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(Aus dem Karl-May-Jahrbuch 1924)
In Kampen auf Sylt ist in der Nacht vom 20. zum 21. September 1923 Ferdinand Avenarius im Alter von 67 Jahren gestorben.
Ferdinand Avenarius ist am 20. Dezember 1856 in Berlin als Sohn eines Buchhändlers geboren. 1871 übersiedelte seine Familie nach Dresden, wo er die Kreuzschule besuchte. Es folgten Jahre des Wanderns und Werdens, wobei er sich hauptsächlich auf der Insel Sylt und in der Schweiz aufhielt. In Zürich und später in Dresden, wohin er wieder zurückkehrte, gab er seine ersten, damals noch wenig beachteten Schriften heraus.
Als 30 jähriger gründete Avenarius im Herbst 1887 den » Kunstwart«, um mit ihm »eine Sprechstelle für die Minderheiten zu gewinnen, die schon jetzt mit Freude der Großen genossen, denen seiner Überzeugung nach die Zukunft gehörte«. Obwohl er bereits zu Anfang eine Reihe bedeutender Mitarbeiter für sein Unternehmen gewann, bildete das erste Jahrzehnt des »Kunstwarts« doch für ihn eine Zeit schwerster Sorgen und finanzieller Kämpfe. Er war gezwungen, nebenbei eine Lampenzeitung, ein Fachblatt »Der Neubau« und ein Vereinsblatt »Der Bienenkorb« zu leiten. Mitte 1897 hatte der »Kunstwart« erst 800 Bezieher. Von da ab begann der Aufstieg; bis Januar 1901 erreichte er eine Auflage von 8000, bis Weihnachten 1903 eine Auflage von 20 000. Ruf und Ruhm des Herausgebers wuchsen im gleichen Maß. Es folgten seine Gründung des »Dürerbundes« und verschiedene Kunstwart-Unternehmungen (Bildermappen u. dgl.). Um die Zeit von 1907 war der Name Avenarius weithin bekannt und als Kunstkritiker auch gefürchtet; man hörte auf seine Stimme und benannte ihn, teils scheu, teils anerkennend, als den » Praeceptor Germaniae« auf dem Gebiet des Kunstlebens.
Als der »Kunstwart« sein drittes Jahrzehnt begann und sein Stoffgebiet vom »Kunstwart« bis zum »Kulturwart« ausdehnte, da kam mit wachsendem Erfolg die Hybris, der Machtdünkel, über den in seiner Art bedeutenden Mann: er ließ sich in Angriffe ein, die ihn anfänglich leicht, aber später immer stärker schädigten, indem sie ihm zahlreiche Feinde schufen. So befehdete er beispielsweise den »Türmer«, der mit dem »Kunstwart« in Wettbewerb getreten war, heftig und beleidigend, bis deren Herausgeber, Frhr. v. Grotthuß, durch eine Gerichtsklage eine empfindliche Bestrafung des Angreifers durchsetzte. Diese und ähnliche Kämpfe gerieten jedoch in der Folge wieder in Vergessenheit. Dagegen nahm der Versuch einer Machtprobe, die Avenarius ums Jahr 1912 in breiter Öffentlichkeit unternahm, einen für ihn sehr nachteiligen Ausgang. Er wollte damals die Alleinherrschaft über das gesamte deutsche Schrifttum an sich reißen, indem er die Schaffung einer Zensurstelle anstrebte, die sämtliche, nach ihrer Ansicht empfehlenswerten deutschen Werke mit einem »Dürerstempel« versehen sollte, derart, daß alles, was dieser Abstempelung nicht würdig befunden würde, als minderwertig zu gelten hätte. Dieser Versuch, eine Bevormundung und eine Art Leibeigenschaft der Buchhändler einzuführen, wurde fast einmütig vom gesamten Buchhandel und vom Hauptteil der deutschen Schriftsteller zurückgewiesen. Avenarius mußte einen »strategischen Rückzug« antreten und seinen Plan schließlich völlig in der Versenkung verschwinden lassen. Er hatte damit eine Niederlage erlitten, von der sich sein Ansehen nie wieder völlig zu erholen vermochte.
Einen wohl kaum geringeren Schaden erlitt er durch seine um die gleiche Zeit einsetzenden Angriffe gegen Karl May, die er nach dessen Ableben im Jahr 1912 in verstärktem Maß aufnahm, und über die ich weiter unten berichten werde.
Zu allem Überfluß stellte er sich, in völliger Verkennung seines lediglich auf Kunst- und Geschmacksfragen gerichteten Könnens, mit Beginn des Kriegs auf die Politik um und nannte den »Kunstwart« nunmehr »Deutscher Wille« Auch sein nächster Anhänger kann sich, wenn er die Kriegsjahrgänge der Zeitschrift durchblättert, dem peinlichen Eindruck nicht entziehen, daß sich hier jemand auf dem Glatteis der Politik bewegt, der dazu in keiner Weise berufen war. Avenarius prophezeite in überschwenglichen Worten Sieg, Glück, Erfolg und Freude! Nach dem Zusammenbruch verlor er erst recht die innere Sicherheit und pendelte sogar in Parteipolitik (teils bis zur äußersten Linken, teils wieder nach rechts) über, so daß er sich gelegentlich in seiner eigenen Zeitschrift Briefen seiner Anhänger gegenüber entschuldigen mußte, die ihn baten, doch die unheilvollen Tagesfragen nicht mit ins Gebiet der Kunst und in deren Tempel zu tragen.
Ich bin der Meinung, daß die letzten Jahre seines früher überaus glücklichen Lebens unglücklich waren, und daß er sich in der neuen Zeit nicht zurechtzufinden wußte. Überdies befiel ihn eine schleichende Krankheit, die auch seine geistigen Kräfte herabstimmte. Im Februar 1923 legte er die »Kunstwart«-Leitung in die Hände einer jüngeren Kraft, seines Stiefsohns Wolfgang Schumann. In einer gewissen Vereinsamung ist Ferdinand Avenarius gestorben.
Avenarius war kein schöpferisches Genie, sondern ein nachempfindendes und nachahmendes Talent. In sämtlichen Nachrufen, die ihm die deutsche Presse gewidmet hat, wurde betont, daß sich seine eigenen Dichtungen, wie »Lebe!«, »Die Kinder von Wohldorf«, »Faust« und »Baal« nicht halten würden. Zum bleibenden Dichter fehlte ihm vor allem Romantik und Phantasie, an deren Stelle er eine rein verstandesmäßige, nüchterne, hausbackene Lebensauffassung setzte.
Vielleicht war dieser Mangel an Einfühlungsvermögen auch die ursprüngliche Ursache dafür, daß er den phantasiereichen, ihm völlig wesensfremden Karl May ablehnte und befehdete. Es kam aber wohl auch hinzu, daß er überhaupt kein Verständnis und kein Wohlwollen für Gestaltungsformen aufzubringen vermochte, die sich abseits von seinem fast nur aufs Formal-Ästhetische gerichteten Kunstwartkreis hielten und sich nicht unter seine Beckmesser-Formeln einreihen ließen. Bei seinem Kampf war er in den Mitteln nicht wählerisch. Wir haben das dem Lebenden offen vorgehalten und dürfen den gleichen Vorwurf auch dem Toten nicht erlassen: der am 17. September 1919 verstorbene Schriftsteller August Niemann hat in seinem Aufsatz »Geld und Neid«, den er uns wenige Tage vor seinem Tod einsandte, und den wir wegen Raummangels erst im heurigen Jahrgang zu bringen vermögen, einige Gesichtspunkte behandelt, die das Unschöne und vor allem auch das mit groben Unwahrheiten arbeitende Verhalten des Avenarius gegen Karl May beleuchten.
Zwar schon zu Lebzeiten des 1912 verstorbenen Karl May hatte Avenarius in zunehmendem Maß scharfe und schädigende Angriffe gegen ihn gemacht, allein stets mit einer Art von Vorsicht, die einen gerichtlichen Austrag vereitelte. Nach Mays Tod aber folgte im ersten Mai-Heft 1912 des »Kunstwarts« aus der Feder des Avenarius ein Schmähartikel, der nach Inhalt und Form selbst in der Karl-May-Fehde einzigartig dasteht und sogar frei erfundene Unwahrheiten über den Heimgegangenen ausstreute. Ludwig Gurlitt hat diese Art eines »Nekrologs« öffentlich als »literarische Leichenschändung«, bezeichnet.
Am 1. Juli 1913 begann ich meine Tätigkeit in dem neugegründeten Karl-May-Verlag. Es galt zunächst, die vielen Freunde Karl Mays, die durch die Rücksichtslosigkeit der allbekannten Angriffe, besonders der von Avenarius ausgehenden, mundtot gemacht worden waren, zu sammeln. Meine beiden ersten Kampfgenossen waren Ludwig Gurlitt und der den Jahrbuchlesern ebenfalls wohlbekannte Seminar-Oberlehrer Fritz Prüfer-Dessau (seinerzeit noch Volksschullehrer in Leopoldshall-Staßfurt). Dieser, von jeher ein entschiedener Gegner des Avenarius, hatte im VII. Jahrgang des Wiener » Forums« (Heft 5 vom 1. März 1913) voller Entrüstung über den erwähnten Nekrolog einen Aufsatz » An den Herausgeber des Kunstwarts« veröffentlicht, darin mit Avenarius in schärfster Weise abgerechnet und überaus peinliche Dinge gegen ihn vorgebracht; er erbot sich dabei zum Wahrheitsbeweis, Avenarius aber hütete sich, ihm dazu gerichtliche Gelegenheit zu geben. Beide Mitarbeiter warnten mich schon damals immer wieder vor dem Vertrauen, das ich selbst dem Gerechtigkeitsgefühl und dem literarischen Takt des »Kunstwart«-Mannes entgegenbrachte; beide empfahlen mir, seine damalige, obenerwähnte Niederlage in Sachen des Dürerstempels zu benützen, um auch sein Verhalten gegen Karl May unverzüglich in angreifender Abwehr zu brandmarken. Entgegen dem Rat dieser und anderer Freunde ging ich aber den versöhnlichen Weg, den ich im folgenden Abschnitt darstelle.
Dr. Schmid an Ferdinand Avenarius:
Radebeul, am 9. Februar 1914.
Ich beziehe mich auf eine Aussprache, die ich mit Herrn Prof. Dr. Sch. hatte, und gestatte mir, auch an Sie die höfliche Bitte zu richten, mir in Sachen May eine Unterredung zu bewilligen.
Wenn ja, so wollen Sie gütigst bestimmen, an welchem Tag und zu welcher Zeit ich in Ihrer Wohnung vorsprechen darf. Ich bemerke noch, daß ich Mitte dieses Monats auf etwa 4 Wochen verreise.
Die Kunstwartleitung an Dr. Schmid:
Dresden-Blasewitz, am 9. Februar 1914.
Leider wird es unmöglich sein, Herrn Dr. Avenarius in der allernächsten Zeit hier zu sprechen. Er ist verreist und wird voraussichtlich erst in 8-10 Tagen wieder heimkehren. Auch wenn er hier in Blasewitz ist, verhindert ihn überreiche Arbeit häufig daran. Dann tritt Frau Avenarius an seine Stelle und übernimmt die Übermittlung der Mitteilungen bzw. der Wünsche. Sollte Ihnen hiermit gedient sein, so wird sich Frau Avenarius freuen. Sie Mittwoch vormittag gegen 11 Uhr etwa in ihrem Hause, Blasewitz, Bahnhofstraße 24 I, zu begrüßen.
Die hiermit eingeleitete Unterredung zwischen Frau Avenarius und mir fand am 11. Februar 1914 in Blasewitz statt. Frau Avenarius erklärte mir, sie und ihr Gemahl hätten durch die vielen Angriffe, die sie in der letzten Zeit durch die Presse erfuhren, so gelitten, daß sie meinen Friedensbestrebungen durchaus Verständnis entgegenbrächten. Wenn die Freunde Karl Mays ihrerseits die eingeleiteten Abwehrmaßnahmen einstellen würden, so hätten auch wir keine weiteren Fehden zu gewärtigen.
Das, was ich für einen Friedensschluß hielt, erwies sich aber in der Folge leider nur als ein Waffenstillstand. Die wilden Kämpfe, die damals um Avenarius tobten, wurden durch den Weltkrieg zum Verstummen gebracht, und er wiegte sich in dem trügerischen Bewußtsein, seine alte Macht wieder erlangt zu haben. Nach einigen Jahren erfolgten im »Kunstwart« abermals da und dort kleine Erwähnungen Karl Mays, die nicht gerade große Feindseligkeiten atmeten, die ich aber doch nicht an mir vorübergehen lassen konnte. Um sie zu beseitigen, schrieb ich diesen Brief:
Dr. Schmid an Ferdinand Avenarius:
Radebeul, am 16. September 1916.
Im Februar 1914 hatte ich die Ehre, mit Ihrer Frau Gemahlin als Ihrer Stellvertreterin eine Rücksprache in Sachen Karl May zu pflegen und dabei Näheres über meine Anschauung und die mir gestellte Lebensaufgabe darzulegen. Ohne die tatsächlichen Schwächen und Fehler Mays zu verkennen, bin ich dennoch der felsenfesten Überzeugung, daß er ein guter Mensch und ein guter Volksschriftsteller war und daß man ihn als Menschen wie als Dichter in vieler Hinsicht verkannt hat. Hierfür hatte ich schon damals gewichtige Unterlagen in Händen, und inzwischen konnte ich diese Belege erweitern und ausbauen.
Mein damaliger Besuch gipfelte in der Bitte, Sie möchten mir etwas Wohlwollen entgegenbringen, und insbesondere nicht von vornherein mein ganzes Sein und Wollen und Können verneinen. Ihre Frau Gemahlin erwiderte, daß Sie, nachdem die vielumstrittenen Kolportage-Romane im Verschwinden seien, die seit Mays Ableben geschaffene, gänzlich veränderte Lage nicht verkennen und keine Angriffe gegen meinen Verlag richten würden, wenn ich meinerseits die damals einsetzenden Kämpfe von May-Freunden gegen Sie beseitigen könne.
Wie Sie selbst wissen, ist es mir gelungen, seit jener Besprechung jedwede von May-Freunden stammende Äußerung gegen Sie zu verhindern, wozu teilweise eingehender Briefwechsel und sogar einige Reisen nötig waren. Gern erkenne ich an, daß auch Sie den von mir vorgeschlagenen modus vivendi einzuhalten wußten, und ich faßte eine kürzliche gelegentliche Äußerung in Ihrem Kunstwart: »Der Tagesmarktwert machte Karl May zum Millionär« nicht als eine Durchbrechung Ihres Versprechens auf.
Immerhin gehört gerade das Millionärmärchen zu den vielen irrigen Gerüchten, die über May verbreitet sind und deren Gegenbeweise ich in Händen halte. Meine Nachlaßforschungen sind nun soweit gediehen, daß ich mehr und mehr mit der unbedingten und urkundlichen Wahrheit vor Mays Lesergemeinde treten kann, und es galt für mich diesmal, die Sagen von Mays Reichtum endgültig aus der Welt zu schaffen. Die Art der erwähnten Unterredung ließ es als selbstverständlich erscheinen, daß ich mich hierbei, wenn irgend vermeidbar, nicht auf den Rechtsstandpunkt des § 11 des Preßgesetzes stellen wollte, denn aus meiner eigenen Redaktionstätigkeit weiß ich, wie peinlich jede formelle Berichtigung für einen Schriftleiter ist. Da der betreffende Abschnitt Ihres Aufsatzes von Dr. Elster in das Buchhändler-Börsenblatt übernommen war, verfiel ich auf einen Ausweg, den ich Ihnen in mitfolgendem Beleg unterbreite Es handelte sich dabei um einen kleinen Aufsatz, den ich im Buchhändler-Börsenblatt vom 15. Juli 1916 veröffentlichte und der eine Zusammenstellung von Karl Mays Einkommen und Vermögen brachte, ähnlich wie ich sie auch in Bd. »Ich«, S. 582, wiedergab..
Sehr geehrter Herr Doktor, es sind nicht lediglich vernunftmäßige Erwähnungen, die mich auch neuerdings wieder zu der Bitte um Ihr Wohlwollen veranlassen, sondern als langjähriger Leser des »Kunstwarts« stehe ich auch persönlich zu Ihnen in einem Verhältnis, das mich jede abfällige Bemerkung Ihrerseits besonders schmerzlich empfinden lassen würde. Ich nähre schon seit Jahren die leise Hoffnung, daß wir uns später einmal begegnen und daß Sie mir dann sagen könnten, Sie hätten das Gute meiner von Überschwenglichkeit freien Bestrebungen erkannt.
Ferdinand Avenarius an Dr. Schmid:
Dresden-Blasewitz, am 18. September 1916.
Wenn Sie ein andrer in meiner Abwesenheit empfängt, so kann dieser selbstverständlich nichts für mich entscheiden, er denkt auch gar nicht daran, das tun zu wollen, und meine Frau hat Ihnen ausdrücklich betont, daß sie mir nur Ihre Wünsche übermitteln könne. Denken Sie anders, so täuscht Sie die Erinnerung, irgendwelche Zusagen haben Sie nicht erhalten. Wir sind in unserem Verhalten gegenüber Karl May durchaus frei, und es liegt mir auch sehr fern, in dieser Beziehung mich irgendwie gebunden zu fühlen. Eine Absicht, die Polemik gegen Karl May in näherer Zeit wieder aufzunehmen, liegt nicht vor; sollte das aber aus irgendeinem Grunde sachlich erwünscht werden, so werde ich es unbedenklich tun.
Dieser Brief ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, bedeutete Kampf. Von da an begann ich meine Abwehrmaßnahmen sorgsam und eingehend vorzubereiten.
Ende 1917 lebten die von mir nunmehr erwarteten neuen Angriffe gegen den toten Karl May auf. Ein Professor Kleinberg in Teschen brachte in dem von Professor Bettelheim herausgegebenen »Biographischen Jahrbuch« einen »Nekrolog« über Karl May, der den Toten unerhört beschimpfte. Das führte zu erregter Abwehr und zu weithin wirkenden Kämpfen. Man findet sie, ihren Verlauf und unseren Erfolg, eingehend in meiner »Lanze für Karl May« geschildert. Als Ergänzungen dienen Gurlitts Buch »Gerechtigkeit für Karl May!« und die Karl-May-Jahrbücher. Meine näheren Mitarbeiter und ich hegten nicht den leisesten Zweifel, daß Ferdinand Avenarius hinter Kleinbergs Anfeindungen gegen May stand. Schon bei der auf Seite 31 meiner »Lanze« dargestellten Besprechung mit Dr. de Gruyter und August Hilbert vom 1.4. Dezember 1917 erwähnte ich, daß es sich für mich vor allem darum handle, Avenarius vor Gericht zu ziehen und als Schutzherrn der beiden Angreifer zu entlarven. Avenarius hielt sich aber wohlweislich noch monatelang im Hintergrund. Erst nach dem endgültigen Zusammenbruch von Kleinbergs Angriff, nämlich im Juni und Juli 1918, erschien der »Kunstwart«-Mann selbst auf dem Plan, indem er die Niederlage seines Schützlings durch maßloseste Verunglimpfung Karl Mays und meines Verlags zu bemänteln suchte.
Nun erst war es für mich möglich, meine längst vorbereitete Schrift » Eine Lanze für Karl May« abzufassen und zu veröffentlichen. Darüber hinaus aber bot ich alles auf, mich mit Avenarius vor Gericht zu messen. Zunächst stellte Frau Klara May Strafantrag aus § 189 Abgedruckt oben S. 14. des Reichsstrafgesetzbuchs (verleumderische Beleidigung eines Toten).
Um aber auch über die bei dieser Privatklage einschlägigen Gesichtspunkte hinaus zur gerichtlichen Auseinandersetzung und Wahrheitsermittlung mit Avenarius zu kommen, veröffentlichte ich im August 1918 ein Flugblatt » Ferdinand Avenarius und die Wahrheit«, worin ich ihm u. a. »glatten Schwindel«, »literaturgeschichtliche Fälschung«, »Revolverjournalismus« vorwarf, und ihn ausdrücklich aufforderte, mich wegen dieser scharfen Äußerungen zu verklagen: »Heraus zur Rechtfertigungsklage, Herr Avenarius! Nun keine Müdigkeit und keine Altersschwäche vorgeschützt, denn Ihre Prozeßwünsche sind erhört, und es handelt sich jetzt um die gerichtliche Feststellung, wer die Wahrheit sprach, der tote Karl May oder der lebende Avenarius!«
Das Flugblatt brachte übrigens noch eine weitere peinliche Enthüllung für unseren Angreifer. Da er laut seinem eigenen Bekenntnis Karl Mays »stofflich nicht anstößigen Büchern« nichts anhaben konnte, war ihm »nichts übriggeblieben als die Aufgabe, es ›andersherum‹ zu versuchen«, nämlich den »Menschen« (den Toten selbst!) durch Wiedergabe und Verteidigung von Kleinbergs Schmähungen herabzuwürdigen. Man findet diese von mir wörtlich zitierten Stellen im »Kunstwart«, 2. Juniheft 1918, Seite 144-145 sowie auch in meiner »Lanze«, wo ich sie zerpflückte Oben S. 72 f.. Im gleichen Kunstwart-Heft kramte Avenarius in liebevoller Breite die Jugendverfehlungen Karl Mays aus und u. a. suchte er dem Verstorbenen daraus einen Strick zu drehen, daß dieser, gestützt auf ein (wie ich zugeben muß: unzulängliches) amerikanisches Diplom, eine Zeitlang den Doktortitel geführt hatte. Das Aufbauschen dieser belanglosen Angelegenheit ließ in mir einen gewissen Verdacht auftauchen, da man solchen Götzendienst vor Titeln meist nur bei Halbgebildeten findet. Merkwürdigerweise hatte Avenarius auch den verfänglichen Satz geprägt: »Als Gebildeter hatte Dr. de Gruyter Karl May natürlich nicht gelesen.« (Kunstwart, 2. Juliheft 1918, Seite 59.) Ich durchforschte deshalb das Vorleben des Kunstwärters genauer und siehe da: Das »Universitätsstudium zu Leipzig 1877/78«, womit er im Sammelwerk »Wer ist's?« und in Brümmers Schriftsteller-Lexikon prahlte, hat niemals stattgefunden, sondern er hatte selbst nur die Einjährigenprüfung bestanden und auch diese erst im Alter von 48 Jahren (1874). In meinen beiden Schriften über ihn mag diese Entlarvung wohl der schmerzlichste Stich gewesen sein.
Mein Flugblatt ist in zahlreichen deutschen Zeitungen auszugsweise abgedruckt worden und ich sandte es auch Herrn Avenarius eingeschrieben zu. Überdies richtete ich an Frau Avenarius folgenden Brief:
Dr. Schmid an Frau Avenarius:
Radebeul, am 11. August 1918.
Im Februar 1914 fand auf Grund vorherigen Briefwechsels zwischen Ihnen und mir eine Besprechung statt, die, ähnlich wie kurz zuvor zwischen Herrn Prof. Sch. und meinem Verlag, auch den Friedensschluß zwischen Ferdinand Avenarius und Karl May herbeiführte. Es war damals jene Zeit, wo Ihr Herr Gemahl durch seinen mißglückten Vorstoß gegen die literarische Mündigkeit des deutschen Volkes eine schwere Niederlage erlitten hatte und von allen Seiten so nachhaltig angegriffen wurde, daß seine erschöpften Nerven, wie Sie selbst mir sagten, der Erholung in der Schweiz bedurften. Alle näheren Freunde meines Verlags hatten mir entschieden abgeraten, diesen Gang zu tun, denn sobald Herr Avenarius wieder erstarkt sei, würde er doch aufs neue über den toten Karl May herfallen. Jetzt sei die Gelegenheit gegeben, auch sein Verhalten gegen May auf die Dauer zu brandmarken. So war mir gesagt worden.
Meinem damaligen Versprechen gemäß habe ich mich seinerzeit unverzüglich an alle diejenigen Freunde Mays gewendet, die ihre Waffen gegen Herrn Avenarius geschliffen hatten, und sie gebeten, jegliche aus der Verteidigung des toten Dichters beabsichtigte Abwehr gegen Ihren Herrn Gemahl einzustellen. Die Kopien habe ich in Händen, glaubte aber nicht, daß sie eines Tags geschichtliche Bedeutung gewinnen würden. Nach etwa zwei Jahren (1916) fühlte sich jedoch Ferdinand Avenarius wieder etwas gekräftigt und begann jene leisen Nadelstiche, auf die ich in den jetzt folgenden Prozessen einzeln und in aller Ausführlichkeit zurückkommen werde. Auf meinen höflichen Brief vom 16. September 1916 erhielt ich unterm 18. September 1916 eine grobe Antwort, wobei sogar Sie in einer mir unverständlichen Weise preisgegeben und bloßgestellt wurden.
Damit wußte ich, daß Herr Avenarius aufs neue den Toten verunglimpfen werde, war aber doch von der Verwegenheit und der Tonart seines Juni- und Juli-Artikels etwas verblüfft, denn seine Neigung, Prozesse »zwecks Wahrheitsermittlung« zu erhalten, bezweifle ich, und noch weniger vermutete ich, daß man mich für so ehrlos und sinnlos halten würde, solch ungeheuerlichen Beleidigungen und Drohungen gegenüber schweigsam zu bleiben. Nie hätte ich gedacht, daß ausgerechnet Herr Avenarius es wagen würde, sogar das Eheleben des Verstorbenen in den Staub zu ziehen. Ich habe mich damals, als ich noch an Avenarius glaubte und den Gang nach Blasewitz unternahm, geirrt, und dies tut mir besonders weh, weil ich aus unserer Besprechung die angenehmsten literarischen und persönlichen Erinnerungen mit nach Hause gebracht hatte.
Mein heutiger Brief bezweckt ein Dreifaches: Ich erkläre ausdrücklich, daß ich den mir zugeworfenen Fehdehandschuh aufnehme. Ich bemerke ferner, daß ich es sehr bedaure, mich wider meinen guten Willen zu einer solchen Abwehr gezwungen zu sehen, wie sie nunmehr unvermeidbar ist. Und endlich möchte ich, da man auch noch nach dem Ableben des Avenarius und nach meinem und unser aller Tod von dieser Sache sprechen wird, für die Nachwelt feststellen, daß ich erst nach vielfachen Anwürfen und nach der kürzlichen, schlimmsten Herausforderung den Kampf aufnahm.
Noch vor Ablauf dieses Monats wird Ihr Herr Gemahl die erste Gelegenheit erhalten, sein »ganz sicheres Material« dem meinigen vor Gericht gegenüberzustellen. Mit diesem heutigen Brief schließe ich den außergerichtlichen Verkehr zwischen dem Hause Avenarius und dem Karl-May-Verlag.
Alles stand sprungbereit zum Prozeß, allein Avenarius – schwieg! Schwieg durch alle die folgenden Jahre und duldete es schweigend, daß das genannte Flugblatt weiter und weiter verbreitet wurde. Nicht nur seine Angriffe als solche sind ihm übel bekommen und wurden ihm selbst von seinen eigenen Freunden verdacht, sondern es hat ihm auch die Tatsache, daß er schwieg und schweigen mußte, weitere Anhänger abspenstig gemacht; ich habe mancherlei Briefe hierüber erhalten. Dabei muß ich jetzt offen und unumwunden sagen, daß für ihn kluges Schweigen besser war, als beredte Tapferkeit, denn die gerichtliche Feststellung, daß er frei erfundene Verunglimpfungen über den toten Karl May verbreitet hatte, hätte m. E. den Rest seines Ansehens vernichtet.
Bei uns allen herrschte übrigens damals nur Verblüffung und Ärger, daß der Gegner sich nicht zum Prozeß stellte, den er vorher in seinen Angriffen ausdrücklich angeboten hatte. Da seine Äußerungen über meinen Verlag nicht zur Aktivklage ausreichten, so blieb uns als letzte Hoffnung eines gerichtlichen Austrags nur noch die von Frau Klara May angestrebte Privatklage. Allein auch diese konnte nicht zur Durchführung kommen, denn mittlerweile war die Revolution durchs Land gezogen, und am 3. Dezember erging eine Amnestie über alle Fälle derartiger Beleidigungen. Als Beleg bringe ich hierzu ein Gutachten der von uns mit der Durchführung der Klage betrauten Dresdener Anwälte.
Rechtsanwälte Dr. Fleischhauer und Hally an Karl-May-Verlag:
Dresden, am 26. Februar 1921.
Auf Ihre gefl. Anfrage vom 25. Februar 1921 betr. die Möglichkeit eines etwaigen Vorgehens der Frau Klara verw. May gegen den Schriftsteller Ferdinand Avenarius wegen Beleidigung aus §§ 185, 186, 187 und 189 R.St.G.B. teilen wir folgendes mit:
Die Rechtzeitigkeit und Ordnungsmäßigkeit des von Frau Klara May am 31. August 1918 beim Amtsgericht Chemnitz gestellten Strafantrags wird nicht zu beanstanden sein. Auf die örtliche Zuständigkeit des Gerichts, bei dem der Strafantrag gestellt ist, kommt nichts an; es war somit nicht einmal nötig, daß die Druckschriften, in denen die Beleidigungen standen, auch an dem Orte verbreitet wurden, bei dessen Amtsgericht der Strafantrag gestellt ist.
Es ergibt sich aber die Unmöglichkeit, vorzugehen, aus der ersten Reichsamnestie nach der Revolution, der »Verordnung über die Gewährung von Straffreiheit und Strafmilderung vom 3. Dezember 1918«. – § 1 Abs. 1 dieser Verordnung verfügt die Niederschlagung aller Untersuchungen wegen solcher vor der Revolution, also vor dem 9. November 1918 begangenen Straftaten, die mit Freiheitsstrafe bis zu höchstens einem Jahre oder mit Geldstrafe, Nebenstrafen usw. bedroht sind. Abs. 4 dieses Paragraphen dehnt solche Niederschlagung auch auf diejenigen mit dem gleichen Strafmaximum bedrohten strafbaren Handlungen aus, wegen deren eine Untersuchung bei Gericht oder Staatsanwaltschaft anhängig geworden ist. Dazu gehören die Beleidigungen, hinsichtlich deren durch rechtzeitige Strafantragsstellung die Strafverjährung an sich um 5 Jahre hinausgeschoben war.
Hiermit entfällt für Frau May die Möglichkeit, gegen Herrn Avenarius aus den §§ 185, 186 und 189 des St.G.B. im Wege der Privatklage noch vorzugehen. Es bleibt allein übrig die verleumderische Beleidigung des § 187, weil insoweit das Strafmaximum 2 Jahre Gefängnis beträgt, also das Höchstmaß der Amnestieverordnung überschritten ist. Wir möchten aber unbedingt davon abraten, aus § 187 Privatklage zu erheben, weil es sich nicht wird nachweisen lassen, daß Avenarius seine Behauptungen über Karl May wider besseres Wissen produziert hat. Man wird im Gegenteil davon ausgehen müssen, daß er sich in seine auf Karl May bezügliche Idee verrannt hat und selbst da noch das, was er schreibt, für wahr und richtig hält, wo nüchtern abwägende Verständigkeit ohne weiteres erkennt, daß seine Behauptungen völlig über das Ziel hinausschießen und der Wahrheit nicht entsprechen. Die Gerichte verurteilen sehr selten auf Grund von § 187 St.G.B. wegen verleumderischer Beleidigung, weil nach den Erfahrungen des täglichen Lebens in der Tat dem subjektiven »Für-wahr-halten« ein außerordentlich weiter Spielraum zugebilligt werden muß.
Die Privatklage aus § 187 kann übrigens nicht in Analogie mit § 189 von der Witwe des Verstorbenen wegen dessen Beleidigung angestrengt werden. Sie wäre nur möglich, sofern die Beleidigung von vornherein zugleich eine Beleidigung auch der Frau selbst war.