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Seelische Hemmungen und Schmerzen

Nicht ohne Verwunderung werden einige, welche vielleicht schon hier und da meinen Namen in irgendeiner Beziehung zu chirurgischen Dingen nennen hörten, die Ankündigung dieser Essays über Kapitel aus der Seelenlehre vernommen haben. Aber es scheint bei näherer Betrachtung doch auch gerade der Chirurg unter den Ärzten alle Veranlassung zu haben, sich mit dem Wunder aller Wunder, der Menschenseele, recht eingehend zu befassen. Welch ernste Beziehung von Seele zu Seele, wenn ein leidender Mensch ohne Bangen und Zagen dem Wundarzt seiner Wahl Leib und Leben vertrauensvoll für Augenblicke höchster Gefahr in die Hände legt, in Hände, an deren Können und Vollbringen sich oft genug das Schicksal hängt! Wer müßte wohl mehr lernen, das leise und laute Bangen der Seele zu beschwichtigen und von irgendeiner geheimnisvollen, vielleicht oft gefährlichen Macht der Persönlichkeit Gebrauch zu machen, als der menschlich fühlende Operateur? Wer sähe öfter die Menschenseele in ihrer echten Heldengröße und in ihrer zitternden Unzulänglichkeit frei von aller konventionellen Maskerade, als ein Chirurg mit offenen Augen und lebhaftem Anempfinden! Eins aber qualifiziert meiner Ansicht nach uns Chirurgen mehr als fast alle anderen Mediziner zur Psychologie, sofern wir nur wollen, das ist das psychologische Experiment im großen Stil, welches wir täglich anzustellen von Berufs wegen gezwungen sind: die Narkose, die gewaltsame Betäubung der Seele. Ja, ein psychologisches Experiment allergrößten Stiles nenne ich es, wenn wir durch Verabfolgung von flüchtigen Gasen die Seele zwingen, alle ihre fühlenden Polypenarme Schritt für Schritt zurückzuziehen, damit sie bis in die Tiefe eines selbst traumlosen Schlafes sich selber unbewußt verharre im schwankenden Gleichgewicht zwischen Sein und Nichtsein so tief und so lange, wie es dem Operateur gefällt. Wer Tausende von Malen aufmerksam den zu Betäubenden in die Fensterchen der Seele, in die Pupillen geblickt hat, der sollte doch wohl auch etwas wissen und sagen können vom Labyrinth der Brust und von den Träumen, die der Seele auf dem Wege in die Ewigkeit kommen mögen. Eine Narkose ist ja wie eine Ouvertüre zur Tragödie des Todes, wenn Gott sei Dank auch nur selten das Stück bis zu Ende gespielt wird! Was Wunder aber, wenn bei diesem, ich möchte sagen, brutalen Eingriff in ein Getriebe der Seele, gegen welches das Zauberwerk eines Präzisionsinstrumentes aus Menschenhand ein jämmerliches Stümperding ist, so leicht der filigranene Schleier nervöser Spinngewebe, um welche die Seele schwebt, zerreißt und zerflattert! Was Wunder aber auch, wenn gerade dem Chirurgen immer wieder der Gedanke sich aufdrängt, daß hier ein Mechanismus vorliegt in dem Vorgange des künstlichen Einschläferns in wenigen Minuten, oft in Sekunden, welcher dem Einschnappen einer Bremse, eines Kontrestromes, einer Hemmung in sehr wesentlichen Zügen gleicht.

Es ist mir natürlich nicht fremd, daß es unter den Psychologen eine mächtige Gruppe gibt, welche die mechanische Analyse jeglicher Gehirntätigkeit im Prinzip ablehnt, und ich will im Verlauf dieser Auseinandersetzungen einmal das Geständnis ablegen, daß ich nicht der Meinung bin, daß jemals die Physiologie uns den letzten Aufschluß über das Wesen der Seele und des menschlichen Bewußtseins geben könne. Das vermag sie ebensowenig, wie etwa die Physik das Wesen der Schwerkraft zu enträtseln imstande ist; aber sie kann auf dem Wege des Experimentes und der Beobachtung immer eindringlicher die Bedingungen beschreiben, unter welchen dieses oder jenes psychische Ereignis eintreten kann oder muß. Durch diese Einschränkung will ich mich ein für alle Male gegen den Vorwurf eines anmaßlichen Materialismus verwahren. Ich möchte um keinen Preis diejenigen, welche erkenntnis-theoretisch tiefer in diese Materie eingedrungen sind, als ich, verstimmen; mit der Aufdeckung eines Mechanismus ist ja aber nicht zwingend eine materielle Deutung verbunden. Für mich ist der Mechanismus der Seele, wie der Mechanismus überhaupt, als Weltanschauung gedacht, eine ideale Betrachtungsweise. Durch Kenntnis des Kontrapunktes und der Harmonielehre ist der Genius eines Beethoven nicht beleidigt. Gott und seine Werke sind nicht weniger erhaben, wenn man nach Gesetzen spürt, unter denen sie sich offenbaren. Bei dem Wunderwerk der Seele kann unmöglich eine Betrachtungsweise erschöpfend sein, und wie ein tiefer Bergsee gleichsam in jedem Lichte neue Zauber kundgibt, so verträgt es wahrlich das Geheimnis der »fünfzehnhundert Millionen Ganglien« geduldig, ob man von dieser oder jener Ecke des Gelehrtenschreibtisches aus die Brille darauf einstellt. Frei über die Seele reden kann ja schließlich doch nur der Künstler, der in der glücklichen Lage ist, dazu keiner Worte zu bedürfen oder doch nur von Begeisterung und Ehrfurcht durchrauschter! Vielleicht gelingt es dem Thema auf eine kurze Spanne Zeit die verschiedenen philosophischen Richtungen zu vereinigen, und ich will mich jedenfalls bemühen, den Leser möglichst ohne Fachlupe gleichsam mit bloßem Auge heranzuführen an das Tatsächliche meiner Feststellungen, die ich mir erlaubt habe unter einem einheitlichen Gesichtswinkel zu gruppieren.

Welche ungeheure Rolle spielt in der gesamten Erscheinungswelt, in dem Spiel der Kräfte die Hemmung, der Widerstand! Ein Weltgesetz könnte man daraus formulieren; zu einem philosophischen System könnte man ihr Walten, die Idee von ihr ausgestalten! Ist nicht jede Form ein Resultat der Bewegung der Materie gegen einen Widerstand? Was ist die Anpassung anders, als Wirkung von Hemmung und Widerstand auf das vorwärtstreibende Leben? Was ist der Rhythmus anders, als die periodisch gehemmte Bewegung! Was ist Bewegung anders, als die durch einen Widerstand in bestimmte Bahnung gezwungene Kraft! Und wie anders wäre Kraft zu erforschen und wirksam zu machen, als durch künstliche und bewußte Einschaltung von spezifischen Widerständen! Vielleicht können wir überhaupt niemals etwas wissen von dem Wesen der Kraft, sondern lernen und studieren nur immer feiner die Widerstände und die Hemmungen, welche die Urkraft zwingen, in so verschiedener Form in Erscheinung zu treten. Wer rief die Elektrizität in die Erscheinung, wenn nicht die Einschaltung geeigneter Widerstände (Isolation)? Würde das Licht ohne Existenz eines Äthers übertragbar, ohne das brechende Medium analysierbar sein? Wird es nicht sichtbar am Widerstand unserer Nervenmaterie? Was sagt das Newtonsche Weltgesetz anderes, als daß die rätselhafte Eigenbewegung der Gestirne durch Anziehung und Abstoßung in bestimmten Bahnen dauernd gehemmt ist? Vollenden nicht auch Sonnen ihre » vorgeschriebene Reise«? Wohin wir sehen: Kräfte, Eigenschaften, Bewegungen, die wir noch nicht, ja niemals verstehen können, und Hemmungen, Widerstände, die wir erforschen, ja willkürlich verändern können. Nur das Studium der Hemmungen enthüllt die Gesetzmäßigkeiten. Erst die Herrschaft über die Widerstände gibt dem Menschen die scheinbare Gewalt über die Kräfte oder übermittelt die Ahnung von ihrer Gesetzmäßigkeit.

So hat sich denn auch bei der rätselhaften Natur der seelischen Kraft für die Psychiatrie und die Psychologie der Gedanke an das Walten der Hemmung in der Seele als überaus dankbar erwiesen; liegt doch in dieser Betrachtungsweise eine kluge und fruchtbare Beschränkung. Ich möchte sagen, daß erst mit der weiteren Ausbildung der Hemmungslehre ein neutraler Boden geschaffen werden wird, auf dem Philosophen jeder Richtung miteinander verhandeln können, ohne sofort bei der Frage nach der Natur der Seele in einige Dutzend feindlicher Heere gespalten zu werden. Wer die Hemmungen, unter denen sich die seelische Kraft äußert, studiert, präjudiziert ja nichts über das Wesen, über Göttlichkeit und Unsterblichkeit der Seele, nichts über Geisterwesen und Transzendenz, sondern, da er das Bild nicht zu entblößen vermag, begnügt er sich an dem Studium der Schleier, welche die Himmlische umwallen, und hofft vielleicht durch leises Betasten der dunklen Hüllen ihre Formenschönheit zu ahnen. Freilich würde die bisherige Annahme der Physiologie, wonach die Hemmungen im Nervensystem eingeschaltet würden gleichsam durch Kontreströme wiederum nervöser Natur, nicht viel Terrain gewinnen lassen, weil wir ja dann wieder angewiesen sind auf das Studium nervöser Kraft, die wir eben nicht enträtseln können. Wenn wir uns das Gehirn des Menschen oder besser sein gesamtes Nervensystem vorstellen als einen Sternenkomplex von Milliarden kleinster schwingender Sonnenstäubchen, die durch ein unnennbar feines Maschennetz von leitenden Fädchen, den Ganglien und ihren Fortsätzen, miteinander verbunden sind (wobei wir denken müssen, daß dieses Milliardensystem im kleinen Raume des Schädels wunderbar zusammengefügt ist), und wenn wir annehmen, daß es Ströme und Erzitterungen elektroider Bewegung sind, welche Empfindungen, Begriffe, Handlungen auslösen – so ist es klar, daß niemals alle diese kleinen Sinnesspulen, Begriffstaster, Telephone und Markoniapparate sämtlich zu gleicher Zeit auf- und niedergehen und sich die goldenen Eimer reichen, sondern wir müssen annehmen, daß immer nur eine oder sehr wenige Bahnen frei sein können; alle anderen müssen im Augenblicke des Erklingens einer einzelnen Gruppe ausgeschaltet, gehemmt sein. Das ist genau so, als wenn ich an meinem Telephon nur dann mit einem andern Teilnehmer sprechen kann, wenn alle übrigen tausend Nummern des Anschlusses für mich beraubt sind. Nur immer ein Gedanke ist zeitlich frei, die Milliarden anderen gleichzeitig gehemmt. Alle unsere Wahrnehmungen, Gedanken, Bewegungen, Willensimpulse sind aus zeitlich aufeinanderfolgenden Aktionen zusammengesetzt, und in dem schnellen Wirbel des Ablaufens der Gedankenspule folgt doch immer die Tätigkeit eines Systems der eines anderen, wenn auch mit Blitzesschnelle. Was wir die Konzentration des Gedankens nennen, ist in die Sprache der Hemmungslehre übersetzt Ausschaltung aller Systeme bis auf eine Gruppe. Es leuchtet ein, daß also der Ingenieur, welcher unter dem Dache der Intelligenz sitzt und welcher die Systeme ein- und ausschaltet, der eigentliche Herr unserer Seele ist. Nimmt man nun mit der allgemein gültigen Lehre an, daß auch dieser Maschinenmeister nervöser Natur ist, so kommen wir mit unserer Assoziationslehre, mit der Lehre, daß Seelenleben eine Kette von Ganglienzellenbewegungen bedeutet, meiner Ansicht nach in die Brüche. Dann ist nicht das Gangliensystem, nicht das Gehirn der eigentliche Sitz der Seele, sondern dann ist der eigentliche Spiritus rector animae nur der Teil der Nervensubstanz, welcher der Hemmung vorsteht, dann sitzt der eigentliche Präsident unserer Seele in den übrigens hypothetischen Hemmungszentren, und es wird noch rätselhafter, woher denn eigentlich gerade diese kleinen Bezirkskommandos ihre die ganze Armee beherrschende Überlegenheit beziehen. Solche Seelenquartiere über der Seele, solche Oberseelen vermehren also meiner Meinung nach nur die Rätsel, statt sie zu vereinfachen. Das wäre ein Spiel von Seelentätigkeiten, bei welchem man niemals klar wird, wer nun eigentlich die Trümpfe in der Hand hält, wer einschaltet und wer ausschaltet, dann gäbe es nur eine gänzlich verborgene mystische Einheit, und jegliche mechanische Analyse der Seelentätigkeit würde zu einem zwecklosen Spiel mit Worten. Ich muß es mir leider versagen, an dieser Stelle des weiteren die Unhaltbarkeit der Lehre vom Strom und Gegenstrom in unserem Gehirnapparat darzutun, und muß mich neben diesen kurzen Andeutungen damit begnügen, auch auf den Mangel aller Analogie aus der Elektrizitätslehre hinzuweisen: erklärt man die Gruppenerzitterungen der Ganglienzellen für das Wesen der seelischen Vorgänge, so kann man nicht ihre Hemmung als einen analogen Vorgang auffassen, ohne gleich noch eine Seele über der Seele zu fordern, und ohne zu behaupten, daß der in das Gehirn eindringende Reiz gleichzeitig zur Erregung und Ertötung der Nervenströme dient. Dann müßte also dieselbe Ursache auch den Grund ihres Nichtseins darstellen. Das ist meiner Ansicht nach nur die Maskierung eines metaphysischen Prinzipes mitten in einer mechanistischen Analyse. So unbefriedigt mich nun die bisherige Form der Hemmungslehre, wonach also ein Nervenstrom den anderen aufhebt, gelassen hat, so fruchtbar erwies sich mir eine andere Betrachtungsweise, welche die hemmende Tätigkeit einem ganz anderen System nicht nervöser Natur überweist, nämlich dem an den Ganglien vorüberkreisenden Blute.

Daß das Blutwasser tatsächlich stromhemmende Kraft hat, kann man, wie wir noch sehen werden, direkt beweisen, und es muß nur aufgezeigt werden, in welcher Weise es an die Gangliensysteme herangelangt. Dazu bedarf es des Nachweises eines besonderen Apparates, der, an das Blutsystem angeschlossen, den Blutsaft gegen die Hirnzelle bewegt. Dieser wichtige Apparat, welcher nach meiner Auffassung die Rolle isolierender, zwischen die Ganglienzellen eingeschobener feuchter Platten spielt, ist der Lymphapparat des Gehirns und Rückenmarks, die Neuroglia. Bisher war man der Meinung, daß dieses feine Maschennetz bindegewebiger Fasern, in welchem die nervösen Apparate im Gehirn und Rückenmark aufgehängt sind, eben ein Stützapparat sei, um welchen sich die Ganglienketten wie Schlinggewächse, wie etwa Winden um Drahtschlingen, stützend ranken, ein Gitterwerk, das gleichzeitig die Bahnen der ernährenden Blutgefäßchen trägt. Die Neuroglia sei, wie die Wissenschaft sich ausdrückt: Stütz- und Nährgewebe. Dagegen spricht mancherlei: vor allem die höchst komplizierte und differenzierte Form dieses Abkömmlings des Bindegewebes. Stütz- und Nährgewebe finden wir überall im Körper: es gibt ebenso, wie es ein knöchernes Skelett gibt, ein bindegewebiges. Der Leib ist, wenn man alle spezifische Organmaterie hinwegdenkt, ein geformter Bindegewebsschwamm, d.h. alle Organe, Muskeln und Weichteile sind aufgehängt gleichsam in fasergewebigen, zähsträhnigen Maschen und Netzen, gleichwie das Fleisch einer Orange hängt in einem harmonischen Gitterwerk der Fasern. Überall in jedem Organ ist die feine Struktur dieses Gewebes dieselbe: nur im Gehirn und Rückenmark ist dieses Stützgewebe von unerhört kompliziertem Bau. Die Hirngefäße, und nur sie, umspinnt eine feine geschlossene Drainage und Röhrenmasse von Geweben, in welchen Blutwasser von den Gefäßen durchsickernd und gleitend gelagert ist; von diesen muffartigen Gefäßräumen gehen unzählige Kanälchen an alle Gangliensysteme und liegen in sternförmigen Umhüllungen, genau den Formen der vielgestaltigen Ganglienzellen angepaßt, um die kleinen elektrischen Zentralkörper, etwa wie ein allseitig geschlossener Handschuh um die Finger. Diese Strahlen und Sterne begleiten Fasern und Kugeln der Nervensubstanz und sind füllbar und entleerbar von dem plasmatischen Blutsaft, wie Milliarden kleiner Schwämme und rispenartiger Futterale. Meine Annahme gipfelt nun darin, daß diese Neuroglia das ist, was in der Elektrizität das umhüllende Seidengespinst um einen elektrischen Draht, was die Isolierung der Kabel und Akkumulatoren darstellt, daß ihr funktioneller Füllungsgrad mit Blutwasser den Kontakt der Ganglien verhindert, und daß ihr wechselndes Leersein das Überspringen der Seelenfunken begünstigt, Mittels des Blutgefäßsystemes also vollzieht sich das, was wir vorher Ein- und Ausschalten des Seelenstromes genannt haben.

Es sei mir gestattet, hier auf den feineren anatomischen Nachweis der Möglichkeit einer solchen Funktion der Neuroglia, welche ein absolutes Novum in der Medizin ist, zu verzichten; ich habe in meinem Buche »Schmerzlose Operationen« diesem Nachweise genügend Raum gegeben, hier will ich mich an die Probe auf das Exempel machen, nämlich die Anwendbarkeit dieser Anschauung auf einige besondere Bewußtseinsformen prüfen.

Wäre also der gewissermaßen gefilterte Blutsaft von einer solchen Beschaffenheit, daß seine Anwesenheit zwischen den Ganglien ihre Kontakte aufhebt, so müßten, wenn meine Anschauung richtig wäre, die Vorgänge, welche Blutwasser im Gehirn plötzlich und ohne Ausgleichsmöglichkeit anstauten, unweigerlich Bewußtlosigkeit zur Folge haben. Denn denken wir uns überall um die Ganglien eine Flüssigkeitsschicht, welche stromhemmend wirkt, aussickern, so müssen ja die Assoziationen unmöglich werden, weil nirgends Erregungsströme kommunizieren können. In der Tat: das ist der Fall. Dr. Jordan hat in einer Arbeit über ein auf der Insel Java von den Eingeborenen geübtes Narkoseverfahren berichtet, welches darin besteht, daß von rückwärts her dem Kranken am Halse beide großen Drosseladern fest zugedrückt werden. Dann ist der Abfluß des gesamten Blutes vom Gehirn gehemmt und es entsteht das, was am Finger nach einer festen Umschnürung mit einem Gummiring sich bildet: ein Übertritt von Blutwasser in die Gewebsmaschen. Der Finger wird taub, und nicht anders ist es im Gehirn, es wird auch taub unter dieser gewaltsamen Vollpressung mit Blutwasser, es verliert die Fähigkeit, seine Apparate spielen zu lassen, bewußt zu sein: der Betroffene liegt fühllos und bewußtlos, wie narkotisiert. Aber es gibt noch andere Möglichkeiten zur Überstauung des Gehirns.

Stürzt jemand so unglücklich, daß ein erheblicher Bluterguß sich zwischen Schädelkapsel und Gehirn ansammelt, so verhindert das sich bildende feste Gerinnsel in ähnlicher Weise den Abfluß des Gehirnblutes aus der Ader des Galenus und aus den Drosselvenen; die Folge ist wieder Überschwemmtwerden des Gehirns mit Hemmungssaft, Aufhebung des Ganglienkontaktes, Bewußtlosigkeit! Nicht anders, wenn ein Gehirngefäß, verkalkt und brüchig, unter einer plötzlichen Wallung beim sogenannten Schlaganfall birst, und nun das pressende Blutgerinnsel in ganz gleicher Weise von innen her den Abfluß hemmt; es entsteht wiederum die tiefe und langdauernde Bewußtlosigkeit, die so lange währt, bis der Abfluß reguliert ist und die Ganglien durch Fortfall der umklammernden Hemmung anschlußfähig geworden sind, wobei die entstehenden Lähmungen auf Rechnung der direkten Aufwühlung von Hirnsubstanz kommen. Die Mediziner werden mir gleich zurufen: Halt! es gibt doch Bewußtlosigkeiten ohne gehemmten Blutabfluß! Sehr richtig! Es gibt aber auch zwei Formen von Bewußtlosigkeit, welche theoretisch und praktisch gerade auf Grund dieser Anschauungen ganz scharf voneinander zu trennen sind. Wenn in den erwähnten Fällen das Bewußtsein schwindet, weil eine komplette Überschwemmung mit hemmender Blutflüssigkeit die Ganglien festbannt und ruhigstellt, so ist es klar, daß auch noch auf eine andere Weise gerade unter Fortfall der Hemmungsfunktion eine Bewußtlosigkeit denkbar ist, nämlich die, bei der sämtliche Ganglien mit einem Male gleichzeitig miteinander in Kontakt stehen. Das wäre so, als wenn plötzlich in einer Telephonzentrale alle Meldeglocken gleichzeitig erklängen; auch dann würde die Seele der Station, das Meldefräulein, wahrscheinlich jegliche Fassung verlieren. Im Krankenhausdienst konnte ich nicht genug auf diese Form der Bewußtlosigkeit, welche sich also unter einer vollständigen Entleerung aller Hemmungsmaschen vollzieht, aufmerksam machen. Unter dem Anprall des Schädels gegen eine harte Unterlage entsteht bei der Gehirnerschütterung, ohne direkte Verletzung der Substanz des Gehirns, ein nervöser Chok der Blutgefäße, sie erblassen, werden krampfartig ausgepreßt, und die Folge ist eine reflektorische Starre der Gefäße, völlige Leere, Volumenverminderung des Gehirns und Massenkontakt aller sich nahe berührenden Ganglien. Bewußtsein ist nicht möglich, weil alle Walzen gleichzeitig schnurren und die ganze Hirnorgel in allen Registern und Pfeifen gleichzeitig erbraust ohne Rhythmus und ohne Melodie. Diese Harmonielosigkeit ist eben Bewußtlossein unter Neurogliakrampf und völliger Blutleere des Gehirns. Wie mit einem Schlage erhellt sich uns nun das ganze Gebiet der Bewußtlosigkeiten, vom Schwindel bis zur Ohnmacht, die bei Hirnerschütterung, beim Chok und bei allen erheblicheren funktionellen Blutdruckschwankungen auftreten, und bei denen die ganze Symptomengruppe direkt entgegengesetzt ist jenen Formen der Bewußtlosigkeit durch Behinderung des Abflusses. Während bei den Formen der Bewußtlosigkeit durch Blutleere (beim Verbluten, bei Ohnmacht durch Schreck und Schmerz) Krämpfe und Herzflattern, flache Atmung und Gesichtsblässe, weite Pupille und Muskelzittern das Bild vervollständigen, sehen wir bei der Bewußtlosigkeit durch Hemmungseinschaltung Regungslosigkeit und Herzstrotzen, tiefe, schnarchende Atmung, blaues Gesicht und Pupillenenge in Erscheinung treten. Mangelndes Bewußtsein aber in beiden Fällen: einmal, weil alle Ganglien gehemmt, das andere Mal, weil alle zugleich ungehemmt sind. Wie wunderbar stimmen zu dieser Anschauung die Ergebnisse des Experimentes! Albert, einer der bedeutendsten österreichischen Chirurgen, hat in seinen berühmten Hämmerungsversuchen am Schädel trepanierter Tiere nicht eher Bewußtlosigkeit auftreten sehen, als bis die Blutgefäße in Krampf und Entleerung durch Reflex gerieten. Und Deutsch in Wien sah bei einem Kinde mit traumatischem Schädeldefekt und freiliegendem Gehirn bei jedesmaligem Eintritt von Schlaf die Hirnrinde tiefblau werden. Viele Chirurgen behaupten auf Grund direkter Beobachtung während der Operation, daß das Gehirn in der Narkose blutüberfüllt sei, andere behaupten noch heute das strikte Gegenteil. Mit einem Schlage wird durch meine Annahme der Widerspruch guter Beobachtungen aufgehellt: es gibt eben zwei Formen der Bewußtlosigkeit: eine hyperämische mit komplettem Blutüberschuß und eine anämische mit komplettem Blutmangel.

So konnte auch in meinem Sinne mit Leichtigkeit eine Theorie des Schlafes und der schlafähnlichen Zustände gegeben werden, welche befriedigen dürfte. Der Schlaf ist ein aktiver Vorgang der Neurogliatätigkeit, eine rhythmisch-periodische Funktion der Neuroglia, ursprünglich ausgelöst durch Sonnenuntergang und normal unterbrochen durch Sonnenaufgang. Er besteht in einer Abblendung des Bewußtseins für Raum und Zeit, in einer Aufhebung des Orientierungsvermögens für unsere Umgebung, und vollzieht sich durch eine Blutfüllung der Hirngefäße und der Neuroglia auf reflektorischem Wege, gleichsam durch eine Dehnung des Gefäßherzens, durch einen Akt der Gefäßmuskeln, welche sich erweitern und damit buchstäblich die hemmende Tarnkappe über die Gangliensysteme stülpen.

Es leuchtet ein, warum, wenn diese Grundanschauungen richtig sind, der Schlaf keine völlige Aufhebung des Bewußtseins erzwingen kann. Da nur die jüngsten Sprossen des Gehirnstammes, die Zonen des assoziativen Denkens, nachweislich anatomisch von solchen komplett füllbaren Neurogliamaschen umhüllt sind, kann sich die Schlafhemmung nicht bis auf die tiefen, unterbewußten und automatischen Gebiete unseres Gehirnlebens, welche durch starres Bindegewebe definitiv isoliert sind, erstrecken. Mein Ichbewußtsein ist im Traum völlig wach, meine Erinnerung ist lebendig, meine Phantasie steht in völlig von der Logik ungefesseltem Spiel und ist im Traum deshalb um so beweglicher, als alle Arten von Außenweltreizen, ein bellender Hund, eine schlagende Tür, ein Schuß, ein Ruf, ein Lichtschein, durch meine Lider einfallend zeitweise und ruckartig imstande sind, die Hemmung zu durchbrechen und unter dem Spiel zwischen Aktion und Ausschaltung das Kaleidoskop des Traumes immer von neuem zu schütteln. Ein ewiger Strom von Lebensreizen flutet auch unter dem Zeltdach des Schlummers durch die Gemächer unserer Seele. Ströme, die mit aller Gewalt, wie starke Affekte, unsere Harfe in der Seele durchtoben, Erregungen, die im Laufe des Tages ihren Ausgleich erzwingen in entschlossenem Willen und Handlungen, sind gemeinhin nicht Gegenstände unseres Traumlebens. Die feinen, schnell verrauschten Motive, welche der brausende Strom des Lebens leicht für den Augenblick übertönen kann, sind es, welche sich im Netz der sinnenden Seele bei Tage fangen wie schillernde Fliegen im Gespinst der Spinne und nun des Nachts ihre luftigen Schwingen wieder heben. Ein tiefer Schmerz, ein Ereignis, das uns laut aufschluchzen oder jauchzen läßt, ist gewöhnlich kein Traummotiv, aber wenn wir uns belauschen, die kleinen, die verlorenen, die nur gestreiften Dingelchen sind es, die bei Nacht der Bildnerin Phantasie die bunten Fädchen in die Hände spielen.

Sie webt nun im Gegensatz zur registrierenden Logik des wachen Bewußtseins in einer unter dem Teppich der Hirnhemmung wühlenden, umgekehrten Richtung die Ganglienbildchen aneinander, flickt dieses Glied an jenes, aus allen Tierreichen Torso an Torso, bis Wunderwesen mit Flügeln und Flossen, Schuppen und Höckern entstehen, bis gespiegelte Taten und Ereignisse sich reihen zur sinnigsten Unsinnigkeit. Nur wer ganz tief schläft, träumt nicht, natürlich: weil die Hemmung zu fest die Tasten niederdrückt, als daß ein Nachtelfchen der Idee über die Klaviatur dahinhuschen könnte.

Während also im Wachzustande die Registerzüge und Stimmentaster unserer Hirnorgel in ewigem Wechsel bald tausend Gruppen dieser, bald jener Gangliensysteme vom Strom seelischer Erregungen erklingen machen, wobei der Rhythmus des pulsenden Herzens zugleich mit dem so empfindlichen Spiel der Gefäßverengerer und -erweiterer das eigentliche Schwungrad des Betriebes abgibt, flackert in der Stille des Schlafes nur hier und da ein leiser Akkord unter dem Dämpfer der Hemmung auf. Während dem wachen Gehirn die Reize von außen in tausend Gruppenmeldungen und Erzitterungen der Ganglien zugeführt werden und sich in elektroiden Anhäufungen zu Vorstellungen und Willensaktionen verdichten, wobei jedem eindringenden Reiz sein seelisches Äquivalent entspricht, entstehen im Schlafe die Gedanken als Bewegungen gleichsam verschluckter Spannungen und kreisen ohne Ausgleich, wie gefangene weiße Mäuschen, im Gehege und Gitterwerk der feinen Nervenlabyrinthe. Wo eine Lücke, ein Spalt von der Hemmung freigelassen ist, dahinein geht der Strom der Träume immer vor und zurück stets in der Richtung des geringsten Widerstandes. Denn wie jede Bewegung gehorcht auch der Gedanke dem Gesetz der Richtung gebenden Macht des Widerstandes. Nehmen wir an, daß der Hemmungsfortfall in der zuckenden Neuroglia diese Richtung bestimmt, so sind wir in einem psychologischen Irrtum befangen, wenn wir davon sprechen, daß wir unsere Aufmerksamkeit auf irgend etwas konzentrieren; in Wahrheit konzentriert dieses Etwas uns. Das was wir »bewußt aufmerken« nennen, ist das Gefühl von dem Zug und Zügel, welches die Dinge an unseren Nervenfädchen ausüben.

Auf den feinsten Nervensaiten Prüft ein Spielmann sein Gedicht, Wohl fühlst du die Finger gleiten, Doch den Spielmann siehst du nicht!

Dieser große Spielmann kann ebensowohl ein transzendentes Wesen sein, wie die unfaßbare und unentwirrbare Summe der Wirkung aller Weltendinge auf uns. Denn alles wirkt auf alles und in jeder Entfernung, ob mit, ob ohne Draht und Nervenfädchen. Die Seele des Menschen gleicht einem Prisma, einer frei im Raume getragenen Markonitafel, in denen sich die Weltenstrahlen brechen; dieses Medium, in welchem sich Sonnenlicht, Ätherwelle und jeder Reiz transformiert, ist einzig Objekt wissenschaftlicher Analyse. Wir studieren auch hier nur die Hemmungen, welche sicherlich den Schwingungen einer Weltseele in unserem Leibe wie in den Saiten einer Äolsharfe entgegengespannt sind, und können nur in uns hineinlauschend den Anprall des Odems der Natur zu einem ahnungsvollen Liede vereinen. Die Reizbarkeit, welche schon die Frühgeborenen des Lebens besitzen, gilt es nachzuweisen auch in den höchsten seelischen Funktionen, die Widerstände aufzufinden, unter welchen die Seele dieses tut und jenes läßt: das ist einzig, ohne vermessen auf den Grund des Lebens zu langen, Gegenstand naturwissenschaftlicher Forschung. Warum und wodurch diese Reizbarkeit zu Geist wird, kann nur der beantworten, welcher der Erfinder und Schöpfer dieses Weltsystemes ist.

Für mich ist also der Schlaf die Folge eines periodischen Außerbetriebsetzens unserer gesamten Orientierungsapparate, welche wir Ganglien nennen. Ein Dämpfer wird eingeschoben, eine Hemmungskurbel gedreht, und der wesentliche Lenker dieses Hemmungsmechanismus ist der Fortfall des Reizes des Sonnenlichtes und seine periodische Wiederkehr. Die diesen Reiz übermittelnden Nervenfasern gehören nicht zum Zentralnervensystem, sondern sie gehören zu dem Sonnengeflecht des Sympathikus und zu seinen Abkömmlingen, welche überall die Gefäße vom Herzen bis in die feinen Ästchen des Lebens umranken. In den Ausläufern des Hirngefäßsystemes kreist aber der hemmende Saft, der besonders dazu gebildetes Gewebe durchtränkend die Ganglien an gegenseitigem Kontakt verhindert. So wird endlich einmal klar, warum der, entwicklungsgeschichtlich gedacht, früheste Nerv, die erste in der Tierreihe auftauchende Andeutung eines nervösen Apparates, der Sympathikus, der Seele Erstgeborener, an Weichtieren zum ersten Male zu einer Zentrale der Reaktionen ausgestaltet, auch im Gottmenschen des Genies noch der Herr des Lebens bleibt! Auch die feinsten und erhabensten Gedanken eines schöpferischen Gehirns werden in Schranken gehalten von der gleichsam das gesunde Wachstum der Ideen garantierenden und schützenden Faust des eigentlichen Lebensnerven, des Sympathikus! Hier liegt die einzige, anatomisch begründete Grenzscheide zwischen Genie und Wahnsinn. Denn wehe! wenn seine Wurzeln erkranken und damit die Hemmungen fortfallen, welche der lebenfördernden Harmonie der seelischen Erregungen übergeordnet sind. Die Psychiatrie weiß genug zu berichten von der Entgötterung der menschlichen Seele, die Platz greift, wenn der Hemmungsmechanismus fehlerhaft funktioniert. So hat mir diese Anschauung auch Aufschluß gegeben über die Natur des Temperamentes, indem danach sehr wohl eine geringere oder stärkere Hemmungsfähigkeit des Blutsaftes des Individuums und ganzer Nationen die Ursache für die größere oder geringere Schnelligkeit der Auslösungen seelischer Kontakte sein kann. Ja diese Anschauung versöhnt einigermaßen die Wissenschaft mit der tief in allen Völkern lebenden Vorstellung vom »guten und schlechten Herzen« als einem Teil seelischer Tätigkeit. Das Herz ist danach nicht so unbeteiligt am Gemüts- und Seelenleben, als man gemeinhin denkt. Nicht nur, daß seelische Erregungen sich nachweislich dem Herzen mitteilen, sondern auch die Tätigkeit des Herzens und die Beschaffenheit des Blutes hat danach verständlichen Einfluß auf unsere Allgemeingefühle. Die sprachliche Wendung: »das liegt ihm im Blute« ist also nicht so sinnlos, wie sie scheint, wie überhaupt die Sprache ja oft für den Hellhörigen die alleinige Verräterin tiefster, geheimnisvoller Vorgänge im Getriebe des Gehirns ist, was nicht wundernehmen kann, da sie ja eine Art Projektion zentraler Mechanismen ist. Wie ungeheuer groß ist das Kapitel vom Zusammenhang seelischer Zustände mit der krankhaften Veränderung der Blutsäfte! Schritt für Schritt können wir in der Pathologie verfolgen, wie der Gemütszustand direkt in Abhängigkeit steht von der Beschaffenheit der Blutmischung. Wie fein reagiert das Nervensystem auf die geringste Abweichung des Mischungsverhältnisses der einzelnen Komponenten! Die Vorgänge dabei sind viel zu plötzlich und reflexähnlich, als daß sie allein durch eine chemische Alteration erklärt werden könnten. Eine leise Verstimmung des Magens, eine Obstipation kann uns tief melancholisch machen, und eine große Freude reißt mit der Erhöhung des Blutdruckes im Gefäßsystem und der Beschleunigung des Blutstromes ohne weiteres die Trauerschleier vom Antlitz unseres vergrämten Gemütes. Der Gefäßnerv (Sympathikus) und die durch ihn erzwungene wechselnde Fülle der Neurogliazotten läßt eben die Assoziationen in allen Graden erleichterter oder erschwerter Kombination vor sich gehen.

Die Beteiligung des Herzens, des Blutdrucks und der Neurogliafüllung in Form eines ein- und ausschaltenden Isolationsmechanismus gibt auch einen Schlüssel, warum unsere Seele gleichsam auf eine rhythmische Natur gestimmt ist. Der Urgrund, warum der Mensch ein tiefinnerliches Grundgefühl für Rhythmus und Gegensätzlichkeit, für Dualismus, für die Zweiseitigkeit aller Dinge auf Erden hat, ist eben in dem rhythmischen Ein- und Ausschalten unserer Wahrnehmungsapparate, der Ganglien, gegeben, da sie ursprünglich vom Pulse diktiert werden. Das Gehirn pulsiert ja sogar sichtbar, wenn man es freilegt, selbst an kleinster Stelle. Flutet die Blutwelle mit der Zusammenziehung des Herzens hemmend zwischen die kleinen Seelentelephone, so werden sie abgestellt, um beim Nachlaß und Abströmen des hemmenden Mediums schnell nacheinander wieder bahnfrei zu werden. Die Aufeinanderfolge der einzelnen Systeme wird dabei reguliert vom Spiel der Gefäßnerven, welche, das muß immer wieder direkt betont werden, einem ganz eigenen Nervenkomplex, dem Sympathikus angehören, der einen gleichsam zwischen Hirn- und Rückenmark eingeschalteten automatischen Stromregulator darstellt. Auf allen den Millionen Pfaden der Sinnesstraßen strömen unaufhaltsam und ununterbrochen Reizwellen zum Gehirn. Sie alle werden gestaut in den unzähligen Reizakkumulatoren und Transformatoren des Gehirns, den Ganglien, und erst wenn die feuchte Platte der Neuroglia stromdurchlässig wird, springt die Blitzkette der Entladungen von System zu System, immer die Lücken erhaschend, welche die geschwächte Hemmung offen läßt. Das ist die Bahnung, die Übung, die Einschleifung in meiner Auffassung. Darin, daß die Öffnung und Schließung dieser Bahnen rhythmisch erfolgt, liegt der Grund für die Rhythmik unseres Tuns und Denkens, der Grund zur Rhythmik der Arbeit, zur Hebung und Senkung unserer Sprache, zum Verse, zum Liede, zur schönen Linie, zur Architektur, genug zur Gesamtästhetik. Denn im Grunde ist alles das meinen Sinnen wohlgefällig, was ihrem natürlichen Rhythmus von seelischer Ein- und Ausschaltung sich einfügt, und unlustgebend dasjenige, welches ihm widerhaarig ist. Daraus folgt auch, daß der ästhetische Geschmack darum so verschieden ist, weil der Rhythmus etwas durchaus Persönliches, an mein Temperament, an meine Apperzeptionsfähigkeit in einer gewissen Zeiteinheit, nämlich der zwischen Systole und Diastole des Herzens, Gebundenes darstellt. Ich kann hier natürlich nur andeuten, wie aus der durchschnittlichen Einheit von 60 Schlägen in der Minute der Mensch sein Zeitbewußtsein hergeleitet hat, indem ja in ihm eine wirkliche Uhr, das Herz, von Anfang an ihr Ticktack schlug, genau so, wie er den Fuß und das Fingerglied zum Raummaß und die fünffache Strahlung der Hand zum Dekadenzahlsystem ausbaute. Da nun, wie experimentell nachweisbar, unser Herzrhythmus unter den allerverschiedensten Einflüssen schwankt, wie die Wirkung von Mensch auf Mensch direkt am Pulse meßbar wird, so versteht man besser als sonst, warum in der Kunst ein so starkes Moment der Aufsuggerierung eines persönlichen Rhythmus zur Geltung kommt, welches den Zuhörer oder Beschauer völlig in den Bann des Schöpfers schöner Rhythmen zwingt. Das Hingegebensein des eigenen Seelengetriebes an ein mächtiges fremdes, die Seele neu erfüllendes Durchwogen und Durchglühen ist eben die Quelle jedes echten ästhetischen Genusses, nach dem sich ein bewegliches Herz dauernd sehnt.

Habe ich damit die mechanische Seite der Suggestion gestreift, so ist von hier bis zur Analyse der Hypnose auf mechanischem Wege nur ein Schritt. Wenn nach unserer Anschauung die Sonne in ihrer rhythmischen Beleuchtung und Verdunkelung der Erde, resp. die Erde selbst in ihrer rhythmischen Abkehr und Neigung zum Licht einen periodischen, naturgegebenen Hebel zum Ein- und Ausschalten des Bewußtseins abgibt, so muß es ja auch auf andere Weise durch Reflexhyperämie im Gehirn möglich sein, Schlaf und schlafähnliche Zustände zu erzeugen. Nun, das Streicheln, das Wiegen, das Kämmen, das Fixieren, das Zählen, das Ticken der Uhr – das alles sind deshalb schlaffördernde Mittel, weil vermöge der gleichmäßig das Gehirn treffenden Reize die Neuroglia um so leichter Übergewicht über die Zellaktion erhält, je mehr durch Konzentration auf einen Punkt die Hemmung an Macht gewinnt. Gerade wie im Alkoholrausch der nächtliche Schwärmer schließlich immer dieselbe Geschichte erzählt, ehe sein müdes Haupt sich zum Tisch oder unter den Tisch neigt, so läßt der Hypnotiseur auf dem Wege reflektorischer Hemmungsverstärkung das Bewußtsein seitlich ringsumstellen und von den Häschern flüchtiger Gedanken umgeben. Alle Vorgänge eben, welche geeignet sind, dauernd die Neurogliazotten in Erweiterung und Füllung zu halten, bringen Kontakthemmung und bei längerer Dauer den Schlafzustand, also auch die reflektorische Gefäßweite. Alle schlafähnlichen Zustände können auf mechanische Weise einheitlich erklärt werden, selbst Morphium und Chloroform wirken zunächst nur als Entfalter einer durchaus physiologischen Funktion des Gehirns, indem sie ebenso wie der Alkohol im Beginn Gefäßverengerung, damit Erregungen, Exzitationen, leichte Anschlüsse, spielende Gedankenflucht über alle Problemhöhen und -tiefen, und mit der Leichtigkeit der Auslösung von Ganglienfunktionen eine hohe Steigerung des Ichgefühls hervorbringen, erst dann mit der allmählichen lähmenden Erschlaffung der Gefäße, in welchen das Gift kreist, die Einengung und Abblendung des Bewußtseins zuwege bringen, so daß der künstliche Schlaf so auf ein Haar dem natürlichen gleicht. Man hat eine allzu übertriebene Hochachtung vor der Dauerhaftigkeit der feinsten Hirnstruktur, wenn man meint, daß z.B. eine Auslaugung des Fettes aus den Hirnzellen durch das strömende Chloroform der eigentliche Grund der Narkose sei, wonach also das Bewußtsein ausgewischt würde, etwa wie ein Fettfleck durch Benzin. Träte wirklich das Gift ohne diesen segensvollen Maschenfilter der Neuroglia jemals an die Zellen direkt als chemisch aktive Substanz heran, so wäre stets eine direkte Verleimung des Gehirns, die Zertrümmerung der Apparate die Folge. Nur deshalb ist die Narkose in Wirklichkeit kein so brutaler Eingriff, weil man niemals mehr Gift im Körper kreisen zu lassen braucht, als gerade genügt, damit das Spiel des auch im natürlichen Schlaf tätigen Mechanismus ausgelöst werde.

Eine schlafbringende Ursache will ich noch erwähnen, welche allen Schlaftheoretikern große Mühe gemacht hat, das ist die Schlafsucht beim Erfrieren. Soll hier, während ein vor Frost erstarrender Organismus langsam in Schlaf versinkt, sich gerade aus dem daniederliegenden Stoffwechsel ein Schlafgift produzieren? oder soll die sonst doch so frisch und wach machende Abkühlung der Haut hier ausnahmsweise höchste Müdigkeit erzeugen? oder ist es nicht vielmehr im schönsten Einklang mit unseren Vorstellungen, daß durch allseitige extremste Verengerung der Blutgefäße in Haut und Gliedern die inneren Organe blutüberfüllt und damit die Neuroglia zur totalen Hemmungseinschaltung gezwungen sein muß? So nur verstehen wir die frisch machende Wirkung kurzdauernder Abkühlungen, die Erleichterung der Assoziationen im Nervensystem durch Kaltwasserkuren usw., wenn wir annehmen, daß die der Abkühlung schnell nachfolgende Blutfülle in der Haut die Hemmungsfilter im Gehirn entleert und so die Ganglien erregungslustiger macht. So auch begreifen wir, warum man im dauernd kühlen Zimmer besser schläft als im überhitzten, ja sogar, warum wir beim Umwälzen der Bettdecke von der Kühlung der Haut die Wiederaufnahme eines unterbrochenen Schlafes erhoffen. So auch erklärt es sich, daß die Inanspruchnahme großer Blutmengen zur Verdauung bei überfülltem Magen das Gehirn blutärmer und darum aufgeregter und ruheloser macht und daß irgend eine dauernde Ablenkung von Blutmengen aus dem Gehirn unruhiges Träumen zur Folge hat.

So lernen wir aber auch verstehen, warum die ganze Skala der Giftwirkungen immer zwischen Erregung und Lähmung hin und her schwankt, weil diese beiden Funktionen vornehmlich gebunden sind an die Tätigkeit der Neuroglia, welche wie ein schützendes Filter vor den feinsten Teilen des eigentlichen Räderwerkes ausgespannt ist. Wäre die pathologische Anatomie nicht allzusehr im Banne von der Stütznatur der Neuroglia, sie hätte schon längst vielleicht näheren Aufschluß über die Funktionsstörungen als Folge primärer Neurogliaerkrankungen geben können. Wenn Füllung, Ausschwitzung, Gerinnung, Verfettung, Verkalkung usw. in ihr erst auf ihre eventuellen funktionellen Folgen geprüft sein werden, dürfte auch für die Heilung von Geisteskrankheiten mit ihrer vielfachen Beziehung zur Blutmischung diese Anschauung fruchtbar werden können. Ich will nach dieser Richtung nur ganz entfernt die Möglichkeit der direkten Durchspülung der Neuroglia vom Blutgefäßsystem, die Wirkung des Aderlasses, die eventuelle chirurgische Entlastung des Hirnödems, der apoplektischen Blutungen usw. andeuten. Die Möglichkeit, daß man durch Einverleibung von verschieden prozentigen Kochsalzlösungen in das Venensystem, mit der Schaffung einer künstlichen Plethora zusammen mit dem nachfolgenden energischen Aderlaß überall im Körper, also auch im Gehirn, sehr wirksame Resorptionsvorgänge anregen kann, steht für mich schon heute außer allem Zweifel.

Dieser langen, zum Teil sich leider wiederholenden Auseinandersetzungen bedurfte es, um einigermaßen im Rahmen dieser locker gesammelten Abhandlungen meine Anschauung zu entwickeln, unter Rücksichtnahme auf diejenigen Leser, welche nicht genügend Physiologen sind, wodurch meine Definitionen leider schwerfällig und unbeholfen werden mußten. Ich kann mich dafür aber mit den folgenden Betrachtungen um so rascher abfinden.

Bei der Frage nach der Natur des Schmerzes muß meiner Meinung nach jede Beantwortung beide Formen schmerzhafter Empfindung, die seelischen wie die körperlichen, in Betracht ziehen, weil nur auf diese Weise eine Definition wirklich erschöpfend sein dürfte, und weil beide Formen der schmerzhaften Bewegungen in unserem Körper eine große Fülle von rein physischen Berührungsflächen darbieten; ich erinnere nur an die mimischen und sekretorischen Begleiterscheinungen des seelischen und körperlichen Schmerzes, an das Weinen und Gesichtverzerren, ferner an die Beteiligung der Atmung, an Schluchzen und Schrei, an Pupillenvergrößerung in seelischer und körperlicher Angst und an andere gemeinsame unerfreuliche Wirkungen der Unlustzustände, um die Notwendigkeit einer gemeinsamen mechanischen Begründung zu betonen. Was nützt es zum Beispiel in dieser Richtung, wenn wir, wie jetzt viele Neurologen, mit der Ansicht uns begnügen wollten, daß der Schmerz eine ganz spezifische Sinnesenergie vorstelle, daß also in unseren seelischen Orientierungsapparaten ganz bestimmte Einrichtungen gleichsam Wächterdienste gegen die herannahende Gefahr bei Verletzungen aller Art übernehmen? Abgesehen davon, daß man auf diese Weise notwendig zu dem tief pessimistischen Prinzip einer Schöpfungstheorie kommt, die den Schmerz als ein von Anbeginn dem Menschen aufgeladenes Kreuz darstellt, wozu die Legende aus der Bibel vom verlorenen Paradiese und dem Fluch des Erzengels einige Berechtigung gäbe, abgesehen von dieser kühnen und gefährlichen Meinung, als sei jedes Lebewesen eigens dem Schmerz ausgeliefert und vorbestimmt, läßt die Lehre von der Spezifität der Schmerznerven eben den psychischen Schmerz völlig in der Luft schweben. Aber auch sonst läßt sich vieles gegen eine solche Anschauung vorbringen. Als schlagendstes Argument gegen den Bestand bestimmter, nur Schmerz leitender Nerven – spezifisch schmerzleitend in dem Sinne, wie z. B. der Sehnerv nur Licht leiten kann – will ich eine Beobachtung anführen, welche ich als erster bei Operationen unter meiner örtlichen Schmerzlosigkeit gemacht habe, und welche später häufig, so namentlich von Lenander in Stockholm, bestätigt ist. Als ich am Bauchfell operierte ohne Narkose bei vollem Bewußtsein des Patienten unter Anwendung nur örtlicher Betäubung, bemerkte ich, daß das normale, blasse, nichtentzündliche Bauchfell auch ohne Einspritzungen ohne Empfindung gegen Stich, Schnitt und Hitze ist, daß aber nach wenigen Minuten an den der Manipulation ausgesetzten Stellen nach vorheriger Rötung Schmerz auch gegen leiseste Berührung auftritt. Ist der Schmerz ein nur auf spezifischen Bahnen geleitetes Spezialgefühl, wie ihn die moderne Neurologie zu definieren geneigt ist, so müssen in einer Spanne Zeit von wenigen Minuten Schmerznerven wachsen können, denn Körperzonen, die eben noch nicht empfindlich waren, werden es gleichsam unter den Händen. Hier ist mit der Annahme, daß der Schmerz nur auf vorgebildeten Bahnen geleitet werden kann, nichts anzufangen; denn es fehlen im Bauchfell gänzlich solche vorgebildeten sensiblen Bahnen, und doch gewinnt es bald die Fähigkeit, zu schmerzen. Wer besondere Schmerzbahnen annimmt, muß sich vorstellen, daß diese Leitungsdrähte des Wehgefühls innerhalb der Bündel der hinteren Rückenmarksnerven zusammen mit den anderen Strängen für das Tast-, Wärme- und Muskelgefühl verlaufen, und müßte unbedingt die zentralen Ausstrahlungen dieser besonderen Bündel auch als eigentliche Schmerzzentren im Gehirn nachweisen. Hier aber gerade hat diese Theorie ein arges Loch: nicht nur fehlt jede Spur eines Nachweises von Schmerzzentren im Gehirn, welches doch gerade die Neurologen so ausschließlich als den Sitz der allgemeinen seelischen Apperzeption hinstellen, sondern es ergibt sich aus vielfachen, auch eigenen Beobachtungen, daß das Gehirn selbst absolut ohne Schmerzempfindung ist. Der berühmte Kopfschmerz ist entweder Schmerz der Hirnhäute oder Schmerz des weitverzweigten Nervus Trigeminus, der nicht mehr dem eigentlichen Gehirn angehört. Es würde also bei diesen gewichtigen Einwänden gegen die Theorie von der Spezifität der Schmerznerven eine andere, welche dieser Spezifität nicht bedürfte und doch alle bekannten Phänomene des Schmerzes verständlich zu machen vermöchte, entschieden den Vorzug verdienen.

Eine solche Theorie glaube ich auf Grund meiner Anschauung von dem Hemmungsmechanismus geben zu können.

Der Schmerz ist ein Allgemeingefühl der Unlust. Ist der gleichmäßige und harmonische Ablauf der gesamten Körperfunktionen die Quelle vom Gefühl der Gesundheit und der Lust, so muß bei den Unlustempfindungen dieser im naturgegebenen Rhythmus schwingende Gleichklang aller Kraftströmungen im Organismus gestört sein. Schon das besondere rein funktionelle Bemerkbarwerden eines einzelnen Organsystems, etwa der gefühlte Pulsschlag des Herzens oder der Arterien, kann dadurch, daß er die seelische Orientierungsspannung von der Außenwelt weg auf eine Lokalität des Körpers zurückzulenken zwingt, Störungen des Allgemeingefühls im Sinne der Witterung einer Gefahr veranlassen. Das Gefühl der Fülle im Leibe, die Spannung in einem Muskelsystem, Steifigkeit in den Gelenken, kann schon ohne jede Schmerzempfindung starke psychische Beunruhigung hervorrufen. Auch jedes Flimmern vor den Augen, jedes Summen im Ohr, Kribbeln in der Haut, kann bei längerer Dauer mit dem Gefühl der Unbehaglichkeit bis zur Qual verbunden sein, d.h. jeder Funktionsstörung ist der Gedanke an eine nahende oder doch mögliche Gefahr assoziiert. Wenn ein Sehnerv, welcher eben nur für Licht empfänglich ist, exzessiv gereizt wird, etwa bei Verletzung oder Durchschneidung, so wird zwar dadurch kein Schmerz erzeugt, aber die auftretende Flammengarbe von Lichtempfindungen verursacht einen tiefen seelischen Stoß, auch ohne direkten Schmerz. Also auch die spezifischen Sinnesorgane können wie jedes Organsystem alarmierende Meldungen im Gehirn und Rückenmark auslösen. Schmerz aber vermögen nur die Nervenbahnen zu leiten, deren Berührung an sich normalerweise Tastgefühle auslöst. Das sind die sensiblen Nerven und der Sympathikus, deren Ausbreitung zu Endkolben und Endgeflechten in allen nervösen Häuten und der Körperhülle Platz gefunden hat. Wann entsteht nun z.B. von der Haut her Schmerz? Immer nur dann, wenn das Gehirn durch die abnorme, gehäufte Art der Reizung nicht mehr in der Lage ist, Einzelmeldungen und Sonderkontakte zu differenzieren, wenn die Meldungen nicht mehr streng innerhalb der gegenseitig durch die Nervenisolation gegebenen Bahnen bleiben, sondern wenn durch gewaltsame Annäherungen und Sprengungen, durch seitliches Überspringen und Defektwerden der Nervenscheiden transversale Massenkontakte ausgelöst werden. Der Schmerz ist ein Kurzschluß elektroider Spannungen im Nervensystem. Drücke ich gewaltsam eine Hautfalte zusammen, so presse ich unzählige Tastkörperchen seitlich aneinander. Die Folge ist zunächst Kribbeln und Jucken, das auch schon beim Streichen und Kitzeln durch Vibration der Hautzottenleisten entsteht; dann folgt bei gewaltsamem seitlichen Druck und in ganz gleicher Weise bei Ätzung und Brand ein Defektwerden der Bindegewebshüllen der Nervenapparate, welche hier genau der Funktion der Neuroglia im Gehirn entsprechen, d.h. ich störe den Isolationsmechanismus, so daß seitlich elektroide Funken überspringen. Die Folge sind massenhafte reflektorische Alarmsignale, d.h. gleichzeitige und aus den Bahnen geworfene Gruppenmeldung in einer Form und Intensität, auf welche normalerweise die Seele nicht eingestellt ist. Diese Alarmsignale mit dem Charakter der Bedrohung und Gefahr, dieses Anzeichen der beginnenden Läsion der peripheren Nervenstrombahnen, dieses Verwirrungsgefühl durch irre geleitete Reize im Getriebe des Nervenmechanismus nennen wir »Schmerz«. Dieser Kurzschluß der seitlichen Entladung bei verletzter Nervenisolation ist um so intensiver, je mehr Apparate gleichzeitig lädiert sind oder je dicker der Sammelstrang ist, an welchem die Nervenhülle defekt wird ganz gleich auf welche Weise. Hierdurch, wenn also plötzlich in der Zentrale turbulente Feuermeldungen gleichzeitig ertönen, entsteht eine Unfähigkeit des Gehirns sich schnell zu orientieren, und die Unlust, welche jeden exzessiven Reiz begleitet, steigert sich zusammen mit den Wirbeln von Oberstrahlungen, welche in gänzlich ungewöhnlicher Richtung ausbrechen, zu Angst und Raserei, zu planlosen Abwehrbewegungen, zu Affekthandlungen, oder wenn diese selbst übertönt werden, zur Ohnmacht und zum Kollaps. Jeder Schmerz trifft also zum erstenmal völlig jungfräulichen Boden, und es spricht gewiß für meine Auffassung, wenn seine Wiederkehr nicht mehr so erschreckend wirkt, weil das Gehirn zum zweiten Male nicht mehr so ganz unorientiert über das, was nun kommen wird, ist. Denn die Furcht vor dem, was folgen könnte, ist oft größer, als die Klage über den Augenblicksschmerz allein ausfallen würde. Wäre der Schmerz eine spezifische Nervenenergie, so wäre nicht abzusehen, warum schon selbst ein heftiger Anfall eines sich wiederholenden Schmerzes relative Gewöhnung bei Wiederkehr auch nach längerer Zeitpause beobachten läßt, was man weder vom Ton noch vom Licht noch von anderen spezifischen Sinnesenergien behaupten kann. Auch, daß man von zwei Schmerzen stets nur den stärkeren wahrnimmt, spricht gegen die Theorie der spezifischen Schmerzleitung, denn ich kann z.B. von einer Farbe alle Nüancen gleichzeitig wahrnehmen. Die große Summe der entwicklungsgeschichtlich eingeübten und koordinierten Reflexe einer schnellen und unvermuteten Reizung zur Atmung, zur Herzbeschleunigung, zur Pupillenerweiterung, zur Darmbewegung, zur Lockerung der Schließmuskeln aller Art beweist, daß die plötzliche Überladung gewisser Zentralen des Gehirns nach einem schnellen und ebenso plötzlichen Ausgleich der psychischen Spannungen mit rasanter Flugbahn drängt: ein Schrei, ein Stoß, ein starrer Blick, die fahle Blässe des Gesichts, sie alle sind der Beweis für das Bestehen einer blitzschnellen, kurzschlußartigen Entladung von Spannungen, auf welche der Betrieb der Seele physiologisch nicht eingestellt ist. Jede Bedrohung hat Beziehung zum Atmungszentrum, schon plötzliche Abkühlung, durch die Dusche etwa, bringt tiefe Atemzüge und Neigung zu Stimmbandschluß und stoßartiger Respiration, d.h. die Inanspruchnahme auch aller Hilfsmuskeln der Atmung, einschließlich der Mund- und Nasenöffner, womit der mimische Anteil an der Schmerzwirkung erklärt wird. Jede Gefahr, jede Angst, ja jede Erregung läßt die Pupille weit werden, um dem vielleicht hilfreichen Licht die ganze Fläche frei zu geben, und ein schnell pulsendes Herz jagt das Blut wahllos in alle Systeme, um jede Funktion gleichsam sprungbereit durch Heranwälzen der Ionen des Sauerstoffes auszurüsten.

Ich würde nicht wagen, mit solcher Sicherheit auch hier den gestörten Hemmungsmechanismus für die Natur des Schmerzes in Anspruch zu nehmen, wenn ich nicht einen Trumpf in der Hand hielte, der die absolute Stichhaltigkeit dieser Anschauungen mir täglich aufs neue zu beweisen geeignet ist.

Meine Form der Schmerzlosigkeit zu operativen Zwecken, welche man die Infiltrationsanästhesie nennt, ist direkt eine Frucht dieser Anschauungen. Eine Hypothese aber, welche ein so stolzes, nunmehr überall anerkanntes Resultat gezeitigt hat, darf immerhin einige Berücksichtigung auch seitens der Theoretiker beanspruchen. Die Lösung, mit welcher ich örtliche Schmerzlosigkeit erziele, ist eine Flüssigkeitskomposition mit der ausgesprochenen Absicht, die Isolation, die Hemmungen zwischen den seitlichen Nervenkontakten im Gewebe zu verstärken, ohne die Nerven selbst etwa durch Gifte leitungsunfähig zu machen. Ein anästhetischer Mückenstich, wie ich ihn mit meinen ungiftigen Lösungen in der Haut anlege, läßt die einzelnen Nerven durchaus tastleitungsfähig, hebt aber den Schmerz absolut sicher auf in jeder Schicht, weil er dazu bestimmt und erfunden wurde, um das, was den Schmerz macht, den seitlichen Kurzschluß der Nerven, durch Hemmungsverstärkung unmöglich zu machen. Ich schiebe zwischen die Nerven einen Dämpfer, ein Sordino ein, was Professor Bier in gleicher Weise am Rückenmark direkt mit bewunderungswürdiger Kühnheit wiederholt hat, ohne daß wir die Nervensaiten selbst irgendwie lädieren oder gefährden. Es wird für mich stets ein Triumph folgerichtigen Schlusses sein, daß ich diese Form der schmerzlosen Operationsmethode fand einzig auf Grund der Deduktion, auf Grund der lebendigen Anschauung von dem Bestehen eines Isolations- und Hemmungsmechanismus im Betriebe des Nervenlebens. Professor Bier hat auch den Nachweis geführt, daß in der Tat das Blut den von mir behaupteten schmerzisolierenden Einfluß auf die peripheren Nerven hat, und ich selbst habe schon früher angegeben, daß Übertritt von Blutwasser in die Gewebe (beim sog. ödem) unter Umständen genügt, um die Nerven sämtlich für Schmerz leitungsunfähig zu machen. Alle diese gewichtigen Tatsachen lassen kaum eine andere als die von mir gegebene Deutung zu, und wir haben nur nötig, diese an der Peripherie des Körpers gewonnenen Erfahrungen auf das Gefüge der Zentrale im Nervensystem zu übertragen, um gleicherweise eine Einsicht in das Geschehen beim psychischen Schmerze zu gewinnen.

Auch in der Seele gibt es einen Kurzschluß elektroider Spannungen. Auch hier enthält die unsere Seele brutal überfallende maximale Anspannung, die nach dem Äquivalenzgesetz der Kräfte ebenso materiell wirksam sein kann wie eine äußere Gewalt am Leibe, übergroße Ladungen im Gebiet der Vorstellungen, d.h. die in umgekehrter Richtung zu den Apperzeptionen schwingenden Gangliengruppen durchsprengen explosionsartig die einbettenden Hemmungen. Das typische Beispiel für solche Explosionswirkungen im motorischen Zentrum ist für mich diejenige Form der Epilepsie, welche durch eine materielle Bindegewebsnarbe im Gehirn gegeben ist. Vor dieser Narbe finden periodische Akkumulationen von nicht auflösbaren Spannungen statt, nicht auflösbar, weil die narbig verdickte Neuroglia auch gewaltigen Ansammlungen nervöser Kraft die Hemmung entgegenhält. Steigt aber diese aufgespeicherte Spannkraft zu einer Höhe, daß sie den Wall durchbricht, so brausen in die unvorbereiteten Systemgebiete hinter der Narbe die Fluten der elektroiden Wellen verheerend ein, und der Krampfanfall löst sich aus, verstärkt durch den Chok der Gefäße, der seinerseits allein, wie wir sahen, das Bewußtsein schwer zu alterieren vermag.

Das ist das Bild auch der seelischen Schmerzauslösung, wenn wir eine Kette von deprimierenden Ereignissen oder ein einziges tief an unsere Lebenshoffnung, an den Glauben an unser Glück greifendes Moment erleben. Die Spannungen in der Phantasie, welche schließlich stärker sind als jedes vorangegangene seelische Erlebnis werfen uns unter der Analogie einer geistigen Epilepsie in einen Strudel von Unorientiertheit und brennender Hilflosigkeit, durchfluten uns mit dem Gefühl des Vernichtetseins, und in gleicher Weise wie bei der physischen Obstruktion des körperlichen Schmerzes findet die Entladung in Schluchzen und Tränenstrom, in Affekthandlung, in Herzangst und Pupillenklaffen ihren Ausgleich, wenn nicht die mit dem Willen aufgebrachte gewaltsame Hemmung den Affektströmen einen Damm entgegenwölbt. Aber die Faust der die flammenden Blitze erstickenden Neuroglia kann endlich auch erlahmen und dann eine Affekthandlung resultieren.

Beim seelischen Schmerz mag so das Gehirn wechselnd buchstäblich erröten und erblassen.

Ich bin am Ende meiner Ausführungen und schließe mit Zagen, daß ich es gewagt habe, ein so gewaltiges Thema, wie es das Gebiet der seelischen Hemmungen umfaßt, in einem geschlossenen Aufsatze zu erledigen. Vielleicht aber ist es mir doch gelungen, wenigstens die Hauptzüge dieser, wie ich zugebe, kühnen und gewagten, aber ergiebigen Hypothese zu entwickeln, und ihre Anwendbarkeit auf fast das gesamte Gebiet des Seelenlebens wenigstens andeutungsweise vor Augen zu führen.


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