René Schickele
Himmlische Landschaft
René Schickele

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Der Kuckuck

Welch eine Reklame für Schwarzwälder Kuckucksuhren – wenn man bedenkt: das Original kommt fast auf dem ganzen Erdball vor, und überall ruft es die treffliche Marke aus! Keine Fabrik könnte das bezahlen.

 

Hörst du ihn zum erstenmal, freut sich das Kind in dir. Eine Tür wird aufgerissen, er meldet den Frühling an wie ein in Brauch gerittener Diener einen Besuch.

»Kuckuck« heißt in der Weltsprache »Frühling«.

 

Der ganze Wald wird zu seinem Echo. Er probiert es von allen Seiten aus.

 

Was ist ein Specht gegen ihn! Der Specht trommelt auf einem einzigen Baum. Und dazu noch so hastig, so gierig, man hört ordentlich, wie er Hunger hat . . . Der Kuckuck paukt auf dem Frühlingstag selbst. Feierlich wie ein Priester, der den Tempelgong schlägt.

52 Hinter der zeremoniellen Haltung versteckt sich freilich der gefräßigste aller Vögel.

Man sagt, wer Geld in der Tasche habe, wenn er ihn höre, der werde reich. In diesem Fall wären wir längst Millionäre.

 

Weil auch die richtigen Vögel singen und der Wind über die Bäume streicht und die Blumen in den Wiesen tanzen, während er die zwei, drei Töne ausstößt, die klingen, als schlage das hohlste Geschöpf der Welt sich an die Brust – hält er sich für den Star im Tonfilm des Frühlings und bleibt unsichtbar vor dem Volk. Er meint, sein Gesang genüge, um ihn unwiderstehlich zu machen.

 

Jeder Kuckuck hat sein Reich, über das er selbstherrlich gebietet – solange nichts los ist.

Er mag den ganzen Tag sein Reich mit majestätischen Paukenschlägen beherrscht und gegen jeden Eindringling behauptet haben, sobald das Weibchen seinem Lockruf folgt und in seinem Revier einkehrt, ist es aus mit der Majestät. Alle Ordnung bricht zusammen, sogar die Eifersucht.

Auf das aufreizende Kichern »Higigigik« des Weibchens verlieren die Selbstherrscher der benachbarten Königreiche Kopf und Krone und stürzen in selbstvergessener Wildheit herbei. Und der Arme, kaum beglückt, 53 muß zusehn, wie sie sich einem nach dem andern hingibt – wenn ihm nicht gar der Nebenbuhler zuvorkommt und er, der sie angelockt hat und beinahe schon besaß, um einen Platz und noch einen und noch um einen zurückmuß.

 

Angesichts des Weibchens bekämpfen sie sich nicht, aus Angst, es könnte die Verwirrung nützen und ihnen entwischen. Und aus der gleichen Berechnung stören sie einander auch nicht auf dem Höhepunkte der Bemühung.

 

Wo sollte unter diesen Umständen das Kuckucksweibchen die Zeit hernehmen, ihre Eier selbst auszubrüten? Auf ein Weibchen kommen zwei und drei Männchen. Das Weibchen hat also gut kichern, wenn der Wald von den rasenden, gar nicht mehr majestätischen Paukenschlägen seiner Buhlen widerhallt!

 

Sie fliegt wie der Teufel, nachdem sie sich dem Männchen gezeigt hat, und je mehr Freier hinter ihr her sind, desto akrobatischer turnt sie zwischen den Wipfeln und im Geäst. Wer sie erreicht, darf Hochzeit machen, sie leistet nicht einmal jenen Widerstand, der eine Form der Gefallsucht ist.

Manchmal werden die Hochzeitsflüge von einer Schar 54 plänkelnder und fest zubeißender Singvögel begleitet . . . Kein Wunder, sie wissen, was ihnen bevorsteht! Sie sind um so erboster, als sie es meistenteils nicht hindern können. Sie, sie allein, werden die Eier ausbrüten und die Jungen dieser Strolche großziehen. Und was für Junge! Häßliche, krötenähnliche Tiere mit dem nichtswürdigsten Charakter, der sie befähigt, die Jungen der Zieheltern aus dem Nest hinauszuwerfen und dem Hungertod zu überliefern. Denn ein junger Kuckuck frißt für sich allein mehr als zehn Familien von Singvögeln. Die Zieheltern werden die eigene Brut verderben lassen und Zwangsarbeit verrichten, um den unablässig sich beschwerenden Kuckuck zu füttern, und ihm dann, wenn er flügge geworden ist, lange nachlaufen – traurig, daß ihr Stiefkind nach Ausrottung des legitimen Nachwuchses schließlich auch sie durch Nichtachtung gewissermaßen aus der Welt schafft.

 

Es gibt faule und phantasielose Weibchen. Sie nehmen sich nicht einmal die Mühe, zu tanzen und ihre Liebhaber zu prüfen und sich an deren Feuer zu entzünden. Vielmehr setzen sie sich einfach hin, kichern das Allernötigste und empfangen die Herrenbesuche, wie sie kommen.

 

Auf seine Art ist das Kuckucksweibchen treu. Es stellt sich jedes Jahr mit dem gleichen Männchen ein. Der 55 Doktor, von mir befragt, meinte: »Vielleicht leiden Männchen wie Weibchen an einer Bewußtseinsspaltung während der Liebeszeit.«

Und er lachte und zuckte die Achseln wie ein Käuzchen.

 

Wir dürfen noch von Glück reden! Der Waldrand und der Garten sind von wehrhaften Singvögeln dicht bevölkert. Der Kuckuck läßt sich nur selten hier nieder und muß dann bald der Übermacht der Spechte, Häher und Drosseln weichen. Diese Bürgerwehr verfügt über spitze Schnäbel und treibt die Selbstverteidigung bis zum äußersten. Unser Waldrand bildet die noch nicht unterworfene Ecke des Reiches.

 

Deshalb finden sich hier auch niemals Kuckuckseier in den Nestern. Die Kuckucke legen ihre Eier mit Vorliebe in Familien ab, in denen sie selbst groß geworden sind und wo die Eier den ihren so gleichen, daß die Zieheltern keinen Unterschied merken. Solange es also einem Kuckucksweibchen nicht gelingt, sich hier bei Nacht und Nebel zum Legen einzuschmuggeln, bleibt der Waldrand sauber. Glückt es freilich ein einziges Mal, wird nichts mehr die Invasion aufhalten.

Vorläufig residieren die Souveräne mit ihren lockeren Gemahlinnen mehr im Westen. Da es aber der Westwind ist, der Regen bringt, und die Kuckucke gerade vor dem 56 Regen in tolle Betriebsamkeit verfallen, hören wir sie noch immer mehr als genug.

 

Zuletzt wird es einem nämlich zuviel, und man stellt fest:

»Der Kuckuck blökt sonor. Er ist ein Schaf auf der Seelenwanderung.« 57

 


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