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Eine Abrechnung

… ich hab' des Schwätzens Überdruß.

Goethe in Bettelheim.

Mit den hier zitierten Worten hatte Bettelheim das acht Seiten lange »Postskriptum« abgeschlossen, das er seinem ersten, neun Seiten langen »Offenen Brief« nachhinken ließ. Obwohl niemand der darin Angegriffenen ihn einer Erwiderung gewürdigt hatte und unser Verlag überhaupt noch mit keiner Äußerung vor die Öffentlichkeit getreten war, hat er inzwischen noch eine dritte Streitschrift herausgegeben, nämlich eine 32 Seiten starke »Abrechnung mit dem Karl-May-Verlag«. Er nahm darin seine beiden erwähnten ersten Druckschriften auf, ferner die zwei Aufsätze von Ferdinand Avenarius, zwei Briefe Kleinbergs und dann noch ein Nachwort im Umfang von mehr als sechs Seiten. Diese Veröffentlichung bildete die äußere Veranlassung zu meiner vorliegenden Abwehrschrift.

Die beiden »offenen Briefe« habe ich teilweise bereits weiter oben behandelt; im übrigen möchte ich dem gesprächigen Herrn noch einiges entgegnen:

Dr. de Gruyter hat in seinem Antwortbrief Bettelheims Geschmacklosigkeit, Trauerfälle und ähnliche familiäre Angelegenheiten mit in die Debatte zu ziehen und mit süßlichen Redensarten zu schmücken, durch Nichtbeachtung abgelehnt. Ich als dritte Partei erlaube mir, die Leser von Bettelheims Angriffen insbesondere auf die Seiten 1, 13, 18, 19 seiner »Abrechnung« aufmerksam zu machen.

Diese Stellen sind aber nicht die einzigen Entgleisungen, die sich der Angreifer auf dem Gebiet der Ästhetik und Ausdruckskultur leistet. So bezeichnet er z. B. mich in zahlreichen Wiederholungen als »Schmid-Satanello«, indem er in einer solch ernsten Sache ein von mir früher gebrauchtes satirisches Pseudonym meinem Namen anheftet. Offenbar sucht er damit den Eindruck zu erwecken, als sei ich eine Art dummer Teufel, der von den Kasperln windelweich gehauen wurde. Ich könnte darauf erwidern, daß auf der Bühne des Lebens schon gar mancher Hanswurst vom Teufel geholt wurde. Es liegt mir aber nicht, Bettelheim bei diesem Anlaß auf das sarkastische Gebiet zu folgen, und ich unterlasse es deshalb auch, seinem Namen ebenfalls ein Epitheton ornans beizufügen, obwohl mir die Äußerungen des »Zufallspräsidenten einer Gelehrtenrepublik« mancherlei Gelegenheit dazu böten. Auch würden mir seine über mich und meinen Verlag ausgesprochenen Beleidigungen wie »Pack«, »Ekel und Abscheu«, »Theaterdonner«, » Cloaca maxima«, »Hintermänner«, »Kabalenmacher«, »gewerbe- und gewohnheitsmäßiges Drohen«, »widerwärtige Anschläge«, »Treiben des May-Verlages« weitgehende Rechte zur entsprechenden Schärfe in der Abwehr einräumen.

Aus den Schlußsätzen meines oben abgedruckten Briefes vom 1. März hat Bettelheim schwere Vorwürfe gegen mich abgeleitet, die sich bis zu der Beleidigung wagen, ich sei ein »Gezeichneter« (S. 19). Um seine Leser zu beeinflussen, hat er eine Reihe von Punkten dieser meiner Inschrift an de Gruyter willkürlich, eigenmächtig und ohne erklärenden Zusatz teils gesperrt, teils fettgedruckt, obwohl diese in meinem Original in keiner Weise hervorgehoben waren und obwohl eine solche irreführende Betonung Sinn und Zweck zu entstellen geeignet ist. Aus der ganzen Entwicklung des jetzt zum erstenmal von mir lückenlos vorgetragenen Falles kann man deutlich erkennen, daß die sämtlichen Erklärungen in meinem Brief vom 1. März lediglich aus Widerspruch gegen die vorgängige, von Bettelheim stammende Verdächtigung diktiert waren, unsere Klageankündigung sei nicht ernst gemeint gewesen; demgegenüber hatte ich zu beweisen, daß wir die Sache sehr ernst nahmen und im Ablehnungsfall unbedingt zu Prozessen entschlossen waren. Da die Ehre eines Toten durch den § 189 des Reichsstrafgesetzbuchs (vgl. o. S. 14) leider nur dann geschützt wird, wenn man dem Gegner den guten Glauben seiner Behauptung absprechen kann, so mußten wir alle Erwägungen ziehen, die irgendwie zu einer gerichtlichen Klärung führen konnten. Im übrigen betone ich aber, daß ich gar wohl bereit bin, gegen die unerhörten Schmähungen wider Karl May, dessen Freund, Verteidiger und Verleger ich bin, mit meiner eigenen Unbescholtenheit einzutreten, wenn es mir dadurch gelingt, einen andernfalls unmöglichen gerichtlichen Wahrheitsbeweis durchzusetzen.

Die soeben erwähnten Änderungen in meinem Originalbrief sind jedoch nicht die einzigen unzulässigen Behelfe, mit denen Bettelheim für seine »redaktionelle Ehre und wissenschaftliche Überzeugung« arbeitet. So hat er ferner auf Seite 10 seiner Streitschrift eine Reihe von Sätzen in Karl Mays Selbstbiographie aus dem Zusammenhang gerissen und damit das gegenteilige Bild von dem zu erwecken gesucht, das der Dichter, wie durch Nachprüfung unschwer festzustellen ist, erzielen wollte. Man vergleiche hierzu die Zitate Bettelheims mit Karl Mays Ges. Werken Band 34, Seite 335!

Dieses Verfahren des »Abrechners« geht aber noch weiter. Er hat auch den oben von mir wiedergegebenen Brief de Gruyters vom 22. Januar 1918, der an mich gerichtet war und sich in meinem Besitz befindet, an einem wesentlichen Punkt sinnbeugend entstellt, um dadurch seine ursprüngliche Behauptung zu stützen: »Ein Versuch, Kleinberg zur Abänderung des Textes zu bestimmen, schlug fehl«. Bettelheim wechselt in dem genannten Brief die Stelle: »… Dr. Kleinberg, der in einem früheren Stadium der Angelegenheit zu einer solchen Änderung bereit gewesen war Von mir gesperrt. …« um in »bereit gewesen wäre Von mir gesperrt.«! Ich stelle fest, daß diese Änderung den Sinn von de Gruyters Brief falsch wiedergibt.

Selbst der Text Kleinbergs ist von Bettelheim nicht wortgetreu abgedruckt worden. Er verwendet nämlich nicht etwa die ursprüngliche Fassung dieses Textes in seiner »Abrechnung«, sondern vielmehr die Fassung, die Avenarius im »Deutschen Willen« gebracht hatte. Daß er diese Merkwürdigkeit und dieses ersichtliche Bestreben, sich auf Avenarius zu stützen, durch ergänzende Fußnoten abschwächt, genügt noch nicht, um sein Verhalten unanfechtbar zu machen, denn so sind z. B. Kleinbergs unästhetische Ausdrücke »scheinheilig« und »verlogen« unter den Tisch gefallen; der Ausdruck »Ruhm« ist künstlich in »Ruf« abgeändert usw.

Für noch schlimmer aber halte ich die unaufhörlichen Verdächtigungen aller derer, die für May eintreten. Soweit deren recht bedeutungsvolle Namen nicht völlig verschwiegen werden, beliebt Bettelheim sie als »Leute« des Karl-May-Verlags, als meine »Hintermänner« zu bezeichnen. Den Aufsatz Buchenaus nennt Bettelheim eine »Verschleierung«, »Entstellung«, einen »Wechselbalg«! Es ist immer die alte Geschichte: alle, aber auch alle, die für May eintreten, gelten den Kunstwart-Ästhetikern als dumm oder gemein, und die niedrigsten Absichten werden ihnen unterschoben. (Avenarius selbst ist so weit gegangen, Mays Anhänger als »Unreife und Menschen mit schlechter ästhetischer Bildung« zu bezeichnen, die sich durch »Schwindel betrügen« lassen und deshalb durch ihn »andersherum« aufgeklärt werden müßten!) Man beachte bei dieser Gelegenheit auch, daß fast nur die »Kunstwart-Leute« in dem Kleinbergschen Quellenverzeichnis zitiert sind, während die viel zahlreicheren Stimmen für May in der Hauptsache verheimlicht, die übrigen aber dadurch herabgewürdigt werden, daß man sie als »zum großen Teil« von May selbst verfaßt hinstellt. Oder es wird z. B. ein wenig beachteter Angriff Stefan Hocks aus 1910 (»Wissen für Alle«) sorgsam zitiert, aber sein weiterer Artikel aus 1912 (»Strom«) wohlweislich verschwiegen, weil dieser im folgenden Heft der gleichen Zeitschrift von Berthold Viertel ad absurdum geführt wurde und eine solche Angabe nicht zur Frisur des Schmäh-Nekrologs paßt! Bettelheim wieder bezieht sich auf eine Beleidigungsklage, mit der May vor dem Charlottenburger Amtsgericht abgewiesen wurde, wovon Avenarius mit Triumphgeschrei seinen Lesern Kenntnis gab, ohne auch nur anzudeuten, daß das Urteil in der Berufungsinstanz zu Mays Gunsten erging. Genau so, wie Kleinberg von den Münchmeyer-Prozessen spricht, sie hätten »Mays Ehre als Mensch und Schriftsteller zerstört«, und durchaus nicht erwähnt, daß May diese Zivilprozesse in allen Instanzen gewann!

In dem Maße, wie Bettelheim jeden der zahlreichen für May eintretenden Kritiker und Literarhistoriker herabsetzt, feiert er die verhältnismäßig wenigen Stimmen, die sich anders über May äußern. Von seinem Rechtsbeistand, Dr. Edmund Benedikt, erklärt er (Seite 9), er sei »einer der ersten in Österreich und Deutschland als Anwalt und Kenner der Strafrechtswissenschaft gleicherweise anerkannten Autoritäten«. Na, ich bin auch Jurist, aber mir und vielen meiner Kollegen ist Herr Benedikt, gegen den ich übrigens nichts einzuwenden habe, vorher nicht einmal dem Namen nach bekannt gewesen. Sobald indes ein Jurist anders urteilt, wird er für Bettelheim verächtlich. So hat, wie weiter oben nachgewiesen, der Schutzverband Deutscher Schriftsteller, den Kleinberg selbst um sein Urteil anging, sich gegen diesen und Bettelheim ausgesprochen: die Folge ist, daß ihm Bettelheim sofort mit einer Reihe von herabsetzenden Sticheleien antwortet, aus denen ich nur eine hervorhebe: »daß im Gegensatz zu dem Sonntags-Juristen des Schutzverbands Edmund Benedikt in seinem Gutachten genau so wie Avenarius eine strafrechtliche Haftung des Verlegers für ausgeschlossen erklärt«. Das Ergötzliche hierbei ist, daß auch Avenarius auf einmal von Bettelheim zum Juristen promoviert wird! Ich muß das berichtigen: die Vorbildung von Ferdinand Avenarius ist weder die eines Juristen, noch die eines Philologen. Avenarius hat die Einjährigenprüfung erst im 18. Lebensjahre, das Abiturium überhaupt nicht bestanden; das »Leipziger Universitätsstudium«, mit dem er in »Brümmers Schriftsteller-Lexikon« und im »Wer ist's?« prahlt, hat in Wahrheit nicht stattgefunden, denn laut Auskunft der Leipziger Universitätskanzlei war er niemals in Leipzig immatrikuliert.

Dagegen muß ich Bettelheim beipflichten, wenn er den »Deutschen Willen« für berühmt hält; ja, ich setze hinzu, Avenarius wird in Zukunft noch berühmter werden. Da er in erster Linie Geschäftsmann, in zweiter Linie jedoch nur ein nachahmendes und kritisierendes Talent, nicht aber ein schöpferisches Genie ist, so war es ihm ursprünglich beschieden, daß er bald nach seinem Tod mitsamt seiner Dichtung »Lebe!« in die Vergessenheit sinken würde. Hiervor bleibt er nun wohl bewahrt, denn ich glaube, man wird auch in späteren Zeiten seinen Namen in der Literaturgeschichte finden, und zwar auf den gleichen Blättern, die dem Andenken Karl Mays gewidmet werden!

Die Herausgeber und Mitarbeiter des Karl-May-Jahrbuchs werden – selbstverständlich – von Bettelheim (Seite 8 und 26) angegriffen, ohne daß er es der Mühe wert hält, auch nur einen einzigen Aufsatz dieses Jahrbuchs zu erwähnen oder dessen Widerlegung zu versuchen. Dr. Beissel hatte, als er noch in meinem Verlag tätig war, unterm 20. Dezember 1917 folgende Mitteilung an ihn gesandt:

Im Anschluß an den gestrigen Brief des Karl-May-Verlags erlaube ich mir noch, Sie in eigener Sache auf mein demnächst erscheinendes Karl-May-Jahrbuch hinzuweisen. Nur der Krieg verhinderte, daß dieses Jahrbuch, das sich z. Zt. in Druck befindet, schon 1914 erschien, denn beide Herausgeber, mein Freund F. Barthel, Redakteur am Berliner Lokalanzeiger, und ich, mußten damals ins Feld. Erst als wir beide vor rund einem Jahr infolge Kriegsbeschädigung entlassen wurden, konnten wir uns dem Jahrbuch wieder widmen. Der Karl-May-Verlag, zu dem ich erst nach meiner Entlassung in (vorübergehende) Beziehungen trat, ist absichtlich in keiner Weise beteiligt worden und hat lediglich die Genehmigung zum Abdruck verschiedener Sachen aus Mays Nachlaß und eines noch unveröffentlichten Bildes Sascha Schneiders unentgeltlich erteilt. Sodann hat der Leiter des Verlags, Herr Dr. Schmid, einen Beitrag geschrieben.

Neuerdings stellten mir beide Herausgeber noch die Abschrift eines Briefes zur Verfügung, den sie am 31. Mai 1918 an Bettelheim abgehen ließen:

Berlin, am 31. Mai 1918.

Wie wir von anderer Seite hören, haben Sie in Ihrem »Offenen Brief« über den Karl-May-Nekrolog die Unterzeichneten, die Herausgeber des Karl-May-Jahrbuches, als »die Leute« und die »Hintermänner« des Karl-May-Verlages bezeichnet. Ihre Grundlagen zu diesem unsachlichen Vorgehen entziehen sich unserer Kenntnis, aber jedenfalls wirft es ein eigentümliches Licht auf Ihre Art der Literaturforschung, daß Sie ein Werk, ohne es gelesen zu haben, durch billige Verdächtigung abzutun versuchen.

Bereits am 20. Dezember 1917 stellte Dr. Beissel, der damals zum Studium des Mayschen Nachlasses in Radebeul weilte, ausdrücklich in einem Briefe an Sie fest, daß der May-Verlag in keiner Weise an dem Jahrbuche beteiligt sei; wir wiederholen dieses heute und fügen noch hinzu, daß das Jahrbuch von dem Leiter des genannten Verlages erst nach seinem Erscheinen gelesen wurde. Ihr leichtfertiges Vorgehen überlassen wir dem Urteile ernster Forscher, fühlen uns aber verpflichtet, im Namen sämtlicher Mitarbeiter des Jahrbuches mit aller Entschiedenheit Ihre unqualifizierbaren Unterstellungen zurückzuweisen.

Im übrigen hätten wir wohl erwarten dürfen, daß Sie mutig genug gewesen wären, uns, den ohne Not Angegriffenen, Ihren »Offenen Brief« zuzusenden. Wir fordern Sie hiermit auf, uns diesen Brief, in dessen Besitz wir leider nicht gelangen konnten, umgehend zukommen zu lassen.

Nach seiner Kenntnisnahme behalten wir uns weitere Schritte vor.

Und wie Anton Bettelheim an dem Menschen Karl May so wenig Gutes läßt wie an seinen Schriften, so wird auch jede Äußerung, die sich der Verleger der Werke dieses toten Mannes gestattet, verzerrt. Avenarius hat Karl May sechs Millionen Mark angedichtet, und wenn diese Ziffer wahr wäre, dann müßten von den May-Bänden bis zum Ableben des Dichters nahezu fünfzehn Millionen in deutscher Sprache verkauft worden sein; denn das Honorar von jedem Band betrug zehn Prozent des Ladenpreises, und die aus den Übersetzungen u. dgl. fließenden Nebeneinkünfte waren, wie ich in Band 34 Seite 582 nachwies, trotz der großen Verbreitung im Ausland ganz geringfügig. Nun habe ich vor einigen Jahren diese Ziffer auf das richtige Maß zurückgeführt und bin mit den Angaben über Mays Einkünfte und Vermögen und mit der Tatsache hervorgetreten, daß bis gegen Ende 1916 1 700 000 deutsche May-Bände abgesetzt waren. Wahrheit darf jedoch nach Bettelheims Ansicht den Freunden Mays selbst in den Dingen nicht zugebilligt werden, wo nicht der geringste Grund vorliegen könnte, ungenau zu sein! Und deshalb stellt er sich in diesem einen Punkt in Gegensatz zu seinem Schutzherrn Avenarius, und während jener den Absatz der May-Bände auf fünfzehn Millionen veranschlagen muß, sucht Bettelheim sogar den Vertrieb von rund zwei Millionen zu schmälern.

Außerdem regt sich Bettelheim darüber auf, daß ich diese Absatzstatistik überhaupt erwähne, wobei etwas Neid gegenüber den Erfolgen des toten May mitsprechen dürfte. Eine solche Angabe, wieviel von einem Verlagswerk abgesetzt ist, stellt keineswegs ein ungewöhnliches Verfahren im buchhändlerischen Leben dar. Ich bin dabei sogar auf den Spuren des »Deutschen Willens« gewandelt. So enthält das »Avenarius-Buch« auf Seite 32 nachstehende Reklamenotiz über die Kunstwart- und Dürerbund-»Unternehmungen«: »Ein Bild des Einflusses dieser Schriften geben folgende Ziffern: von den Flugschriften wurden über eine halbe Million vertrieben, vom Büchlein ›Heb' mich auf‹ 283 000, vom ›Gesundbrunnen‹ 426 000«.

Höchst merkwürdige und mit Wahrheit nicht belastete Mitteilungen macht Bettelheim an der Stelle, wo er (S. 30) seine Stellungnahme zu Mays Selbstbekenntnissen (»Ich«) veranschaulicht. Er behauptet dort:

Seit Jahrzehnten kannte ich die Indianergeschichten Mays, und ohne jede Voreingenommenheit las ich anfangs 1917 den Band »Ich«, redlich gewillt, nach einer unumwundenen Lebensbeichte ganz oder teilweise Ablaß zu gewähren. Das Ergebnis meiner, ich wiederhole, ohne vorgefaßte Meinung begonnenen, aufmerksamen Lektüre war unbesiegbarer Widerwille gegen die Unaufrichtigkeit, Gleisnerei und Selbstgefälligkeit dieser Konfessionen. Hätt' ich selbst den May-Nekrolog zu schreiben gehabt, dann wäre der Mensch noch schlimmer weggekommen als der beständig renommierende Fabelhans.

Der Wiener Literarhistoriker hätte also diesem Ausspruch nach die Schmähungen Kleinbergs über Karl May noch übertrumpft, und es wäre sicherlich reizvoll, eine solche Steigerung von Superlativen einmal zu genießen. Im übrigen möchte ich aber diese Stelle recht deutlich betrachten. Bettelheim kannte demnach Mays Schriften schon längst und war dennoch nicht voreingenommen gegen den Toten. Ja, er war bereit, dem Dichter, je nachdem dessen Lebensbeichte seinem Geschmack entsprach, »ganz oder teilweise Ablaß zu gewähren«. Wie kann die Lebensbeichte eines Schriftstellers den literarischen Wert oder Unwert seiner Werke in irgendeiner Weise verändern?

Es kommt aber noch besser: Bettelheim hat »anfangs 1917« ein Buch gelesen, das damals noch gar nicht erschienen war. Das Manuskript zum Band »Ich« habe ich erst Weihnachten 1916 an die Buchdruckerei gesandt, und die Drucklegung nebst Buchbinderarbeiten zögerten sich länger als ein Vierteljahr hin. Allein selbst wenn der Band »Ich« wirklich schon anfangs 1917 in Bettelheims Händen gewesen wäre, so hatte er dennoch die Verurteilung des Toten längst zuvor ausgesprochen, denn Kleinbergs Arbeit über May wurde, wie man aus dem obigen Briefwechsel (S. 9) ersehen kann, schon viele Monate früher abgefaßt; ich besitze ferner die Bestätigung Kleinbergs vom 5. Juni 1916 (!), wonach er an diesem Tag seinen »Nekrolog« bereits abgeschlossen hatte. Und zu allem Überfluß erklärt Kleinberg im »Literarischen Echo« vom 1. Oktober 1918, seine Arbeit sei »durchaus nicht anders ausgefallen, als der Besteller Prof. Bettelheim vermuten konnte, denn dieser habe sie mit ganz geringfügigen Änderungen sofort Von mir gesperrt. akzeptiert«! Die Herren Avenarius und Bettelheim werden gut tun, an allen Veröffentlichungen ihres dürftig begabten Mündels rechtzeitig »kleine stilistische Änderungen« vorzunehmen …


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