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Für die Naturwissenschaft, welche heute noch in den etwas wackelig gewordenen Geleisen des Darwinismus wandelt, ist es eine ausgemachte Sache, daß der Mensch ein höher organisiertes Tier, daß er gewissermaßen nur die letzte, erhabene Krönung des Lebens sei, hervorgegangen aus den unendlich mannigfaltigen Formungen und Abänderungen, welche die Widerstände des Daseins auf die vorwärtstreibende, dem Leben nun einmal anhaftende Gestaltungskraft ausgeübt haben. Die hohen Geistesgaben, so meint man, welche dem Menschen gestattet haben, eben Geist und Vernunft in allen Dingen walten zu lassen, sind Steigerungen überall auch im Tierleben tätiger Seelenkräfte; die Seele des Menschen sei also nur dem Maß nach, nicht dem Wesen nach von der Tierseele verschieden (nur quantitativ, nicht qualitativ). Daß die Naturforscher dieser Entthronung des bisher souveränen, völlig unbestritten als Zentrum der Welt aufgefaßten Menschengeistes die Feindschaft aller Männer des Glaubens an Gott und den göttlichen Ursprung des Menschen verdanken, kann nicht wundernehmen. Mit der Beweisbarkeit dieser Anschauung fiele ja nicht nur die Schöpfungslegende, welche ja immerhin ihren tiefen symbolischen Sinn behalten könnte, sondern es stürzte auch rettungslos die jedem Einzelnen instinktiv innewohnende, übrigens uralte und noch lange nicht ausgestorbene Überzeugung, daß der Mensch doch das Maß aller Dinge sei. Copernikus gab mit seiner Einreihung der Erde als eines Körnchen Sandes in das brausende Meer der Gestirne diesem zentrierenden Menschheitsgedanken (Anthropomorphismus) den ersten, Darwin den zweiten Stoß: mit der Idee einer sukzessiven Entwicklung.
Also ein Aufsteigen des Menschen langsam aus dem Staub der Erde oder dem Urschlamme des Meeres! (Letzterer ist längst ins Land der naturwissenschaftlichen Märchen gewandert: denn auch die Naturbibeln haben ihre Legenden, nur soll man sie noch fester glauben als die der Religionsbücher.)
Eine Schöpfung aus dem Erdenkloß zwar auch, aber nicht mit einem Schlage aus der Hand und mit dem Odem Gottes, sondern durch die langsam durch Jahrmillionen gestaltende Faust der Anpassung und Vererbung, wobei der Trieb zur Vermehrung, das »Seid fruchtbar!« immer als etwas Selbstverständliches ohne Erklärung gelassen wird.
Es ist schlechterdings unmöglich, den Entwicklungsgedanken in den Naturerscheinungen zu leugnen, ohne tausendfältigen Gesetzmäßigkeiten, Erfahrungen, Experimenten Gewalt anzutun, wenngleich zugegeben werden muß, daß der Darwinismus noch keineswegs mit demselben den Schöpfungsbegriff umstößt. Bekanntlich war Darwin gottesgläubig und muß wohl angenommen haben, daß der schaffende Gott eben die langsame Entwicklung dem beseelten ersten Lebenskeime eingehaucht hat, wodurch das Schöpfungswunder wahrlich nicht weniger staunenswert und herrlich erschiene. Was dem gläubigen Naturforscher Demut abzwingt, ist eben das Wunder der unendlichen Entwicklungs möglichkeit des Lebens, der Milliarden Variationen am gleichen Typus, der Unerschöpflichkeit der Mittel zum Anpassen an unzählige Widerstände und geheime Schwierigkeiten, endlich das unverkennbare Zweck bewußtsein der sich vorwärts entwickelnden lebendigen Masse. Die Schöpfung, die der Gottesmann im Herzen trägt als einmalige für ihn denkbare Möglichkeit der Entstehung von Welt und Mensch, ist eben für den Naturforscher ständig für einst, jetzt und alle Zeiten stumm am Werke; das ist eigentlich der ganze Unterschied. Eine Frage trennte die beiden Weltanschauungen, aber viel tiefer und scheinbar unüberbrückbar, uferlos: das ist eben jene schon angedeutete: kann wirklich der Menschengeist als eine höhere Stufe Tiergeist definiert werden? Es möge mir erlaubt sein, einige Gründe beizubringen, welche gegen eine solche Auffassung von der einfachen Steigerung der Tierseele in die Menschenseele sprechen. Unstreitig sind in den nervösen Apparaten, welche das Leben im Tiere und im Menschen regulieren, eine große Anzahl Einrichtungen und Funktionen anzutreffen, welche völlig identisch arbeiten und nur gradweise Unterschiede erkennen lassen, alle Sinnesorgane, alle Reflexe und automatischen Bewegungen, alle bewußten oder unbewußten Mechanismen des Stoffwechsels und der Fortpflanzung, die Mechanismen der Liebe und des Hungers – alle diese anatomischen und funktionellen Dinge sind gleicherweise im Nervenapparat von Tier und Mensch vorhanden: manchmal dies oder jenes beim Menschen vollkommen und höher entwickelt, manchmal – und das ist sehr bemerkenswert – auch in entschieden höherer Entwicklung beim Tier als beim Menschen, z.B. der Gesichtssinn beim Raubvogel, die Witterung bei Hund und Reh, die Automatien der Bewegungen bei der fallenden Katze, beim Hund und Pferd. Ein Beispiel dafür war im Zirkus Schumann vor einiger Zeit zu sehen. Auf einer von langsamer Drehung zu immer rasenderer Eile getriebenen Drehscheibe wurden erst Menschen und dann Tiere postiert. Während die Herren der Schöpfung sehr bald abgeschleudert wurden, vermochten die Tiere sich durch schnellste Anpassung an die Bewegung »auf dem Platz« mühelos auf der sausend rotierenden Drehscheibe galloppierend zu halten. Wo aber liegen denn die eigentlichen Unterschiede zwischen Tier- und Menschenseele, dergestaltige Abweichungen, daß von einem Gradunterschied gar nicht die Rede sein kann? Wir meinen, daß es offenkundig genug ist, daß solche essentiellen (wesentlichen) Unterschiede in Hülle und Fülle bestehen, welche alle auf ein einheitliches Prinzip zurückzuführen sind. Der Unterschied wird bemerkbar zunächst in rein historischem Sinne: alle Daten der Geschichte beweisen, daß der Mensch sich zum mindesten in bezug auf seine Lebensgewohnheiten im Lauf relativ sehr kurzer Zeitläufe gründlich verändert, daß er sozusagen seine Lebensweise in breitesten Grenzen aktiv vorrückt, während das Tier von Anbeginn seines Auftretens auf der Erde, vom Moment, an wo der Hirsch Hirsch, der Vogel Vogel war, aktiv an seiner Lebensart nicht das geringste geändert hat. Nicht einmal Ortsveränderungen, geschweige Nahrung, Liebesleben, Wohnungsverhältnisse, Bewegungsmittel usw. haben die geringsten, aktiven Variationen erfahren.
Man kann also sagen: Die Lebensbedingungen der Tiere waren in historischen Zeiten konstant, während ein überirdischer Historiograph den Pfahlbauer und den kommandierenden General zu Pferde wahrscheinlich für zwei ganz verschiedene Lebewesen mit Recht verzeichnen würde. Ebenso stabil ist das Tier geblieben von Anbeginn seines Auftretens in bezug auf die Erkenntnis seiner Stellung zum Weltganzen, während der Mensch sein Verhältnis zur Natur um ihn und in ihm einer dauernden Betrachtung unterzogen hat, was ihn neben anderem auch dazu geführt hat, Herr von Tieren und von Naturkräften zu werden, wovon bei Tieren in beiden Hinsichten auch nicht das geringste zu bemerken ist. Fügen wir hinzu, daß bei Tieren nichts zu sehen ist von einer bewußten Kunst und bewußten Ethik (alle darauf bezüglichen Beispiele gehören in das Gebiet automatischer, reflektorischer Nerventätigkeiten, sind also Handlungen aus Mechanismen, nicht aus Motiven heraus), so meinen wir die hervorstehenden differenzierenden Merkmale zwischen Tier- und Menschenseele wenigstens symptomatisch angegeben zu haben. Worauf beruhen nun diese erkennbaren Unterschiede?
Folgen wir dem Entwicklungsgedanken, so muß mit dem Menschen eine durchaus neue seelische Kraft aufgetreten sein, es muß mit ihm ein Prinzip zur Erscheinung und Wirkung gekommen sein, von dem vor seiner Erschaffung nichts auf der Erde beobachtbar gewesen sein kann, weil alles, was mit dem Menschen entstand, erst durch dieses neue Prinzip möglich wurde. Wenn wir nicht annehmen wollen, daß wirklich das, was wir Menschenseele nennen, ein Ding für sich ist, ein metaphysisches, unerhörtes Wunder, mit dem uns der Geist der Natur begabt hat – eine Anschauung, welche wohl unwiderlegbar sein dürfte als die eine denkbare Möglichkeit – so müssen wir zum Erfassen einer anderen Möglichkeit eine Hypothese einführen, welche vielleicht wahrscheinlicher und einfügbarer in den Entwicklungsgedanken ist, als jene des unvermittelten Eingreifens einer übernatürlichen Macht in den Ablauf der Dinge.
Machen wir uns zuvörderst einmal die seelische Stellung des Menschen zum Weltganzen ganz klar. Das Wunderbarste und Verblüffendste an dem Verhältnis einer schöpferischen Natur zum Menschen ist die Tatsache: daß sich das fortentwickelnde Leben Organe (Nervensubstanz, Gehirn, Seele) geschaffen hat, die fähig sind, dieses Leben zu begreifen, die durch Entwicklungen seelischer Kraft dazu geführt haben, daß die entwickelte Materie sich selbst begreift. Nehmen wir einmal an, um ein Bild zu gebrauchen: Die Sonne wäre der Quell aller Dinge, so bestünde das Wunder darin, daß die Sonne sich das Menschenauge zu einem Spiegel ihrer eigenen Schönheit und aller ihrer Eigenschaften erschaffen habe. So schuf die gesamte Natur den Menschengeist, um sich in ihm ihrer selbst und ihrer Gesetze allmählich ganz bewußt zu werden. Es könnte fraglich sein, ob dieses Wunder nicht nur auf der Erde und keinem anderen Gestirn geschehen ist, so daß die kleine Erde doch der geistige Mittelpunkt des Universums sein könnte, sein einziger Spiegel. Denn unstreitig ist der Mensch fähig, sich von der Gesamtnatur, von den letzten Dingen eine Vorstellung zu machen, in sich ein Bild der Welt aus seinen Gedanken zu erzeugen. Wenn man nun bedenkt, daß jeder unserer Gedanken in seiner Entstehung genau so materiell sein muß wie eine vorbeifliegende Bleikugel, daß er sekundäre Wirkungen haben kann, welche die größesten materiellen Katastrophen (Explosionen, Felssprengungen usw.) hervorrufen, so erhellt erst recht der kolossale Schritt, welchen die Natur in der Hinzufügung der seelischen Kraft zur Entwicklung gemacht hat. Wenn wir nun nicht zugeben wollen, daß eben diese Kraft der sich selbst bewußte Geist des Schöpfers ist, womit alle Forschung aufhören würde, so ist man gezwungen aus einem anderen, weniger übernatürlichen Prinzip heraus das Auftreten der menschlichen Fähigkeiten in der Kette der Entwicklungen wenigstens hypothetisch zu erklären.
Da die bei Tieren beobachtbaren psychischen Tätigkeiten nicht ausreichen, um die Seele des Menschen als eine Steigerung dieser Ausübungen zu definieren, da wir andererseits von einem Eingreifen einer metaphysischen Macht absehen wollen, so bleibt nichts übrig, als der Nervensubstanz der menschlichen Seelenorgane eine im Tier nicht beobachtbare neue Funktion zuzuschreiben. Diese neue Funktion ist die Fähigkeit der menschlichen Nervenmasse, nicht nur in der einen Richtung von der Reizstelle zum Wahrnehmungszentrum zu schwingen, sondern auch in umgekehrter Richtung vom Wahrnehmungszentrum zur Reizstelle bewegt zu werden. Auf dieser Funktion beruht unsere Fähigkeit, z.B. ein Pferd mit Farbe, Form, Schatten und Licht und allen anderen Eigenschaften nicht nur zu sehen, sondern es auch von nunmehr neu zu erzeugen. Gerade wie im Kinematoskop durch Abrollen von tausend Einzelbildern eine wirkliche Form und Bewegung eines tatsächlichen Bildes entsteht, so ist der Mensch, und nur er allein, imstande, von innen heraus, aus dem funktionellen Betrieb seiner Ganglienzellen heraus die Welt mit allem, was wahrgenommen und gedacht werden kann, neu entstehen zu lassen.
Mit einem Worte: die Phantasie, als eine besondere Funktion der menschlichen Nervensubstanz erfaßt, ist es was den Menschen aus dem Tierreich so hoch und herrlich heraushebt, daß man wohl sagen darf: gewiß ist der Mensch tierisch in seiner physischen Natur, aber er ist Gottes Ebenbild in seiner psychischen Natur. Wohl ist er das höchste Tier, aber zugleich auch eine Vorstufe zu höheren Wesen. Das letzte Tier der Erde, der erste Gott dieser Welt, das ist der Mensch!