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Nun ist unser gefährlichster Gegner aus dem Leben geschieden. Ich habe über ihn gesagt, was gesagt werden mußte, und erinnere an die Worte, die ich auf Seite 83 meiner »Lanze« über ihn schrieb: »Vor der Vergessenheit bleibt Avenarius nun wohl bewahrt, denn ich glaube, man wird auch in späteren Zeiten seinen Namen in der Literaturgeschichte finden, und zwar auf den gleichen Blättern, die dem Andenken Karl Mays gewidmet werden.«
Dieses Wort bleibt bestehen, und es läge auch nicht in meiner Macht, das Geschehene ungeschehen zu machen. Nicht aber will ich, um ein Wort des gleichfalls verstorbenen Dr. de Gruyter zu gebrauchen, die »Achtungsschuld gegenüber der Wehrlosigkeit des Todes« verletzen. Nicht will ich dem verstorbenen Feind alles Gute und Große absprechen. Nicht will ich ihm das gleiche antun, was er mit seinem »Nekrolog« meinem toten Freund Karl May angetan hat! Ich bringe deshalb zunächst eine Äußerung, die mir Professor Dr. Ludwig Gurlitt unterm 11. August 1923, also ungefähr einen Monat vor dem Ableben des Ferdinand Avenarius, fürs Jahrbuch einreichte, und die ich anfänglich ablehnte, weil ich befürchtete, sie könnte irrig, nämlich als eine Art Anbiederung des Karl-May-Verlags gedeutet werden.
Professor Dr. Ludwig Gurlitt an Karl-May-Verlag:
Schluß der Aussprache!
Die Schriftleitung der Karl-May-Jahrbücher ist von rührender Friedensliebe. Alle Polemik, die ich darin ausfechten wollte, mußte ich dem milden Herzen des Herrn Dr. Schmid geradezu abringen. Jetzt aber steht die Sache so, daß auch ich aus bester Überzeugung Schluß machen kann. Ich erwähne den alten Streit hier nur noch deshalb, um ihn damit beizulegen.
Der »Kunstwart« hatte sich bekanntlich als erbittertster Gegner Karl Mays an die Spitze der Bewegung gestellt, die dessen Schriften »unschädlich machen« wollte. Seitdem aber die Freunde Mays die Gegengründe vorgetragen haben, hat er weder gegen May noch gegen seine Fürsprecher wieder in gehässigen Worten geeifert. Ja, er hat mir persönlich einen so überzeugenden Beweis seines Wahrhaftigkeitsstrebens und seiner Gerechtigkeitsliebe gegeben, daß ich jetzt aus Achtung die Waffen vor ihm niederlege: Er hat nämlich meine Plautus-Übersetzung (in Heft 11, August 1923) so uneingeschränkt gelobt, daß ich erkennen muß, die Sache steht ihm höher als persönliche Empfindungen. Damit ist für mich alles Frühere abgetan, und ich reiche den Kunstwartmännern jetzt mit Freuden die Hand zur Versöhnung …
Da neue Kampfansagen gegen Karl May nicht eingelaufen sind, so beantrage ich: Schluß der Aussprache! Nur wenn wir von neuem herausgefordert werden, werden wir pflichtgemäß auch wieder auf dem Plan erscheinen. Jetzt mag das Lebenswerk Karl Mays ungestört fortwirken und Gutes wirken! Jetzt können auch wir, seine Freunde, mit offener Kritik an seine Werke herantreten und Schwächen, die auch wir erkennen, freimütig zugeben – was wir übrigens schon vordem oft und ohne Bedenken getan haben.
Ob die gerechte Würdigung von Gurlitts Schaffen auf dem Gebiet der altrömischen Literatur, die er zum Ausgangspunkt seines Antrags auf Schluß macht, von Ferdinand Avenarius selbst oder nicht vielmehr von Wolfgang Schumann stammt, ob sie dem Verfasser wirklich eine Brücke zwischen den feindlichen Parteien bedeuten sollte: ich weiß es nicht. Aus der gleichen Gesinnung und Absicht aber, mit der ich Gurlitts Äußerungen hier gern wiedergebe, bringe ich auch noch einige Worte, die der bekannte Literaturhistoriker Professor Friedrich Kummer dem verstorbenen Kunstwartleiter im »Dresdener Anzeiger«, der dem Toten am nächsten stehenden Zeitung, widmete:
… in langer, zäher Arbeit und oft schöpferischer Kritik hat Avenarius den »Kunstwart« zu einem Kulturfaktor allerersten Ranges gemacht. Er ist einer unserer stärksten Kunstpolitiker gewesen und zeigte sich bestrebt, an den neu erscheinenden Persönlichkeiten und Kunstwerken das Fruchtbare anzuerkennen; zugleich aber erwarb er sich das Verdienst, breite Kreise auf den Reichtum unserer Kunst und unseres Schrifttums an noch nicht ausgemünzten Schätzen hinzuweisen … Die natürliche Begrenzung seines Wesens hat ihm manchen Widersacher geschaffen, aber Freund und Feind werden darin übereinstimmen, daß er eine aufrechte Persönlichkeit war, die nach redlichen Kräften zum Besten deutscher Kunst und deutscher Kultur gearbeitet hat.
Und ich schließe mit einer Nachrufstelle, die ich den »Dresdener Neuesten Nachrichten« entnehme:
… Auch wer ihm nicht auf allen seinen Wegen folgen konnte, beugt sich vor dem Bestreben dieses Mannes, der als wahrhafter Schatzhüter der Kultur ein ganzes Leben lang an der seelischen Vertiefung des deutschen Volkes gearbeitet hat.
Diese Klarlegung unserer Stellung zu Avenarius waren wir uns selbst schuldig. Mit- und Nachwelt soll wissen, was uns von ihm getrennt hat, und soll die Möglichkeit finden, die Rechtslage mit eignen Augen zu prüfen. Damit aber soll nun endgültig der Kampf erledigt sein. Die beiden Gegner sind verstummt, und wir handeln im Sinne Karl Mays, daß wir jetzt Frieden walten lassen über den Gräbern der ehedem feindlichen Brüder.
* * *
Meine obigen Ausführungen waren bereits zum Druck weitergeleitet, als ich das Kunstwartheft vom Oktober 1923 zu Gesicht bekam, das dem Andenken von Ferdinand Avenarius gewidmet ist. Die beiden darin enthaltenen Aufsätze von Dr. Friedrich Düsel und Wolfgang Schumann sind fesselnd, würdig und gehaltvoll, weil sie die Verdienste des Verstorbenen ohne Überschwenglichkeit beurteilen, und auch das Menschliche, Allzumenschliche an ihm nicht verkennen. Als Einleitung findet man dort einige Verse, die Ferdinand Avenarius früher als Gedenkwort an einen »Menschen und Denker« schrieb, womit er wahrscheinlich seinen älteren Bruder, den 1896 heimgegangenen Züricher Philosophen Richard Avenarius, im Auge hatte.
Düsel meint, diese Verse passen auf Ferdinand Avenarius selbst, und ich glaube, sie passen auf sehr viele, auf die meisten großen Männer. Ganz besonders aber scheinen sie mir auch anwendbar auf Karl May, und deshalb bringe ich sie hier zum Abdruck:
Ich sah dich heut im Traume, wie du bautest:
An deinem Hause mühsam bautest du,
Und freundlich hob sich's auch in Bögen auf.
Doch wunderlich: in keine Wölbung senktest
Den Schlußstein du. Wir riefen dir's. Doch du,
Vernahmst du's nicht? Du reihtest – deine Züge,
Sie waren schon so müd – und reihtest weiter
Bogen an Bogen, und den letzten Stein
Fügtest du nirgends. Angstvoll sahen wir's.
Da brachen die Gerüste, und die Bögen,
Sie stürzten und begruben dich im Fall.
Ein Weinen ging durch meinen Traum. Voll Wehs
Traten wir hin und suchten dich. Und suchten
Umsonst …
* * *