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In dem heiligen Feuer des Augenblickes hatten beide, der Mann und das Weib, die Königin und der Volkstribun, mehr versprochen, als sie zu halten vermochten. Die Monarchie war nicht gerettet. Der Königin gebrach die überirdische Kraft, die das Unmögliche vollbracht hätte, den König zu einem Entschlusse zu bewegen, dem eine energische Handlung folgte. Nichts geschah. Die Minister blieben und sahen untätig zu, wie das Staatsschiff dem Abgrund zutrieb, ohne daß sie auch nur ein Segel oder ein Tau angerührt hätten.
Mirabeau ersuchte um eine neue Unterredung. Scham versagte sie ihm. Die Tochter Maria-Theresias wollte nicht als ohnmächtige Wortbrecherin vor diesem Manne stehen.
Dann kamen Mißverständnisse. Am 21. Oktober hatte die Rechte in der Versammlung die Fahne der Revolution, die Trikolore, angegriffen, und einer dieser unentwegten feudalen Herren hatte selbst die gemäßigtsten Freiheitskämpfer mit dem frechen Worte zur Raserei getrieben: »Lasset den dreifarbigen Lappen den Kindern!«
Da wirbelte Mirabeau hinauf zur Tribüne. »Der Trikolore hat der Oberste Kriegsherr die Weihe erteilt. Das weiße Banner ist die Standarte der Gegenrevolution. Wehe euch, ihr dort auf der Rechten! Wieget euch nicht in eine gefährliche Sicherheit, denn das Erwachen wäre jäh und schrecklich! Auf den Ozeanen werden sie schwimmen, diese Farben der Nation, und werden die Achtung aller Länder erringen, nicht wie das weiße Lilienbanner als das Banner des Krieges und der Eroberungssucht, sondern als das der heiligen Brüderschaft, welche alle Freunde der Freiheit auf der ganzen Welt umfaßt, aber auch als das Banner des Schreckens für Verschwörer und Tyrannen.«
Diese Rede verschnupfte den König arg. »Bei all seiner Schlauheit und Begabung«, äußerte er La Marck gegenüber, »würde er wohl Mühe haben zu beweisen, daß er diese Rede gehalten hat, um das zu erreichen, wofür er bezahlt wird.«
La Marck berichtete es Mirabeau.
»Was,« schrie er – die Adern auf seiner Stirn schwollen gefahrdrohend an – »diese stupiden Bösewichter bieten uns schlechtweg die Gegenrevolution, und diese Leute wähnen, ich werde nicht dagegen wettern! In Wahrheit, mein Freund, ich habe keine Lust, irgend jemand meine Ehre preiszugeben. Ich bin ein guter Bürger, der Ruhm, Ehre und Freiheit über alles hebt, und gewisse Herren des Rückschrittes werden mich stets bereit finden, sie zu Boden zu schmettern. Sagen Sie dem König: ich will die Wiederherstellung der Ordnung, aber nicht die Wiederherstellung der alten Ordnung.«
»Sie sind doch ein Prachtkerl«, bewunderte La Marck aufrichtig. Mirabeau hatte in ihm einen wahren Freund erworben.
In der nächsten Nacht aber schrieb er dem König: »Wie ich höre, rechnen Sie es mir zum Verbrechen an, daß ich die Trikolore der weißen Flagge vorgezogen habe. Ich kann Ihnen keine Dienste mehr leisten, wenn ich meine Kräfte in solchen Debatten aufreiben muß. Übrigens mögen mich Ihre Minister immerhin einen Demagogen nennen, wenn sie nur selbst, da sie keine sind, der königlichen Gewalt bessere Dienste leisten als ich.«
Bald darauf putschten in Belfort einige Offiziere gegen die Revolution. Mirabeau forderte ihre Bestrafung wegen Hochverrats: »Es ist dringend notwendig,« rief er in den Saal, und der König vernahm es sehr bald, »daß diejenigen, die unlängst die Nationalflagge als einen Lappen für Kinder behandelt haben, erfahren, daß die Revolutionen keine Kinderspielzeuge sind!«
Der Hof wurde immer verstimmter. Man las seine Noten nicht mehr. Mirabeau beklagte sich bei La Marck über seine nutzlose Arbeit. Der zuckte die Achseln. »Ich fürchte, die Monarchie ist bei dem Charakter dieses Monarchen nicht zu retten. Ich habe nochmals mit der Königin gesprochen. Die arme Frau haben diese steten fruchtlosen verzweifelten Kämpfe zerrüttet. Sie hat nur noch herzbrechend geweint. Ich habe mit des Königs Bruder, dem Grafen der Provence, gesprochen. Er hat mir geantwortet: ›Die Unentschlossenheit des Königs ist größer, als man überhaupt ahnen kann. Wenn Sie sich eine Vorstellung von seinem Charakter machen wollen, so denken Sie sich geölte Elfenbeinkugeln, die Sie zusammenhalten wollen. Es wird wohl vergebliche Mühe sein.‹ Das hat er gesagt. Ich fürchte, fürchte, lieber Freund, Sie werden dieses Spiel mit den geölten Elfenbeinkugeln verlieren.«
Mirabeau nickte düster vor sich hin. Bisweilen aber packte ihn eine finstere Wut gegen diesen Repräsentanten der Monarchie, die er mit allen seinen Kräften vor dem Letzten schützen wollte. Da trieb ihn der Zorn zur Verherrlichung des Straßenpöbels.
Das Volk hatte das Haus eines Adligen, des Marquis de Castries, erstürmt und geplündert, weil er Lameth, den radikalen Abgeordneten, zum Zweikampf gefordert hatte.
Mirabeau verteidigte gegen alle Ordnungsfreunde die Plünderer von der Tribüne herab: »Wißt ihr, daß dieses Volk, trotz seiner Erbitterung gegen den Mann, den er als den Feind eines seiner besten Freunde ansieht, gefordert hat, jeder solle beim Verlassen des Hauses seine Taschen leeren und beweisen, daß er nur gestraft, nicht aber eine gerechte Sache besudelt habe? Das, das ist Ehre, wahre Ehre, welche die Vorurteile dieser Strauchritter und feudalen Kämpen nicht einmal ahnen. So ist das Volk: heftig, aber milde, auffahrend, aber großmütig. So ist das Volk selbst im Aufruhr, wenn eine freie Verfassung es seiner angeborenen Würde wiedergegeben hat und es seine Freiheit für bedroht hält. Die es anders beurteilen, verkennen und verleumden es. Und wenn seine Diener, seine Freunde, seine Brüder, die sich seiner Verteidigung nur widmen, weil sie es hoch verehren, die Lästerungen, die man in dieser Versammlung tagein, tagaus gegen das Volk ausstößt, zurückweisen, so gehorchen sie damit nur ihrer ersten Pflicht und erfüllen eine ihrer heiligsten Aufgaben!«
Es ist begreiflich, daß solche Worte auch die Königin stutzig machten und die letzte schwache Verbindung zum Hofe zerrissen. Aber gerade diese Reden hoben Mirabeaus Popularität in die Wolken. Er war der Vater des Volkes, ihn nur wollte man sprechen hören, er war der Abgott der Pariser, wie er einst der Gott der Bürger von Aix gewesen. In den düsteren letzten Stätten der Armut wurden seine Worte das Licht der Hoffnung, in den Cafés zitierte man seine ironischen Ausfälle gegen die Gegner. Wie er gesagt hatte: »Der Redner scheint zu glauben, er dürfe nicht aufhören zu reden, weil die Gesetzgeber für alle Zeiten zu sprechen haben,« oder: »Ich habe nicht herausfinden können, ob der Herr Vorredner zu seinem oder zu unserem Vergnügen auf die Tribüne gestiegen ist.«
Das Wort aber, das er der Jakobinerminorität von dreißig Mann entgegendonnerte: »Ruhe dort bei den dreißig!« ward lange Zeit in Frankreich zum geflügelten Worte.
Zu Beginn des Jahres 1791 stand er äußerlich auf der Höhe seiner Erfolge. Doch innerlich war er ein gebrochener Mann. Im Grunde waren ihm alle Hoffnungen gescheitert. Die Nationalversammlung entartete immer mehr, der Ruin des Landes dämmerte herauf. Sein Werk war ihm vergiftet. Die Jakobiner griffen ihn immer heftiger an, bedrohten ihn im Jakobinerklub mit Gewalttat. Unverzagt schleuderte er ihnen entgegen: »Ich werde bis zum Scherbengericht bei euch bleiben!«
Er entging diesem Scherbengericht, das seine Opfer durch die Halsöffnung der Guillotine in die Verbannung schickte, nur dadurch, daß ein gütiges Geschick zuvor seinen Namen auf die Todesscherbe schrieb.