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Viertes Kapitel.
Auf der Barrikade

Das Kaffeehaus an der Ecke des St.-Jakobs-Platzes war in friedlichen Tagen der Versammlungsort der kaufmännischen sowie der männlichen eleganten Welt. Während jene manches nicht unbedeutende Geschäft in anscheinend gleichgültigem Verkehr abmachte, brachte diese einen Theil ihrer reichlichen Muße zwischen den Journalen und der Besprechung ihrer Vergnügungen hin. Im Laufe des Tages jedoch hatte der Ort eine ganz veränderte Gestalt angenommen. Die schönen, stattlichen Räume waren in eine Art von Hauptquartier verwandelt, wo sich die Häupter und Wortführer der Unzufriedenen zusammenfanden. Noch trug aber die Versammlung nicht jenen kriegerischen Ausdruck, welchen die Straßengruppen an den schon geschilderten Punkten darboten. Hier war noch nichts von Waffen wahrnehmbar, dafür wurde desto lauter gesprochen und für und wider verhandelt. Es war der wohlhabendere Theil der Bürgerschaft, der sich hier versammelt hatte. Deshalb waren die Meisten, wenn auch nicht minder unzufrieden als die ärmern, sogenannten arbeitenden Schichten der Bevölkerung, ihres Besitzes und Erwerbs wegen zu Vergleichen erbötig, alle aber jedem Aeußersten abgeneigt, durch welches ihre Interessen, wenn auch nur für kurze Zeit, in Frage gestellt werden konnten.

Im Verlauf des Nachmittags und mit dem Vorrücken des Abends war die Versammlung immer zahlreicher und lebhafter geworden. Namentlich saß an einem runden Tisch, auf dem ziemlich viele geleerte Weinflaschen standen, eine sehr laute Gruppe zusammen.

»Ihr werdet es doch sehen, daß ich Recht habe!«, rief ein großer, breitschulteriger und etwas vierschrötiger Mann mit breitem, weinrothem Gesicht, indem er auf den Tisch schlug, daß die Gläser klirrten. »Die Deputation wird im Schloß gefangen gehalten, sonst müßte sie lange zurücksein! Während wir in aller Schafsgeduld hier warten, sind die armen Teufel schon lange unterwegs nach der Festung!«

»Ei was!« entgegnete eine kleine, untersetzte Figur von behäbigem Aussehen. »Man ist es von Ihnen schon gewohnt, Herr Gerbel, daß Sie Alles übertreiben! Warum soll der Deputation ein Leid geschehen? Es ist ja nichts Unrechtes, was sie thun, sondern vielmehr dankenswerth, daß sie in den sauern Apfel gebissen haben. Man wird eben mit derlei Dingen nicht so schnell fertig, wie man eine Drehscheibe umlaufen läßt. Darum und aus keinem andern Grunde sind sie noch nicht da.«

»Strengen Sie Ihren Witz nicht zu sehr an«, erwiderte Gerbel gereizt. »Sie sollten besser damit haushalten, denn hinterm Ladentisch werden Sie ihn so gut brauchen wie ich an der Drehbank! Verstanden?«

Der kleine Mann wollte etwas erwidern, wurde aber durch eine feine, fast quiekende Stimme unterbrochen, welche sich ins Gespräch mischte. »Es ist immer traurig«, sagte der Mann, dem sie angehörte, in salbungsreichem Ton, »wenn es zu solchen Auftritten kommt! Die Deputation ist so gut eine Auflehnung gegen den Willen unseres gnädigen Herrn als die Zusammenrottung des gottlosen Pöbels da unten! Die neue Steuer ist eine uns von Gott auferlegte Prüfung, die wir als gute Unterthanen in christlicher Geduld hätten tragen sollen!«

»Ei sieh, der Herr Sparberger sind auch hier!« rief Gerbel mit grobem, spöttischem Ton. »Das ist ja eine wahre Seltenheit! Sie haben ganz Recht, wir hätten nicht mucksen und lieber hungern sollen, aber ein rechtes Verdienst könnten Sie sich erst erwerben, wenn Sie hinuntergingen und das auch dem gottlosen Pöbel da unten begreiflich machen wollten. Ich bin überzeugt, es würde eine schlagende Wirkung hervorbringen!«

Die sprechende Geberde, mit welcher Gerbel seine Worte begleitete, rief ein allgemeines Gelächter hervor, in welches der Gegenstand desselben mit widerwärtigem Grinsen einstimmte.

»Lachen Sie nur, meine Herren«, hüstelte er, »lachen Sie nur! Es ist doch wahr, und es gehe, wie es gehen mag, so werden wir alle empfindlich genug spüren, was es heißt, wenn die Geschäfte stocken!«

»Ja, davon kann freilich Niemand besser reden als Sie«, sagte in ruhigem Tone ein gesetzter, schlicht gekleideter Mann, der bisher schweigend zugehört hatte.

Da der Angeredete sich wie fragend nach dem Redenden umsah, fuhr dieser fort: »Sehen Sie mich immer an, Herr Nachbar. Der Unterschied zwischen uns und Ihnen ist nur der, daß unser Geschäft stockt, wenn die neue Steuer bleibt, das Ihrige aber, wenn sie wieder aufgehoben wird.«

»Wie meint Ihr das?« fragte Sparberger, indem er geringschätzig auf die Hand des Redenden blickte, die ihm dieser, wie zutraulich, auf den Arm gelegt hatte und deren Aussehen von fleißiger Handhabung des Pechdrahts zeugte.

»Verstehen Sie mich nicht?« fragte der Schuster entgegen. »Es ist doch deutlich genug. Ich meine nur, Sie haben schon auf die neue Steuer speculirt.«

»Das ist eine Lüge, eine niederträchtige Verleumdung!« rief der Kleine und bemühte sich, das Aussehen des Gekränkten zu haben.

»Schwerenoth!« rief der Schuster entgegen und faßte den Arm des Kleinen noch fester. »Der Meister Rempelmann lügt nie, das können Sie sich merken! Habe ich nicht selbst gesehen, daß die letzten Tage her Wagen um Wagen, schwer beladen mit Eiern, Mehl, Butter und was weiß ich, an Ihrem Garten hielten und abgeleert wurden? Wollen Sie leugnen, daß Sie von der neuen Steuer schon Wind gehabt und darum noch schnell recht viel unverzollt hereingebracht haben, um dann den Zoll draufschlagen und ein schönes Profitchen machen zu können? Können Sie das leugnen?«

Der Speculant war durch diesen Vorwurf sichtbar betreten und ängstlich. Die Zahl der Umstehenden hatte sich vermehrt und er konnte aus deren Mienen unschwer abnehmen, wie sie die Mittheilung des Schusters aufnahmen. Er schien es daher für gerathen zu halten, das Weite zu suchen. »Auf derlei dummes Gerede«, rief er, den Hut in die Augen drückend, »gebe ich gar keine Antwort. Aber vor Gericht werde ich Ihn zu finden wissen, Meister! Ich werde Ihn zu finden wissen!«

Damit hatte er sich die Gelegenheit ersehen und war durch eine Lücke unter den Umstehenden entschlüpft.

»Soll mich freuen!« rief ihm der Schuster zornig nach. »Schlechter Kerl das! Verdreht bei jedem dritten Wort die Augen vor Frömmigkeit und speculirt doch auf die Roth und den Hunger seiner Mitbürger. Dem wollt' ich einmal eine kleine Lection gönnen!«

»Aber davon abgesehen, hat er doch nicht ganz Unrecht«, bemerkte der kleine behäbige Krämer. »Das Stocken der Geschäfte –«

»Lassen Sie mich damit in Ruhe!« rief der Schuster barsch. »Das Gered' ist nicht weit her; die Katze springt immer auf die alten Füße. Bleibt die Steuer und wird das Leder wie Alles theurer, so kann ich freilich auf die Stiefel schlagen, man wird drum nicht barfuß gehen! Aber es hält Alles zurück und wer nichts zuzusetzen hat, der schnappt auf. Ob also das Geschäft so stockt oder wegen der paar unruhigen Tage, das ist gleich; und wenn's denn mal zu Grunde gegangen sein muß, so will ich lieber beißen und mich todtschlagen lassen, als wie vor Hunger an der Kette crepiren!«

Das Gemurmel der Anwesenden schien dem Sprecher beizustimmen. Eben war Gerbel im Begriff, wieder das Wort zu nehmen, als von der Straße herauf wachsendes Geschrei ertönte.

Alles drängte sich zu den Fenstern und der Ruf: »Sie kommen! Sie kommen!« wälzte sich tausendstimmig über den Massen hin.

Wirklich schritten die abgeordneten Bürger, von der brausenden Volksmenge umdrängt, langsam und ernst die Straße herab dem Kaffeehause zu.

Dort angelangt erzählten sie den Verlauf ihrer Bemühung und der Unterredung mit dem Herzog. Der Eindruck dieser schlimmen Nachricht war ein vernichtender. Alles hatte mehr oder minder bestimmt und laut von der bekannten Güte des Herzogs Abstellung der Beschwerde und damit die Rückkehr der Ruhe erwartet. Das war nun mit einem Male abgeschnitten und nichts übrig geblieben als die Wahl zwischen drückender und unerträglicher Unterwerfung unter ein unheilvolles Loos und dem nicht minder entsetzlichen äußersten Hülfsmittel der Gewalt. Die Ruhigem standen mit bleichen, erwartungsvollen Gesichtern da, während Viele, die nur die Entscheidung abgewartet hatten, in ihre Häuser und Wohnungen eilten, um im Kreise der Ihrigen das Unvermeidliche zu erwarten. Die Lebhaftem brachen in Ausrufungen der Betrübniß oder Entrüstung aus, je nachdem gemäß dem Charakter eines Jeden der Unmuth oder die Besonnenheit das Uebergewicht gewonnen hatte. Niemand vermochte zu einem bestimmten Entschlüsse zu kommen, Niemand wagte das entscheidende Wort zu sprechen, den unwiderruflichen ersten Anstoß zu geben.

Das unablässige Rufen des auf der Straße und dem Jakobsplatze zusammengedrängten Volks nöthigte endlich Kaufmann Rund, als Sprecher der Deputation, an das geöffnete Fenster zu treten.

Bei seinem Erscheinen trat Stille ein.

»Mitbürger«, rief er mit schwankender Stimme, »Seine Durchlaucht haben Eure und unsere Bitte nicht erhört –«

So plötzlich, als zuvor Stille geworden war, wurde der Redner von einem allgemeinen Aufschrei der Wuth unterbrochen, der heulend wie das sturmgepeitschte Meer an den dunkelnden Himmel emporschlug.

Auf einen Wink des Redners legte sich der Aufruhr der Stimmen allmälig so weit, daß verstanden werden konnte, was er sprach.

»Seine Durchlaucht«, fuhr er fort, »haben befohlen, daß sich Alles ruhig verhalten und alle Zusammenrottungen sogleich zerstreut werden sollen, sonst –«

Neuer steigender Lärm unterbrach Rund wiederholt bei diesen Worten. Zugleich wurde er von einem hinter ihm Stehenden vom Fenster gedrängt: Es war der Dreher Gerbel, der mit rothglühendem Antlitz statt seiner vortrat: »Mitbürger«, schrie er mit einer Stimme, die dröhnend über das Getöse hinaus erscholl, »wollt Ihr nach geben und verhungern oder Euch das Brod, das man Euch in Güte nicht gibt mit Gewalt nehmen

»Nicht nachgeben! Gewalt!« war die augenblickliche, einstimmige Antwort.

»Nun denn«, schrie Gerbel wieder »so folgt mir zum Zeughause!«

Die Feder und das Wort sind unvermögend, nur annähernd das tobende Gebrüll der entfesselten Masse zu schildern das diese Aufforderung begleitete. Es war ein Ton, den man gehört haben muß um ihn nie wie der vergessen zu können.

Im nächsten Momente war die Masse scholl in wilder, rennender Bewegung, dem Zeughause zu. Gerbel, der rasch die Stiege hinabgeeilt war, befand sich, immer schreiend und aneifernd, unter den Vordersten.

Die Zurückgebliebenen sahen sich mit ernsten Blicken an und trennten sich mit schweren Herzen. Unvermögend, das rollende Rad aufzuhalten, blieb nur übrig, dem Kommenden mit Fassung entgegenzugehen.

Wenige Minuten später tönte Sturmgeläute, und heftiges Gewehrfeuer nach verschiedenen Richtungen hin ließ keinen Zweifel übrig, daß die ehernen, blutigen Würfel des Bürgerkriegs bereits gefallen waren.

Inzwischen hatte auch der St.-Jakobsplatz sowie das dort errichtete Bollwerk eine etwas veränderte Gestalt angenommen. Der schreckliche Ernst der Entwickelung hatte einen großen Theil der Volksmenge, der aus Furchtsamen und Neugierigen bestand, verscheuche Nur die Entschlossenen hatten ausgehalten und die bewaffnete Besatzung um ein Beträchtliches vermehrt.

Die Hauptgruppe um die Fahne war dieselbe geblieben, nur eine weibliche Gestalt hatte sich dazu gesellt und stand, wiewohl unbewaffnet, in den Reihen der Männer, welche mit geladenen Gewehren die Vorderseite des Bollwerks besetzt hielten, um dasselbe gegen den bevorstehenden Angriff zu vertheidigen.

»Seht nach den Schlössern«, rief Windreuter, »und macht die Munition zurecht! Hört Ihr, wie's drüben gegen den Markt und gegen das Brückenthor zu kracht? Ich denke, sie werden uns bald auch einen Besuch machen, aber wir wollen sie mit einem Feuer empfangen, das es ihnen verleiden soll!«

»Wir sind alle schußfertig«, entgegnete Hahn, »und an Kugeln fehlt's so wenig als an Courage. Aber nach dem Schießen zu urtheilen geht's da drüben scharf her. Wie wär's, wenn einer hinüberliefe, um nachzusehen, ob die Unsern etwa Hülfe brauchen?«

»Sie haben's mit einem Theil der Garde zu thun; das sind Ausländer, die sich nichts daraus machen, auf uns zu schießen«, antwortete Windreuter, welcher gleich einem Offizier hinter den Bewaffneten auf und ab ging. »Es könnte nicht schaden, wenn man wüßte, wie es dort steht; aber es wird nicht durchzukommen sein!«

»Sorg' nicht«, rief Hahn, »ich bin hin und zurück, eh' Du's denkst. Wenn's sein muß, geht über die Dächer auch ein Weg.«

Damit eilte er hastig hinab und davon. Zugleich kam von der innern Seite her ein Mann mit eilfertigem, sichtbar von der Furcht beflügeltem Schritt heran.

»Seh' ich denn recht?« rief ihm der Student, welcher dem Ankommenden zunächst stand, entgegen. »Ihr seid's, Meister Will? Euch hätte ich nicht hier gesucht! Aber kommt nur her und stellt Euch neben mich. Nehmt die Muskete auf, die dort lehnt, sie ist schon geladen!«

Der Angeredete war indeß fast athemlos herangekommen. »Gott sei Dank«, keuchte er, »daß ich eine bekannte Seele finde! Bleiben Sie mir aber mit Ihrem Gewehr vom Leib, das ist meines Amts nicht. Sie sollten auch da fort und heim gehen, Herr Wilhelm. Wenn das Ihre Mutter wüßte! Die gute Alte sitzt daheim, ich hab' es eben gesehen, und weint sich in ihrem Stübchen beinah die Augen aus um Sie! Wenn sie erst wüßte –«

»Ihr müßt mir versprechen«, antwortete der Student, »daß Ihr ihr nicht sagt, wo Ihr mich gefunden habt. Sie würde sich nur unnütz ängstigen, und ich kann es ihr doch bei Gott nicht ersparen, und wenn mich die erste Kugel träfe!«

»Ach, Gott bewahre jeden Christenmenschen in Gnaden!« erwiderte Meister Will, indem sein blasses Gesicht noch mehr erbleichte und ihm die Zähne zusammenschlugen. »Hören Sie nur das greuliche Schießen! Ich vergesse vor Schreck fast, was ich gewollt habe. Haben Sie denn meine Schwester, die Cilly, nicht gesehen? Sie ist auch fort und hat den Buben mitgenommen. Denken Sie nur, in einer solchen Nacht! Wie leicht könnte ihr ein Unglück zustoßen!«

»Eure Schwester?« fragte lächelnd der Student. »Ja, die könnte Euch wohl von dem Muth, den sie hat, abgeben. Da seht hin!« Damit zeigte er gegen die Mitte des Bollwerks, wo Cilly hoch aufgerichtet stand und eine Muskete lud.

»Cilly!« rief der vor Furcht und Entsetzen starr gewordene Meister. »Da steht sie wahrhaftig mitten drunter und noch dazu mit einem Gewehr! Schwester, komm doch her zu mir, komm mit nach Hause!«

Auf den Zuruf wandte die Angeredete ihr Gesicht dem Sprechenden zu und ein Lächeln flog über ihre Züge, das, wenn es auch den vorherrschenden Charakter des Spottes hatte, dieselben dennoch so sehr erweichte und milderte, daß die Zerstörung einer solchen Bildung doppelt bedauerlich erschien. Sie stellte die Flinte beiseite und trat näher.

»Was willst Du, Friedel?« fragte sie.

»Was werd' ich wollen als Dich und den Buben?« entgegnete dieser. »Wie kannst Du nur in einer solchen Nacht Dich aussetzen und den Buben dazu? Komm mit nach Hause. Auf einem Umweg können wir noch hin!«

»Ich geh' nicht, Friedel«, antwortete Cilly, und auf ihrem Gesicht lag wieder die frühere unheimliche Kälte; aus den Augen funkelte wieder der Haß, den sie sonst auszudrücken gewohnt waren. »Mir geschieht nichts und dem Buben auch nicht. Wir sind arme, schlechte Leute, die haben nichts zu fürchten. Heut geht's über das vornehme Gesindel her, das uns immer behandelt hat wie den Koth an seinen Schuhen. Da muß ich vor allen dabei sein!«

»Das hab' ich wohl erwartet, daß ich bei Dir nichts ausrichten werde«, seufzte der Mann. »So gib mir wenigstens den Buben mit. Was soll das arme Kind mitten in den Gefahren! Denke nur, wenn ihm ein Leid geschähe!«

»Es könnte nicht schaden«, erwiderte Cilly noch finsterer und bitterer als zuvor, »wenn er bei Zeiten damit anfinge, denn es steht ihm doch nichts als Leid bevor; aber wenn, er will, so nimm ihn! Richard!« rief sie gegen das Feuer gewendet, an welchem der Knabe saß und eben mit der einen Hand einen Brand in dasselbe schob, während die anders ein Stück Brod hielt, an dem er eifrig kaute. »Richard, komm einmal her!«

Der Knabe hob den Kopf, nickte, ohne einen Laut zu erwidern, und fuhr wieder in seiner Beschäftigung fort.

Inzwischen war Windreuter zu den Redenden herangetreten und hatte das Gespräch zum Theil mit angehört. »Seht mir doch einer«, rief er jetzt lachend, »was der Bengel für einen vornehmen Namen hat! Wäre Hans oder Kaspar etwa zu schlecht gewesen für ihm?«

Cilly's Auge sprühte. »Das will ich Dir wohl sagen, Alter«, rief sie mit unterdrückter, fast wuthzitternder Stimme. »Wenn's Dich kümmert, so will ich Dir sagen, daß er ein Bankert ist von einem vornehmen Herrn! Der hat sich aber weggeleugnet von ihm und so hab' ich ihm den Namen gegeben, damit er doch einmal nicht sagen muß, er habe gar nichts von seinem Vater bekommen!«

»Pfui doch«, rief der Weber, »wer wird von seinem eigenen Fleisch und Blut in solchen Ausdrücken reden!«

»Und ist er mehr als ein Bankert?« rief Cilly entgegen. »Ich war ein braves, ordentliches Mädchen; ich verstand meine Arbeit, die Leute sagten, ich sei schön gewesen, und hätt' wohl auch unterkommen und mich ehrlich versorgen können, wie so viele andere. Aber da der elende Mensch, der mich beschwatzt und verlockt hatte, mich verleugnete und sagte, er habe mich nie gesehen, wo hatte ich dann mein Kind her? Er hat mich zu einer Dirne gemacht, und was ist mein Kind dann mehr, als von der Gasse aufgelesen?«

Cilly's Busen flog, von innerem Krampfe geschüttelt. Der Weber hatte eine Thräne im Auge. »Ja«, sagte er, »Gott verzeihe es ihm, was er an Dir gethan hat; es wird ihm auch keine Rosen bringen!«

»Aber wie ist das nur möglich gewesen?« fragte Windreuter, dessen Theilnahme erregt worden war. »Konntet Ihr nicht Hülfe suchen bei Gericht und beweisen –«

»Beweisen?« lachte Cilly mit gellendem Ton. »Wo hätt' ich den Beweis hernehmen sollen? Er war ein vornehmer Herr, ich ein armes, gemeines Mädchen. Er sagte mir immer, es vertrüge sich mit seinem Stande nicht, daß er anders als bei Nacht und in andern Kleidern zu mir komme, und ich war ehrlich und verliebt genug, ihm zu glauben. Briefe hatt' ich auch nicht; was hätt' er einem Geschöpf wie mir schreiben sollen? Drum hieß es bei Gericht, er müsse schwören, daß er mich nicht kenne, daß er – und«, setzte sie nach kleiner Pause mit Anstrengung hinzu, »er hat geschworen.« Cilly schwieg erschöpft, ebenso die Uebrigen. Der Weber ging hinab, um den Knaben, der noch immer nicht kommen wollte, herbeizuholen.

»Und wer war denn der –« fragte Windreuter.

»Baron Bergdorf«, antwortete Cilly leise.

»Was? Der Sohn meines alten Rittmeisters? Der Lieutenant, den ich als Knaben so oft auf den Gaul hob und reiten ließ? Ei, so hol' doch der Teufel Alles miteinander, wenn man gar keinem Menschen mehr trauen darf!«

Unwillig wandte sich der Alte ab und ging an seinen vorigen Posten, während Weber Will mit Richard an der Hand herzukam.

»Ich will bei Dir bleiben, Mutter«, rief der Knabe. »Ich mag nicht nach Haus.«

»Du wirst ihm doch den Willen nicht thun, Cilly!« entgegnete der Weber. »Befiehl ihm, daß er mit mir geht! Es ist ja doch hier kein Ort für Kinder.«

»Ich will aber hier bleiben!« schrie der Knabe wieder. »Wo die Mutter ist, will ich auch sein.«

Cilly schien einen Augenblick zu schwanken. »Geh mit dem Bruder, Richard«, sagte sie dann. »Es ist doch besser. Ich komme vielleicht bald nach. Ich will's haben!« fügte sie noch bestimmter hinzu, als der Knabe noch eine Einwendung machen wollte, und auf dies reichte er dem Weber willig die Hand und ließ sich von ihm auf den ebenen Boden hinunterleiten.

»Komm doch auch herunter, Cilly«, rief der Weber der ihnen Nachsehenden zu. »Es wäre sicher besser Du wirst sehen, daß Dir ein Unglück geschieht.«

Da die Aufforderung unbeantwortet blieb und Cilly ihm trotzig den Rücken zuwendete, schritt der furchtsame Mann eilends mit seinem Schützling durch die Nacht hin. »Es war die höchste Zeit«, rief er für sich aus, »denn wenn mich nicht die Nacht betrügt, blinken dort schon Bajonette die Straße herunter.«

In diesem Augenblick entstand Lärm an der entgegengesetzten Seite des Platzes. Windreuter, dessen Befehlen Alles stillschweigend ohne Verabredung gehorchte, eilte hinzu und begegnete einem Trupp Bewaffneter, welche einen gut gekleideten, schon ziemlich bejahrten Bauersmann umringten und festhielten.

»Den Bauer da«, rief Huber dem Eilenden entgegen, »haben wir eben auf der That erwischt, wie er einen Wagen aus der Barrikade herauszuziehen versuchte. Was thun wir mit ihm?«

»Das ist nicht wahr«, rief der Bauer, »und Ihr braucht mich nicht so zu halten, ich laufe Euch nicht davon. Man hat mir heute, wie ich hereingefahren bin, meinen Wagen mit Allem, was darauf war, weggenommen. Nun, die paar Säcke kann ich verschmerzen, aber den Wagen nicht, und drum hab' ich nachgesehen, ob ich ihn noch brauchen kann, wenn die Geschichte vorbei ist und das Ding da abgetragen wird! Das ist Alles!«

»Deinen Wagen kannst Du jetzt nicht haben«, erwiderte Windreuter rasch, »und da hinter unserm Rücken kannst Du auch nicht bleiben. Also marsch mit uns in Gottes Namen da hinauf und ein Gewehr in die Hand genommen. Hört Ihr die Trommeln? Sie kommen schon!«

Der Bauer folgte seinen Führern ohne Widerstreben, ließ sich ein Gewehr in die Hand geben und in die Reihe der Kämpfenden stellen. Windreuter eilte auf und ab und ermunterte dieselben, indeß der Trommelschall immer näher rückte. »In die vordere Reihe«, rief er, »wer gut trifft! Die Andern laden! Schießt nicht blind drauf los, wenn's dazu kommt, sondern nehmt Euern Mann fest aufs Korn!«

Jetzt schwenkte der Zug der Soldaten um die Ecke und hielt, kaum dreißig Schritte davon, der Barrikade gegenüber.

Auf einen kurzen Trommelwirbel folgte lautlose Stille. Der Offizier trat vor und rief: »Im Namen Seiner Durchlaucht! Zieht Euch zurück, bis ich drei zähle, oder ich lasse angreifen!«

»Fertig! Hoch an!« commandirte Windreuter statt der Antwort und im Augenblick waren etwa hundert Gewehrmündungen gegen die ungleich schwächere Mannschaft gerichtet.

Das tödtliche Wort, das dieselben entladen sollte, wurde jedoch noch aufgehalten. Der Bauer rief dem einen der Soldaten, welcher ihm am Flügel gegenüber und so nahe stand, daß er ihn erkennen konnte, mit lauter Stimme zu: »Peter, bist Du's denn? Du wirst doch nicht auf Deinen Vater schießen?«

Der Soldat, an den der Zuruf gerichtet war und der bereits ebenfalls mit der Muskete im Anschlage lag, stutzte und ließ dieselbe sinken.

»Was thust Du, Kerl?« rief der hinzuspringende Offizier. »Hinauf mit dem Gewehr und Deine Schuldigkeit gethan!«

»Aber, Herr Lieutenant«, stammelte der bestürzte Soldat, »mein Vater –«

»Was da«, rief dieser, »im Dienst hast Du keinen Vater, und vollends unter den Schurken da droben! Gewehr an, oder –«

»Machen Sie mit mir, was Sie wollen«, erwiderte der Soldat, indem er das Gewehr beim Fuß nahm, »ich thu' es nicht!«

»So crepir', Du Hund!« rief jener wieder und stürzte mit dem Degen auf ihn zu. Im Moment jedoch hatten die neben demselben Stehenden die Gewehre gekreuzt, ihn zu schützen, während ein unwilliges Murren der Uebrigen deren Stimmung erkennen ließ.

Ehe der Offizier Zeit zur Entgegnung fand, hatte Windreuter die günstige Wendung bereits bemerkt und rief den Zaudernden zu: »Recht so, Kameraden! Könnt Ihr auf uns schießen? Sind wir nicht als Landsleute alle Brüder? Kommt zu uns herüber! Wir wollen ja nichts als Aufhebung der neuen Steuer! Kommt!«

Einige Sekunden noch zauderten die Soldaten, als aber der Sohn des Bauers das Gewehr wegwarf und seinem Vater zueilte, da rasselten die meisten der Musketen gleichfalls zur Erde und der Offizier stand mit einigen wenigen, die dem Fahneneide treu geblieben, allein. »Meineidige Schurken!« rief er ihnen nach und zog sich, indessen drüben die Ankommenden mit lautem Zuruf und lebhaften Umarmungen empfangen wurden, auf die neu anrückende Colonne zurück.

»Nun gilt's!« rief Windreuter. »Das sind Garden! Die besinnen sich nicht, zu schießen! Wir wollen Ihnen zuvorkommen! Gebt Feuer!«

Die Wirkung der Salve auf die sich eben entfaltenden Reihen war fürchterlich. Viele stürzten, aber die Lücken waren augenblicklich geschlossen und ein nicht minder gut gezielter Gegengruß trug den Tod auch unter die ungeübten Kämpfer herüber.

Der Student war unter den Fallenden. Der Schlag der Kugel, die ihn mitten ins Herz traf, schnellte ihn hoch empor, darin stürzte er rücklings auf das Pflaster hinab, und blieb regungslos liegen. Das blonde, lockige Haar rollte über die Steine hin und tauchte sich in Blut, aber die Züge des Todten waren heiter und freundlich wie im Leben.

»Ho«, rief Windreuter, der ihn stürzen sah, »das junge Blut hat auch nicht gedacht, daß das der fröhliche Ausgang sein werde, von dem er sprach! Aber sie zielen besser, als ich dachte! Immer drauf! Laßt sie nicht zu Athem kommen! Für Jeden von uns zwanzig von ihnen!«

Das Feuer wurde von beiden Seiten lebhaft unterhalten, bis ein paar gutgezielte Schüsse den Anführer der Truppen niederstrecktem Augenblicklich trat ein anderer an die Stelle. Es war ein junger Mann von auffallend schöner Gestalt und kriegerischer Haltung. Er gab seine Befehle mit kaltblütigem, ruhigem Ernst, und es hatte den Anschein, als, ob die Soldaten durch seine Persönlichkeit aufs neue angefeuert würden.

Cilly hatte bis jetzt von einer erhöhten Stelle aus wo Sie gleichwohl vor den Kugeln durch einen starken eichenen Thorflügel, welcher etwas emporragte, gedeckt war, in zusammengekauerter Stellung dem Kampfe unverwandten Blicks zugesehen. In dem Tumult, und Geschrei blieb sie vollständig unbeachtet. Die Züge streng, die Farbe bleich, die Augen starr, lauschte sie halb vorgebeugt, mit angehaltenem Athem, als wäre das Vorgehende ein bloßes Schauspiels dessen spannende Entwickelung sie abwarte.

Als jedoch der junge Offizier an die Stelle des gefallenen vortrat, ging in ihrem ganzen Wesen plötzlich eine völlige Veränderung vor. Die Züge des Gesichts spannten sich wie krampfhaft, ein dunkles, fieberhaftes Roth flog darüber hin und aus den Augen, obwohl sie unbeweglich auf einen Punkt gerichtet blieben, funkelte ein unheimliches Leben. Immer kürzer, immer tiefer gingen ihre Athemzüge und ein fieberhaftes Zucken flog über den ganzen Körper. Ihr selbst unbewußt bewegten sich die Lippen. »Er ist's«, murmelte sie so leise und mit einem Tone, als wenn sie gehört zu werden fürchtete. »Er ist's!« Ein paar Sekunden verharrte sie in diesem Zustande, dann sprang sie, wie von einer Feder geschnellt, empor. Aufgerichtet fuhr sie sich mit der Hand über die Stirn, wie Jemand zu thun pflegt, der aus einem Traum rasch zum Bewußtsein erwacht. Ihr Auge suchte ungewiß und unstät umher und blieb zuletzt auf der Jagdflinte des Studenten haften, welche diesem im Sturze entfallen und an einer Balkenspitze hängen geblieben war. »Der braucht dich nicht mehr«, murmelte sie wieder wie zuvor, indem sie hastig die Flinte emporriß. »Ich nehme das Erbstück und will damit heimzahlen.« Damit hatte sie die Flinte angelegt und losgedrückt. Nach dem Schüsse ließ sie dieselbe achtlos niedergleiten und blickte mit erhöhter Spannung in das Gewühl, um dessen Erfolg zu erspähen.

Der Dämon der Rache hatte ihre ungeübte und unsichere Hand nur zu gut gelenkt!

Der Getroffene schwankte, aber die Kraft seines Körpers hielt ihn noch einen Augenblick aufrecht. Wie instinktmäßig wandte sich sein dunkler werdendes Auge nach der Gegend, aus welcher der Schuß gefallen war – er sah Cilly, einer Statue gleich, auf der Barrikade stehen und nach ihm herüberstarren – er erkannte sie – ein tiefer, tödtlicher Seufzer entrang sich der verwundeten Brust und zusammenbrechend stürzte er zu. den Todten nieder.

Ein wilder, gellender Aufschrei begleitete seinen Fall. Er kam von Cilly, welche zugleich mit ihm in die Kniee und zu Boden sank und, gleich als ob nun ein Bann, der auf ihr gelegen, gelöst und von ihr genommen wäre, die beiden Hände vor das Gesicht gedrückt, in einen Strom der bittersten Thränen ausbrach.

Niemand hatte den ganzen Vorgang bemerkt.

Das Gefecht dauerte noch eine Zeit lang fort und wurde beiderseits mit größter Erbitterung geführt. Da kam Hahn athemlos vom Platze hergeeilt und rief Windreuter zu: »Es geht gut! Drüben sind die Garden schon zurückgeschlagen! Die Unsern dringen in hellen Haufen vor!«

Diese Nachricht, welche sich mit Blitzesschnelligkeit unter den Aufrührern verbreitete und ihren Muth erhöhte, schien sich auch sogleich bestätigen zu wollen. Aus einer Seitenstraße im Rücken der Truppen drang mit einem Male, die dort aufgestellte wenige Mannschaft in gewaltigem Anprall durchbrechend, ein bewaffneter Volkshaufe lärmend und brüllend herein. Die Soldaten waren hierdurch, um sich nicht abgeschnitten zu sehen, zu einer rückgängigen Bewegung genöthigt, welche sie auch rasch und gut geordnet ausführten. Das wilde Siegesgeschrei der Aufrührer schallte ihnen nach.

»Victoria, Kameraden!« rief Windreuter, indem er die Fahne losriß und schwenkte. »Nun werden wir bald wieder Brod und Ruhe haben! Aber jetzt laßt uns nach unsern Todten sehen. Bringt grüne Zweige, daß wir ihnen eine Ehre anthun und sie darauf legen, bis wir sie eingraben können! Sie haben es wahrlich verdient!«

Seine Anordnung wurde befolgt und bald lagen die Leichen von Freund und Feind auf dem grünen Laublager gleich blaß und blutig und gleich einträchtig beisammen. Mit ehrfurchtsvoller Trauer und Rührung umringten sie die Uebrigen.

Cilly war verschwunden.

Während dieser Vorgänge hatte Führer an verschiedenen Punkten zu seiner Wohnung durchzukommen versucht, um das Nöthige zur Reise vorbereiten und diese sodann antreten zu können. Sein Bemühen war jedoch vergebens. Theils waren die Zugänge völlig verrammelt und abgesperrt, theils war es unmöglich, das Gedränge der mächtig flutenden Menge zu durchbrechen. Zuletzt hatte er in steigender Ungeduld einen Versuch gemacht, gegen den Schloßplatz durchzudringen, sah sich aber auch hier durch das Volk nicht nur jedes weitere Vordringen unmöglich gemacht, sondern auch die Rückkehr abgeschnitten. Hier hatten sich nämlich in den Straßen, welche auf den Schloßplatz ausmündeten, bedeutende Massen angesammelt und schienen mit einem Angriff aus das herzogliche Schloß zu drohen. Dieses hatte Besatzung aufgenommen und war auch von außen mit einer Reihe mit Kartätschen geladener Geschützen umgeben worden, deren Mündungen, die einzelnen Straßenausgänge kreuzweise bestreichend, die Menge noch immer im Zaum hielten. Führer kam gerade an, als ein kleiner, etwas beleibter Mann in feiner Kleidung und mit goldener Brille vor den freundlich zwinkernden Augen sich auf eine Fensterbrüstung geschwungen hatte. Von da herab suchte er das tollende Volk durch Zureden zu beruhigen. Dasselbe schien auch nicht abgeneigt, dem Redner Gehör zu schenken, allein Billinger, der Schreiber, welcher auf einer erhöhten Stelle gegenüber stand, war auf alle Weise bemüht, ihn zu. unterbrechen und die Aufmerksamkeit von ihm abzulenken.

Unter den Umstehenden fiel vor allen eine jugendliche, kräftige Männergestalt auf, welche mit unverkennbarer Ungeduld gegen den Schloßplatz hin durchzudringen versucht hatte und nun, zum Bleiben gezwungen, wider Willen Zeuge des Vorgehenden sein mußte. Die Züge des Antlitzes waren edel geformt, aber durch einen auffallend dichten und starken Vollbart verdeckt. Bei minderer Dunkelheit und wenn die allgemeine Aufmerksamkeit nicht so ganz von andern Gegenständen festgehalten gewesen wäre, hätte übrigens den Umstehenden kaum entgehen können, daß der Bart ein künstlicher und nur deshalb angebracht war, um dessen Träger unkenntlich zu machen.

Das Gedränge hatte Friedrich eben in die Nähe des Unbekannten gebracht, als der dicke Mann von seinem Fenster herab neuerdings zu reden versuchte. »Ihr Unbesonnenen«, rief er, indem er sich mit dem einen Arm am Fensterkreuz hielt und mit dem andern heftig gestikulirte, »wollt Ihr Euch denn mit aller Gewalt ins Verderben stürzen? Unser durchlauchtigster Herr Herzog ist in seinem vollsten Recht, und Ihr und ich, als seine getreuen Landeskinder und Unterthanen, können und dürfen nichts Anderes thun, als uns in Gehorsam fügen! Was Ihr thut, ist gegen alle Ordnung, ist gegen das Gesetz, es ist Aufruhr und Hochverrath, Verbrechen, die mit dem Tode bestraft werden! Wollt Ihr es nun vollends wagen, durch einen rebellischen Angriff auf das Schloß Seiner Durchlaucht dessen geheiligte allerhöchste Person anzutasten? Wollt Ihr –«

»Hört ihm nicht zu! Glaubt ihm nicht!« unterbrach ihn Billinger mit seiner heisern und durch die Anstrengung noch widerlicher kreischenden Stimme. »Kennt Ihr ihn nicht? Es ist der Gerichtsrath Weber, auch einer von denen, die sonst nichts kennen, als was in ihren Büchern steht! Die wissen den Teufel davon, wie einem zu Muthe ist, wenn man hungert! Könnt Ihr einem solchen glauben? Was Hochverrath! Laßt Euch damit nicht bange machen! Es wird's Niemand wagen, Euch ein Haar zu krümmen. Vorwärts, sag' ich Euch! Schießt die Kanoniere weg von ihren Geschützen und dann drauflos zum Herzog!«

Die Menge gerieth in eine Bewegung, welche ihre Geneigtheit, dem bösen Rathe folgen zu wollen, erkennen ließ. Ehe sie sich jedoch zum wirklichen Entschluß aufgerafft hatte, war Friedrich blitzschnell unter dieselbe gesprungen, hatte Billinger entrüstet von seiner Stelle heruntergerissen und zerrte ihn nun gegen die andere Seite hinüber.

»Halt«, rief er, »um Gotteswillen haltet ein! Laßt Euch nicht von einem solchen Burschen zu so entsetzlicher That hinreißen! Es ist des Schrecklichen schon an dem genug, was bisher geschah! Glaubt Ihr, der Mensch meine es redlich mit Euch? Kennt Ihr ihn nicht alle so gut und besser wie ich? Wißt Ihr nicht, daß er ein Taugenichts ist, der Euch nur hetzen will, um dann selber den Angeber zu machen? Untersucht ihn einmal, es sollte mich wundern, wenn Ihr nicht die Beweise dafür bei ihm fändet!«

Einige Burschen faßten den erblassenden Billinger, der kein Wort zu stammeln vermochte, und zogen aus den Taschen seines Rockes einige Papiere hervor, die sogleich untersucht wurden. Eins davon war eine mit sichtbarer Eile und Bleistift geschriebene Liste verschiedener Einwohner und Bürger der Stadt.

»Da haben wir's schon!« rief einer der Suchenden. »Der Herr hat Recht. Das ist die Liste von denen, die er angeben will, und der Kerl untersteht sich und will uns noch aufhetzen?«

Der ergrimmte Haufe, vergnügt, einen Ableiter seines Unmuths gefunden zu haben, fiel einmüthig über den Schreiber her, der schon empfindlich mißhandelt war, ehe es Friedrich gelang, ihn davor zu schützen. Ohne dessen Vermittelung wäre er vermuthlich nicht lebend davongekommen.

»Laßt es für dieses Mal an der Lection genug sein«, rief Friedrich. »Haltet den Burschen in Gewahrsam, damit er nicht noch anderswo Unheil stiftet!«

Die lenksame Menge war sogleich bereit. Der Schreiber wurde mit auf den Rücken gebundenen Händen in dem Keller eines anstoßenden Hauses untergebracht. Er war über und über mit Blut und Koth bedeckt, und als er an Führer vorübergeschleppt wurde, warf er diesem einen Blick des grimmigsten Hasses zu, obwohl er weder wagte noch vermochte, demselben in Worten Luft zu machen.

Gleich beim ersten Laute von Friedrich's Stimme war der Fremde mit dem falschen Bart auf ihn aufmerksam geworden und stand jetzt, da er wieder zu reden begann, unmittelbar hinter ihm, jedem seiner Worte mit gespanntester Aufmerksamkeit folgend.

»Und nun«, rief Friedrich, »laßt mich meine Ermahnung und Bitte noch einmal wiederholen. Uebereilt Euch nicht! Seid mit dem, was Ihr erreicht habt, zufrieden. Ihr habt keinen Angriff mehr zu befürchten; haltet Euch denn ruhig, bis der Tag und mit ihm die bessere Ueberlegung kommt!«

»Wer steht uns aber gut dafür«, rief eine Stimme aus dem Haufen, »daß morgen nicht Alles beim Alten ist?«

»Das wißt Ihr in der That nicht?« entgegnete Friedrich. »Muß ich Euch den Bürgen nennen? Wißt Ihr wirklich Niemand! der zwischen dem Herzog und Euch die Vermittelung übernehmen kann, der dazu so berufen als berechtigt ist? Nur wenige Stunden haltet Ruhe! Eh' es Mittag wird, wird er hier, in Eurer Mitte eintreffen, und sein Wort wird kein vergebliches sein. Ich meine den Erbprinzen Felix!«

Beifälliges Gemurmel erhob sich aus der Menge. Der Mann im Bart machte unwillkührlich eine Geberde der Ueberraschung.

»Habe ich nicht Recht?« fuhr Friedrich, durch den sichtlichen Erfolg ermuthigt, fort. »Wäre der Prinz hier, ich setze mein Leben zum Pfande, alles Unheil des heutigen Tages wäre nicht geschehen. Ich kenne ihn, ich weiß, daß er ein Freund des Volks, ein Mann von den edelsten Gesinnungen und mit dem besten Herzen ist. Der Herzog wird die Stimme seines Sohnes, der berufen ist, nach ihm die Krone zu tragen, nicht überhören, es wird Friede und Eure Beschwerden gehoben werden! Ich weiß endlich, ich verbürge mich dafür, daß er morgen gewiß in der Stadt ankommen wird. Also nochmals, meine Freunde, Ruhe, Stillstand bis zu seiner Ankunft, und zum Beweise, daß Ihr mir folgen wollt, ruft mit mir: Es lebe der Erbprinz!«

Friedrichs Wort fand einen begeisterten Widerhall, der mit jedem Schritte wuchs und überall neue Hoffnung, neue Begeisterung verbreitete. Der Prinz genoß das allgemeine Zutrauen; die Nachricht seiner nahen Ankunft verbreitete sich deshalb wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Man wunderte sich, daß in der allgemeinen Verwirrung und Besorgniß Niemand an ihn gedacht und seine Vermittelung anzurufen gesucht hatte, von der man sich zuversichtlich das Beste versprach.

Mit Hülfe der entstandenen Bewegung war es Friedrich endlich gelungen, einen Weg nach seiner Wohnung offen zu finden, wohin er mit beflügelten Schritten eilte.

Der Mann im Barte hatte bei Friedrichs Rede und deren wahrhaft zauberhaften Wirkung einige Augenblicke wie bestürzt dagestanden; über sein schönes Antlitz flog das Lächeln einer zarten, erhebenden Rührung.

Ueber dem blutigen Werke der vergangenen Nacht aber begannen im Osten die ersten lichtvollen Boten des Morgens hoffnungbringend emporzutauchen.


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