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Sechstes Kapitel.
Marquis Posa

Die Kunde von dem plötzlichen Tode des Herzogs durchflog die Stadt. Ihr Eindruck war allgemein, und wie es bei öffentlichen Meinungen und Stimmungen nicht selten der Fall ist, brachte sie einen vollständigen Umschwung unter der Bevölkerung hervor. So stürmisch und aufgeregt diese zuvor gewesen war, so ruhig und niedergeschlagen erschien sie nun. Die unruhigen Ansammlungen des Volks waren verschwunden oder hatten Gruppen Platz gemacht, welche sich lediglich aus Neugierde bildeten, um sich das unerwartete Ereigniß mit all den Nebenumständen zu erzählen, mit denen das Gerücht es geschäftig umkleidete.

Die herandämmernde Tageshelle zeigte die Straßenbollwerke, die noch vor so kurzer Zeit der Schauplatz des erbittertsten Kampfes gewesen waren, verlassen. Niemand hinderte die Arbeitsleute, welche dieselben auf Befehl hinwegräumten. Auch die Truppen waren in ihre Kasernen zurückgezogen, unausgesprochen hatten die Parteien Frieden geschlossen. Alles fühlte, daß der Kampf zu Ende sein müsse. Die Hoffnung auf den jungen Herzog ließ allgemein als gewiß annehmen, daß er die verhaßte Steuer, die Ursache alles Unheils, beseitigen werde. Dazu gesellte sich eine Regung der Trauer um den verblichenen Herzog, den man immer nur als mißbraucht angesehen hatte, und das Gefühl der Reue, vielleicht zu seinem Tode mit beigetragen zu haben.

Aus diesem Grunde waren auch die Gefallenen, denen man außerdem ein prunkvolles Leichenbegängniß zugedacht hatte, in aller Stille weggebracht worden. Das neue Opfer, das in dieser Nacht dem Tode gefallen war, hatte die Rechnung auf beiden Seiten mehr als ausgeglichen.

Windreuter und Hahn waren die Einzigen, welche auf dem Platze so lange zurückblieben, bis alle Leichen weggebracht waren. Die letzte war der Student, denn seine Mutter, die ihn zu suchen gekommen war, lag mit der vollen Last ihres Schmerzes auf dem Todten und vermochte nicht, sich von ihm zu trennen. Man ließ sie daher gewähren, bis alle Uebrigen fortgetragen waren. Als die Träger zuletzt wiederkamen, hob Windreuter die Weinende auf. »In Gottes Namen, Frauchen«, rief er, »tröstet Euch, es kann einmal nicht mehr anders sein. Ihr könnt ja noch mitgehen bis ins Leichenhaus. Denkt, Euer Sohn ist gut aufgehoben! Wenn er auch sechzig Jahre alt geworden wäre, einmal hätte er doch fort gemußt wie der Herzog, und was hätte er dann viel gewonnen?«

Die halb bewußtlose Frau ließ sich ohne Widerstand leiten und schritt, von Windreuter unterstützt, mühsam hinter der Bahre her, die das Kleinod ihres Lebens zum Grabe trug.

In Friedrich's Hause hatte während der Vorgänge dieser Nacht die größte Unruhe geherrscht. Die Gerüchte davon gelangten theils durch Beppo, welcher manchmal darnach ausging, theils durch die Nachbarsleute mit den üblichen Ausschmückungen und Uebertreibungen auch in den so entlegenen Stadttheil und steigerten die natürliche Besorgniß der einsamen Frauen noch mehr. Begreiflicherweise dachte Niemand daran, sich zur Ruhe zu begeben, denn die Anspannung der Neugierde und Furcht ließ kein Gefühl der Ermüdung aufkommen. Dazu kam noch, daß die Räthin sowohl als Ulrike mit jeder Viertelstunde Friedrich's Heimkehr erwarteten. Die Räthin hatte sich in das alte Kanapee gesetzt, welches sich längs der Hauptwand des Zimmers unter den alten Familienbildern hinzog, Ulrike dagegen mit der Ungeduld der Jugend den gewöhnlichen Platz der Räthin am Fenster eingenommen, um von dort den Hofraum und die Eingangsthür übersehen zu können.

»Wenn ich nicht irre«, unterbrach Ulrike das einen Augenblick eingetretene Schweigen, »so nimmt das Getöse und das Schießen ab. Vermutlich ist irgend eine Entscheidung eingetreten, da wird Friedrich wohl bald kommen. Meinen Sie nicht auch?«

»Ach, ich meine heute gar nichts mehr!« rief die Räthin entgegen. »Ich bin ärgerlich, so ärgerlich, wie ich es lange nicht gewesen bin. Einmal bin ich's, weil ich in meinen alten Tagen noch solche Dinge erleben muß, und dann wieder, daß Ihr Eintritt in unser Haus dadurch so verdorben wurde! Am meisten aber bin ich ärgerlich über meinen Sohn, daß er sich von solchem Treiben nicht fern hält. Es ahnt mir, daß das noch sein Unglück ist!«

»Sie haben nicht Unrecht, liebe Mutter!« erwiderte Ulrike. »Auch mir wäre es erwünscht gewesen, wenn wir den heutigen Abend als den ersten im Hause meines künftigen Gatten ungestört und im Familienkreise hätten zubringen können. Doch bin ich weit entfernt, Friedrich darum zu tadeln. Er ist ein Mann und kann sich als solcher von den Ereignissen der Zeit nicht absondern.«

»Ach gehen Sie mir damit! Zu meiner Zeit war es des Mannes höchste Pflicht, den Platz, auf dem er stand, ganz und recht auszufüllen. Um etwas Anderes oder gar ums liebe Ganze brauchte er sich nicht zu kümmern. Es war wie in einer Uhr. Wenn da jedes Rädchen und jedes Häkchen seine Schuldigkeit thut, so geht auch das Werk verlässig fort. Ein solcher Mann war mein Seliger, Friedrich's Vater, und ich kann es Ihnen sagen, daß er überall für einen braven Mann galt. Ich bin auch groß und alt geworden in diesen Grundsätzen und begreife nicht, woher Friedrich den unseligen Hang hat. Es geht mir wie der Gluckhenne, der man Enteneier untergelegt hat. Da ist das Küchlein nun ausgekrochen und schwimmt herum, ich habe gut am Ufer herumlaufen und jammern – es plätschert doch ganz wohlgemuth fort!«

»Friedrich ist eben ein Mann von ungewöhnlichen Fähigkeiten. Wenn das Glück seinen Ehrgeiz unterstützt, kann er es weit bringen!«

»Sein Ehrgeiz, ja, das ist auch etwas, was mich beunruhigt. Ihnen kann ich's ja wohl sagen, es ist mir im Grunde gar nicht recht, daß er so jung schon Professor geworden ist, er ist in einem Alter, wo man sonst noch zu lernen hatte. Aber was will ich machen! Ich muß mich wohl selber darüber freuen, denn er ist ja mein Sohn, aber wie gesagt, es ist mir nicht recht. Nun wird er sich nicht begnügen wollen, wird auf der Stufe, die er gleich anfangs erreicht hat, nicht bis ans Ende stehen bleiben wollen, er wird höher und immer höher streben – aber wer hoch steigt, fällt tief! Im Thale wohnt sich's bescheidener, aber sicher.«

»Der Grundsatz hat viel Wahres, aber er ist doch kaum richtig, weil er sich nicht allgemein machen läßt. Was würde aus der Welt werden, wenn alle Menschen so dächten und handelten?«

»Es würde nicht schlimm stehen, glauben Sie mir, aber alle werden das nie. Es wird immer genug geben, die sich nicht begnügen wollen.«

»Begnügen? Und warum sollte man das? Warum sich freiwillig engere Grenzen ziehen, als die eigene Befähigung sie gezogen hat? Ich sollte meinen, daß sich jeder das höchste Ziel vorsetzen und immer nur mit dem Erreichbaren sich begnügen dürfe. Sollten die Höhen des Lebens nur dazu da sein, um wie die Gebirge in einer Landschaft den Aussichtspunkt zu bilden, nicht auch um bestiegen zu werden?«

»Wir wollen uns nicht gleich am ersten Tage unserer Bekanntschaft ereifern und streiten«, lenkte die Räthin ein. »Ich sehe wohl, daß Sie, meine Tochter, auch zu der Fahne gehören, die nicht die meinige ist. Gott weiß, wie das kommt, es muß in der Luft liegen, daß die ganze Jugend solche Gedanken hat. In Gottes Namen denn, probirt es, Ihr jungen Leute, wie weit Ihr damit kommt! Ich verlange nicht mehr mitzugehen. Aber ich möchte doch rathen, sich nicht gar zu hoch zu versteigen, und wenn es auch nur in Gedanken wäre. Die Leute, die das thun, sind meistens da, wo sie zu Hause sein sollten, nicht recht zu gebrauchen.«

Die Alte hatte sich unwillkürlich in eine Art Unmuth hineingeredet, doch fühlte sie es selbst und stand daher auf, um zu Ulrike ans Fenster zu treten. »Ich sage das nicht zu Ihnen, Herzchen«, fuhr sie fort. »Uns Frauen berührt ja das Alles eigentlich nur von fern und mittelbar. Auch sind Sie zu klug, um nicht zu wissen, daß die eigentliche Sphäre der Hausfrau in ihrem Hause ist. Lassen wir darum das Höhersteigen den Modedamen, für welche die Familie nur ein nothwendiges Anhängsel ist, und nehmen Sie einer alten Frau ein freies Wörtchen nicht übel.«

Ulrike, fein genug, um die berührte mißtönende Saite fürder zu vermeiden, ergriff der Räthin Hand und wollte eben etwas Entgegenkommendes erwidern, als die Hausklingel ertönte und bald darauf, von Beppo mit der Leuchte begleitet, Friedrich über den Hofraum schritt.

»Er ist es, er kommt!« rief Ulrike und eilte dem Eintretenden entgegen, um ihn zu umarmen, doch schreckte sie vor seinem Aussehen zurück. »Um Gotteswillen, was ist Dir, Friedrich? Du bist ganz erschöpft und bleich!«

»Fehlt Dir etwas, mein Sohn?« fragte auch die Räthin. »Du bist doch gesund und unverletzt?«

»Ruhig, liebe Mutter, ruhig, sei ganz außer Sorgen«, rief Friedrich. »Ich bin, dem Himmel sei Dank, gesund und wohlbehalten, aber ich glaube es wohl, wenn Ihr sagt, daß ich bleich bin. Ich habe auch Dinge gesehen, bei denen das Blut aus jedes Menschen Wange zurückweichen muß, Dinge – o mein Gott, mein Gott, jetzt, hier in dieser stillen Einsamkeit ist es mir beinahe, als ob ich all das Entsetzliche geträumt hätte!«

»Aber was ist geschehen?« fragte Ulrike. »Sage doch –«

»Nein, nein«, unterbrach sie die Räthin. »Erzähle nichts, ich will von solchen Dingen nichts hören, von meinem guten, friedlichen Hause sollen diese Gestalten fern bleiben.«

»Ich könnte auch nicht erzählen, wenn ich es wollte«, antwortete Friedrich. »Die Eindrücke des Erlebten sind zu neu, zu stark, um sie überschauen und wiedergeben zu können. Auch muß ich sogleich wieder fort.«

»Was, noch einmal fort?« rief hastig die Räthin. »Du wirst doch ausruhen zuerst und etwas genießen? Es muß Dir ja schaden, so in der kalten Nachtluft herumzugehen.«

»Willst Du nochmals in die Stadt? Ist also die Ruhe noch nicht hergestellt?« fragte Ulrike.

»Fragt mich nicht, meine Lieben«, entgegnete er, »ich kann und darf Euch doch nicht Alles sagen. Begnügt Euch also damit, daß ich sogleich abreisen muß.«

»Abreisen? Wohin?« riefen Ulrike und die Räthin erstaunt.

»Auch das kann ich nicht sagen. In einigen Tagen werde ich im Stande sein, Euch Alles zu erklären. Ich habe Beppo bereits geschickt, mir Wagen und Pferde zu bestellen. Bis morgen Nacht bin ich wieder zurück.«

»Aber –« wollte die Räthin nochmal beginnen.

»Kein aber, gute Mutter«, begütigte sie Friedrich. »Machen Sie keine Bedenklichkeiten. Die Reise ist kurz und vollkommen gefahrlos! Doch ist Eile dabei die höchste Pflicht, es handelt sich vielleicht um das Wohl und Weh von Tausenden –«

»Da wäre es unrecht, Dich aufzuhalten«, sagte die Räthin. »Geh denn mit Gott und komme wohlbehalten wieder. Du wirst Dich umkleiden wollen – ich gehe Dir Deine Sachen zurecht zu machen –«

»Ich bitte darum, Mutter, aber schnell, schnell!«

»Und ohne daß Du etwas genossen, lasse ich Dich auch nicht fort«, fuhr die Räthin weiter, indem sie verschiedene Schlüssel zusammenlas. »Einen Becher warmen Wein mußt Du mir trinken, der ist bald fertig!«

»Alles, was Sie wollen, Mutter«, rief Friedrich der Davoneilenden nach, »aber nur schnell! Ich sollte schon lange unterwegs sein, aber es war nicht möglich, durch das Gedränge zu kommen.«

»Ich habe also keinen Grund, um Dich besorgt sein zu müssen?« fragte Ulrike und schmiegte sich, da nun beide allein waren, zärtlich an den Geliebten. »Die Reise ist vollkommen gefahrlos und Du kommst bis morgen wieder?«

»Gewiß, meine Theure. Ich komme bald zurück um mich nie mehr von Dir zu trennen und Dir auch den Schleier zu lüften, der über dem Geheimnisse dieses Abends liegt.«

»Wozu? Glaubst Du, ich mißtraue Dir und Deinen Worten?«

»Nicht das, aber ich habe heute Vieles erlebt, was einen wichtigen Abschnitt in meinem Leben bildet, was darum auch Dich berührt –«

»Wie, mich?«

»Ich sagte es. Später wird es Dir klar werden. Jetzt genüge Dir, zu wissen, daß ich heute einen Feind überwunden habe, der unserm Glücke gefährlich werden konnte.«

»Du sprichst in Räthseln.«

»Jetzt wird uns nichts mehr stören oder beunruhigen. Geliebt von Dir, will ich nur Dir und dem Gedanken leben, Dich glücklich zu machen.«

Ulrike schwieg und duldete Friedrich's Umarmung, ohne sie zu erwidern. Ohne sich darüber Rechenschaft geben zu können, lag etwas in Friedrich's Benehmen und seinen Betheuerungen, was sie erkältete, weil eine gewisse Absichtlichkeit durchschimmerte.

»Du bist nachdenkend?« fragte Führer, indem er Ulrike losließ. Bei dieser Bewegung fiel Primitiva's Schleife, die er nur leicht in den Busen gesteckt hatte, vor ihm zu Boden. Er bemerkte es nicht.

»Ich denke nach«, antwortete Ulrike, indem sie sich bückte und die Schleife aufhob, »wie ein Professor der Rechte und ein Bräutigam wohl dazu kommen mag, derlei bei sich zu tragen und auf seinem Herzen zu verwahren?«

Sie sprach diese Worte in einem Tone, der wie Scherz klingen sollte, allein die wechselnde Farbe ihres Angesichts verrieth, wie sehr sie ergriffen war.

Friedrich war nicht minder betroffen. Eine gerade, ehrliche Natur, vermochte er nicht, eine Unwahrheit zu sagen, und fühlte doch ebenso gut, daß er jetzt die Wahrheit nicht sagen konnte, welche er tags darauf Ulrike mitzutheilen nicht angestanden hätte. So kam es, daß er einige Sekunden, während deren Ulrikens gespanntes Auge brennend auf ihm haftete, völlig schwieg und zuletzt nur eine halb zugestehende, halb verneinende Antwort vorbrachte. »Ich weiß in der That nicht recht«, sagte er, »wie ich zu der Schleife komme – ich habe sie gefunden.«

»In der That? Und doch so sorgfältig verwahrt?« hauchte Ulrike mit unsicherer Stimme. »Damit wird wohl auch die plötzliche Reise zusammenhängen. Indeß, wie dem auch sei, ich verzichte auf die Erzählung des heutigen Erlebnisses, das einen so wichtigen Abschnitt Deines Lebens bildet. Ich muß befürchten, daß es für Deine Braut wohl geeignet sein dürfte –«

Mit ausbrechenden Thränen eilte sie von ihm hinweg und warf sich mit all der Heftigkeit, deren leidenschaftliche weibliche Gemüther fähig sind, in die Kissen des Sophas.

Friedrich, dadurch aus seiner Betäubung und zum Bewußtsein seiner Unschuld erwacht, eilte zu ihr und versuchte sie begütigen.

Beppo's Eintreten verhinderte ihn daran und zwang auch Ulrike, mindestens äußerlich ruhig zu erscheinen.

»Wagen und Pferde werden augenblicklich hier sein« meldete der Alte.

»Es ist gut«, rief Friedrich unmuthig. »Sag' es, wenn sie da sind, und laß uns allein.«

»Es ist auch ein Herr unten«, fuhr Beppo fort, »der durchaus mit Ihnen zu sprechen verlangt.«

»Jetzt? Ich habe keine Zeit – es ist unmöglich. Was will er?«

»Das weiß ich nicht«, erwiderte der Diener. »Er trug mir nur auf, zu sagen, er komme von Seiner Hoheit dem Erbprinzen –«

»Was sagst Du? Ist das gewiß?« rief Friedrich überrascht. »Dann schnell, führe den Herrn herauf. Ulrike, empfange ihn, ich will mich nur in Eile umkleiden, sonst bin ich noch länger aufgehalten.«

Beppo eilte hinweg. Friedrich trat zu Ulrike und ergriff ihre Hand. »Fasse Dich«, sagte er mit dem herzlichsten Tone, der ihm zu Gebote stand. »Beruhige Dich, meine Liebe, Deine Besorgniß ist unbegründet. Du sollst Dich in Bälde davon überzeugen, bis dahin gib keinem erniedrigenden Argwohn gegen mich Raum und vertraue mir!«

Er ging. Ulrike blieb sinnend und bewegt im Sopha zurück. Verfehlte auch das unverkennbare Gepräge der Wahrheit, das auf Friedrichs Worten haftete, seine beruhigende Wirkung nicht völlig, so reichten sie doch nicht von fern zu, den einmal erwachten Argwohn zu beseitigen. Zum zweiten Male fühlte sie sich von der quälenden unbestimmten Angst ergriffen, welche sie schon beim Eintritt in das Haus befallen hatte. »Es ist nicht Alles, wie es sein sollte!« seufzte sie dann. »Friedrich ist nicht zurückgekommen, wie er ging. Wenn er mich getäuscht hätte, wenn er – Ich muß wissen, woran ich bin«, rief sie dann, die Schleife aufraffend, und trat dem gemeldeten Besuche, welchem Beppo eben die Thür öffnete, entschlossen entgegen.

Beim Anblick desselben blieb sie jedoch wie festgebannt stehen.

Auch der Eingetretene vermochte seine Ueberraschung nicht zu verbergen. Einen Moment standen sich beide so in peinlicher Verlegenheit gegenüber.

»Wie, mein Herr«, begann endlich Ulrike unmuthig, »bis hierher sogar wagen Sie zu dringen?«

»Ich betheure Ihnen, mein Fräulein«, erwiderte der Fremde, allein Friedrichs Eintritt schnitt jede weitere Erörterung des unerwarteten Zusammentreffens ab.

Auch Friedrich gerieth beim Anblick des Fremden in Erstaunen. »Ist es möglich«, rief er, indem er ehrerbietig näher trat, »Eure Hoheit bei mir?«

»Ich bin es, mein lieber Führer«, entgegnete der Prinz. »Entschuldigen Sie mit den Umständen, daß ich zu solcher Zeit und auf solche Weise zu Ihnen komme.«

Ulrike stand wie vom Donner gerührt, bald roth, bald blaß, und vermochte kaum sich von der Stelle zu bewegen. Ein mahnender Blick Friedrichs erinnerte sie endlich, und sie entfernte sich mit einer tiefen Verbeugung, welche der Prinz aufs artigste erwiderte.

»Möge es Eurer Hoheit gefallen, mich von meiner Ueberraschung zu befreien«, begann Führer.

»Das soll geschehen. Ich habe ein ernstes Wort mit Ihnen zu reden. Man hat mir zwar gesagt, daß Sie noch diese Nacht verreisen wollten, aber wenn diese Reise nicht gar zu wichtig und dringend ist, müssen Sie dieselbe mir zu Liebe aufschieben.«

»Die Anwesenheit Eurer Hoheit hat meine Reise überflüssig gemacht.«

»Wie das? Sie setzen mich in Verwunderung.«

»Meine Reise sollte Eurer Hoheit gelten.«

»Erklären Sie sich deutlicher.«

»Da Eure Hoheit hier sind, müssen Ihnen auch die unseligen Vorgänge dieses Tages und der Nacht bekannt sein. Als ich erfuhr, daß der Herzog, Ihr Vater, entschlossen sei, es zum Aeußersten kommen zu lassen, dachte ich, daß Ihre, als des Thronerben, Vermittelung gewiß Gutes bringen und viel Unheil verhindern würde. Ich glaubte Eurer Hoheit Gesinnungen noch aus früherer Zeit zu kennen, schmeichelte mir, in Erinnerung an diese Zeit, nicht unangenehm zu sein, und so entschloß ich mich, nach St.-Wendelin zu reisen, Ihnen Alles zu erzählen und Sie zur Hierherreise zu bewegen.«

»Wollten Sie das, dachten Sie das wirklich von mir?« rief der Prinz mit leuchtenden Augen. »Ich danke Ihnen und werde es Ihnen nie vergessen. Deshalb also konnten Sie mit solcher Bestimmtheit sagen, daß ich bis morgen hier sein würde –«

»Eure Hoheit wissen?«

»Alles, und zwar von einem unverwerflichen Ohrenzeugen. Ich danke Ihnen nochmals, wenn mich auch mein guter Stern gleich auf die ersten Nachrichten hin, die das Gerücht bis in meine Einsiedelei brachte, abreisen ließ. Leider kam ich durch den Umstand, daß eine Brücke abgeworfen war, später an, als ich wünschte. Auch in der Stadt noch wurde ich durch das Getümmel aufgehalten und konnte so nicht hindern, was geschehen ist. So will ich denn für die Zukunft das Meine thun und deshalb bin ich hier.«

Friedrich verbeugte sich in schweigender Erwartung.

»Beantworten Sie mir einige Fragen«, fuhr der Prinz nach kurzem Besinnen fort. »Sagen Sie mir – denn ich nehme Ihr Schweigen als Zusage – sagen Sie mir, ob Sie sich noch der Gespräche erinnern, die wir in jener frühern Zeit, von der Sie selber gesprochen, in Göttingen über politische Gegenstände hielten?«

»Wie sollt' ich nicht? Sie gehören unter die erhebendsten Erinnerungen meines Lebens.«

»Gut. Und sind Sie den Ansichten, die Sie damals äußerten, treu geblieben? Halten Sie es für möglich, die schönen Pläne, welche Sie darauf gründeten, ins wirkliche Leben zu rufen?«

»Jene Ansichten und Pläne wurzeln in meiner Ueberzeugung und diese ist mit meinem Leben so innig verwachsen, daß ich bereit bin, sie durch Hingabe meines Lebens zu bekräftigen.«

»Ich habe das erwartet. Nur noch eine Frage also: Was denken Sie von mir? Halten Sie mich für den Mann, der berufen sein könnte, diese Pläne zu verwirklichen?«

Friedrich sah einen Augenblick nachdenkend vor sich hin. »Die Stellung auf dem Throne ist eine gewaltige«, sagte er dann. »Es ist unmöglich, die neue Schöpfung, von der wir reden, so mit einem Schlage wie über Nacht hervorzurufen, und ein Menschenleben reicht dazu lange nicht aus. Ich täusche mich darum nicht, wenn ich sage, daß dem Manne, welcher entschlossen ist, Hand ans große Werk zu legen, in vielfacher Hinsicht eine unerfreuliche Zukunft bevorsteht. Es sind der Parteien zu viele, die an dem Fortbestand des alten Gemäuers ihr volles Interesse haben. Sie werden darum nicht unterlassen, dem Störer ihren Ruhe drohend um den Kopf zu fliegen. Zudem wird es ihm leicht ergehen, wie Jemand, der eine Waldcultur anlegt. Er hat alle die Mühe und Sorge der Pflanzung und dafür keinen andern Lohn als den Gedanken an den Wald, der nach Jahrhunderten über den Häuptern von Urenkeln rauschen wird, die vielleicht des Pflanzers nicht entfernt gedenken. Mit einem Worte, der Schöpfer dieses Werks muß über der Schöpfung sich selbst vergessen. Er bedarf darum der durchdringenden, erhebenden und nachhaltigen Begeisterung, die ihn über allem Widerstande und aller Widerwärtigkeit oben erhält. Ich habe mit Absicht so weit ausgeholt, mein Prinz, um meinen Standpunkt bei Beantwortung einer so bedenklichen Gewissensfrage scharf darzulegen und nicht mißverstanden zu werden.«

»Enden Sie.«

»Nach dem, was ich gesagt habe, mein Prinz, sind es nur Sie selbst, der die mir gestellte Frage verlässig beantworten kann. Fühlen Sie diese hohe Begeisterung in sich, ist es Ihnen unerträglich, den Menschen von der ihm angeborenen freien Stellung in eine unterwürfige herabgedrückt zu sehen, sind Sie bereit und entschlossen, nach dem Worte des großen Dichters, den Sie einst gleich mir verehrten, den Bürger wieder das sein zu lassen,

»was er zuvor gewesen:
»Der Krone Zweck –«

dann ist es Ihre Pflicht, Hand ans Werk zu legen. Fühlen Sie diese glühende Ausdauer nicht in sich, so bitte ich Sie, dieser Stunde, in der Sie mir so hohes Vertrauen schenken, eingedenk zu sein, wenn Sie einmal den Thron besteigen, und die Ketten Ihrer Mitmenschen mindestens leichter zu machen.«

Friedrich schwieg, eine kleine Pause trat ein.

»Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit«, begann dann der Prinz wieder. »Sie beweisen mir dadurch abermals, daß ich mich in Ihnen nicht geirrt habe. Doch scheinen Sie noch nicht zu wissen, daß der Augenblick der Entscheidung für mich bereits gekommen ist.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Der Herr hat über meinen Vater geboten und ihn vor einigen Stunden plötzlich vom Leben abgerufen. Die Krone dieses Landes ist mein.«

Der Prinz hielt ergriffen inne, auch Friedrich wurde mächtig erschüttert. »Was ist der Mensch!« sagte er dann. »Noch gestern gebot dieser Mann über Millionen – wozu hat ihn ein Augenblick gemacht! Ich begrüße Sie, mein Herzog, mit freudigem Glückwunsch, aber verstatten Sie mir die Rührung, die mich beim Andenken Ihres Vaters ergreift. Wohl ihm, er war ein Mann mit dem besten Herzen und mit dem redlichsten Willen; um seiner Irrthümer willen möge ihn kein Fluch drücken!«

»Amen!« erwiderte der Herzog. »Möge meine Leichenrede einmal die gleiche sein! Doch nun hören Sie. An der Leiche meines Vaters, zu dessen letzten Augenblicken ich kam, habe ich, nachdem das erste Opfer des Schmerzes gebracht war, der großen Aufgabe gedacht, die mir nun übertragen ist. In diesen ernsten Augenblicken habe ich Entschlüsse gefaßt, die ihrer würdig sind. Dabei erkannte ich klar und bestimmt, daß ich allein nichts zu thun vermag. Ich habe mich darum nach einem Gehülfen, nach einem Freunde umgesehen, der, mir zur Seite stehend, mich unterstütze. Meine Wahl fiel auf Sie!«

»Auf mich?« rief Führer hastig und mit abwehrender Geberde.

»Auf Sie, Führer«, erwiderte der Herzog. »Sie kenne ich und habe Vertrauen zu Ihnen. Lassen Sie uns denn die frühem Beziehungen erneuern. Seien Sie mein Freund und erster Rathgeber; vereinigt wollen wir wirklich machen, was wir für wahr erkannten, vereinigt wollen wir das große Werk des Menschenglücks beginnen.«

»Durchlaucht«, antwortete Friedrich nach einer kleinen Pause, »diese Aufforderung kommt mir zu überraschend, als daß ich gleich darauf erwidern könnte. Gönnen Sie mir Zeit –«

»Wozu?« rief der Herzog. »Hat das Leben mir Zeit gelassen, mich zu bedenken? Theilen Sie denn die Last mit mir und weigern Sie sich nicht!«

»Ich kann mir nicht zutrauen, die nöthigen Fähigkeiten zu dieser ausgezeichneten Stellung zu besitzen. Ich habe bisher nur der Wissenschaft gelebt und bin in Geschäften fremd.«

»Bin ich es weniger? Darum eben bedarf ich ja Ihrer, wenn ich mich nicht gleich den alten Werkzeugen überlassen soll, die ich nicht will, weil ich ihnen nicht traue. Entschließen Sie sich! Sie können sich im Ernste nicht weigern. Was ich Ihnen vorschlage, muß immer, ob eingestanden oder nicht, im Stillen als Wunsch im Hintergrunde Ihrer Seele gelegen haben. Es gilt die Verwirklichung Ihres Ideals – können Sie da zaudern?«

»Und wenn ich einwilligte, werden Eure Durchlaucht immer sein und denken wie jetzt? Werden Sie mir nie Ihr Ohr verschließen, wenn ich Sie an diese Stunde und Ihre Vorsätze erinnere?«

»Nie, ich verspreche es Ihnen«, rief der Herzog und zog einen kostbaren Ring vom Finger, den er an Führer's Hand steckte. »Tragen Sie diesen Ring zum Andenken dieses Gelöbnisses«, fuhr er fort. »Sollte ich jemals wanken und mir selber untreu werden, so zeigen Sie mir den Ring und seien Sie gewiß, daß Sie mich dann finden sollen wie heute.«

»Wohlan«, sagte Führer nicht ohne Rührung, »nehmen Sie denn mich und mein Leben hin. Ich bin bereit.«

»So kommen Sie in meine Arme«, rief der Herzog, »und der Bund sei geschlossen für immer!«

Sie umarmten sich und in diesem Augenblicke schlugen ihre Herzen, von denselben Hochgefühlen geschwellt, an einander.

»Nun rasch ans Werk«, rief dann der Herzog. »Diesen Morgen erwarte ich Sie in meinem Kabinet, Ihr Amt zu übernehmen. Bis dahin mögen Sie noch sich selber angehören. Und nun leben Sie wohl!«

Ohne sich weiter aufhalten zu lassen, eilte der Herzog hinweg und ließ Friedrich in großer Bestürzung zurück, welcher er jedoch sogleich durch das Eintreten seiner Mutter entrissen wurde. Hinter ihr kam Riedl; auch Ulrike trat leise ein.

Es war inzwischen vollkommen hell geworden.

»Ist es möglich?« fragte hastig die Räthin, die durch Ulrike die Ankunft des Besuchs, sowie dessen Stand erfahren hatte. »War das wirklich Seine Hoheit unser gnädigster Herr Erbprinz? Und ist wahr, was Beppo erzählte, daß den alten Herzog der Schlag getroffen hat?«

»Alles ist wahr, was Sie sagen, liebe Mutter«, entgegnete Friedrich.

»Ei, das ist ja eine außerordentliche Ehre, daß Seine Durchlaucht mein Haus besucht haben! Hätte ich das nur gewußt, ich hätte –«

Riedl hatte indeß Friedrich begrüßt und gleichfalls befragt. »Und darf man wissen, was der neue Herzog bei Dir wollte?«

»Auch das ist kein Geheimniß«, antwortete Friedrich. »Er war bei mir, weil er meine Ansichten über das Regierungswesen kennt und theilt und weil er entschlossen ist, sie zur Ausführung zu bringen. Er hat mir das Ministerium angeboten.«

»Dir? Meinem Sohne? Das sind ja unerhörte Dinge!« rief die Räthin und schlug staunend die Hände zusammen. Ulrikens Blicke leuchteten.

Riedl rief hastig: »Du hast das Anerbieten doch ausgeschlagen?«

»Das habe ich nicht gethan«, erwiderte Friedrich. »Vielmehr bin ich bereit, mein Leben an die Erfüllung meiner Ueberzeugung zu setzen.«

Riedl schwieg und sah einen Augenblick wie betreten zu Boden. Dann ergriff er Friedrichs Hand, schüttelte sie herzlich und sagte mit trübem Ernst: »So lebe wohl; unsere Wege scheiden sich hier.«

Friedrich war von Riedl's Benehmen um so mehr überrascht, als der Spott in ihm die vorherrschende Ader und der trübe Ernst eine ungewöhnliche Erscheinung war.

»Sei doch nicht thöricht!« rief er. »Warum willst Du Dich von mir trennen? Können wir meiner neuen Stellung wegen nicht mehr Freunde sein?«

»Ich bleibe Dein Freund, solange ich lebe«, antwortete Riedl, »aber der weitere Umgang würde nur zu Erbitterung und Entfremdung führen. Ich könnte mich nicht verurtheilen, meine Ueberzeugung zu verschweigen, also brechen wir lieber ab. Ich werde eine große Reise unternehmen.«

»Welcher Eigensinn!« rief Friedrich entgegen. »Du kennst mich doch und weißt, daß ich das Gute will! Kannst Du Dich nun nicht an die Idee gewöhnen, daß es auf andere Art gewollt wird, als Du sie Dir denkst?«

»Ich verdiene den Vorwurf des Eigensinns nicht«, entgegnete Riedl. »Eben weil ich Dich und Deinen redlichen Willen kenne, erbittert mich das nur um so mehr, weil ich vorausweiß, daß auch Deine schöne Kraft an diesem Unternehmen, einem falschen Götzen geopfert, vergebens aufgewendet sein wird.«

»Und warum sollte nicht auch gelingen können, was ich vorhabe?« fragte Friedrich mit vollem Selbstbewußtsein.

»Weil Du eine Unmöglichkeit vorhast«, entgegnete Riedl kalt. »Du kennst ja meine Ansichten hierüber längst. Wie wir über den Beruf und die Aufgabe des Volks nicht übereinstimmen, treffen wir auch über Aufgabe und Beruf der Fürsten nicht zusammen. Ich kenne nur zwei wahre und darum allein mögliche Staatsformen, die volle Alleinherrschaft und den vollkommenen Freistaat. Ein Mittelding gibt es nicht und jeder Versuch zur Vermittelung ist Halbheit, Schein, Selbsttäuschung oder geradezu Betrug. Ich glaube nicht, daß ein Fürst der Erde, wenn er nur ein Jahr lang die Krone getragen und sich an die Vogelperspective gewöhnt hat, ernstlich vermitteln will. Ich glaube es auch von diesem Herzog nicht. Thoren, die von einem patriarchalischen Verhältnisse zwischen Fürst und Volk faseln!. Sie sind Todfeinde und jeder Vertrag unter ihnen ist nur ein Aufschieben des Vernichtungskampfes, der, wenn einmal das Bewußtsein der Völker allgemein erwacht sein wird, unvermeidlich ist! Warum zu solchen Versuchen, zu solchen Pflanzungen, die sich mitten im reißenden Strom halten wollen, die Hand bieten? Laß die Zeit ihre Aufgabe in der Geschichte erfüllen, aber die Erfüllung erwarte Du auf Seite der Partei, zu der Dich Geburt und Ueberzeugung gestellt haben. Gehe nicht, um zu unterhandeln, zu dem verkappten Feinde Deiner Freunde über.«

»Ich kenne Deine Lust an Extremen lange«, erwiderte Friedrich, »aber die Sache ist so gefährlich nicht. Der Herzog hat den besten Willen.«

»Jetzt, für den Augenblick! Das will ich zugeben!« rief Riedl. »Aber wie ist es mit der Ausdauer beschaffen, zumal bei einem so lenksamen Charakter, wie der seine geschildert wird? Glaube mir, früh oder spät wird er sich seiner Gewalt bewußt werden und der Versuchung, sie ganz zu gebrauchen, nicht widerstehen. Blättere die Geschichte durch und zähle die Fürsten, die dieser Versuchung widerstanden, die nur um des Volkes willen da sein wollten, Du findest nicht zehn unter Hunderten. Es ist nicht anders. Der Herzog ist noch sehr jung, Du bist wenig älter und von Träumerei nicht frei – es ist nichts als eine romantische Poetengrille, die in Euch beiden gährt. Ihr wollt durchaus eine neue verbesserte Auflage von Carlos und Posa sein –«

»Spotte nicht!« unterbrach ihn Friedrich. »Ich sehe nun selbst ein, daß wir für eine Zeit lang nicht mehr recht zusammenpassen dürften. Reise denn und sei gewiß, daß Du mich unverändert finden wirst.«

»Junge«, rief Riedl, indem er Friedrich bei beiden Händen faßte, »thue mir das nicht zu Leide! Noch ist's zu ändern. Nimm Deine Zusage zurück. Hilf nicht Versuche machen an einem Kranken, der Dir ja so lieb ist wie mir.«

»Nein«, rief Friedrich, »ich bin entschlossen. Ich kann und will nicht mehr zurück.«

»Besinne Dich doch«, bat Riedl beinahe weich, »es ist gewiß Dein Unglück, wenn Du mir nicht folgst. Glaube mir, Mütze und Krone vertragen sich nicht!«

»Es bleibt bei meinem Wort.«

»So lebe wohl. Ich hoffe Dich wiederzusehen. Solltest Du einst in der Lage sein, eines Freundes zu bedürfen, so erinnere Dich meiner.«

Mit raschem Gruße gegen die übrigen Anwesenden eilte Riedl hinweg.

Friedrich sah ihm einen Augenblick nach, dann wandte er sich zu seiner Mutter. »Habe ich nicht recht gethan, Mutter?« fragte er. »Sagen Sie mir, was Sie denken!«

»Ich kann Dir's nicht verhehlen, mein Sohn«, antwortete die alte Frau, »daß ich von der augenblicklichen Aufwallung eitler Freude, die mich bei der Nachricht von Deiner Erhöhung überkam, bereits ziemlich abgekühlt bin. Daran ist aber nicht das Geschrei dieses Unglücksvogels schuld, auf das ich nicht viel gebe. Mich beunruhigt die alte und lang erprobte Ueberzeugung, daß das Leben in den hohen Kreisen, zwischen welche Du nun gestellt bist, ein vielfach beunruhigtes, eitles und dem Glück meist fremdes ist. Eine Mutter aber möchte ihr Kind vor allem glücklich wissen. Doch was kann ich dagegen thun? Folge denn Deinem Entschlusse, folge dem Rufe Deines Fürsten – ich denke, er kommt von Gott und gereicht Dir vielleicht zum Heil. Ich prophezeie Dir daher weder Glück noch Unglück, aber ich bitte Dich, bleibe meiner, bleibe Deines redlichen Vaters immer eingedenk, und was Dir auch begegnen möge, sei und bleibe ein Biedermann wie er!«

»Das will ich, theure Mutter!« rief Friedrich freudig begeistert. »Ich verspreche es Ihnen, ich verspreche es Dir, meine Ulrike, die den gefährlichen Weg mit mir theilen wird!«

Ulrike ergriff Friedrichs dargebotene Hand und trat den Beiden näher.

»So gehe hin und suche Menschenglück zu verbreiten«, rief die Räthin, indem sie ihren Sohn zärtlich in die Arme schloß. »Der Segen Deiner Mutter begleitet Dich!«

 

Ende des ersten Bandes.


Druck von Bär & Hermann in Leipzig. Papier von Julius Lange in Jeßnitz bei Dessau.

 


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