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Die beiden Wilderer hatten sich zur festgesetzten Zeit und am bestimmten Orte getroffen. Es war eine prachtvolle Nacht; der Mond breitete sein fahles Licht über die Gebirge des Bayerwaldes und in seltenem Glanze strahlten die Millionen Sterne am dunkelblauen Firmamente. Da flimmerte, da bewegte und regte sich's oben vom Zenithe bis hinab zum Horizonte in Gold- und Silberglanz; der Himmel schien besät mit Rubinen und Smaragden, mit Diamanten und Amethysten. Dazu die Stille der Nacht, durch nichts unterbrochen, als durch das dumpfe Brausen der vom Gebirge herabkommenden Wasser und den Schall der Fußtritte unserer Jäger auf dem durch die Nachtfrische angezogenen Boden. Nur mit gedämpfter Stimme gaben sie sich Frag und Antwort, hin und wieder blieben sie stille stehen, um zu lauschen, ob alles sicher sei, und erst als sie in den Hochwald eingetreten waren, zündete sich der Koppengirgl sein Pfeifchen an.
»Müassen wir hoch 'naus?« fragte jetzt Schrenk.
»Schier auf d' Schneid,« entgegnete der Kopp, »zu den letzten Buchenstamm, wo der Ahorn anfangt.«
»Also z'naachst am Platzl,« entgegnete Schrenk, gar wohl bewandert in allen Teilen des wilden Bergrückens. »Dort is auch a guater Schnepfenstrich; bin scho' oft am Anstand dort gwen, aber nöd als Wilderer, sondern mit Verlaub vom Herrn Förster; 's Platzl g'hört zur 72 Staatswaldung, was mir auch heunt um so lieber is, denn 'n Pladl sei' Revier möcht' i die kurze Zeit, wo i no' hiersig bin, nimmer betret'n.«
»I glaub's nöd, daß di der Hüttenherr fortlaßt,« 73 entgegnete Girgl, »und denk an mi, über's Jahr geh'n wir zwoa so guat auf d' Falz, wie vörden und huia.«
»Sei staad!« sagte jetzt Schrenk, »i hon was g'hört.« Beide standen still und lauschten nach allen Seiten. »Mir war's,« sagte Schrenk leise, »als hätt' i im Schnee was krachen hör'n; es war was Schwer's, a Mensch oder a groß's Tier.«
»A Pudlkua wird vom Baum g'fall'n sein,« erwiderte der Koppengirgl nach einer kleinen Pause. »Geh'n wir weiter, koa' Jaga is nöd unterwegs und was wir sonst fürcht'n sollt'n, wüßt i nöd: die Zeiten san vorbei, wo d' Bär'n und d' Wölf' da ummatum san g'rennt. Mit 'n Hochwild war's vorneh nöd viel, sollt' aber a Reh drin steck'n im Revier, so nehma ma's mit.«
Nachdem sie noch einmal gelauscht und nichts vernommen, schlugen sie einen Jägersteig ein und gingen vorsichtig auf dem gefrorenen Schnee, in dem sie oft zu versinken glaubten, den ziemlich steilen Berg hinan.
Da ging der Weg oft zwischen alten Bäumen hindurch. die sich in der Beleuchtung des Mondscheines phantastisch ausnahmen, oder er führte über einen Filzgrund mit verkrüppeltem Krummholze, welches die Wilderer in seltsamen Gestalten anschaute; oft galt es, über kolossale umgestürzte Stämme zu klettern, dann wieder durch dichtes Unterholz, durch Brombeerbüsche den Weg zu bahnen. Und so ging es stundenlang fort in einem unregelmäßigen Wechsel von lebenden und abgestorbenen Bäumen, auf unebenem, oft tückisch verdecktem, bald trockenem, bald schlüpfrigem, bald 74 schwankendem Boden und durch ein Chaos von Felsentrümmern, mit welchen das Ossagebirge gleichsam besäet ist.
Die beiden Wilderer ließen sich das alles nicht verdrießen; wenn die Hindernisse überwunden, gingen sie wieder nebeneinander und der Zächerl plauderte mit großem Vergnügen von den gefährlichen Jagden, welche er in früheren Jahren hierum mitgemacht.
»Das war halt noch a schöne Zeit,« meinte er, »als noch Bär'n und Luchsen und Wölf' da ummatum g'haust hab'n! Da hat's noch was z' wag'n geb'n; da hat koaner a Jaga sein können, wenn er nöd a Schneid g'habt hat! Aber iatzt könnt' ma' an' Rosenkranz beten am Anstand und rauscht's in den Laubern, kommt selten was andres, als a lausig's Has'l. – 's is gar nimmer der Müh wert zu wildern, wenn's nöd alle heilig'n Zeiten a Stuck Wildbret oder im Auswärts an' Auerhahn absetzt, hol' mi der Hörnlmeier! ich hätt' die G'schicht schon längst aufgeb'n.«
Schrenk sagte einige zustimmende Worte und fragte ihn dann, ob er außer der gestern erwähnten Bär'nhatz noch mehrere mitgemacht.
»Niederg'schoss'n hab' i sonst leider koan,« entgegnete der Zächerl, »aber g'rauft hab' i damit und totschlag'n hab' i grad gnua mithelf'n. Als Treiberbua hat mi der Jäger Georg Forster vom Zwiesler Waldhaus und sein Bruder, der Andrä, immer mitlassen, wenn's auf d' Bär'nhatz außi san. Nöd achtzig Bär'n reichen aus, so die zwoa in den Waldungen zwischen Rachl und Arber niederg'schoss'n hab'n. Den letzten, i woaß's noch guat, hab'n 's anno 12 am Sulzriegel erlegt. Koaner denkt dran und in der Flint'n hab'n 's Hasenschrot. Da verbell'n d' Hund in an' Dickicht an' großmächtig'n Bär'n; Pums! schieß'n 75 alle zwoa und der verwund'te Bär nimmt's an; Gnad' Gott, hätt'n 's d' Hund' nöd g'habt! die aber halt'n 'n Bär'n auf, bis d' Jaga wieder g'lad'n und g'schoss'n hab'n. Aber was bedeut't a Schrotschuß auf a solches Tier! – Noch etlichemal hab'n 's g'schoss'n und d' Schrot war'n zu End'; da lad't der Andrä Forster seine zinnern Rockknöpf in d' Flint'n, thuat an' letzten Schuß – und der Bär liegt da! Fünf Zentner hat er g'wog'n, es war der größte Bär, den i je g'seh'n hab'. –
»Im Jahrgang 1824 hab' i am Hohenbogen die letzte Bär'nhatz mitg'macht; dort wär' 's bald gefährlich wor'n für 'n Revierförster Lutz. Der schießt a Bärin und 's wütige Tier nimmt 'n Schützen an, wirft 'n nieder und stellt si drauf. Er wär' verloren g'wen, hätt' nöd sei' Fanghund d' Bärin ang'fall'n und so lang abg'rauft, bis d' Schützen kommen san. Einer davon, es war der Müller Striber von Simpering, hat dann das wütige Tier durch 'n Kopf g'schoss'n, und der Förster is mit einer leichten Wund'n davon kommen. – Seit der Zeit hat man leider nix mehr g'hört von Bär'n im obern Wald; im untern san's noch in den dreißiger Jahren g'schoss'n wor'n. – Was d' Wölf anbelangt, so is der letzte anno 27 vom Bürger Plankl am Wolfsriegel bei Zwiesel und der letzte Luchs anno 23 am Arber drenten erlegt wor'n. Aber auch mit dera Jagd is's Tralarum!«
Der alte Wilderer erzählte noch allerlei von jenen interessanten Jagden. Derartige Ereignisse waren für zeitlebens in seinem Gedächtnisse eingeprägt; was dazwischen lag, hatte er meistens vergessen; aber jene großen Jagden, 76 jene Zeit, wo er der glückliche Schütze war, – das war seine Ehrenzeit, und wenn er darauf zu sprechen kam, röteten sich seine Wangen und die altersmatten Augen erglänzten wieder. Eine verdoppelte Prise Schmalzler nehmend, sagte er schließlich nicht ohne Seufzen:
»Besser kann's wer'n auf der Welt, aber schöner wird 's nöd!«
Schrenk unterbrach jetzt plötzlich den Alten, indem er ihn am Arm packte und ein Zeichen zum Schweigen gab. Jener hatte ein gutes Gehör und es war ihm nicht entgangen, daß sich jenes Geräusch, das er schon beim Eintritt in den Hochwald gehört, wiederholte; es waren ganz deutlich Schritte – Schritte eines Menschen, die auf dem gefrorenen Schnee und in der Stille des Waldes vernehmlich widerhallten. Aber sonderbarer Weise verstummte dieser Hall, so oft unsere Wilderer stehen blieben.
»'s is nix andres,« sagte der vollkommen sorglose Alte, »als der Widerhall von unsern Schritten. Aber 's könnt' auch sein, daß 's a Tier wär', woaßt was, Schrenk, i bürsch amal in der Richtung hin, wo's die Tritt' willst g'hört hab'n. Aber lus iatzt wo anders hin; es wird schon dämmerig und wenn i mi nöd irr, hör' i iatzt grad an' Schnepf'n quarr'n; da is's Zeit, daß wir auf 'n Falzplatz kommen. Nöd zehn Vaterunser lang is der erste weg von da, halt di nur links geg'n d' Ossaspitzen zua, bei den Buach'n bleibst nachher steh'n, und hörst an' Hahn schnalz'n, spring guat an, druck d' Aug'n zua, wenn er im Wetzen aussetzt, denn deine Aug'n glanzen noch gar jugendlich, das kann der Hahn nöd leid'n und leicht steht er ab. Am Platzl treffen wir uns wieder. Weidmannsheil!«
77 »Will schon mach'n, was recht is,« erwiderte Schrenk lächelnd und setzte seine Zündhütchen auf seiner Doppelflinte auf. Dann ging er in der angezeigten Richtung vorwärts, während der Bärenkoppengirgl nach rechts hin bürschte.
Eine frische Morgenluft wehte aus dem Böhmischen herüber und das fahle Licht des Mondes kämpfte bereits unterliegend mit den immer heller werdenden Vorboten des kommenden Tages.
Herrschte noch vor einer halben Stunde Totenstille im ganzen Waldgebirge, mit der kommenden Dämmerung wachten die gefiederten Bewohner auf und in den Birkenwäldern und um den Saum der Hochwaldungen ward es auf allen Zweigen lebendig. Das war ein Zirpen und Singen, ein Pfeifen und Schreien, als stimmten hundert Musikanten ihre Instrumente! Die Drossel und das Rotkehlchen, das Schwarzblättchen und die Grasmücke, der Zaunkönig und die Steinlerche und eine Menge anderer Vögel sangen alle miteinander ein Konzert von Tönen und Trillern, welches durch das Gekreische der Nußhäher und Elstern womöglich an buntem Wirrwarr zunahm.
Je tiefer man in den Hochwald hineinkommt, wo uns nur die hochschäftigen Stämme der riesigen Bäume umgeben, desto ruhiger wird es, und die feierliche Stille wird höchstens von dem melodischen Gesange der sich in die Tiefe des Waldes hinein wagenden Drossel unterbrochen. Im Frühjahre aber herrscht auch im Innern des Waldes ein regeres Leben; da streichen die Schnepfen über niederes Gesträuch und Waldblößen, da spielt der Birkhahn in jüngeren Schlägen und falzt der Auerhahn im tiefstillen Nadelwalde.
78 Ist auch die Auerhahnjagd mit mancher Beschwerlichkeit verbunden, so ist sie doch auch von besonderen Reizen begleitet, um deren willen sie sogar der Verfasser der Tunisias und Rudolfias, der Erzbischof S. Pyrker, besungen hat:
»Der Auerhahn, der Auerhahn,
Der lockt mich nach der Höh'n;
Doch will ich dort mit Vorteil dran,
So heißt es früh aufsteh'n!
Der Auerhahn, der Auerhahn
Ist selten zu erseh'n!«
Schrenk hatte inzwischen den ihm bezeichneten Balzplatz erreicht und kaum eine Viertelstunde belauscht, als er in geringer Entfernung das Schnalzen eines Auerhahnes vernahm und sich sofort in Bereitschaft setzte, an denselben anzuspringen. Er war nicht zum erstenmal auf der Falz und mit richtigem Verständnis wußte er sich während des Hauptschlages mit je drei Sprüngen dem Hahne zu nähern und dieser hatte kaum das »Schleifen« begonnen, – da blitzte durch die Waldnacht ein Schuß und der stolze gewichtige Vogel stürzte zu den Füßen des glücklichen Jägers.
Schrenk nahm seine Beute und suchte auf die kleine Waldblöße (das Platzl) hinauszukommen, wohin er sich mit dem Bär'nkoppen verabredet hatte. Es war ihm nicht schwer, sich sofort richtig zu orientieren, und alsbald befand er sich am Platze der Zusammenkunft. Da der Koppengirgl noch nicht anwesend war, machte sich unser Wilderer daran, den Hahn aufzubrechen und nach Weidmannsart zu behandeln. Er hatte sein Gewehr zur Seite gelegt und sich niedergekniet, um diese Arbeit bequemer verrichten zu 79 können, und war so damit beschäftigt, daß er das Annähern eines Mannes gar nicht vernahm; ja er bemerkte es gar nicht, wie dieser Mann das zur Seite gelegte Gewehr leise aufhob, sich es umhing und sein eigenes in Schußbereitschaft zu setzen suchte.
Schrenk wurde erst durch die Ansprache dieses Mannes aufgeschreckt und wie mit Blitzesschnelle aus seinen glücklichen Gefühlen gerissen.
»Is dös a Glasmacherarbeit, Monsieur Schrenk?« fragte nämlich eine spöttelnde Stimme hinter ihm.
Schrenk wandte sich um und vor ihm stand der Kramerjakl, der Jäger des Herrn von Pladl, die Flinte zum Schusse bereit und ein triumphierendes Lächeln auf den Lippen.
Schrenk erschrak in der That für den ersten Moment auf das heftigste und es überkam ihn ein Gefühl wie den Verbrecher auf ertappter That; sein Gesicht wurde blaß und er fand keine Worte, was er dem Jäger auf seine Frage antworten solle. Aber dieser, sich seiner Ueberlegenheit wohl bewußt, fuhr fort:
»Hab'n wir Enk iatzt endlich ertappt, Monsieur? – No', vielleicht gebt's es von heunt an wohlfeiler, als wie gestern nachts; denn auf's Wildstehl'n därft's netta nöd stolz sein. Es wird schon g'sorgt wern, daß's künftig an' End hat. Iatzt geht's mit mir zum Gendarm, der Enk ans G'richt abliefern wird.«
Schrenk hatte sich während dieser Ansprache erhoben, nach seinem Gewehr geschaut und mit neuem Schrecken bemerkt, daß der Jäger sich dasselbe bereits angeeignet. Allmählich gewann er seine Fassung wieder; die beleidigenden Worte des Jägers fielen wie brennende Funken auf 80 sein eben fast noch erstarrtes Blut, und glühend heiß rollte es jetzt in seinen Adern. Scham und Wut über die fürchterlich demütigende Lage, in welcher er sich dem von ihm verachteten Manne gegenüber befand, kämpften miteinander und mit blitzenden Augen und stolzer Haltung sagte er jetzt:
»Kramer! i will Enk's g'raten hab'n, sagt's koa' Wörtl mehr zu mir, wenn koa' Unglück g'scheh'n soll. Oes kennt's mi, verklagt's mi; das andre is Sach vom G'richt. Arretier'n aber laß i mi nöd. Auf dem Platz, wo wir san, habt's Oes vorneh koa' Recht; wir san in der Staatswaldung. Oes seid's da grad so guat a Wilderer, wie r i, und mei' G'wehr will i hab'n, und glei' will i's hab'n, sonst –«.
»I schieß Enk z'samm'!« rief jetzt der Kramer erschrocken, dem seine Kourage in gleichem Maße abnahm, als jene Schrenks im Zunehmen begriffen war. Seine Arme zitterten und trotz des gespannten Gewehres wäre jetzt der Jäger überall lieber gewesen, als dem beleidigten Schrenk gegenüber.
Dieser überlegte einen Augenblick, dann rief er:
»Erschieß'n wollt's mi? So weit san wir?«
»Ja,« antwortete blässer werdend der Jäger, einen letzten Versuch machend, die schwindende Kourage wieder zurückzurufen. »Ja, Lump, elendiger! maustot schieß' i Enk z'samm, wenn's Enk nöd arretier'n laßt's!«
Diese Worte ließen den Schrenk alle Vorsicht vergessen. Er machte einen Sprung vorwärts – der Jäger drückte ab und – ein glückliches Geschick wollte, daß das Gewehr versagte und nur das Zündhütchen mit einem schwachen Knall losbrannte. Der Kramerjakl fand keine 81 Zeit mehr, den zweiten Lauf abzuschießen; denn bevor er noch über das Mißgeschick der ersten Schusses im reinen war, fühlte er sich von Schrenk angepackt und ward ihm das Gewehr nicht auf die sanfteste Weise wieder entrissen. Er suchte einigen Widerstand entgegenzusetzen; aber beide fielen während des kurzen Ringens der Länge nach zu Boden. Da blitzte es – und mit einem heftigen Knall entlud sich der zweite Lauf aus Kramers noch gespanntem Gewehre. Ein Schreckensschrei ertönte und ein zehnfaches Echo unterbrach die Waldesruhe; dann war es wieder still – ganz still. –
Schrenk sprang entsetzt auf; der Kramer aber blieb liegen, das Gesicht zu Boden gewendet, – lautlos – regungslos. Schrenk hob dessen Kopf in die Höhe und sah ihm ins Gesicht; Totenblässe bedeckte es, Totenruhe lag in den geschlossenen Augen. –
»Heiliger Vater!« rief Schrenk aus, »aus is's, – er is erschoss'n – heilige Muada Gottes – was is g'schehn!«
Zum zweitenmal überflog sein Gesicht eine fahle Blässe und ein fürchterliches, ein unbeschreiblich entmutigendes Gefühl bemächtigte sich des sonst so starken Mannes. Er blickte zum Himmel mit stieren Augen, als wollte er sagen: »Du durt oben weißt, wie 's gangen hat!«
Die widersprechendsten Gefühle von Schuld und Unschuld tobten durch sein Herz. Die fürchterlichen Folgen dieser Stunde türmten sich vor dem erregten Geiste auf, und ein unaussprechlicher Jammer machte die Seele des sonst so heiteren Mannes erzittern. – Blutigrot erhob sich jetzt über dem Rücken des Ossa die aufgehende Sonne, als wollte sie mit ihrer Farbe dem neuen Tage die traurige Märe verkünden, daß er mit blutiger That begonnen. 82 Schrenk bedeckte einige Augenblicke sein Gesicht mit beiden Händen; dann rief er laut und unter Thränen: »O mei' Franzl!«
Wankenden Schrittes verließ er die verhängnisvolle Stätte; wohin er gehen, was er nun beginnen solle – er wußte es nicht; doch schlug er unwillkürlich die Richtung nach Hause zu ein. Er war noch nicht weit gekommen, hörte er sich zu seinem Schrecken angerufen; aber er beruhigte sich sofort, als er den Koppengirgl auf sich zukommen sah.
»Hast 'n Kropfet g'seh'n?« fragte der Ankommende schnell und mit gedämpfter Stimme. »Die ganz' Zeit hab' i 'n auf der Spur. Ich hab' mei' Bix versteckt und sammel Hadersei. Ich konnt' di nimmer warnen; sag, was war's mit dene zwoa Schuß? Hast an' Auerhahn abbäumt oder – hat 's was anders geb'n? Du bist ja kaasweiß, Schrenk; sag, was is g'scheh'n?«
Schrenk erzählte in Kürze den ganzen Vorfall und schloß damit, daß er jetzt auf dem Wege sei, nach Hause und von dort zum Gerichte zu gehen, um der Schande auszuweichen, mittels Gendarmerie dorthin trausportiert zu werden.
Der Koppengirgl erschrak nicht wenig über Schrenks Erzählung, erholte sich aber sogleich wieder und sagte:
»Neamd hat's g'seh'n, Schrenk, neamd woaß's, als i, und so wahr mir Gott beisteh'n mag in meiner letzt'n Stund'! koa' Mensch auf der Welt soll a Sterbenswörtl von mir hör'n.«
»I glaub's wohl,« entgegnete Schrenk traurig, »aber 83 wenn i's auch vertusch, wie lang steht's an, so kommt's dennat auf und um so ärger is dann auch der Verdacht, i hätt' 'n Kropfet wirkli erschoss'n. Aber mei' G'wiss'n is rein von dera That, i werd auch rein wern vor der Welt und da is's G'scheit'ste, i zeig's am G'richt gleich selber an.«
»Dös thaat i nöd,« erwiderte der Alte, »aber du denkst anders als i, und wie du's denkst, wird's auch wohl g'scheiter sein, als wie i vermoan'. Aber überzeug'n thaat i mi doch noch vorerst, ob der Kramer auch wirkli tot is.«
»Er is's, – er rührt si und reibt si nimmer.«
»No', dös is grad koa' Zeichen vom Tod. – I kenn den Kramer von der Bär'njagd her, durt is er auch maustot am Bod'n g'leg'n und lebt vielleicht noch in dera Stund. Aber Schrenk, wo hast 'n Vogl und 's G'wehr?«
»Am Platzl lieg'n 's boad. I rühr koa' G'wehr mehr an zum Wildern, so lang i leb! Dös sei verschwor'n, mag 's in der Sach da geh'n wie's will!«
»Im Holz lass'n wir's deratweg'n auch nöd lieg'n,« entgegnete der Koppengirgl, »und 'n Auerhahn hast auch nöd g'schoss'n, daß 'n der Fuchs kriegt. Ich werd' die Sach'n hol'n und auch 'n Kramer visitiern, wie's mit dem Schuß ausschaut, denn i moan alleweil, es könnt wie bei der Bär'njagd sei'!«
Der Alte schmunzelte und blinzelte mit den Augen, wie er es gewöhnlich that, wenn er in irgend einer Sache recht zu haben glaubte.
Schrenk hörte ihn kaum.
»I geh hoam,« entgegnete er, »thua, was d' willst. 84 I kann mi nimmer länger da aufhalten, i muaß fort – i geh aufs G'richt.«
»Laß dir Zeit, Schrenk,« sagte der Koppengirgl, »bis i Botschaft bracht hab', bleib' dahoam bis Mittag, i komm und nachher is's alleweil Zeit, daß's and're Leut erfahrn.«
Der Glasmacher erwiderte nichts mehr darauf. Mit verstörtem Ausdrucke im Gesichte brach er sich Bahn durch das Dickicht und den mitunter noch hochgelegenen Schnee und eilte den steilen Gang hinab in der Richtung nach der Lohberghütte. –
Franz lag noch im gesundesten Schlafe. Ihm träumte von zukünftiger Größe; er sah sich als Hüttenherr und reich und angesehen. Seine Mutter war bei ihm und webte sein Schicksal mit einem Schifflein und silbernen Fäden – und lächelte dabei so mild, so gut. Da kam der Vater und küßte ihn und – plötzlich ward er aufgeweckt. Sein erster Blick fiel aus das blasse, verstörte Antlitz des Vaters.
»Franzl!« sagte dieser, »i geh auf Kötzting zum G'richt – was d' auch hör'n magst von mir – i bin unschuldig.«
»Himmlischer Vater!« schrie Franz sich erhebend, »was is g'scheh'n?«
Auch Prannes kam in diesem Augenblicke herein, und der niedergebeugte Schrenk erzählte dem Freunde und dem Sohne das blutige Abenteuer von heute morgen.
Franz konnte vor Schmerz nichts hervorbringen als: »Mei' Vater! mei' Vater!« Auch Prannes war auf das tiefste erregt und wischte sich Thränen aus den Augen, indem er dem Freunde zum Zeichen innigsten Mitgefühls die Hand reichte; aber er faßte sich bald wieder und sagte:
85 »Wie die Sach' steht, so können's dir nix anhab'n und i halt's selber fürs beste, du gehst auf Kötzting und sagst 'n Landrichter alles, wie 's g'gangen hat. I geh mit dir, Schrenk, und unser Herrgott wird da drein schau'n!«
Franz wollte zwar auch mit, aber man fand es nach kurzer Beratung für besser, wenn er zu Hause bliebe.
Es war ein unaussprechlich schmerzlicher Abschied – so gar bald nach kaum erfolgtem Wiedersehen und unter so schrecklich jammervollen Verhältnissen.
»Unser Herrgott wird da drein schau'n!« rief Franzl, des Paten Ausruf wiederholend, und fiel wie ohnmächtig in die Arme der Frau Prannes.
Die beiden Freunde aber eilten Kötzting zu – gestern noch die lustigen Glasmacherleut, heute tief gebeugt und die Herzen voll Zweifel, Furcht und Reue. 86