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Privatier Brauneberger hatte das Mißgeschick, sich lächerlich gemacht zu haben. Er hatte mit einem Freunde gewettet, daß er auf der Trambahn unbehelligt zwei Plätze belegen könne, einen davon für sich, den andern für ein großes Bündel. Er probierte dieses Wagnis; das Ende vom Liede, oder besser von der Fahrt, war aber, daß er nach vielen komischen, für ihn aber peinlichen Zwischenfällen mit Arbeitern, die er wider Willen verletzte, samt seinem Bündel an einer Haltestelle unter allgemeinem Gelächter zum Wagen hinausgeworfen wurde. Brauneberger tröstete sich darüber, kam doch sein in Ruhe und Nichtsthun fast stockendes Blut wieder einmal in Wallung, und so hielt er den Ärger für gesund. Aber dieses Heilmittel sollte ihm doch bald zum Ekel werden.
Obige Hinausflug-Szene hatte ein junger Künstler mit angesehen und sofort skizziert. Schon nach wenigen Tagen erschien das Bild nebst einem witzigen Gedicht, betitelt: »Ein fliegender Protz,« in der humoristischen Beilage eines Münchener Blattes. Die ganze Figur des Fliegenden war froschähnlich gehalten, nur den Kopf hatte der Zeichner auffallend gut porträtiert, so daß jedermann 119 sofort das Original erkennen konnte und Brauneberger vielseitig verlacht und verspottet wurde. Das ärgerte den dicken Privatier über alle Maßen und er beschloß, gegen den Künstler, der sich »Johannes Ebner« nannte, eine Beleidigungsklage anhängig zu machen.
Das Gesetz erfordert in solchen Fällen, daß einem derartigen Verfahren ein Ausgleichsversuch beim magistratlichen Vermittlungsamt vorhergehe, und zu einem solchen waren Kläger und Beklagter eines Nachmittags auf das Rathaus geladen.
Braunebergers Frau und Tochter gaben sich vergebens Mühe, den Erzürnten zur Rücknahme der Klage zu bewegen. Sie fürchteten nicht mit Unrecht, daß der Stadtklatsch dadurch nur neuerdings willkommenen Stoff zu witzigen Ausfällen gegen den sonst so zurückgezogen lebenden Privatier finden würde. Aber Brauneberger hatte sich von einigen Bekannten so aufheizen lassen, daß er hartnäckig auf dem nun einmal betretenen Wege verharrte. Er schimpfte dabei über Künstler und Zeitungsschreiber ganz lästerlich, und dies um so mehr, je eindringlicher ihm seine Frau Vernunft zusprechen wollte.
Besser gelang das seinem Töchterlein Susanne, einem liebenswürdigen heiteren Mädchen, das der Augapfel des Vaters war. Susanne konnte ihn, wenn sie es darauf absah, sozusagen um den Finger wickeln. Und diese Susanne hatte ein hohes Interesse dabei, daß er sich mit dem Künstler in keinen Prozeß einlasse.
Sie war diesem Stande mit großer Sympathie zugethan, denn sie hatte einen jungen Künstler, der nach ihren Begriffen schön wie ein Apollo war, während ihrer letzten Sommerfrische in Tegernsee flüchtig kennen gelernt.
120 Sie hatte damals mit ihrer Mutter eine Bergpartie nach dem Hirschberg unternommen, die Damen waren dabei auf einen unrichtigen Weg geraten, der sie in ein wildes Waldrevier brachte. Schon überfiel beide eine große Angst, als sie plötzlich einen jungen Mann erblickten, der, auf einem Feldstuhle sitzend, soeben im Begriff war, eine prächtige Baumgruppe zu skizzieren.
Der junge Mann war sofort bereit, die Verirrten auf den richtigen Pfad zu bringen, und war dabei ebenso galant als besorgt, denn es gab umgeworfene Baumstämme zu überklettern, über vom Wildwasser aufgerissene Gräben zu springen. Dabei half er der Mutter und half auch der Tochter, die ihn unendlich freundlich anblickte und so fröhlich zu lachen verstand, daß der junge Mann sichtlich Gefallen an ihr fand. Er hielt ihre Hand manchmal länger als nötig in der seinigen, und als er sie einmal über einen großen Stamm hinweghob, drückte er sie fester an sich, als dies die unerwartete Turnübung erforderte. Susanne errötete freilich, aber sie plauderte so frisch und unbefangen weiter, daß der junge, braungelockte Maler mit dem kleinen dunklen Schnurrbärtchen völlig entzückt ward.
Zum Verdrusse der beiden jungen Leute war endlich der richtige Weg gefunden. Nun aber fiel es dem Künstler bei, daß er Stuhl und Skizzenbuch im Walde zurückgelassen. Er mußte sich beides holen; außerdem sollte auch die begonnene Skizze vollendet werden. Er hoffte aber, den nun auf den rechten Weg Gewiesenen beim Abstieg wieder zu begegnen und sie vielleicht beim »Bauer in der Au« zu treffen. So verabschiedete er sich für einstweilen. Die Damen dankten ihm in überschwenglicher Weise und 121 Susanne blickte noch öfters nach dem sich Entfernenden zurück. Ein gegenseitig letzter Gruß fand aus der Ferne statt. Von da ab sahen sie sich nicht wieder.
Beide Teile hatten, wie das so oft bei solchen Gelegenheiten geht, vergessen, sich vorzustellen. Aber Susanne gedachte oft, sehr oft des liebenswürdigen Begleiters, sie spähte vergebens nach ihm auf ihren Spaziergängen und Kahnfahrten auf dem schönen See. Er war nirgends zu erblicken. Und wieder nach München zurückgekehrt, war die Erinnerung an das Begegnen mit dem unbekannten Künstler das schönste Resultat ihres heurigen Landaufenthaltes.
Daraus entstand ihr Bemühen, den Vater abzuhalten, gegen einen Künstler zu prozessieren, denn der eine machte ihr den ganzen Stand sympathisch, und sie wollte nicht, daß der in jüngster Zeit so häufig polternde Papa sich neuer Übereilungen und unbedachtsamer Handlungen schuldig machte.
Deshalb ließ sie sich's nicht nehmen, den Vater zum Vermittlungsamte auf das Rathaus zu begleiten. Sie hoffte, irgend eine gütliche Beilegung des Streites ermöglichen zu können.
In einem nur schwach erhellten Saale mußten die Parteien warten, bis sie durch einen Diener zu den im Nebenzimmer sich befindenden Beamten gerufen wurden. Eine Menge Personen beiderlei Geschlechts, elegant und einfach gekleidet, gebildete und ungebildete, saßen oder standen im Lokale herum und harrten des Aufrufes.
In der Amtsstube nebenan hörte man oft heftig zanken, dann kam einer nach dem andern mit allen Zeichen der Entrüstung heraus und eilte dem Ausgange zu, noch 122 für sich hin schimpfend. Andere wieder gingen entschieden versöhnt und ausgeglichen von dannen.
Die im Saale Wartenden suchten ihre Gegner mit wilden, vorwurfsvollen Blicken; andere teilten sich gegenseitig den Grund ihres Daseins mit, besonders die Weiber.
»Sagen S' selba, Frau Kramerin, soll i mir dös g'fall'n lassen?« fragte ein solches die Nachbarin. »Bin i a Millipansch'rin? Hat die g'spreizte Wirtin von der Sonnabluma a Recht dazu? Zwölf Jahr' führ' i mei' G'schäft und koa Mensch hat so was von wir b'haupt'. I kann koa Wasserl trüben, vielwenga a Milli. Bei wir wird nix panscht. Die moant leicht, weil bei ihr 's Bier panscht wird, daß die Wasserleitung oft ins Stocken kimmt? I sag koan Menschen was Bös's nach, na', g'wiß nit! A jeder treibt sei' G'schäft, so guat er's kann. I Milli pantsch'n! Die auf'blas'n Sonnabluma soll vor ihrer Thür kehr'n, die lange Docken. Muaß ma förmli zwoamal hinschaug'n, bis ma's ganz siehgt, so lang is's, und dazu putzt sie si' z'samm' wie r a Docken, und wenn der Herr Sekretär zum Bier kimmt, no, – wenn da 'n Wirt, dem alten Steffl, 's Hirn nit weh thuat, weil ebbas außawachsen möcht', Sie wissens's scho' – so hat er koa Hirn, hat er koans. Was geht mi den sei' Hirn an! I hab' mit'n mein' gnuag Elend, wenn i mi vergiß und zwoamal in an' Kübel – wissen S', es kimmt ja vor, daß ma hin und wider a Milli, die z' dick ausg'fall'n is, verdünna möcht' mit – ara leichtern Milli, – aber dös is nit panscht, wenn ma oans ins ander gehn laßt. Jess', da schaug'n S', durt kimmt s', die langmächti Sonnabluma. Na', den Huat und die Blümerln! No wart! Von dera muaß eahna no' mal ebbas dazähl'n, da wern S' lacha.«
123 Sie konnte nicht weiter sprechen. Der Ausrufer nannte ihren Namen und denjenigen ihrer Gegnerin, der Wirtin zur Sonnenblume. Beide eilten dem Amtszimmer zu. Dort machte eine der andern den Vortritt streitig, bis endlich beide mit dem Ausrufe. »O je!« zu gleicher Zeit sich in das Nebenzimmer drängten, zur Erheiterung der Zurückbleibenden.
Auch Brauneberger lachte. Er hatte alle Anwesenden und Ankommenden der Reihe nach gemustert, keiner aber schien dem Phantasiebilde ähnlich, das er sich von Johannes Ebner gemacht. Er stellte sich diesen als einen verbissenen, grämlichen Menschen vor, gekleidet in einen alten Samtflaus, das Haupt mit einem mächtigen Kalabreserhute bedeckt.
»Auf'n ersten Blick kenn' ich ihn!« hatte er seiner Tochter beteuert. »Aber bis jetzt ist keiner im Saal, der mich so anekeln könnt' wie dieser zweideutige Mensch.«
»Aber, Vater,« versetzte Susanne, »du hast vorhin doch selbst gelacht über die Milchfrau. Hörst du, wie sie räsonniert? Alles lacht. Ich meine, du solltest auch lachen über das dumme Bild. Du zeigst dadurch am besten, daß du durch solch eine Karikatur nicht geärgert werden kannst.«
»So?« entgegnete der Vater. »Soll ich mir gefallen lassen, daß du einen protzenähnlichen Vater hast? Und das von einem wildfremden Menschen, von einem – Jess', der ist's – der ist's!«
In diesem Augenblick kam ein Mann in etwas herabgekommener Kleidung zur Thüre herein. Er hatte lange, ungekämmte Haare und trug einen schäbigen Samtrock.
124 Sein schon alterndes Gesicht war blaß und zeigte die Spuren eines liederlichen Lebenswandels.
»Der ist's!« behauptete Brauneberger. »Schau ihn nur an, – z'rissene Stiefel hat er, – ich seh's von weitem und – so ein Lump!«
»Bst!« machte Susanne. »Du weißt es ja gar nicht gewiß. Weiß der Himmel, wer der ist.«
»Der Protzenmacher ist's!« sagte Brauneberger in bestimmtem Tone und warf wütende Blicke nach dem neuen Ankömmling. Dieser ließ sich auf einer hinteren Bank nieder, nachdem er dem Aufrufer seinen Ladezettel überreicht hatte.
»Wie er sich hintri setzt,« meinte der Privatier, »daß er ja mir nicht zu nahe kommt.«
»Er hat dich ja gar nicht gesehen,« entgegnete Susanne. »Ich halte ihn für einen armen Menschen, der –«
»Ein Lump ist's!« unterbrach sie der Vater. »Jetzt schaut er her; ich werf ihm aber so einen Blick der Verachtung zu, daß er an mich denkt. Aha, er senkt seinen Blick zu Boden. Ja, ja, das ist das Schuldbewußtsein, das ist's.«
»Ah!« machte jetzt Susanne.
»Was ist's« fragte der Vater.
»Siehst du den eleganten Herrn, der gerade eintritt? Das ist – ja, ja, das ist der junge Mann, der uns heuer auf dem Hirschberg – du weißt doch?«
»So, so?« erwiderte Brauneberger. »Dem muß ich dann gleich meinen Dank sagen, wenn die Vernehmung da drinnen vorüber ist.«
Aber er sollte hiezu sofort Gelegenheit finden, denn schon hatte auch der Angekommene Susanne erblickt und wiedererkannt.
125 »Fräulein, Sie treffe ich hier?« sagte er rasch herbeieilend. »Ich freue mich, Sie wiederzusehen.«
»Ich mich ebenfalls,« erwiderte Susanne mit leichtem Erröten. »Wir begegneten uns in Tegernsee leider nicht mehr.«
»Ich mußte plötzlich abreisen, eines Freundes wegen, – aber ich habe viel, sehr viel an Sie gedacht,« gestand der andere.
Susanne lächelte erfreut.
»Darf ich Ihnen meinen Vater vorstellen – Hier, Privatier Brauneberger.«
Der junge Mann wich entsetzt einen Schritt zurück.
»Da – da – das ist Ihr –«
»Mein Vater,« vollendete Susanne.
»Ja, so ist's,« pflichtete Brauneberger bei. »Meine Frau und Tochter haben mir viel von Ihrer Liebenswürdigkeit erzählt, und ich freue mich, daß ich Ihnen jetzt endlich danken kann für die Mühe, der Sie sich unterzogen. Nochmals herzlichen Dank!« Dabei reichte er dem Verblüfften die derbe, fleischige Hand und schüttelte ihm die seine in herzhafter, schmerzender Weise.
Der Künstler wußte nicht sofort, was er sagen sollte. Er sah bald Susanne, bald deren Vater an, wegen dessen er ja gerade auf dem Vermittlungsamte war, denn er war Johannes Ebner, der Protzenzeichner, der von Brauneberger Angeklagte, dessen Händedruck er noch lebhaft verspürte.
Endlich aber sagte er: »Ich bin eigentlich in Verlegenheit, Ihnen hier –«
»Sie sind wahrscheinlich in derselben Lage wie ich,« unterbrach ihn Brauneberger. »Hat mich da so ein boshafter Mensch – ich sage eigens nicht Kollege von Ihnen, 126 denn so ein boshafter Karikaturenmacher weiß ja nicht, was Kunst ist, – so ein Giftnickel hat mich durch eine Zeichnung öffentlich dem Gespötte preisgegeben, er hat einen Protzen aus mir gemacht, denken Sie sich, ich und ein Protz! Da hab' ich ihn verklagt. Heut' ist die Vermittlung, – ich laß aber nichts vermitteln, ich laß ihn strafen, eingesperrt muß er werden! – Und warum sind Sie da?« fragte er nach einer Weile.
Noch immer sehr verlegen, aber doch allmählich sich zurechtfindend, sagte der Künstler: »Ich bin in einem ähnlichen Falle hier. Ich beabsichtige, mich mit meinem Gegner zu vergleichen.«
»Ich nicht!« rief Brauneberger rasch. »Sehen Sie, dort hinten, der Mann mit dem abgetragenen Samtrock, der ist's. Johannes Ebner heißt er.«
»Ach, bester Herr,« sagte jetzt Susanne, »ich halte es für einen glücklichen Zufall, der Sie uns gerade hier wiederfinden ließ. Vielleicht können Sie es ermöglichen, daß der Vater sich mit dem Karikaturenzeichner vergleicht. Die Mutter und ich baten den Vater vergebens, daß er die Sache beruhen lassen sollte. Der Mensch dort macht den Eindruck des Erbarmens. Er scheint arm und unglücklich zu sein. Er würde gewiß dem Vater Abbitte leisten, und – mehr, Vater, kannst du nicht verlangen.«
»Ich verlange, daß er eingesperrt wird, und dabei bleibt's!« versetzte Brauneberger.
»Bitte, vermitteln Sie,« bat Susanne den jungen Mann.
Dieser suchte nach einem guten Gedanken, wie er sich aus dieser verwirrten Lage glücklich herauswinden könnte. Hier mußte Künstlerwitz helfen, und es schien, als mache ihn Susannens bittender Blick erfinderisch.
127 »Also den dort halten Sie für Johannes Ebner?« fragte er lächelnd.
»Ja, den Hungerleider dort!« antwortete Brauneberger. »Gerade habe ich ihm wieder einen vernichtenden Blick zugeworfen.«
»So erfahren Sie denn,« sagte der junge Künstler, »jener heißt wirklich Ebner, aber nicht Johannes, sondern Hans Ebner. Ich bin mit ihm weder bekannt noch verwandt, weder Freund noch Feind &c., aber er hatte die Keckheit, meinen Namen zu mißbrauchen.«
»Ihren Namen? Ja, wie heißen Sie denn eigentlich?« fragte Brauneberger.
»Ich? Ich heiße Johannes Ebner.«
»Sie? Aber –«
»Aber der dort heißt Hans Ebner und ist ein Stümper von einem Künstler. Damit er nun seine jämmerliche Karikatur über Sie leichter anbrachte, schrieb er als Monogramm »Johannes Ebner« darunter. Verstehen Sie? Mein Name ist schon etwas mehr wert, und so kommt es, daß ihm das Witzblatt die Zeichnung mit den erbärmlichen Versen abnahm. Und ich bin hier, weil ich ihn angeklagt habe wegen Mißbrauchs, wegen – Sie verstehen schon!«
»Aber da hört sich doch alles auf!« versetzte Brauneberger. »So ein Halunke, so ein – ja, ja, der »Hans« schaut ihm aus dem Gesicht und allen Knopflöchern heraus.«
»Bst!« machte der Künstler. »Ich will mit ihm sprechen, er soll Sie um Verzeihung bitten, aber dann lassen Sie ihn laufen. Er hat für immer abgeprotzt, verlassen Sie sich darauf.«
»Ach ja, thun Sie das!« bat Susanne, der die Sache nicht ganz klar war und welche gerne noch diese oder jene 128 Frage gestellt hätte. Herr Brauneberger wollte ebenfalls Einwendungen machen, aber schon hatte sich der Künstler zu dem vorgeblichen Namenskollegen begeben.
In diesem Momente kamen die beiden Frauen, die Milchfrau und die Wirtin, in bestem Einverständnis aus dem Nebenzimmer.
»Es war halt a Mißverständnis,« meinte die Milchfrau. »So geht's. Drum soll ma über alles z'erst reden – no – mi freut's.«
»Niemals hab' i über eahna Milli g'schimpft,« versetzte die Wirtin. »D' Milli is halt nöd alleweil gleich –«
»Dös is's,« ereiferte sich die andere. »Nix, als a Mistverständnis! I hab' jederzeit d' Hand ins Feuer g'legt für eahna, koa unrechts Wörtl is über meine Lippen kömma, wahrhafti –«
Was sie sich gegenseitig noch vorlogen, konnte nicht mehr gehört werden, sie hatten den Saal verlassen.
»Siehst du, Vater,« sagte Susanne, »auch die beiden haben sich versöhnt. Es ist doch am besten so.«
»Muß mir's noch überlegen,« antwortete der Vater; »der verdient kein Pardon: Namensmißbrauch, Karikaturenschinder, und dabei aussehen wie ein Hungerleider –«
Der junge Künstler hielt indessen mit dem fraglichen Samtrockinhaber folgendes Zwiegespräch:
»Bömlein, Sie haben mich wegen Beleidigung hieher zitieren lassen?«
»Ja, so ist's, Herr Ebner,« entgegnete der Angesprochene, der sich als Farbenreiber in den Künstlerateliers herumtrieb und nicht mit Unrecht für einen Fexen galt. »Sie haben mich in Gegenwart anderer geschimpft –«
»Ich hatte Grund dazu,« unterbrach ihn Ebner. »Sie 129 haben den Farbeneinkauf mit mir nicht richtig verrechnet; ich habe die Beweise jetzt in der Tasche. Ihre Klage nützt Ihnen nichts; ich kann den Wahrheitsbeweis erbringen. Übrigens soll alles vergessen sein, wenn Sie wollen.«
»Das ist mir das allerliebste,« entgegnete Bömlein. »Reut mich ohnedies schon, daß –«
»Nun, desto besser,« sprach Ebner. »Sie haben heute natürlich noch nichts gegessen?«
»Noch keinen warmen Löffel hab' ich im Leib!« beteuerte der andere, »und es geht schon auf den Abend.«
»Da haben Sie einen Thaler,« sagte Ebner, ihm das Geld gebend. »Jetzt aber gehen Sie zu dem dicken Herrn dort, bei dem Sie mich stehen sahen, und bitten ihn um Verzeihung – kurz und bündig, lassen sich in gar keinen Diskurs ein, nennen keinen Namen, bitten ihn nur um Verzeihung und verschwinden dann. Das andere besorge ich, verstehen Sie?«
»Eigentlich nein,« versetzte Bömlein. »Sie meinen, ich soll den Herrn dort um Verzeihung bitten, weil Sie mich beleidigt haben?«
»Ganz recht,« lachte Ebner. »Da haben Sie noch eine Mark, damit Sie leichter begreifen.«
»O, Herr Ebner,« sagte Bömlein gerührt und eine Thräne zeigte sich in seinem Auge.
Er wollte sie abwischen, aber Ebner fuhr dazwischen und hielt ihm die Hand.
»Nicht abwischen!« rief er. »Erst wenn Sie dort sind, thun Sie es, und können Sie noch einige Thränen herausdrücken, sollen Sie noch einen Thaler haben. Jetzt aber kommen Sie.«
130 Bömlein glaubte zu träumen. Jedenfalls wußte er nicht, warum er zu etwas veranlaßt wurde, das ihm völlig unklar war. Er folgte dem Künstler zu den in höchster Erwartung Verweilenden.
»Herr Brauneberger,« ergriff der junge Mann das Wort, »ich habe die Sache vermittelt. Machen Sie keine Schwierigkeiten, und Sie –« damit wandte er sich zu Bömlein, »thun Sie wie Sie sagten.«
»Mein Herr,« begann dieser, »ich bitt' vielmals und aufrichtig um Verzeihung –«
»Mehr können Sie nicht verlangen, Herr Brauneberger,« fiel Ebner ein.
»Mehr darfst du nicht verlangen,« sagte auch Susanne.
Brauneberger maß seinen vermeintlichen Gegner mit möglichst geringschätzenden Blicken.
»Wie kamen Sie dazu, das zu thun?« fragte er.
Bömlein glaubte, es handle sich um eine Klage, und erwiderte: »Wenn der Wurm getreten wird, krümmt er sich.«
»Ah!« entgegnete Brauneberger, »ich hab' Sie auf der Trambahn getreten? Das war wohl möglich, aber das ist doch kein Grund, einen ehrlichen Mann der Lächerlichkeit preiszugeben. Sagen Sie, was haben Sie jetzt dafür bekommen?«
Brauneberger meinte die Zeichnung, Bömlein aber glaubte, es handle sich um das, was er von Ebner erhalten, und er antwortete demgemäß: »Drei Mark und noch eine dazu und –« indem er sich die ihn noch immer auf der Wange kitzelnde Thräne abwischte, »ein Thaler ist mir noch gewiß.«
»Bömlein!« ward jetzt gerufen.
131 »Hier!« meldete sich derselbe.
»Ebner!« lautete der zweite Aufruf.
»Hier!« antwortete auch dieser.
»Eintreten!« befahl der Aufrufer.
Brauneberger und Susanne sahen bald den einen, bald den anderen der vor ihnen Stehenden an.
»Heißen Sie denn Bömlein?« fragte der erstere jetzt den noch immer zerknirscht dastehenden Farbenreiber.
»Es handelt sich um eine dritte Person,« warf der junge Künstler rasch ein, und dem Aufrufer erklärte er: »Die Parteien verzichten auf den Eintritt; ebenso Brauneberger und Ebner. – Sie können jetzt gehen,« wandte er sich wieder dem Farbenreiber zu. »Herr Brauneberger vergiebt Ihnen, adieu!« Mit diesen Worten hatte er Bömlein thatsächlich von dem Privatier weggedreht und zur Thüre gewiesen.
Brauneberger winkte verächtlich mit der Hand, daß er gehen solle.
»Sie haben Recht,« sagte er zu dem Maler, »so ein Mensch kann gar nicht beleidigen. Die Zeichnung ist auch so stümperhaft, man sieht ihr an, daß sie ein Pfuscher gemacht hat. Gehen wir! Und wenn ich Sie einladen darf, mit uns im Rathauskeller eine Flasche Wein zu trinken, so wird mir das eine große Freude sein.«
Der junge Künstler atmete erleichtert auf, daß seine List so wohl gelungen.
Als sie die Treppe hinabstiegen und die beiden jungen Leute dem voranschreitenden Brauneberger folgten, fragte Susanne den Maler leise: »Was denken Sie sich jetzt von uns?«
»Nur Gutes!« versicherte der junge Mann. »Was aber denken Sie sich von mir?«
»Daß Sie ein Erzschelm sind!« antwortete Susanne lächelnd. »Ich habe die ganze Geschichte durchschaut.«
»Und wollen mich verraten?« fragte Ebner, dem Mädchen die Hand drückend.
»Nein,« entgegnete dieses. »Sie wissen ja immer wieder den richtigen Weg zu finden.«
»O, wir sind schon auf dem rechten Weg,« versetzte Brauneberger, der die letzten Worte gehört und falsch gedeutet hatte. »Ich kenn' mich im Rathaus schon aus, trotz der so beliebten ägyptischen Finsternis.«
Ebner und Susanne sahen sich lächelnd an. »Ich kenne von nun an nur einen richtigen Weg,« sagte der erstere, »und der führt zu Ihrem Herzen.«
Dieser Weg war für den hübschen jungen Mann nicht reich an Hindernissen. Einige Monate später fuhr das junge Paar zum Standesamt.
Bald nach der Hochzeit traf es sich, daß Bömlein und Brauneberger sich im Hofbräuhause begegneten. Der Farbenreiber sah noch heruntergekommener aus als damals am Vermittlungsamt, weshalb ihn Brauneberger herzuwinkte und ihm ein paar Mark mit den Worten in die Hand drückte: »Sie müssen mir eine Gefälligkeit thun.«
»Ich?« fragte Bömlein, durch das Geld in seiner Hand neu belebt. »Soll ich vielleicht heute jemand um Verzeihung bitten, den Sie beleidigt haben?«
»Ich verstehe Sie nicht,« erwiderte Brauneberger. »Auf das Wohl des glücklichen jungen Paares sollen Sie trinken. Sie wissen doch, daß Ihr Namenskollege mein Schwiegersohn ist? Alles andere ist vergessen, Herr Ebner, ja, ja – vergessen.«
133 »Wie nennen Sie mich? Ebner? Mein Name ist ja Bömlein, Gottfried Bömlein!«
»Machen Sie keinen Spaß,« versetzte Brauneberger. »Sie heißen ja Hans Ebner! Das weiß ich besser.«
»Wie – wie? Sie wissen besser als ich, wie ich heiße? Aber erlauben Sie –«
»Erlauben Sie,« unterbrach ihn Brauneberger. »Sie heißen Hans Ebner, wenn Sie gleich unter der Karikatur aus gewissen Gründen eine Änderung vornahmen.«
»Unter welcher Karikatur?«
»Die Sie sich erlaubten – Trambahn – fliegender Protz –«
»Weiß ich gar nicht,« versicherte Bömlein.
»Aber Sie haben doch Ihre Zeich– Ihr Machwerk mit Johannes Ebner unterschrieben.«
»Ich? Ich kann ja gar nicht zeichnen. Auf Ehr' und Seligkeit, ich bin der Farbenreiber Gottfried Bömlein. Ah, jetzt fällt mir's ein: Sie meinen jene lustige Zeichnung »der fliegende Protz.« Ja, das ist ja von Ihrem Herrn Schwiegersohn komponiert, und zwar sehr gelungen.«
»Von meinem Schwiegersohn?« fragte Brauneberger entsetzt.
»Nun freilich,« erwiderte Bömlein. »Ich weiß aber nicht, wen er damit im Sinne hatte, jedenfalls einen Geldprotzen. Ich wollte, ich hätte diese Ehre gehabt; ich verschluckte den Protzen gern, ich meine die Zeichnung. Kennen Sie vielleicht das glückliche dicke Original?«
»Nein,« entgegnete der Privatier gereizt. »Habe kein Verlangen darnach! Und jetzt adieu!«
Er wendete dem Farbenreiber den Rücken. Dieser war erst 134 verblüfft, dann lachte er laut auf und entfernte sich kopfschüttelnd.
»Mir geschieht's recht!« sagte Brauneberger nach einigem Nachsinnen. »Meine gleichmäßige Ruhe war mir zuwider, ich wollte mich hie und da ärgern, daß mein Blut mehr in Wallung komme. Jetzt nimmt der Ärger gar kein Ende mehr, – was sag' ich, Ärger? – die Wut, – die Wut! Hätt' ich ihn nur gleich vor mir, den Falschen! den Hinterlistigen, den –; kommt er wir nur zurück von der Hochzeitsreise, – da giebt's eine fürchterliche Katastrophe!«
Es gab aber keine. Angesichts des Glückes der Neuvermählten schmolz des Alten Wut hin wie Schnee in der Sonne. Schließlich überkam es ihn, als hätten sich etwelche Weisheitsbazillen in seinem Hirn festgenistet, und lachend sagte er zu sich: »Wer sich zu einer Dummheit hergiebt, muß es sich gefallen lassen, wenn man über ihn lacht. Darüber sich ärgern, das ist die zweite Dummheit. Und damit ich keine dritte begehe, so verschlucke ich auch den Protzen. Eine Rache aber behalte ich mir vor. Damit meinem Schwiegersohn das Protzenzeichnen ein für allemal vergeht, mache ich ihn extra selbst zu einem solchen. Ich kann's, ich hab's, zu einem riesigen Geldprotzen mach' ich ihn. Dann ist das Lachen an mir, und wer zuletzt lacht, der – Teufel, am End' ist das gar der andere!« – 135