Maximilian Schmidt
Humor (erste Reihe)
Maximilian Schmidt

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Lazarus Sauerteig.

Lazurus Sauerteig zählte unter die Kategorie jener Menschen, welche so zu sagen jedermann um Entschuldigung bitten, daß sie auf der Welt sind. Hierzu trug schon die Wahl seiner Eltern bei. Sein Vater war ein armseliger Dorfbarbier, der zu jener Zeit der unterwürfige Knecht aller Gemeinde-Angehörigen war, indem er ja von deren Liebesgaben lebte, ohne welche er bei seiner spärlichen Einnahme und seiner starken Familie dem Verhungern wäre preisgegeben worden. So sah Lazarus seinen Vater stets nur mit gekrümmtem Rücken und verbindlichem Lächeln, und als er in die Stadt zum Studieren kam, gab ihm jener beim Abschiede nebst einem fast leeren Geldbeutel die Lehre mit auf den Weg: »Mit dem Hute in der Hand, kommt man durchs ganze Land.«

Hut hatte zwar der junge Studiosus keinen, aber seine Mütze zog er vor jeder Thüre, wo er um ein Viatikum anklopfte. In der Stadt bettelte er sich sieben Kosttage für die Woche zusammen und holte sich gleich vielen andern armen Studenten sein Mittagsmahl in dem zweiteiligen, mit einem Henkel versehenen »Kosthaferl« nach Hause.

Bei seinem auffallenden Äußeren, das sich mit den drei Worten: »lang, hager, häßlich« bezeichnen läßt, war er 136 oft dem Spotte der Gassenjungen ausgesetzt, die den Kostbettlern den Spottvers nachschrieen:

»Student, Student!
Is d'Suppen verbrennt,
Wirf's Haferl an d'Wänd',
Du Bettelstudent!«

Lazarus Sauerteig hatte schon in seiner Jugend ein schlaff aussehendes Gesicht, in welchem alle Züge nach abwärts strebten, ebenso wie die sparsam anliegenden, langen, herabhängenden, weißblonden Haare. Eine stumpfe Nase und blaßblaue Augen machten sein Antlitz nicht ansprechender. Seine Kleider waren ihm durchwegs zu kurz, und bei seiner Länge und Hagerkeit war er einer ausgewachsenen Salatstaude wohl vergleichbar.

Im Studium zählte er zu den Durchschnittsschülern, und so wand und bettelte er sich durch das Gymnasium glücklich hindurch. Auf der Universität erging es Lazarus nicht besser. Während andere Studiosi nach dem Kolleg oder auch statt des Kollegs die Kneipe besuchen und sich ihres Mittagstisches erfreuen konnten, mußte er sich in die verschiedenen Klöster schleichen, wo er in liebenswürdiger Weise in einem Separatzimmer sein Mittagsmahl erhielt. Das kostete aber viele »Vergelts Gott« und manchen gekrümmten Rücken.

Morgens und abends hungerte er meist, wenn er nicht so glücklich war, durch Abschreiben bei einem Advokaten einige Sechser zu verdienen, die in erster Linie zur Bestreitung seiner Schlafstelle benutzt werden mußten.

Oft meinte er freilich, das praktischste in seinen ärmlichen Verhältnissen wäre es, jetzt noch einen anderen Beruf zu ergreifen, der ihm das tägliche Brot verdienen 137 ließe, aber dazu war seine Sehnsucht nach etwas Höherem zu groß. Er fühlte den unwiderstehlichen Drang in sich, Rechtsgelehrter zu werden. Glücklich bestand er auch das theoretische Examen, doch brachte es für ihn die allerschlechteste Zeit mit im Gefolge. Das Praktizieren ohne jeden Gehalt und ohne jede Beihilfe von außen machte ihm die zwei Jahre bis zum Staatskonkurse zu einer wahren Marterzeit. Nach seinem mit einem guten »Dreier« bestandenen Staatsexamen gelang es ihm, am Landgerichte zu Berghofen mit zeitweisen Tagegeldern als Praktikant unterzukommen. Da hieß es vor allem, sich mit dem Amtsvorstande auf gutem Fuße zu halten, und da dieser den Adel in seinem Wappen führte, so sah der stets demütige Lazarus zu ihm auf wie zu einem Herrgott und erstarb täglich und stündlich im unterwürfigsten Respekte. Seine Arbeitskraft hingegen wußte der bequeme Herr Baron in jeder Weise auszubeuten. Doch vergingen viele Jahre, bis Lazarus Sauerteig endlich zum Funktionär ernannt wurde und damit einen kleinen Gehalt erhielt.

Obwohl er nun erst Mitte der Dreißiger stand, glich der Funktionär Sauerteig schon einem ältlichen Manne; alles an ihm strebte jetzt noch mehr hernieder wie vordem. Auf seiner etwas knolligen Nase saß eine gewaltige Hornbrille, über die ein paar blasse Augen unstet hinwegsahen. Er trug gewöhnlich eine Kappe mit großem Schirmdache, hohe Vatermörder, eine weiße, hoch hinaufgehende und festgeschlungene Halsbinde, einen etwas kurzen, braunen, abgeschabten Rock und Beinkleider, die kaum bis zu den Knöcheln reichten.

Aber trotz aller dieser äußeren Mängel gelang es ihm doch, die Neigung einer hübschen Assessorswitwe Namens 138 Amalie Fruhmann zu gewinnen, mit welcher er sich zu verehelichen gedachte, sobald er zum Assessor befördert würde. Vergebens aber wartete er, und nicht minder sehnsüchtig seine Freundin, von Jahr zu Jahr auf die Beförderung.

Lazarus konnte sich nicht erklären, warum er fortwährend übergangen wurde. Sein Chef war doch stets mit ihm zufrieden, er konnte nicht pflichteifriger sein und war jedenfalls der fleißigste Beamte am ganzen Landgerichte. Die Ursache aber lag daran, daß der Amtsvorstand ihn nicht zur Beförderung als Richter begutachtete. Einesteils mochte es ja wahr sein, daß sich der stets unterwürfige Mann und aller Welt gehorsamste Diener zum Richter nicht eignete. Der Landrichter hatte aber noch seinen ganz besonderen Grund. Er konnte nämlich die Hilfe Sauerteigs, der alle Arbeiten fertigen mußte und ihn jeder Selbstarbeit überhob, namentlich in Verwaltungssachen, die damals noch dem Ressort der Landgerichte unterstellt waren, nicht mehr wohl entbehren. Als Assessor mußte aber Sauerteig wahrscheinlich versetzt werden, und in dieser Eigenschaft hätte ihn der Landrichter dann nicht mehr ausbeuten können.

Und so harrte der Ärmste Jahr um Jahr. Endlich – endlich gingen aber auch ihm die Augen auf, und er sah ein, daß er bisher nur der Pudel des Herrn Baron gewesen und dieser allein die Schuld an seiner Zurücksetzung trug. Er hatte nämlich zufällig von seiner Qualifikation an das Ministerium Einsicht genommen, worin es hieß: »Ist zwar sehr diensteifrig, eignet sich aber nicht zum Assessor, wegen großer Unbehilflichkeit und völligem Mangel an Energie und Selbständigkeit. Auch würde 139 seine äußere Erscheinung der Würde des Richterstandes nicht entsprechen &c. &c.«

Von diesem Augenblicke an war Lazarus Sauerteig wie umgewandelt. Eine Bitterkeit griff in seinem Herzen Platz, wie er sie in seinem ganzen Leben nie gefühlt. Jetzt endlich taute es in ihm auf; er fing an, sich seiner selbst bewußt zu werden.

Mangel an Energie! Der Landrichter hatte da schon recht, aber der Teufel habe Energie und Selbstbewußtsein, wenn er stets nur mit Pfennigen und Kreuzern rechnen und dabei hungern muß! Die Assessorswitwe riet ihm als das Beste an, selbst nach der Hauptstadt zu reisen und sich dem Minister vorstellig zu machen. Sie glaubte, es wäre auch von guter Wirkung, wenn er die Excellenz an dessen Korpsbruder Fruhmann, ihren verstorbenen Mann, den Assessor, mit dem er in der Jugend sehr intim gewesen, erinnern würde. Die Zeit war jetzt günstig, da in dem Nachbarorte Sterzenfeld eine Assessorstelle frei geworden; um die er gleich supplizieren könne.

Dem Lazarus Sauerteig gefiel das. Auch war es ihm darum zu thun, dem Landrichter bei dieser Gelegenheit eines anzuhängen, weil ihn dieser so meuchlings verschlagen hatte.

Der Landrichter hatte sich daran gewöhnt, alles ungelesen zu unterschreiben, was ihm der Funktionär unterbreitete. Gnaden Herr Landrichter las überhaupt nichts. Er wußte, daß nichts fehlte, wenn der gewissenhafte Sauerteig es gefertigt hatte, und da kam der sonst so sanftmütige Lazarus auf den Einfall, ein Todesurteil für den Landrichter aufzusetzen, worin in satyrisch-mutwilliger Weise die strafbare Bequemlichkeit und mancherlei anderes, sowie 140 die Qualifikation des Funktionärs als hinterlistig richtig beleuchtet wurde und schließlich der Landrichter sich selbst zum Tode verurteilte.

Dieses Dokument, an das Justizministerium adressiert, legte der Funktionär nebst anderen Schriftstücken dem Amtsvorstande zur Unterschrift vor und – richtig unterschrieb dieser, ohne gelesen oder sich auch nur um den Inhalt bekümmert zu haben – und das Amtssiegel ward vorschriftsmäßig darauf gepreßt. Und mit diesem Dokument in der Tasche, wanderte der Funktionär nach erhaltenem Urlaub, teils zu Fuß, teils per Stellwagen, nach der Hauptstadt.

Dort borgte er sich in einer Kleiderleihanstalt einen schwarzen Frack und kaufte sich weiße Handschuhe und eine weiße Halsbinde. Der Frack roch zwar verdächtig nach Weihrauch, denn er hatte erst am vorhergehenden Tage bei einer Beerdigung Verwendung gefunden, aber das genierte den Funktionär nicht. Er hatte nur die Form seiner Ansprache an den Minister im Kopfe, und nicht ohne Zagen stieg er die Treppe hinauf, die ihn zum Bureau des Ministers führte. Auf seine Anfrage wies man ihn nach dem Anmeldezimmer.

Ein alter, scheinbar sehr jovialer Diener befand sich hier.

»Ah – Sie entschuldigen – ich wollte nur um die Gnade einer Audienz bei Seiner Excellenz unterthänigst gehorsamst gebeten haben.«

»Sind Sie hieher befohlen?« fragte der Diener, sich in Position setzend, als er die demütige Haltung Sauerteigs gewahrte.

»Befohlen? O nein, nichts weniger als das. Ich bin der Landgerichtsfunktionär Lazarus Sauerteig von Berghofen.«

141 »So – so – Lazarus Sauerteig – ein komischer Name. Aber was wollen Sie denn von uns?« fragte der Diener, sich in die Brust werfend.

»Ich möchte Se. Excellenz unterthänigst gebeten haben, auf die erledigte Assessorstelle in Sterzenfeld befördert zu werden.«

»Ah so!« machte der andere. »Da war heute schon ein Herr hier in derselben Absicht. Ihre Excellenz sind aber vor elf Uhr nicht im Bureau, und so ist es jedenfalls für Sie ein Glück, wenn Sie der erste sind, der persönlich auf den Posten suppliziert, denn wer zuerst kommt – Sie kennen das Sprichwort schon. Bleiben Sie nur einstweilen hier, nehmen Sie Platz. Sobald Excellenz kommen, werde ich Sie melden. In der Regel gehen Excellenz durch den vorderen Eingang in ihr Kabinett. Ich werde es Ihnen schon sagen, wenn es Zeit ist. Nehmen Sie doch Platz, Herr – Sauerteig.« Lachend entfernte er sich mit einem Aktenbündel.

Lazarus gab sich seinen Betrachtungen hin. Er fühlte, er war an einem Scheidepunkte seines Lebens angelangt. Da, nach einer geraumen Weile, kam ein Herr in Frack und Hut und ging geraden Wegs auf die Thüre zum Kabinett des Ministers zu.

Das war ohne Zweifel der Mitbewerber für die erledigte Assessorstelle, von dem der Diener ihm gesagt.

»Sie! pst! pst!« machte Sauerteig. »Wo wollen Sie denn hin? Der Minister ist ja nicht zugegen. Wenn er aber kommt, bin ich bereits als der erste zur Audienz vorgemerkt.«

Der Herr wandte sich zu Sauerteig und konnte sich bei dessen Anblick des Lächelns kaum erwehren.

142 »Befürchten Sie nichts,« sagte er. »Ich mache Ihnen den Vortritt nicht streitig. Mit wem habe ich die Ehre?«

»O, ich bitte, ganz meinerseits,« entgegnete Lazarus jetzt unter Bücklingen und wieder voll Höflichkeit. »Ich bin der Landgerichtsfunktionär Sauerteig aus Berghofen.«

»Und was wünschen Sie vom Minister?«

»Mein Recht!« erwiderte Lazarus mit einem Anflug von Entschiedenheit.

»Nun, das wird Ihnen unter allen Umständen auch zu teil werden. Kennen Sie den Minister?«

»Nein – wie sollte ich auch – aber ich möchte doch ergebenst gebeten haben, mir zu sagen, mit wem ich –«

»Ah so – ich – ich bin zur Zeit in sehr abhängiger Stellung, so was man sagt, Prügeljunge für alles –«

»Ah – und da supplizieren Sie auf den Assessorposten in Sterzenfeld?«

»Warum nicht gar!«

»Nicht? O, dann wird mir schon wieder leichter ums Herz. Ich glaubte einen Mitbewerber – aber erlauben Sie mir,« sagte er, jetzt plötzlich den Herrn musternd, »ich möchte Sie auf etwas aufmerksam machen – in Ihrem eigenen Interesse. Sie haben nicht einmal eine weiße Kravatte und weiße Handschuhe. Wagen Sie denn ohne solche eine Audienz beim Herrn Minister?«

»Warum nicht? Kravatte und Handschuhe machen den Mann nicht, besonders wenn letztere so defekt sind, wie die Ihrigen.«

Lazarus schien sein linke Hand rasch verstecken zu wollen.

»Haben Sie's bemerkt, daß die linke Hand nur so eingewickelt ist?« fragte er erschrocken. »Beim ersten 143 Einschlupf – patsch – rissen Sie wie Fließpapier auseinander. Ich kann mir aber kein zweites Paar mehr kaufen. Glauben Sie, Excellenz bemerkt das? Und könnte es ungnädig aufnehmen – mich entgelten zu lassen?«

»Gewiß nicht,« beruhigte der andere. »Er wird weniger auf Ihre Hand, als auf Ihren Kopf schauen.«

»Auf meinen Kopf? Ja, mein Kopf – den hab' ich schon lange – wollte sagen, der gehört schon lange nicht mehr mir.«

»Nicht Ihnen? Wem denn?«

»Der gehört meinem Amtsvorstand. Dieser Kopf, man sieht's ihm gar nicht an, ist seine rechte Hand. Sie müssen nämlich wissen, daß« – er stockte plötzlich.

»O sagen Sie mir nur, was Sie auf dem Herzen haben. Ich kann Ihnen vielleicht gefällig sein – Sie dürfen mir ungeniert vertrauen. Aber warten Sie einen Augenblick, ich will nur sehen, ob wir nicht gestört werden.«

Der Fremde ging zur Thüre hinaus; Sauerteig glaubte ihn mit jemand sprechen zu hören. Nach wenigen Augenblicken erschien er wieder und setzte sich neben Sauerteig, den er ebenfalls einlud, Platz zu nehmen.

»So, jetzt legen Sie los. Der Landrichter von Berghofen macht immer sehr umfassende, musterhafte Berichte, soviel ich – zufällig hörte. Er ward zum letzten Neujahr auch mit einem Orden ausgezeichnet. Ist es nicht so?«

»Ja, ganz richtig. Ich beneide ihn nicht darum, aber es ist hart, wenn man zusehen muß, wie ein anderer die Pastete verzehrt, die man mit so großer Mühe zubereitet und selbst dabei Hunger leidet.«

»Ist das Ihr Fall?«

»Ja, die Pastete – wollte sagen, die Berichte sind 144 mein Werk. Alles, was von Berghofen aus an das Ministerium gelangt, ist mein Werk. Ich sage das nur Ihnen im Vertrauen. Ich möchte mich nicht beim Minister damit groß machen, oder die Verdienste meines Amtsvorstandes verkleinern, aber es wird mir grün und gelb vor den Augen, wenn ich daran denke, wie er mich in der Qualifikation förmlich als Trottel hingestellt, mich, der ich alles so fix und fertig mache, daß er nur seine hochadelige Unterschrift darunter setzen darf. Er weiß auch, daß er sich auf mich verlassen kann und unterschreibt alles, ohne es zu lesen, selbst die wichtigsten Dokumente, und das würde er gewiß nicht thun, wenn er nicht überzeugt wäre, daß alles in Ordnung ist, und daß alles in Ordnung war, bezeugt der Orden, den er bekommen hat.«

»Das ist allerdings sehr unbillig, wenn dem so ist,« meinte der andere. »Aber der Vorwurf, daß Ihr Amtsvorstand selbst die wichtigsten Dokumente ungelesen unterschreibt, bedürfte doch wohl eines Beweises –«

»Hab' ihn, hab' ihn!« unterbrach ihn Lazarus mit schlauer Miene, »hab' ihn in der Tasche. Sie glauben mir nicht, weil Sie so zweifelhaft lächeln, Sie halten mich wohl gar für einen Verleumder. Werden Sie mir glauben, wenn ich Sie ein Dokument sehen lasse – aber Sie müssen mir versprechen, daß die Sache unter uns bleibt. Ich werde es auch dem Minister nur im dringendsten Falle zeigen, denn ich möchte meinem Vorstand keinen Schaden bringen. Ich will nichts, als befördert werden, um meine Braut, die Assessorswitwe Fruhmann heiraten zu können.«

»Was ist das für ein Dokument?« fragte der andere neugierig. Lazarus zog das Schriftstück aus der Tasche.

»Und Sie versprechen mir –« fragte er zögernd.

145 »Daß die Sache unter uns bleibt,« versicherte der andere.

»Sehen Sie, hier hat der Herr Landrichter sein eigenes Todesurteil unterschrieben.«

»Sein Todesurteil?«

Lazarus zeigte dem Herrn schmunzelnd das Papier.

»Es war just ein Streich von mir, den mich der Ärger über meine Qualifikation hat spielen lassen,« entschuldigte er sich gewissermaßen.

Der Fremde las mit Erstaunen das Todesurteil, dessen Motivierung von großem Witze des Verfassers zeugte. Auf der Unterschrift haftete sein Auge eine geraume Weile. Dann schüttelte er verwundert den Kopf und gab das Schriftstück wieder an Sauerteig zurück.

»Nun, was sagen Sie jetzt?« fragte dieser, das Papier in die Tasche steckend.

»Daß Sie ein witziger Kopf sind. Und da Sie sich so vertrauensselig an mich wandten, so möchte ich Ihnen den Rat geben, von diesem Beweise, der doch eine Vertrauensverletzung Ihrerseits gegen Ihren Amtsvorstand involviert, keinen weiteren Gebrauch zu machen. Ich finde derartige Racheakte – verzeihen Sie mir – nicht besonders empfehlenswert.«

»Nicht wahr? Das hab' ich mir auch schon gesagt,« stimmte Lazarus bei. »Es sollte auch nur für den äußersten Notfall sein. Aber Sie haben recht, es wäre hinterlistig, davon Gebrauch zu machen, und damit ich nicht in Versuchung komme, so was man sagt, ein Denunziant zu sein, so –« damit nahm er das Papier wieder aus der Tasche und zerriß es in kleine Fetzen – »so! Und jetzt will ich halt sehen, ob mir der Minister aufs Gesicht 146 glaubt, daß ich einer Beförderung würdig bin. Ich glaube kaum.«

»Glauben Sie's immerhin. Nicht auf das Gesicht, sondern auf Charakter und Fähigkeiten kommt es beim Manne an.«

»Das sagt meine Braut auch.«

»Nannten Sie nicht den Namen Fruhmann?«

»Ja, ihr verstorbener Mann, der Assessor, war ein Freund und Corpsbruder des Ministers, und meine Braut hat mir aufgetragen, ihn daran zu erinnern.«

Der Fremde blickte ihn eine Weile forschend an, dann sagte er:

»Sind Sie denn gerade darauf passioniert, Richter zu werden? Ich an Ihrer Stelle würde eine einträgliche Obersekretärsstelle bei einem Appellgerichte vorziehen.«

»Ja, das wäre mir freilich auch lieber. Aber ich fürchte, es ist zu unbescheiden, und der Herr Minister könnte es mir verübeln, wenn ich –«

»Nun, allzu große Bescheidenheit empfiehlt gerade auch nicht. Jeder muß seinen eigenen Wert fühlen.« Und sich erhebend fuhr er fort: »Ich wünsche Ihnen zu allem herzlich Glück. Reisen Sie getrost nach Hause. Überlassen Sie es mir, dem Minister in Ihrem Namen alles das zu sagen, was er hören darf, und er wird Ihnen ganz gewiß gerecht werden.«

»Was fällt Ihnen ein?« rief Sauerteig. »Ich habe meinen letzten Heller für die Reise und den Anzug da verwendet und sollte nicht einmal den Minister sprechen?«

»Wenn ich Ihnen aber sage. daß ich –«

»Aber ich kenne Sie ja gar nicht,« sprach Lazarus jetzt entschiedener. »Am Ende sind Sie doch der 147 Mitkonkurrent auf die Assessorstelle in Sterzenfeld? Da möchten Sie mich nun bereden, eine andere Carriere zu ergreifen – mich fortschicken – wie?«

»Beruhigen Sie sich. Sie werden mich kennen lernen und, wie ich hoffe, auch in freundlicher Erinnerung behalten. Ich werde jetzt nachfragen, ob der Minister noch nicht zu Hause. Warten Sie halt ab, und sollten wir uns nicht mehr sehen, so leben Sie wohl und Glück auf für die Zukunft!«

Damit reichte er Sauerteig die Hand und schritt dann zur Thüre hinaus.

Lazarus Sauerteig wußte nicht, was er denken sollte. Wer war es, dem er so unvorsichtigerweise vertraut und der sich so hartnäckig der Pflicht entzogen, sich vorzustellen? War es der Mitbewerber, war er es nicht? Er grübelte und grübelte, und schließlich setzte er sich wieder und wartete, in Gedanken vertieft.

Nach einiger Zeit öffnete sich die Thüre, die zum Kabinett des Ministers führte, und der joviale Diener kam mit einem Schreiben heraus, das er dem überraschten Funktionär mit den Worten übergab:

»Von Sr. Excellenz, dem Herrn Minister. Er mußte zu einer Sitzung und ist nicht mehr zu sprechen. Den Bescheid auf Ihr Gesuch enthält dies Schreiben.«

»O weh!« rief Sauerteig, dem es zu dämmern begann, »das wird mein Todesurteil sein!«

Mit zitternden Händen erbrach er das Kouvert. Der Inhalt war eine Hundertguldennote und folgendes Schreiben:

»Es macht mir Vergnügen, Ihnen mitteilen zu können, daß Sie zur Besetzung der erledigten Obersekretärsstelle am 148 Appellgerichte zu N. durch mich bei Sr. Majestät in Vorschlag gebracht werden. Anbei eine Entschädigung für Reise- und Toilettekosten. Zur Beförderung und Verehelichung alles Glück wünschend, bin ich Ihr N. N., Staatsminister.«

Sauerteig sperrte den Mund in einer Art Verzückung angelweit auf: er glaubte zu träumen. Nach einer Weile fragte er den Diener:

»Aber – wie wußte – ich habe doch kein Wort mit Excellenz gesprochen?«

»Na, ich meine, Sie hätten sich lange genug mit ihr unterhalten,« erwiderte lächelnd der Diener.

»Ich? Wo?«

»Nun vorhin – hier in diesem Zimmer.«

»Was? Da – da – das war –?«

»Se. Excellenz der Herr Minister,« bestätigte der Diener.

»Und ich – gute Nacht!« Mehr brachte Lazarus Sauerteig nicht heraus. Eine Art Schwindel erfaßte ihn. Wie er zur Thüre hinaus- und die Treppe hinabgekommen, wußte er kaum. Als er noch an demselben Tage auf der Heimreise wieder im Stellwagen saß, lachte er stoßweise für sich hin. Die Mitreisenden hielten ihn für verrückt, doch es waren nur Ausbrüche der Freude, die nach seiner Heimkehr seine Braut mit ihm teilte.

Das Dekret zu seiner Ernennung traf schon nach einigen Tagen ein. Jetzt war das Überraschtsein an dem Herrn Landrichter. Als dieser ihm gratulierte, konnte er nicht umhin, etwas sauersüß zu bemerken:

»Sie müssen diese für Sie so günstige Ernennung einem äußerst glücklichen Umstande zu verdanken haben.«

»So scheint es,« antwortete der neugebackene 149 Obersekretär. »Ganz eigentümliche Ursachen sind es oft, die das Glück herbeiführen. Ich kenne sogar einen Fall, wo dies durch ein Todesurteil erreicht wurde.«

»Nicht möglich! Diesen Fall müssen Sie mir erzählen!« meinte der Landrichter, verwundert lachend.

Lazarus Sauerteig lachte auch, erzählte aber nichts. Daß dieser Fall vielleicht auch mit der bald darauf angeblich wegen vorgerückten Alters erfolgten Pensionierung des Landrichters im Zusammenhang stand, ahnte dieser letztere natürlich nicht.

Sauerteig aber machte es sich und seinen Untergebenen zur wichtigsten Regel: niemals etwas zu unterschreiben, was man nicht gelesen hat. 150


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