Johannes Scherr
Michel
Johannes Scherr

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Sechstes Buch.

Mammon auf dem Dorfe.

Erstes Kapitel.

Eine Erinnerung an Wolfgang den Großen. – Die Rast am Waldsaum. – Mammon in Lederhosen. – Ein Oberländer Bauerbursch und sein »Schätzle«. – »Sie konnten zusammen nicht kommen.«

Es wohlet einem Deutschen doch, wenn er die Kreidehügel und Lehmhüttendörfer der Champagne und die Bergkämme der Vogesen hinter sich und den Straßburger Münsterturm als Wegweiser durch das fruchtbare Elsaß vor sich hat. Man hört doch wieder Laute, die ganz anders klingen als das widerwärtige Genäsel und Geschnarre, welches mich in der letzten Zeit umschwirrt hatte. Im übrigen sind die Elsässer ein ziemlich unerquickliches Volk, nicht mehr recht deutsch, und noch lange nicht französisch; dabei stark mit Jüdischem versetzt. Am meisten Treue gegen die angestammte Nationalität hat die Stadt Straßburg bewahrt. Wenigstens die Mittelklasse ist dort noch ganz deutsch. Die »höheren« Klassen machen es wie viele ihrer Standesgenossen am rechten Rheinufer; sie sprechen sehr schlechtes Französisch und halten das für vornehm.Als diese Zeilen im Jahre 1857 niedergeschrieben wurden, konnte wohl kein Mensch ahnen, daß schon nach vierzehn Jahren das vordem mittels schnödestem Unrechts und infamster Tücke Deutschland entrissene Elsaß wiederum für das ruhmvoll erneute Deutsche Reich zurückerworben sein würde. Die Hoffnung jedoch auf eine dereinstige Erlösung aus der welsch-babylonischen Gefangenschaft und auf eine Rückkehr ins Daheim der Mutter Germania war in einer kleinen, aber edlen Schar treudeutscher Elsässer nie erloschen und wurde innerhalb dieser Schar das Deutschtum durch Dichter und Gelehrte mit wahrhaft rührender Pietät gepflegt, während im Volke, insbesondere, wo dasselbe nicht mit verwelschtem vornehmen und gemeinen Fabrikpöbel versetzt war, die deutsch-nationalen Überlieferungen in Gestalt und Sprache, Sage und Sitte still fortlebten. Mitunter schlug wohl auch inmitten der mit aller List und aller Gewalt betriebenen Verfranzosung ein deutscher Ton und Klang auf, welcher dem Glauben, Lieben und Hoffen der ihrer nationalen Pflicht treugebliebenen Elsässer ergreifenden Ausdruck gab. Dies geschah z. B. in den Liedern von Karl Hackenschmied mit einer wahrhaft prophetischen Zukunftsahnung. Als zu Ende Junis 1859 das Straßburger Münster zur Feier der Schlacht von Solferino mit französischen Fahnen geschmückt war, schrieb Hackenschmied angesichts dieser Dekoration die Strophe:

Ei, so weht nur, welsche Fahnen!
Aus der Nacht entspringt der Tag,

Wo empor der deutsche Adler
Sich erhebt mit mächt'gem Schlag;

Wo er schlägt die starken Krallen
In des Domes Felsenkleid

Und verkündet siegesjubelnd
Deutschlands neue Herrlichkeit!

Note zur 3. Aufl. v. J. 1872.

Fest entschlossen, wenigstens einen Monat lang ganz mir selbst anzugehören, wollte ich leiblich und geistig dieser Ferien genießen und ging daher in der alten Reichsstadt und ihrer Umgebung den Spuren Goethes nach. Ich halte dafür, daß die Straßburger Partie in Wahrheit und Dichtung mit zu dem Reizendsten gehört, was der Meister geschrieben. Hier wurde das Nachgefühl einer schönen Zeit so mächtig in ihm, daß es den steifleinenen Geheimratsaplomb, welcher manche Partie der berühmten Selbstbiographie unerquicklich genug macht, siegreich durchbrach. Ich Pilgerte auch nach Sesenheim hinüber, wo Goethe die glücklichsten Stunden seines Lebens verlebt hat. Wenn man sich jene anmutigen Szenen eines idyllischen Glückes vergegenwärtigt, könnte einen wohl der Zweifel beschleichen, ob in unserer hastigen Dampfkesselzeit so ein Glück überhaupt noch möglich sei. ... Schöne Friederike Brion, der Genius hat dafür gesorgt, daß ein Schatten deiner anmutigen Erscheinung noch immer auf den Fluren deiner ländlichen Heimat weilt. Auch ich sah dich noch dort in deinem »kurzen, weißen, runden Röckchen mit einer Falbel, nicht länger, als daß die nettesten Füßchen bis an die Knöchel sichtbar blieben, im knappen Mieder und in der schwarzen Tafettschürze, leicht und schlank, als wenn du nichts an dir zu tragen hättest.« Später hattest du an deinem verlassenen Herzen gewiß schwer genug zu tragen. Arme Friederike Brion! Dein erlauchter Geliebter hat dir den Kranz der Unsterblichkeit um die Stirne gelegt, aber was dieser Kranz dich gekostet, das hat er nicht gesagt. Arme Friederike! Schade, daß du nur eine einfache Landpfarrerstochter und in der Mythologie nicht sehr bewandert warst. Du hättest sonst im voraus gewußt, was die Töchter der Erde zu erfahren haben, wenn sie von Göttern geliebt werden.

Nach Wolfgangs des Großen Vorgang wollte ich dann auch am Straßburger Münster wieder einmal »deutsche Art und Kunst« studieren. Aber ich weiß nicht, als ich droben auf der Münsterterrasse stand, schauten die tannengrünen Schwarzwaldberge so anheimelnd herüber, daß ich denselben ohne weiteren Verzug entgegeneilte, beflügelten Fußes. Und dieser Ausdruck ist wörtlich zu nehmen, denn ich reiste wieder einmal wie ein Student, das heißt wie ein Student aus meiner Zeit. So durchwanderte ich den alten Schwarzwald und den schönen Hegau und schlenderte das reizvolle obere Donautal hinab, dem fruchtreichen Oberland entgegen. Ich wollte ja nach Frohdorf, wo mein geliebter Fabian, wie er mir in seinem letzten Briefe triumphierend gemeldet hatte, Pfarrer geworden war, und freute mich ganz unbändig darauf, den Jugendfreund, das treue, gute, duldsame Bruderherz endlich wiederzusehen.

Es war gerade

... die üppige Zeit,
Wo alles so schweigend glüht und blüht,
Wo des Sommers stolzierende Herrlichkeit
Langsam durch die schwelgenden Lande zieht.

Ja, sie glühte wollüstig in der Umarmung des lachenden Himmels, die ewig junge Mutter Erde. Die Sonne, wenn auch im Westen allmählich an der stahlblauen Kuppel hinabsteigend, warf noch immer liebeheiße Strahlen über die weiten, erntereifen Fruchtgelände hin. Kein Lüftchen regte sich, und brütende Schwüle lag über der Gegend. Ich hatte mich müde gegangen. Ein Gehölz am Wege bot erwünschten Schatten. Ich warf mich hinter den ersten besten Busch des Waldsaums ins kühle Moos, schob mir die Reisetasche unter den Kopf und sank bald in tiefen Schlaf.

So mochte ich einige Stunden geschlafen haben, als mich der Schall von Menschenstimmen weckte. Ich hob den Kopf und sah durch das Buschwerk hindurch zwei Männer den Waldweg heraufkommen, von denen der eine heftig redete und gestikulierte, während der andere ihn beschwichtigen zu wollen schien.

Der Heftige war ein langer Mann mit einem respektablen Bauche, fest und breit auftretend, mit einem äußerst wohlgenährten, roten Gesicht. Sein an den Schläfen ergrautes Haar war kurz geschoren und von einem runden Fuhrmannshut bedeckt, dessen Band durch eine große silberne Schnalle zusammengehalten wurde. Er trug bis an die Knie reichende Stiefel, schwarze Lederhosen, eine schwarze Sammetweste mit schweren Silberknöpfen und einen dunkelblauen Tuchrock mit sehr langen Schößen und stehendem Kragen. Aus seiner schwarzseidenen Halsbinde guckte ein weißes »Unterhalstuch« hervor. Im Knopfloch hatte er einen Rosmarinzweig stecken, was mir verriet, daß er von einer Hochzeit herkam, und in der Rechten führte er einen langen, unten in einen natürlichen Knopf auslaufenden Stock, dessen Handgriff mit Silberdraht umwunden war. Der reiche Oberländer Bauer war in Tracht und Gebaren dem Manne leicht anzusehen. Sein Begleiter war ganz gleich gekleidet, nur mit dem Unterschiede, daß man seinem Anzug anmerkte, er stehe auf der Leiter bäuerlicher Hierarchie etliche Sprossen tiefer als jener.

»Mordsappermost!« sagte der große Dicke polternd und stieß seinen Stock heftig auf den Boden. »Sag, was du willst, Hanns Jörg, 's muß sein, wie ich's haben will. Gelt, ich hab' heut' dem Ding ein End' g'macht, hab' der Hau 'nen Stiel g'dreht, und am nächsten Samstag geht halt mein Jages mit's Luixebaurs Kätter zum HairleZum Hairle gehen, das heißt sich verloben. Im Oberlande werden nämlich die Verlöbnisse im Pfarrhause abgeschlossen. – Punktum!«

»Nu, nu,« entgegnete der Hanns Jörg, »ich sag' nit, daß 's Luixebaurs Kätter nit für dein' Jages passen tat', aber denk' mir, der Jages will sie halt nit, und denk' mir, der Jages hat doch dazu auch was z' reden.«

»Muß sie wollen, die Kätter, muß. Meinst, ich woll' sein Lumpenmensch zur Söhnerin haben? Die käm' mir recht! Was, nichts als ein altes Lärvle im Vermögen und 'nen Bettelsack zur Aussteuer? Aber gelt, ich hab's ihr g'sagt? Mein Jages, wenn er ein rechter Kerle ist, wird sich jetzt wohl den G'lust vergehen lassen, noch zu der Vefe zu gehen.«Zu einem Mädchen gehen, das heißt in ein Mädchen verliebt sein, ihm den Hof machen.

»Wer weiß? Und's Vefele ist eineweg ein brav's Mädle und, Sapperlot, ein hübsch Mädle – sell ist es – und, ja, denk' mir halt, Bronnenbaur, nichts für ungut, 's war halt nit recht, das arm' Ding so vor allen Leuten, abz'kapiteln und fast z'schlagen. Was kann's denn dafür, daß es deinem Jages gefallen tut?«

»Hanns Jörg, du schwätzest, mit Verlaub, grad' so ung'schickt wie meine Bäuerin. Da heißt's alleweil: 's Vefele ist ein brav's Mädle. Gang mir weg! 's ist von ihr und ihrer Alten nit brav, so 'nen Bursch wie meinen Jages einzuzeiseln

»Denk' mir, 's ist nit so. War doch des Vefeles Mutter, die alt' Hanne, ihr Lebtag ein rechtschaffen Weibsbild. Niemand hat weder ihr noch ihrem Mädle Schlimmes nachg'sagt und, denk' mir, Bronnenbaur, ich könnt' mir's wohl noch denken, daß dir zu unserer Zeit die Hanne auf und eben so g'fallen tun tat, wie jetzt 's Vefele dem Jages.«

»Pestilenz! Komm mir nicht mit dem, Hanns Jörg, sonst machst mich halt wild.«

Mit diesen Worten gingen die beiden Männer an dem Buschwerk vorüber, hinter welchem ich lag, und bevor sie sich auf der Höhe des Weges verloren, hörte ich den Bronnenbauer noch sagen: »Guck, Hanns Jörg, die G'schicht' ist jetzt 'rum. Hab' dem Jages heut' die Narretei g'wiß vertrieben. Gott straf' mich! Ist ja sonst ein g'scheiter Kerle, mein Jages, wenn er auch seine Mucken hat. Das Ding wird sich jetzt schon machen. Denk dir, ein Luixebaur gibt seiner Kätter gleich fünftausend bare blanke Gulden mit, und in ein paar Jährle kriegt der Jages den ganzen Luixenhof; denn der Alt' wird's halt nit gar lang' mehr treiben, ist gar bresthaft, weißt? Heut' über drei Wochen ist Hochzeit, Alterle, und da wöll'n mer auch noch ein tun.«Einen tun, das heißt einen Tanz. Die Oberländer Burschen fordern die Mädchen mit der stehenden Redensart zum Tanz auf: »Wöll' mer ein tun?«

»Mammon in Lederhosen!« dachte ich, hatte aber nicht Zeit, über das mitangehörte Gespräch weitere Glossen zu machen, denn schon erschien, von der nämlichen Seite herkommend, von welcher der patzige Bronnenbauer und der mildere Hanns Jörg gekommen waren, eine neue Person auf dem Waldweg.

Ein Bauernbursch, in der Blüte des Lebens stehend, schlank und hoch gewachsen wie eine Tanne, kam den Pfad herauf. Auch er war feiertäglich angetan. Von den mit großen silbernen Schnallen geschmückten Schuhen zogen schneeweiße Strümpfe über die Waden bis an die Knie hinauf, um dort in prall anliegenden Lederhosen zu verschwinden. Über das lose umgeschlungene buntseidene Halstuch war der Hemdkragen weit zurückgeschlagen, eine scharlachrote Weste mit einer engen Reihe von Silberknöpfen hüllte die breite Brust ein, und über dieser Weste trug ihr Besitzer ein sehr kurzschößiges Wams von dunkelblauem Manchestersammet. Sein kurzgeschorenes braunes, Haar bedeckte die eigentümlich geformte, mit Goldzindeln und braunem Pelzwerk verbrämte grünsammetne Mütze, wie die Bauern des Oberlandes sie tragen. Eine breite, mit allerlei Zierrat versehene silberne Uhrkette, die ein gut Stück über das Beinkleid hinabbaumelte, und eine Pfeife, deren »Ulmer« Maserkopf mit einem hohen silbernen Beschläge versehen war und an deren Rohr eine enggehäkelte Silberkette hing, vollendeten den Sonntagsstaat des jungen Mannes, dessen hübschen, offenen Zügen eine Adlernase, unter welcher ein dunkler »Schnauz« sich brüstete, etwas Mannhaftes verlieh. Die straffe Haltung und der Gang des jungen Bauern ließen, zusammengehalten mit dem erwähnten Schnauz, vermuten, daß das viereckige, »latschige« Gebaren, welches unsere bäuerliche Jugend oft genug verunstaltet, hier der militärischen Dressur gewichen sei.

Übrigens war der Bursch augenscheinlich in großer Aufregung. Seine dunklen Augen rollten unstet, und helle Schweißtropfen rannen ihm von der gefurchten Stirne über die fieberhaft geröteten Wangen herab. Bald stand er still und kehrte sich um, wie horchend, bald ging er wieder vorwärts, dumpf vor sich hinmurmelnd und große Wolken aus seiner Pfeife paffend. So war er meinem Verstecke schräg gegenüber gekommen, als er mitten auf dem Wege still stand, die Pfeife aus dem Munde nahm und sie dann, nachdem er einen Augenblick regungslos vor sich hingestarrt, mit einer heftigen Verwünschung zu Boden warf und mit einem Fußtritt das reiche Silberbeschläge zerquetschte. Dann stierte er einige Sekunden lang in die leere Luft, und plötzlich sah ich zwei große Tränen aus seinen Augen rollen, hörte ihn einen schweren Seufzer ausstoßen und mit dem Sprung eines getroffenen Hirsches warf er sich auf der anderen Seite des Weges in das Dickicht.

»Am Ende ist das gar des Bronnenbauers Jages,« dachte ich. Aber schon wurde meine Aufmerksamkeit abermals nach dem Wege hingezogen, auf welchem eine vierte Person erschien, diesmal eine weibliche.

Es war eins jener kräftigen Bauernmädchen von wirklich ländlich-untadelhafter Schönheit in Wuchs und Antlitz, wie sie mit ihren nußbraunen Haaren, klugen Rehaugen und Wangen »wie Milch und Blut« im Oberlande nicht allzuselten einem begegnen. Das Mädchen war sauber und sonntäglich angetan, aber doch deutete seine Sonntagshäs unverkennbar auf Armut. Seine Radhaube war nicht silbern oder gar noch dazu vergoldet, wie die Hauben der reichen Bauerntöchter jener Gegend, und auf seinem Mieder bemerkte man nicht jenes Gewinde von silbernen Ketten, welches die hochbusige Brust derjenigen Oberländerinnen, welche »Batzen« haben, zu schmücken pflegt.

Langsam kam die ländliche Schöne den Weg herauf, am linken Arm den kleinen Korb, dessen Form einem der Länge nach in der Mitte zerschnittenen Ei ähnelt und ohne welchen man eine rechte Oberländerin selten außerhalb ihres Dorfes erblickt. Als sie sich näherte, bemerkte ich, daß sie eben erst aufgehört haben mußte, heftig zu weinen; denn ihre schönen Augen waren rot umrändert, und sie fuhr von Zeit zu Zeit mit der umgekehrten Hand darüber, wie um eine zurückgebliebene Träne wegzuwischen.

Plötzlich sah sie die mißhandelte Pfeife auf dem Boden liegen, lief hastig darauf zu, hob sie auf, betrachtete sie verwundert, erschrocken, zweifelvoll und sprach dann mit einer Betonung, worin sich Frage und Ungewißheit, Bekümmernis und Zärtlichkeit seltsam mischten, den Namen Jages aus.

Der Ausruf war so leise gewesen, daß ich ihn kaum verstehen konnte. Aber ein anderer, der Bursch dort drüben in den Büschen, mußte ihn deutlich genug gehört haben. Mit einem Satz war er auf dem Wege, legte seine kräftigen Arme dem Mädchen auf die Schultern, zog es an sich und beugte sich schweigend zu ihm herab.

Das Mädchen seinerseits ließ bei der plötzlichen Erscheinung des Burschen die Arme zuerst schlaff an der Seite niederhängen, so daß Korb und Pfeife ihren Händen entfielen. Dann erhob sie ihren rechten Arm, umwand damit den linken des Burschen und richtete ihr hochgerötetes Gesicht zu ihm auf.

So standen sie lange, ein schönes Paar, in der roten Abendsonne und sahen sich schweigend in die Augen; aber diese redeten miteinander jene Sprache, welche man in der Maienzeit des Lebens versteht und später, ach, wie so manches Schönste, Beste, nur noch für eine Jugendtorheit will gelten lassen.

Endlich sagte der Bursch:

»Gelt Vefele, bin heut' ein recht schlechter Kerle g'wesen? Was hast' von mir denken müssen, daß ich dich so hab' stecken lassen? Aber guck, 's ist halt mein Vater, und – und –«

»O, Jages,« erwiderte das Vefele sich bückend, um Korb und Pfeife aufzuheben, »du hast nichts dafür können, und ich hätt' halt sollen meiner Mutter folgen und nicht zu der Hochzeit gehen.«

»Ja, justement um so schlechter war's von mir, weil ich's hab' haben wollen, daß du hingangen bist. Und ich bin wie 'n rechter Tralle und Hundsfötter dag'standen und hab' mich nicht für dich g'wehrt. Gelt, du hast dich g'wiß in d' Seel' 'nein für mich g'schämt.«

»Warum denn? So ein arm' Mädle wie ich muß sich viel g'fallen lassen, und was hättest denn sollen machen? Dein Vater, der will's nu' mal nicht haben, daß du Bekanntschaft mit mir hast, und ich selber hab' dir's ja schon hundertmal g'sagt, daß ich nicht für dich passen tu', 's Luixebaurs Kätter, die –«

Der Jages ließ sie nicht vollenden. Er fuhr heftig auf, um so heftiger, als ihn der Instinkt der Liebe in den letzten Worten des Vefele etwas wie Eiferfucht ahnen ließ, rückte die Mütze zornig aufs Ohr und sagte überlaut:

»Gang mir zum Deuxel mit 's Luixebaurs Kätter, hätt' ich bald g'sagt. Dich will ich und sonst keine. Du bist mein Schätzle und mein Schatz, Vefele. Aber du wirst mich jetzund wohl nicht mehr wollen, he?«

Und halb flehend, halb zornig faßte er ihre Hand, wie um jenes Geständnis zu erpressen, das man in jungen Jahren nicht oft genug hören kann.

»Ich wohl, Jages,« entgegnete das Mädchen naiv, »aber weißt ja, d' Leut wollen's nicht und's darf nicht sein. Ja, wenn du nur ein armer Bursche wärest –«

»Wär' ich's nur!« unterbrach sie der Jages wieder heftig. »Aber ich will's dem Vater schon sagen, das will ich! Wenn ich gleich nicht vor allen Leuten mit ihm Händel anfangen mocht', so soll er's doch heut' noch zu hören kriegen, daß ich nicht so mit mir umgehen lasse und mit dir. Will lieber beim nächsten besten Bäuerle als Knecht dienen, dann kann er sein Sach' geben, wem er will. Schaffen kann ich wie einer – und, kurzum, will's ihm heut' noch sagen.«

»Gelt nicht?« bat Vefele. »Dein Vater hat trunken, weißt, und dann ist er gar hitzig und wild.«

»Ei was! Ich kann auch wild werden, wenn's sein muß.«

»Weiß wohl, aber denk' an dein' Mutter. Und muß dir sagen, Jages, 's tut kein gut nit, daß du mein'twegen mit deinem Vater Händel anhebst. Gelt, du versprichst mir's, das nit z' tun?«

Sie ergriff die Hand des Widerstrebenden, der nach einigem Zaudern sagte: »Nu' ja, für heut' will ich dir's versprechen, aber nur dir z'lieb, weißt? Und unter der Bedingung, daß du mich lieb b'hältst und mir 'n Küßle gibst.«

»Da!« sagte das Mädchen lächelnd und bot, sich auf die Zehen stellend, dem Geliebten ihren kirschroten Mund dar. »Und jetzt,« fuhr sie fort, »gang du schnell heim. Ich mag nicht noch mal Ärgernis geben, wenn man uns beieinander sieht.«

»Warum nicht gar! Meinst, ich lass' mir von 'nem Menschen, wenn's nit grad mein Vater ist, im Bart kratzen? Sapperlot, jetzt grad' will ich dich heimführen, 's ist noch Tag und alle Leut' im Dorf sollen sehen, daß du halt mein Schatz bist und bleibst.«

Mit diesen Worten zog er das Mädchen vorwärts. Aber nach wenigen Schritten machte sich Vefele sanft von ihm los und sagte:

»Sei brav, Jages, und folg' mir. Weißt, ich mein's gut. 's ist nit recht, dein' Vater noch böser z' machen. Gang du hübsch da links über den Bühel heim, ich will rechter Hand über d' Steinbruck abe gehen. Und, Jages, hör' sei gut mit deinem Vater und vergiß nicht, z' unserm Herrgott z' beten. Der wird's schon mit uns machen, wie's am besten ist.«

Der fromme, vertrauensvolle Ausdruck, welchen das Gesicht der Sprecherin bei den letzten Worten angenommen hatte, machte sie noch schöner, und ich begriff unschwer, daß der Jages sie leidenschaftlich an seine Scharlachweste drückte und ihre Stirne und Wangen mit Küssen bedeckte. Hierauf sagte er:

»Guck' sieh, du kannst halt mit mir machen, was du willst. Ich will dir folgen. Aber weißt, Vefele, wo ich Soldat worden bin, da hab' ich müssen ein' heiligen Eid auf d' Fahne schwören, und guck', grad' so ein Eid hab' ich vorhin im stillen bei mir g'schworen, daß du und keine andere mein Weib sollst werden. Das merk dir, und jetzt' gut' Nacht, Schätzle, und schlaf wohl und grüß' mir dein' Mutter.«

Dies gesagt, entfernte er sich hastig und ohne umzublicken. Das Mädchen sah ihm nach, bis seine hohe Gestalt links am Waldsaum verschwunden war. Dann wandte sie sich rechtshin, und ich sah ihre Lippen sich bewegen, als spräche sie ein stilles Gebet. Aber die Fassung, welche sie dem Geliebten gegenüber so gut zu bewahren gewußt, wich jetzt dem Ausbruche eines Schmerzes, welchen zu bewältigen sie sich weiter keine Mühe gab. Ihre Brust hob sich stürmisch, sie seufzte zu wiederholten Malen laut auf und verschwand weinend hinter den Baumstämmen.

»Die alte Geschichte, ganz die alte Geschichte!« sagte ich bei mir. »In der Stadt und auf dem Lande, in Palästen und Hütten immer dasselbe Drama, welches gewöhnlich als Lustspiel anhebt und so oft als Trauerspiel endigt.«

Ich griff nach meiner Zigarrenbüchse, und während ich mir einen Glimmstengel anbrannte, summte mir im Kopfe ein altes bekanntes Volkslied:

»Sie konnten zusammen nicht kommen,
Das Wasser war viel zu tief ...«


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