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Drittes Kapitel.
Die Akademie.

Herzog Karl in der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit. – Die Gräfin von Hohenheim. – Eine fürstliche Beichte. – Schubart's Einkerkerung. – Genesis der Karlsschule. – Die militärische Pflanzschule auf der Solitude und Schiller's Eintritt in dieselbe. – Die Militär-Akademie. – Wie den jungen Schiller, welcher Jurist werden soll, seine Mitschüler beurtheilen. – Ein vierfältiges Kleeblatt von angehenden Poeten. – Verlegung der Akademie nach Stuttgart und Uebertritt Schiller's von der Jurisprudenz zur Medizin. – Das Leben in der Akademie. – Schiller als Schauspieler. – Poetische Versuche und prosaische Hindernisse. – Ein gedruckter Erstling. – Bekanntschaft mit Rousseau, Ossian und Shakspeare. – Ein kaiserlicher Besuch. – Göthe in der Akademie.


Später als in vielen anderen deutschen Ländern erfolgte in Altwürtemberg die Wendung von der gedankenlosen Willkürherrschaft zu jener Regierungsweise, welche in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als »aufgeklärter Despotismus« auftrat und als solcher in der Einleitung charakterisirt worden ist. Aber doch erfolgte auch hier diese Wendung. Der helle Verstand, womit Herzog Karl begabt war, trat aus der vieljährigen Verdunkelung durch ein Leben voll Saus und Braus und die Schmeichlerkünste ehrvergessener Menschen mehr und mehr hervor. Freilich war die Besserung keine plötzliche und konnte es auch nicht sein. Man verletzt die Sitten nicht ungestraft, man tritt die Gesetze nicht ungestraft mit Füßen. Die augenblicklichen Aufwallungen und Launen der Willkür verhärten sich gar zu leicht zu Gewohnheiten und das verfestigte Bewußtsein absoluter Machtvollkommenheit wird nur schwer dazu gebracht, anzuerkennen, daß auch Andere Rechte haben. Indessen mußte der Herzog einsehen, daß in der bisherigen Weise nicht mehr fortzufahren sei. Die Mittel waren schlechterdings nicht mehr zu erschwingen. Und dann, wie sehr auch die deutsche Reichsgewalt heruntergekommen war, in den Händen eines redlichen Mannes, wie Kaiser Joseph II. gewesen ist, erwies sie sich doch noch immer »competent« genug, zu entscheiden, daß die Bewohner eines deutschen Reichslandes doch nicht so ganz nur eine Schaar frohnender Knechte seien. Genug, die würtembergischen Stände hatten ihren Herzog gehäufter Verfassungsverletzungen halber beim Kaiser verklagt und nach langem Hin- und Herziehen der Sache kam, unter preußischer Vermittelung, zwischen Karl und der »Landschaft« 1770 jener Aussöhnungsvertrag zu Stande, welcher unter dem Namen »Erbvergleich« in der Geschichte Würtembergs bekannt ist und demzufolge der Fürst sich verpflichtete, fortan nach Verfassung und Gesetz zu regieren, das Land der übermäßigen Belastung zu entheben und jene schreienden Mißbräuche abzustellen, welche die rächende Muse in »Kabale und Liebe« mit unauslöschlichen Flammenzügen verzeichnet hat.

Der gute Wille Karl's mochte ein aufrichtiger sein, denn die Zeit hatte das Feuer seiner Leidenschaften gedämpft. Es fehlte auch, ihn nachdenklich zu stimmen, nicht an düsteren Erlebnissen, wie z. B. ein solches die Gefahr war, durch die Hand der eigenen, an den Fürsten Anselm von Th … vermählten Schwester vergiftet zu werden. Aber die Gewohnheit war stark und man darf mit Grund bezweifeln, daß die Bestimmungen des Erbvergleichs zur Ausführung gekommen wären, wenn nicht um diese Zeit eine seltene Frau den heilsamsten Einfluß auf den Herzog zu üben begonnen hätte. Man mag über das Verhältniß Franziska's von Hohenheim zu Karl unter dem Gesichtspunkt strenger Moral urtheilen, wie man will, immer wird man zugeben müssen, daß dasselbe dem Land zum Heile geworden. Franziska, nicht so sehr durch Schönheit als vielmehr durch Grazie in Haltung, Benehmen und Ausdrucksweise ausgezeichnet, war als armes Edelfräulein 1748 zu Adelmannsfelden bei Aalen geboren. Ihr Vater, ein Herr von Bernardin, hatte sie mit einem buckligen, aber reichen Herrn von Leutrum verheiratet. Sie war zweiundzwanzig Jahre alt, als der Herzog sie bei einer Adelsreunion zu Pforzheim kennen lernte und einen so außerordentlichen Eindruck von ihr empfing, daß er auf der Stelle seine Maßregeln traf, um in den Besitz der jungen Frau zu gelangen. Er ernannte den Herrn von Leutrum sofort zu seinem Reisemarschall, was diesem die Verpflichtung auferlegte, dem heimreisenden Herzog vorauszueilen, während seine Gemahlin die Reise in der herzoglichen Kutsche machte. Diese hielt vor dem Lustschloß La Favorite im Ludwigsburger Parke, wo sich der Herzog mit der Dame verständigte. Einer munteren Sage zufolge, die, wahr oder erfunden, jedenfalls das Hofleben von damals kennzeichnet, habe sich der Herr Reisemarschall, während drunten in der Favorite seine Frau die Favorite Karl's ward, droben im Stadtschloß im Gefühl seiner neuen Würde gebläht, ohne sich das Flüstern und Lächeln der Hofleute deuten zu können. Weil aber seine Anwesenheit unbequem geworden, habe ein gewiegter Kammerherr auf einen Wink Serenissimi dem Herrn Reisemarschall die erstaunliche Neuigkeit mitgetheilt, es sei in der Residenz ein seltenstes Wunderthier angelangt, ein Dromedar, das auf der Herreise plötzlich in einen Hirsch von sechszehn Enden sich verwandelt hätte. Da endlich habe der arme Mann gemerkt, welche Stunde die Glocke geschlagen, und sei, ohne die entführte Gemahlin zu reclamiren, auf seine Güter abgereist.

In Franziska gewann der Herzog nicht allein eine Geliebte, sondern auch eine Freundin, die es verstand, ihren Liebhaber, wenn nicht ganz, so doch großen Theils auf eine bessere Bahn zu lenken. Ihr vorzugsweise ist die Umwandlung des Fürsten zuzuschreiben. Die verfassungsmäßige Regierung wurde jetzt wenigstens annähernd eine Wahrheit. Die gröblichsten Uebelthäter und Quäler, wie Montmartin und Wittleder, erhielten ihre Entlassung und es wurden mit Eifer und Kenntniß vom Herzog Anstalten getroffen, dem erschöpften Lande aufzuhelfen. So durch Minderung des zerstörerischen Wildstandes, durch Verbesserung der Landwirthschaft, Veredlung des Weinbaus, Anlegung von Straßen und Wegen, Einführung einer Forstpolizei, Abstellung der kostspieligen Soldatenpracht, Unterstützung von Gewerben und neuen Industriezweigen. Franziska, den rauschenden Vergnügungen abgeneigt, insgeheim von einem brennenden Schamgefühl gequält, daß sie im besten Falle doch nur einen tiefsinnig Shakspeare'schen Spruch bestätige Virtue itself turns vice, being misapplied,
And vice sometime's by action dignified.
R. and J. II, 3.
, und deßhalb die Zurückgezogenheit suchend, wußte auch dem Herzog Geschmack an ländlicher Stille beizubringen. So wurde jetzt das Schloß Hohenheim Hauptresidenz Karl's. Er hatte es 1768 zu bauen angefangen, auf der Hochebene zwischen Stuttgart und Echterdingen, wo Angesichts der Bergspitzen der schwäbischen Alp der Garbenhof gestanden. Anfangs war es nur auf den Bau eines Landhauses abgesehen gewesen, aber es ging auch hier, wie es mit der Solitude gegangen war. Hohenheim wurde ein Prachtpalast, umgeben von ausgedehnten Gartenanlagen mit all den bizarren Spielereien der Horticultur von damals. Aber das buntschimmernde Getümmel von Höflingen, Gästen, Künstlern und Soldaten, welches vormals die Wälder der Solitude mit Festgeräusch erfüllt hatte, zog nicht mit in Hohenheim ein. Der Herzog lebte hier nicht so fast auf fürstlichem, als vielmehr auf dem Fuß eines wohlhabenden Gutsbesitzers. Daher verödete Ludwigsburg, die Solitude entsprach jetzt mehr und mehr ihrem Namen und aus Stuttgart verschwanden die vornehmen Parasiten, die italischen Trillerschläger und Tänzerinnen, die französischen Virtuosen und Actricen. Franziska lehrte den Herzog zum ersten Mal in seinem Leben das Glück der Häuslichkeit kennen und er erwies sich dankbar dafür. Er ließ die Freundin, sein »Franzele«, durch den kaiserlichen Hof zur Reichsgräfin von Hohenheim ernennen, vermählte sich nach dem Tode seiner Gemahlin mit ihr (1786) und erhob sie zuletzt förmlich zur Herzogin.

Unter dem sanften, aber dauernden Hausregiment dieser Frau scheint den alternden Fürsten beim Rückblick auf die Vergangenheit zuweilen eine Empfindung von Scham und Reue angewandelt zu haben. Hieraus erklärt sich die Entstehung jenes höchst eigenthümlichen Actenstückes, welches Karl 1778 ausgehen ließ, damit es am 11. Februar, seinem fünfzigsten Geburtstag, von allen Kanzeln des Landes verlesen werde. Es war ein förmliches Sündenbekenntniß mit angehängter Reuebezeugung und dem schließlichen Versprechen an seine Unterthanen, daß »die Zukunft von nun an von ihm einzig zum Wohle derselben verwendet werden solle, so daß sie in ihrem Landesherren stets einen sorgenden, treuen Vater würden verehren können.« So ganz streng und stricte wurde dieses feierliche Gelöbniß freilich nicht erfüllt. Es fehlte auch in der zweiten Hälfte von Karl's Regierung nicht an starkem Mißbrauch der Gewalt. Selbst von der früher im weitesten Umfange betriebenen Seelenver – mietherei konnte er nicht ganz abstehen und noch im Jahre 1786 wurden tausend Mann würtembergischer Soldaten an die Holländer zum Dienst in den Colonien »überlassen«. Auch die an dem unglücklichen Schubart, der nicht einmal ein Unterthan des Herzogs war, mit Anwendung schnöder List verübte Rache gehört hieher. Dieser Streich fand gerade ein Jahr vor Veröffentlichung des erwähnten Sündenbekenntnisses statt und Karl's Zerknirschung ging keineswegs so weit, das schreiende Unrecht sofort gutzumachen. Schubart wurde von Ulm weg, wo er in reichsstädtischer Sicherheit seine »Deutsche Chronik« schrieb, in den letzten Tagen des Januar 1777 durch einen würtembergischen Beamten nach Blaubeuren gelockt, dort gefangen genommen und auf den Asperg geschleppt, wo er zehn volle Jahre ohne Verhör und Urtheil schmachtete. Man hielt es nicht einmal der Mühe werth, ihm zu sagen, warum dieser Frevel an ihm begangen werde; zweifelsohne aber geschah es aus Rache, denn Schubart hatte sich in seiner Zeitschrift und mehr noch am Wirthshaustische mißfällige Anspielungen auf den Herzog erlaubt. Der Herzog war selber auf den Asperg gekommen, um der Einkerkerung des unglücklichen Mannes zuzusehen »Der Herzog war selbst zugegen und bezeichnete den Kerker, in dem man mich verwahren sollte. Ich wurde in den Thurm geführt, dicht am Zimmer vorbei, von dem der Herzog und seine Gemahlin (d. i. Franziska) herunterschauten.« Schubart's Selbstbiographie, II, 143-44. Auf dem Wege von Blaubeuren nach der Festung hatte der Gefangene in dem Städtchen Kirchheim übernachtet. Zu dem Wirthszimmer daselbst wurde er von »ledernen Philistern« des Ortes bewacht, die sich heimlich einander ins Ohr raunten: »Das ist der Schubart, der Malefizkerl! Man wird ihm 'nmal den Grind (d. i. den Kopf) herunterfegen!« Das war der Volksdank für die emanzipative Thätigkeit des patriotischen Publizisten.. Franziska war mit ihm und dieser Umstand heftet einen dunkeln Makel an den Charakter derselben. Die sonst so gutmüthige Frau scheint nicht die Kraft gehabt zu haben, zu vergessen, daß der arme Poet beim Weinglas nicht eben erbauliche Witze über ihr Verhältniß zum Herzog losgelassen und ihr den Spottnamen »Donna Schmergalina« geschöpft hatte.

Karl konnte nicht stillsitzen. In dem Grade, in welchem seine Genußsucht nachließ, wuchs sein Thätigkeitstrieb. Auch jetzt noch sollte und mußte von ihm gesprochen werden, aber nicht mehr um solcher Großthaten willen, wie sie Uriot vordem in die Welt hinausposaunt hatte. Eine Liebhaberei mußte er haben, er mußte ein Steckenpferd tummeln und man könnte glauben, daß ein bloßer Zufall ihm gerade das pädagogische untergelegt habe, wüßte man nicht, daß die Erziehungslust mit zur Signatur der Zeit gehörte. Rousseau's » Emile« war 1762 erschienen und hatte seine epochemachende Wirkung auch auf Deutschland ausgedehnt. Es ist freilich entschieden zu verneinen, daß die pädagogische Liebhaberei des Herzogs direct auf Rousseau zurückzuführen sei. Eine so autokratische Natur, wie die Karl's, mußte sich, ganz wie die Friedrichs des Großen, von dem Demokratismus des berühmten Genfers nicht angezogen, sondern abgestoßen fühlen. Aber der pädagogische Trieb lag einmal in der Luft, er machte einen wesentlichen Theil des aufgeklärten Despotismus aus und traf außerdem bei Karl mit einer bedeutsamen Wendung seines Lebens zusammen. Es war seine Art, was er angriff, mit leidenschaftlichem Eifer anzugreifen und geringfügige Anfänge rasch zu großartigen Veranstaltungen zu erweitern. Die schulmeisterliche Färbung seines Wesens wurde binnen kurzer Zeit eine so prononcirte, daß sie den Spott herausforderte. Aber als Schubart seinen bekannten Witzpfeil auf den Herzog abschoß Als Dionys von Syrakus
Aufhören muß,
Tyrann zu sein,
Da ward er ein Schulmeisterlein.
, da hätte er sich wohl nicht träumen lassen, daß der Verspottete zehn Jahre hindurch seine pädagogische Zuchtruthe über ihm schwingen würde. Es sieht nämlich ganz so aus, als wäre die Gefangenhaltung des Dichters, wennschon zunächst vom Rachegefühl eingegeben, von dem Herzog wie ein pädagogisches Experiment betrachtet worden. Das Experiment blieb denn auch nicht erfolglos: die Kerkerschule auf dem Asperg knickte den hochstrebenden Geist Schubart's und machte den Mann zum Heuchler und Hofpoeten. In Wieland's Agathon hat man ebenfalls satirische Anspielungen auf den Schulmeistertic Karl's gefunden, aber Wieland entging wenigstens dem Unglück, mit demselben nähere Bekanntschaft zu machen Am 24. Januar 1796 äußerte Wieland gegen Böttiger (Literar. Zustände und Zeitgenossen, I, 180): »Man hat mir auch schuldgegeben, daß ich im Dionysius meines Agathon den Herzog Karl von Würtemberg geschildert habe. In Einigem können die Leute wohl rechthaben; aber es ist doch nicht mit Bewußtsein geschehen. Man mochte indeß dem Herzog selbst etwas der Art von mir gesagt haben; als er hier war und Herder und ich ihm präsentirt wurden, affectirte er uns gar nicht zu kennen. Dagegen hielt er in Jena ein großes Gastgebot, wo er die Pedanten alle zusammenbat und sie von seiner neuen Universität unterhielt, ihnen streitige Punkte zur Entscheidung vorlegte, aber allezeit vorausschickte: der Gesetzgeber (sich selbst meinend) hätte darüber so gesprochen u. s. w. Ich konnte mich damals nicht enthalten, ein Epigramm auf diesen Dionysius zu machen, das die Leute sehr beißend fanden und fleißig circuliren ließen.« Böttiger, welcher freilich seine Glaubwürdigkeit durch überflüssigen Klatsch bekanntlich stark beeinträchtigt hat, theilt das nachstehende Epigramm mit: –
Mit größtem Recht, o Schwabenkönig, hieß
Die Welt dich längst den zweiten Dionys;
Dir fehlte Nichts, die Gleichheit zu vollenden,
Als mit Schulmeistern auch wie Dionys zu enden.
Man sieht, falls dies Epigramm wirklich das erwähnte Wieland'sche ist, so hat es bei der Priorität von Schubart's Witz eine sehr verdächtige Aehnlichkeit mit diesem. – Ueber das berührte Gebahren des Herzogs während seiner Anwesenheit in Jena finde ich in einem vom 17. Februar 1783 datirten Brief Karl August's von Weimar an Merck die denkwürdige Aeußerung: – »Der Herzog von Würtemberg war gestern hier. Sie wissen, daß er alle Universitäten Deutschlands bereist und daß er wohl leiden mag, wenn sich alle Facultäten vor ihm hören lassen, respective vor ihm prostituiren; auch läßt er's nicht ermangeln, ihnen vice versa ein ähnliches Spcetacul zu geben. Ich war Augenzeuge einer solchen Operation in Jena, 8 Professoren überhörte er in 10 Thema's. Ein alter Husaren-General mit einem großen Schnurrbart, der ihn begleitet, ein dickköpfichter, runder Schwabe, hat den Auftrag, die Collegia zu schreiben; mit Seufzen und Fluchen unterzieht er sich diesem Geschäfte.«
. Im Uebrigen ist es selbstverständlich, daß der eitle oder komische Anstrich, welchen des Herzogs pädagogischer Eifer nicht selten zeigte, uns nicht abhalten darf, anzuerkennen, daß Karl mit ganzer Seele bei der Sache war und daß er durch Gründung einer Anstalt, aus welcher eine ganze Reihe ausgezeichneter und ausgezeichnetster Männer der Kunst und Wissenschaft, sowie treffliche Generale und Staatsmänner hervorgegangen sind, Deutschland und der Welt einen großen Dienst erwiesen hat.

Die Anfänge dieser Anstalt waren so, daß nicht zu vermuthen stand, es würde sich daraus die berühmte Militär-Akademie entwickeln, welche, zur Zeit ihrer Blüthe mit Zöglingen aus der Heimat und Fremde angefüllt, endlich durch kaiserliches Diplom (datirt vom 22. Dezember 1781) förmlich zur Hochschule erhoben wurde und zwar unter dem offiziellen Titel: »Die Hohe Karlsschule« oder »Karls-Hohe-Schule« Wir besitzen jetzt eine ausführliche »Geschichte der Hohen Karlsschule« nach archivalischen Quellen von H. Wagner. 1856-57. Aus dem im Text angeführten Datum des kaiserlichen Diploms, kraft dessen die Akademie zur Karlshochschule erhoben wurde, ersieht man, daß, streng genommen, Schiller ein »Karlsschüler« nicht heißen kann, da er die Akademie schon zu Ende d. J. 1780 verlassen hatte.. Der Herzog hatte 1770 auf der Solitude unter dem Namen »Militärisches Waisenhaus« ein Erziehungs- und Wohlthätigkeitsinstitut gestiftet, bestimmt, arme Soldatenkinder aufzunehmen und dieselben zum Dienst in den herzoglichen Gärten und bei den herzoglichen Bauten heranzubilden. Die Leitung hatte der Hauptmann Seeger, ein wohlmeinender Mann, dessen Ein- und Umsicht aber mit militärischer Pedanterei stark verquickt war. Im Februar 1771 erhielt das Waisenhaus den Namen »Militär-Pflanzschule« und zugleich ein erweitertes Reglement, wonach in dieser Anstalt nicht nur Soldatensöhne zu Handwerkern und »Artisten«, sondern auch »junge Cavaliers- und Offiziers-Knaben zu künftigen Ministerial-, Hof- und Kriegsdiensten gebildet werden sollten.« Demzufolge wurde das Lehr- und Aufsichtspersonal bedeutend vermehrt, es wurden Professoren für wissenschaftliche und künstlerische Disciplinen, sowie Fechtmeister, Stallmeister, Tanzlehrer und Exerciermeister angestellt. Schon 1771 zählte das Institut 361 Zöglinge, welche in 18 Zimmer und Säle »einrangirt« waren.

In diese militärische Pflanzschule auf der Solitude trat zu Anfang des Jahres 1773 der vierzehnjährige Friedrich Schiller als Zögling ein, angethan mit »einem blauen Röcklein nebst Camisol ohne Ermel«, im Besitze von fünfzehn Schulbüchern und einer Baarschaft von 43 Kreuzern. Er kam nicht freiwillig. Der Herzog, begierig, seine Pflanzschule möglichst rasch mit Pflänzlingen zu füllen, hatte in den Schulen Nachfragen nach fähigen Offizierssöhnen anstellen lassen. Fritz wurde ihm als ein solcher bezeichnet und der Fürst machte dem Hauptmann den, wie er meinte, höchst gnädigen Vorschlag, dessen Sohn in der Pflanzschule kostenfrei unterrichten und erziehen zu lassen. Diese Gnade war ein Befehl: hing doch die ganze Existenz der Schiller'schen Familie unbedingt von dem Herzog ab. Damals mögen viele bittere Thränen aus Frau Elisabeth's Augen geflossen sein; denn sie mußte ihren Herzenswunsch, den geliebten Sohn dereinst auf der Kanzel zu sehen, einem Willen opfern, welcher keinen Widerspruch duldete. Daß Fritz selber den Eingriff in seinen Lebensplan schmerzlich empfand, ist gewiß; doppelt schmerzlich deßhalb, weil dadurch die Lieblingshoffnung der heißgeliebten Mutter scheitern ging. Herr Johann Kaspar, der sich ebenfalls gewöhnt hatte, in seinem Sohne den künftigen Geistlichen zu erblicken, mochte sich im Stillen grämen; aber den Seinigen zeigte er ein strenges Gesicht und sprach davon, daß es eines Offiziers »verfluchte Pflicht und Schuldigkeit« sei, die Ordre seines Kriegsherrn zu pariren. Also keine Winkelzüge, kein Geseufze, kein Gegreine! Was sein muß, muß sein, und zudem, Serenissimus meint es ja so gut mit dem Jungen! … Es ist der Fluch der Willkür, daß sie selbst da, wo sie wohlthun will, Schmerzen bereitet. Einigen Trost mochte der betrübten Mutter der Umstand gewähren, daß ihr Fritz, welcher – so wollte es der Herzog – statt eines Predigers ein Jurist werden sollte, zunächst in ihrer Nähe, im Umkreise der Solitude lebte.

Verfolgt man die vom Rothenbildthor Stuttgarts aus den Hasenberg hinanführende Straße, so empfängt Einen auf der Höhe ein Buchenwald, durch welchen hin man binnen einer Stunde bequem dem berühmten Lustschloß zuschlendert. Es steht mit seinem Treppenvorbau und seiner schönen Kuppel jetzt recht still an dem Bergabhang, von welchem man über das weite Blachfeld hinweg zum Asperg hinübersieht. Nur Sonntags wird die herrschende Stille durch städtische Besucher für ein paar Stunden unterbrochen. Von den zahlreichen Nebengebäuden des Schlosses existiren nur noch wenige. Auch die Militär-Akademie – denn diesen Namen erhielt die Pflanzschule schon 1773 – ist verschwunden. Ebenso die Wunder damaliger Gartenkünste. Spuren derselben triffst du noch überall bei einer Wanderung durch die Umgebungen des Schlosses, und wenn du dich endlich ermüdet auf einer Rasenbank in einem verwilderten Boskett niederlässest, hast du vielleicht eine Stelle betreten, wo vor Zeiten Friedrich Schiller sein vierzehnjährig Herz in den Entzückungen des Klopstock'schen Messias badete. Denn Klopstock war der große Liebling des werdenden Jünglings und der erhabene Idealismus dieses Dichters hat unstreitig auf seinen jungen Verehrer bedeutsame Wirkung gethan. Aber die Gelegenheit, auf einsamen Spaziergängen oder etwa in Gesellschaft seines Jugendkameraden Hoven, mit welchem Fritz in der Pflanzschule wieder zusammengetroffen, solchen poetischen Genüssen zu fröhnen, war keine häufige. Der Herr Major von Seeger, welcher dem Institut als Intendant vorgesetzt war, hielt streng auf das Reglement, das mit militärischer Pünktlichkeit eine Tagesordnung festsetzte, welche für Allotria, wozu die vaterländische Literatur gerechnet wurde, nur spärlichsten Raum ließ. Fritz hatte genug zu thun, seine Vorbereitungsstudien zur Jurisprudenz vorschriftsmäßig zu treiben. Er vervollkommte sich im Latein und beim Stiftungsfest der Akademie am 14. Dezember 1773 erhielt er den ersten Preis in der griechischen Sprache, eine silberne Medaille mit dem Bilde des Herzogs, welcher so recht con amore sein pädagogisches Steckenpferd ritt. Er war fast täglich in der Akademie, wohnte den Lectionen und Prüfungen an, verkehrte traulich mit den Zöglingen, nannte sie seine Söhne, und wenn er mit seiner »Franzel« nach Stuttgart hinabfuhr, sah man die herzogliche Kutsche nicht selten außen und innen mit Pflanzschülern vollgepfropft, welche zur Belohnung guter Aufführung diese Fahrten mitmachen durften.

Gewöhnliche Geister konnten einen so väterlich geübten Zwang, welcher übrigens auch häufig zum Stocke griff und mit verletzenden Strafmaßregeln dreinfuhr, unschwer sich gefallen lassen und in den Geleisen reglementarischer Studien gemächlich fortschlendern. Ebenso natürlich aber ist es, daß ein Jüngling, in welchem der Genius sich zu regen begann, nur widerwillig in eine Existenz sich fand, welche zugleich die einer Kaserne und eines Klosters war. Wir wissen daher von bitteren Klagen, welche der junge Schiller in Briefen an Jugendfreunde ausstieß, die mit der größten Heimlichkeit geschrieben und an ihre Adressen geschmuggelt werden mußten. Doch waren solche trübe Stimmungen vorerst mehr nur vorübergehende als bleibende und es hatte sich des vulkanischen Feuers noch nicht genug in der Brust des Jünglings angesammelt, um schon jetzt auszubrechen. Wir besitzen ein merkwürdiges Document, aus welchem ersichtlich ist, in welchem Lichte Schiller während der ersten Jahre seines Aufenthalts in der Akademie seinen Mitschülern erschien. Es war nämlich vom Herzog angeordnet worden, daß die Zöglinge von Zeit zu Zeit Aufsätze an ihn einliefern sollten, in welchen sie sich selbst und ihre Mitzöglinge schilderten. Eine Zusammenstellung der Aeußerungen von 47 Akademisten über Schiller ergab in der Hauptsache folgendes Resultat: – »Schiller ist fast in allen Stücken dem Eleven von Hoven gleich und geht auch besonders Beider Neigung auf die Poesie, und zwar bei Schiller auf die tragische. Ist sehr lebhaft und lustig, hat gar viel Einbildungskraft und Verstand; ist sehr bescheiden, schüchtern, sehr freundlich und mehr in sich selbst vergnügt, als äußerlich, liest beständig Gedichte. Seiner Kränklichkeit ist es zuzuschreiben, daß er sich in den Wissenschaften nicht so sehr, wie Andere, hat hervorthun können. Gegen seine Vorgesetzten ist er ehrfurchtsvoll. Legt sich auf Rechtsgelehrsamkeit. Sehr dienstfertig, freundschaftlich und dankbar, sehr aufgeweckt und sehr fleißig. Ist gewiß ein guter Christ, aber nicht gar reinlich. Neigung zur Poesie. Ist zwar nicht ganz mit sich selbst, aber doch vollkommen mit seinem Schicksal zufrieden. Hat einen Hang zur Theologie. Wendet seine Gaben nicht gut an Mitgeth. von Petersen im Morgenblatt 1807, Nr. 182. In einer Selbstschilderung, welche Schiller zur nämlichen Zeit dem Herzog von sich entwarf, findet sich folgende Stelle: »Sehen Sie mich, Durchlauchtigster Herzog, in der Mitte meiner Brüder, forschen Sie von ihnen selbst, wie ich mich bisher gegen dieselben aufgeführt habe. Sie werden mich eigensinnig, hitzig, ungeduldig hören müssen, doch werden dieselben Ihnen auch meine Aufrichtigkeit, meine Treue, mein gutes Herz rühmen. Aber die schönen Gaben, die ich habe, habe ich bisher nicht so angewendet, als es mir meine Pflichten auferlegt haben. Nun sehe ich mich von der Unzufriedenheit gedrückt, die ich verdiene, allein ich kann doch einigermaßen Entschuldigung finden, denn wenn der Körper leidet, so leiden mit ihm auch die Kräfte der Seele und der Wille wird durch Leibesschwachheiten öfters gehindert, in Erfüllung zu gehen. Ebenso habe ich Reinlichkeit am Körper bisher nicht so beobachtet, als es meine Schuldigkeit gewesen.«

Man sieht, dieses Bild ist ein ziemlich schwankendes. Aber drei Züge treten an demselben mit Bestimmtheit hervor: der gute Charakter des Jünglings, dann seine Kränklichkeit, welche, ach, die Qual seines ganzen Lebens werden sollte, und endlich der dichterische Instinkt, welcher sich noch während des Aufenthalts auf der Solitude mehr und mehr zum Bewußtsein heraufbildete. Freilich äußerte sich der poetische Drang Schiller's zunächst mehr nur empfangend und nachbildend denn schöpferisch. Klopstock's Messias gab ihm den Gedanken ein, Moses zum Helden eines religiösen Epos zu wählen, die düstere Tragik von Gerstenberg's Ugolino, welchen er schon 1773 kennen lernte, regte ihn an, ein Trauerspiel, der Student von Nassau, zu versuchen, und Leisewitz's Julius von Tarent begeisterte ihn zu einer Nachahmung, welche den Titel Cosmus (oder Julian?) von Medici führte. Diese nachmals verschollenen Versuche fanden in dem engeren Freundeskreise, welcher sich um Schiller her gebildet hatte, beifällige Anerkennung, um so mehr, da Fritz die poetischen Anläufe seiner Freunde Hoven, Petersen und Scharffenstein ebenfalls schön fand. Der Abgott der strebsamen Jünglinge war Göthe, dessen Götz und Werther, eben erschienen, eine so unwiderstehliche Wirkung thaten, daß sich selbst die streng gehüteten Thore der Militär-Akademie auf der Solitude nicht vor diesen Werken eines Genius verschließen konnten, mit dessen Auftreten eine neue Epoche der deutschen Literatur anhob. Herzog Karl freilich, durch und durch ein Adept der französischen Bildung, war nicht geneigt, diesem neuen Ton Zutritt zu gestatten, auch vorausgesetzt, daß er denselben verstanden hätte. Oder verstand er ihn vielleicht nur allzugut? Ahnte er, daß die neue kraftgeniale Poesie einen Geist großzog, welcher allem Despotismus todfeindlich gesinnt war? Wenigstens that er sein Möglichstes, diesen Geist von seiner Akademie fernzuhalten. Mit welchem Erfolge, beweist, von Schiller ganz abgesehen, schon der Umstand, daß der alte Fürst ein Jahr vor seinem Tode, als er bei dem furchtbaren Gange, welchen die französische Revolution genommen, in seiner Akademie eine antirevolutionäre Warnungs- und Strafrede hielt, von den Karlsschülern förmlich ausgepfiffen wurde. Es muß die bitterste Kränkung gewesen sein, die er in seinem Leben erfahren. Er hat damals zur Antwort bloß einen stummen Blick kummervollen Vorwurfs auf die kecken Jünglinge geworfen und von da ab die Räume der Karlsschule nur noch selten betreten.

Auf unser vierfältiges Kleeblatt von angehenden Poeten zurückzukommen, so ist zu sagen, daß man den jungen Leuten einige Selbstgefälligkeit bei gegenseitiger Anerkennung ihrer Versuche schon zu gute halten wird, wenn man bedenkt, daß sie Zeit und Gelegenheit zur Uebung in dichterischer Kunst einem unnachsichtigen und pedantischen Aufsichtspersonal förmlich ablisten mußten. Charakteristisch war dabei die frühzeitige Hinneigung Schiller's zu großen oder wenigstens tragischen Stoffen, welche ihn jene träumerische Weichheit und Sentimentalität, wie sie dem ersten Jünglingsalter häufig eigen, verschmähen ließ. Als Scharffenstein in den Tagen seines Alters seine Erinnerungen an jene Zeit sammelte, machte er die treffende Bemerkung, die eigentliche Wurzel der erwachenden Poesie seines großen Freundes sei dessen Haß gegen den Zwang der Convenienz gewesen, welchem er in der Akademie unterworfen war. Wenigstens in Versen wurde gegen einen Druck angekämpft, dessen Wucht gerade die begabteren Zöglinge doppelt fühlen mußten. Es unterliegt keinem Zweifel, das Leben in der Akademie gab dem Genius Schiller's für immer jene Richtung auf die Freiheit, welche auch Göthe als das große Merkmal der Schiller'schen Dichtung anerkannt hat Durch alle Werke Schiller's – äußerte am 18. Januar 1827 Göthe gegen Eckermann – geht die Idee der Freiheit und diese Idee nahm eine andere Gestalt an, sowie Schiller in seiner Kultur weiter ging und selbst ein Anderer wurde. In seiner Jugend war es die physische Freiheit, die ihm zu schaffen machte und die in seine Dichtungen überging; in seinem späteren Leben die ideelle. Daß nun diese physische Freiheit Schiller in seiner Jugend so viel zu schaffen machte, lag theils in der Natur seines Geistes, größerntheils aber schrieb es sich von dem Drucke her, den er in der Militär-Schule hatte leiden müssen. Dann aber in seinem reiferen Leben, wo er der physischen Freiheit genug hatte, ging er zur ideellen über und ich möchte fast sagen, daß diese Idee ihn getödtet bat; denn er machte dadurch Anforderungen an seine physische Natur, die für seine Kräfte zu gewaltsam waren.. Scharffenstein erzählt uns, daß Schiller eine Ode, in welcher er die freimüthige Festigkeit feierte, welche der Freund (Scharffenstein) bei Gelegenheit gegen den Intendanten bewiesen, für das beste seiner Erstlingsgedichte gehalten hätte. Den ernsten, auf das Tüchtige und Große gerichteten Sinn des Jünglings erkennt man auch aus seiner damaligen Lectüre. Er las mit Vorliebe die luther'sche Bibelübersetzung, welche auf die Bildung seines Styls bedeutenden Einfluß hatte, dann die Schriften von Lessing, Mendelssohn und Garve. Aber über Alles ging ihm Plutarch, welcher die großen Gestalten des Alterthums an seiner Seele vorüberführte. Wenige Jahre später las in der Militärschule zu Brienne der junge Bonaparte den Plutarch mit der nämlichen Vorliebe, aber der junge Corse zog eine andere Nahrung daraus als der junge Schwabe. Während der griechische Rhetor diesen hellenische Humanität und römischen Republikanismus lehrte, begeisterte er jenen für die Idee des Cäsarismus.

Die Ausdehnung, welche die Militär-Akademie binnen wenigen Jahren gewonnen hatte, machte eine Erweiterung der Räumlichkeiten nöthig, in welchen die Anstalt untergebracht war. Der Herzog hatte schon 1772 den Plan zu einem großen neuen Gebäude entwerfen lassen und die feierliche Grundsteinlegung hatte auf der Solitude stattgefunden. Dabei blieb es aber; denn Karl beschloß, die Akademie nach Stuttgart zu verlegen, und zwar in die Kaserne hinter dem neuen Schlosse, welche zu diesem Zwecke zu einem großen vierflügeligen Hause umgebaut wurde. Das Gebäude trägt noch heutzutage den Namen Akademie: es breitet seine langen Fensterreihen, seine Korridore und Hofräume zwischen der sogenannten Planie, der Neckarstraße und dem Schloßpark aus. Man hatte zwar einiges Bedenken getragen, die jungen Leute den Gefahren der »verführerischen« Stadt – für eine solche galt Stuttgart damals – auszusetzen, aber man glaubte diesen Gefahren vermittelst einer Potenzirung der militärischen Disziplin und einer raffinirten Ueberwachung doch wohl die Spitze bieten zu können. Die festliche Uebersiedelung der Anstalt in die Hauptstadt erfolgte am 18. November 1775. Der Herzog wollte den Stuttgartern, welchen er durch Verlegung der Akademie keinen geringen Vortheil zuwandte, deutlich zeigen, wie sehr ihm das Institut am Herzen lag. Eine feierliche Einholung war angeordnet. Karl begab sich Vormittags, gefolgt von dem noch jetzt bestehenden Corps der bürgerlichen Stadtreiter, den Hasenberg hinauf, auf dessen Höhe er die Akademisten erwartete. Geführt von ihren Offizieren, kamen sie in Paradeuniform von der Solitude herüber und defilirten vor dem Herzog, welcher sich zu Pferde an die Spitze des Zuges setzte und denselben die Steige hinab und im Parademarsch durch die Stadt führte. In dem von den Stuttgartern mit lautem Zuruf begrüßten Zuge marschirte auch der sechszehnjährige Schiller, aber der langhalsige Jüngling, dessen blasses Gesicht Sommersprossen bedeckten, muß nicht eben reizend ausgesehen haben in seiner hellblauen Aermelweste von Commißtuch mit Kragen und Aermelaufschlägen von schwarzem Plüsch, weißtuchenen Hosen, in welchen unverhältnißmäßig lange Beine steckten, auf dem Kopf einen kleinen Dreimaster, unter welchem an den Schläfen zwei mit Gips gekleisterte Papilloten hervorstanden, während hinten ein enormer falscher Zopf vom Nacken den Rücken hinabbaumelte. Beim Eintritt in die Akademie wurde der Herzog von den Professoren der Anstalt empfangen, worauf sich der Zug unter Trompeten- und Paukenschall nach der Akademiekirche bewegte. Der Prälat Faber hielt die Festpredigt, nach deren Beendigung der Herzog selbst die Zöglinge in ihre neue Behausung einführte und einem jeden seinen Platz anwies. Ein Bankett in dem großen Speisesaal beschloß die Feier Stuttgarter privileg. Zeitung vom 23. November 1775. Jugenderinnerungen des Generals v. Scharffenstein, mitgetheilt im Morgenblatt 1837, Nr. 56. Wagner a. a. O. I, 47.. Zugleich mit der Akademie wurde noch ein zweites Institut von der Solitude nach Stuttgart verlegt und daselbst im alten Schloß untergebracht, die unter dem Patronat der Gräfin von Hohenheim stehende » Ecôle des Demoiselles«, in welcher Töchter adeliger Häuser für das vornehme Gesellschaftsleben und arme Bürgermädchen zur Ausübung der »Theatralkünste« erzogen und gebildet wurden. Die Planie trennte die beiden Anstalten. Hüben regierte der Herr Intendant Seeger, drüben die Frau Intendantin Seeger.

siehe Bildunterschrift

10. Die Militär-Akademie in Stuttgart.
Zeichnung nach einem Croquis von Malté. Geschnitten von C. Laufer

Die Uebersiedelung der Akademie nach Stuttgart wurde wiederum zu einem Wendepunkte in Schiller's Jugendleben und zwar nicht allein in örtlicher Beziehung. Er hatte während des ersten in der Akademie verbrachten Jahres alte Sprachen unter dem Professor Nast, Französisch unter Uriot, Geographie und Geschichte unter Schott, Mathematik unter Moll und Philosophie unter Abel studirt. An den Letztgenannten, den populärsten Lehrer der Anstalt, hatte er sich innig angeschlossen. Im zweiten Jahre hatte er das Rechtsstudium zu betreiben angefangen, aber es in dem noch dazu von zwei entschiedenen Pedanten vorgetragenen spitzfindigen Formelwesen, welches damals Jurisprudenz hieß, nicht eben weit gebracht. Ja, er war hinter seinen Mitzöglingen so offenbar zurückgeblieben, daß die oben mitgetheilten ungünstigen Censuren hierin ihre Erklärung finden. Hoven, dessen Selbstbiographie manchen Lichtstral auf die Jugendgeschichte seines großen Freundes wirft, erzählt, einer der Rechtslehrer auf der Solitude hätte Schiller zuletzt geradezu für talentlos erklärt. Da sei aber der gerade anwesende Herzog, dessen psychologischer Blick tiefer ging als der des Kathedermannes, dazwischengetreten mit den Worten: »Laßt mir den da nur gewähren; aus dem wird was!« Daß einen jungen Menschen, der bei äußerst lebhafter und reizbarer Phantasie in den unklaren Stimmungen und Strebungen der Entwicklungsperiode schwankte, instinktmäßig seiner wahren Bestimmung entgegenschritt und doch bei jedem Schritte von äußeren Verhältnissen gehemmt und zurückgehalten wurde, die Juristerei von damals nicht anziehen konnte, begreift sich leicht. Ebenso, daß er eine gebotene Gelegenheit, das unerquickliche Berufsstudium mit einem anderen zu vertauschen, gerne ergriff. Der Herzog hatte bei Verlegung der Akademie nach Stuttgart derselben neben anderen Erweiterungen auch eine medizinische Facultät beigefügt und unter den Zöglingen Umfrage halten lassen, welche von ihnen zum Studium der Arzneiwissenschaft geneigt wären. Unter den Sieben, welche sich zunächst meldeten, waren Schiller und Hoven, welche, im akademischen Styl zu sprechen, nur der Abscheu vor der Themis dem Aeskulap in die Arme trieb. Herr Johann Kaspar auf der Solitude droben murrte über diese abermalige »Umsattelung« seines Fritz und brummte so etwas von den kostspieligen juristischen Büchern, welche vergeblich angeschafft worden seien; aber der Herzog, welcher nun einmal in seiner Akademie auch Mediziner haben wollte, billigte die Umsattelung vollkommen.

Der Rahmen der Militär-Akademie war jetzt ein so weitgespannter, daß innerhalb desselben Juristen, Verwaltungs- und Finanzbeamte, Mediziner, Offiziere, Kaufleute, Baukünstler, Maler, Bildhauer, Kupferstecher, Modellirer, Musiker, Schauspieler, Tänzer, Kunstgärtner, Jäger und Bereiter ihre Ausbildung finden konnten. Die ganze Organisation der Anstalt war bekanntlich eine streng militärische. Die Direction hatte der Oberst Seeger, unter ihm commandirten die Majore Alberti und Wolff, sowie Aufseher verschiedener Grade, unter welchen der Lieutenant Nieß sich hervorthat, eine Corporalsnatur höchster Potenz, zugleich der Schrecken der Akademisten und die Zielscheibe aller guten und schlechten Witze, welche von den jungen Leuten ausgeheckt wurden. Dieser Nieß witterte verpönte Bücher hinter wohlverschlossenen Schrankthüren, und wehe dem Jüngling, welcher der Sehnsucht seines Alters nach dem verbotenen Genuß einer Pfeife in einem entferntesten Winkel der Akademie nachgab. Der Nieß schnüffelte Raucher und sogar Schnupfer unerbittlich auf und hatte es bald herausgebracht, daß Schiller zu diesen beiden Classen von Verbrechern gehörte. Die ordonnanzmäßige »Propreté« des Lieutenants stieß sich auch nicht wenig an der Lässigkeit, womit der Eleve Schiller sein Aeußeres behandelte und welche allerdings weit gegangen sein muß, denn wir haben allen Grund, anzunehmen, daß Herr Nieß keineswegs ohne Ursache eines Tages zu dem Eleven Schiller das historische Wort gesprochen habe: »Er ist ein Schweinpelz!« Scharffenstein im Morgenblatt 1837, Nr. 56. Freilich ist es nicht unbegreiflich, daß eine Schiller'sche Natur gerade durch die unausgesetzte Nöthigung zur »Propreté«, deren widerwärtigste Seite das ewige Zopfmachen und Frisiren war, wobei sich die Zöglinge gegenseitig helfen mußten, in das entgegengesetzte Extrem verfiel.

Die Akademisten waren in fünf Divisionen eingetheilt, deren jede von einem Hauptmann commandirt wurde. Die erste Division bildeten ausschließlich die »Cavalierssöhne«, welche unter anderen Vorrechten auch das besaßen, dem Herzog bei feierlichen Gelegenheiten die Hand küssen zu dürfen, während die Offizierssöhne und übrigen bürgerlichen Eleven ihre Huldigungsküsse einem Zipfel des herzoglichen Rockes aufdrücken mußten Wagner a. a. O. I, 36. Daselbst, S. 37, ist auch der höchst ergötzliche Brief eines Offiziers an den Intendanten Seeger mitgetheilt, worin sich der Briefsteller über die Zurücksetzung seiner »sehne« in der Akademie gegenüber den adeligen Zöglingen bitterlich beschwert und entrüstet ausruft: »Ein offizier hat die ehr, und gehöret die ehre, wie einem ödelmann wo Kombt der adel anderst härr, alß von einem rechtschaffenen brafen meritirden offizier der in vorm feindt erworben hat?«. Jede Division hatte ihre besondere Tafel in dem großen Speisesaal und ihren besonderen Schlafsaal. Der Herzog hatte auch einen akademischen Orden » bene merentibus« gestiftet und die damit Beliehenen, die »Chevaliers«, deren Zahl aber selten mehr als acht oder neun betrug, genossen ebenfalls einiger Privilegien, bekamen an ihrer eigenen runden Tafel bessere Gerichte und hatten ein eigenes Schlafzimmer Memoiren des preußischen Generals der Infanterie Freiherr Ludwig von Wolzogen, S. 3. Der General sagt bei dieser Gelegenheit: – »Die Hauptmängel der Akademie waren, daß als einziges Erziehungsprinzip lediglich die Erweckung des Ehrgeizes galt, die tiefere sittliche Bildung der jugendlichen Charaktere mithin völlig hintangesetzt und überdies auch der Unterricht, wenigstens in den unteren Classen, nicht gründlich genug ertheilt wurde.«. Trommelschlag und Commandowort regelten Alles. Auf Commando wurde Toilette gemacht, wurden die Lectionen gehört, wurde studirt, gespeist, gebetet, schlafen gegangen Es hatte ein sehr seltsames Ansehen – bemerkt Nicolai (Reise durch Deutschland i. I. 1781, X, 64) – wenn beim Mittagessen die Zöglinge ganz ernsthaft, in zwei Colonnen, die Adeligen zur Rechten und die Bürgerlichen zur Linken, in den Speisesaal hinein defilirten, ohne das Geringste von der Freude zu bezeugen, die Jünglingen beim Anblick der Speisen so natürlich ist. Sehr seltsam sah es aus, daß sie mit Rechtsum und Linksum Front gegen den Tisch machten und aufs Commando zum Beten mit klatschendem Laute alle Hände sich zum Gebete falteten, daß nach beendigtem Gebete und entfalteten Händen jeder nach dem Tempo seinen Stuhl ergriff und ihn mit so schnellem und egalem Geräusche rückte und sich darauf setzte, als wenn ein Bataillon das Gewehr abfeuert; ja ich glaube fast, sie fuhren auch nach dem Tempo mit dem Löffel in die Suppe. – Da Nicolai die Art des Betens in der Akademie erwähnt, so will ich daran noch eine Notiz reihen. Jeden Sonntag wurden die Akademisten zum Gottesdienst in die Akademiekirche commandirt, aber weiter wurde zur Weckung und Förderung des religiösen Sinnes Nichts gethan. Auch die Religion wurde in der Akademie, wie so vieles Andere, rein äußerlich und mechanisch behandelt. Man lese nur in der »Beschreibung der hohen Karlsschule« (1783) die Vorschrift über Verrichtung des Tischgebetes: – »Hierauf wird die commandirte ganze Wendung gegen die zwischen den Hauptthüren des Speisesaals befindliche Kanzel gemacht, auf welcher das für die Akademie besonders verfaßte Morgen- und Abendgebet von dem Ausseher und das sowohl vor als nach dem Essen darauf folgende Vaterunser von den Zöglingen der dritten und vierten bürgerlichen Abtheilung, die hierin, wie die Aufseher, von Tag zu Tag abwechseln, mit lauter Stimme gebetet und von der ganzen Schule mit aufgehobenen Händen und einer feierlichen Stille nachgebetet wird; worauf sich alle nach einer neuen Wendung zu Tische setzen und essen.«. Das ging so das ganze Jahr hindurch, denn Ferien gab es in der Akademie keine. Spaziergänge im Freien wurden nur selten gemacht und dann immer unter strenger Aufsicht. Doch fehlte es den Akademisten nicht an Gelegenheit zur Bewegung, denn sie erhielten Unterricht im Tanzen, Fechten und Reiten. In dem geräumigen Garten war jedem ein Beet zugetheilt, das er selbst bebaute, und auch Wasserbassins zur Uebung im Schwimmen waren da. Wunderlich machte es sich, wenn die älteren Eleven zuweilen Winters truppweise auf Maskenbälle (»Redouten«) commandirt wurden. Sie mußten dabei paarweise mit den Schülerinnen der Ecôle des Demoiselles gehen und das linkische Benehmen der jungen Leute, die unter dem unausgesetzt über ihnen schwebenden Commandostock in hölzerner Schüchternheit neben einander hergingen, erregte auf der Redoute immer große Heiterkeit. »Da kommen die Mönche und Nonnen!« hieß es bei ihrem Erscheinen. Im Uebrigen wurden die Eleven vor Berührungen mit dem weiblichen Geschlechte sorgfältigst gehütet. Nur Müttern und unerwachsenen Schwestern war an bestimmten Tagen der Eintritt in die Akademie gestattet. Außerdem durfte vom gesammten Frauengeschlecht nur die Gräfin Franziska diese Räume betreten, wo in engem Bunde gelehrte Pedanterei und soldatischer Kamaschendienst ihre Herrschaft aufgeschlagen hatten. Es konnte nicht fehlen, daß sich viele Karlsschüler später der Erscheinung dieser anmuthigen Frau wie eines Sonnenstrals erinnerten, welcher tröstend und erheiternd in die dumpfe Kasernenwirthschaft fiel Noch schwebt meiner Seele lebhaft das Bild vor – sagt der Karlsschüler Chr. H. Pfaff in seinen »Lebenserinnerungen« – wie die hohe anmuthige Frau an dem Arme ihres seiner Frömmigkeit wegen berufenen, eine trübselige Herrenhut'sche Physionomie zeigenden Kammerherrn, der gleich Hamlet's Geist dahinglitt, durch die Thüre, die zunächst an meinem Speisetische sich befand, hereinschritt und dann an der Seite ihres in einen einfachen Frack ohne Abzeichen gekleideten, mit seinem Stöckchen spielenden Gemahls (des Herzogs) den langen schönen Speisesaal durchwanderte und sich an der blühenden Jugend ergötzte..

Der Herzog kam, wenn er in der Gegend war, viele Jahre hindurch fast täglich aus dem Schlosse herüber oder von Hohenheim herab. Die Akademie war jetzt seine Leidenschaft. Er untersuchte Alles bis ins Einzelnste hinein, vertheilte Belohnungen und dictirte Strafen Auf schwere Vergehen gegen die Disziplin und Subordination waren Stockprügel gesetzt. Die gewöhnliche Strafe war jedoch das »Cariren«, d. h. der Straffällige mußte beim Abendessen vor seinem umgekehrten Teller stehen und zusehen, während die Anderen aßen. Eines Tages, als Herzog Karl nach Gewohnheit Strafurtheile sprechen wollte, begegnete ihm ein wunderlichstes Abenteuer. Der General Ludwig von Wolzogen – (er trat 1781 in die Karlsschule, während seine beiden älteren Brüder Wilhelm, nachmals der Schwager Schiller's, und Karl Akademiegenossen unseres Dichters waren) – erzählt (a. a. O. 4) diese beste aller in der Anstalt passirten zahllosen Schnurren so: – »Der Herzog hatte die Einrichtung getroffen, daß jeder Eleve, wenn er etwas peccirt hatte, sich von seinem Classenlehrer einen Zettel geben lassen mußte, worauf sein Vergehen verzeichnet stand. Diesen Zettel hatte der Unglückliche dann selbst dem Herzoge zu überreichen, um von ihm persönlich seine Strafe entgegenzunehmen. Nun war aber damals gerade ein junger durchtriebener Graf Nassau auf der Schule, dem die Zettel immer schockweise zufielen. Eines Freitags, da der Herzog am Arm seiner Maitresse, der Gräfin Franziska von Hohenheim, die Schule inspicirte und ihm Graf Nassau ein ganzes Körbchen solcher Strafzettel überreichte, fragte ihn der Erstere zornig: »Aber Graf Nassau, wenn Er nun Herzog und ich Graf Nassau wäre, was würde Er dann mit mir anfangen?« Ohne sich im mindesten zu besinnen, ergriff Nassau den Arm der Gräfin, gab ihr einen derben Kuß und erwiderte: »Ew. Durchlaucht, das würd' ich thun und sagen: komm, Franzel, laß den dummen Jungen stehen!« Der Herzog, frappirt von der Geistesgegenwart und Unverschämtheit des Schuldigen, hielt es fürs Beste, die Geschichte scherzhaft zu nehmen, und erließ ihm noch obendrein alle Strafe.«. Neben dem großen Speisesaal hatte er sich ein bekuppeltes Gemach mit korinthischen Säulen einrichten lassen, wo er oft mit seiner »Franzel« Abendtafel hielt, zu welcher Beamte oder Professoren der Anstalt gezogen wurden. Mit den Zöglingen unterhielt er sich häufig, oft ganz cordial und väterlich. Den vierteljährlich wiederkehrenden Prüfungen wohnte er vom Anfang bis zum Ende bei, mischte sich auch wohl schulmeisterlich darein, selbst auf die Gefahr hin, daß sein Mangel an Fachkenntnissen ihn arg prostituirte Wolzogen meldet S. 4 seiner Memoiren, wie er selbst einmal dem Herzog bei einer Prüfung in der Mathematik ein ganz ungeheuerliches X für ein U vorgemalt habe, worüber dem Klassenlehrer die Haare zu Berge standen und seine Mitschüler fast vor Lachen platzten, der Fürst aber in seiner Unkenntniß so entzückt war, daß er den Kecken der Classe als Muster vorstellte.. Der Fürst konnte das Brillirenwollen noch immer nicht lassen und daher mußte sich sein akademisches Steckenpferd nicht selten, namentlich vor fremden Gästen, zum wohldressirten Paraderoß aufputzen. So besonders am 14. Dezember, dem Tag der Stiftungsfeier der Akademie, und an den Geburtsfesten des Herzogs und der Gräfin von Hohenheim. Da wurden Preise ausgetheilt, von Professoren und Eleven Festreden gehalten, deren adulatorischen Weihrauch der Fürst wohlgefällig einsog, und da wurden auch auf dem in der Akademie eingerichteten, unter Uriot's Leitung stehenden Theater eigens zu diesen Festen gedichtete und von Zöglingen der Akademie in Musik gesetzte Festspiele aufgeführt, und zwar von den Akademisten selber in Gemeinschaft mit den Demoiselles der Ecole, welchen in diesen allegorischen Stücken die Rollen der Göttinnen und Nymphen zufielen, während die übrigen Frauenrollen wohl oder übel von Karlsschülern gespielt werden mußten. Natürlich bestand das Orchester ebenfalls aus Mitgliedern der Anstalt. Daß Schiller bei solchen Gelegenheiten wiederholt als Schauspieler aufgetreten, ist gewiß; nicht minder aber, daß er ein wahrhaft schrecklicher Schauspieler war, der sich in komische Rollen gar nicht zu finden wußte und in tragischen den Herodes so überherodisirte, daß er die Zuschauer viel mehr zum Lachen als zum Weinen brachte. Am ärgsten muß er es, dem Bericht des Augenzeugen Petersen zufolge Morgenblatt 1807, Nr. 57., als Träger der Titelrolle von Göthe's Clavigo getrieben haben, welches Stück die Akademisten zur Feier des herzoglichen Geburtstages am 11. Februar 1780 aufführten. In der großen Szene mit Beaumarchais sei Clavigo-Schiller wie besessen auf dem Stuhle herumgerutscht, so daß die Zuschauer lachend erwarteten, er würde herunterfallen. Dagegen scheint er als Festredner mehr Glück gemacht zu haben. Er wurde bei zwei Geburtsfesten der Gräfin von Hohenheim (1779-80) zu einem solchen bestellt und sprach das eine Mal über das vom Herzog gegebene Thema: »Gehört allzu viel Güte, Leutseligkeit und große Freigebigkeit im engsten Verstand zur Tugend?« – das andere Mal über das Thema: »Die Tugend, in ihren Folgen beleuchtet.« Beide Reden sind voll von Bombast, durch welchen dann und wann ein rhetorischer Blitz zuckt, und beide laufen auf die Verherrlichung des Herzogs und der Gräfin hinaus. Zu ihrem Geburtsfest i. J. 1778 brachte Schiller im Namen der Akademie der Gräfin auch ein Huldigungsgedicht dar, in welchem sie, die damals eben doch nur die Maitresse en titre war, als »das Musterbild der Tugend« gefeiert wurdet Das Gedicht und die Reden sind im 1. und 4. Bande von Hoffmeister's Nachlese gedruckt.. Zu einem der Geburtsfeste des Herzogs endlich schrieb Schiller ein kleines Vorspiel, betitelt »der Jahrmarkt«, welches in der gewöhnlichen Weise von den Eleven aufgeführt wurde. Einer der Lebensbeschreiber des Dichters adoptirt in Beziehung auf diese jugendlichen Producte den Satz einer Zeitschrift vom Jahr 1805, wo gesagt ist, es hätten diese Versuche schon den genialischen Kopf verrathen, »der mit Proteus' Zauberkraft sich in jede Form zu wandeln wußte.« Wir unsererseits können beim besten Willen wenig Genialität in diesen Sachen finden, wohl aber Spuren jener Verwirrung der sittlichen Begriffe, wie sie, von oben herab gepflanzt und ermuthigt, damals in Deutschland häufig genug war. Oder sollen wir auch den Nebenumstand in Anschlag bringen, daß sämmtliche Akademisten, wie uns einer derselben ausdrücklich bezeugt, in die Gräfin von Hohenheim »so zu sagen förmlich verliebt waren?« Aber wenn auch, so bleibt immer die Thatsache stehen, daß der jugendliche Schiller zur gleichen Zeit in öffentlichen Lobpreisungen des Herzogs und der herzoglichen Geliebten sich erschöpfte, wo er im Geheimen schon an den Räubern dichtete, sein Genius also bereits sich gefunden hatte. Wollen wir damit einen Vorwurf aussprechen? Keineswegs. Wäre es doch eine große Thorheit, von einem neunzehnjährigen Jüngling zu fordern, daß er im Besitz einer consequenten Charakterbildung sei, und überdies erscheint uns Schiller in seiner Lobrednerrolle durchaus in der Lage eines Sklaven, welcher weiß, daß er loben und huldigen muß, und deßhalb in einer Art von Verzweiflung lieber den Mund gleich recht voll nimmt.

Es wäre ungerecht, wollte man die den Akademisten gebotene Gelegenheit, als Mimen und Rhetoren öffentlich sich hervorzuthun, durchaus nur auf Herzog Karl's Sucht, zu glänzen, zurückführen. Allein an den gelegentlich früher von einem ehemaligen Karlsschüler selbst hervorgehobenen Tadel der ganzen Anstalt, daß sie einseitig auf Stachelung des Ehrgeizes hingewirkt habe, ist hier doch zu erinnern. Welche Verlockung jugendlicher Gemüther zur Eitelkeit lag in allen diesen Schaustellungen! Zumal für Schiller, dem noch von anderer Seite her eine gute Meinung von sich selbst beigebracht wurde. Da waren die befreundeten Akademiegenossen – zu den schon früher Genannten hatten sich in Stuttgart noch Zumsteeg, Dannecker, Schlotterbeck, Heideloff, Haug und Kapf gesellt – welche den angehenden Poeten bewunderten. Da war ferner Balthasar Haug, der Vater des eben erwähnten Eleven, welcher an der Akademie schöne Wissenschaften und deutsche Stylistik docirte und, selber ein Stück Poet, eine Monatschrift, das »Schwäbische Magazin«, herausgab, in welchem den schwäbischen Musen von damals Raum zur Aeußerung gegeben war. Es mochte dem Lehrerbewußtsein des Professors nicht wenig wohlthun, als er im 10. Stück des Jahrgangs 1776 seiner Zeitschrift ein Gedicht von seinem Schüler Schiller, betitelt »der Abend«, abdrucken und darunter schreiben konnte: »Dies Gedicht hat einen Jüngling von sechszehn Jahren zum Verfasser. Es dünkt mich, derselbe habe schon gute Autores gelesen und bekomme mit der Zeit os magna sonaturum.« So sah sich also der sechszehnjährige Knabe zum ersten Mal gedruckt – wonnevolle Empfindung, wie sie eben nur ein werdender Autor kennt – und es steht zu vermuthen, daß das Blatt sofort nach der Solitude gewandert sei und dort der zärtlichen Mutter eine Freudenthräne, ja selbst dem strengen Herrn Hauptmann ein beifälliges Kopfnicken entlockt habe.

Dieses erste von Schiller gedruckte Gedicht ist eine Art Psalm, in welchem eine aus Uz'schen und Klopstock'schen Tönen gemischte Reminiscenz vorschlägt. Solche Anlehnung an hochgehaltene Vorbilder ist bei dem Alter, in welchem der Dichter stand, sehr begreiflich. Man weiß, daß die Erstlinge selbst größter Dichter wenig Originalität verrathen. Dante schrieb Canzonen im Styl der provenzalischen und sizilischen Troubadours, bevor das Exil ihn zum Schöpfer der Göttlichen Komödie weihte, Shakspeare erging sich in der aus Italien nach England verpflanzten Concettilyrik seiner Zeitgenossen, bevor er in Romeo und Julie als er selbst auftrat, und auch blindeste Göthomanen werden kaum behaupten wollen, daß schon in der »Laune des Verliebten« oder in den »Mitschuldigen« der Dichter des Faust, der Iphigenie und Dorothea sich angekündigt habe. Zwei Stellen jedoch müssen in dem Gedicht, womit Schiller zuerst vor die Oeffentlichkeit getreten ist, als eigenthümlich betont werden, die, wo er Gott nicht um Macht und Reichthum, sondern um Gesänge bittet Jetzt schwillt des Dichters Geist zu göttlichen Gesängen, –
Laß strömen sie, o Herr, aus höherem Gefühl,
Laß die Begeisterung die kühnen Flügel schwingen,
Zu dir, zu dir, des hohen Fluges Ziel,
Mich über Sphären, himmelan gehoben,
Getragen sein vom herrlichen Gefühl,
Den Abend und des Abends Schöpfer loben,
Durchströmt vom paradisischen Gefühl,
Für Könige, für Große ist's geringe,
Die Niederen besucht es nur –
O Gott, du gabest mir Natur,
Theil' Welten unter sie, nur, Vater, mir Gesänge!
, und die Anfangsstrophe, in welcher man wohl mit Grund eine Andeutung der außerordentlichen Theilnahme erblickt hat, welche der Unabhängigkeitskampf der Nordamerikaner zu jener Zeit in allen jungen Herzen erregte Die Sonne zeigt, vollendend gleich dem Helden,
Dem tiefen Thal ihr Abendangesicht,
(Für and're, ach! glücksel'gre Welten
Ist das ein Morgenangesicht.)
. Die Zöglinge der Akademie schwärmten für Washington und Franklin, wenigstens die Mehrzahl; denn es gab unter ihnen auch Parteigänger der Engländer und so fand der große welthistorische Streit jenseits des Ozeans in der streng soldatisch eingerichteten Lieblingsanstalt eines deutschen Fürsten sein kleines Spiegelbild. Es hätte müssen mit einem Wunder zugehen, wenn Schiller dieser Angelegenheit kein Interesse abgewonnen hätte. Mag sein, daß er, wie Petersen versichert, damals wenig Zeitungen las – sie waren auch darnach – allein schon der glühende Fluch, welchen er in dem Gedicht »der Eroberer«, das 1777 im Schwäbischen Magazin erschien, dem Despotismus zuschleuderte, verräth laut genug, daß der Jüngling das Wehen des Sturm- und Dranggeistes der Zeit zu fühlen angefangen hatte.

Wie sehr ihm aber dieser Geist die Seele schwellen mochte, seine in widerwärtigen Verhältnissen frühgeübte Kraft des Willens lehrte ihn eine Selbstbeherrschung, welche ihn nur selten mit der Disziplin der Akademie in Conflict kommen ließ. Im Kreise seiner poetischen und künstlerischen Freunde wich er einem Scherze nicht aus, versuchte sich mit denselben in dichterischen Kampfspielen, die nicht gerade immer auf dem saubersten Boden sich bewegten, und ließ manche versifizirte Neckerei ausgehen. Sonst lebte er ernst und still vor sich hin. Viel in sich gekehrt, wie er war, schenkte er der äußeren Welt nicht jene geschmeidige Aufmerksamkeit, welche sie fordert, und diesem Umstand, verbunden mit dem etwas steifen Gange und der aufrechten Haltung des Jünglings, mag es zugeschrieben werden, daß er Solchen, die ihm nicht näher standen, stolz erschien. Wie mir aber scheinen will, muß etwas von dem »Stolzen und Großartigen« in Haltung und Gang, welches sechsundvierzig Jahre später Göthe dem heimgegangenen Freunde nachrühmte, wohl schon in dieser Zeit hervorgetreten sein. Eine Frau, welche ihren Sohn in der Akademie besuchte und bei dieser Gelegenheit Schiller den Schlafsaal hinunterschreiten sah, rief überrascht aus: »Sieh' doch, der dort bildet sich wohl mehr ein als der Herzog von Würtemberg Hoven's Autobiographie, S. 127..« Mitunter kam auch wohl die dichterische Begeisterung so wild und gewaltsam über ihn, daß er ihre Eingebungen unter wüthendem Auffahren, Zucken und Schnauben zu Papiere brachte, mit den Füßen den Boden stampfend. Einem Kranken, bei dem er im Krankenzimmer der Akademie wachte, erschien er in einem solchen Augenblicke wie ein Tobsüchtiger Petersen bei Boas a. a. O. I, 128.. Es kochte und stürmte damals aber auch heftig in der jungen Dichterbrust. Von seinem Berufsstudium nur nach der physiologischen und psychologischen Richtung hin angezogen, gab sich Schiller den Einwirkungen einer ziemlich bunten Lectüre mit Begierde hin. Voltaire's ätzender Spott stieß ihn ab, obwohl es nicht fehlen konnte, daß im Vorschritt seiner Bildung jene biblisch-klopstock'sche Gläubigkeit, welche noch das Gedicht »der Abend« geathmet hatte, mehr und mehr der Skepsis wich. Den süßen Rausch, womit Rousseau's Neue Heloise junge und unverdorbene Gemüther unwiderstehlich erfüllen muß, hat er redlich durchgekostet. Eine Zeitlang nahm ihn die melancholische Naturschwelgerei der Lieder Ossian's gefangen, welche ihm Petersen und Hoven verdeutschten. Aus den kraftgenialischen Dramen Klinger's sprach ihn eine verwandte Natur an. Aber am nachhaltigsten wirkte auf ihn die Bekanntschaft mit Shakspeare. Wie er sie machte, ist bekannt. Professor Abel, ein Mann von Geist, war gewohnt, in seinen Vorträgen philosophische Sätze durch Stellen aus Dichtern zu illustriren. So verdeutlichte er eines Tages seinen Zuhörern die Conflicte der Leidenschaften, indem er passende Züge aus Shakspeare's Othello nach Wieland's Uebersetzung anführte Die Wieland'sche Uebersetzung Shakspeare'scher Dramen erschien von 1762 an. Siehe übrigens das folgende Kapitel des Textes.. Schiller schaute hoch auf und wurde ganz Ohr. Nach beendigter Stunde erbat er sich von dem Professor das Buch und warf sich mit Feuereifer auf das Studium des großen Dichters. Von den ersten Eindrücken desselben auf sein Gefühl hat er später in seiner Abhandlung über naive und sentimentale Dichtung klare Rechenschaft gegeben Als ich in einem sehr frühen Alter Shakspeare zuerst kennen lernte – (soll man aus diesen Worten schließen, daß die Bekanntschaft mit Shakspeare noch in den Aufenthalt Schiller's auf der Solitude gefallen sei?) – empörte mich seine Kälte, seine Unempfänglichkeit, die ihm erlaubte, im höchsten Pathos zu scherzen, die herzzerschneidenden Auftritte in Hamlet, Lear, Macbeth etc. durch einen Narren zu stören, die ihn bald da festhielt, wo meine Empfindung forteilte, bald da kaltherzig fortriß, wo das Herz so gern still gestanden wäre. Durch die Bekanntschaft mit neueren Poeten verleitet, in dem Werke den Dichter zuerst aufzusuchen, seinem Herzen zu begegnen, mit ihm gemeinschaftlich über seinen Gegenstand zu reflectiren, kurz, das Object in dem Subject anzuschauen, war es mir unerträglich, daß der Poet sich hier gar nirgends fassen ließ und mir nirgends Rede stehen wollte. Mehrere Jahre hatte er schon meine ganze Verehrung und war mein Studium, ehe ich sein Individuum liebgewinnen konnte. Ich war noch nicht fähig, die Natur aus der ersten Hand zu verstehen. Sch. W. Gesammtausg. v. 1838, XII, 193. Schiller theilt in der genannten Abhandlung wie den Homer, so auch den Shakspeare bekanntlich der naiven Dichtungsweise zu, die er als Gegensatz der sentimentalischen faßt, und er wendet auf jeden der beiden Dichter die Worte an: – Das Object besitzt ihn gänzlich, sein Herz liegt nicht, wie ein schlechtes Metall, gleich unter der Oberfläche, sondern will, wie das Gold, in der Tiefe gesucht sein. Wie die Gottheit hinter dem Weltgebäude, so steht er hinter seinem Werk; er ist das Werk und das Werk ist er. und es ist von nicht geringem Interesse, mit der betreffenden Aeußerung Schiller's jene Stellen in Wilhelm Meister's Lehrjahren und im elften Buch von Wahrheit und Dichtung zusammenzuhalten, wo sich Göthe über die erste Wirkung Shakspeare's auf ihn ausläßt. Auf Göthe wirkte der Brite unmittelbar und allgewaltig wie eine ungeheure Naturerscheinung, Schiller dagegen mußte sich, um eine reine und große Wirkung zu empfangen, das Verständniß Shakspeare's erst philosophisch vermitteln.

Während in der angedeuteten Weise die Welt der Phantasie um den Jüngling her sich erweiterte, gingen auch in der Wirklichkeit eindrucksvolle Erscheinungen an ihm vorüber. Wenn Herzog Karl bezweckt hatte, die Augen der Welt auf seine Akademie zu lenken, so konnte er sich freuen, daß diese Absicht in Bälde vollauf erreicht wurde. Der Ruf der Anstalt ging weit. Nicht nur aus der Mehrzahl der europäischen Länder, sondern selbst aus Amerika und Ostindien kamen Zöglinge und aus dem In- und Auslande führte Theilnahme oder Neugier Besucher aus allen Ständen herbei. Gewiß war es erstere, welche den Besuch Kaiser Joseph's II. veranlaßte. Unter dem Namen eines Grafen von Falkenstein kam der edle Monarch auf seiner Reise nach Paris am 7. April 1777 in Stuttgart an, wo er mehrere Tage verweilte und mit seiner gewohnten Einfachheit und Unscheinbarkeit auftrat. Er wollte auch hier lernen und verbrachte daher fast seine ganze Zeit in der Akademie, welche ihm zeigen zu können der Herzog nicht wenig stolz war. Der Kaiser hörte am ersten Tag ein von den Eleven gegebenes Concert und sah sich ihren Aufmarsch im großen Speisesaal an. Am zweiten Tage besuchte er mehrere Vorlesungen in der Akademie, unterhielt sich in seiner schlichten und freundlichen Weise mit Professoren und Zöglingen und ließ sich Abends die Aufführung einer Oper durch Akademisten und Demoiselles der Ecole gefallen. Er hinterließ einen sehr günstigen Eindruck.

Aber mochte es auch für den Eleven Schiller kein geringes Ereigniß sein, zu sehen, wie das Haupt des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, der, wenn auch nicht mehr der Macht, so doch immer noch dem Titel und der Würde nach höchste Potentat der Erde, so menschlich frei und gut in seiner Nähe verkehrte, – dennoch darf angenommen werden, daß ein anderer Besuch, welcher anderthalb Jahre später in der Akademie eintraf, den jungen Dichter noch tiefer bewegt habe. Auf der Rückkehr von der »Geniereise«, welche Karl August von Weimar mit seinem Freunde Göthe im Herbst 1779 nach der Schweiz unternommen, wurde der Stuttgarter Hof besucht und kamen die Reisenden noch gerade recht, das Stiftungsfest der Akademie am 14. Dezember mitzubegehen. Nachdem Göthe und sein herzoglicher Freund der Morgenfeier in der Akademiekirche angewohnt und im Schlosse gespeist hatten, führte Herzog Karl seine Gäste Abends in den großen Saal der Akademie, wo die festliche Preisvertheilung stattfand. Draußen schlug die Trommel, Commandoworte tönten, die beiden großen Pforten thaten sich auf und herein marschirten die Colonnen der Eleven. Die leuchtenden Augen Hunderter von Jünglingen, die sich am Götz begeistert, am Werther berauscht hatten, waren auf die lange Tafel am oberen Saalende gerichtet, auf welcher die zu vertheilenden Preise lagen. Dort stand Herzog Karl, zu seiner Rechten der Herzog von Weimar, zu seiner Linken der Dichter mit der stattlichen Gestalt und den männlich-schönen Zügen, mit dunkeln Feueraugen das eigenthümliche Schauspiel betrachtend. Den jugendlichen Herzen mochte es wohlthun, zu bemerken, daß Herzog Karl wie seinen fürstlichen Gast so auch dessen Freund mit ausgezeichneter Artigkeit behandelte Von Karlsruhe aus schrieb Göthe am 20. Dezember 1779 an Frau von Stein: – »In Stuttgart haben wir den Feierlichkeiten des Jahrestages der Militär-Akademie beigewohnt; der Herzog war äußerst galant gegen den unsrigen und ohne das Incognito zu brechen, – (Karl August reiste nämlich unter dem Namen eines Barons von Wedel) – hat er ihm die möglichste Aufmerksamkeit erwiesen. Uns Andere hat er auch sehr artig behandelt.« Hieran ist natürlich nicht zu zweifeln, aber ebensowenig daran, daß die Artigkeit des Herzogs gegen Göthe nur eine äußerliche Höflichkeit war. Die ganze Richtung des Dichters mußte dem entschieden französischen Geschmack Karl's zuwider sein und ohne Zweifel war ihm auch das vertraute Verhältnis; des Herzogs von Weimar zu dem Frankfurter Bürgerssohn insgeheim höchst fatal. Ich finde diese Ansicht durch einen von Strauß (Schubart's Leben I, 436 fg.) mitgetheilten Brief der Gattin Schubart's an Miller (dat. 16. Dezember 1779) bestätigt, worin die arme Frau sagt, die »Ankunft des großen Mannes Göthe« habe sie auf den Gedanken gebracht, denselben anzugehen, daß er für den unglücklichen Gefangenen auf dem Asperg ein Fürwort bei dem Herzog einlege; allein sie mußte es unterlassen, denn – fährt sie fort – »denken Sie, eine schwarze Seele hat Gelegenheit gefunden, unsern Fürsten gegen den großen Mann einzunehmen, daß Er sogar einigen von seinen Gelehrten verbot, mit Ihm auszugehen, ich darf nicht mehr sagen, das übrige können Sie selbst denken.«. Professor Consbruch hielt die Festrede und der Eleve Hoven will bemerkt haben Autobiographie, S. 62., daß darin eine Anspielung auf den Werther vorgekommen und Göthe darüber roth geworden sei. Als die Eleven, welche sich im abgelaufenen Schuljahr ausgezeichnet hatten, zur Empfangnahme der Preise aufgerufen wurden, näherte sich auch Schiller der Tafel, denn er hatte sich Preise in zwei medizinischen und einem chirurgischen Fache verdient. Wie muß ihm das Herz gepocht haben, als er sich da dem berühmten, auch von ihm so sehr bewunderten und geliebten Dichter gegenübersah, welchen Fürsten wie Einen ihres Gleichen behandelten! Ob Göthe damals den hochaufgeschossenen Jüngling beachtete? Schwerlich. Ging er doch, wie wir sehen werden, bei einer zweiten, viel näheren Begegnung theilnahmlos an ihm vorüber und noch mußten nachher Jahre vergehen, bevor die beiden größten Geister ihres Landes in Freundschaft sich zusammenfanden.

Aber hier unterbrechen wir für eine Weile die Fortführung der Jugendgeschichte Schiller's; denn es scheint mir passend, an die Erscheinung des Chorführers der Sturm- und Drangzeit unserer Literatur in der Militär-Akademie eine Schilderung dieser denkwürdigen, in das deutsche Kulturleben so tief eingreifenden Epoche zu knüpfen.


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