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Es sah alles noch aus wie vor Jahren. Der Neckar zog seine ruhige Bahn wie ehedem. Sein Wasser war hier tief und still und sein Bett eng. Die Weiden spiegelten ihre grünen, langen Zweige im Wasser, und wenn der Wind hindurchfuhr, so klatschten sie wohl auch in die Wellen. Mit denen waren sie gut Kamerad geworden in all der Zeit. Das Häuschen des Korbstoffels trug immer noch gelassen die Last seines hohen, spitzigen Giebeldachs, das auf den niedrigen Wänden wuchtete wie der Kopf eines Riesen auf dem Körperlein eines Zwerges. Aber der bucklige Korbmacher trat nicht mehr aus der niedrigen Haustür, um seine Weiden im Wasser geschmeidig zu machen. Und seine Christel band nicht mehr die Bohnen auf in dem schmalen Streifchen Gartenland, das zwischen dem Häuschen und den Uferweiden lag. Sie waren beide dahingegangen und kamen so wenig mehr an ihren alten Ort wie die Neckarwellen, die leise, langsam, unablässig dahinglitten. Und das machte, daß dem Mädchen, das auf dem Bänklein neben der Haustür saß, das Ganze verändert vorkam. Natürlich. Wenn ein geliebter Toter daliegt und man sucht noch so ernsthaft in seinen Zügen und sieht ihn noch so liebend an, er ist doch ein anderer, als da noch die Seele drin war. Das Haus hatte auch keine Seele mehr. Die Fensterscheiben waren trüb, der Garten dürr, das Ganze öde. Das Mädchen war selbst auch anders geworden. Sie war die Enkeltochter der alten Leute gewesen. Heut war sie wieder einmal aus der Stadt gekommen, warum, das konnte sie selbst nicht so recht sagen. Es war ihr, als müsse sie hier irgend etwas finden, das es sonst nirgends gab. Sie war um das Häuschen herumgegangen, hatte an der vorderen und hinteren Tür gerüttelt, und doch gewußt, daß ihr niemand auftue. Nun saß sie auf der Lattenbank und sah den Neckar hinauf und hinunter. Am jenseitigen Ufer stand ein Birnbaum. Als ein leiser Wind seine Zweige bewegte, knisterte es darin und eine große, gelbe Birne fiel klatschend ins Wasser. Sie zog Blasen und Ringe darin und dann schwamm sie noch ein Stückchen weiter. In der sitzenden Gestalt ruckte und zuckte es einen Augenblick. Unwillkürlich sah sie unter das Bänkchen. Da hatte vor Zeiten eine Weidenschlinge ihren Platz gehabt, mit der man solcherlei Fische fangen konnte. Aber das war ja nun vorbei. Sie war nicht mehr das barfüßige Ding von ehedem, das sich platt hinlegen und über den Uferrand hinausgabeln konnte, unbekümmert um das schmutzige Röckchen. Die dasaß, war eine schöngeputzte Stadtmagd. Ihre Stiefelchen hatten Lackspitzen, und unter dem rot- und gelbgestreiften Kleid guckte eine breite Unterrockstickerei vor. Das hatte alles Geld gekostet. Und das Geld hatte sie verdienen müssen, sauer genug. Damit ging man nun nicht mehr so unbekümmerlich um.
Es war nun fünf Jahre her, seit die Rosel von hier fortgegangen war, im ärmlichen Trauerkleid, ein schmales, mageres Figürchen mit einem leichten Bündel auf dem Kopf. »Meinetwegen könnten es auch zehn Jahr sein oder zwanzig,« dachte sie, »es ist eine Ewigkeit her, daß ich daheim war.« Das Häuschen stand und wartete auf seinen Abbruch. Der Färbereibesitzer, ein wenig weiter unten, hatte es gekauft und hatte auch den Schlüssel. Es war nach dem Tod der beiden Alten, die nur vier Wochen nacheinander starben, verkauft worden. Zwölf Mark hatte die Rosel noch herausbekommen, als die Schulden bezahlt waren. Das war ihr Erbteil. Seither war sie im Dienst gewesen. Und nun war sie neunzehn Jahre alt. »Das ist jung,« dachte sie, »mit neunzehn Jahren ist man jung.« Es ging ihr auch soviel Junges durch Kopf und Herz. Sie wußte es nicht recht zu benennen, aber es wollte sie fast zersprengen. So eine gewaltsame, ausbrechende Sehnsucht nach Frohsein, nach irgend etwas Schönem, Glücklichem. Nach etwas Besonderem, das in ihr Leben hereinkommen sollte und mußte. Es war jetzt so grau und so einerlei. Immer nur schaffen, nicht gar zu schwer, nicht gar zu viel für ihre Kraft, aber so immer gleich fort, im gleichen Trab, immer für fremde Leute. Immer wieder für andere, denen sie fremd blieb und gleichgültig. Sie hatte ein brennendes Heimweh und wußte nicht, nach was. Das hatte sie heut an ihrem freien Nachmittag hier herausgetrieben. »Vielleicht wird's anders,« dachte sie, »wenn ich alles wieder seh', wie's früher war.« Aber die Einsamkeit brannte ihr nur noch mehr in die Seele, seit sie dasaß und an alte Zeiten dachte. Sie war ein armes Kind gewesen, das seine Eltern nie gekannt hatte, aber doch kein herumgestoßenes. Sie hatte immer eine Heimat gehabt und immer eine sorgliche Hand, die ihr am Abend das Deckbett ringsherum hineinstopfte, daß keine Zugluft an sie kommen konnte, und die ihr das Zaushaar aus dem Gesicht strich, wenn's der Wind gar zu sehr auseinandergeweht hatte. So etwas geht über schöne Kleider und Guthaben. Das vergißt sich nicht.
»Daß du mir brav bleibst,« hatte der Schultheiß, bei dem sie ihren Heimatschein holte, zum Abschied gesagt. »Daß du der G'meind' keine Schand' machst, Mädle. Dein Ähne und deine Ahne sind rechte Leut' gewesen, wie's der Brauch ist, und gottesfürchtig. Zu mir darfst nicht kommen, wenn du nicht brav bleibst. Wenn du in der Not bist, darfst du kommen, wiewohl man dich ja in die Krankenkass' tut. Also daß du's weißt. Und jetzt heul' nicht; was einmal ist, das ist.«
Da war sie denn gegangen. Brav bleiben wollte sie freilich, sie konnte sich auch gar nicht vorstellen, wie man anders als brav sein könne. Das war doch, wenn man seine Arbeit tat, nichts nahm, das einem nicht gehörte, nicht log und manchmal in die Kirche ging. Das letztere hörte bald auf, aber dafür konnte Rosel nichts. Sie hatte einfach keine Zeit dazu. Wenn sie am Sonntagmittag eine Weile in ihre Kammer kam, setzte sie sich auf ihren Koffer und schlief ein oder kramte sie manchmal ein wenig in ihrem kleinen Besitz. Wenn's hoch kam, flickte sie sich ein paar Strümpfe. Dann ging's wieder in die Küche. Sie war als »Pudelmägdlein« angestellt; die Frau war überzeugt, daß sie fast alles allein tue und daß es die Mina – sie hatte die Rosel Mina geheißen, weil alle ihre Mädchen vordem Mina geheißen hatten und man sich nicht so oft umgewöhnen konnte – daß es die Mina lang gut bei ihr habe. Wenn sie nicht so scheu und ängstlich und so vergeßlich gewesen wäre und so oft ein verweintes Gesicht gehabt hätte, so hätte sie es vielleicht jahrelang so gut haben können. Aber das alles konnte Frau Rößlein nicht vertragen, und als alles Schelten nicht half, so schickte sie die Mina um ein Haus weiter. In dieser Zeit hatte das Mädchen sein langgespartes Stück Schwarzbrot von daheim gegessen. Das sollte gut gegen das Heimweh sein, wenn man ein solches Stück im Koffer habe. Aber das arme Kind hatte beides zusammen gehabt, Hunger und Heimweh. Bei jedem Bissen, den die gesunden Zähne zermalmten, stieg ihr greifbarer, deutlicher das Bild der friedlichen Heimat auf, die niedrige Stube mit den alten Leuten drin, der ziehende Neckar draußen und die glücklichen Schulkameraden, die daheim bleiben durften und die auf den Baumstämmen am Ufer saßen und sangen.
»Drum sag' ich's noch einmal, schön sind die Jugendjahr';
Schön ist die Jugend, sie kommt nicht mehr.«
So sangen sie. Rosel hörte sie bis in ihre Dachkammer herein. Das kam so mit dem Stück Bauernbrot. Als der letzte Bissen verschluckt war, da war es ihr, als ob nun ihre Jugend vorbei sei, gestorben und begraben. Als ob sie nie mehr käme, niemals wieder. Und es war doch erst die Zeit, da man anfängt, jung zu sein.
Das blieb nicht so. Man kann nicht gesund sein und schaffenskräftig und fünfzehn Jahre alt und dabei immer in Trübnis bleiben. Rosel blieb das auch nicht. Zuerst hatte sie es fast nicht zu überstehen gemeint, daß man sie wegschickte. Aber die Stellenvermittlerin hatte sie eines Besseren belehrt. »Drei Stellen für eine,« hatte diese gesagt. »Die Rößlein kennt man, die hat alle sechs Wochen ein anderes Mädchen.« Da hatte sie sich denn getröstet und angefangen, kecklicher ins Leben hineinzugehen. Jetzt kam sie in ein Haus, wo Kinder waren. Das hatte sie sich gewünscht, darauf freute sie sich. Aber sie war nur der Köchin als Beihilfe gegeben und die Kinder kamen nie in die Küche. Das war ihnen verboten, sie sollten nicht mit den Dienstboten verkehren. Der Köchin paßte das gerade. »In meiner Küche brauch' ich keine Kinder,« sagte sie, »und die Frau nur einmal am Tag zum Küchenzettel machen. Im übrigen will ich für mich sein.« Sie hieß Rosalie und war eine majestätische Köchin, dick und groß und geschickt dabei. Und Rosel hieß diesmal Marie zur Abwechslung. Hier konnte sie viel lernen und schlecht behandelt wurde sie auch nicht. Und wenn sie ihr Stück Bauernbrot noch gehabt hätte, hier hätte sie es jedenfalls nicht aus Hunger gegessen.
Von daheim kam sie sich weiter als je entfernt vor. Aber es war nicht uninteressant jetzt gerade. Die Köchin und das Stubenmädchen bekamen oft abends Besuch, »Vettern«, die beim Militär waren und festlich bewirtet wurden. Da ging es dann lustig her in der Küche. »Ja, darf man denn das? Hat da die Frau nichts dagegen?« hatte Rosel eines Tags schüchtern gefragt. Es hatte ihr eine Ohrfeige von der majestätischen Rosalie eingetragen, die einzige, die sie von ihr bekam. Da fragte sie nicht mehr. »Wenn Sie einmal ein bißchen älter sind, Kleine,« hatte das zierliche Stubenmädchen gesagt, »dann fragen Sie nicht mehr so dumm. Der Mensch muß doch einen Anschluß haben.«
Vorläufig hatte Rosel keinen »Anschluß«. Sie durfte nur zusehen, aber das war auch manchmal vergnüglich. Es sei schade, daß sie nicht auch einen Vetter oder auch nur sonst irgend einen Menschen in der Stadt habe, dachte sie. Es gelüstete sie manchmal ordentlich, auch einmal so lustig zu sein, zu lachen und Sonntags schön angezogen auszugehen. Ob die beiden »brav« seien, wußte Rosel nicht gewiß. Aber sie waren so sehr großartig, und vielleicht konnte man brav sein und doch das Leben genießen. Sie war wieder einmal in der Kirche gewesen. In einer hellen Bluse und weißen Zwirnhandschuhen und mit einem abgelegten Hut des Stubenmädchens hatte sie sich sehr gefallen. Sie sah in ihrem Stückchen Spiegelglas und in den Schaufenstern, daß ihre Backen rund und ihre Farben frisch wurden und daß sich ihr ganzer Körper reckte und streckte. Es war ein angenehmes Gefühl, das zu entdecken. Rosel dachte daran, bis der Gottesdienst anfing. Der Orgelton und das Lied, das man sang, weckte dann wieder anderes auf, Heimatfernes, Schlafendes. Sie sang mit und vergaß eine Weile die Äußerlichkeiten, die sie jetzt so oft beschäftigten. Ihre Seele wurde wach und regte sich und wollte wieder nach Hause. Wie fernes Läuten, dem man nachgeht, tönte ihr das Evangelium. Aber während der Predigt flatterte eine Schwalbe durch die Kirche, aufgeregt, scheu und ängstlich zwitschernd. Da konnte Rosel nicht mehr aufmerken. »Die möchte hinaus,« dachte sie. »Das kenn' ich, so geht mir's oft auch. Aber man kann nicht, es ist alles zu, und man muß weitermachen. Es hilft alles nichts. Bei mir wär's auch umsonst, wenn ich hinauskäme, heim, ich bin nirgends daheim, es ist niemand mehr da. Das ist bei der Schwalbe anders, freilich. Die wird ein Nest haben und Junge.« In diese Betrachtungen hinein kam das Schlußgebet. Da nahm sie ihre zerstreuten Gedanken wieder gewaltsam zusammen. »Auf daß unsre Seelen klar und stark und friedevoll werden,« der Satz tönte in ihr nach, als sie durch die belebten Straßen nach Hause ging. Die Köchin kam an ihr vorbei mit ihrem Dragoner und lachte über das kleine Mägdlein mit dem Gesangbuch und dem bescheidenen Putz. Sie trug einen Federhut, noch mit Rosen darauf, und um Hals und Brust knisterte es von Seide und Spitzen. Das war eine Pracht; farbenfreudig, wohlgenährt, blühend sah das alles aus, der Staat und seine Trägerin. Das gab nun zweierlei Gefühl in Rosels Herzen. Sie wünschte sich ja Freude, die sollte das Leben bringen, irgendwie, irgendwo von außen her, und es gab Bilder in ihrer jungen Seele, wie diese Freude aussehen sollte, mannigfache, unklare, bunte. Die Rosalie hatte Freuden, das konnte man deutlich sehen. Die zog nun in einen Biergarten zu irgend einer Musik, zu der man lachen und schwatzen und tanzen konnte. Das brannte ein wenig in Rosels Herzen, als sie ihr nachsah. Und dazwischen tönten diese seltsamen Worte in ihr nach. Klar und stark und friedevoll. Sie verstand sie nicht so recht. Aber sie klangen wie eine tiefe, starke Melodie in die Unruhe der Straße und der begehrlichen Gefühle hinein. Mehr nicht heute. Aber das war auch nicht nichts. Sie hatte ja auch nicht Zeit, sich viele Gedanken zu machen. Die Arbeit ging weiter und nahm das Denken in Anspruch. Der Rosel war's recht so, sie wußte mit ihrem Zwiespalt nicht recht etwas anzufangen.
Ein halbes Jahr später wurde die Herrschaft in eine andere Stadt versetzt; von der Dienerschaft wurde nur die Köchin mitgenommen. Nun hieß es wieder wandern. Es war ja nicht gerade schwer, Rosel hatte die Leute kaum gekannt, denen sie diente, so galt es kein eigentliches Scheiden. Nur, man wird nirgends daheim, man kann nicht Wurzel schlagen, wenn man so oft versetzt wird. Das kam nachher noch dreimal vor, jedesmal aus irgend einem andern Grund. Rosel hatte sich nicht zu schämen. Sie hatte gute Zeugnisse und einiges Ersparte, wenn auch nicht viel, und saubere, städtische Kleider und einen Sommer- und Winterhut. Und sie galt für ein ordentliches Mädchen, was man so heißt. Jetzt war sie seit einem Jahr in einer guten Familie. Es waren Leute, die von ihren Renten lebten. Der Mann war früher Bäcker gewesen und die Frau hatte von morgens fünf Uhr an Wecken verkauft. Jetzt genossen sie die Früchte ihrer Arbeit, sahen behaglich zum Fenster hinaus auf die Vorübergehenden, aßen mit gutem Appetit, was Rosel ihnen kochte, und übten sich darin, mit guter Manier die Zeit hinzubringen. Es fiel ihnen nicht leicht, vornehm zu tun. Aber die verheiratete Tochter und der Sohn, der »auf den Maler studiert hatte«, wie sie sagten, die wollten das. Das gehörte sich so. Zum Beispiel sich mit dem Mädchen unterhalten, das tut man nicht. Das tun nur einfache Leute, die keinen besseren Umgang haben. Da übten sich denn die Alten, so gut sie konnten. Der Ton mißlang ein wenig dabei. Er kam manchmal schnauzig und grob heraus, wo er vornehm und selbstverständlich sein sollte. Aber das tat ja nicht so viel. Rosel hatte es nicht schlecht. Sie hielt Küche und Zimmer im Stand, wusch und putzte, ging auf den Markt und in die Läden und hätte Kraft zu noch mehrerem gehabt. Aber sie fühlte, daß irgend etwas brach lag in ihr, eine Kraft, eine Wärme, die niemand wollte, die niemand nützte und die in ihr brannte.
So war sie heut hier herausgewandert, einem unklaren Drang nach, einem Heimweh nach, das man nicht recht benennen konnte. Sie hatte sich schön geputzt. Am Ende kehrte sie bei irgend jemand ein. Bei wem, wußte sie noch nicht, aber sie war doch hier einmal daheim gewesen, da mußten doch noch Leute sein, die man aufsuchen konnte. Alle Leute hatten doch einen Anschluß, irgend jemand. Das mußte sie ja auch haben können. Und da wollte sie gern gut aussehen. Die Abschiedsworte des Schultheißen fielen ihr ein: »Daß du mir der Gemeind' keine Schand' machst.« O nein, das hatte sie nicht getan. Man durfte die Rosel sehen und man durfte ihr nachfragen. Sie war nie mit Soldaten herumgezogen, war nie leichtsinnig gewesen und nie gerade putzsüchtig. Manchmal war sie eine unbändige Lust angekommen, gerade so zu sein wie viele andere, nicht immer brav, geordnet, still. Hinausschreien hätte sie mögen, an irgend einen fremden Menschen hinlaufen und sagen: »Nun will ich mit dir gehen. Nun zeig' mir, wo das Leben lustig ist und schön.« Aber dann hatte sie's doch nicht getan. »Ja, auf dem Bänklein hier kann ich nicht sitzen bleiben,« sagte sie vor sich hin. »Davon kommen die alten Leut' nicht mehr. Es wär gut, wenn sie noch da wären. Ich möcht auf die Bank sitzen hinter den Tisch und ein Stück Brot vom Laib schneiden. Und den Boden möcht' ich noch einmal putzen und die Fenster und das ganze Haus, und gar nicht mehr fortgehen.« Sie stand auf und wandte sich zum Gehen. Es war so ein rechter Septembertag, sonnig, klar, hie und da von einem leisen Lufthauch durchzogen, der dann gedämpfte Töne vom Dorf her trug. Klänge einer Mundharmonika, wie sie die ledigen Burschen blasen, hie und da das kurze Gekläff eines Haushunds, spielende Kinderstimmen, auch einmal Räderrollen und Peitschenknall und Hufegetrab eines Rößleins auf der Landstraße. Da unten stand ein Haus mit neuem rotem Ziegeldach, ein stattliches Gehöft. Es hatte allemal eine Schulkamerädin von Rosel drin gewohnt. Ob die wohl zu Hause war? Sie wollte einmal fragen. Es war so ein Verlangen in ihr, zu jemand zu gehören. Eine alte Frau saß unter der Haustür. Rosel kannte sie noch, das war die Ahne ihrer Gespielin, ein runzeliges, abgeschafftes Weiblein mit müden, welken Händen, die es im Schoß liegen hatte. »Ob die Brigitt daheim sei?« fragte das Weib auf Rosels Frage zurück. Sie musterte das stattliche, saubere Mädchen mit erstaunten Augen. »Die Brigitt hat gestern Hochzeit gehabt mit dem Löwenwirt und heut ist Nachhochzeit im Löwen. Mich dünkt, man hört die Tanzmusik bis hierher. Es ist voll droben, die Brigitt muß heut schon die Wirtin machen. Aber ich mein', dich sollt ich kennen, Mädle.« Das war lang her, seit die Rosel niemand mehr gefragt hatte, wem sie gehöre und woher sie stamme. Es war ihr schon heimatlich, es jemandem sagen zu können. »Ja, ja, natürlich bist du's,« sagte die Alte. »Wo hab' ich nur auch meine Augen gehabt? Du hast dich nur auch gar nimmer sehen lassen. Aber geh' doch in den Löwen, die Brigitt freut's sicher. Und du wirst auch tanzen wollen. Geh' nur, geh', das weiß man schon wie das ist bei euch Jungen.« Die Alte schien das besser zu wissen als die Junge. Rosel ging aber nun doch der Musik nach; das lockte und zog und schmeichelte mit Flöten und Geigen und Klarinetten. »Jung sein, mittun, froh sein!« rief's wieder in ihr. »Ich will auch mein Teil, ich will auch.« Im Löwen wirbelte und stampfte und klang das durcheinander. Rosel guckte schüchtern hinein. Die Brigitt sah sie nicht. Doch, da ging sie eben über den Hausflur ins Kuchenstübchen, eine ganze Traglast Hefenkränze über einander gestapelt auf den Armen. Sie hatte ein rotes, erhitztes Gesicht und hatte über ihr Staatskleid eine breite Schürze gebunden. Der Löwenwirt kam hinter ihr drein. Er war jung und stattlich und hatte ein blondes Schnurrbärtchen und einen Krauskopf. »Du, Weib,« sagte er halblaut, »wart' einmal.« Die Brigitt stand unter der Tür still. »Was?« fragte sie so herum und drehte den Kopf ein wenig. »Drum hab' ich,« sagte er und lachte, »dich nur geschwind erwischen wollen.« Er zog ihren Kopf am Ohrläppchen zu sich her und küßte sie so in der Schnelligkeit auf beide Backen. »So,« sagte er vergnügt, »jetzt kannst meinetwegen weiter gehen. So muß ich's machen, wenn ich zu meinem Sach' kommen will.«
Der Rosel unter der Saaltür ward es glühheiß. Sie wußte selbst nicht recht warum. Das dort, das war etwas Wunderbares gewesen. Etwas ganz Natürliches freilich. Aber müßte das schön sein, wenn einem so etwas natürlich war. »Ach was, ich bin ein dummes Ding,« ermannte sie sich. »Jetzt geh' ich hinein und sag' der Brigitt grüß Gott. Und dann sieht man weiter. Ich kann ja mein Sach' zahlen, ich kann auch einmal einkehren.« Da stand die Brigitt im Kuchenstübchen mit einem ganz geschäftigen Gesicht und schnitt die Hefenkränze in große Stücke, sehr eilig und sehr ernsthaft. Als ob es sonst nichts gäbe auf der Welt. »Wie merkwürdig,« dachte die Rosel. »Daß sie nun so ruhig sein kann, nach dem gerade. Ich muß doch dumm sein,« zum zweiten Mal. Dann begrüßte sie die Gespielin. Es dauerte nicht lang, so saß sie im Saal an einem der Tische, die der Wand entlang standen und hatte Kuchen und Wein vor sich. »Du versorgst sie gut, Bernhard,« sagte die Brigitt zu ihrem Bruder, einem stämmigen, sonnverbrannten Menschen mit gutem, etwas einfältigem Gesicht und einer Nelke hinterm Ohr. »Ich muß nämlich weiter, sonst möcht ich dich gern vieles fragen, Rosel.« Der Bernhard zog Rosel pflichtschuldigst mit in die Reihe zu einem Walzer, den sie schlecht und recht miteinander fertig brachten. Dann saß sie wieder an ihrem Platz und sah in das Gewoge. »Also so ist's, wenn man drunter ist und mittut,« dachte sie. »Also jetzt bin ich auch dabei. Bis jetzt spür' ich noch nichts Besonderes.« Da drüben saß schon länger ein junger Mensch, der scheint's nicht zur Gesellschaft gehörte. Er war städtisch gekleidet und hatte ein blasses, scharfgeschnittenes Gesicht und dunkles Haar. Im Knopfloch hatte er eine Rose stecken. Er hatte schon ein paar Mal aufmerksam zu dem Mädchen herübergesehen, jetzt stand er auf und kam auf sie zu.
»Entschuldigen Sie,« sagte er höflich, »aber ich muß die Gelegenheit benützen, daß ich Sie einmal treffe. Wenigstens einmal grüßen, das hätt' ich schon lang gern getan. Ja, ich seh' schon, Sie staunen.« Er lächelte ein wenig. »Die Bekanntschaft ist scheint's nicht gegenseitig, obgleich wir sozusagen Nachbarn sind.« Rosel sah verwirrt und verlegen aus. Nein, sie wußte wirklich nicht, wer das war, sie mußte sich's erzählen lassen. Er war erster Zuschneider in dem Herrenkleidergeschäft, das ein paar Häuser weiter unten in derselben Straße war, in der Rosel diente. Er hatte sie so oft gesehen. »Aber immer nur von weitem,« sagte er und seufzte ein wenig. »Man sieht so gut, daß Sie anders sind, als die andern. So einfach und tüchtig und brav. Und gescheit. Wenn ich eine Schwester hätte, müßte sie so sein.« Er lächelte wieder. Es stand ihm gut. Rosel hatte Herzklopfen. Also da war ein Mensch, der sie beobachtet hatte, mit Wohlgefallen beobachtet. Da saß er neben ihr und sagte ihr das. Wie merkwürdig. Wie einem das wohltat, so etwas zu hören. »Würden Sie mir nicht die Freude machen, einmal mit mir zu tanzen?« bat er. »Da wir nun doch gerade hier sind.« Das Mädchen stand auf, die Kniee zitterten ihr, aber es ging doch. Leicht ging es, wie geflogen. Das war doch anders als vorher mit dem Bernhard. »So, nun muß ich nach Haus,« sagte sie nach dem dritten Tanz. Sie sagte es mühsam. Es war ihr, als ob sie für eine kurze Weile in einen Lichtkreis getreten sei und nun wieder in den Schatten müsse, in den eintönigen, grauen Schatten, in dem ihre ganze Jugend dahinging. Aber es mußte doch sein, es waren zweieinhalb Stunden zu gehen. Es war ohnehin schon spät. Der neue Bekannte machte ein bedauerndes Gesicht. »Geht's nicht mehr? Gar nicht mehr?« sagte er. »So giebt's gewiß nicht viele Mädchen, so pflichtgetreu und zuverlässig. Ja, ja, das habe ich Ihnen gleich angesehen. Dann gehen wir eben, wenn's sein muß. Ich bin auch ein Pflichtmensch.« »Wir?« sagte Rosel erschrocken. Die Stimme versagte ihr. Es war aber ein gemischtes Gefühl in ihr, die Freude überwog. »Ja wir werden doch nicht jedes allein gehen, wo wir denselben Weg haben,« sagte er. »Das ist doch so natürlich.« Ja, das war natürlich, Rosel mußte es zugeben.
So gingen sie denn miteinander. Es war ein weiter, staubiger Weg auf einem schmalen Fußsteig neben der Landstraße her. In weiten Abständen standen Pappeln rechts und links an der Straße, mit dem Schatten war es nicht viel. Und hüben und drüben dehnten sich Kartoffeläcker und Getreidefelder aus. Aber die Beiden ließen sich's nicht anfechten. Rosel ging wie in einem Nebel, aber in einem weichen, rosigen, hinter dem die Sonne steht und ihn durchleuchtet. Sie sagte nicht viel, es war nicht ihre Art. Aber sie hörte ihrem Begleiter zu, fast andächtig, und er sagte viel. Da war es nun, da kam nun etwas in ihr Leben herein, etwas von außen her, etwas Schönes, Frohes. Da war ein Mensch, der etwas nach ihr fragte, und was für ein Mensch. Wie geschickt mußte er sein, allem nach was er sagte, und wie gebildet und wie gut. Er sprach anders als hier zu Lande üblich ist. Aus Sachsen sei er, sagte er. Das schien der Rosel furchtbar weit zu sein. Sie hatte ordentlich Mitleid mit ihm, daß er so in der Fremde sei. Wie er ihr alles erzählte, gleich zum ersten Mal, sie in alles hineinsehen ließ, was er dachte und tat. »Das ist, weil er so allein ist,« dachte Rosel. Sie hätte das nicht gekonnt. Sie sprach fast kein Wort, aber vielleicht sprach ihr unbehütetes Gesicht, in dem Staunen und Bewunderung und ein heimliches Glücksgefühl abwechselten. Er mußte diese Schrift lesen können. Er streifte das Mädchengesicht ein paar Mal mit einem prüfenden Blick. Dann lächelte er wieder. Es mußte ihn scheint's befriedigen, was er da fand. »So kurz ist mir noch nicht leicht ein Weg geworden,« sagte er, als sie in der Stadt waren, »aber freilich, in solcher Gesellschaft, da vergißt sich alles andere.« Rosel schrak zusammen. War nun der Traum zu Ende? Wachte sie wohl nun wieder auf und war allein? »Ich möchte nur wissen, woran Sie denken,« sagte Herr Hegelein. »Sie sagen gar nichts. Es war doch schön heute, nicht? Wir machen doch bald wieder einen Spaziergang zusammen, nicht?« »Ja.« Rosel zögerte, sie wußte nicht recht, wie man in solchen Fällen sagt. »Sie sind sehr freundlich,« brachte sie heraus, sie wollte auch gern höflich sein. Er lachte, kurz und laut. »Freundlich ist gut, o Sie Kind! Aber ich schreibe Ihnen, ich seh' Sie wieder. Auf Wiedersehen, bald.« Er zog den Hut und bog um eine Ecke. Sie waren jetzt in einer lebhaften Straße, es war wohl gut, daß er so schnell gegangen war, Rosel hätte doch nicht gern einem der Dienstmädchen aus den oberen Stockwerken begegnen mögen. Es war alles noch so eigen und neu. Einesteils ja, sie hätte schon zeigen mögen: »Da seht her, da geht nun auch einmal ein Mensch mit mir. Und was für einer.« Aber es war ihr so verwirrt zu Mute. Nein, es war besser so.
Die Welt hatte ein anderes Gesicht gewonnen seit diesem Sonntag. Sie war schöner geworden, belebter. Alles lachte der Rosel zu, und es lachte auch aus ihr heraus. Sie hatte auf einmal entdeckt, daß sie singen konnte und daß irgendwo in ihr die Volkslieder geschlafen hatten, die man draußen auf dem Lande singt. Die wachten nun auf und sie sang sie zu ihrer Arbeit. So lang, bis Frau Heim herauskam und sagte: »Was ist denn das für eine neue Mode? Meine Ruh' möcht ich haben. Singen und so, das können die Bauernmägd'. Ich denk, um hundertsechzig Mark Lohn kann ich auch ein bißchen Bildung verlangen.« Da war die Rosel eine Weile still und dann summte sie wieder halblaut und machte die Küchentür zu, daß es niemand störe. Als sie wieder einmal auf den Markt ging, trat sie in einen Fünfzigpfennigbazar ein und kaufte ein Ansichtskartenalbum. Das war nötig geworden. Denn Herr Hegelein hatte ihr nun schon vier Karten geschickt mit Tauben drauf und Rosen und gedruckten Versen, so schönen Versen. Und immer stand vom Wiedersehen drauf. Er hatte solch schöne, schnörkeliche Handschrift mit allerlei Zieraten drum und dran. Was mußte er doch für ein gebildeter Mensch sein, der so schrieb. Und er hatte ein solches Wohlgefallen an ihr gefunden. Wie einen das hob und wärmte. Wie das nun alles anders war, als vordem. Rosel stand bald da, bald dort eine Weile tiefsinnig still, wo sie gerade stand, wann wieder die Landstraße vor ihr aufstieg oder der Saal im Löwen und alles, was damit zusammenhing. Und dann fuhr sie wieder im Haus herum, als ob sie Räder an den Füßen hätte, und putzte und fegte, und eh' sie sich's versah, sang sie wieder.
»So lustig, Rosel?« fragte der Kutscher, der im Hinterhaus wohnte, zum Fenster der Bügelstube herein, das auf den Hof ging. Rosel stand am Bügelbrett. Rings herum war schneeweiße, sauber gebügelte Wäsche aufgestapelt, und nun war das Mädchen an einem Prachtstück, das ihr selber gehörte, einer Rosabluse mit Spitzen. Die wollte sie am Sonntag anziehen und heute war Freitag. Am Sonntag hatte sie wieder Ausgang, alle 14 Tage hatte sie den Nachmittag frei. Ja, da konnte sie wohl singen, das würde auch schön werden. »Man ist nur einmal jung,« gab sie zurück, »warum soll ich nicht lustig sein? Mir fehlt nichts.« Sie lachte. Das war auch neu an der Rosel. »Ja, Sie haben gut lachen, das ist wahr. Ledige Haut schreit laut. So gut hab' ich's auch einmal gehabt.« Der Kutscher nahm den schweren Wachstuchcylinder ab und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Er sah immer bedrückt aus, sein Tritt war schwer, wie bei einem, der eine Last mit sich herumträgt. Es war kein Wunder, er hatte auch schwere Sorgen. In der engen Hinterhauswohnung lag seine Frau nun schon seit Wochen krank. Sie siechte nur so hin, seit das Kleinste auf der Welt war. Das war nun sechs Wochen alt. Hie und da versuchte sie aufzustehen und das Nötigste zu tun. Aber dann wurde es jedesmal schlimmer mit ihr. Die drei größeren Kinder hockten verscheucht umher, sie kamen nicht mehr zu ihrem Recht, seit die Mutter so krank war. Das älteste Büblein, ein zartes, sechsjähriges Kerlchen, mühte sich wohl mit den Kleinen und mit dem Feuer, auf das der Vater irgend etwas zum Kochen aufstellte, wenn er geschwind abkommen konnte. Aber was helfen so ein paar schwache Händchen? Es sah trostlos aus in den engen Stuben, unordentlich, öd, und in jeder Ecke saß eine Sorge und sah den Mann, wenn er hereinkam, mit großen Augen an. Er verdiente als Lohnkutscher schon das Nötigste. Als die Frau gesund gewesen war, hatte es immer gereicht. Sie hatte gespart, geflickt, die Kinder gut gehalten, den Mann versorgt, Winden und Feuerbohnen an den Fenstern gezogen; es hatte immer so nett ausgesehen bei ihnen, fast wohlhabend. »Was so ein Weib alles tut,« dachte er jetzt oft bei sich, »man sollt's nicht glauben. Man sieht's erst, wenn's fehlt.« Er hatte sie lieb, es drückte ihn auch, daß er sie so liegen lassen mußte. Aber was hilft's? Er mußte Brot verdienen und Geld für den Doktor und für den Hauszins, da konnte er nicht daheim bleiben als Krankenpfleger. Eben kam das Zweitkleinste über den Hof gewackelt und auf den Vater zu. Es war ein zweijähriges Bübchen mit rundem, verschmiertem Gesicht und einem Paar ernsthafter Blauaugen unter dem wirren Kraushaar. Der Mann bückte sich, band ihm den Schuhnestel, der aufgegangen war, und putzte ihm mit seinem roten Taschentuch Gesicht und Näschen. Dann hob er es auf den Arm und ging mit ihm ins Haus. Rosel sah den beiden nach und sang eine Weile nicht mehr. Ja, da ging's nun ernsthaft zu, da drin. Sie konnte froh sein, daß sie jung und ohne solche Sorgen war. Aber jung waren der Kutscher und seine Frau auch gewesen und nun – »ja, es kommt eben verschieden auf der Welt, es wird schon wieder besser werden,« entschied die Rosel. Sie wollte jetzt einmal vergnügt sein und sich nicht stören lassen; sie habe ohnehin noch nicht viel Gutes gehabt auf der Welt, dachte sie. Droben rief die Frau nach ihr. So packte sie die fertige Wäsche in den großen Korb, legte die Staatsbluse oben drauf, recht mit Stolz und Freude, und ging hinauf. So, nun konnte der Sonntag kommen.
Er kam auch, aber trüb und regendrohend. Herr Hegelein stand an der nächsten Ecke und wartete auf Rosel. Er wenigstens sah nicht trüb aus, er lächelte und grüßte schon von weitem. Die Straße war still, es war weit und breit niemand in der Nähe, davon hatte er sich vorher überzeugt. »Zu einem Spaziergang ist's nichts heute,« sagte er. »Das ist schade. Ich bin auch am liebsten in der Natur. Aber man muß sich drein schicken. Wir können ja auch mit der Straßenbahn irgendwo hinausfahren. Auf der Toggenburg ist Musik, das ist auch schön. Sie müssen mehr unter Menschen kommen, Fräulein Rosel, kommen Sie nur.« Ihr war's nur halb recht. Sie hatte in den letzten Tagen hie und da so Augenblickszweifel gehabt, ob das nun »brav« sei, wenn sie mit diesem Herrn Hegelein gehe. Sie hatte mit einem gewissen Stolz gewußt, daß sie ein »rechtes« Mädchen sei, und das wollte sie ja natürlich bleiben. Dann hatte sie sich gesagt, daß sie doch einen Spaziergang mit ihm machen könne, mit einem so anständigen, gebildeten Menschen. Es sei doch eine Ehre, daß er sie überhaupt mitnehme und ihr soviel von sich erzähle und von seiner guten Familie und dem großen Geschäft seines Vaters. Nein, das war alles schön und gut. Aber das mit der Toggenburg war ihr nicht so ganz lieb. Sie zögerte ein wenig. Aber dann fielen die ersten Tropfen. Ins Haus zurück, allein sein heut nachmittag, wie schon oft? Nein, das nicht, das gab den Ausschlag. Sie fuhren hinaus. Wenn Herr Hegelein am liebsten in der Natur war, so konnte er sich merkwürdig gut verleugnen. Denn nun saß er mit Rosel in einer überfüllten Wirtsstube, ganz in der Ecke, von Gesumm und Lärm, Kindergeschrei und Zigarrenrauch umgeben. »Oben tanzt man,« sagte er. »Wir gehen dann ein wenig hinauf.« Draußen goß es, es war keine Aussicht, heute noch ins Freie zu können, ja, was wollte man sonst anfangen? So gingen sie denn hinauf und tanzten. Es war ein enger Raum, in dichtem Knäuel drängten sich die Paare durch einander, Rosel erhielt manchen Puff und Knuff; es wurde ihr heiß und schwül zu Mute, sie war solch ein Gewühl nicht gewöhnt. Fast ängstlich sah sie nach dem Gesicht ihres Begleiters. Der lachte, ein wenig spöttisch, kam's ihr vor. »Sie Kindchen,« sagte er gleich darauf gutmütig, »das ist Ihnen wohl neu, was? Nicht böse sein, Fräulein Rosel, das muß man auch einmal mitgemacht haben. Prüfet alles und das Beste behaltet. Das steht doch, mein' ich, sogar in der Bibel.« Und als sie ihn ein wenig erschrocken ansah: »Nun ja, ich behalte ja auch das Beste. Das sind Sie, Rosel. Sie Liebe, Gute. Ich hab' Sie lieb. Ich mag Sie. Sehen Sie, nun lerne ich sogar schwäbisch, Ihnen zu lieb.« Rosel erglühte, tief. Sie konnte ja hier nirgends ausweichen, er hielt sie fest in den Armen, das konnte er ja, im Tanz. Sie hatte eine wirre Sehnsucht nach einem ruhigen Augenblick, nach einer ungestörten Ecke. Das sagte er so hin, nur so geschwind, im Unterhaltungston. Nein, das nicht, er hatte es halblaut gesagt, ihr fast ins Ohr. Aber doch, nur so leichthin. Das war ja doch das Größte, was man sagen konnte.
»Ich hab Sie lieb, ich mag Sie.« Er – sie. Rosel tanzte mechanisch weiter, es flimmerte ihr vor den Augen und brauste in den Ohren. Jetzt setzte die Musik aus. »Aufhören, bitte, nicht mehr tanzen,« brachte Rosel heraus. »Ich muß heim, wir wollen gehen.« Mit einem halb scheuen, halb glücklichen Blick fragte sie in sein Gesicht hinein, ohne Worte: »Ist das Ernst? Darf ich das glauben? Ja, kann denn das möglich sein?« Seine Augen lachten in die ihrigen hinein, anders eigentlich, als sie sich's gedacht hätte nach diesen Worten vorhin. Aber doch auch glücklich, lustig eigentlich. Er hatte die stumme Frage wohl verstanden. »Ja, ja,« sagte er. »Das ist nun so. Jetzt will sie heim, fort, weil ich das gesagt habe. Das hilft nichts, Rosel, einmal muß man's sagen. Das ist doch nichts Schlimmes, daß ich Sie lieb habe.« Sie standen in einer Ecke des Saales, als er das sagte, ein wenig abgesondert von den andern Leuten. Rosel fühlte, daß sie nun auch etwas sagen sollte. Aber was? Es dünkte sie so etwas unaussprechlich Schönes zu sein, daß da ein Mensch sei, der sie lieb habe. Das paßte gar nicht in das Gewirr um sie her. Es war ihr plötzlich nicht mehr um irgend eine Lustbarkeit zu tun, das war so eine innerliche, große, tiefe Freude, die sich ganz tief in sie hineinsenkte. Herr Hegelein sah mit Befremden auf das Mädchen, das ganz still stand und die Hände zusammenpreßte. Diese Wirkung seiner Worte verstand er nicht. Er sah aber eben durch eine Seitentür ein paar Bekannte vom Geschäft eintreten, mit denen er jetzt nicht zusammen sein wollte. So sagte er nur zu Rosel: »Ich sehe schon, das ist nun nichts mehr mit dem Tanzen. So wollen wir eben gehen. Aber noch nicht nach Hause, irgendwohin sonst. Jetzt wird's erst noch schön, nicht?« Und auf der Treppe flüsterte er ihr ins Ohr: »Jetzt sag' Du, Rosel. Jetzt gleich. Mädchen, sei doch nicht stumm.« Da drehte sie den Kopf zurück und sagte leise: »Du.« Sie hatte Tränen in den Augen. Das hatte der erste Zuschneider von Beckmann u. Cie., Herr Paul Hegelein, noch nie erlebt. Das war ihm neu und sehr reizvoll. »Ungelogen, ich bin wirklich verliebt in sie,« dachte er. »Sie ist, wie soll ich sagen? Sie ist wirklich apart.«
Der Herbst ging hin und ein Teil des Winters. Es lag mancher Ausgehsonntag zwischen dem auf der Toggenburg und jetzt.
Rosel hatte sich verändert in der Zeit. »Ein wenig mehr Schliff hat sie bekommen,« sagte die verheiratete Tochter der Herrschaft, die hie und da heimkam, mit Befriedigung, »sie sieht städtischer aus, als früher.« »Wo haben Sie denn Ihre schönen, roten Backen gelassen?« fragte der Kutscher Walz aus dem Hinterhaus. »Sie sind mir so ein bißchen schmal geworden.« Rosel lachte. »Sie dürfen nichts sagen, Sie haben ja nur noch so eine Haut über die Knochen her,« gab sie zurück. »Ach, das ist etwas anderes,« sagte er trübe. »Wenn einen die Sorgen so in den Boden hinein drücken und nirgends ist eine Aussicht aufs Besserwerden. Da möchte man ja verzagen. Und man soll erst nichts merken lassen, die Zähne zusammenbeißen, wenn man schreien möchte. Wenn die Frau so dahinschwindet, kein Aufhalten mehr, und die Kinder verkommen, und das Hauswesen sieht aus, daß Gott erbarm.« Er seufzte tief. »Man muß es auch einmal einem Menschen sagen.« Das setzte er so halb entschuldigend hinzu. »Man ist auch nur ein Mensch. Und manchmal will einem das Kreuz zu viel sein.« Dann ging er ins Haus. Rosel stand noch eine Weile auf demselben Fleck. Sie kannte sich selbst nicht mehr recht. Sie hatte jetzt so viele Gedanken. Manchmal schien ihr das Leben so schön zu sein, so schön. Und manchmal kam eine jähe Furcht über sie, aus der sie sich nicht zu retten wußte, ein Grauen vor etwas Schrecklichem. Weltangst hat einmal einer diese Furcht genannt. Sie hatte einmal »ihrem Paul« davon erzählen wollen. Der hatte sie ausgelacht. »Was du für ein Närrchen bist, ein liebes, nettes, dummes,« hatte er gesagt. »Wer wird denn so viel denken? Du mußt lustiger sein, mehr in den Tag hinein leben. Das tue ich auch und befinde mich gut dabei. Was Zukunft! Wenn die Gegenwart schön ist, muß man zufrieden sein.« »Ja, aber unsere Zukunft?« hatte sie einmal zu sagen gewagt. Das Herz klopfte ihr bis in den Hals herauf dabei. Er sah ein wenig ärgerlich aus, aber nur einen Augenblick. Dann lächelte er wieder. »Unsere? Wie ängstlich sie das sagt. Schön wird sie, immer schöner. Wie? das kann ich noch nicht sagen, das muß man eben abwarten. Wenn man noch so jung ist wie wir.« Er legte den Arm um sie, es war auf einem einsamen Feldweg. »Ist ja ein Unsinn, sich den schönen Tag zu verderben mit so ernsthaften Reden. Komm, nun sei wieder lustig, das steht dir viel besser.« Es hatte Rosel einen Stich gegeben. Ihr hätte es den Tag nicht verdorben, wenn er auf ihre Bängnis eingegangen wäre. Ein einziges Wort, ein festes, gerades, hätte ihr geholfen. Aber er war dann wieder so zärtlich und verliebt und Rosel dünkte es fast Sünde, daß sie nun nicht auch sorglos und froh sei. Sie wollte es sein. Er zweifelte ja auch nicht an ihr. Ach nein, sie wollte auch nicht zweifeln.
Am Sonntag drauf ging sie vormittags in die Kirche. Die Herrschaft aß auswärts, da ließ sich's machen. Sie hatte so einen Zug darnach gehabt. Aber als sie drin saß, jagte ein Gedanke den andern, es wurde ihr nicht wohl, keinen Augenblick. Sie war hier nicht zu Hause und in sich selbst auch nicht. Nachher besuchte sie die kranke Frau. Das hatte sie lang nicht getan, sie stand fast scheu unter der Tür. Der Mann war zum Ausgehen gerüstet, er war nur geschwind heimgekommen in einem freien Augenblick. Rosel sah, wie er den Arm um die kranke Frau gelegt hatte und ihr mit der freien Hand sachte über die schmalen Wangen strich. »Adieu, Anne,« sagte er gepreßt, »ich bliebe gern da, aber du weißt ja, ich kann's nicht machen. Am Sonntag schon gar nicht. Also der Georg gibt dir die Suppe, sie steht auf dem Ofen, und auch die Milch für das Kleine.« »Ja, geh' nur, Mann,« sagte die Kranke. »Es geht mir gut heut', du darfst dich nicht so absorgen. Wart' nur, wenn ich wieder auf bin, dann will ich dich aber auch pflegen, du bist ein Guter.« Der Mann wandte sich um und ging der Tür zu. Es dünkte Rosel, sie habe noch nie so ein solches Maß von gewaltsam ersticktem Schmerz auf einem Menschengesicht gesehen. Er konnte aber gleich wieder reden. »Da kommt ja Besuch,« sagte er und tat noch heiter. »Da kann ich dann gut gehen. Bleiben Sie nur auch eine Weile da, Fräulein Rosel. Man muß jetzt Fräulein sagen. Sie sind eins geworden, weiß nicht wie's kommt. Nicht wahr, Anne?« Dann ging er. Rosel hatte sich einen Stuhl genommen und saß an dem Bett der kranken Frau, verlegen nach einem Gesprächsanfang suchend. Diese hatte das Kleinste bei sich im Bett. Es war in ein wollenes Säckchen gesteckt, hatte das runde Köpflein an die Seite der Mutter hingehuschelt und schlief, eins der Fäustchen ins Mäulchen geschoben, so weit es nur gehen wollte. »Wie ruhig es schläft,« sagte Rosel, um nur etwas zu sagen. »Ja,« sagte die Frau und ein tiefernster Zug ging über ihr Gesicht, »ja, das hat noch gut schlafen. Das weiß noch nichts von dem, was kommt im Leben. Vielleicht hat es bald keine Mutter mehr, wer weiß? Ach nein« – als Rosel etwas herausbrachte von bald wieder gesund sein – »ich weiß es wohl, wie ich dran bin. Manchmal denke ich, den Kindern zulieb und dem Mann, der mir noch ganz erliegt, könnte der liebe Gott schon ein Wunder tun. Aber es scheint nicht, daß er's tut. Das müßte jetzt bald kommen. Sehen Sie, wenn man so an das alles denkt, da möchte man schon sein wie so ein kleines Kind. Augen zu und einschlafen und alles vergessen. Wie wär' das so gut. Wiewohl,« fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, »man lernt's ja auch nach und nach, es hält schwer, aber man lernt's doch. Still sein, sich's recht sein lassen, sich nicht so abquälen. Weil Er's schon recht macht.« Sie schloß einen Augenblick die Lider und sah sehr erschöpft aus. Als sie sie wieder öffnete, lag ein inniges Leuchten in ihren Augen.
Rosel wußte nicht, wie ihr geschah. Das war so ein Elend, so ein Jammer, es wollte einem das Herz umwenden. Und dazu sagte diese Frau: »Man lernt still sein, sich nicht abquälen. Weil Er's schon recht macht.« Und sah dazu so friedlich aus, so tapfer und stark, trotz der Schwäche. Rosel hatte ein paar oberflächliche Trostworte bei der Hand gehabt, wie man sie so heraussagt, um nicht auf den ganzen Ernst der Lage zu kommen, schonende, rücksichtsvolle Worte vom Frühling, der Besserung bringe, und von ebenso schweren Fällen, in denen es auch gut geworden sei. Die waren hier nicht am Platz; das fühlte sie nun. Denn hier war mehr und Besseres. In aller unscheinbaren Schlichtheit eine Kraft, die Herr wurde über die Weltangst für Mann und Kinder, und über die Todesangst für sich selbst. Sie konnte nichts sagen, es fiel ihr gar nichts Passendes ein. In der einen Zimmerecke saßen die drei Kinder, mäuschenstill, mit großen, runden Augen den Besuch betrachtend. Sie waren das Ruhigsein gewohnt allmählich. Rosel beugte sich zu der kleinen Gruppe herunter. »Ich habe etwas Gutes für euch,« sagte sie und zog eine Tüte mit Backwerk aus der Tasche. Die hatte sie unterwegs eingekauft, nun war sie froh, eine Ablenkung zu haben. Die ernsthaften Gesichter hellten sich auf, so etwas kam selten vor. Butterbretzeln, mit Zuckerguß darauf, das war ja wie am Christtag. Sie wurden ganz keck während des Einbeißens und taten auch die stummen Mäulchen auf. So etwas löst. »Kriegt die Mutter auch eine Bretzel?« fragte Georg, der Älteste, mit seinem über die Jahre altklugen Gesicht. »Ich habe keine mehr,« sagte Rosel. »Aber ich bringe ihr auch etwas Gutes.« Sie mußte sich ordentlich einen Ruck geben, um das zu sagen, was ihr eben eingefallen war. »Ich dachte, ich könnte Ihnen hie und da etwas mitkochen bei uns drüben. Oder, es bleibt so oft Essen übrig. Wenn Sie nichts dagegen haben, frage ich die Frau. Sie ist nicht unrecht, geizig ist sie gar nicht.« Es war ihr fast, als müsse sie sich entschuldigen, daß sie dieser Frau etwas anbiete. Aber es leuchtete ordentlich auf in dem schmalen Gesicht der Kranken. »Das ist gut,« sagte sie, »das danke ich Ihnen. Mein Mann ist immer so in Sorge, daß ich nicht genug gepflegt werde, das wird ihn aufmuntern.«
»Und wenn Sie's nicht übel nähmen,« fuhr Rosel fort, »ein wenig sauber machen könnte ich auch manchmal. So einen Augenblick hie und da finde ich schon heraus. Und so ein paar Sachen von den Kindern mitwaschen, ich habe ohnehin Wäsche diese Woche.« Sie kam ganz in Eifer. An das alles hatte sie gar nicht gedacht vorher, sie hatte nur der kranken Frau einen Besuch machen wollen. Aber nun tat es ihr selber wohl, zu sehen, wie diese aufatmete. »Ach, das ist fast noch besser,« meinte die Frau. »Es sieht so greulich aus überall und mein Mann wird so mutlos dabei, obgleich er's nicht merken lassen will. Das lohn' Ihnen der liebe Gott. Sie sind ein braves Mädchen, Rosel.« »Meinen Sie?« Rosel lachte vergnügt. Das tat ihr wohl, das mochte sie gern hören. Herr Hegelein sagte ihr auch allerlei Liebes, wunderbare Sachen hie und da, und dann sah er sie an dazu, daß es ihr heiß und unruhig zu Mute wurde. Aber so ein einfaches, dankbares: »Sie sind ein braves Mädchen,« von der kranken Frau, das war wieder anders. Das wollte sie ja auch sein und bleiben, bis – nun ja, bis sie einmal eine brave Frau würde. Auch eine getreue, rechte Frau, jawohl. Nur, hoffentlich ging's ihr dann besser, als dieser hier. Aber schön war's doch, wie der Kutscher so zart und so geduldig war mit seinem Weib, er hatte ja ein ganzes Herz voll getreulicher Liebe in den Augen, wenn er sie nur ansah. Rosel versuchte, sich ihren Paul so vorzustellen, als sie schon längst wieder drüben herumhantierte. Und darüber wurde sie rot und verlegen und lachte sich selbst aus: »Er hat recht, ich denke viel zu viel. Ich kann ja doch auch sagen, wie die Frau da drüben: ›Der liebe Gott wird's schon recht machen.‹« Es war aber doch wieder anders als dort, das fühlte sie nebenher. Sie hatte den lieben Gott eigentlich doch recht wenig in ihre Liebesgeschichte hineinreden lassen bis jetzt.
Er hat es dann doch »recht« gemacht. Aber das tut er ja immer. Es kommt nur drauf an, wie man's ansieht.
Doch, das ist eine Zwischenbemerkung.
Es war im Mai. Auf der Schwelle der Hinterhauswohnung saßen die Kinder des Kutschers. Georg schob das Wägelchen mit dem Kleinen mechanisch hin und her, es lag ruhig drin, ein mageres, elendes Dinglein, und lutschte an seinem Schnuller. Es war schon seit einiger Zeit so hinfällig, man wußte nicht recht, was ihm fehlte. »Die Mutter fehlt ihm, das ist das meiste,« sagte der bedrückte Mann, wenn er nach Hause kam und es so mutlos ansah mit seinen Augen, in denen alles Licht erloschen schien. Die drei Größeren waren gesund, aber wie ernsthaft saßen sie herum auf ihrer Türschwelle, bis der Vater nach Hause kam und der Georg das Essen holte im Einsatz. Und überall guckten Kniee und Ellbogen heraus und die Hemdchen hatten schon alle Farben. Jetzt war es drei Wochen her, seit die Mutter tot war. Wie lag das dumpf über dem Hause. Wie war das anders gewesen, als sie nur noch dagewesen war, in ihrer Schwachheit noch den Georg anleitend, hie und da einen Riß zustopfend, und immer noch ein Lächeln, und immer noch ein gutes Wort. Aber das war nun dahin, das kam nie mehr, es mußte nun eben auch so weitergehen. Die Kinder wußten's ja nicht so, was ihnen widerfahren war, wenn sie auch jetzt hinlebten wie Pflänzlein, die man aus der Sonne in den Schatten gestellt hat. Rosel kam über den Hof. Sie trug einen Korb voll Holz vor sich her und nickte nur so flüchtig nach den Kindern hin. Aber als sie schon vorbei war, kehrte sie nochmals um, stellte ihre Last ab und nahm den zweieinhalbjährigen Friedrich auf den Arm. »Du armer Schelm,« sagte sie, »du lieber, kleiner Kerl. Lach' einmal; kannst nicht mehr lachen?« Sie küßte ihn auf sein rotes Mäulchen. »Da, Annele, krabbel' dir einmal den halben Wecken aus meiner Tasche. Spielet ihr denn gar nicht? Georg, spiel' doch auch mit den Kleinen.« Aber Georg war nicht aufs Spielen eingeübt, er war keine lustige Kindsmagd. Sie waren alle miteinander nicht lustig, es hätte viel dazu gehört, sie dazu zu machen. Ein ganzer Strom von Liebe hätte dazu gehört, und wer hatte die? Rosel brauchte alles, was sie davon auftreiben konnte, an einem andern Ort. Sie war nicht mehr die alte Rosel. Nicht mehr das ruhige, kernhafte Mädchen von sonst. In ihren Augen brannte ein unruhiges, flackerndes Licht. Es stand ihr nicht. Der Kutscher Walz sah sie manchmal so von der Seite an und schüttelte den Kopf. Sie hatte seiner Frau so manches Liebe getan in den letzten Monaten. Und manchmal war sie plötzlich von einer aufflammenden Zärtlichkeit gegen die Kinder. Er dankte ihr alles so sehr und darum sorgte er sich um sie. Dafür hatte er noch Raum in sich trotz seines schweren Kummers. Er hatte ihr neulich gesagt, daß er nächstens ausziehe und sie gebeten, doch auch noch nach den Kindern zu sehen, wenn sie in der neuen Wohnung seien. Aber er mochte sie nicht fragen, warum sie so verändert sei. Er hatte ja doch keine Macht, ihr zu helfen. »Sie glaubt mir's doch nicht, wenn ich ihr sage, daß es nicht die rechte Art hat mit diesem windigen Herrchen,« sagte er sich traurig. Er sah die Welt mit andern Augen an als Rosel, und er konnte ihr nicht die seinigen geben. Es wird wohl so gut sein müssen, daß man das nicht kann.
Rosel war auf der Treppe dem Briefträger begegnet und hatte ihm einen Brief abgenommen. Nun stand sie in ihrer Kammer und las. Schweratmend, mit Herzklopfen las sie die leidenschaftlichen Worte ihres Liebsten. »Wie er nur so sagen kann? Woher er das alles nimmt?« dachte sie. Sie sah immer dazu die Augen vor sich, mit denen er sie am Sonntag angesehen hatte, heiße, verlangende Augen. »Wie er mich liebt,« dachte sie. Es riß sie mit fort, es brannte immer mehr in ihr. »Und doch eilt er nicht mit dem Heiraten. Es wäre doch zu machen, und dann wären wir beisammen, für immer, und diese Unruhe hätte ein Ende.« Das stieg ihr immer wieder auf. Warum nur, warum? Und dann nahm sie sich wieder vor, zu warten. Er mußte es ja besser wissen als sie. Rosel hätte so gern einmal an seine Eltern geschrieben. Sie war ja doch seine Braut, sie wollte nicht zweifeln, daß sie das sei, und sie trug ein Ringlein mit einem Vergißmeinnicht von ihm am Finger. Aber davon wollte er nichts wissen. »Das hat noch Zeit, Schatz,« sagte er. »Wir wollen's noch für uns behalten. Es ist so schön, so in der Stille, so heimlich einander lieb haben. Wenn's dann Zeit ist, will ich sie schon herumkriegen.« Da ließ sie's denn. Er konnte alles so überzeugend sagen, sie mußte alles zugeben.
Es war eine wunderliche Art zu beten. Aber Rosel betete doch in dieser Zeit. Ihre unruhige, leidenschaftlich aufgestörte Seele mußte irgendwo Anker werfen. Sie hätte gern ihr Glücksschifflein in stille Wasser gebracht und hätte gern ein Ende der sehnsüchtigen Unruhe gehabt. »Ach lieber Gott, mach' doch, daß er's jetzt denn einmal sagt, das, was ich möchte. Ich bin nicht gern so heimlich. Ich möcht's gern recht haben, offen und brav. Und ich lieb' ihn doch so, und hab' sonst niemand. Und er liebt mich so, daß mir's oft angst wird davor. Du kannst gewiß machen, daß es gut kommt und recht, und auch bald.«
Wenn, der das menschliche Herz mit all' seinen tiefen Gründen geschaffen hat, nicht wüßte, wie er solch ein Rufen zu nehmen hat! Wenn er nicht wüßte, was des Hungers und der Unruhe und der Sehnsucht allertiefster Grund ist! Aber er weiß es. Die da rufen in der Verwirrung und mit dem Brand der Leidenschaft in sich, die bitten nicht um Erlösung, sondern um Erfüllung. »So muß es kommen, denn ich muß umkommen, wenn es anders kommt,« ist der Schrei des wunscherfüllten Herzens. Denn es weiß nur, was es möchte, nicht, was ihm frommt. Aber er weiß es.
Es war ein warmer Juniabend. In den Gärten duftete es nach Rosen und Jasmin und der Holunderstrauch stand voll schwerer, weißer Dolden. Leise, ganz leise rauschte von fernher der Neckar. Am Himmel zogen gespensterhafte Wolkenschatten über den Mond hin. Ein junges Paar ging langsam durch die Straßen. Sie kamen aus einem Vorstadttheater und waren noch voll von dem Eindruck, den ein süßes, verliebtes Schauspiel auf sie gemacht hatte. Die schmeichelnden Melodieen klangen ihnen noch in den Ohren und allerlei anderes gaukelte dazwischen herum. Sie kamen jetzt gerade durch stille Straßen, wo Gärten vor und neben den Häusern waren und fast niemand mehr ging. »Nun, hast du jetzt gesehen, daß du auch einmal ins Theater kannst, Rosel?« fragte er. »Ist's nicht leicht gegangen heut abend? Ich hole dich bald wieder einmal.« Sie nickte nur, es war ihr schwer zu Mute, so ahnungsvoll; wie in einem Traum, aus dem man sich selbst aufrütteln möchte und den man doch weiter träumt, ging sie an seiner Seite weiter. Er war nicht recht zufrieden. »Du bist dösig,« sagte er, »du sagst auch gar nichts.« »Ich kann's nicht so sagen, das weißt du ja, ich fühl's doch, daß es schön war. Ich kann nicht so reden wie du.« Das wußte er, das war ja wahr. Eigentlich gefiel's ihm auch nicht übel, so hatte er umsomehr das Wort. Aber jetzt verstummte auch er. Mit so merkwürdig brennenden Augen sah er das Mädchen an, so fest preßte er ihren Arm an sich; sie war zum ersten Mal froh, daß sie an ihrem Haus angelangt waren. Sie steckte leise den Schlüssel ins Schloß und drehte auf. »Gute Nacht,« sagte sie schnell, »auf Wiedersehen.« Er aber schlüpfte an ihr vorbei ins Haus, eh' sie sich's versah, und in dem dunklen Hausflur riß er sie an sich wie noch nie und flüsterte ihr heisere Worte zu. Der Dämon war wach geworden, er hatte sich lang ducken müssen. Da fiel der Traum von Rosels Seele. Mit all' ihrer jungen Kraft riß sie sich los. Sie konnte nicht denken, nicht reden, nur die Treppen hinauffliegen, wie gejagt, und sich in ihre Kammer verkriechen hinter Schloß und Riegel. Da saß sie zitternd auf ihrem Koffer. Erst als der Morgen graute, legte sie sich aufs Bett.
Das war ein häßlicher Morgen. Als das Mädchen wie zerschlagen herunterkam, wurde es hereingerufen. Man hatte entdeckt, daß sie fort gewesen sei. Das gab Anlaß zur Entlassung; Rosel war unnötig gut bezahlt für solch leichten Dienst. Das war schon lang besprochen. Und dazu war sie in letzter Zeit gar nicht mehr so recht nach Wunsch gewesen. Es war eine unerquickliche Scene. Das Mädchen sagte nicht viel. Was sollte es sagen? Es war ihm so dumpf und schwer zu Mute, so unsäglich grau und traurig. Es konnte auch nicht denken und Pläne machen. »Es ist aus, es ist alles aus,« das ging in unaufhörlichem Wirbel durch Hirn und Herz. Und dazwischen horchte Rosel doch nach dem Briefträger. Vielleicht schrieb er. Es mußte ihm ja leid sein, daß er sich so gehen ließ, vielleicht bat er um Verzeihung. Vielleicht hatte diese Nacht einen guten, tüchtigen Plan in ihm gereift. Ach wie vielerlei Vielleicht gab es. Aber der Tag ging hin und der nächste auch und dann noch einer und noch einer. Rosel hätte sich nach einer neuen Stelle [umsehen] sollen, das neue Mädchen sollte in den nächsten Tagen kommen. Aber sie tat es nicht. Sie wartete nur noch, jeder Nerv wartete. Sie dachte mit Grauen an jenen Abend und doch mit noch größerem Grauen an die leere, dunkle Zukunft. »Er ist auch ein Mensch,« dachte sie, »man muß verzeihen. Er ist sonst so gut. Er wird das auch gutmachen. Er liebt mich ja und ich ihn. Doch, dennoch.« Tausendmal sagte sie sich das vor. Sie war krank in Hirn und Herzen. Da kam ein Brief. Er trug einen fremden Poststempel. »Ich hatte es dir schon lang sagen wollen, daß ich eine Stelle im Ausland angenommen habe, aber ich kam nie dazu. Jetzt bin ich in Paris. Wir hätten ja nie zusammengepaßt, wir sind zu verschieden. Vergiß mich. Ich denke noch gern an unsern hübschen, harmlosen Verkehr.« Das war das Ende.
Es war am Sonntag Nachmittag. Morgen sollte das neue Mädchen kommen. Rosel hatte gepackt, obgleich sie noch nicht wußte, wohin. Jetzt ging sie langsam durch die Straßen. Eigentlich wollte sie eine Stellenvermittlerin aufsuchen. Aber sie hatte nicht recht auf den Weg acht gehabt und war neben hinaus gekommen. Dort floß der Neckar, man sah ihn durch das Ufergebüsch schimmern an einer Stelle, wo kein Haus stand. Dann war er wieder verdeckt. Der Neckar floß auch daheim, an dem kleinen, niederen Haus vorbei, wo Rosel daheim gewesen war. Was lag alles dazwischen, seit sie das zum letzten Mal gesehen hatte. Damals hatte sie das Leben noch nicht gekannt, und sich selbst nicht und die Menschen nicht. Ach, man konnte nicht anfangen zu denken. Es war alles verwüstet und zerschlagen, es war ja wohl nichts mehr aufzurichten. So öd, so grau, so häßlich alles, so ganz anders als vordem, wo es ihr auch öd und leer vorgekommen war. Es war so grausig jetzt, so erlogen all' das Schöne, an das sie geglaubt hatte mit aller Kraft ihres Herzens. Und dort floß der Neckar. Wie wohltuend dieses gleichmäßige Rauschen war. Es müßte gut tun, da so hineinzusehen lang und still. Wenn man's doch vergessen könnte, alles, alles, nur auch eine Weile. Oder ganz, für immer, das wäre am besten. Nein, Rosel dachte nicht daran, ins Wasser zu gehen, obgleich sie sich Vergessen wünschte. Sie hatte einmal, daheim, einen Mann gesehen, den man aus dem Wasser gezogen hatte. Es war ein schrecklicher Anblick gewesen. Nein, sie wollte sich nicht töten, sie wollte gar nichts, sie war zerschlagen und zerbrochen. Jetzt stand sie aber doch am Neckarufer. Hier, an dieser Stelle, waren niedrige, alte Häuser ganz nah ans Wasser gebaut. Am Werktag mußte da gewaschen werden, denn es lagen und standen noch einige vom Gebrauch glänzend glatt geriebene Bretter und ein paar hölzerne Böcke, wie sie die Wäscherinnen benützen, herum. Da waren auch ein paar Kinder, die so herum spielten. »Die sind auch nah am Wasser,« dachte Rosel, »da ist's nicht leicht, Kinder hüten.« Sie sah aber nicht weiter hin. Es war ihr so einerlei, was um sie her vorging, und sie wollte auch wieder weitergehen, sie mußte sich ja schließlich doch nach einem Unterkommen sehen.
Sie hatte sich schon zum Gehen gewandt, da rief eins der Kinder: »Rosel.« »Es ist die Rosel,« riefen dann zwei und liefen, was die kleinen Füße hergaben, auf sie zu. Das dritte wollte auch hintendrein laufen. Aber da stolperte es über ein Brett, das hart am Ufer lag und noch ein Stück weit ins Wasser hereinragte. Es purzelte drauf hin, und das Brett überschlug sich. Da fiel der kleine, schwere Körper mit schwerem Aufklatsch ins Wasser. Die Kinder hatten es nicht gesehen, sie waren zu eilig im Lauf und eifrig in ihrer Wiedersehensfreude gewesen. Es war ja der Georg und das Annele aus dem Hinterhaus, die wohnten nun hier. Rosel aber hatte sich eben umgewandt nach den rufenden Kinderstimmen. Sie sah den Vorgang, so schnell er geschah. Die Zwei waren verdutzt, daß Rosel an ihnen vorbeistürzte wie gejagt, sich über die niedrige Ufermauer hinabließ und sich dort ganz und gar ins Wasser bückte. Es trieb etwas gegen sie her. Jetzt fuhr dem Georg aber auch ein Schreck in die Glieder. Das war ja der Friedrich, sein Schäflein, das er hüten mußte und das nun ins Wasser gefallen war. Es dauerte nicht lange, bis Rosel mit ihrer Last aus dem Wasser stieg, triefend freilich, und das Kind hatte geschlossene Augen und herabhängende Glieder. Aber der Georg war schon froh, daß Friedrich nicht fortgeschwommen war. Wenn sich Rosel vor einer Weile gewünscht hatte, alles zu vergessen, was sie drücke, so hatte sie das für den Augenblick wenigstens erreicht, denn nun war all' ihr Denken und Fühlen in Anspruch genommen. Georg mußte fort und den Vater suchen, Annele zeigte den Weg ins Haus und die Stuben. »Ja, habt ihr denn gar niemand, der für euch sorgt und nach euch sieht?« fragte Rosel. »Doch, am Morgen ist allemal eine Lauffrau gekommen,« berichtete Annele, »aber bei Tag sind wir allein. Und,« setzte sie nach einer Weile hinzu: »sie hat sich auch den Fuß übertreten, jetzt kommt sie glaub' ich nicht mehr.« Friedrich hatte eine Wunde am Kopf, vielleicht von einem spitzen Stein an der Strandmauer. Während Rosel sie verband, machte er seine blauen Augen auf. Er war scheint's nur ein wenig betäubt gewesen. Nach einer Weile schlief er in Rosels Armen ein, tief und fest. Sie hatte ihm nur gerade trockene Sachen anziehen können.
Als der Vater kam, blaß vor Angst und Schrecken, fand er eine liebe, kleine Gruppe. Rosel mit dem schlafenden Kinde und Annele auf einem Schemel sitzend mit dem Köpfchen auf ihrem Knie. Georg schlich hinter dem Vater drein wie ein armer Sünder. Er hatte den Hergang erzählt: »Ich hab' den Friedrich ins Wasser fallen lassen. Die Rosel hat ihn herausgezogen. Aber er schreit gar nicht und hat die Augen zu.« Er kam sich schuldig vor, der kleine Kerl mit seinem Pflegmuttergesicht und seinen sechs Jahren. Aber es ging gut ab. Der Vater kam sich auch schuldig vor, daß er die Kinder allein gelassen hatte. »Wenn Sie nicht gekommen wären, Rosel, und das Kind wär' ertrunken, ich hätte mein Leben lang keine Ruhe mehr gehabt. Was ist das für ein Segen und wie muß ich Ihnen danken.« Etwas Besseres hätte dem wunden Gemüt des Mädchens gar nicht widerfahren können als dieses ganze Erlebnis und nun noch der warme, aufrichtige Dank des Vaters, dessen vergrämtes, sorgendurchfurchtes Gesicht vor Dank und Freude ganz belebt aussah. So war sie doch nicht ganz unnütz. So waren da doch noch Menschen, denen sie hatte etwas tun können. Und das warme Lockenköpfchen da ruhte so vertrauensvoll an ihrer Brust, das war ja alles wie Arznei. So, mit dem Kind auf dem Schoß, erzählte Rosel, so viel sie sagen konnte, von ihrer Geschichte. Der Mann ihr gegenüber hatte so ein warmes, gutes Gesicht. Und es tat ihr so wohl, ihre Last mit jemand zu teilen. Er verurteilte sie ja nicht, er tappte nicht mit groben Händen in die Wunde. Er sagte nur: »Armes Kind, das glaub' ich, daß Sie ganz verwettert sind. Aber das wird alles wieder gut. Es dauert eine kurze Zeit, dann kommen Sie wieder zurecht. Das liegt nun dahinten.« Das Kleine im Wägelchen regte sich und weinte. Und Friedrich mußte einen frischen Umschlag auf die Wunde haben. Und Rosel ging von einem zum andern, als ob sie das längst gewohnt sei. Als es Abend wurde, sagte sie zaghaft: »Sie haben niemand für die Kinder. Ich möchte sie so gern versorgen, ich glaube, ich könnte das jetzt. Wenn Sie mir's anvertrauen mögen.« Die Augen des Mannes glänzten. »Das ist ein Wort,« sagte er, »das soll uns allen zum Guten sein.« Er hätte gern gesagt, daß seine Anne in ihren letzten Tagen noch gesagt hatte: »Wenn du den Kindern eine Mutter geben mußt, es steckt ein guter Kern in der Rosel. Wer weiß, ob sie das nicht einmal wird.« Aber er hütete sich wohl, es zu sagen. Da war vorher noch vieles auszuheilen, abzuwarten, noch vieles, das erst im Keim lag, sich entwickeln zu lassen. Vielleicht konnte er so sachte ein bischen mithelfen, daß aus Verwirrung und Leid ein Segen komme, mochte dann das Ende sein, wie es wollte.
Die darauf achten, wie Gott seine Menschenkinder führt, die wissen es wohl, daß er auch in ihren unruhigen, zerfahrenen Wegen seine Hand über ihnen hat und daß er ihnen die Scheingüter, nach denen sie mit hungrigem Herzen haschen, zerschlägt, auf daß ihr Reichtum nicht außen, sondern innen sei und auf daß ihre Seelen klar und stark und friedevoll werden.