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Fritz, ein lebhafter, fröhlicher Knabe von zehn Jahren, war der Sohn des Jägers zu Grünental. Eines Morgens sollte sein Vater einen Brief des Herrn von Grünental nach Rauhenstein tragen, einem Schloss, das jenseits rauher Berge einsam in einem grossen, dichten Wald lag. »Der Gang wird mir sauer werden«, sagte der Vater; »seit ich mir neulich auf der Jagd den Fuss übertreten habe, ist er noch immer nicht ganz hergestellt. Nach Rauhenstein aber hat man wohl drei Stunden zu gehen. Da indes der gnädige Herr es befiehlt, so will ich es wagen.« Allein Fritz erbot sich zum Briefträger. »Schickt mich, lieber Vater!« sagte er. »Der Weg geht freilich fast durch lauter Waldungen; allein mir ist nicht bange! Bis zu unserm Grenzstein ist er mir ja bekannt; und weiterhin will ich ihn schon finden und den Brief richtig bestellen.« – »Nun wohl«, sagt der Vater; »gib aber den Brief dem Herrn von Rauhenstein, den du wohl kennst, in seine eigenen Hände. Es ist viel Geld in dem Brief, und du bekommst gewiss ein gutes Trinkgeld.« Der Vater beschrieb ihm noch den Weg von der Grenze bis Rauhenstein auf's genaueste, und Fritz hängte seine kleine Jagdtasche um, nahm seine Flinte auf den Rücken und machte sich unverzüglich auf die Reise.
Fritz kam glücklich in dem Schloss Rauhenstein an, bat die Bedienten, ihn zu melden, indem es ihm befohlen sei, den Brief dem gnädigen Herrn selbst zu übergeben. Ein Bedienter führte ihn die breite steinerne Treppe hinauf und wies ihn in ein prächtiges Zimmer. Herr von Rauhenstein machte mit einigen Offizieren, die bei ihm auf Besuch waren, eben ein Kartenspiel. Fritz verneigte sich vor den Herren und übergab den Brief, in dem sich hundert Gulden in Gold befanden. Herr von Rauhenstein ging an seinen Schreibtisch und schrieb einige Zeilen, den Empfang des Briefes zu bescheinigen. »Es ist gut«, sagte er hierauf und setzte sich wieder an den Spieltisch; »jetzt kannst du wieder gehen. Weitere Antwort ist für jetzt nicht nötig; sie wird folgen.«
Fritz kam wohl recht traurig die steinerne Treppe herab; denn er war hungrig und durstig und ziemlich müde. Als er über den Schlosshof ging, begegnete ihm die Köchin, die eben aus dem Garten kam und in einer Hand einige Stauden Blumenkohl, in der andern Hand aber ein Messer trug. Sie sah es dem armen Knaben an dem Gesicht an, wie es ihm um das Herz war. »Komm mit mir, kleiner Jäger«, sagte sie freundlich, »ich will dir etwas zu essen und einen Trunk Bier geben. Du möchtest sonst unterwegs verschmachten. Du hast sehr weit nach Hause und findest auf dem ganzen Weg kaum eine Herberge. Du musst es übrigens dem gnädigen Herrn nicht übelnehmen, dass er dir nichts zu essen anschaffte, er denkt nicht an dergleichen Sachen; indes hat er nichts dagegen, wenn man den Leuten etwas gibt.«
Die Köchin führte den Fritz in die Küche, wo das Feuer auf dem Herd hoch emporloderte und viele Töpfe und Bratpfannen umherstanden. »Leg nun«, sagte sie, »deine Jagdtasche und dein Gewehr ab, und setze dich hierher!« Sie zeigte auf ein kleines Tischchen in der Ecke der Küche, neben dem eine Bank an der Mauer befestigt war. Sie brachte Suppe, Fleisch und Gemüse, auch Brot und ein Krüglein Bier. Der gute Fritz liess es sich so gut schmecken wie fast noch nie in seinem Leben. Er ward recht erquickt und dankte herzlich für das Genossene.
Fröhlich und vergnügt trat Fritz seinen Weg nach Hause an. Allein als er in dem Wald etwa eine halbe Stunde weit gegangen war, erblickte er auf einem freien Platz, auf dem einige alte Eichen standen – ein Eichhorn. Das nette, muntere Tierchen war ihm etwas Seltenes; denn in dem Jagdbezirk von Grünental hatte er kaum ein- oder zweimal eines gesehen. Er war noch etwas kindisch, und da fiel ihm ein, das Eichhorn, das noch jung schien, lebendig zu fangen. Er warf danach mit einem Stück eines dürren Astes, das er unter den Bäumen fand, verfolgte das Tierchen von Eiche zu Eiche bis in den dichtesten Wald und verlor darüber den rechten Weg. Er irrte den übrigen Tag und die halbe Nacht im Wald umher, bis er endlich, von Angst und dem vielen Hin- und Herlaufen ermüdet, sich unter niedriges Gesträuch verkroch und einschlummerte. Er schlief sehr unruhig und stand fast abgematteter auf als er sich niedergelegt hatte. Er blickte um sich und ging, immer noch zweifelnd, wohin er sich wenden sollte, weiter. Die ganze Gegend umher war ihm fremd. Die vielen Hirsche, die hier und da, von ihm aufgeschreckt, die Flucht nahmen, liessen ihn vermuten, dass er sich in einer ganz unbesuchten Gegend des Waldes befinden müsse. Ein Rudel Wildschweine, unter denen sich ein grimmiger, ungeheuer grosser Eber befand und mit den scharfen Fangzähnen ihm drohte, setzten ihn sehr in Schrecken, und er entfloh mit Todesangst. Es ward endlich Mittag, und er war so müde und hungrig, dass er nicht mehr weitergehen konnte. Er hatte sich heiser gerufen – aber keine Antwort vernommen als den Widerhall. Nirgends fand er eine Beere oder auch nur einen Tropfen Wasser, seinen Hunger und Durst zu stillen. Trostlos warf er sich unter eine Tanne nieder. Er betete mit Inbrunst, Gott wolle ihn doch nicht verschmachten lassen. Von Hunger gequält, durchsuchte er seine Jagdtasche, ob er nicht noch einige Brosämlein von dem Brot fände, das er von Hause mitgenommen und auf dem Weg nach Rauhenstein verzehrt hatte. Aber – welches Erstaunen, welche Freude ergriff ihn mit einemmal! In seiner Jagdtasche steckte ein schönes, grosses Stück Kuchen, nebst einigen saftigen Birnen. »Dies«, rief er, »hat mir die gute Köchin, ohne dass ich es merkte, in meine Jagdtasche gesteckt.« Er dankte Gott mit Tränen und gelobte ihm heilig, gegen alle Dürftige, besonders gegen Fremde, wohltätig zu sein; auch nahm er sich vor, der wohltätigen Rosalia, so hiess die Köchin, diese Wohltat, wenn er je einmal reich genug werden sollte, reichlich zu vergelten. »Denn«, sagte er, »nächst Gott hat ihre Güte mir das Leben gerettet. Ohne ihre milde Gabe wäre ich sicher hier in dem wilden Wald verschmachtet.«
Fritz stand neugestärkt auf und machte sich mutig wieder auf den Weg. Er wanderte, soviel er aus dem Stand der Sonne abnehmen konnte, jener Gegend zu, in der Grünental lag. Nachdem er eine Stunde gegangen war, hörte er in weiter Ferne die Schläge einer Holzaxt. Er ging darauf zu und traf zwei Holzhauer, die eine grosse Tanne fällten. Sie zeigten ihm den Weg, der nach Grünental führte, und so kam er denn endlich wieder glücklich nach Hause, zur grossen Freude seiner Eltern, die um seinetwillen keine geringe Angst ausgestanden hatten.
Indes gab der Vater dem Knaben einen nachdrücklichen Verweis und manche gute Lehre. »So geht's«, sprach er unter anderm, »wenn man sich von irgendeiner Lust verleiten lässt, vom rechten Weg abzuweichen. Du hättest in dem wilden Wald, fern von dem väterlichen Haus, verschmachten können und hast deinen törichten Wunsch, jenes Eichhörnchen zu fangen, nicht einmal erreicht. Dem Weg durch einen gefährlichen Wald gleicht unser Weg durchs Leben, auch da gaukelt uns, gleich jenem verführerischen Tierchen, manche Lust vor den Augen und sucht uns von dem Pfad der Tugend abzulenken. Wie ich dir, lieber Fritz, den rechten Weg durch jenen Wald getreulich beschrieben habe, so zeichnet Gott uns durch seine Gebote den rechten Weg für die Pilgerreise durch das Leben vor. Lass dich durch keine Erdenlust verführen, zur Rechten oder zur Linken davon abzuweichen. Sonst könntest du leicht in das Verderben geraten und würdest das rechte Vaterhaus dort oben ewig nicht erreichen.«
»Überhaupt«, fügte der Vater noch bei, »verrückt die Vergnügungssucht den geraden Sinn des Menschen und macht sein Herz für die besseren Empfindungen gefühllos. Der Herr von Rauhenstein, mit dem du so übel zufrieden bist, ist sonst gar kein übler Mann. Allein da er eben auf das Spiel bedacht war, so fiel es ihm gar nicht ein, wie nötig du eine Erquickung habest, und er dachte nicht einmal daran, dir ein kleines Trinkgeld zu geben, obwohl er damit dir eine grosse Freude hätte machen können. Was dir aber an andern missfällt, davor hüte dich selbst; vergiss über deinem Vergnügen nicht, deinen Mitmenschen Freude zu machen und ihnen Gutes zu erweisen. Was dir an andern wohlgefällt, das tu auch du; sei immer so mitleidig und wohltätig gegen alle Menschen, wie die gute Schlossköchin Rosalia es gegen dich gewesen ist.«
Fritz ward ein sehr geschickter Jäger, treu und unermüdet im Dienst, freundlich und gefällig gegen jedermann, und sein ganzes Betragen war ohne Tadel. Besonders aber war er gegen dürftige, ehrbare Reisende sehr mitleidig und wohltätig. Er hatte die Wohltat, die Rosalia ihm erwiesen hatte, nicht vergessen. Er ging auch deshalb einmal besonders nach Rauhenstein, um ihr zu erzählen, wieviel er ihr zu danken habe. Allein sie hatte den Dienst bereits verlassen, und niemand in dem Schloss konnte ihm Auskunft geben, wo sie gegenwärtig sich aufhalte. Er hörte nichts mehr von dieser seiner Wohltäterin.
Fritz kam einige Jahre nachher wegen seiner ausgezeichneten Geschicklichkeit und Rechtschaffenheit als Jägerbursch zu dem fürstlichen Oberjäger und erhielt in der Folge den einträglichen Jägerdienst zu Tanneck. Er erzählte seiner Ehegattin, die ebenso gut wie er gesinnt war, manches von den Tagen seiner Kindheit, besonders aber von der freundlichen Rosalia, die durch ihre Wohltätigkeit ihm das Leben gerettet habe. Beide nahmen sich vor, da sie der guten Rosalia ihre Wohltat nicht vergelten konnten, gegen alle Dürftige so wohltätig zu sein, als in ihren Kräften stand. Da das neue, schöne Jägerhaus Tanneck nur einige Schritte von der Landstrasse, am Eingang des Waldes, lag, so hatten sie hierzu auch manche Gelegenheit.
Einmal, an einem schwülen Nachmittag, holte die Jägerin an dem nahen Rohrbrunnen ein Glas Wasser. Da erblickte sie auf dem Rasensitz, den ihr Mann zur Bequemlichkeit der Reisenden unter zwei schattigen Tannen nächst dem Brunnen angelegt hatte, eine etwas ärmlich, aber sehr reinlich gekleidete Bürgersfrau, die hier ausruhte und sehr ermüdet schien. Ein geflochtener Deckelkorb stand neben ihr auf der Rasenbank, und ein Stab lehnte dabei. Die Jägerin, der die sanfte, aber wehmütige Miene der Frau zu Herzen ging, grüsste sie freundlich und bot ihr an, herein in die Stube zu kommen, wo sie ihr einige Erfrischungen vorsetzen wolle. Die Fremde nahm das freundliche Anerbieten dankbar an und trat in die Stube. Die Jägerin trug ihr ein Stück übrigen Hirschbraten auf und schenkte ihr ein Glas Bier ein. Beide wurden bald vertraut, und die Fremde erzählte das Anliegen, das sie auf dem Herzen hatte.
»Ich bin«, sagte sie, »wohl zwölf Stunden von hier zu Hause. Mein Mann ist ein sehr guter Meister in Verfertigung von Kugelbüchsen, Flinten und Pistolen. Er arbeitete Tag und Nacht und verdiente soviel, dass wir nebst den Kindern, mit denen Gott unsere Ehe gesegnet hat, unser hinreichendes Auskommen fanden und noch wohl etwas zurücklegen konnten. Allein seit einiger Zeit hat der liebe Gott uns mit allerlei Unglücksfällen heimgesucht. Mein Mann hatte das Unglück, dass eine neue Flinte, die er probierte, zersprang; seine Hand ward davon so sehr beschädigt, dass er wohl schon seit einem Jahr nichts mehr verdienen konnte. Durch den Krieg, der auch in unsern Gegenden gewütet, hatten wir schon zuvor vieles verloren. Der Mangel an Verdienst, nebst den Heilungskosten, hat uns noch weiter zurückgebracht. Endlich sind wir durch die Viehseuche um unsere Kühe gekommen. Da wir auf unser Haus und unsere Wiesen bereits haben Schulden machen müssen, so wollte uns niemand Geld vorstrecken, um wenigstens eine andere Kuh zu kaufen, die uns zu unserem Lebensunterhalt unumgänglich nötig ist. Ich habe, wohl zwei starke Tagreisen von meiner Heimat, einen Bruder, der ein hübsches Vermögen besitzt. Der Bruder, dachte ich, wird mir das benötigte Geld wohl leihen! Ich habe die weite Reise unternommen, ihm meine Not zu klagen und Hilfe bei ihm zu suchen. Mit zwanzig bis dreissig Gulden hätte ich eine Kuh kaufen können, und so wäre uns geholfen gewesen. Der Bruder war sehr geneigt, mir das Geld zu schenken; allein die Schwägerin gab nicht einmal zu, dass er es mir auch nur vorstrecke. Sie ward sehr aufgebracht über mich und machte mir harte Vorwürfe, dass ich einen Mann ohne Vermögen geheiratet habe. Der Bruder gab mir jedoch heimlich eine Kleinigkeit, womit ich meine Reise kaum zur Hälfte bestreiten kann. Indes war es all sein Taschengeld, das ihm zu seinem Vergnügen überlassen war. Eben komme ich von ihm her. – Ach!« seufzte sie, indem sie die Augen trocknete. »Ich bedaure meinen Bruder; noch mehr aber meinen guten Mann und meine lieben Kinder! Sie sehnen sich mit Schmerzen auf meine Zurückkunft und erwarten sichere Hilfe; wie wehe wird es ihnen tun, wenn ich mit leeren Händen zurückkehre!«
Indes kam der Jäger mit einer wohlgefüllten Jagdtasche von der Jagd zurück. Er grüsste die Fremde sehr freundlich. Die Jägerin erzählte, wie sie der Frau hereingerufen und was die gute Frau für ein Anliegen habe.
»Recht so, Dorchen!« sagte der Jäger. »Das freut mich in der Seele, dass du nach meinem Sinn handeltest und der fremden, bedrängten Frau von dem mitteiltest, was uns Gott beschert hat. Wohltätigkeit, besonders gegen Fremde und Reisende, ist eine der heiligsten Pflichten.«
»Ich habe dazu noch eine besondere Ursache!« sagte er zu der fremden Frau, indem er einen Stuhl herbeilangte, sich an den Tisch setzte und die Jägerin bat, ihm einen Krug Bier zu bringen. Er fing an, die Geschichte aus seiner Jugend zu erzählen, wie die gute Rosalie, die Köchin zu Rauhenstein, ihn durch ein Stück Kuchen vom Hungertod errettet habe.
»Heiliger Gott!« rief jetzt die fremde Frau und schlug die Hände zusammen. »Jene Köchin war ich. Ich heisse Rosalia; Ihr heisst Friedrich – und euer seliger Vater war Förster zu Grünental. Ich kann Euch noch an einige kleine Umstände erinnern, die Ihr in Eurer Erzählung nicht erwähnt habt. Das Essen, das ich Euch vorsetzte, bestand ausser Suppe aus grünen Erbsen und gelben Rüben mit geräuchertem Fleisch; das helle, gläserne Krüglein, worin ich Euch das Bier brachte, hatte einen zinnernen Deckel, worauf ein Hirsch abgebildet war, der Euch sehr wohl gefiel. Mit dem Herrn von Rauhenstein aber wart Ihr übel zufrieden und sagtet, er habe seinen Namen nicht umsonst; ich verteidigte ihn aber und sagte, er sei milder, als er scheine. Ich kann es gar nicht aussprechen, wie es mich freut, dass ich Euch durch jenes kleine Stücklein Kuchen einen so grossen Dienst geleistet habe, und dass ich Euch so unvermutet und in so guten Umständen wiederfinde. Wie wunderbar doch Gott alles führt! – Ich hätte Euch aber nicht mehr gekannt. Ihr seid aus dem kleinen Jägerknaben ein rüstiger, stattlicher Mann geworden, und Gott hat Euch, wie ich sehe, in allem gesegnet.«
Der Jäger grüsste Rosalie nun noch einmal und hiess sie tausendmal willkommen. »Ihr kamt mir«, sagte er, »sogleich auf den ersten Blick bekannt vor; indes konnte ich mich nicht sogleich deutlich erinnern. Bald schien es mir jedoch, wiewohl die Zeit Euch indes etwas verändert hat, Ihr seid jene gütige Rosalie. Ich wollte meiner Sache erst recht gewiss werden und erzählte Euch deshalb jene Geschichte. Nun gottlob, dass ich Euch wiedergefunden habe; ich freue mich unbeschreiblich. Heute dürft Ihr nicht mehr weiter. – Dorchen, tische auf, was Küche und Keller vermag!«
Rosalie wollte sich nicht aufhalten lassen. »Morgen auf den Abend muss ich zu Hause eintreffen«, sagte sie. »Da jetzt die grösste Hitze vorüber ist, so will ich heute noch einige Stunden weit gehen, weil mir zwölf Stunden für den morgigen Tag doch zuviel wären.«
Allein der Jäger sagte: »Das lässt sich schon wieder einbringen. Morgen spann ich meinen Schimmel in mein leichtes, offenes Wägelein und führe Euch so weit als der Gaul laufen kann. Wenn ich nicht übermorgen notwendig bei einer Jagd, die der Fürst einigen vornehmen Gästen gibt, erscheinen müsste, so würde ich Euch ganz nach Hause fahren.«
Auch die Jägerin zeigte eine grosse Freude, die Retterin ihres Mannes kennenzulernen. Rosalie musste den vereinten Bitten der guten Leute nachgeben. Sie blieb – und die Jägerin bereitete nun ein ländliches, ganz ausnehmend gutes Abendessen. Zu Ende der Mahlzeit brachte sie noch einen Kuchen. Er war eben nach der Art wie jener Kuchen Rosaliens zubereitet und überdies noch mit den schönsten Blumen umkränzt. In der Mitte des Kuchens aber waren mit grossen, weissen Zuckerperlen die Worte eingelegt: »Aus Dankbarkeit.«
»Ach«, sagte Rosalie, »schneidet den schönen Kuchen nicht mehr an; ich bin so satt, dass ich keinen Bissen davon mehr geniessen könnte.«
»Nun wohl«, sagte die Jägerin, »so müsset Ihr den Kuchen in Eurem Korb morgen Euren Kindern mit nach Hause nehmen.«
Der Jäger hatte auch Wein aus seinem Keller bringen lassen, und er und sein Dorchen tranken mehrmals auf Rosaliens Wohlsein, und Rosalie musste allemal mit anstossen. »Denn«, sagte der Jäger zu ihr, »ohne Eure Wohltätigkeit sässen wir nicht hier, und dieses Haus, in dem ich und meine Dorothea so glücklich sind, würde von anderen Leuten bewohnt.«
Am folgenden Morgen spannte der Jäger sogleich mit Anbruch der Morgenröte an, um seine Retterin recht weit fahren zu können. Die Jägerin hatte für ein reichliches Frühstück gesorgt und füllte den fast leeren Korb der guten Frau mit dem Kuchen, nebst einigen andern Lebensmitteln auf die Reise und allerlei kleinen Geschenken für ihre beiden Kinder. Der Jäger fuhr mit ihr weit über den halben Weg. Endlich nahm er Abschied von ihr und versprach ihr, dass er nebst seiner Frau sie bald besuchen und einige neue Gewehre bei ihrem Mann bestellen werde, was in der Folge auch geschah.
Rosalie reiste vergnügt weiter. Als sie ihrem Wohnort sich näherte, erblickte sie ihre zwei Kinder, Wilhelm und Therese, die ihr eine Strecke Weges entgegengegangen waren. Die Kinder sprangen, sobald sie die Mutter erblickten, mit lautem Freudengeschrei auf sie zu. Sie wollten sogleich wissen, was die Mutter in dem Korb mitgebracht habe. »Wartet nur, bis wir vollends zu Hause sind«, sagte die Mutter. »Man muss nicht so neugierig und gelüstig sein.«
Unter der Haustür kam der Mann ihr entgegen. Alle gingen miteinander in das Haus. Die Mutter erzählte zuerst, wie hart ihr die Schwägerin begegnet sei, und sagte dann, dass sie leider kein Geld bringe. Ihr Mann war darüber recht betrübt, und alles, was sie von der guten Aufnahme bei dem Jäger erzählte, konnte ihn nicht mehr erheitern. Die Mutter öffnete indessen ihren Korb und langte den Kuchen hervor. Über den schönen Kuchen vergassen die Kinder alles Jammers; sie erhoben einen grossen Jubel. Der Vater aber konnte die Tränen kaum zurückhalten. »Was hilft uns der Kuchen«, sagte er; »denn woher nehmen wir nun zwanzig bis dreissig Gulden zu einer Kuh?« Aber sieh – als die Mutter den Kuchen zerschneiden und den Kindern davon austeilen wollte, blieb das Messer darin stecken, und sie konnte ihn nicht durchschneiden.
»Das ist ein seltsamer Kuchen«, sagte sie; »es muss aus Versehen etwas Hartes hineingebacken sein!« Sie zerbrach den Kuchen – und da kamen denn zuerst ein paar neue Kronentaler und nach und nach ein ganzes Dutzend solcher Taler zum Vorschein, und die gute Mutter hatte eine ebenso grosse, unerwartete Freude als ehemals der kleine Jäger Fritz, da er in seiner Jagdtasche so unvermutet das Stück Kuchen gefunden hatte. »Lieber Gott«, sagte sie, »das Geld hat der gute Jäger Friedrich von seiner freundlichen Hausfrau in den Kuchen backen lassen, damit wir dafür eine Kuh kaufen können und uns in unserer Not geholfen werde.«
»Das Geld beträgt gerade zweiunddreissig Gulden und vierundzwanzig Kreuzer«, sagte der kleine Wilhelm, der in der Schule bereits das Kopfrechnen lernte; »dafür können wir eine sehr schöne Kuh kaufen.«
»Und dann bekommen wir wieder Milch und Butterbrot!« rief die kleine Therese und hüpfte vor Freude in der Stube herum.
Der Vater aber nahm die Mütze ab und dankte Gott mit Tränen, und die Mutter und Kinder stimmten in seinen Dank mit ein. »Das Stücklein Kuchen«, sagte er, »das du vor vielen Jahren dem jungen Jäger gegeben hast, war ein wohlangelegtes Kapital; das erhalten wir nun mit hundert-, ja tausendfachen Zinsen zurück.«
»Ja«, sagte die Mutter, »und noch unendlich reichlicher wird jede, auch die kleinste Gabe, die wir einem Dürftigen reichen, einst im Himmel belohnt werden!«
»Oh Kinder«, sprach der Vater, »lasst uns barmherzig sein, so werden wir Barmherzigkeit erfahren.«