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Die Revolution.

Die Volksbeauftragten. – Das verschwundene Heer. – Der Kongreß der A.- und S.-Räte. – Die Reichskonferenz der Bundesstaaten. – Die auswärtige Politik und die Unabhängigen. – Die Putsche gegen die Republik. – Der erste Putsch von rechts. – Die blutige Weihnacht. – Die »Regierung« Liebknecht-Ledebour und der Januarputsch.

Der erste Tag der Revolution ist oft genug beschrieben worden. Besonders von den zahlreichen Helden, die den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, die Revolution »gemacht« zu haben. Ich will mich nicht in den Streit dieser Fachleute mischen, ob eine Revolution überhaupt von einzelnen gemacht wird. Der Ausbruch war ja von denen, die sich nachträglich den 9. November patentieren lassen wollten, auf einen ganz andern Tag festgesetzt worden, so daß sie schließlich der elementaren Bewegung nachlaufen mußten, um sich, wenigstens vor den Augen ihrer Nachläufer, noch rechtzeitig und einigermaßen an die Spitze setzen zu können. Der Umsturz kam auch nicht von den »revolutionären Obleuten«, sondern von meuternden Soldaten. Erst die klangvollen, aus dem russischen Wortschatz übernommenen Phrasen wurden von den Leuten um Emil Barth sozusagen nachgeliefert, damit der Zusammenbruch auch den richtigen Anstrich bekam. Berlin und seine »illegale Organisation« war ja nicht einmal die »Werkstatt der Revolution«, sondern Kiel und München waren vorausgegangen. Ich lasse also die Forschung nach der Vaterschaft beiseite und ebenso das Kindermärchen, man könne mit ein paar Kisten geschmuggelter Munition und Revolvern ein großes Reich umstürzen.

Der 9. November war der logische Schluß des verlorenen Krieges, der beispiellosen Entbehrungen und des Abscheus vor den Kriegshetzern, die auch jetzt noch nicht zur Ruhe kommen wollten, sondern mit dem verbrecherischen Gedanken eines »letzten Aufgebots« spielten. Es war der Protest gegen die Fortsetzung eines völlig aussichtslosen Mordens, das zudem – siehe die schönfärbenden Heeresberichte des letzten Kriegsmonats – noch immer von Lügen und Entstellungen begleitet war. Er war der Tag, an dem es eben nicht mehr weiterging, und den wir schon seit Jahren vorausgesagt hatten. Die ganze Schuld für den 9. November fällt auf die, die allen Warnungen zum Trotz innen- und außenpolitisch in tragischer Blindheit verharrten, bis es endgültig zu spät war; die keine andern Mittel als die rohester Gewalt nach innen und außen kannten und nicht einsehen wollten, daß kein Volk diese Belastungsprobe auszuhalten in der Lage sei. General von Linsingen, der am 8. November die Revolution verbot, ist ihr typischer Vertreter. In ihm hat sich die Geistesrichtung mitten in all dem Jammer unsterblich lächerlich gemacht.

Was die Sozialdemokratie wollte, welchen Weg sie für den richtigen hielt, das ist in diesem Buch ausführlich geschildert; daß sie das offizielle Deutschland nicht zum Beschreiten dieses Weges bringen konnte, das ist der Grund der schließlichen Tragödie. Ihr Kampf um die Anerkennung des Verständigungsfriedens ohne Annexionen und Entschädigungen, ihr Ringen um innere Reformen im Verfassungsausschuß, schließlich ihr selbstloser, fast einer Selbstaufopferung gleichkommender Eintritt in die Regierung: alles zeigt sie unermüdlich auf dem Weg der Evolution, den die gemeinsame Lebensgefahr, in der das Volk schwebte, als den einzig möglichen wies. Und am 9. November ist sie ihrer Aufgabe ebenso gerecht geworden. Meine Mahnung, sich nun mit an die Spitze der unvermeidlichen Bewegung zu setzen, um völlig anarchische Verhältnisse zu verhindern, war Gesamtansicht der Partei. Der Sozialdemokratie vor allem ist es gelungen, das Blutbad zu vermeiden, zu dem der 9. November zu werden drohte. Ihre Vertreter, vor allem mein Freund Wels, sind frühmorgens, ehe noch ein Erfolg der Bewegung in Aussicht stand, in die Kasernen gegangen, haben zu den Soldaten geredet und die furchtbare Aufregung in unblutige Bahnen geleitet. Ein einziges entschlossenes Offizierkorps, und die mutigen Mahner wären erledigt, ja vielleicht die ganze Bewegung noch einmal erstickt gewesen. Ein solches Offizierkorps fand sich sowenig, wie ein praktisch königstreuer Befehlshaber. Nichts beweist die logische Folgerichtigkeit des Zusammenbruchs, die innere Aushöhlung dieses alten Regimes und daher das weltgeschichtliche Recht seiner Umstürzung besser, als die Feigheit und das stillschweigende Verschwinden aller, die bis dahin aus Herkunft und Beruf die eigentlichsten Stützen des Throns gewesen waren. Nicht einer hat eine Hand gerührt. Ich kann mir denken, daß ein hoffnungsvoller Kronprätendent schon jetzt eine Liste von Hochverrätern vorbereitet hat, aber nicht mit Proletariernamen, sondern mit den Namen derer, welche die Front des Hohenzollernschen Königtums kampflos, ohne Sang und Klang geräumt haben.

Die Volksbeauftragten.

Nun saßen die Volksbeauftragten in der Wilhelmstraße, sozusagen ein sechsköpfiger Reichskanzler. Die Unabhängigen waren nur mit Gewalt zu der einzig möglichen Art des Zusammenarbeitens zu zwingen gewesen: nämlich dem der zwei sozialistischen Parteien. Noch am Revolutionstag wollten sie sich zu nichts verstehen, höchstens zu einer Regierung von 24 Stunden, die den Waffenstillstand zu unterzeichnen gehabt hätte. Erst die Versammlung der Arbeiter- und Soldatenräte im Zirkus Busch, in der Liebknecht niedergeschrien wurde, konnte die Freunde Haases an ihre Pflicht gegenüber dem arbeitenden Volke erinnern. Ursprung und Zusammensetzung dieser obersten Regierungsspitze mit dem erborgten russischen Titel ließen wenig Ersprießliches hoffen. Von beiden Parteien waren gerade die Männer delegiert worden, die zwei Jahre lang als Wortführer mit dem gegenseitigen Kampf beauftragt gewesen waren; daß sie früher in der Leitung einer Partei zusammengesessen hatten, machte die Sache eher schlimmer als besser. Dazu kam, daß die Unabhängigen, als Verbeugung vor den »revolutionären Obleuten«, deren Mitglied Emil Barth zum Volksbeauftragten gemacht hatten, der, milde gesagt, weder durch geistige Gaben, noch durch seine Vergangenheit auf einen solchen Posten paßte. Es war während der sieben Wochen gemeinsamer Volksbeauftragtenschaft ein ergötzliches Schauspiel, wie Landsberg versuchte, Barth durch Erziehung auf die Stufe einfachster Gesittung zu heben. Beschämend aber war, wie gerade Haase bei jedem einzunehmenden Standpunkt prüfend nach Barth schielte, ob der wohl damit einverstanden sei und nach diesem Kronzeugen des Radikalismus seine Stellung einrichtete. Es war dies die typische Rechnungsträgerei, an der schließlich die Unabhängigen als selbständige Partei Schiffbruch gelitten haben.

Im Rate der Volksbeauftragten hatten Ebert Inneres und Militär, Haase Äußeres, Landsberg Finanzen, Dittmann Diverses, Barth Sozialpolitik, und ich die Presse übernommen. Dabei muß freilich beachtet werden, daß keiner der Volksbeauftragten selbständiger Verwalter seines Ressorts war. Jeder war vielmehr nur der dem eigentlichen Fachminister oder dem entsprechenden Amt beigegebene Kontrolleur. Daraus erwuchsen natürlich allerlei Konflikte, am häufigsten zwischen dem Außenminister Solf und Haase. Ebert kam mit dem Kriegsminister Scheuch ganz gut aus, ebenso Landsberg mit den Männern der Finanz im Ministerium und der Reichsbank. Dittmann hatte sich schnell zu einem fleißigen Bureaukraten entwickelt. Barth hielt uns Fünfen jeden Tag in jeder Sitzung einige donnernde Volksversammlungsreden, die uns zwar lästig waren, aber doch so viel Zeit gewährten, daß wir dringliche schriftliche Arbeiten erledigen konnten, während er sich rhetorisch betätigte. Die Entscheidung über alles, was politisch geschehen sollte, lag bei den Volksbeauftragten. Haase und Ebert sollten mit gleichen Rechten den Vorsitz führen. Aber Ebert, der ja auf Ersuchen des Prinzen Max von Baden (am Mittag des 9. November) einen Tag lang Reichskanzler gewesen war, überwog mit seiner Energie den in allem halben Haase vollständig; er saß auch im früheren Reichskanzlerzimmer, während die andern zumeist in Gesellschaftsräumen untergebracht waren, ich im Eßzimmer, das einmal das Arbeitszimmer Bismarcks gewesen war. Unterstaatssekretär war Baacke, Privatsekretär Eberts war Heinrich Schulz und später Franz Krüger, mein Sekretär und späterer Pressechef der Reichsregierung war Ulrich Rauscher.

Das Reich, und insbesondere Berlin, war in diesen ersten Wochen nach dem Zusammenbruch einfach ein Irrenhaus. Ein Volk war aus der zermürbenden Zwangshaft des Krieges ausgebrochen und wußte im ersten Taumel nicht wohin mit seiner Freiheit. Keine behördliche Kompetenz war mehr klar und unbestritten: das Nebeneinander von Behörden und Räten brachte unübersehbare Wirrnisse mit sich. Die Art, wie die Revolution ausgebrochen war, nämlich nicht an einem zentralen Punkt, sondern an mehreren Orten der Peripherie, rein lokal und immer wieder für einen beschränkten Bezirk, bestimmte auch fernerhin den Charakter der neuen Gewalten. Überall provinzielle oder Kirchturms-Eigenwilligkeit, ein isoliertes Regieren im kleinsten Kreis, ohne Zusammenhang mit dem Ganzen. Daraus erklärt sich, daß soundsoviele Städte und Bezirke sich zu selbständigen Räterepubliken ausriefen, vor allem ihre eigene Ernährungspolitik machten, unerhörte Verkehrsschikanen bereiteten und sogar auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten auf eigene Faust dilettierten. Die Tatsache, daß das Bürgertum sich vollkommen tot stellte, erweckte außerdem in vielen A.- und S.-Räten die Vorstellung vom Alleinrecht der Sozialisten, was nicht nur damals ein schwerer, sich bitter rächender Denkfehler war. Daß viele dieser Wächter des Sozialismus dies Wort am 9. November zum ersten Male gehört hatten, machte die Sache nicht besser. Im Gegenteil, diese Allerneuesten übertrumpften an tausend Orten die alten, unterrichteten Parteigenossen und rissen mit ein paar Spartakusphrasen ihre Altersgenossen in der sozialistischen Weltanschauung mit. In diesen Wochen war es einzig und allein der in den politischen und gewerkschaftlichen Organisationen geschulte alte Stamm innerhalb der Arbeiterbewegung, der draußen, und das pflichtgetreue Beamtentum, das unter neuer Führung drinnen einigermaßen die Maschine in Gang hielt. Das Bürgertum als solches hatte nur Angst; die Herren Konservativen gingen ja so weit, ihr monarchistisches Bekenntnis vom Kopf ihrer Zeitungen verschwinden zu lassen und – man höre und staune – die Sozialdemokratie als staatserhaltend anzuerkennen. Dieser Überschwang der Gefühle hat sich seitdem gelegt, auch bei denen, die in den ersten Wochen zu den beamteten Sozialdemokraten kamen und ihrer Sympathie Worte liehen. Ein einzigesmal tauchte das Bürgertum offiziell, aber vorsichtigerweise brieflich, auf: Als der Reichstagspräsident Fehrenbach – am 10. November hatte er, wie die meisten auswärtigen Führer der bürgerlichen Parteien, Berlin schleunigst verlassen, ohne sich um Amt und Auftrag zu kümmern – gegen die Beiseiteschiebung des Reichstags protestierte und mit dessen Einberufung drohte. Er hat auf einen deutlichen schriftlichen Bescheid hin diese papierene Offensive eingestellt.

Privateigentum wurde selbst in den ersten unruhigsten Wochen kaum angetastet; zu politischen Tötungen kam es gar nicht. Das verdient immer wieder festgestellt zu werden, besonders gegenüber den »völkischen« Chronikeuren des Kapp-Putsches, die dessen Mißerfolg hauptsächlich in der mangelnden Verwendung der Wand sehen wollen, an die man die politischen Gegner dutzendweise stellt. Nur in den bürgerlichen Zeitungsbetrieben kam es zu dauernden Scharmützeln. Die »Besitzergreifung« der Berliner bürgerlichen Zeitungen zwar, die am 9. November ganz nach russischem Muster erfolgt war, wurde umgehend, und zwar mit völliger Zustimmung der unabhängigen Volksbeauftragten rückgängig gemacht. Aber noch wochenlang wurde ich mit telegraphischen Beschwerden geradezu bombardiert, die sich gegen ungesetzliche Zensureingriffe irgendeines Soldatenrats, gegen widerrechtliche Besetzung oder gar gegen Zerstörung eines Druckereibetriebes wandten. Als Abgeordneter und erst recht als Staatssekretär hatte ich mit aller Energie gegen die Zensur, diesen hilflosen Ausdruck bornierter Bureaukratie, angekämpft. Und nun hatte ich gerade das Ressort, in dem ich gegen die gleichen, oft noch schlimmeren Übergriffe von Leuten einschreiten mußte, die sich, wenigstens dem Mitgliedsbuch nach, meine Parteigenossen nannten. Dabei war es das trostloseste, daß mir und uns nahezu keine Machtmittel zur Verfügung standen, daß wir nur bitten und ermahnen konnten, ohne unsern Weisungen Nachdruck verleihen zu können. Ich erinnere mich eines urplötzlich radikal und sozialistisch gewordenen Referendars in Allenstein, der das dortige bürgerliche Blatt dauernd schikanierte, manchmal verbot und einmal sogar zwingen wollte, eine Seite zwangsweise zu Parteizwecken abzugeben; er wird wohl inzwischen Kommunist oder deutschnational geworden sein.

Das verschwundene Heer.

Das deutsche Riesenheer war einfach vom Erdboden verschwunden und hatte Krümel zurückgelassen, die Genesungsheime, Lazarette und Kasernen als Obdachlosenasyle betrachten, manchmal, angesichts der Not und des drohenden Winters, so betrachten mußten, sich auf die faule Haut legten, Straßendemonstrationen verstärkten und im übrigen für alles zu haben waren, nur nicht für militärischen Dienst. Meist hatten sie sich die seltsamsten und darum bequemsten Führer gewählt, wie den berüchtigten Spiro, der mit einigen Herrchen aus dem Auswärtigen Amt und hauptsächlich deren Geld in Putschen machte, oder wie den famosen Graf Wolff-Metternich. Die guten Elemente der heimkehrenden Armee hatten natürlich auf die Dauer etwas Vernünftigeres zu tun als Soldatenrat zu spielen und in Versammlungen herumzukrakeelen; so vollzog sich ein höchst unerwünschter Ausleseprozeß. Das Gute ging, das Schlechte blieb. Die Soldatenräte, denen wir am Anfang Ruhe, Ordnung und Unversehrtheit von mehr als einer Provinz zu verdanken hatten, die hauptsächlich im heimkehrenden Feldheer Vorbildliches geleistet hatten, wurden mehr und mehr zu inhaltlosen Versorgungsstellen und schließlich zum Gespenst ihrer selbst, indem sie zwar weiterbestanden, aber ohne die geringste Formation hinter sich zu haben; die Vertretung eines Proviant- oder Bekleidungsmagazins war noch das Realste unter diesen Schatten. Arbeiter, die dem Sozialismus immer am fernsten gestanden, und bis kurz vor der Revolution die gelben Schützengarden des Unternehmertums gewesen waren, haben – nach Emil Barths ganz treffendem Wort – die Revolution zu einer Lohnbewegung gemacht. Diese Art von Soldaten glaubten sich aus ihr eine dauernde Pension herausschinden zu können.

Eine der beliebtesten nationalistischen Phrasen lautet dahin, wir – lies: die Sozialdemokratie – hätten uns nach dem Zusammenbruch und ersten Waffenstillstand selbst entwaffnet. Das ist unwahr, und jeder Zeitgenosse und Augenzeuge muß das wissen. Natürlich sahen die Volksbeauftragten, aber ebensosehr auch alle bürgerlichen Staatssekretäre, es als eine hauptsächlichste Aufgabe an, das zurückflutende Millionenheer möglichst rasch zu demobilisieren. Das war ja schon aus Ernährungsgründen unbedingt notwendig. Wie damals der Stand unserer Nahrungsmittellage war, bestand nicht die leiseste Aussicht, größere Truppenteile ordnungsgemäß und regelmäßig verpflegen zu können. Man mußte hoffen, daß der einzelne Mann, wenn man ihm den Übertritt ins Zivilleben nach Möglichkeit erleichterte, schneller wieder seinen Platz und damit seine Versorgung im Produktionsprozeß finden werde. Das hat sich auch bewahrheitet. Außerdem war das Zusammenbehalten größerer Verbände bei dem Ekel vor militärischer Disziplin und militärischen Vorgesetzten, der sich als Rückschlag auf die Kriegserlebnisse eingestellt hatte, in den ersten Wochen eine nahezu unlösbare Aufgabe.

Ganz gewiß war es kein schöner Anblick, wenn halbwüchsige Jungen und auch ältere Jahrgänge am 9. November den Offizieren die Achselstücke herunterrissen und zu Boden warfen. Aber noch weniger schön war es gewesen, was sich in zahllosen Fällen vier Kriegs- und lange Friedensjahre hindurch im Glanz dieser Achselstücke abgespielt hatte. Mochten nun manche Unschuldige für viele Schuldige mitbüßen; mochte die Form, in der sich Erbitterung und Vergeltung Luft machten, nicht einwandfrei sein: begreiflich ist dieser Vorgang der Abrechnung leider nur zu sehr, und alle, die sich über den Achselstückmord grämen oder aufregen, mögen nicht versäumen, zur gleichen Zeit immer festzustellen, daß dabei kein Menschenleben vernichtet worden ist. Das kann man z. B. von den Ausbrüchen des Radaupatriotismus im August 1914 nicht sagen.

Vielen mag dieser Kampf gegen eine Uniformäußerlichkeit lächerlich, etwa als Streit um eine Toilettenfrage, erscheinen. Für uns war sie damals keineswegs zum Lachen. Die Feldgrauen wollten ein Symbol vernichten und darin ihren Willen zum Ausdruck bringen, daß es mit der Offizierherrschaft des alten Stils zu Ende sei. In diesem Sinn rückt das Abreißen der Achselstücke gleich neben das Verbrennen Wielandscher »undeutscher« Schlüpfrigkeiten durch den Hainbund oder ähnliche Handlungen der Burschenschaften auf der Wartburg, wodurch ja auch keine unmittelbaren praktischen Ergebnisse gezeitigt wurden. Seinen schärfsten Ausdruck fand dieser Kampf gegen eine Offizierskaste in den sogenannten Hamburger Punkten, die vom ersten Rätekongreß am 16. Dezember angenommen wurden. Auf Grund dieses Beschlusses sollte nun die Regierung diese Punkte durchführen und gleichzeitig eine neue Truppe aufstellen: Eine Quadratur des Kreises, kurzum unmöglich. Diese Verhältnisse in Verbindung mit der vorher geschilderten machten es unmöglich, selbst wenn man wollte, Truppenteile länger zusammenzuhalten. Das beste Beispiel waren die Truppen des Generals Lequis. Sie wurden entweder von der allgemeinen Unklarheit angesteckt und damit militärisch unverwendbar oder gingen stillschweigend nach Hause zu Muttern. Tatsache ist, daß uns beim Ausbruch der »Ledebourschen Revolution«, im Januar 1919, nicht ein einziger Soldat zur Verfügung stand, obwohl sich in Berlin auf dem Papier und vor allem in der Löhnungsliste noch eine nach Zehntausenden zählende Garnison befand, und daß die Regierung damals samt Staatsform und Staatsbestand einfach weggefegt worden wäre, hätten nicht unsere unbewaffneten Genossen von morgens bis abends die Wilhelmstraße gefüllt und dadurch einen lebendigen Wall um ihre Regierung gezogen.

Der Kongreß der A.- und S.-Räte.

Es ist eine schwierige Sache, von Hauptaufgaben zu reden, die damals den Volksbeauftragten gestellt waren. Denn so gut wie jede Aufgabe, die jemals und zu irgendeinem Zeitpunkt einer Regierung gestellt werden kann, drängte sich damals in wenigen Wochen. Gleichzeitig mit dem Zusammenbruch des Krieges erfolgte der innere Einsturz, mit dem Zurückfluten der Armeen und dem Freiwerden unzähliger Arbeitskräfte ein geradezu katastrophaler Mangel an Arbeit, ein Stillstand in fast allen Industrien. Unerhörte Waffenstillstandsbedingungen, vor allem Ablieferung in größtem Maßstab, mußten erfüllt werden in knappster Zeitspanne und größter Disziplin, während der amtliche Apparat an keiner Stelle mehr richtig funktionierte und lokale Machthaber mehr als eine Handvoll Sand in die Maschine warfen. Was sich an wirtschaftlichem Leben noch mühsam aufrechterhalten ließ, wurde von unaufhörlichen Streiks bis zur Unkenntlichkeit verwüstet. Das Transportwesen glich nach den Ablieferungen an Maschinen und Wagen fast einem Leichnam, was an Kohlen trotz der ewigen Unruhen gefördert wurde, konnte nicht abtransportiert werden, durch die Besetzung der Rheinlande und der Pfalz brach der Zusammenhang mit dem Westen dank unerhörter Paßschikanen fast völlig ab. Gleichzeitig erfolgte der Einfall der Polen in Posen und die Bedrohung Ostpreußens und Oberschlesiens. Die neuen bundesstaatlichen Regierungen, insbesondere die überrevolutionäre bayrische unter Eisner, erwiesen sich als nicht minder partikularistisch, als es die alten gewesen waren. Es kam ja sogar zu der Burleske, daß Eisners Gesandter die Beziehungen zum Berliner Auswärtigen Amt abbrach, und zu der weniger lustigen und harmlosen Ernennung Försters zum bayrischen Gesandten in der Schweiz und dem gleichzeitigen Versuch, selbständige Fühlungnahme mit Clemenceau zu suchen. Es entsprach der dilettantischen Politik Eisners, daß er an mildere Friedensbedingungen glaubte, wenn nur erst radikale Pazifisten, also unabhängige Sozialdemokraten, den reaktionärsten Gewaltpolitikern der Welt gegenübergestellt würden.

Aus all dem kann man sich ein Bild von dem Übermaß der Sorgen und Mühen machen, das auf den Volksbeauftragten lastete. Ihre erste Kundgebung brachte die Erfüllung einer Menge demokratischer und sozialistischer Forderungen, um die jahrzehntelang gekämpft worden ist. Aber mit der Verkündigung allein war es nicht getan und war noch keinerlei Beruhigung geschaffen, um so weniger als z. B. im Augenblick der Einführung des Achtstundentags die damals von Rosa Luxemburg geleitete »Rote Fahne« sofort eine wütende Agitation für den – Sechsstundentag einleitete! Zwei Dinge schienen durchaus dringlich: erstens eine Zusammenfassung der neuartigen Revolutionsbehörden, der A.- und S.-Räte, und zweitens eine Festigung des Zusammenhangs innerhalb der Bundesstaaten, die durch den Wirrwarr des Umsturzes ziemlich voneinander isoliert gewesen waren.

Daß die A.- und S.-Räte eine Zentrale, einen Zentralrat haben müßten, wurde allgemein als Bedürfnis empfunden. Bis zum ersten Rätekongreß hatte sich der Berliner Vollzugsrat selbstherrlich dazu aufgeworfen. Dieser Vollzugsrat hat nach und nach all die Größen umfaßt, welche die Revolution »gemacht« haben. Hauptmann von Beerfelde, Oberleutnant Waltz, Richard Müller – der »Leichenmüller« –, Ledebour, Däumig und dazu noch eine ganze Anzahl unbekannter Herren, die in ihm lediglich eine günstige Gelegenheit zu Unterschlagungen oder zur hochbezahlten Unterbringung ihrer Bräute sahen. Er hat nichts geleistet, wohl aber uns das Leben nach Möglichkeit sauer gemacht. Als angebliche Spitze aller A.- und S.-Räte stellte er die oberste Instanz im Staate dar, konnte aber nicht begreifen, daß er sich mit Berufung oder Absetzung der Volksbeauftragten – falls er dazu die Macht hatte –, begnügen, daß diesen aber die Exekutive in vollem Umfang verbleiben mußte. Da er nichts tat als debattieren – Ledebour schwamm in Wonne ob der Möglichkeit, von früh bis spät reden zu können –, hielt er es für richtig, auch uns durch ewige und stürmische Sitzungen von der Arbeit abzuhalten, wobei es sich meist um die lächerlichsten Lappalien handelte.

Der erste Rätekongreß machte dieser Revolutionsromantik erfreulicherweise ein Ende. Er bewies zweierlei: Erstens, wie wenig die Unabhängigen trotz allem Wurzel gefaßt hatten; wir hatten die weitaus überwiegende Majorität und vor allem den Stamm der erfahrenen und erprobten Leute. Und zweitens, welch unberechenbares und unerfahrenes Element die Soldaten in der Politik waren. Sie hatten eine eigene Fraktion gebildet und hörten fast alle zum ersten Male von politischen Dingen reden. Das beweist auch den völlig unpolitischen Ursprung des 9. Novembers.

Dieser Rätekongreß nahm, wie schon erwähnt, die Hamburger Punkte an. In dieser Forderung waren sich die sonst unentschlossenen und direktionslosen Soldatenvertreter durchaus einig. Ferner wählte er einen, das ganze Reich repräsentierenden Zentralrat, in den die Unabhängigen nicht eintraten, weil sie eine den Fraktionsverhältnissen auf dem Kongreß nicht entsprechende Beteiligung verlangt hatten. Und schließlich setzte er, nach unendlichen Kämpfen mit Haase und seinen Leuten, den Termin für die Nationalversammlung fest. Noch am 9. November hatten die Unabhängigen es rundweg abgelehnt, eine Nationalversammlung in Aussicht zu nehmen, auch hierin nicht sich selbst, aber dem russischen Vorbild getreu. Beim Zusammentritt der Volksbeauftragten hatten wir nur erreicht, daß diese ausdrückliche Weigerung fallen gelassen und damit die Frage vertagt wurde. Jetzt stand der Termin fest, von einer »revolutionären Körperschaft« bestimmt, was aber die Extremisten von ihrem Kampf nicht abhielt, sondern im Gegenteil das Signal für die künftigen Januar- und Märzunruhen bildete.

Auch die Verhandlungen des Kongresses versuchte man Tag für Tag unter den brutalsten Druck der Straße zu stellen. Es war die Zeit, wo Karl Liebknecht jeden Morgen seine Anhänger in der Siegesallee um sich sammelte. Treffpunkt: Otto der Faule! Das Prinzip war, nur keine Beruhigung eintreten zu lassen, ständig den »Acheron in Bewegung zu halten«, vor allem die Arbeitslosen und – was dasselbe bedeutete – die Soldaten auf die Straße zu treiben. Ich erinnere mich noch an einen regnerischen Sonntagabend im November; Ebert und ich waren im Reichskanzlerhaus mit dem damaligen Kriegsminister Scheuch an der Arbeit. Da kam die Meldung eines heranrückenden Demonstrationszuges. Die Gittertore wurden geschlossen und die Lichter nach vorne zu gelöscht. Der Zug kam durch den dunkeln Abend heran, rote Fahnen, blutrünstige Plakate, unaufhörliche Rufe: Nieder Ebert-Scheidemann, hoch Liebknecht. Der Wilhelmplatz füllte sich mit den Massen; sie standen dicht gedrängt vor den Gittertoren, wir standen in einem dunkeln Vorderzimmer wie auf einer Insel. Allmählich entstand Ruhe; Liebknecht sprach von einem Auto aus. Kurz abgehackt, monoton immer dasselbe, wildeste Aufreizung, wie im Rausch über seine Macht und seine Anhängerschaft. »Dort sitzen sie, die Verräter! Die Scheidemänner, die Sozialpatrioten! Wir könnten das Nest heute schon ausheben! …« Brüllende Zustimmung! Plötzlich aber schlug das Drama ins Satyrspiel um. Am andern Flügel des Reichskanzlerhauses wurde ein Fenster hell und geöffnet. Emil Barth zeigte sich dem Volk! Er war seiner Sache sicher, er konnte nicht als Verräter gelten, er hatte ja die Revolution gemacht, das Volk befreit! »Genossen!« – Aber da kam er an die Unrechten; hier konnte er eine Probe auf das Exempel erleben, was Volksgunst heißt und wie lange man auf so unerschütterliche Verdienste pochen darf, wie er sie sich in der »Werkstatt der Revolution« erworben hatte. »Maul halten! – Auch so ein Sattgefressener! – Hast dir wohl auch schon die Taschen vollgestopft!« Er konnte kaum zu Wort kommen, und die Szene, die mit Liebknechts Pathos begonnen hatte, endete mit einem mehr als volkstümlichen Schimpfduell zwischen den Vätern der Revolution.

Erst war der Rätekongreß das Ideal, eigentlich die Krönung der Bewegung gewesen. Kaum aber stellte sich heraus, daß er eine mehrheitssozialistische Majorität aufweise und sich auf die Zulassung von Liebknecht und Rosa Luxemburg, die nirgends gewählt worden waren, nicht einlassen wolle, als er ein Instrument der »Konterrevolution« wurde, das man bekämpfen und über dessen Beschlüsse man zur Tagesordnung übergehen müsse. Liebknecht führte seine Massen heran, ließ das Abgeordnetenhaus, wo die Sitzungen stattfanden, regelrecht belagern und verdammte vom Balkon aus die drinnen tagenden »Knechte der Bourgeoisie«. Von Zeit zu Zeit brachen Deputationen radikaler Betriebe die Absperrungen am Eingang und erzwangen sich den Eintritt in den Saal. Fahnen, Plakate, donnernd vorgelesene Erklärungen im Namen von Hunderttausenden, deren Nullen man nicht nachprüfen durfte: so zogen sie vor dem Präsidentensitz vorbei wie Wellen, die dies außer Rand und Band geratene Berliner Menschenmeer hereinschlug. Es war schließlich ein Wunder, daß diese eingeschüchterte Versammlung sich zu solch einem »revolutionsfeindlichen« Beschluß, wie es das Bekenntnis zur Nationalversammlung war, verstanden hat.

Die Reichskonferenz der Bundesstaaten.

Die Reichskonferenz der Bundesstaaten am 25. November spielte sich im Kongreßsaal des Reichskanzlerhauses ab. Sie brachte ein Erfreuliches: unbedingte Einigkeit im Festhalten am Reich! Allerdings wurden auch Seitensprünge erwähnt und bedauert, so gewisse Verhandlungen Eisners mit Frankreich und der Versuch Hamburgs, unter Lauffenbergs Einfluß, mit Sowjet-Rußland Beziehungen anzuknüpfen. Im übrigen standen zwei Fragen im Vordergrund: Frieden und Nationalversammlung. Die Grundlage für die Friedensdebatte bildete ein recht unglückliches, abgelesenes Referat Solfs, der anscheinend keine Ahnung von Art und Ansichten seines Publikums hatte. Es waren, mit ganz geringen Ausnahmen, nur Sozialisten anwesend, unter ihnen die radikalsten Führer der Unabhängigen. Solf aber bemühte sich lediglich um den Nachweis, daß es weder Friede noch Nahrungsmittel gebe, wenn nicht »Ruhe und Ordnung« herrsche, was damals soviel heißen wollte wie restlose Abblasung aller revolutionären Änderungen; außerdem prophezeite er das Ende der Bolschewistenherrschaft und sprach von »starken Strömungen für ein konstitutionelles Reich« in Rußland. Daß er für möglichst schnelle Einberufung der Nationalversammlung und nicht in Berlin sich aussprach, war taktisch vollends unglücklich. Er hatte Eisner eine glänzende Gelegenheit gegeben, ihn als Verkörperung vorrevolutionärer Belastung hinzustellen und nun sein phantastisches Programm zu entwickeln. Er behauptete, der Wille der Entente gehe zu allererst auf Beseitigung der Männer des alten Systems. Clemenceaus Bedingungen richteten sich gegen Wilhelm II., nicht gegen das deutsche Volk. Die Radikalsten an der Spitze Deutschlands seien der Entente recht, wenn sie nur unbelastet seien. Am Tage nach der bayerischen Revolution habe sie sich sofort zu Milderungen verstanden. Am besten sei es, an die Spitze des Reiches ein Präsidium von fünf oder sieben Männern zu setzen, welche dann die Verhandlungen mit den Gegnern zu führen hätten.

Ich gehe auf die Debatte nicht des Näheren ein. Ich habe auf die Eisnersche Behauptung, die Waffenstillstandsbedingungen richteten sich nicht gegen das Volk, mit der Frage geantwortet, wer denn infolge ihrer Unerbittlichkeit hungere und friere, Wilhelm II. oder das Volk. Alle Teilnehmer waren sich klar, daß neue Männer mit den Verhandlungen betraut werden müßten, aber keiner teilte die Hoffnungen Eisners. Kuriositätshalber möchte ich noch erwähnen, daß es auch ein paar ganz Unentwegte gab – sie sind jetzt eben auf dem Wege nach Moskau –, die behaupteten, Sozialisierung wäre nötiger als Frieden und müsse selbst auf Kosten einer etwaigen Besetzung durchgeführt werden. Eben diese Überzeugungsfesten waren natürlich auch gegen die Nationalversammlung, die auch Eisner, Haase und Barth »als Krönung des Gebäudes, nicht als dessen Grundlage« auf unbestimmte Zeit vertagt sehen wollten. Die große Mehrheit aber, insbesondere des Südens, erklärte die Konstituante als einziges Mittel für die Reichseinheit und einzige Instanz für den Friedensabschluß.

Die auswärtige Politik und die Unabhängigen.

In der auswärtigen Politik war natürlich alles auf den Gedanken des künftigen Friedensschlusses eingestellt. Es darf nahezu ohne Einschränkung festgestellt werden, daß kein politischer Mensch in Deutschland ein Instrument von solcher Ungeheuerlichkeit erwartete. Kautsky, der damals im Auswärtigen Amt tätig war, vertrat den Standpunkt, die Friedensbedingungen würden nicht so drückend sein wie die Waffenstillstandsbedingungen; besonders rechnete man auf das Zustandekommen von wirklichen Verhandlungen, wenn auch die »Vossische Zeitung« allein da stand in ihrer Verranntheit, als sie noch am Tag der ersten, großen Diktatsitzung triumphierend verkündigte: Es wird natürlich verhandelt!

Direkte Beziehungen zu den feindlichen Ländern hatten wir nicht. Wir mußten also mit gewissen Aufnahmestellungen, vor allem in Kopenhagen und Bern, arbeiten. In Kopenhagen saß noch der Graf Rantzau, der sich während des Krieges wie kaum ein anderer bewährt hatte; in Bern war Herr von Romberg ersetzt worden durch meinen Parteifreund Adolf Müller, der als schlimmste Erbschaft das ganze Gift einer maßlosen, ohne Sinn und Verstand sich gebärdenden Propaganda vorfand, mit der spätere Pazifisten da unten das Rennen hatten machen wollen. Er hat mit wirklich eiserner Hand in diesem Trümmerhaufen verschwenderischer Dilettanten aufgeräumt. Graf Rantzau sowohl wie Adolf Müller genossen das Vertrauen der dänischen, bzw. Schweizer Regierung in hohem Maß und haben durch ihre Berichte entscheidend an der Gestaltung unserer damaligen Außenpolitik mitgearbeitet. Daß Dr. Solf der Aufgabe nicht gewachsen sei, darüber gab es nur eine Ansicht. Es war daher von vornherein vorgesehen, ihm einen Nachfolger zu geben. Akut wurde diese schleichende Solfkrise, als der berühmte Funkspruch Joffes ankam, in dem vor allem dem Volksbeauftragten Haase unter genauer Angabe von Zahlen vorgerechnet wurde, welche russischen Gelder er zur Entfachung der deutschen Revolution erhalten habe. Solf kam mit diesem Funkspruch in die Kabinettsitzung, übersah Haases ihm entgegengestreckte Hand und erhob seine Anklage. Haase hat bekanntlich ebenso wie Barth auf das energischste bestritten, daß er irgendwelche russischen Gelder zu politischen Zwecken erhalten habe. Man muß also als Erklärung zu der überraschenden Annahme kommen, daß Joffe durch ein bewußt unwahres Telegramm seine eigensten Parteigänger diskreditieren wollte; daß die Angelegenheit dadurch klarer und wahrscheinlicher werde, kann man nicht behaupten. Haase ist Solf übrigens die Antwort auf diesen Angriff nicht schuldig geblieben; er hat ihm auf der bereits erwähnten Bundesstaatenkonferenz attestiert, daß zwischen ihm und Solf weitgehende Meinungsverschiedenheiten bestünden, die durch Solfs Rede noch vertieft worden seien, und daß der Staatssekretär des öfteren mit Erfolg sich der Kontrolle des Beigeordneten Kautsky entzogen habe.

Haase hatte als Volksbeauftragter das Ressort der auswärtigen Politik, Kautsky war Beigeordneter im Auswärtigen Amt. Das muß festgehalten werden, wenn man diejenigen Maßnahmen beurteilen will, die in dieser Zeit in bezug auf Sowjet-Rußland getroffen worden sind. Kurz vor der Revolution war der Gesandte Joffe ausgewiesen worden, weil im russischen Kuriergepäck Propagandamaterial für die Einführung des Bolschewismus in Deutschland gefunden worden war. Es ist selbstverständlich, daß es nach dem Umsturz das erste Bemühen Moskaus war, den Gesandten wieder nach Berlin zu bringen, der in einem Sonderzug in Minsk noch festgehalten wurde, weil den deutschen Vertretern in Moskau die Abreise verweigert wurde. Bereits am 15. November standen Anfragen Tschitscherins auf der Tagesordnung des Kabinetts, ebenso Aufrufe, die sich direkt gegen den Bestand der Regierung der Volksbeauftragten richteten. Am 16. November konnte Haase über ein Gespräch mit Moskau am Fernschreiber berichten, in dem Tschitscherin angegeben hatte, die Entente rücke gegen Rußland vor, und zwar gleichzeitig von der Ostsee her und über Odessa. Daraufhin wurde einstimmig beschlossen, sowohl der Entente gegenüber als auch gegenüber der Sowjet-Regierung neutral zu bleiben, also dieselbe Stellung zu bewahren, wie später die deutsche Regierung im russisch-polnischen Kriege. Am 18. November fand eine gründliche Aussprache über das Verhältnis zu Sowjet-Rußland statt. Haase erstattete in Gegenwart Kautskys und des russischen Referenten Nadolny Bericht. Aus allen Mitteilungen unserer auswärtigen Vertretungen, so führte er aus, gehe hervor, daß die Entente bereit sei, Deutschland unter der gegenwärtigen Regierung entgegenkommende Friedensbedingungen und Lebensmittellieferungen zu gewähren. Aber nur so lange, als der Bolschewismus nicht in Deutschland aufkomme! Es sei daher notwendig, sich gegen die russische Propaganda zu wehren und dabei mit der Sowjet-Regierung auf einem friedlichen Fuß zu leben. Das Ergebnis dieser Besprechung war ein Telegramm, unterzeichnet von Solf und Kautsky, an das russische Volkskommissariat in Moskau, das folgenden Wortlaut hatte:

»Die von den Mitgliedern der russischen Regierung in dem Ferngespräch mit dem Volksbeauftragten Haase sowie in verschiedenen Telegrammen an deutsche Regierungsvertreter gestellten Fragen sind im Kabinett der deutschen Volksregierung auf die Tagesordnung gesetzt worden. Dabei ist folgendes zur Sprache gekommen:

1. Vor Bürgen ist von der Räteregierung ein Funkspruch an alle Arbeiter-, Soldaten- und Matrosenräte Deutschlands gerichtet worden, worin es folgendermaßen heißt:

»Soldaten und Matrosen, gebt die Waffen nicht aus der Hand, dann treiben Euch die vereinigten Kapitalisten zu Paaren. Es gilt, mit den Waffen in der Hand, wirklich die Macht überall zu übernehmen, eine Arbeiter-, Soldaten- und Matrosenregierung, mit Liebknecht an der Spitze, zu bilden. Laßt Euch keine Nationalversammlung aufschwatzen. Ihr wißt, wohin Euch der Reichstag gebracht hat.«

Die deutsche Volksregierung kann nicht umhin, in dieser Aufforderung an die Bevölkerung, eine bestimmte Regierung zu bilden, den Versuch einer Einwirkung auf die inneren Verhältnisse Deutschlands zu erblicken, der unter den gegebenen Umständen eine schwere Schädigung des deutschen Volkes zur Folge haben kann. Die deutsche Regierung ist bereit, mit allen Staaten und auch mit den russischen in Frieden und guten Beziehungen zu leben. Sie muß aber verlangen, daß das Recht des deutschen Volkes auf eigene Bestimmung seiner inneren Angelegenheiten geachtet wird und daß Einwirkungen hierauf von außen unterbleiben. Die vorstehende Aufforderung zur Bildung einer Regierung auf anderer Grundlage und mit andern Zielen als die der deutschen Volksregierung läßt außerdem nicht erkennen, welche Stellung die russische Sowjet-Regierung der gegenwärtigen deutschen Regierung gegenüber einnimmt. Wenn die Sowjet-Regierung normale Beziehungen mit ihr unterhalten will, muß die deutsche Regierung darüber im klaren sein, daß die russische Regierung sie anerkennt und nicht die Bildung einer anderen Regierung in Deutschland fördert.

2. Die von der russischen Regierung ausgesprochene Nichtanerkennung der deutschen Generalkonsulate in Moskau und Petersburg kann nicht als berechtigt angesehen werden. Nachdem die russische Regierung diese Behörden zugelassen und lange Zeit mit ihnen gearbeitet und nachdem die deutsche Volksregierung ihr erlaubt hatte, daß die Behörden auch weiterhin als rechtmäßige deutsche Vertretungen zu gelten hätten, war es nicht zulässig, sie plötzlich nicht mehr anzuerkennen. Außerdem hat es nach den eingegangenen Meldungen den Anschein, daß die an und für sich unrechtmäßige Absetzung nicht von deutschen Arbeiter- und Soldatenräten allein und aus eigener Initiative, sondern auf Veranlassung und unter Beihilfe der russischen Behörden erfolgt ist

Mit Rücksicht hierauf hat die deutsche Volksregierung im Einverständnis mit dem Vollzugsrat des deutschen Arbeiter- und Soldatenrates beschlossen, die russische Regierung vor Wiedererrichtung der beiderseitigen diplomatischen Vertretungen um folgendes zu ersuchen:

1. um eine klare Anerkennung der gegenwärtigen deutschen Volksregierung und der Verpflichtung, sich aller Einwirkung auf die deutsche Bevölkerung zur Bildung einer andern Regierung zu enthalten.

2. um eine Klarstellung der bei der Absetzung der deutschen Generalkonsulate stattgehabten Vorgänge.

Hinsichtlich des Punktes 1 darf die deutsche Regierung einer entsprechenden Äußerung entgegensehen. Als Ausführung des Ersuchens in Punkt 2 erwartet sie, daß die deutschen Generalkonsulate nunmehr endlich ungehindert aus Rußland abreisen und sich nach Deutschland begeben können, und bittet ferner, je ein Mitglied des deutschen Arbeiter- und Soldatenrates aus Moskau und Petersburg nach Deutschland ausreisen zu lassen, damit sie hier über die Einzelheiten des Zustandekommens ihrer Organisationen Auskunft geben und alle sonstigen, ihre Stellung und Befugnisse betreffenden Fragen erörtern können.«

Dies, unter hauptsächlicher Mitwirkung hervorragender Vertreter der Unabhängigen, abgesandte Telegramm zeigt aufs deutlichste, welche Politik das Deutschland der Volksbeauftragten gegenüber Moskau zu treiben gedachte. An eine nähere Verbindung, etwa gar ein Bündnis, war gar nicht zu denken; das hätte unsere Stellung zur Entente, die alle Gewaltmittel der Waffenstillstandspolitik gegen uns führen konnte, ganz unhaltbar gemacht. Man vermied daher sogar Beziehungen, die irgendwie mißdeutet oder beargwöhnt werden konnten; so wurde den Militärbehörden in Kowno, die Instruktionen erbaten, was mit der dort auf Einreiseerlaubnis wartenden russischen Sowjetdelegation zu geschehen habe, am 9. Dezember mitgeteilt, man bitte diese Delegation von ihrem Kommen Abstand nehmen zu wollen. Gleichzeitig wehrte sich das Kabinett gegen die Sowjet-Propaganda und verbat sich die Einmischung in die innerdeutschen Verhältnisse. Es war also gerade bei den Vertretern der Unabhängigen keine Rede davon, gemeinsame Sache mit Moskau zu machen. Noch am 27. Dezember, einen Tag vor dem Austritt der Unabhängigen aus der Regierung, wurde im Kabinett ein polnischer Vorschlag verhandelt, der auf einen Waffenlieferungsvertrag hinauslaufen sollte. Haase war gegen den Vertrag nicht aus Solidaritätsgründen mit Moskau, sondern weil er die Bolschewisten militärisch für stärker hielt als die Polen, im Fall von deren Niederlage wir als ihre Komplizen angesehen und behandelt werden würden. Und Kautsky vertrat den sicherlich sehr richtigen Standpunkt, der ganze Vertrag erscheine ihm nur eine Falle, um uns in Konflikte hineinzuziehen; mit den Bolschewisten müsse man sehr vorsichtig sein, denn sie versuchten den Friedensvertrag Deutschlands mit der Entente zu hintertreiben.

Dies war im Zusammenhang die unter unabhängiger Führung getriebene Russenpolitik der Volksbeauftragten; sie war unseren Bedürfnissen angepaßt und daher die einzig richtige. Auch ist man, zurückblickend, angenehm überrascht, wieviel realpolitischen Blick sich doch die Männer noch bewahrt hatten, deren Nachfolger in großer Zahl im Herbst 1920 sich mit Haut und Haar an Moskau verkauften, dabei aber das frevelhafte Spiel trieben, die Entente durch kindische, lebensgefährliche Provokationen zu reizen.

Die Putsche gegen die Republik.

Das Bild unserer Revolutionsarbeit wäre ein völlig irreführendes, wenn nur das Riesenmaß der zu bewältigenden Probleme dargelegt würde und nicht zugleich die Umstände, unter denen diese Arbeit geleistet werden mußte. Das Bild vom Sitz auf dem Pulverfaß schildert nur unvollkommen die Dauerhaftigkeit und das Behagen unserer Amtssessel. Wir verrichteten unser Tage- und noch mehr unser Nachtwerk in einem ständigen Hagel von Explosionen, die aus der Wilhelmstraße nur zu oft eine belagerte Festung machten, die kaum bewacht und verteidigt war. Es ist nicht meine Absicht, die verschiedenen Miniaturrevolutionen und Putsche eingehend darzustellen, als seien sie die Hauptereignisse der Revolution. Blut floß fast bei allen, und das sichert ihnen ein trauriges und beschämendes Andenken. Man überlege sich: Am 9. November war der Obrigkeitsstaat restlos zusammengebrochen, so restlos, daß von seiner stärksten Stütze, dem Heer, kaum mehr Trümmer zurückblieben. Die Verhältnisse, insbesondere die Waffenstillstandsbedingungen und der drohende Friedensvertrag, zogen natürlich der Umwandlung der bisherigen Einrichtungen gewisse Grenzen. Es war ja nicht möglich, eine Maschine in aller Ruhe abzumontieren und neu aufzubauen, die keinen Augenblick stillstehen durfte, die im Gegenteil durch all die Leistungen aus dem verlorenen Krieg erst recht mit Hochdruck arbeiten mußte. Aber der Zusammenbruch hatte wenigstens die innere Ungleichheit und Unfreiheit beseitigt, jeder legal sich betätigenden Weltanschauung war der Weg freigegeben, die zwei Arbeiterparteien hatten die höchste Regierungsgewalt in Händen. Dennoch riß das »Weitertreiben der Revolution« nicht für einen Tag ab, ja, gewisse Persönlichkeiten hatten es geradezu darauf abgesehen, aus der Revolution einen Dauerzustand zu schaffen.

Daß die Massen nach dem 9. November, nach der Übertragung der Staatsgewalt an ihre Vertrauensmänner, nicht einfach nach Hause gingen und wieder anfingen, wo sie vor dem Umsturz aufgehört hatten, war selbstverständlich. Noch gärte in ihnen gegen den Obrigkeitsstaat all der Haß und die Empörung, die sich in langen Friedens- und Kriegszeiten angesammelt hatten. Sie konnten zum neuen Staat nicht so schnell die notwendige neue Stellung einnehmen, sie konnten, was eben ihr Feind und Unterdrücker gewesen war, nicht von heut auf morgen als ihren Freund oder gar als ihr Besitztum ansehen. Um so weniger, als dieser Freund noch die ganze unselige Erbschaft aus mörderischen Kriegszeiten trug, ihnen also keine Besserung der Lebenshaltung, keine Linderung der Not verschaffen konnte. Außerdem mußte der erste Taumel der ungewohnten Freiheit erst verrauscht sein, man mußte sich in den neuen Verhältnissen erst zurechtgefunden haben, man mußte die neuen Rechte erst kennen und handhaben gelernt haben. Die Revolutionswochen waren für das geschundene, bis aufs Mark ausgepreßte Proletariat wie eine Atempause nach vierjähriger ununterbrochener Arbeit oder Schützengrabenzeit. Giesberts hat einmal gesagt: »Ein Volk, das diesen Krieg hinter sich hat, darf auch ein paar Wochen lang betrunken sein!«

Den Massen war also nicht zur Last zu schreiben, was sich von November bis Januar und noch einmal bis März unter der und gegen die Republik ereignete. Um so mehr müssen wir die blutigen Vorgänge, die Straßenkämpfe, die Zeitungsbesetzungen, die Überfälle jener Wochen auf das Konto derer setzen, die wußten, daß dies alles nichts war und nichts sein konnte als eine Selbstzerfleischung des Proletariats, ein Kampf von Arbeitern gegen Arbeiter. Revolutionsromantik, die sich eine Umwälzung ohne Blutvergießen nicht denken konnte, und Größenwahn, der sich nicht genügend beachtet glaubte, haben in den Straßen Berlins die Orgien gefeiert, bei denen die Masse genau so Kanonenfutter war wie in den Zeiten Wilhelms II. Man hat immer wieder den »Führern« die Schuld an der Uneinigkeit des Proletariats aufgebürdet; wer meine steten Versuche, zur Einigkeit zu kommen, verfolgt hat, wird mir bestätigen, daß ich von solcher Schuld mich frei wissen darf. Aber wenn je sogenannte Führer Blutschuld auf sich geladen und die Kluft zwischen Klassengenossen vertieft haben, dann waren es die, die in der Republik, dieser Schöpfung der Arbeiterschaft, noch mit denselben unwirksamen, selbstmörderischen Waffen gekämpft haben wie unter dem Militärstaat und den unverkennbaren Mehrheitswillen des Proletariats selbst mit Handgranaten und Maschinengewehren zu zertrümmern suchten.

Der erste Putsch von rechts.

»Bluthunde Ebert und Scheidemann!« Berlin hallte wider von diesem Ruf; unablässig zogen Demonstrationen, bis zur Heiserkeit und zum Wahnsinn überreizt, Unter den Linden und in der Wilhelmstraße auf und nieder. Die Seele dieser ewigen Aufputschung waren die sogenannten »revolutionären Obleute« und vor allem Karl Liebknecht.

Die Novemberwochen hatten in ihrer allgemeinen Aufregung und in dem gemeinsamen Bewußtsein der Arbeiterklasse, eine Errungenschaft erkämpft zu haben und nun verteidigen zu müssen, noch nicht den günstigen Boden für die Zersplitterung der ganzen Bewegung gegeben. Wohl kam es täglich in der Siegesallee, die sich Liebknecht merkwürdigerweise zum Sammelpunkt seiner Scharen gewählt hatte, zu Krakeel und Prügeleien. Der Chauffeur des Reichskanzleiautos, mit dem ich des öfteren am Tiergarten entlang nach Hause fuhr, hatte auch schon recht unangenehme Begegnungen. Als er mit dem leeren Wagen die Tiergartenstraße durchfuhr, wurde er von einigen Spartakisten angehalten, die die Wagentüre aufrissen und nach dem »Verräter« fahndeten. Auf der Straße zu Fuß sich sehen zu lassen, war so gut wie ausgeschlossen.

Erneute Aufregung kam in die äußerste Linke, die sich inzwischen durch einen Rat der Arbeitslosen und einen Rat der Deserteure verstärkt hatte, durch eine feierliche Erklärung der Gesamtentente, die bei ihrer Landung in Odessa die Bolschewiken für vogelfrei erklärte; nach Zeitungsmeldungen aus Petersburg sollten infolge dieser unerhörten Proklamation der Gesetzlosigkeit bereits fürchterliche Blutbäder unter der Arbeiterschaft angerichtet worden sein. Daß solche Nachrichten große Aufregung auch in die deutsche Arbeiterschaft tragen mußten, ist selbstverständlich; sie sahen in ihren russischen Klassengenossen diejenigen, die zuerst die Fahne der Freiheit aufgepflanzt hatten, die jetzt von der Entente niedergeholt werden sollte. Aber auch auf der andern Seite machte sich eine Bewegung geltend; die Reaktion witterte Frühlingsluft. Sie glaubte den Zeitpunkt gekommen, mit der ganzen Revolutionsdekoration aufräumen zu können, um vor allem das rein Sozialistische und Proletarische zu den Akten zu legen. Aus diesem Gefühl heraus entstand der lächerliche Putsch am 6. Dezember. Ausgeheckt wurde er von einigen jungen Herren im Auswärtigen Amt, denen naturgemäß die ganze Richtung nicht paßte, Graf Matuschka und v. Rheinbaben, inszeniert war er mit dem Geld des Herrn v. Stumm, der damals die Nachrichtenabteilung leitete. Sie hatten sich zwei außerordentlich schwankende Gestalten gesichert, den schon erwähnten Spiro und einen gewissen Fischer, der später in Kopenhagen eine höchst zweifelhafte Reportertätigkeit ausübte. An der Spitze von ein paar Hundert Soldaten und Studenten zogen diese Helden vor die Reichskanzlei, riefen dort Ebert zum Präsidenten aus, der sich natürlich auf diesen Fastnachtsscherz nicht einließ, und überrumpelten dann das Herrenhaus, wo sie den verhaßten Vollzugsrat »verhafteten«. In einer Stunde war zwar alles wieder in Ordnung gebracht, aber nur, weil das ganze Unternehmen eben die Ausgeburt von ein paar lächerlichen Wirrköpfen war, die weder Umsicht noch Mut besaßen. Bezeichnend ist auf jeden Fall, daß im Berlin der Revolution die höchsten Behörden einfach ausgehoben werden konnten, als seien sie ein illegaler Spielklub. Am traurigsten war, daß auch dieser Narrenstreich Menschenleben kostete, denn er platzte in eine ungemein überreizte Stimmung, die sich noch am selben Abend in Straßenkämpfen zwischen Soldaten und Arbeitern entlud, zu denen das Gerücht eines »reaktionären Staatsstreichs« in ungeheuerlich vergrößerter Form gedrungen war. Über 40 Proletarierleichen lagen wieder in den Straßen Berlins.

Die nächsten Bluttaten kamen von der andern Seite. Sie richteten sich unter Führung von Liebknecht merkwürdigerweise gegen den Mann, der später die Seele des größten Putschversuchs werden sollte, nämlich gegen den unabhängigen Polizeipräsidenten Eichhorn. In einer Spartakusversammlung wurde der Beschluß, Eichhorn abzusetzen und das Polizeipräsidium zu stürmen, gefaßt; mehrere hundert Personen zogen auch nach dem Alexanderplatz, und dort kam es zu einem förmlichen Feuergefecht, bei dem wiederum mehrere Tote auf der Strecke blieben.

Der erste Rätekongreß am 16. Dezember stand, wie schon berichtet, vollkommen im Zeichen blutrünstiger Demonstrationen von einzelnen, die niemand hinter sich hatten. Besonders bezeichnend war das Eindringen einer sich fürchterlich radikal gebärdenden Soldatenhorde, die angeblich im Namen von dreißig in Berlin liegenden Truppenteilen sich den Eintritt erzwang und ihre Forderungen während eines unglaublichen Tumults der ganzen Versammlung vortrug. Es stellte sich nachher heraus, daß nicht ein einziger dieser angeblich beteiligten Truppenteile von diesem Schritt etwas wußte. Liebknecht hielt aber inzwischen draußen seine Ansprachen, und während der Kongreß bis zu seinem Zusammentritt als die höchste Macht in Deutschland gefeiert wurde, donnerte Liebknecht jetzt: »Es wird keine Ruhe geben in Berlin! Die Arbeiter werden sich nicht in die Fabriken sperren lassen. Sie werden diesen Kongreß kontrollieren, und sie werden durch gewaltige Demonstrationen, wie die heutige, diesem Kongreß ihre Meinung aufzwingen.«

Selbstverständlich wurde ich von den Überradikalen in der unglaublichsten Weise angepöbelt. Kriegshetzer, Volksverräter, Lump, Schuft, dazu Hausschlüsselgepfeife – alle diese Liebenswürdigkeiten empfingen mich, ausgerechnet, als ich zu dem eingebrachten »Einigungsantrag« redete. Als ich auf den Zwischenruf »Erst muß Scheidemann weg« antwortete: »In einer halben Stunde gehe ich sowieso zum Essen«, hatte ich natürlich die Lacher auf meiner Seite, und angesichts des immer ungeheuerlicher anschwellenden Lärms schloß ich mit den Worten, die sich dann bewahrheitet haben: »Die Antwort, die Sie von mir hören wollen, werden Ihnen am 19. Januar (dem Wahltag) die deutschen Arbeiter geben.«


Die blutige Weihnacht.

Die folgende Woche war voll dumpfer Spannung. Jedermann hatte das Gefühl, daß neue Eruptionen bevorständen. Die direkte Ursache für den Wiederausbruch blutiger Zwistigkeiten bildete der Kampf um die Auflösung oder wenigstens die Herabminderung und Eingliederung der sogenannten Volksmarine-Division. Der Stadtkommandant Wels, der mit der Räumung des durch die Matrosen besetzten Schlosses beauftragt war, wurde plötzlich von einigen Hundert Matrosen überrannt, mit seinen Mitarbeitern festgesetzt, und gleichzeitig wurde die Reichskanzlei von den Matrosen umringt und damit die Regierung gefangen gesetzt. Ich war in einem befreundeten Haus zu Tisch, und als ich um 4 Uhr in die Reichskanzlei fahren wollte, hielt mich noch zur rechten Zeit der pünktlich eingetroffene Chauffeur davon ab. »Bleiben Sie hier! Die Regierung ist inhaftiert, die Matrosenwache hat gemeutert, die Telephonzentrale wird bewacht, es kann niemand in die Reichskanzlei und niemand kann sie verlassen!« – Nicht gerade angenehm überrascht, fragte ich: »Wie sind Sie denn aus dem Hause herausgekommen, wenn es gesperrt ist?« – »Man hat mich gefragt, wohin ich fahren wolle. Darauf habe ich geantwortet, daß ich Sie abholen müsse. Da hat einer der Matrosen gesagt: Ja, da fahren Sie mal schnell hin, den brauchen wir gerade noch!« – Meine Versuche, telephonische Verbindung mit der Reichskanzlei zu bekommen, scheiterten. Ich rief nunmehr den Kriegsminister Scheuch an, um ihn zu bitten, die Regierung zu befreien. Dann aber fiel mir glücklicherweise ein, daß die Reichskanzlei eine Telephonverbindung hatte, die direkt mit dem Amt verbunden war, ohne über die Hauszentrale zu laufen: 998. In zwei Minuten hatte ich Verbindung mit Ebert. Er schilderte mir, was sich abgespielt hatte. Ich rief ihm dazwischen, daß ich den Minister Scheuch informiert und um Entsetzung gebeten hätte. Ebert war es inzwischen aber auch schon gelungen, sich mit der Außenwelt in Verbindung zu setzen: in der Reichskanzlei befand sich aus der Kriegszeit her ein direkter, den Aufrührern unbekannter Apparat und Draht zur Obersten Heeresleitung, der auch nicht über die besetzte Telephonzentrale ging. Auf diesem Wege war es Ebert gelungen, vor allem auch mit den Truppenteilen, die unter dem Kommando des Generals Lequis eben aus dem Felde zurückgekehrt waren und zur Regierung hielten, Verbindung herzustellen. Gegen Abend erschienen daher Truppen vor und hinter der Reichskanzlei; deren Anwesenheit zwang die Matrosen nach den lärmendsten Verhandlungen zum Abzug. Ohne die direkten Telephonleitungen wäre es also einer Handvoll Bewaffneter möglich gewesen, die ganze Reichsregierung lahmzulegen.

Immer noch befand sich aber der Stadtkommandant Wels und seine Mitarbeiter in der Gefangenschaft der Matrosen, die ihn im Marstallkeller untergebracht hatten. Gegen Abend kam von dem Führer der Matrosen, Radke, selber die Meldung, daß er für das Leben von Otto Wels nicht mehr einstehen könne. Wie weit die Bewegung um sich gegriffen hatte, zeigte auch, daß inzwischen der Versuch gemacht worden war, den Vorwärts zu besetzen. Da Wels in keinem Falle im Stich gelassen werden durfte, gaben wir in der Nacht – ich war längst in die Reichskanzlei zurückgekehrt, während die unabhängigen Regierungsmitglieder sich entfernt hatten – dem Kriegsminister Scheuch den Befehl, den Stadtkommandanten zu befreien. Infolgedessen kam es nach vergeblichem Versuch gütlicher Verhandlungen am Morgen des Weihnachtstages zu dem Kampf um das Berliner Schloß. Diese blutigen Weihnachten sind noch in aller Erinnerung. Geschützfeuer zerstörte einen Teil der Marstallfassade. Erneute Verhandlungen führten endlich zum Abbruch des Kampfes und zur Freigabe von Wels. Die Verluste waren auf beiden Seiten groß; 70 Tote oder mehr lagen am Weihnachtsabend auf den Berliner Straßen.

Während des Kampfes hatten sich zwar die radikalen Führer angeblich um eine Beilegung des Bürgerkriegs und Brudermordens bemüht, aber schon am 25. abends brach der Kampf aufs neue aus, indem die von den revolutionären Obleuten aufgeputschten Massen das Vorwärtsgebäude stürmten und besetzten. Am 26. wurde diese erste Besetzung noch einmal gütlich beseitigt. Die nächsten Tage waren sozusagen der Generalmusterung der beiderseitigen Anhängerschaft gewidmet. In riesenhaften Demonstrationen zeigten die Sozialdemokraten, wie wenig ihre Anhänger mit diesen blutigen Verfechtern des Umsturzes zu tun haben wollten. In diesen Tagen fand auch die erste Reichskonferenz des Spartakusbundes statt, bei der Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gegenüber den Überradikalen bereits in der Minderheit blieben. Gleichzeitig waren die Unabhängigen aus der Regierung ausgeschieden, angeblich, weil sie die Verantwortung für das doch von ihren Anhängern heraufbeschworene Blutvergießen nicht tragen wollten. Die preußische Regierung beschloß im Anschluß an diese Vorgänge die Absetzung des unabhängigen Polizeipräsidenten Eichhorn, der am 24. Dezember, als er von dem Kampf um den Marstall hörte, in eigenster Person die Arbeiter der spartakistisch organisierten Betriebe, wie Schwartzkopff usw., aufgefordert hatte, sofort die Arbeit einzustellen und sich beim Polizeipräsidium Waffen zu holen. Bezeichnend für Eichhorn war, daß er in jenen Tagen noch von der Rosta, dem Nachrichtenbureau Moskaus, Gehalt bezogen hat. Am 5. Januar wurde mein Parteifreund Eugen Ernst zum Nachfolger Eichhorns ernannt. Am selben Tage fanden überall in Berlin Riesenwahlversammlungen zur Nationalversammlung statt. Am selben Abend brach der Bürgerkrieg aufs neue und mit bisher ungeahnter Stärke aus, indem unter Führung von Ledebour und Liebknecht, die sich als neue Regierung aufgetan und die Regierung Ebert-Scheidemann auf dem Papier abgesetzt hatten, die Besetzung des Zeitungsviertels und zahlreicher öffentlicher Gebäude stattfand.

Die »Regierung« Liebknecht-Ledebour und der Januarputsch.

Ich befand mich zum ersten Male seit dem 9. November mit Freunden im Theater, als ich ans Telephon gerufen und mir der erneute Ausbruch des Kampfes gemeldet wurde. Der Versuch, in die Wohnung eines Bekannten zu gehen, um dort telephonisch nähere Mitteilungen zu erhalten, mißlang, denn die Haustüre war bereits von Soldaten besetzt. Mit knapper Not konnten wir uns in der Nacht in der Reichskanzlei versammeln – wenige Tage vorher waren Noske und Wissell für die ausgeschiedenen Unabhängigen in die Regierung eingetreten – und saßen nun hier, ohne einen bewaffneten Mann zur Hilfe zu haben oder dem räuberischen Unwesen in Berlin wehren zu können. Das Wichtigste schien daher unbedingt, sich eine Waffe zu verschaffen. Noske wurde damit beauftragt und fuhr sofort ab, um sich nach Mitarbeitern umzusehen. Den Montag über haben, wie ich bereits ausführte, unsere unbewaffneten Parteigenossen mit ihren Leibern wie ein Wall die Wilhelmstraße geschützt, wo von den Linden und von der Leipziger Straße her revolutionäre Stoßtrupps mit Maschinengewehren vorzurücken suchten.

In der Nacht zum Dienstag kamen die ersten Unabhängigen, Kautsky, Breitscheid und Dittmann, die selbst vor der Herrschaft der blutigen Putschisten ein Grauen faßte, um ihre Vermittlung anzubieten. Während sie mit uns zusammensaßen, führte aber der Spartakusbund seine Straßenkämpfe weiter und besetzte die Reichsdruckerei, die Eisenbahndirektion und zwei Proviantämter. Ganz Berlin stand unter dem Terror der Straßenkämpfer; ein in anderer Druckerei hergestellter »Vorwärts« wurde von ihnen mit vorgehaltenem Revolver beschlagnahmt und in die Spree geworfen. Die Verhandlungen – eine unerhörte Zeitvergeudung, denn die Unterhändler hatten ihre Barrikadenkämpfer nicht in der Hand – gingen weiter, konnten aber zu keinem Erfolg führen, da sich die revolutionären Obleute unter bestimmten Voraussetzungen wohl zur Freigabe der bürgerlichen Zeitungsbetriebe bereit erklärten, den Vorwärts aber auf keinen Fall herausgeben wollten. Der Spartakusbund verhandelte überhaupt nicht. –

Inzwischen hatten wir von Noske, der in Dahlem in tage- und nächtelanger Arbeit eine bescheidene Truppe zusammenraffte, so gut wie keine Nachrichten. Es waren wohl die aufregendsten Tage, während denen ich keine Minute nach Hause kam, sondern in der Reichskanzlei unter ewigem Maschinengewehrschießen, unterbrochen von den Detonationen der Handgranaten, nächtigte. Es war dort auch ein gemeinsamer Mittagstisch eingerichtet worden, zu dem außer den Volksbeauftragten auch der neue Außenminister Graf Rantzau, Baake und Rauscher gehörten. Am Donnerstag endlich erklärte sich eine Deputation, der Mitglieder aller sozialdemokratischen Parteien angehörten, bereit, auch den »Vorwärts« freizugeben, wenn in der Nacht auf den Freitag keine militärische Aktion von uns stattfinden werde. Aber die Besatzungen der verschiedenen Zeitungsbetriebe und Regierungsgebäude erklärten einfach, sie dächten nicht daran, ihre Eroberungen aus der Hand zu geben, und würden nur der Gewalt weichen. Das stimmte auch zu der Haltung Eichhorns, der sich in der Bötzowbrauerei mit seinen Anhängern und den von ihm verschafften Waffen verschanzt hatte und wie ein Räuberhauptmann den Norden Berlins beherrschte.

Fünf Tage war also verhandelt worden, zehn Tage nur trennten uns von den Wahlen zur Nationalversammlung. Noske war am Freitag in die Reichskanzlei gekommen, trotz aller Versuche der Spartakisten, ihn auf der Fahrt dorthin abzufangen. Wir beschworen ihn, jetzt endlich einzugreifen, obwohl er mit seinen Vorbereitungen noch nicht zu Ende war und er unter allen Umständen einen Mißerfolg vermeiden wollte. Am Samstag zog er mit einer bunt zusammengewürfelten Truppe durch das regnerische Berlin, und am selben Morgen wurde von Potsdamer Truppen der Vorwärts gestürmt und befreit. Bis Sonntag abend waren das Polizeipräsidium und sämtliche Zeitungsbetriebe wieder den Räubern entrissen, und in riesenhaften Demonstrationen erklärte sich die alte Sozialdemokratische Partei am selben Sonntag gegen die mörderischen Putschversuche der verflossenen Spartakuswoche. Es dauerte dann noch einen Tag, bis mit sämtlichen Nestern, die sich da und dort noch gebildet hatten, aufgeräumt worden war, aber genau eine Woche vor unserem Sieg in den Nationalversammlungswahlen war die Regierung Liebknecht-Ledebour und ihre Gefolgschaft von Fanatikern und Räubern abgetan.

In der Mittwochnacht nach der blutigen Woche war ich nach Kassel gefahren, um mich meinen Wählern wenigstens in einer Versammlung vorzustellen. Ich war auch sofort nach meiner Ankunft auf Wunsch des Generals Groener auf die Wilhelmshöhe gefahren, um mit ihm und dem Feldmarschall von Hindenburg dienstliche Angelegenheiten zu besprechen. Dort erreichte mich die Nachricht von der letzten und schrecklichsten Folge der Spartakuswoche, von der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs. Die Regierung bat mich dringend, so schnell wie möglich nach Berlin zurückzukehren. Es wurde ein Extrazug zusammengestellt, der mich in der Nacht nach Berlin zurückbringen sollte. Der Zug mußte über die unglaublichsten Strecken geleitet werden, weil immer wieder von der nächsten Station die Meldung kam, daß er dort von Spartakisten abgefangen und ich festgehalten werden sollte. Am Freitag morgen, den 17. Januar, kam ich in Berlin an, mittenhinein in die ungeheure Aufregung, die der Tod der zwei Spartakusführer unter den langsam bekannt werdenden furchtbaren Umständen verursacht hatte. Ich kann nur wiederholen, was ich unter dem ersten Eindruck der Nachricht in der Versammlung in der Kasseler Stadthalle ausgeführt hatte: »Ich bedauere den Tod der beiden aufrichtig und aus guten Gründen. Sie haben Tag für Tag das Volk zu den Waffen gerufen und zum gewaltsamen Sturz der Regierung aufgefordert. Sie sind nun selbst Opfer ihrer eigenen blutigen Terrortaktik geworden.«

Das waren die Verhältnisse, unter denen wir zu arbeiten hatten. Es gibt das beste Bild der in steter furchtbarer Aufregung und ebenso ständiger Bedrohung geleisteten Arbeit, wenn ich feststelle, daß wir am Tage nach der Ermordung Liebknechts das Programm für unsern Anteil am Friedensschluß aufstellen mußten, also die höchsten Lebensinteressen Deutschlands zu beraten hatten, während draußen ein in Not und Jammer wild gewordenes, von gewissenlosen Führern aufgeputschtes Volk sich selbst und vielleicht den ganzen Erfolg unserer Arbeit zerstörte.



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