Die bist du!« flüsterte er und erstickte sie fast in einem Kuß, »aber gerade darum laß ich dich nicht leben, wenn du ...«
»Nichts weiter ... ich habe geschworen ... und wann sehen wir uns ...?«
»Wann ich nur immer kann. Du wirst stets wissen, wo ich bin.«
Als er sie heimbrachte und sie beseligt in seinem Arm lag, sagte sie:
»Nein, ich habe mich geirrt, du bist kein fürchterlicher Deutscher, du bist viel fürchterlicher, du bist ein Teufel!«
»Kann denn der Teufel lieben?«
»Oder bist du vielleicht ein Gott?«
*
Als Herr von Hiergeist nach diesen klärenden Ereignissen wieder sein grünes eiförmiges Zimmer betrat, war er seinem Gast völlig gewachsen. Er winkte ihm selbst und forderte ihn auf aus dem Rahmen des Spiegels herauszutreten. Während jener ihm die Stiefel und Kleider auszog, sagte er zu ihm:
»Unsere Beziehungen sind wohl jetzt klar?«
»Gewiß, Exzellenz.«
»Dummes Zeug! Sie haben mich nicht Exzellenz anzureden! Sie selber sind die Exzellenz, meine Person hat damit nichts zu tun, sie kann sich ebensogut in einem Brahmanen wie in einer abendländischen Exzellenz, in einem Holzhacker oder einem Freudenmädchen verkörpern. Sie sind zufällige Inkarnation, das haben Sie sich nun ein für allemal zu merken!«
»Schon wieder? Ich wiederhole Ihnen, Sie sind die Exzellenz, seien Sie es nur ganz und gar; aber das scheint Ihnen schwer zu fallen. Bald sind Sie voll Anmaßung und meinen wunder, was eine Exzellenz bedeutet und dann sind Sie wieder lächerlich klein und reden meine metaphysische Person mit Exzellenz an, als wäre das für sie ein Ehrentitel. Also Sie sind die Exzellenz, dabei bleibt es. Ich selbst bin über allen Titeln und werde überhaupt nicht angeredet. Sie haben nun alles nach bestem Wissen und Gewissen auszuführen, was ich Ihnen aus meinem für Sie unerforschlichen Ratschluß auftrage.«
»Und das wäre?«
»Zunächst werden Sie noch eine Zeitlang Gesandter bleiben und Ihre Pflicht tun; Orden und Ehren mögen Sie annehmen, so viel Sie wollen; ich schaue Ihnen dabei lächelnd zu; Sie werden Erika gegenüber weiter ein guter Gatte und den Kindern ein besorgter Vater sein. Verstanden? Dieser kleinen Fürstin werden Sie die Glut Ihrer abenteuerlichen Leidenschaft widmen, aber Sie müssen das süße Ungeheuer stets etwas im Zaum halten. Es muß zahm bleiben und darf keine Politik mehr treiben, womit ich nicht gesagt haben will, daß Sie sie nicht doch bei Gelegenheit sich etwas vorwagen lassen dürfen, um sie dann plötzlich mit kühnem Griff zu fassen und, wenn es sein muß, niederzuzwingen. Das alles machen Sie, wie es Ihnen Vergnügen macht! Nur verbitte ich mir ein für allemal, daß Sie je wieder metaphysisch zu werden trachten. Darum ist Ihnen vor allem das Studium der deutschen Philosophie mit Ausnahme Nietzsches, bis Sie gegen ihre Fallen gesichert sind, streng verboten. Sie sind mit all Ihren schönen Gefühlen, Idealen, ethischen Grundsätzen, welche die deutsche Philosophie durch Anleihen bei meiner Kraft in Ihnen hervorbläht, rein physisch, der Vergänglichkeit unterworfen. Metaphysisch d. h. ewig und göttlich bin allein ich, die Person. Solange Sie die in Ruhe lassen, ist Ihnen alles erlaubt!«
»Aber was bin ich denn nun eigentlich!« fragte der Gast kleinlaut. »Bin ich überhaupt jetzt noch etwas?«
»Ja und nein. Sie sind mein Ich, mein gewordenes und darum auch sterbliches Ich, das sich die Person in ihrer göttlichen Einsamkeit erschuf, um zwei zu sein, um sich im Spiegel selbst zu erleben; ohne schöpferisches Gestalten wäre Gott ein erhabenes Nichts. Darum zerreißt er allaugenblicklich seine Einheit ins Werden und Vergehen der Vielgestalt, die sehnsüchtig in ihn zurückwill, aber zugleich blind an der Vereinzelung festhält und sie dadurch immer schmerzhafter macht. Doch wem sage ich das? Wer kennt diese Hölle besser als Sie? In dem heutigen Erlebnis aber habe ich Sie von Ihrem eigensinnigen Willen erlöst, der Ihrer Sehnsucht zu dienen bisher im Weg stand. Sie sind nun etwas, soweit Sie von meinen Gnaden sind; Sie sind ganz und gar nichts, soweit Sie von sich aus etwas zu sein meinen. Sie sind mein Erlebnis und darum ewig; Sie sind nur ein buntes Spiegelbild und darum zugleich nichtig, Sie sind ein Gespenst, aber ein farbiges. Ich spiele mit Ihnen wie Gott mit dem Leviathan. Ich lasse Ihnen das Seil locker, aber das Ende behalte ich doch stets in der Hand, bis es mir gefällt, Ihre Form im Abgrund des Todes zerschellen zu lassen. Sie sind Ich; der eben zu Ihnen spricht aber ist Gott. Nun wissen Sie alles, und jetzt stören Sie meine schauende schöpferische Seligkeit nicht mehr. Dies war unser letztes Gespräch, künftig verkehren wir nur noch in Zeichen, Bildern, Symbolen.«
Der Leib Seiner Exzellenz, des Kaiserlichen Gesandten Herrn Josef von Hiergeist schlief ein und erwachte am folgenden Tage heiter, befreit von der Schwermut, die ihn in den letzten Wochen heimgesucht hatte. Er blieb noch eine Zeitlang im diplomatischen Dienst. Später lebte er meist zurückgezogen auf seinem Gut, wo ihn Frau und Kinder oft besuchten. Im Winter kam er auch manchmal zu ihnen in die Hauptstadt, wo er die Gesellschaft weder suchte noch scheute. Jeden Tag war ihm nun, als sähe er die Welt zum erstenmal. Ein Kind kommt aus dem Haus, die Sonne blitzt in einer Glaskugel, beim Nachbar kräht ein Hahn oder bellt ein Hund, blutrote Blüten quellen aus dem Fenster, ferne tost ein Zug. Herr von Hiergeist lebte über allem Jauchzen und aller Müdigkeit seines Ichs. Göttlich liebte er sich selbst in der Welt und die Welt in sich selbst. So liebte Herr von Hiergeist Erika und die Kinder und die Bauern und die Häusler um seinen Besitz und die Tiere des Waldes und des Feldes und die hauptstädtischen Straßenverkäufer und Kutscher und unter allen diesen liebte er natürlich auch die kleine Fürstin Henriette, die still und fromm geworden war und nun niemals mehr ein Unheil anrichtete.