René Schickele
Himmlische Landschaft
René Schickele

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Wiesen

Ungewisse Pfade führen hindurch, Pfade, wie sie in Urwäldern unter den Sohlen der Eingeborenen entstehn – der Fremde hat Mühe, sie zu erkennen.

Von Träumen übermannt, tue ich wie als Kind und werfe mich ins Gras. Es schlägt über mir zusammen, und wenn es wieder stillsteht, ist der Himmel so fern, als erblickte ich ihn, eine Sekunde vor der Auferstehung, aus der Tiefe des Grabes.

 

Die hohen Blumen, Kuckuckslichtnelke, Storchschnabel, Skabiose, umwandeln mich, sanfte Giraffen. Der Schierling überragt sie mit seinem Schirmwipfel und wirft einen Schatten, in dem allerhand Käfer sich leiblich ertüchtigen. Das Gras ist reif, die Fahnen der Rispen leuchten gelblich, fast weiß in der prallen Sonne. Die Halme erinnern an die hohen Fahnenstangen, wie sie in Schweden vor den Landhäusern stehn.

Kein Wunder, daß sie alle beflaggt sind, es wimmelt von Gästen.

 

76 Die Gräser, vom Wind bewegt, sind gewaltige Bäume, die bis in den Himmel ragen. Ameisen klettern von einem Baum zum andern. Im Unterholz kämpfen zwei Hirschkäfer. Raubvögel bevölkern den Himmel: Hummeln und Bienen. Und ganz, ganz, ganz oben, im siebenten Himmel, wiegen sich zwei Bussarde endlos im Hochzeitsflug . . .

 

Skabiosen: aufgespießte Himmelstropfen eines schönen Tages.

Hahnenfuß: Goldknöpfe für die Joppen jener Liftboys, die Dichter und Heilige in den Himmel fahren.

Ferner sind da: Frühlingsglockenblumen von so zartem Bau, daß sie ihre Glocken kaum zu tragen vermögen. Vom Wind geläutet, brechen sie buchstäblich zusammen.

Auch bei Windstille, wenn selbst die überzarte Schale des Mohns ihr flüssiges Feuer nicht verschüttet, kann man sie läuten sehn. Dann hängt natürlich ein Lausbub von Käfer am Glockenstrang. 77

 


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