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Viertes Kapitel.
Sturm und Drang.

Die Stürmer und Dränger oder Kraftgenies. – Der Göttinger Hainbund. – Mitglieder, Tendenzen und Lebensführung desselben. – Teutonischer Patriotismus, sittlicher Rigorismus und sentimentale Schwärmerei. – Die main- und rheinländische Dichtergenossenschaft. – Herder. – Shakspeare in Deutschland. – Lenz. – Klinger. – Hamann. – Göthe. – Merck. – Lavater. – »Geniereisen.« – Die Geniezeit in Weimar. – Herzogin Amalia. – »Ein neuer Stern geht auf.« – Herzog Karl August und Herzogin Luise. – Der Weimarer Kreis. – Kraftgeniestyl. – Gäste. – Das »Wüthen.« – Theatralische Freuden und Leiden. – Ende der Geniewirthschaft.


Während der junge Schiller in Ludwigsburg auf der Schulbank saß und dann auf der Solitude und zu Stuttgart in der akademischen Clausur seinen Studien oblag oder unsicheren Schrittes die ersten Gänge in der Welt der Phantasie versuchte, hatte sich draußen in Deutschland eine literarische Revolution vollzogen, welche vielfach auch auf das soziale Gebiet herüberspielte und überhaupt in ganz unverhältnißmäßig höherem Grade, als es bis dahin der Fall gewesen, Literatur und Leben in Wechselbeziehung und Wechselwirkung setzte. Man ist übereingekommen, die Helden dieser tumultuarischen Bewegung unter dem Gesammtnamen der »Stürmer und Dränger« oder auch der »Kraftgenies« zu begreifen, und es ist die erstere Bezeichnung von ihnen selbst, die letztere von ihren Gegnern aufgebracht worden. So ein Collectivname verleitet aber leicht zu Mißverständnissen, und wenn auch wahr ist, daß sämmtlichen Stürmern und Drängern die mehr oder weniger ungestüme, mehr oder weniger rücksichtslose Fehdelust gegen alles Aus- und Abgelebte, Greisenhafte, Unzulängliche und Verrottete in Kunst und Wissenschaft, Dichtung und Wirklichkeit, Staat, Kirche und Gesellschaft, ein mehr oder weniger tapferes Sturmlaufen gegen religiöse, soziale und literarische Beschränktheit, gegen Kastenwesen und Standesvorurtheile, gegen die Zopfigkeit in Denkweise, Sitte und Tracht, als das gemeinsame Merkmal zukommt, so muß doch betont werden, daß innerhalb der »Partei der Zukunft« von damals sehr bedeutende Unterschiede und Farbennuancen vorkamen, daß man weder über den schließlich zu erreichenden Zweck noch über die anzuwendenden Mittel einig war und daß daher die Einen den Bruch mit der Vergangenheit prinzipiell, die Andern nur formell verstanden wissen wollten. Die verschiedenen Ursachen und Anregungen, deren Zusammenwirken den Anstoß zu der in Rede stehenden Bewegung gab, habe ich in der Einleitung zu meinem Buche ausreichend dargelegt, darf also, dorthin zurückweisend, hier der Wiederholung mich enthalten und kann sogleich an die drei Gruppen oder Kreise herantreten, in welchen hauptsächlich das Thun und Treiben der Original- und Kraftgenies sich sammelte. Demnach werden wir zunächst den Göttinger Hainbund ins Auge fassen, dann von der Dichtergenossenschaft reden, welche sich in den Rhein- und Maingegenden um ihren Mittelpunkt Göthe zusammenthat, und uns endlich die »Geniewirthschaft« mitansehen, welche einige Jahre hindurch am Weimarer Musenhof sauste und brauste.

An der Universität Göttingen, einem Hauptsitze der deutschen Aufklärung des vorigen Jahrhunderts, hatte sich zu Anfang der siebziger Jahre ein Kreis von strebsamen Männern und Jünglingen zusammengefunden, welche von der aufgeregten Zeitstimmung alle mehr oder weniger tief ergriffen waren: Voß, Hölty, Miller, Wehrs, Ewald, Hahn, die beiden Grafen Christian und Friedrich Stolberg, Esmarch, Clauswitz, Closen, Cramer, Klöntrup, Bürger. Die Rolle eines Mentors hatte in diesem Kreise der empfängliche, aber bedächtige Boie, welcher 1770 den Göttinger Musenalmanach gründete als einen Sammelplatz für junge Poeten. Auch Leisewitz, der Dichter des Julius von Tarent, stand dem Göttinger Kreise nahe und ebenso Claudius, unter dem Namen des Wandsbecker Boten vielgenannt, ein Sänger von Liedern, deren Schönheit selbst ihre mitunterlaufende pietistische Verdüsterung kaum beeinträchtigen kann. Die Poesie des Alterthums, mehr aber noch die englische Literatur, so eben durch die Percy'sche Sammlung alter Balladen und durch den Macpherson'schen Ossian, diese keckste und zugleich genialste aller literarischen Fälschungen, aufgefrischt, wirkten bedeutend auf die Göttinger ein. Am allermeisten aber that dies Klopstock, der Abgott dieser Jünglinge, welche die geschworenen Feinde der Wieland'schen Richtung waren, die um diese Zeit durch die Nicolay (nicht zu verwechseln mit dem Aufklärer Nicolai) und Meißner zu langweiliger Breite sich fortspann, um in Alxinger zur Plattheit und in Blumauer zur baaren Gemeinheit abzusinken. Das echteste Dichtertalent der ganzen Genossenschaft war ohne Frage Bürger, zu frühe und nicht ohne eigene Schuld vom Wirbel unglücklicher Verhältnisse verschlungen, als daß es ihm vergönnt gewesen wäre, das Gold seiner Poesie von ihren Schlacken reinzuschmelzen, aber bei Alledem als urkräftiger Balladenmeister in die Entwicklung unserer Literatur schöpferisch eingreifend. Auch in Bürger wühlte der Sturm und Drang jener nach neuen Lebensformen unsicher tastenden Zeit heftig genug, aber er war doch lange nicht hinreichend schwärmerisch, die Illusion seiner Freunde zu theilen, das Poetische würde sich in Form eines Dichterbundes auch sozial verwirklichen lassen. Der Hauptträger dieser Idee war Voß, nachmals durch Verdeutschung des Homer um die deutsche Kultur so hochverdient und bis zu seinem Tode ein unerschütterlich thatkräftiger Kämpe für Vernunft und Recht, ein Mann, ein Charakter, wie es in unserer Literatur nur wenige gibt. Von Kindheit auf hatte er die Mittel seiner Bildung der Entbehrung abgerungen und es bewegt Einem das Herz, zu sehen, welche Reinheit und Weichheit des Gefühls, welchen hochfliegenden Idealismus unter allem Druck frühzeitiger Sorgen der Jüngling sich bewahrte. Selbst da, wo diese Hingabe an das Ideal in kindliche Schwärmerei, ja mitunter selbst in thränenselige Sentimentalität sich verliert, ist sie immer noch achtungswerth, wenigstens verglichen mit dem broncestirnigen Realismus unserer Tage, und wenn andererseits der ebenso vage als überstiegene Teutonismus, welchem wir in dem Göttinger Kreise begegnen, nicht selten ein Lächeln auf unsere Lippen rufen muß, so ist darob doch nicht zu vergessen, daß es in dem erniedrigten Deutschland von damals nichts Kleines war, sich als Deutscher zu fühlen und auszusprechen. Endlich ist in dem Treiben der Göttinger ein idyllischer Zug, welcher Jeden anmuthen muß, welchem in dem Geräusch und Raffinement von heute der Sinn für Naturfreude und Einfachheit in Führung des Lebens noch nicht abhanden kam.

Voll der Begeisterung für Freundschaft, Freiheit und Vaterland, welche die Poesie Klopstock's in ihm angefacht hatte, war Voß nach Göttingen gekommen, um seine Studien fortzusetzen, und bald sammelten sich um ihn und Boie die schon oben Genannten, welche alle mehr oder weniger Dichter waren oder sich wenigstens dafür hielten. Denn es mag gleich hier gesagt werden, daß die poetischen Resultate des Hainbundes, wenn wir die Gedichte von Voß, Bürger, Hölty und etwa die des jüngeren Stolberg ausnehmen, den großen Anläufen und Erwartungen keineswegs entsprachen. Aber das Leben und Treiben innerhalb des Bundes selbst macht eine eigenthümlichste Episode der deutschen Literaturgeschichte aus. Die Briefe von Voß an seinen Freund Brückner und an seine nachmalige Frau, Ernestine Boie Im 1. Bd. der »Briefe von Johann Heinrich Voß,« herausgegeben von A. Voß, 1829., führen uns mit köstlicher und unnachahmlicher Naivetät und Frische dieses kulturgeschichtliche Idyll vor, in welchem Kraftgenialität und Empfindsamkeit seltsam genug sich mischen. Am 17. Juni 1772 deutet Voß in einem Brief an Brückner an, daß die Grundlagen des Bundes gelegt seien: – »Wir versammeln uns der Reihe nach bei einem, gemeiniglich Sonntags Nachmittags. Die Producte eines jeden – (nämlich die von jedem Mitglied des Kreises die Woche über gefertigten Gedichte) – werden vorgezeigt und beurtheilt und von Boie verbessert.« Schon Ende Septembers wird dann der Freund von der förmlichen Stiftung des Bundes der Barden – die Klopstock'sche Fiction von altdeutschem Bardenwesen wurde nämlich von den Jünglingen adoptirt – freudig in Kenntniß gesetzt: – »Ach, den 12. September hätten Sie hier sein sollen. Die beiden Miller, Hahn, Hölty, Wehrs und ich gingen noch des Abends nach einem nahegelegenen Dorfe. Der Abend war außerordentlich heiter und der Mond voll. Wir überließen uns ganz den Empfindungen der schönen Natur. Wir aßen in einer Bauernhütte eine Milch und begaben uns darauf ins freie Feld. Hier fanden wir einen kleinen Eichengrund und sogleich fiel uns allen ein, den Bund der Freundschaft unter diesen heiligen Bäumen zu schwören. Wir umkränzten die Hüte mit Eichenlaub, legten sie unter den Baum, faßten uns alle bei den Händen und tanzten so um den eingeschlossenen Stamm herum, riefen den Mond und die Sterne zu Zeugen unseres Bundes an und versprachen uns eine ewige Freundschaft. Dann verbündeten wir uns, die größte Aufrichtigkeit in unseren Urtheilen gegen einander zu beobachten und zu diesem Endzwecke die schon gewöhnliche Versammlung noch genauer und feierlicher zu halten.« Ueber die Einrichtung dieser Versammlung gibt dann ein Schreiben vom 3. November das Nähere an. »Alle Sonnabend um 4 Uhr kommen wir bei einem zusammen. Klopstock's Oden und ein in schwarz-vergoldetes Leder gebundenes Buch mit weißem Papier liegen auf dem Tische. Sobald wir alle da sind, liest einer eine Ode aus Klopstock her und man urtheilt alsdann über die Schönheiten derselben. Dann wird Kaffee getrunken und dabei, was man die Woche etwa gemacht, hergelesen und darüber gesprochen. Das schwarze Buch heißt das Bundesbuch und soll eine Sammlung von Gedichten unseres Bundes werden.« Es ging aber in den Versammlungen der Barden nicht immer so trocken her. Am 26. October schrieb Voß: »Einige Tage vor seiner Abreise nöthigte Ewald den ganzen hiesigen Parnaß zum Abschiedsschmause. Das war nun eine Dichtergesellschaft und wir zechten auch alle wie Anakreon und Flaccus. Boie oben im Lehnstuhl und zu beiden Seiten der Tafel, mit Eichenlaub bekränzt, die Bardenschüler. Gesundheiten wurden getrunken. Erstlich Klopstock's. Boie nahm das Glas, stand auf und rief: Klopstock! Jeder folgte ihm, nannte den großen Namen und nach einem heiligen Stillschweigen trank er. Nun Ramler's, nicht voll so feierlich; Lessing's, Gleim's, Geßner's, Gerstenberg's, Uzens u. s. w. und nun mein allerliebster bester Brückner mit seiner Doris. Ein heiliger Schauer muß Sie den Augenblick ergriffen haben, wie der ganze Chor, die Miller mit ihrer männlichen deutschen Kehle, Boie und Bürger mit Silberstimmen und Holty und ich mit den übrigen das feurige: Lebe! aus riefen. Jemand nannte Wieland, mich deucht Bürger war's – (ohne Zweifel, denn der Dichter der Lenore theilte die Klopstock'sche Befangenheit seiner Freunde nicht). Man stand mit vollen Gläsern auf und – Es sterbe der Sittenverderber Wieland! es sterbe Voltaire!«

Nicht selten fällt der heilige Eifer, womit die jungen Leute sich ans Dichten geben, ins Komische. So schreibt Voß am 8. November: »Bei Boie war eben der Bund versammelt und wie wir um sieben Uhr weggingen, flüsterte mir Boie ins Ohr, die Grafen Stolberg würden um neun Uhr ihn besuchen; ich sollte auch kommen. Ich ging nach meiner Stube, fühlte aber Begeisterung und wollte anfangen zu schreiben, als Hahn hereintrat. Kurz, er fühlte auch so was und wir entschlossen uns, Hölty abzufordern und wieder ins Dorf zu gehen, um die Nacht hindurch Verse zu machen. Ich sagt' es Boie; der nahm mich lächelnd beim Arm, schob mich zur Thüre hinaus und gab mir seinen Segen. Und so wanderten wir drei bei Mondschein nach Wehnde und da dichteten wir um die Wette.« Der Eintritt der beiden jungen Grafen Stolberg in den Hainbund erhöhte die Hoffnungen der Mitglieder sehr bedeutend und bei der schroffen Ständescheidung, welche damals wie im politischen so auch im geselligen Leben Deutschlands noch existirte, war diese enge Befreundung hochadeliger Studenten mit armen bürgerlichen in der That ein Ereigniß, das einem Symptom bevorstehender Umwälzungen gleichsah. Fritz Stolberg insbesondere schloß sich innig an Voß an und wetteiferte mit diesem in urteutonischer Begeisterung, wie denn der Letztere einmal (16. Juni 1773) seiner Ernestine schreibt, er sei mit dem jüngeren Stolberg und Hahn bis Mitternacht ohne Licht in seiner Stube herumgegangen und »da sprachen wir von Deutschland, Klopstock, Freiheit, großen Thaten und von Rache gegen Wieland, der das Gefühl der Unschuld nicht achtet. Es stand eben ein Gewitter am Himmel und Blitz und Donner machten unser ohnedies schon heftiges Gespräch so wüthend und zugleich so feierlich ernsthaft, daß wir in dem Augenblick ich weiß nicht welcher großen Handlung fähig gewesen wären.«

In der That, sie träumten vom Handeln, diese jungen Lyriker, während sie ihre zornschnaubenden Tyrannenoden dichteten und einander vordeclamirten. Vom »Hain«(-Bund) hegten sie eben so große als unbestimmte Erwartungen. »Es kann nicht anders sein,« schreibt Voß am 24. Februar 1773 an Brückner, »der Bund muß einmal Deutschlands Vortheil stiften, mit dem Eifer, der alle seine Glieder beseelt und dem würdigen Zuwachs, den er erhält.« Als vollends Klopstock mit dem Bunde in freundlichen Verkehr trat und dessen Tendenzen billigte, kannte der Enthusiasmus keine Gränzen mehr. »Komm her, mein liebster Bundesbruder, und umarme mich!« ruft Voß unterm 6. März 1774 Brücknern zu. »Boie hat einen Brief von Klopstock an den Bund mitgebracht. Der größte Dichter, der erste Deutsche von denen die leben, der frömmste Mann, will Antheil haben an dem Bunde der Jünglinge. Alsdann will er Gerstenberg, Schönborn, Göthe und einige Andere, die deutsch sind, einladen und mit vereinten Kräften wollen wir den Strom des Lasters und der Tyrannei aufzuhalten suchen.« Als Klopstock im Spätherbst 1774 nach Göttingen kam, wurde er von den Hainbündlern mit einer Ehrfurcht empfangen, wie sie solche keinem Kaiser gezollt hätten. Sie saßen den ganzen Tag »um ihn herum«, seinen Worten zu lauschen. Der verehrte Mann zeigte seinen Jüngern auch den Brief, vermittelst dessen ihn der Markgraf Karl Friedrich von Baden zu sich eingeladen hatte In diesem Brief des trefflichen Fürsten standen die schönen Worte: »Freiheit ist das Edelste, was ein Mensch haben kann. Die sollen Sie bei mir finden.«. Das Jahr zuvor hatte der Hainbund den Geburtstag des Christus- und Hermannssängers mit großer Feierlichkeit begangen Der Klopstockscultus war damals im Norden und Süden Deutschlands weit verbreitet, wurde aber nicht immer ungestraft geübt, namentlich in Mecklenburg nicht. Voß schrieb unterm 18. Dezember 1775 an seine Braut Ernestine: »Hab' ich Dir schon Biester's Schicksal erzählt? Er war Conrector in Bützow und feierte diesen Sommer Klopstock's Geburtstag auf dem Lande. Unter Anderm mußten einige Mädchen um einen Altar tanzen und Blumen darauf werfen. Dies ward bekannt, man hatt' ihn in Verdacht des Heidenthums und nahm ihm sein Amt.« – In Süddeutschland war insbesondere Schubart ein enthusiastischer Missionär der Klopstock'schen Dichtung. In seiner Selbstbiographie (II, 39 fg.) erzählt er, wie er während seines Aufenthalts in Augsburg öffentliche Lesestunden veranstaltete. Er las unter Anderm auch Klopstock's Messias vor und »der Erfolg war über meine Erwartung groß. Mit jedem neuen Gesang vermehrten sich meine Zuhörer; der Messias wurde reißend aufgekauft; man saß in feierlicher Stille um meinen Lehnstuhl her; Menschengefühle erwachten, sowie sie der Geist des Dichters weckte. Man schauerte, weinte, staunte und ich sah's mit dem süßesten Freudengefühl im Herzen, wie offen die deutsche Seele für jedes Schöne, Große und Erhabene sei, wenn man sie aufmerksam zu machen weiß.«. Ein Brief von Voß an Brückner (4. Aug. 1773) zeichnet das charakteristische Bild dieser Feier. »Gleich nach Mittag kamen wir auf Hahn's Stube (es regnete den Tag) zusammen. Eine lange Tafel war gedeckt und mit Blumen geschmückt. Oben stand ein Lehnstuhl ledig, für Klopstock, mit Rosen und Levkoien bestreut, und auf ihm Klopstock's sämmtliche Werke. Unter dem Stuhl lag Wieland's Idris zerrissen. Jetzt las Cramer aus den Triumphgesängen und Hahn etliche sich auf Deutschland beziehende Oden von Klopstock vor. Und darauf tranken wir Kaffee; die Fidibus waren aus Wieland's Schriften gemacht. Bote, der nicht raucht, mußte doch auch einen anzünden und auf den zerrissenen Idris stampfen. Hernach tranken wir in Rheinwein Klopstock's Gesundheit, Luther's und Hermann's Andenken, des Bundes Gesundheit, dann Ebert's, Göthe's, Herder's. Klopstock's Ode der Rheinwein ward vorgelesen. Nun war das Gespräch warm. Wir sprachen von Freiheit, die Hüte auf dem Kopf, von Deutschland, von Tugendgesang, und du kannst denken, wie. Dann aßen wir, punschten und zuletzt verbrannten wir Wieland's Idris und Bildniß.«

Gewiß konnte der ehrliche Voß, als er einundzwanzig Jahre später Wieland's Haus betrat und daselbst mit der ganzen Bonhommie des Geschichtsschreibers der Abderiten empfangen wurde, nicht ohne ein Gefühl von Scham und Reue auf dieses Autodafé zurückblicken Voß schreibt unterm 4. Juni 1794 aus Weimar an seine Frau: »Vorgestern Nachmittag kamen wir an und wurden mit Freude und Liebe empfangen. Wieland hat beim ersten Anblick Etwas, das Kälte scheinen kann; aber nur einige Unterredungen und er ist lauter Wärme. Nach Tische waren wir einige Stunden allein auf Wieland's Arbeitszimmer und er war äußerst angenehm. Er verlangte die Geschichte der Verbrennung seines Bildes. Ich erzählte sie in lustigem Tone und Wieland lachte herzlich.«. Fast aber will mir scheinen, in dem erwähnten Brandopfer verrathe sich schon ein Vorgeschmack von der Ketzerriecherei und Ketzerrichterei des später – einen Voß'schen Ausdruck zu gebrauchen – unter die »Dunkler« gegangenen Fritz Stolberg, welcher sich ja auch, wie wir seines Ortes sehen werden, durch Erlassung eines Fehdebriefes gegen Schiller den Heiligenschein zu verdienen suchte. Während seines Zusammenlebens mit den Hainbündlern in Göttingen war jedoch Stolberg ganz Feuer und Flamme, ganz Kraftgenie, dessen poetische Manifeste gegen Despoten und Pfaffen nicht selten in ein unarticulirtes Lallen der Wuth verliefen. Aus solchem aufgebauschten Zürnen fielen unsere jungen »Tyrannenerschütterer« dann häufig in die allerweichsten Rührungen, so daß man z. B. glauben könnte, es handle sich um ein ungeheuerstes Unglück, wenn Voß seiner Ernestine am 18. September 1773 den Abschied der Stolberge beschreibt: – »Der 12. September wird mir noch oft Thränen kosten. Es war der Trennungstag von den Grafen Stolberg. Der ganze Nachmittag und der Abend waren noch so ziemlich heiter, bisweilen etwas stiller als gewöhnlich; einigen sah man geheime Thränen des Herzens an. Des jüngeren Grafen Gesicht war fürchterlich. Er wollte heiter sein und jede Miene, jeder Ausdruck war Melancholie … Jeder wollte den Andern aufheitern und daraus entstand eine solche Mischung von Trauer und verstellter Freude, die dem Unsinn nahekam (ja wohl!). Jetzt wollten wir durch Gesang die Traurigkeit zerstreuen; wir wählten Miller's Abschiedslied. Hier war nun alle Verstellung, alles Zurückhalten vergebens; die Thränen strömten und die Stimmen blieben nach und nach aus. Das Gespräch fing wieder an. Wir fragten zehnmal gefragte Dinge, schwuren uns ewige Freundschaft, umarmten uns. Jetzt schlug es 3 Uhr. Nun wollten wir den Schmerz nicht länger verhalten, wir suchten uns wehmüthiger zu machen und sangen von Neuem das Abschiedslied und sangen's mit Mühe zu Ende. Es ward ein lautes Weinen.« – Natürlich konnte bei so empfindsamer Disposition auch die Liebe nicht ausbleiben. Es wurde im Hainbund eine schwere Menge von Oden und Elegieen »an die unbekannte Geliebte« gemacht, aber wenn dann an die Stelle der Phantasiebilder ein wirkliches Mädchen trat, so ging es dabei höchst ehrbar her. Diesen Jünglingen war es Ernst mit ihren Tugendgefühlen und Tugendgesängen und sie dachten nur daran, die Erwählte ihres Herzens als ehrsame Hausfrau heimzuführen. Dann und wann mischt sich in diese hainbündlerische Erotik auch ein komisch-spießbürgerlicher Ton: so, wenn der gute Voß mitten in dem ersten halb schüchternen halb ekstatischen Geständniß, womit er gegen seine Ernestine herausgeht, plötzlich nach seiner Tabakspfeife ruft »Guten Morgen, Ernestinchen!« schreibt er am 3. Febr. 1774. »Ich wollte, daß Sie in diesem Augenblick so aufgeräumt wären, wie ich. Die liebe Sonne scheint auf meinen Schreibtisch. Heida, nun gehen wir dem Frühling mit starken Schritten entgegen. Dann pflück' ich Blumen und denke bei der ersten an Ernestinchen. Dann les' ich Kleist's Frühling unter einem blühenden Apfelbaum! Dann hör' ich die liebe Nachtigall! O wie schön! wie schön! Freuen Sie sich, Ernestinchen? Wo ist meine Pfeife? Ich muß eine mit Sonnenfeuer ausrauchen. Eine neue Pfeife, die noch keine Flamme des Herds entheiligt hat. Sie brennt! So schön hat mir in drei Monaten keine Pfeife geschmeckt! Ja, es hilft Nichts, Sie müssen meinen ganzen Ungestüm anhören. Wenn sich die Natur verschönert, dann bin ich nicht zu halten« u. s. w..

Wie leicht erklärlich, zerrannen alle die großen Entwürfe und Hoffnungen des Hainbundes in Nichts. Die jungen Leute zerstreuten sich bald nach allen Himmelsgegenden und wandelten sehr verschiedene Wege im Leben. Voß heiratete seine Ernestine, zog mit ihr nach Wandsbeck, wo er, seine Uebersetzung Homer's beginnend, mit seiner jungen Gattin und mit der Familie des Wandsbecker Boten ein so idyllisch-genügsames Leben führte, daß wir Epigonen kaum begreifen können, wie man in solcher Beschränkung und Armuth nicht nur idealistisch gestimmt bleiben, sondern auch zufrieden und glücklich sein konnte. Im Herbste 1778 kam Voß als lateinischer Schulmeister nach Otterndorf im Lande Hadeln und von dort 1782 in gleicher Eigenschaft nach Eutin, wo er wieder mit Fritz Stolberg zusammentraf, aber auch den Jugendfreund durch dessen Uebertritt zum Katholicismus verlor. Später ging er nach Jena und von da endlich nach Heidelberg. Er hatte sich an der Hand der Griechen und Römer, die er verdeutschte, aus den Nebelregionen Klopstock'schen Teutonismus zu klareren Anschauungen emporgearbeitet und für das eigene Talent in der poetischen Schilderung des bürgerlichen und bäuerlichen Klein- und Stilllebens den passenden Ton gefunden, wie seine Idyllen von der Pfarrerstochter Luise und vom redlichen Dorfschulmeister Tamm unvergänglich bezeugen. Aber die Erinnerung an die enthusiastische Zeit des Hainbunds blieb dem trefflichen Manne stets eine goldene und noch im Jahre 1803 sprach er in einem Briefe an Miller in Ulm seine Sehnsucht »nach der späten Erneuerung eines ehemaligen Bundestages« aus.

Etwas früher als in Göttingen die jugendliche Kraftgenialität träumte, schäumte und – weinte, hatte sich in Straßburg um den jungen Göthe, welcher im Frühjahr 1770 zur Vollendung seiner Rechtsstudien diese Universität bezog, ein Kreis von Stürmern und Drängern gesammelt. Göthe selbst erfuhr hier wirksamste Anregungen für die Entfaltung seines Genius und zugleich wob sich im schönen Elsaß in das vielbewegte und unruhvolle Treiben des jungen Dichters die reizendste Episode seines Lebens, seine Liebe zu Friederike Brion, die anmuthige, gute und edelmüthige Pfarrerstochter von Sesenheim. Viele Jahre später, als er seine Selbstbiographie niederschrieb, ging dem alten Herrn noch das Herz auf, als er sich den Augenblick vergegenwärtigte, wo das schöne Kind zum ersten Mal vor ihn trat, »schlank und leicht, als wenn sie Nichts an sich zu tragen hätte, aus heitern blauen Augen deutlich umherblickend, die gewaltigen blonden Zöpfe vom niedlichen Köpfchen niederhängend, im kurzen, weißen, runden Röckchen mit einer Falbel, nicht länger, als daß die nettesten Füßchen bis an die Knöchel sichtbar blieben, im knappen weißen Mieder und schwarzer Taffetschürze auf der Gränze zwischen Bäuerin und Städterin stehend.« Kein Zweifel, mancher von jenen innigsten Herzenslauten, denen wir in Göthe's Werken begegnen, ist durch Friederike hervorgerufen worden. Aber der Verlauf, welchen das Verhältniß des Dichters zu diesem Mädchen nahm, kann uns auch zeigen, daß im Göthe'schen Kreise in Sachen der Liebe weit »genialischer« verfahren wurde als in dem der Hainbündler.

Als das »bedeutendste Ereigniß«, welches in seinen Aufenthalt zu Straßburg fiel, hat Göthe seine daselbst mit Herder gemachte Bekanntschaft bezeichnet. Herder war als Hofmeister eines Prinzen von Holstein-Eutin nach Straßburg gekommen und verweilte längere Zeit daselbst, um ärztliche Hülfe gegen ein schmerzhaftes Augenübel zu suchen. Fünf Jahre älter als Göthe liebte er es, diesen um der fahrigen Unruhe oder, wie sich Herder ausdrückte, um des »Spatzenmäßigen« in seinem Gebahren willen zu Hofmeistern. Trotzdem bildete sich bald ein freundschaftliches Verhältniß zwischen ihm und Göthe, denn diesen ließen die großen Vorzüge Herder's dessen Wunderlichkeiten mit guter Laune ertragen. Herder war bereits ein Mann von Ruf. In die Fußstapfen Lessing's tretend, hatte er wie dieser seine Laufbahn als Kritiker begonnen, aber, ein Product der Sturm- und Drangperiode, ging die Kritik in Herder's Erstlingsschriften (»Fragmente über die neuere deutsche Literatur« und »Kritische Wälder«) im Sturmschritt einher. Schon in diesen Jugendarbeiten jedoch ließ Herder das Wesen seiner rastlosen und umfassenden literarischen Thätigkeit durchblicken: – das Vermitteln der antiken Bildung mit der christlichen, die universelle Empfänglichkeit für die über den ganzen Erdboden hin zerstreuten Kulturschätze, das kosmopolitisch gebildete Ohr, welches die Klänge der Universalharmonie der Poesie vernahm, verstand und Andere verstehen machte. Man weiß, daß die edle Natur Herder's später vielfachen Trübungen ausgesetzt war, in Folge deren auch das herzliche Verhältniß zu Göthe zuletzt völlig sich löste. Unzufrieden, ein Geistlicher zu sein, und doch zu gewissenhaft und zu stolz, um die Pflichten seines Amtes nicht mit Würde zu erfüllen, unzufrieden mit seiner amtlichen wie mit seiner sozialen Stellung, gerieth der große Schriftsteller in älteren Jahren auch zur Literatur seines Landes in ein so unerquickliches Verhältniß, daß er die besten Geistesthaten Göthe's und Schiller's nicht mehr verstehen konnte oder wollte und sich, wie wir später erfahren werden, nicht scheute, dem Schönsten gegenüber das Elendeste anzupreisen.

siehe Bildunterschrift

11. Portrait: Herder.
Originalzeichnung von A. Neumann. Geschnitten von J. G. Flegel

In der Straßburger Zeit jedoch waren Herder's Verstimmungen und Morositäten erst nur vorübergehende. Mit offener Seele ließ er die hochwogende Flut jener Tage auf sich wirken und seine Gedichte aus dieser Periode tragen den Stempel der Kraftgenialität. Göthe ließ sich gerne von ihm belehren und Herder verstand es, dem jungen Titanen ganz neue Blicke in Wesen und Form der Dichtkunst aufzuthun. Herder drang überall auf das Ursprüngliche, verwarf das französisch Gemachte und Gekünstelte, grub mit sicherer und frommer Hand die Quellen der Volkspoesie auf und ließ nur solche Dichter gelten, welche aus diesem ewigen Jungbrunnen ihre Inspiration geschöpft hatten. So erschloß er dem Freunde die Welt Homer's, Ossian's und Shakspeare's. Wer Göthe kennt, weiß, wie diese Drei auf ihn gewirkt haben. Was insbesondere Shakspeare angeht, so ist Jedem bekannt, welches wichtige Moment in der Aufschwungsgeschichte unserer Literatur die Bekanntschaft mit diesem Heros abgab. Und doch war es noch gar nicht lange her, seit der Name Shakspeare's in Deutschland bekannt geworden. Zwar hatte denselben Georg Morhof schon 1682 zum ersten Mal erwähnt und dann 1708 Barthold Feind, aber noch Bodmer kannte nicht einmal den wahren Namen des Dichters und nannte in seiner Abhandlung vom Wunderbaren in der Poesie (1740) denselben Saspar oder Sasper. Ein Jahr darauf erschien zu Berlin die erste Übersetzung eines Shakspeare'schen Stücks, des Julius Cäsar, und gab Gottsched Gelegenheit zu einem bornirten Verdict Die elendeste Haupt – und Staatsaction unserer gemeinen Komödianten ist kaum so voll Schnitzer und Fehler wider die Regeln der Schaubühne und gesunden Vernunft als dieses Stück Shakspeare's ist. – Niemand, der je etwas Vernünftigeres gelesen, kann an Shakspeare Belieben tragen. Sein Julius Cäsar hat so viel Niederträchtiges an sich, daß ihn kein Mensch ohne Ekel lesen kann. Gottsched's Beiträge zur krit. Hist. d. deutschen Sprache, Poesie und Beredtsamkeit, VII, 516; VIII, 143.. Allein selbst Wieland noch äußerte in den Anmerkungen zu seiner Verdeutschung Shakspeare'scher Dramen ganz abgeschmackte Ansichten über den größten der Dichter, welchem erst durch Lessing und Herder eine richtigere Würdigung widerfuhr.

Für die rhein- und mainländische Dichtergenossenschaft, in welcher neben Göthe Klinger, Lenz, Hahn (nicht zu verwechseln mit dem Hainbündler dieses Namens) und Wagner hervorragten, war Shakspeare das A und O. Die Strebungen dieser Jünglinge, welche mit dem ganzen Feuer und Ungestüm der genialen Jugend von damals gegen das Herkömmliche in Literatur und Leben sich auflehnten, werden ganz gut mit dem Wort Titanismus bezeichnet. Denn in Wahrheit wühlte und brauste in ihnen ein titanisches Wollen, eine Kraftgenialität, deren Gefühle und Ueberzeugungen sie, im Gegensätze zu der lyrischen Richtung der Hainbündler, mit Vorliebe vermittelst der »Wucht des dramatischen Pathos« geltend zu machen suchten. Keck griffen sie nach den größten Stoffen und Formen, rissen die Sprache aus ihrem anständig-langweiligen Menuettgang heraus, lehrten sie neue Wendungen und gewagteste, aber auch vielfach gelungenste Sprünge und gaben der in den Studirstuben Verblaßten wieder ein lebensfrisches Colorit, indem sie an die Stelle der conventionellen Phrase den leidenschaftlich-unmittelbaren Ausdruck, an die Stelle des abstracten Begriffs die concret-volksthümliche Anschauung setzten. Es ist wahr, die deutsche Muse sträubte sich Anfangs gegen die gewaltsamen Umarmungen der Wildlinge, aber bald erwiderte sie die feurigen Küsse der munteren Jungen, obgleich diese nicht sehr ceremoniös mit ihr verfuhren. Denn sie schlugen ihr das thurmartige Toupet vom Kopfe, daß der Puder davonstob, traten ihr die stelzenhaften Absätze von den Schuhen, wischten ihr Schminke und Schönpflästerchen von den Wangen, entschnürten sie ohne Umstände des Fischbeinharnisches, genannt Corset, entledigten sie des schrecklichen Reifrocks und führten sie in einem mitunter nicht gerade übermäßig decenten Anzug hinaus in Wald und Gebirge, mitten hinein wie in den Kirmeßjubel unter der Dorflinde so auch in den Tumult der Weltgeschichte.

Aber freilich entsprach zunächst nur bei dem einen Göthe dem dichterischen Wollen vollauf das Können. Einige seiner Mitstrebenden, wie Hahn und Wagner, verschwendeten ein unzulängliches Talent an tragischen Vorwürfen, aus welchen sie nur kraftgenialische Ungeheuerlichkeiten zu machen verstanden, Andere wußten sich trotz reichster Begabung weder im Leben noch in der Dichtung zurechtzufinden. So besonders der arme Lenz, den der Zwiespalt von Ideal und Wirklichkeit endlich nach Verübung zahlloser genialischer »Affenstreiche« dem Wahnsinn in die Arme jagte und der zuletzt im fernen Moskau elend verkam. Seine Dramen veranschaulichen, was Göthe damit meinte, wenn er sagte, die Verehrung Shakspeare's sei unter seinen Jugendfreunden bis zur Anbetung gestiegen. Hier ist überall ein Stück Shakspeare, aber ein tollgewordener Shakspeare. Da fährt Tragik und Komik, das Barockste, Fratzenhafteste und doch auch wieder Zartestes und Innigstes in einem Gewimmel und Gewusel durcheinander, daß es Einem vor den Augen flimmert. Von gediegenerem Stoffe war Klinger, ein Mann voll sittlichen Ernstes, nach Ueberwindung seines jugendlichen Vulkanismus in der Uniform eines russischen Generals die stoisch-unabhängige Gesinnung eines altrömischen Republikaners bewahrend. Unter seinen Erstlingswerken findet sich das Drama »Sturm und Drang«, welches dieser ganzen Literaturperiode ihren Namen gegeben hat. Die Personen, welche darin auftreten, charakterisiren recht gut den titanischen Uebermuth und die titanische Verzweiflung einer poetischen Jugend, welche sich, mit Klinger zu reden, »über eine Trommel spannen lassen wollte, um eine neue Ausdehnung zu kriegen, oder im Raume einer Pistole hätte existiren mögen, harrend, daß eine Hand sie in die Luft knallte« Worte, welche der Hauptfigur in »Sturm und Drang« in den Mund gelegt sind. Der Mann heißt Wild und ist mit seinen zwei gleichgearteten Freunden La Feu und Blasius nach Amerika gegangen, um da Kriegsdienste zu nehmen. Das ganze Stück bewegt sich in tollen Sprüngen. So auch die Redeweise der Personen. Wild sagt z. B. nach der Ankunft in Amerika unter Anderm: »Heida, nun einmal in Tumult und Lärmen, daß die Sinnen herumfahren wie Dachfahnen beim Sturm. Das wilde Geräusch hat mir schon so viel Wohlsein entgegengebrüllt, daß mir's wirklich anfängt ein wenig besser zu werden. Tolles Herz, ha tobe und spanne dich aus, labe dich im Wirrwarr! … Bin Alles gewesen. Ward Handlanger, um was zu sein. Lebte auf den Alpen, weidete die Ziegen, lag Tag und Nacht unter dem unendlichen Gewölbe des Himmels, von den Winden gekühlt und von innerm Feuer gebrannt. Nirgends Ruh, nirgends Rast. Seht, so strotze ich voll Kraft und Gesundheit und kann mich nicht aufreiben. Ich will die Campagne hier mitmachen, da kann meine Seele sich ausrecken, und thun sie mir den Dienst und schießen mich nieder, gut dann!«. Das wahre Wesen der Kunst, ihre Selbstherrlichkeit, hat Klinger nie begriffen. Er vulkanisirte erst in einer Reihe von Trauerspielen, welche jetzt nur noch als erstarrte Lavablöcke in der Literaturgeschichte dastehen, dann in einer Reihe von Romanen, um zu demonstriren, zu warnen, zu strafen, und worauf lief seine ganze Weltanschauung hinaus? Auf das bekannte Rousseau'sche Axiom, daß Alles, wie es aus der Hand der Natur komme, gut sei und daß Alles unter den Händen der Menschen schlecht werde – ein Axiom, welches in Klinger's Schriften zu der trostlos fatalistischen Ueberzeugung versteinerte, das Gute und Edle sei in dem großen Narrenhaus, genannt menschliche Gesellschaft, nur da, um zu leiden und unterzugehen, während das Böse triumphire.

Göthe selbst war in der Straßburger Zeit eine Beute der widerstrebenden Stimmungen und Tendenzen, welche durch das »Labyrinth« seiner Brust schwankten. Der Tumult um ihn her mußte auch ihn verwirren. Er hatte trotz seiner Jugend schon viel erlebt, mehr noch gesehen, manches versucht. Mit den beengend religiösen Eindrücken, welche der Umgang mit dem frommen Fräulein von Klettenberg in ihm hinterlassen, war er nach Straßburg gekommen und hier war sein schon vorher erregtes Interesse für Hamann, einen Frommen anderer Art, durch Herder aufgefrischt worden. Hamann, der »Magus im Norden«, wie seine Verehrer ihn hießen, hat ebenso sehr in die religiöse wie in die literarische Bewegung jener Zeit mächtig eingegriffen. Durch alle seine zahllosen Pamphlete, geschrieben in einem dunkeln, sibyllinisch-orakelnden »Heuschreckenstyl«, geht der kraftgenialische Grundgedanke, daß dem greisenhaften Geist der Ueberlebung, der gelehrten Kleingeisterei und Pedanterei, allen den veralteten Schulsatzungen im Leben und Dichten ein Ende gemacht werden sollte. Zur Natur, zum Kindesalter der Völker müsse man zurückkehren, damit aus der Einfalt des kindlichen Glaubens eine neue Einheit des Bewußtseins, eine neue Gesellschaft, eine neue Poesie hervorgehe. Diese Forderungen konnten sich, mit Abrechnung der Hamann'schen Bibelgläubigkeit, die Originalgenies schon gefallen lassen. Herder's mehr humanistische und ästhetische als theologische Betrachtung der alten Religionsurkunden wies dem Wolfgang einen Weg, zu menschlich-freier Auffassung der religiösen Probleme zu gelangen, und da Naturgenuß und Freundschaft, mehr aber noch die sonnige Liebe Friederike's ihm das Herz wärmte, so trieb den jungen Dichter Alles, die »inneren Stimmen« sprechen und singen zu lassen. Mehrere seiner süßesten Lieder sind damals entstanden und großartigste Stoffe drängten sich an ihn heran: Mohammed, Ahasver, Prometheus, Faust. Er entschied sich aber, wie bekannt, zunächst für den Götz von Berlichingen, welchen ihm seine damalige enthusiastische Hinneigung zu »deutscher Art und Kunst« nahegebracht hatte. Zu diesem Drama kam nach dem Aufenthalt in Wetzlar, wohin der Doctor Göthe im Sommer 1772 gegangen, um beim dortigen Reichskammergericht schleppenden Andenkens, wie sein Vater wollte, »sich in praxi zu versuchen«, der Roman Werther's Leiden, welchen er, die volle Glut seiner Leidenschaft für die einem Anderen verlobte Lotte Buff ausströmend, binnen vier Wochen aufs Papier warf. Mit diesen beiden epochemachenden Dichtungen entrichtete Göthe der Sturm- und Drangstimmung seinen Tribut. Was seine Zeitgenossen fühlten und dachten, er stellte es zum Kunstwerk gestaltet vor sie hin. Der Götz veranschaulicht den in weit höherem Grade reinmenschlichen und individuellen als politischen Freiheitsdrang jener Zeit; der Werther repräsentirt die andere Seite der Kraftgenialität, die absolute Vertiefung in ideale Herzensbedürfnisse, eine Schwärmerei, welche an der Klippe der Convenienz lieber scheitern als sie umschiffen will.

»Bei Zeit auf die Zäun', so trocknen die Windeln!« hatte der Kriegszahlmeister Merck gemahnt, als Göthe, ins väterliche Haus nach Frankfurt zurückgekehrt, mit Veröffentlichung des Götz und Werther zögerte. Die Freundschaft Merck's, des verständigen, mit kritischem Takt und doch auch mit lebhaftem Interesse für alles Schöne und Tüchtige ausgestatteten Mannes, war einer der besten Gewinnste, welche Göthe aus der Glücksurne zog. Ueberhaupt machte es einen Theil seines Glückes aus, daß er in jeder Periode seines Lebens Freunde fand, die wahrhaft fördernd auf die verschiedenen Phasen seines Genius einwirkten. Der Dichter hat in seinem Alter nicht ganz gerecht den trefflichen Merck als den Mephisto des Faust-Göthe bezeichnet. Denn der Freund war keineswegs ein Geist, der stets verneinte. Allerdings warnte er: »Die Andern – (dies ging wohl auf die Hainbündler) – suchen das Poetische, das Imaginative zu verwirklichen und das gibt nur dummes Zeug; dein Beruf ist es, dem Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben« – und warf wohl auch ein trockenes Wort hin, »keinen so Quark zu machen, wie die Andern auch machen könnten«, aber gerade in einem der angeführten Worte hat Merck mit sicherstem Instinkt die Aufgabe des Göthe'schen Genius, dem Realen das ideale Gepräge aufzudrücken, dargelegt. Göthe that indessen, wie der Freund wollte, indem er 1773 den Götz und 1774 den Werther gedruckt ausgehen ließ, prächtige Blitze der Poesie, denen sofort ein mächtiger Donner des Beifalls nachrollte.

Die Wirkung dieser Werke war, ein Lieblingswort jener Zeit zu gebrauchen, erstaunend. Eines schönen Morgens stand Göthe als berühmter Mann auf. Sein elterliches Haus wurde eine Wallfahrtsstätte bedeutender Menschen. Die Mutter, jene originelle Frau, welche unter dem Titel der Frau Rath oder der Frau Aja Diesen Namen gaben ihr die Stolberge, nach einer Stelle im Volksbuch von den vier Haimonskindern, wo die Mutter derselben, Frau Aja, ihre Söhne als unbekannte Pilger trefflich bewirthet. in der Götheliteratur eine so prächtige Figur macht, hatte alle Hände voll zu thun, die zu- und abgehenden Gäste, mitunter wunderliche Heilige, zu bewirthen, und selbst der steifreichsstädtische Herr Rath schüttelte nur im Stillen den Kopf, wenn der kraftgenialische Tumult in die strenge Ordnung des Hauses zu den drei Leiern hereinbrach, wie bei dem Besuch der Brüder Stolberg geschah, wo dem Weinkeller des alten Herrn übel mitgespielt wurde. Es kam aber auch Klopstock, der in der deutschen Gesellschaft das priesterliche Ansehen eines antiken Vates behauptete, und es kam Lavater, der vielberufene Heilige vom Ufer der Limmat. Nach Geßner's Lebensbeschreibung Lavater's ging die erste Zusammenkunft desselben mit Göthe im echtkraftgenialen Styl vor sich. »Bist's?« – »Ich bin's!« – Lavater, eine ursprünglich reine und edle Natur, wurde Seitens heiliger und unheiliger Frauen nach und nach zu jener sublimen Verschrobenheit hinaufgehätschelt, die den Mann in so notorischen Charlatanen und Gaunern, wie Gaßner und Cagliostro waren, größte Menschen und gottbegnadigte Wunderthäter erblicken ließ und ihn zuletzt alles Ernstes glauben machte, er sei wirklich der Sanct Lavatus, für welchen ihn seine Verehrerinnen hielten. Seine Missionsreisen in Sachen eines mit kraftgenialer Fühlsamkeit seltsam verquickten Christenthums, das aber bei aller Warmbrüderlichkeit doch auf das zelotische Dilemma: »Entweder Christ oder Atheist!« hinauslief, sowie in Sachen der auf thörichteste Willkür basierten, von ihm aufgebrachten Mode der Physiognomik, welche dann der geisteshelle Lichtenberg vermittelst seiner »Physiognomik der Hundeschwänze« gebührend lächerlich machte, gehörten mit zur Signatur der Zeit, – wie auch die Figur des im Göthe'schen Hause ebenfalls seine Aufwartung machenden Leuchsenring mit dazu gehörte, jener Typus eines Empfindlers, Briefwechslers und Schwarmgeists von damals, der allen Berühmtheiten nachjagte, einen geheimen »Orden der Empfindsamkeit« stiften wollte und immer mit Brieftaschen bepackt war. Von der Leidenschaft, womit damals die Briefwechselei betrieben wurde, können wir uns heutzutage, wo selbst die Liebesbriefe mehr oder weniger nur noch Geschäftsbriefe sind, kaum eine Vorstellung machen. Da wurde allerdings viel Papier und Dinte unnöthig vernutzt, aber es ist darum doch nicht weniger zu bezweifeln, ob das 19. Jahrhundert dem 20. einen so gehaltvollen Briefschatz vermachen werde, wie wir aus dem 18. einen überkommen haben..

Fehlte es gerade daheim an Besuchen, so unternahm der Wolfgang zu Fuß, zu Pferd oder zu Wagen »Geniereisen« in die Nähe und Ferne. Es ist uns davon manche hübsche Geschichte überliefert und auch davon, wie der Dichter den Zauber seines Ruhmes durch die Magie seiner Persönlichkeit noch erhöhte. Freund Merck zu besuchen, ging er oft nach Darmstadt hinüber. Da gaben ihm die artigsten Frauen das Geleite bis zur Stadt hinaus und in Darmstadt setzte er sich auf die steinerne Treppe vor Merck's Hausthüre, um den um ihn versammelten Mädchen »Genieaudienz« zu geben« Böttiger a. a. O. I, 48.. Nach allen Seiten hin wurden mit dem ganzen Freundschaftsenthusiasmus jener Tage Verbindungen angeknüpft, rheinabwärts besonders mit dem Jacobi'schen Kreise in Pempelfort, der wie alle Welt alsbald von Göthe bezaubert war Unterm 27. Aug. 1774 schrieb Fritz Jacobi an Wieland: – »Je mehr ich's überdenke, je lebhafter empfinde ich die Unmöglichkeit, dem, der Göthe nicht gesehen noch gehört hat, etwas Begreifliches über dieses außerordentliche Geschöpf Gottes zu schreiben. Göthe ist, nach Heinse's Ausdruck, Genie vom Scheitel bis zur Sohle; ein Besessener, füge ich hinzu, dem in keinem Falle gestattet ist, willkürlich zu handeln. Man braucht nur eine Stunde bei ihm zu sein, um es im höchsten Grade lächerlich zu finden, von ihm zu begehren, daß er anders denken und handeln soll, als er wirklich denkt und handelt.« Diese Erkennung und Anerkennung des Dämonischen in Göthe erinnert uns daran, daß der greise Dichter am 24. März 1829 zu Eckermann sagte: »Je höher ein Mensch, desto mehr steht er unter dem Einfluß der Dämonen, und er muß immer aufpassen, daß sein leitender Wille nicht auf Abwege gerathe.«. Die drolligste Geniereise war aber wohl jene, welche im Sommer 1774 das »Weltkind« Göthe mit den beiden »Propheten« Lavater und Basedow nach Ems und Koblenz machte. Lavater, dem der Glaube an den historischen Christus Herzenssache war, mit Basedow, dem pädagogischen Radicalreformer und enragirten Nationalisten, welcher zu dem Dogma von der Trinität so zu sagen im Verhältniß persönlicher Feindschaft stand, und mit Göthe, welcher damals an seinem Prometheus und seinem Faust dichtete, in einem Wagen auf einer gemeinschaftlichen Vergnügungsreise begriffen – da haben wir einen der schönsten Contraste einer contrastvollen Epoche. Auf dieser Reise hatte am Wirthstische des Gasthofs zu den drei Reichskronen in Koblenz jene classische Szene statt, welche uns Göthe in der kraftgenialen Manier beschrieben hat, womit er seine zu jener Zeit vom Stapel gelassenen satirischen Brander »Götter, Helden und Wieland«, »Pater Brei« und »Satyros« auftakelte Zwischen Lavater und Basedow
Saß ich bei Tisch des Lebens froh.
Herr Helfer – (schweiz. f. Diakon) – der war gar nicht faul,
Setzt' sich auf einen schwarzen Gaul,
Nahm einen Pfarrer hinter sich
Und auf die Offenbarung strich,
Die uns Johannes der Prophet
Mit Räthseln wohl versiegeln thät;
Eröffnet die Siegel kurz und gut,
Wie man Theriaksbüchsen öffnen thut,
Und muß mit einem heiligen Rohr
Die Kubusstadt und das Perlenthor
Dem hocherstaunten Jünger vor.
Ich war indeß nicht weit gereist,
Hatt' ein Stück Salmen aufgespeist.
Vater Basedow unter dieser Zeit
Packt einen Tanzmeister an seiner Seit'
Und zeigt ihm, was die Taufe klar
Bei Christ und seinen Jüngern war,
Und daß sich's gar nicht ziemet jetzt,
Daß man den Kindern die Köpfe netzt.
Drob ärgert sich der Andre sehr
Und wollte gar Nichts hören mehr
Und sagt', es wüßt' ein jedes Kind,
Daß es in der Bibel anders stünd'.
Und ich behaglich unterdessen
Hatt' einen Hahnen aufgefressen.
. Im folgenden Jahre machte Göthe in Gesellschaft der beiden Stolberge eine Schweizerreise, die hauptsächlich Lavatern galt, welcher aber mit den gräflichen Brüdern, die sich als vollständige Kraftgenies gebärdeten, seine liebe Noth haben mochte In Schwaben und in der Schweiz fiel besonders die Sucht der Stolberge auf, an der nächsten besten Stelle bei hellem Tage nackt zu baden, was in der Zeit der Pattenwesten und Reifröcke selbst den Bauern zu griechisch vorkam. Von der bekannten in und an der Sihl hinter Zürich vorgefallenen Stolberg'schen Badgeschichte gibt Voß in einem Briefe aus Wandsbeck (15. Dezember 1775) an Ernestine Boie folgende Version: – »In Zürich baden sie sich einmal. Lavater, der sie besuchen will, setzt sich ans Ufer hin und spricht so mit ihnen im Wasser. Die Bauern, die das Baden bei Tage nicht ausstehen können, eilen schaarenweise hinzu; wie sie aber einen Priester am Ufer sehen, brauchen sie doch keine Gewalt, sondern murmeln untereinander, die nackten Menschen im Wasser müßten wohl Wiedertäufer sein, die der Priester bekehren wolle. Man sehe auch recht, was der Satan für eine Gewalt über sie ausübe; denn jedesmal, da der Priester anfange zu beten, müßten sie mit dem Kopf unters Wasser tauchen. Im Bodensee hatte man sie gar festnehmen wollen.«. Göthe's Freundschaftsgefühl für den Züricher Propheten währte ungeachtet der zudringlichen, auch an Göthe versuchten Proselytenmacherei des Letzteren bis zur italischen Reise des Dichters, welche ja überhaupt den großen Wendepunkt in seinen Anschauungen ausmachte Lavater's Persönlichkeit muß jedenfalls eine höchst anziehende, ja fascinirende gewesen sein. Sonst hätte Göthe durch dieselbe nicht jahrelang so gefesselt werden können, daß er noch im November 1779 aus Zürich an Frau von Stein schrieb: »Die Trefflichkeit dieses Menschen spricht kein Mund aus; wenn durch Abwesenheit sich die Idee von ihm geschwächt hat, wird man aufs Neue von seinem Wesen überrascht. Er ist der beste, größte, weiseste, innigste aller sterblichen und unsterblichen Menschen, die ich kenne.« Bald jedoch mußte die Grundverschiedenheit dieser beiden Naturen so entschieden hervortreten, daß sie nicht mehr zu übersehen war. Schon am 29. Juli 1782 schrieb Göthe an Lavater: Da ich zwar kein Wider-Christ, kein Un-Christ, aber doch ein decidirter Nicht-Christ bin, so haben mir dein »Pilatus« u. s. w. widrige Eindrücke gemacht« – und wie vollständig wenige Jahre später der Bruch eingetreten war, zeigt ein Brief Göthe's vom 5. Oktober 1787 aus Rom an Herder, wo von »Taschenspielerstreichen des züricher Propheten« die Rede ist, welcher »klug und gewandt genug, große und kleine Kugeln mit unglaublicher Behendigkeit einander zu substituiren, durcheinander zu mischen, um das Wahre und Falsche nach seinem theologischen Dichtergemüth gelten und verschwinden zu machen. Hole oder erhalte ihn der Teufel, der ein Freund der Lügen, Dämonologie, Ahnungen, Sehnsuchten u. s. w. ist von Anfang an.« Daß Lavater Sachen wie den Pilatus ausgehen ließ, machte übrigens alle Verständigen unter seinen Freunden stutzig. So schrieb schon unterm 11. Juni 1782 der Herzog Karl August an Knebel: »Sage mir doch ein Wort von der Pilatiade! Wie kann so etwas Albernes, ganz Geschmackloses, ich möchte beinahe sagen, Uebelriechendes aus einem so wohlduftenden Lavater kommen?« Am heftigsten hat Göthe Lavater's Charakter angegriffen, indem er unterm 15. Oktober 1796 an Schiller schrieb: »Es kostet dem Propheten Nichts, sich bis zur niederträchtigsten Schmeichelei zu assimiliren, um seine herrschsüchtigen Klauen nachher desto sicherer einschlagen zu können.«.

Inzwischen hatte im Februar 1774 die durch Knebel vermittelte Begegnung Göthe's in seiner Vaterstadt mit dem Erbprinzen Karl August von Sachsen-Weimar und dessen Bruder Constantin stattgefunden. Götz und Werther hatten auf den selbst von einer vollen Ader von Kraftgenialität durchzogenen Erbprinzen, welcher damals ein siebzehnjähriger Jüngling war, mächtig gewirkt und die persönliche Bekanntschaft mit dem Dichter wob zwischen diesem und Karl August, der wirklich ein Fürst, ein Vorderster seiner Zeit und seiner Nation wurde, ein Band der Sympathie, welches nur der Tod zerreißen sollte. Der Prinz hatte dem Geist des Jahrhunderts gemäß eine liberale Erziehung erhalten. Seine Mutter, die geist- und gemüthvolle Amalia von Braunschweig, in ihrem siebzehnten Jahre mit dem Herzog Ernst August von Weimar vermählt, war schon als Achtzehnjährige Wittwe geworden und hatte damit Pflichten übernommen, denen sie so Genüge that, daß sie in jenem edlen Document, ihrem Selbstbekenntniß (»Meine Gedanken«) mit Recht sagen durfte, die schönste Frühlingszeit ihres Lebens sei Nichts als Aufopferung für Andere gewesen. Klein von Statur, machten ihre spirituellen Züge, ihr graziöser Gang, ihre Gewandtheit im mündlichen Ausdruck sie zu einer angenehmen Erscheinung. Mit warmem Blut, einem zärtlichen Herzen und einer lebhaften Phantasie verband sie eine große Lernbegierde. Als sie 1762 Wieland zum Lehrer ihres Erstgeborenen berufen hatte, ward sie selber noch seine Schülerin und lernte bei ihm Griechisch, um den »Grazienschlingel« des Alterthums, den Aristophanes, in der Ursprache lesen zu können. Dieser Zug deutet schon auf ein heiteres Temperament, welchem nachgebend sie auch wohl einem derberen Scherze nicht prüde aus dem Wege ging Als 1778 die erste Entbindung ihrer Schwiegertochter bevorstand, schrieb sie an Merck: »Will der Himmel einen braven Jungen geben, so ist's ein Glück fürs ganze Land. Danischmend (Wieland) hat schon wieder taufen lassen. Je crains, qu'à la fin il se ressente un peu von dem häufigen Accouchiren seiner Frau und des Merkur (die 1772 von Wieland gegründete Zeitschrift). Er scheint aber an beiden vielen Spaß zu finden, also muß man ihn machen lassen.«. Mit Papa Wieland stand sie auf so freundschaftlichem Fuße, daß der Freund in seinen älteren Jahren sich's zuweilen herausgenommen habe, neben der Herzogin auf dem Sopha sitzend sein Mittagsschläfchen zu halten.

Weimar war damals noch »mehr Dorf als Stadt«, aber die Festsetzung Wieland's' bezeichnet den Anfang der Entwicklung dieser kleinen Residenz zur geistigen Metropole von Deutschland, was sie in Wahrheit lange Jahre gewesen ist. Unlange nach Wieland kam Bertuch, der Uebersetzer des Don Quixote, dann der feine, ehrenwerthe, tüchtig gebildete Knebel, als Erzieher des Prinzen Constantin berufen. Nahm man dazu noch den launigen Märchenerzähler Musäus, Professor am Gymnasium, und die beiden Hofherren F. H. von Einsiedel und K. S. von Seckendorf, dieser ein nicht verächtlicher Componist und Poet, jener ebenfalls in Musik und Stegreifsdichtung gewandt und in seiner schwankhaften Liebenswürdigkeit und Herzensgüte der » ami« par excellence, aber nicht, wie oft geschehen ist, mit seinem abenteuerlichen jüngeren Bruder zu verwechseln Dieser jüngere Einsiedel, der Lieutenant, hatte mit der »kleinen Werther«, der Frau des Freiherrn von Werther, ein Abenteuer, dessen Schluß namentlich einen Fingerzeig gibt, daß man, wie wir noch mehrfach bemerken werden, in der Sturm- und Drangzeit mit den ehelichen Verhältnissen genialisch leicht genug umsprang. Die kleine Werther hatte sich in den genannten Herrn von Einsiedel verliebt, stellte sich krank, fingirte sogar den Tod, ließ statt ihrer eine Puppe begraben und ging mit ihrem Liebhaber durch nach – Tunis, wo der tapfere Krieger Gold und Diamanten zu suchen beabsichtigte. Statt derselben fand das phantastische Paar in Afrika natürlich nur bittere Noth und fand es daher bald gerathen, heimzukehren. Der Freiherr verzieh seiner Frau diese »Geniereise« und lebte wieder mit ihr. – Die Personalien der Weimarer Geniezeit finden sich gut zusammengestellt in Wachsmuth's »Weimars Musenhof«, Diezmann's »Göthe und die lustige Zeit in Weimar« und Schöll's »Karl-August-Büchlein«. – so hatte man schon Etwas, was einem »Weimarer Musenhof« ähnlich sah. Aber die wirkliche Eröffnung desselben datirt doch erst von der Ankunft Göthe's. Im September 1775 trat Karl August die Regierung an. Im October führte er seine Braut heim, die Prinzessin Luise von Darmstadt, sah bei dieser Gelegenheit Göthe abermals in Frankfurt und wiederholte demselben die schon früher an den Dichter gerichtete Einladung an seinen Hof. Göthe, der in dem jungen Fürsten eine gleichgestimmte Natur gefunden, ergriff die gebotene Gelegenheit, von Frankfurt wegzukommen, um so herzhafter, als die quälenden Nachwehen seines ebenso leidenschaftlichen als unerquicklichen Verhältnisses zu Lili (Elisabeth Schönemann) einen Wechsel des Ortes und der Umgebungen räthlich machten. Am 7. November langte er zu Weimar an, in der obligaten »Genietracht« – blauer Wertherfrack mit Messingknöpfen, gelbe Weste, weiße Cannevasbeinkleider und Stulpenstiefeln Dies war ein großer Verstoß gegen die gesellige Convenienz von damals, wo ein Mann in anständiger Gesellschaft nie anders als in Schuhen erschien. – welche, weil der junge Herzog sie adoptirte, für eine Weile so zu sagen Weimarer Hoftracht wurde Wie Knebel, doch gewiß ein glaubwürdiger Zeuge, ausdrücklich angibt (Lit. Nachlaß, I, XXIX). Düntzer (»Freundesbilder aus Göthe's Leben«, 426, Anmerk. 2) bezweifelt zwar, daß Göthe zu Weimar in der »Werther'schen Montirung« aufgetreten sei, denn wenn er dieselbe je getragen, so habe er sie wohl längst abgelegt gehabt. Aber der Werther war ja erst das Jahr zuvor erschienen und der gründliche Götheforscher legt hier wohl zu viel Gewicht darauf, daß Göthe zur Zeit, wo er seine Selbstbiographie schrieb, allerdings nicht mehr geneigt war, mit Wohlgefallen auf die Werthersmode zurückzublicken. Im Uebrigen ist zu bemerken, daß die »Genietracht« Zopf und Puder noch beibehalten hatte. Als im J. 1780 Karl August sich das Haar kurz schneiden ließ und nun einen sogenannten »Schwedenkopf« trug, wurde diese Haarrevolution als große Neuigkeit überall hingemeldet..

siehe Bildunterschrift

12. Portrait: Göthe.
Originalzeichnung von A. Neumann. Geschnitten von J. G. Flegel

Die Erscheinung des von Genialität, Lebenslust, Liebenswürdigkeit und Muthwillen funkelnden Dichters, dessen hochwogende Seele in einem Leibe wohnte, welcher ihn zum schönsten Manne seiner Zeit machte, war eine unwiderstehlich siegreiche. Selbst der klarverständige Knebel berichtet, wie ein Stern sei Göthe am Weimarer Himmel aufgegangen Knebel, a. a. O. I, XXIX.. Wieland, der kurz zuvor von dem muthwilligen Dichter so herb satirisirte Wieland schrieb am 10. November an Fritz Jacobi: »Morgens um 5 Uhr ist Göthe in Weimar angelangt. O mein bestes Brüderchen, was soll ich dir sagen? Wie ganz der Mensch beim ersten Anblick nach meinem Herzen war! Wie verliebt ich in ihn wurde, als ich beim Geheimerath von Kalb, wo er wohnt, am nämlichen Tage an der Seite des herrlichen Jünglings zu Tische saß. Alles, was ich Ihnen nach mehr als einer Krisis, die in mir diese Tage über vorging, jetzt von der Sache sagen kann, ist dies: Seit dem heutigen Morgen ist meine Seele so voll von Göthe wie ein Thautropfe von der Morgensonne« Wieland gerieth über den liebenswürdigsten der Menschen, wie er Göthe nannte, förmlich in Ekstase. Am 8. Jan. 1776 schrieb er an Zimmermann: »Heute war eine Stunde, wo ich ihn erst in seiner ganzen Herrlichkeit, – der ganzen, schönen, gefühlvollen, reinen Menschheit sah. Außer mir kniet' ich neben ihn, drückte meine Seele an seine Brust und betete Gott an –« und am 23. März 1776 äußerte er gegen Merck: »Für mich ist kein Leben mehr ohne diesen wunderbaren Knaben, den ich als meinen einzigen eingebornen Sohn liebe, indem ich, wie einem echten Vater zukommt, meine innige Freude daran habe, daß er mir so schön über'n Kopf wächst und Alles das ist, was ich nicht habe werden können.«. Dem jungen Fürsten ging in der Freundschaft mit Göthe, die so dauernd und für Beide so fruchtbar werden sollte, das Leben erst recht auf, um so mehr, da sich zu dieser ersten Zeit zwischen ihm und seiner jungen Gemahlin kein recht gedeihliches Verhältniß, wie es später eintrat, gestalten wollte. Karl August war das, was Göthe eine »dämonische Natur« nannte. Er hat den fürstlichen Freund auch ausdrücklich als eine solche bezeichnet, d. h. als einen geborenen großen Menschen. Zwei weitere Aussprüche Göthe's über den Herzog: »Er pflanzt und möcht' auch, daß es schon gewachsen wäre« – und: »Ein Herzogthum geerbt zu haben, war ihm Nichts; hätte er sich eines erringen, erjagen, erstürmen können, das wäre ihm Etwas gewesen« – deuten an, wie sich der Fürst in der Jugend hatte und gebahrte. Der Sturm und Drang der Zeit war mächtig in ihm und er hat das Bacchanal der Kraftgenialität redlich mit durchgemacht. Aber er war auch eine edle Natur, ein wahrhaft guter Mensch, der es sich angelegen sein ließ, alles Rechte und Schöne nach Kräften zu fördern. Jenes bekannte Epigramm, worin Göthe erklärt hat, es wäre »ein Fest, Deutscher mit Deutschen zu sein«, wenn alle deutsche Fürsten seinem Herzog glichen, ist wahrlich keine höfische Schmeichelei, sondern, Alles zusammengenommen, ein verdientes Lob gewesen. Der Ruhm Karl August's beruht keineswegs allein darauf, daß sein Name mit größten unserer Kulturgeschichte als der eines Helfers und Freundes unzertrennlich verknüpft ist, nein, es muß auch gesagt werden, daß er ein rechter und treuer Patriot, daß er wie der freisinnigste so auch, im höchsten und weitesten Sinne des Wortes, der menschlichste Fürst gewesen ist, welchen Deutschland je gehabt hat Unter den zahlreichen Zügen, welche uns von der reinmenschlichen Liebenswürdigkeit Karl August's überliefert sind, kommt nach meinem Gefühle besonders den zwei folgenden eine charakteristische Bedeutung zu. Als der Weimarer Hof 1803 das neuerbaute Schloß bezog, wurde ein patriarchalisches Fest gefeiert. Die Herrschaften kamen auf ihrem Umgang in der neuen Residenz auch zur Küche und da kam eine alte häßliche Scheuerfrau heraus und fiel in ihrem scheuerfraulichen Entzücken dem Herzog ohne Umstände um den Hals und küßte ihn. – In Schöll's Karl-August-Büchlein S. 165 finde ich folgende, von dem Verfasser mit Recht »Größe in der Güte« überschriebene Anekdote. Der Herzog ließ einmal, als ihm ein schönes Pferd verendet war, die Section unter seinen Augen machen. Wie es gethan war, gab er dem Jäger einen Laubthaler für den Scharfrichterknecht. Diesen Knecht wollte der Jäger nach dem allgemeinen Vorurtheil nicht berühren und legte ihm den Thaler auf den Karren. Der Herzog drehte sich herum: »Albernheit!« nahm den Thaler: »Da, Landsmann, ein Trinkgeld von mir.« Durchlaucht, sagte der Knecht zugreifend, ich bin ein sehr armer Mensch, aber der Laubthaler wird nicht klein gemacht; er bleibt in meiner Familie.. Seine Gemahlin Luise nimmt in dem Ehrenkranz deutscher Frauen für immer eine vortretende Stelle ein. Gegen die Ausschreitungen der Geniewirthschaft am Hofe, welche in die ersten Jahre ihrer Ehe fiel, bildete die Herzogin ein wohlthätiges Gegengewicht, indem sie auf ihre Würde hielt und darauf bestand, daß wenigstens in ihrer nächsten Umgebung gewisse Gränzen eingehalten würden. Temperament und Gewöhnung verliehen ihr eine Haltung, welche kalt und stolz erscheinen konnte; aber ihr Herz war voll Edelmuth, und wie groß sie dachte, trat herrlich zu Tage, als sie in der furchtbaren Trübsal, welche 1806 nach der Schlacht bei Jena über ihr Haus und über das Land hereinbrach, dem zornsprühenden Welteroberer gegenüber den ganzen Heroismus einer schönsten Weiblichkeit entfaltete und dem rücksichtslosen Despoten Hochachtung vor einer deutschen Frau und Fürstin abzwang Die beste Charakteristik der Herzogin Louise hat, wie mir scheint, Frau von Staël in den folgenden Worten gegeben: – La duchesse Louise est le véritable modèle d'une femme destinée par la nature au rang le plus illustre; sans prétention comme sans faiblesse, elle inspire au même dégré la confiance et le respect; et l'héroisme du temps chevaleresque est entré dans son âme, sans lui rien ôter de la douceur de son sexe..

siehe Bildunterschrift

13. Portrait: Karl August, Herzog von Sachsen-Weimar.
Originalzeichnung von E. Hartmann. Geschnitten von W. Aarland

Eine nicht geringe Anzahl ausgezeichneter Persönlichkeiten, Männer und Frauen, stand zu dem kleinen Weimarer Hof, als Göthe an demselben erschien, in bleibender oder gastfreundlicher Beziehung. Schon im October 1776 kam Herder, auf Göthe's Betreiben als Oberhofprediger und Generalsuperintendent vom Herzog berufen. Zu den schon früher namhaft gemachten Hofherren von Geist gehörte auch der Kammerherr von Wedel, Karl August's Jugendgespiel und treuer Jagdgenoß. Mit Dalberg, dem kurmainzischen Statthalter in Erfurt, mit den Prinzen August von Gotha und Adolf von Barchfeld, mit dem Fürsten Franz von Dessau wurden lebhafte Verbindungen unterhalten. Von Frauen, die zum Hofkreise gehörten, seien die witzige Thusnelda von Göchhausen genannt, das in alle Schwänke der Kraftgenies mit guter Laune eingehende Hoffräulein der Herzogin Amalia, dann die Kammerpräsidentin Kalb, die Gräfin Werther, Luise von Imhof, die »kleine« Schardt, und Charlotte von Stein, Gemahlin des Oberstallmeisters, zehn Jahre hindurch die große Flamme Göthe's, für welchen die anmuthige Fran, obgleich nie eigentlich schön und über die Jugendfrische schon hinaus, in dem Tumult der »lustigen Weimarer Zeit« ein rechter Leitstern wurde Die beste unter allen ist Frau von Stein – schrieb Schiller unterm 12. Aug. 1787 aus Weimar an Körner – eine wahrhaft eigene interessante Person, von der ich begreife, daß Göthe sich so ganz an sie attachirt hat. Schön kann sie nie gewesen sein, aber ihr Gesicht hat einen sanften Ernst und eine ganz eigene Offenheit. Ein gesunder Verstand, Gefühl und Wahrheit liegen in ihrem Wesen.. Auch Corona Schröter, die schöne Sängerin, muß hier noch genannt werden, welche in den theatralischen Spielen des Hofes voranstand und in Göthe's Brust ein altes Liebesfeuer neu entfachte Als der Dichter die schöne Künstlerin, welche er schon früher kennen gelernt hatte, 1776 in Leipzig wiedersah und nach Weimar zu gehen veranlaßte, schrieb er an Frau von Stein: »Die Schröter ist ein Engel. Wenn mir doch Gott so ein Weib bescheeren wollte, daß ich Euch könnt' in Frieden lassen.« Die Briefe Göthe's an Frau von Stein, besonders aus der ersten Zeit ihres Verkehrs, sind zwar schon nicht mehr so ganz sturm- und drangvoll, wie die Episteln an Auguste von Stolberg waren, welche eigentlich nur aus Ausrufungen, Ausrufungszeichen und Gedankenstrichen bestehen, – aber doch sind sie in ihrer Naivetät und Gedrängtheit ein köstliches Zeugniß von der Frische und dem Feuer, welche durch Göthe in den deutschen Styl kamen. Die Correspondenz der Originalgenies, in der Zwanglosigkeit nicht selten zur cynischen Derbheit vorschreitend, widerspiegelt überhaupt noch viel unmittelbarer als ihre Dichtung eine gährende, nach Natur und Freiheit ringende Zeit. Einige Proben mögen auch hier am Platze sein. Als die Berufung Herder's nach Weimar auf Hindernisse stieß, schrieb Göthe: »Lieber Bruder, wir haben's von jeher mit den …kerlen verdorben und die sitzen überall auf dem Fasse. Der Herzog will und wünscht Dich, aber Alles ist hier gegen Dich.« Er fordert dann Herder auf, derselbe möge nur einen einzigen rechtgläubigen Theologen bewegen, »Guts« von ihm zu sagen. Doch sogleich darauf schreibt er wieder: »Bruder, sei ruhig, ich brauch' der Zeugnisse nicht; habe mit trefflichen Hetzpeitschen die Kerls zusammengetrieben und es kann nicht lange mehr stocken, so hast Du den Ruf.« Zur selben Zeit schrieb Lenz, welcher vernommen hatte, daß der Weimarer Stadtrath erst Probepredigten von Herder habe hören wollen, aus Darmstadt an diesen: »Probepredigten? Lustig genug, aber sieh' das als eine Farce an und denk' an Coriolan im Candidatenrock, Ulyß gar in Bettlerslumpen. Küß' Deinen Sohn!!!« Als Göthe die Berufung Herder's durchgesetzt hatte, schrieb er ihm in Knittelversen: –
Hochwürdiger! 's ist eine alte Schrift,
Daß die Ehen werden im Himmel gestift.
Seid also vielmehr zu Eurem Orden
Vom Himmel grad 'rab gestiftet worden.
Es uns auch allen herzlich frommt,
Daß Ihr bald mit der Peitsche kommt –
Und wie dann unser Herr und Christ
Auf einem Esel geritten ist,
So werdet Ihr in diesen Zeiten
Auf hundert und fünfzig Eseln reiten,
Die in Eurer Herrlichkeit Diöces
Erlauern sich die Rippenstöß' …
und Wieland gab dazu den Kommentar, indem er (19. Febr. 1776) an Merck meldete: »Der Messias Herder wird am Palmarum auf 150 Eseln – (seiner subordinirten Geistlichkeit) – hier einreiten.« Der Herzog Karl August ging mit vollstem Behagen in die Redeweise und den Briefton der Kraftgenies ein. Man lese nur seinen Brief v. J. 1780, worin er meldet, daß Wieland zur gleichen Zeit den Oberon und einen Jungen zu Stande gebracht habe. Daß der Herzog auch die ossianisch-werther'sche Stimmung der Geniezeit in sich aufgenommen, bezeugt sein Brief vom 17. Juli 1780 an Knebel, wo er, Nachts allein in der Borkenhütte des Parkes sitzend, schrieb: »Der Mensch ist doch nicht zu der elenden Philisterei des Geschäftslebens bestimmt; es ist Einem ja nicht größer zu Muthe, als wenn man doch die Sonne so untergehen, die Sterne aufgehen, es kühl werden sieht und fühlt, und Alles so für sich, so wenig der Menschen halber, und doch genießen sie's und so hoch, daß sie glauben, es sei für sie. Ich will mich baden mit dem Abendstern und neu Leben schöpfen … Ich komme daher. Das Wasser war kalt, denn Nacht lag schon in seinem Schooße. Es war, als tauchte man in die kühle Nacht. Als ich den ersten Schritt hineinthat, war's so rein, so dunkel. Ueber dem Berg hinter Oberweimar kam der volle Mond. Es war so ganz stille. Wedel's Waldhörner hörte man nur von weitem« u. f. f. Ein Anklang Faustischen Schmerzes spricht aus den 1781 geschriebenen Worten des Fürsten: »Der Mensch, namentlich der nicht gemeine, muß von den Göttern ihm angezogene spanische Stiefeln tragen und dessenungeachtet, fährt dem Schicksal eine Laune durch den Kopf, dabei springen und tanzen.«
. Auf die früheren Genossen Göthe's mußte die große Neuigkeit von dem Glück, welches der Wolfgang am Weimarer Hofe gemacht, sehr anziehend wirken. Lenz kam, meldete Göthen seine Ankunft mit den Worten: »Der lahme Kranich ist angekommen und sucht, wohin er seinen Fuß setze,« wurde gastlich aufgenommen und machte »Affenstreiche« und »Eseleien«, bis man ihn fortschaffen mußte. Dann erschien Klinger und las seine titanisirenden Trauerspiele vor, bis Göthe davonlief mit den Worten: »Das halte der Teufel aus!« Ein noch sonderbarlicherer Gast war der Schweizer Kaufmann, von dem der wundersüchtige Lavater sagte: »Er kann, was er will« – der aber in Wahrheit Nichts konnte als die Kraftgenialität zur höchsten Potenz der Extravaganz und Unverschämtheit erheben. Göthe machte ihn unsanft »abfahren«, worauf er nach Dessau ging, um am dortigen Hofe den Rousseau'schen Natursohn zu spielen Wenn anders Böttiger (a. a. O. I, 54) Glauben verdient, so ging Kaufmann, »um seinen Genieberuf zu beurkunden, in einer grünen Friesjacke, mit entblößter Brust, mähnenartig flatternden Haaren und einem gewaltigen Knotenstock umher. So kam er in der Fürstin Zimmer und an des Fürsten Tafel.« Vgl. über K. den Aufsatz von Düntzer in Raumer's Hist. Taschenbuch f. 1859.. Bei der Anwesenheit der Brüder Stolberg, die noch im vollen Saft ihrer phantastischen Jugendlichkeit standen, wurde teutonisch gezecht und wurden sonst allerhand geniale Kraftstücke ausgeführt. Später nahm auf wiederholte Einladungen hin Merck »seinen Rappen zwischen die Beine« und that eine Fahrt nach Hofe. Er gefiel den Weimarer Fürstlichkeiten und Notabilitäten sehr, soll aber, wenn Falk treu berichtet hat »Göthe, aus näherem persönlichen Umgange dargestellt«, S. 145., das höfische Genietreiben Göthe's mit nicht sehr günstigen Augen angesehen und gemurrt haben: »Was Teufel fällt dem Wolfgang ein, hier zu Weimar am Hofe herumzuschranzen und zu scherwenzen, Andere zu hudeln oder, was mir Alles Eins ist, sich von ihnen hudeln zu lassen! Gibt es denn nichts Besseres für ihn zu thun?«

Aber der kraftgeniale Most wollte und mußte ausgähren. Diesen Gährungsprozeß weiter im Einzelnsten zu verfolgen, ist hier nicht statthaft. Wildlustig und ungefüge genug that sich mitunter die vom Herzog ganz offen und von der Herzogin Mutter unter der Hand begünstigte Geniewirthschaft auf. Es mag Etwas von Böttiger'schem Klatsch in der Ueberlieferung sein, daß Göthe, wenn ihn der dämonische Drang erfaßte, sich mit aufgelöstem Haar mänadisch auf dem Boden gewälzt habe, daß der Dichter und sein herzoglicher Duzbruder oft stundenlang auf den Marktplatz der Stadt sich gestellt hätten, um mit »abscheulich großen« Parforcekarbatschen mit einander um die Wette zu knallen Böttiger I, 61, 204, wo übrigens Wieland als Gewährsmann genannt ist., daß das studentische »Schießen« von den Originalgenies im größten Styl betrieben worden sei und Anderes der Art mehr. Aber so ganz unwahrscheinlich ist das Alles keineswegs, denn Göthe selbst schrieb (5. Jan. und 8. März 1776) an Merck: »Ich treib's hier freilich toll genug. Wir machen Teufelszeug« – und Wieland meldet Demselben (26. Jan. 1776): »Göthe lebt und regiert und wüthet und gibt Regenwetter und Sonnenschein tour à tour, comme vous savez, und macht uns Alle glücklich, er mache, was er will.« Göthe, ein Virtuos in allen körperlichen, wie in so vielen geistigen Uebungen – er führte unter Anderem auch das Schlittschuhlaufen in Weimar ein – hat zwar in dem kraftgenialen Tumult, dessen Mittelpunkt er war, sein edleres Selbst nie verloren, aber doch war er immer mit dabei, wo es galt, »die bestialische Natur zu brutalisiren« Wieland an Merck, 27. Mai 1776., nicht selten bis zum Uebermaß. »Wir waren oft sehr nahe am Halsbrechen«, erzählt er selbst. »Auf Parforcejagden über Hecken und Gräben und durch Flüsse, bergauf, bergab, Tage lang sich abzuarbeiten und dann Nachts bei einem Feuer im Walde zu campiren, das war nach des Herzogs Sinn« In Göthe's schönem Gedicht »Ilmenau« ist dieses Treiben poetisch verklärt.. Die Lustschlösser Belvedere, Ettersburg und Tieffurt, dann die Umgebungen von Stützerbach, Ilmenau, Dornburg, Lauchstädt waren die Schauplätze des poetischen Zigeunertreibens, wobei natürlich tüchtig poculirt und nicht weniger »gemiselt« d. h. geliebelt wurde, denn die Mädchen hießen in dem kraftgenialen Rothwelsch »Misels«. Das vergrößernde Gerücht, d. h. eine von neidischem Uebelwollen aufgestachelte Klatschsucht ließ es nicht fehlen, die geniewirthschaftlichen Vorkommnisse ins Ungeheuerliche auszumalen und so konnte Zimmermann aus Hannover an Herder die lächerlichen Worte schreiben, er habe aus Weimar eine Menge Dinge vernommen, bei denen sich »alle seine Haare senkrecht in die Höhe gerichtet hätten.« Das eben war das Eigenthümliche der Weimarer Kraftgenialität, daß durch die Unbändigkeit, ja durch die mitunterlaufende Rohheit derselben, wie Göthe in dem eben citirten Gedicht sagt, immer wieder edle Sitte durchschlug Unbändig schwelgt ein Geist in ihrer Mitten
Und durch die Rohheit fühl' ich edle Sitten.
. War man des Treibens und Hetzens und »Wüthens« in Feld und Wald und Gebirge müde, so griff man daheim zum Komödienspiel, der Herzensfreude der Herzogin Amalia. Weimar hatte damals noch kein stehendes Theater und nur eine Komödiantenbande unter Bellomo's Direction ging ab und zu. In der eigentlichen Genieperiode aber ward bei Hof ein Privattheater eingerichtet, auf welchem die Fürstlichkeiten und die Hofleute selber die Rollen übernahmen. Göthe war Dirigent, Theaterdichter und Schauspieler zugleich. Der Apparat war sehr einfach und die Kosten unbedeutend. Muthwilligste Neckerei hatte dabei freilich nicht selten offenen Raum. So wurde in einer tollkomischen, von Göthe gedichteten, von Seckendorf componirten Oper, »die geflickte Braut«, nachmals zum »Triumph der Empfindsamkeit« abgeschwächt, dem bei der Aufführung zu Ettersburg anwesenden Papa Wieland vermittelst einer Parodie seiner »Alceste« so arg mitgespielt, daß er im Zorne davonlief Die parodische Arie an den Mond:
Du gedrechselte Laterne
Ueberleuchtest alle Sterne
Und an deiner kühlen Schnuppe
Trägst du der Sonne mildesten Glanz –
wurde unter Posthornbegleitung »in der allerlächerlichsten Weise abgeleiert«, wobei auf das Wort Schnuppe ein langer Triller kam. Vgl. Diezmann a. a. O. 170.
. Aber auch Göthe's Iphigenie in ihrer ersten Gestalt kam am 6. April 1779 auf dem fürstlichen Privattheater zuerst zur Aufführung und man möchte sagen, daß mit der Erscheinung dieser edlen Dichtung die kraftgenialische Atmosphäre Weimars sich zu klären und zu reinigen begonnen habe Corona Schröter war Iphigenie, Knebel Thoas, Prinz Constantin Pylades, Göthe Orest. Ein Augenzeuge, Hufeland, schrieb über diese Aufführung: »Nie werde ich den Eindruck vergessen, den Göthe als Orest im griechischen Costüm machte. Man glaubte einen Apollo zu sehen. Noch nie erblickte man eine solche Vereinigung physischer und geistiger Vollkommenheit und Schönheit in einem Manne als damals an Göthe.«.

Den Abschluß des Kraftgeniewesens bildete die Geniereise, welche der Herzog im Herbst 1779 mit Göthe und Wedel zu Pferde – wie das übrigens damals noch eine sehr gewöhnliche Reiseart für Männer war – in die Schweiz unternahm. Bei der Zurückkunft nach Weimar trug der Herr Geheimerath, welcher jedoch nach Wieland's Zeugniß (an Merck, Juli 1776) »schon lange vorher und von dem Augenblick an, wo er decidirt war, sich dem Herzog und seinen Geschäften zu widmen, mit aller ziemlichen Weltklugheit sich aufgeführt hatte«, – bordirte Westen und Staatsröcke und trat auch äußerlich mit dem ganzen Ministeraplomb auf. Er mochte bemerkt haben, daß sich das »Regiment« denn doch nicht so im Spaße führen lasse, und auch »das nahe an stille Wuth gränzende odium Vaticinianum« gegen den beneideten Günstling konnte ihm nicht entgangen sein Wieland an Merck, 21. Sept. 1779.. Er warf sich jetzt mit allem Ernst in die Geschäfte, aber er fühlte und sagte, daß er »eigentlich zum Schriftsteller geboren« und demnach die Zeit, welche er diesem seinem wahren Beruf entzöge, eine verlorene sei. Auch der fürstliche Freund machte ihm Sorge; besonders wirkte des Herzogs leidenschaftliche Neigung fürs Militär vielfach störend und verwirrend. Der Ueberdruß des Dichters am Hofleben ging um diese Zeit bis zu hypochondrischer Verstimmung. Damals schrieb er an Frau von Stein: »Die Verdammniß, daß wir des Landes Mark verzehren, läßt keinen Segen der Behaglichkeit grünen« – und das Mißfallen an der Gegenwart verdüsterte ihm auch die Erinnerung an die Vergangenheit, besonders an die kraftgeniale, so sehr, daß er nur noch mit Widerwillen, ja mit Reue auf dieselbe zurückblicken mochte Wie z. B. in den 1783 geschriebenen Zeilen:
Ich brachte reines Feuer vom Altar;
Was ich entzündet, ist nicht reine Flamme,
Der Sturm vermehrt die Glut und die Gefahr,
Ich schwanke nicht, indem ich mich verdamme.
. Karl August seinerseits, jünger und leichtblütiger als der Freund, war von der Gravität und »Taciturnität« seines Herrn Kammerpräsidenten Anfangs nicht sehr erbaut Karl August an Merck, 2. Juni 1783. Zu dem Vorwurf der Taciturnität geben vielleicht die Verse in Göthe's Elpenor einen Commentar ab:
Wer alt mit Fürsten wird, lernt Vieles, lernt
Zu Vielem schweigen.
und meinte auch später noch, es sei »gar possierlich, wie der Mensch gar so feierlich werde« Knebel's Lit. Nachl. I, 180.. Er selbst, der Herzog, gehörte zu den glücklichen Sterblichen, die an Geist und Gemüth nicht altern. Er hat sich den studentischen Humor seiner Jugend bis zuletzt bewahrt und es ist ergötzlich, zu hören, wie der Fürst dem ceremoniös gewordenen Jugendfreunde gegenüber mit kraftgenialisch-ungenirter Redeweise herausging Beim Tode von Göthe's Vater schrieb Karl August: »Der Alte ist nun abgestrichen und die Mutter kann endlich Luft schöpfen.« Als der Minister Göthe in alten Tagen einmal im devotest-umständlichsten Kanzleistyl um einen kurzen Urlaub bat, schrieb der Fürst an den Rand der Eingabe: »Kneife aus!« Am 28. August 1827 führte Karl August den König Ludwig von Baiern, welcher dem Dichter seinen Hausorden persönlich überreichen wollte, bei Göthe ein. Dieser erbat in strengster Förmlichkeit die Erlaubniß seines Fürsten zum Tragen des Ordens, woraus Karl August lachend sagte: »Alter Kerl, mach' doch kein dummes Zeug!«.

Aber es lag in der Natur der Sache, daß eine Episode, wie die Sturm- und Drangperiode im deutschen Kulturleben war, nicht von langer Dauer sein konnte. Je heftiger die An- und Aufspannung der Gemüther gewesen, um so rascher mußte sie nachlassen, um so mehr, da das deutsche Staatsleben nicht danach angethan war, dem Thatendrang einer kraftgenialen Jugend entgegenzukommen. Die deutsche Geniezeit, in welcher auch Schiller's Erscheinung wurzelt, ist eines der Vorspiele der großen Umwälzungen gewesen, die sich am Ausgang des Jahrhunderts vollzogen. Der Saus und Braus der Kraftgenialität glich den Aequinoctialstürmen, welche den Frühling ankündigen. Es brach auch wirklich in jenen Tagen für Deutschland ein neuer Geistesfrühling an. Und nicht nur Das. Denn wenn auch die neue Literatur als ihr nächstes Ziel nur die Souverainetät der Kunst im Auge hielt, so war sie doch zugleich voll befruchtender Anregungen für die Weiterentwicklung des politischen und sozialen Lebens unseres Landes. Wer die Zustände der deutschen Gesellschaft in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts näher kennt, wird nicht bestreiten wollen, daß es schon ein Stück sozialer Revolution war, wenn der Dichter des Götz und Werther mit einem deutschen Herzog auf Du und Du stand.


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