Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Glücklicher Säugling! dir ist ein unendlicher Raum noch die Wiege.
Werde Mann, und dir wird eng die unendliche Welt.
»Unaufhaltsam enteilet die Zeit.« – Sie sucht das Beständ'ge.
Sei getreu, und du legst ewige Fesseln ihr an.
Nur an des Lebens Gipfel, der Blume, zündet sich Neues
In der organischen Welt, in der empfindenden an.
Suchst du das Höchste, das Größte? Die Pflanze kann es dich lehren.
Was sie willenlos ist, sei du es wollend – das ist's!
Adel ist auch in der sittlichen Welt. Gemeine Naturen
Zahlen mit Dem, was sie
thun, edle mit Dem, was sie
sind.
Zeigt sich der Glückliche mir, ich vergesse die Götter des Himmels;
Aber sie steht vor mir, wenn ich den Leidenden seh'.
Vor dem Tod erschrickst du! Du wünschest, unsterblich zu leben?
Leb' im Ganzen! Wenn du lange dahin bist, es bleibt.
Was der Gott mich gelehrt, was mir durchs Leben geholfen,
Häng' ich, dankbar und fromm, hier in dem Heiligthum auf.
Wirke Gutes, du
nährst der Menschheit göttliche Pflanze;
Bilde Schönes, du streust
Keime der göttlichen aus.
Theile mir mit, was du weißt; ich werd' es dankbar empfangen.
Aber du gibst mir dich selbst; damit verschone mich, Freund!
Du willst Wahres mich lehren? Bemühe dich nicht! Nicht die Sache
Will ich durch dich, ich will
dich durch die Sache nur sehn.
Dich erwähl' ich zum Lehrer, zum Freund. Dein lebendiges Bilden
Lehrt mich, dein lehrendes Wort rühret lebendig mein Herz.
Was ich ohne dich wäre, ich weiß es nicht – aber mir grauet,
Seh ich, was ohne
dich Hundert' und Tausende sind.
Nimmer labt ihn des Baumes Frucht, den er mühsam erziehet;
Nur der Geschmack genießt, was die Gelehrsamkeit pflanzt.
War es immer wie jetzt? Ich kann das Geschlecht nicht begreifen.
Nur das Alter ist jung, ach! und die Jugend ist alt.
Aus der schlechtesten Hand kann Wahrheit mächtig noch wirken;
Bei dem Schönen allein macht das Gefäß den Gehalt.
Kannst du nicht schön empfinden, dir bleibt doch, vernünftig zu wollen
Und als ein Geist zu thun, was du als Mensch nicht vermagst.
Hast du etwas, so theile mir's mit, und ich zahle, was recht ist;
Bist du etwas, o dann tauschen die Seelen wir aus.
Keiner sei gleich dem Andern, doch gleich sei Jeder dem Höchsten!
Wie das zu machen? Es sei Jeder vollendet in
sich.
Strenge, wie mein Gewissen, bemerkst du, wo ich gefehlet:
Darum hab' ich dich stets, wie – mein Gewissen, geliebt.
Allen gehört, was du denkst; dein eigen ist nur, was du fühlest.
Soll er dein Eigenthum sein, fühle den Gott, den du denkst.
Das ist eben das wahre Geheimniß, das Allen vor Augen
Liegt, euch ewig umgibt, aber von Keinem gesehn.
Immer strebe zum Ganzen, und kannst du selber kein Ganzes
Werden, als dienende Glied schließ an ein Ganzes dich an!
Willst du dich selber erkennen, so sieh, wie die Andern es treiben.
Willst du die Andern verstehn, blick' in dein eigenes Herz.
So unermeßlich ist, so unendlich erhaben der Himmel!
Aber der Kleinigkeitsgeist zog auch den Himmel herab.