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Der erste Oktober rückte heran.
Mit fieberhafter Sehnsucht erwartete Nicolaj Petrowitsch den Tag seiner Hochzeit. Bald war er am Ziel seiner heißen Wunsche und führte sein schönes Weib in das Schloß seiner Ahnen heim. Er malte sich diesen Augenblick mit den strahlendsten Farben aus, alles übrige trat in den Hintergrund. Er fühlte sich wieder Herr der Situation. Wenn er erst mit dem vornehmen Mädchen verheiratet war, glaubte der Graf festen Fuß gefaßt zu haben, niemand würde sich mit einem Verdacht an ihn heranwagen. Die Anwesenheit Marie Hoffmanns allein quälte ihn. Er hatte dem Förster gekündigt, in einigen Tagen schon sollte Diedrichsohn fortziehen, nachdem ihm der Graf eine reiche Geldentschädigung versprochen hatte. Der tüchtige, pflichttreue Beamte war sehr betrübt.
»Sind Sie irgendwie mit mir unzufrieden, gnädiger Herr?« fragte er gekränkt.
»Nein, lieber Diedrichsohn, ich will aber einen alten Bekannten von mir herbeirufen, ich habe ihm seit langer Zeit Aussicht auf diese Stelle gemacht, er ist eben erst frei geworden und war bisher Förster bei meinem Freunde, dem Fürsten Kratusow im Tambowschen Gouvernement.«
Wenn Nicolaj es vermeiden konnte, Marie Hoffmann wieder zu sehen, glaubte er die Gefahr vorüber. Er bangte davor, dem jungen Mädchen Auge in Auge gegenüber zu stehen. Zwei Wölfe waren geschossen worden. Es strich aber noch einer herum, und die Bauern, die ihn gesehen hatten, erzählten, daß es ein ungewöhnlich großes, starkes Tier sei. Die Bestie richtete vielen Schaden an, raubte Schafe und hatte einmal sogar ein Kind angefallen, das aber zum Glück noch rechtzeitig gerettet wurde. Nachts hörte man das schauerliche Heulen des hungrigen Untiers.
Eines Nachmittags ritt Subotin nach Kraßlo.
Es war der letzte, schöne Herbsttag, der sterbende Sommer nahm durch ihn Abschied. Noch einmal schien die Sonne freundlich vom Himmel, leise rieselten die dünnen Blätter zu Boden.
Der Graf ritt nie unbewaffnet aus.
Auch heute lag die schöne Doppelflinte über seinem Rücken. Es war doch möglich, daß sich der Wolf zeigte. Nikolaj Petrowitsch war ein trefflicher Schütze, seine Kugel hätte dem Schrecken der Wälder schnell das Lebenslicht ausgeblasen.
Der Graf umritt jetzt immer in weitem Bogen das Forsthaus. Die große Straße verlassend, trabte Subotin über den schmalen Weg, der nach Kraßlo führte.
»Feodor Feodorowitsch!«
Entsetzt sah sich der Angerufene um.
Eine Frauengestalt war über den Graben gesprungen und dem Schimmel in die Zügel gefallen. Es war Marie Hoffmann.
»Ich muß Dich sprechen,« sagte sie entschlossen, »ich muß es. verstehst Du mich, steige ab.«
Wie einer höheren Macht folgend, gehorchte der Graf.
»Ich habe Dich gleich erkannt,« sagte die Schwester des Försters, »warum trägst Du hier einen anderen Namen? Warum verleugnest Du mich, die Du einst geliebt? Du bist ein Elender, ein Betrüger!« Noch immer wollte der Graf die Komödie weiterspielen, da rief seine verlassene Braut außer sich:
»Ich werde Dir die Maske von dem falschen Gesichte reißen, ich werde es allen erzählen, wer Du bist. Das arme, junge Wesen, das Du statt meiner an den Altar führen willst, soll gerettet werden.«
Mit wild rollenden Augen sah sich Subotin um.
Wie, wenn er diesen Zeugen unschädlich machte, wenn er den Mund verstummen ließ, der sein Geheimnis preisgab? – Seine Hand zuckte nach dem Jagdmesser, – ein einziger wohlgezielter Stoß und Marie Hoffmann lebte nicht mehr.
In diesem Augenblick hörte Nicolajs scharfes Ohr ein entferntes Geheul. Er hörte es näher kommen, ein teuflischer Plan kreuzte sein Hirn.
»Lassen Sie den Zügel los,« herrschte Subotin das Mädchen an, »ich habe nichts mit Ihnen zu schaffen, ich glaube, Sie sind verrückt geworden.«
Er stieß sie so heftig fort, daß sie mit der Stirn gegen einen Baum taumelte, dann schwang sich der Graf auf sein Pferd, das, ängstlich wiehernd, den Kopf zurückwarf und jetzt mit seinem Reiter im vollen Karriere davonjagte.
Immer näher kam das schreckliche Geheul des Wolfes. –
Durch das Dickicht brach es ungestüm. – –
Marie hatte fast die Besinnung verloren, der heftige Stoß, die furchtbare Gemütsbewegung waren zu viel auf einmal gewesen, betäubt lag sie da.
Sie fuhr empor, – ein markerschütterndes Geheul traf ihr Ohr, dürre Zweige knackten, glühende, grünlich leuchtende Augen funkelten tückisch.
»Hülfe! Hülfe!« schrie die Aermste.
Subotin hatte sein Pferd angehalten und lauschte gespannt. Ein grausames Lächeln umspielte seine Lippen, und er spornte den Schimmel zum rasenden Lauf an.
»Ich bin gerettet,« dachte er triumphierend.
In ihrer Todesangst wandte Marie Hoffmann sich zur Flucht, sie eilte durch das Strauchwerk, aber sie hörte den Wolf dicht hinter sich, sie glaubte seinen heißen Atem zu spüren und jetzt – jetzt mußte er sie erreichen.
Sie stolperte über eine Baumwurzel und fiel. –
*
In Kraßlo wurde heute Polterabend gefeiert. Von nah und fern waren Verwandte, Nachbarn und Freunde der Tscherbatkins eingetroffen. Man hatte gegen sechzig Personen gebeten, es sollte eine glänzende Feier werden.
Das schöne Gesicht der Braut war marmorweiß, ihre blauen Augen tief umrändert und trübe, ein Ausdruck qualvoller Erwartung spiegelte sich in den lieblichen Zügen wieder. Wenn der Retter nicht bald kam, war es zu spät, morgen um diese Zeit war Natalia Wladimirowna mit dem Manne vermählt, der ihr ein entsetzliches Grauen einflößte. Subotin strahlte förmlich, er sah sich am Vorabend des ersehnten Glückes.
»Der Förster von Antonowka wünscht den Herrn Grafen zu sprechen,« meldete ein Diener, »er sagt, es sei wichtig.«
Nicolaj Petrowitsch verfärbte sich.
Würde Diedrichsohn den Tod seiner Schwester melden? Hatte der Wolf das unglückliche Mädchen zerfleischt?
»Ich muß ruhig bleiben,« dachte Subotin, und mit fast übermenschlicher Ruhe beherrschte er sich.
»Herr Graf,« begann der Förster bewegt, »der Wolf ist von dem Verwalter von Ostrokino getötet worden.«
»Wann geschah es?« fragte Subotin, das Zucken seines Gesichtes zur Ruhe zwingend.
»Gestern nachmittag – meine arme Schwester war allein in den Wald gegangen – die Bestie fiel sie an.«
»Ist sie tot?« kam es heiser über des Grafen Lippen.
Lauernd bohrten sich seine Augen in das Gesicht Diedrichsohns.
»Nein, sie lebt, aber sie liegt an einem schweren Nervenfieber darnieder, der Arzt ist sehr besorgt. Der Wolf hat ihren linken Arm übel zugerichtet,« stieß der Förster mühsam hervor. »Der Verwalter war auf dem Wege zu mir, da hörte er um Hülfe schreien; er stürzte vorwärts. Leider war er ohne Schießwaffe, nur einen scharfgeschliffenen Hirschfänger führte er mit sich. Beherzt riß er den Wolf von seinem Opfer zurück und stieß ihm den Stahl mitten ins Herz, so daß die Bestie sofort verendete. Ich kehre eben erst von einer Geschäftsreise heim und fand zu Hause alles in größter Aufregung.«
»Warum werde ich nicht gleich benachrichtigt?« brauste der Graf mit gutgespieltem Zorne auf.
»Alle hatten den Kopf verloren,« versetzte Diedrichsohn, »ich hielt es für meine Pflicht, dem Herrn Grafen diese Mitteilung zu machen, obwohl die Zeit dazu nicht gerade geeignet scheinen mag.«
»Sie taten recht, – und Sie fürchten wirklich für das Leben Ihrer Schwester?«
Mit heuchlerischem Mitleid forschte der Graf in den bärtigen Zügen Diedrichsohns.
»Ja. Sie phantasiert und spricht lauter verworrenes Zeug zusammen. Seit sie bei uns ist, erschien sie uns oft eigentümlich und sah angegriffen aus.«
»Der furchtbare Schreck kann ihrem Verstande leicht schaden,« sagte Subotin mit gut gespielter Teilnahme.
Als der Förster gegangen war, stand Nicolaj schwer atmend da. Er stützte sich an den Türpfosten, seine Knie zitterten, und kalter Schweiß bedeckte sein bleiches Antlitz.
Nachdem er im Wein Stärkung gesucht hatte, fühlte er sein Blut wieder leichter durch die Adern rinnen, die entsetzliche Angst wich langsam von ihm. Er kehrte zu der Gesellschaft zurück, die sich, heiter plaudernd, in den Zimmern verteilt hatte.
Natascha war von ihren Freundinnen umringt. Alle beneideten sie um die glänzende Partie, die sie machte. Auch die Fürstin Xenia Dolgoljubow war gekommen, ihre freundlichen Augen umflorten sich, wenn sie das blasse Gesicht der Braut streiften.
»Haben Sie nichts von Alexander Kyrillowitsch gehört?« fragte Natalia leise.
Die Fürstin streichelte die schmale Wange des jungen Mädchens.
»Er schrieb mir und läßt Sie grüßen, Duschenka Herzchen.,« versetzte die Tante Alexanders, »und er läßt Ihnen sagen, Sie sollten nicht den Mut verlieren, es könne noch alles gut werden.«
»Danke, danke,« lispelte Natalia, sich innig über die Hand der mütterlichen Freundin beugend und sie küssend.
»So habe ich noch einen kleinen Hoffnungsstrahl.« dachte die Braut des Grafen, »Gott schreitet ein, wenn es Zeit ist. Wenn die Not am größten, ist Gottes Hülfe am nächsten.«
Im stummen, inbrünstigen Gebet stand Natalia eine Weile da. Sie suchte das letzte Zimmer auf, um sich zu sammeln, ehe sie zu ihren Gästen zurückkehrte. Aber nicht lange blieb sie allein. Schritte näherten sich, Nicolaj Petrowitsch suchte seine Braut. Als er sie allein fand, glänzten seine Augen, er eilte auf sie zu und wollte sie stürmisch umarmen, aber Natalia wich zurück.
»So spröde, mein Täubchen,« sagte der Graf ärgerlich, »es ist der Vorabend unserer Hochzeit, morgen um diese Stunde bist Du meine Frau und mußt mir blind gehorchen, da hilft Dir kein Sträuben.«
»Ich weiß es,« versetzte Natalia kalt.
»Deine Art und Weise macht mich rasend,« zischte Subotin, »Du warst am Anfang unserer Verlobung ganz anders. Ich weiß auch, wer zwischen uns getreten ist. Es ist dieser Laffe, Alexander Kyrillowitsch, dieser –«
»Halt ein!« rief Natalia, »ich verbiete Dir, diesen Ehrenmann zu beschimpfen.«
»Ha! Ha! Ha!« lachte der Graf überlaut, »Du hast mir nichts zu verbieten, hörst Du?«
In blindem Zorn packte er ihr Handgelenk, ein einziger Blick Natalias brachte ihn zur Besinnung, er ließ sie los. Es lag eine solche Verachtung in diesem Blick, daß Subotin, wie von einem Hiebe getroffen, sich duckte.
Stumm verließ ihn seine Braut, er blieb allein, allein mit seinen quälenden Gedanken, mit seinem Gewissen.
Er starrte finster vor sich hin. Aus den Ecken kam es herangekrochen, etwas Furchtbares lag in der Luft, es umgarnte ihn und zog ihn ins Verderben.
Er konnte es nicht länger ausdenken. Er stürzte zum Büfett und trank und trank mehr noch als sonst. Dann suchte er die Gesellschaft auf und war überlaut in seiner Fröhlichkeit.
Es war schon vier Uhr morgens, als Nicolaj Petrowitsch nach Hause kam. Akulina erwartete ihn.
Sie half ihm auch beim Auskleiden.
»Was glotzest Du mich so verwundert an!« schrie Subotin die Amme an.
Die Alte schwieg. Sie hatte soeben eine seltsame Entdeckung gemacht. Der Hemdärmel des Grafen hatte sich bis zum Ellbogen zurückgeschoben, ein großes, braunes Muttermal war auf dem linken Arm sichtbar.
»Es ist nichts, schlaf' nur,« sagte Akulina.
»Bleibe hier, laß mich nicht allein,« wimmerte der Graf in seiner durch den Rausch hervorgerufenen, weinerlichen Stimmung. »Ich werde mich auf das Sofa im Kabinett hinlegen,« entgegnete die Amme.
»Ja – so ist es gut, so ist es gut.« murmelte Nicolaj und schlief im nächsten Augenblick fest ein.
Lange und scharf sah die alte Bäuerin ihn an.
Heute erschien ihr sein Gesicht zum ersten Male fremd und unheimlich.
»Ich begreife es nicht,« dachte die Amme, »waren denn meine Augen mit Blindheit geschlagen? Ist er wirklich jener Knabe, den ich an meiner Brust genährt habe, den ich wie eine Mutter liebte und hegte? Kolja hatte kein häßliches Mal auf dem Arm. Sonderbar, höchst sonderbar!« Während sie noch lief in Gedanken war, hörte sie drei dumpfe Schläge an der Haustür.
Atemlos lauschte die Alte.
Schritte, die sich dem Zimmer nähern.
Und wieder klopft es, herrisch Einlaß heischend.
So klopft nur der, der ein Recht dazu hat.
Subotin fuhr empor, er saß in seinem Bett, seine angstvoll aufgerissenen Augen quollen fast aus ihren Höhlen.
Der Untersuchungsrichter, Blokowin und Alexander Kyrillowitsch traten ein, von zwei Soldaten gefolgt, die bewaffnet waren.
»Herr von Blokowin,« sagte Morschowskoi, »ist dieser Mensch Ihr Freund, der Graf Nicolaj Petrowitsch Subotin?«
»Nein, er ist es nicht,« antwortete Blokowin.
Die Hand des Beamten legte sich wuchtig auf die Schulter des Verbrechers.
»So verhafte ich Sie im Namen des Kaisers, Feodor Feodorowitsch Karmitow,« sagte Morschowskoi mit furchtbarem Ernst.