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Begrüßung der Revolution. – Reise Borgbjergs nach Petersburg. – David soll sich mit einem A.- und S.-Rat an der Ostfront treffen. – Borgbjergs Bericht. – Brest-Litowsk. – Der Herzog von Kurland. – Konkurrenzkampf der deutschen Fürsten.
Daß wir die erste russische Revolution, wie es in der vor Stockholm gefaßten Entschließung des Parteivorstands hieß, mit leidenschaftlicher Anteilnahme begrüßt hatten, ist selbstverständlich. Wir hatten diese unsere Gefühle auch in einem Telegramm an Tscheidse und die Petersburger Duma zum Ausdruck gebracht. In Stockholm hofften wir, bestimmt mit den russischen Genossen zusammenzukommen, und begrüßten es daher außerordentlich, daß am 4. April 1917, also bei Beginn der Vorbereitungen für die Konferenz, dem Vorstand der Sozialdemokratischen Partei die Mitteilung gemacht wurde, unser dänischer Freund, der Reichstagsabgeordnete Borgbjerg sei im Begriff, eine Informationsreise nach Rußland anzutreten. Wir wußten, was das zu bedeuten hatte, und beschlossen sofort, ihn aufzusuchen, um ihm Aufträge mitzugeben. Bauer, Ebert und ich reisten nach Kopenhagen. Die Pässe hatten Hals über Kopf beschafft werden müssen. Das ging nur, wenn wir dem Außenminister offen heraussagten, zu welchem Zweck wir reisen wollten. Zimmermann war heilfroh! Er wünschte uns gute Reise und guten Erfolg. Mit einem freiheitlichen Rußland, so bemerkte er, können wir uns ganz anders verständigen. Aber wer garantiert uns den Bestand?
In Kopenhagen trafen wir sofort mit Borgbjerg zusammen und legten in aller Ausführlichkeit unsere Sorgen und unsere Friedenssehnsucht dar. Borgbjerg, ein prachtvoller Mensch, der die furchtbare Not bei uns kannte, würde seine Sache gut machen, das wußten wir. Unsere heiße Sehnsucht waren baldige Nachrichten von ihm, denn wir gaben uns keinen Täuschungen darüber hin, daß es in Berlin unter der trügerischen Oberfläche furchtbar gärte.
Einen Monat später, am 8. Mai, schien sich eine neue Möglichkeit zu einem Fühler nach Rußland auftun zu wollen. Der Staatssekretär Zimmermann hatte meinen Parteifreund, Dr. David, zu sich gebeten und hatte ihm folgendes mitgeteilt: Bei der Armee Eichhorn sind, wie nach Berlin telegraphiert worden ist, russische Parlamentäre eingetroffen, die angeblich entsandt worden sind von einer Gruppe des Petersburger Arbeiter- und Soldatenrats, die im Einverständnis mit Tscheidse handle. Die Parlamentäre wollen mit einem deutschen Sozialisten, angeblich auch »mit anderen Parlamentariern« sprechen. Zimmermann hatte nun David gefragt, ob er eventuell gen Osten gehen wolle und ob er nicht von den bürgerlichen Abgeordneten einen zweiten Deputierten vorschlagen könne.
David erstatte Ebert und mir über diesen Vorschlag Bericht und teilte auch mit, daß bei seinen Besprechungen mit Zimmermann der Name Stresemann als des zweiten etwa als Begleiter in Betracht kommenden Abgeordneten gefallen sei. Ebert warf ein: Erzberger – ich: Naumann. Ich war gegen Erzberger, weil mir seine Haltung nach rechts und links nicht ganz eindeutig erschien. Dagegen stehe Naumann, wie ich aus einer Unterredung mit ihm vom gestrigen Tage wisse, in der Frage der Kriegsziele fast ganz auf dem Boden unserer Formel. – Naumann wäre David sehr willkommen, aber – so warf er ein: Naumann und ich repräsentieren nicht die Mehrheit des Reichstags. – David hatte Zimmermann dann auch wegen der Kriegsziele, über die ja doch gesprochen werden müsse, gefragt. Zimmermann: Wir wollen uns mit den Russen vertragen; also keine Kriegsentschädigung, aber eine Verständigung über Grenzberichtigung! David hatte eingeworfen: Das ist ein sehr dehnbarer Begriff. – Zimmermann: Na, also! Vertragen wollen wir uns mit ihnen, Frieden wollen wir haben! Das genügt doch wohl. – Das Zugeständnis schien mir allerdings zu genügen. Es war die Akzeptierung unserer Formel, soweit sie zu erreichen war.
David ist dann in Begleitung eines allgemein geachteten, konservativen Abgeordneten, der niemals aggressiv in politischen Fragen hervorgetreten war, und von dem versichert wurde, daß er sehr verständig und alles andere denn ein Kriegswüterich sei, an die Ostfront gereist. Es ist bei dem Versuch der Fühlungnahme leider nichts herausgekommen, weil es sich bald herausstellte, daß es sich nur um einen beliebigen Arbeiter- und Soldatenrat gehandelt hatte, der irgendwelche Macht nicht gehabt hat
Den Bericht Borgbjergs über seine Petersburger Reise konnten wir am 25. Mai 1917 in der Kopenhagener Wohnung Staunings entgegennehmen, wo wir auf der Reise nach Stockholm Halt gemacht hatten. Anfänglich plauderten wir über vielerlei, zunächst besonders über die neue Torpedierung von drei Schwedendampfern. Unsere dänischen Freunde schilderten die fortwährend steigende Verschlechterung der Stimmung in Schweden und Dänemark gegen Deutschland. Ich versprach ihnen, schnellstens in Berlin wieder einzuwirken.
Dann berichtete Borgbjerg über seine Reise nach Petersburg. Er ist sehr gut aufgenommen worden. Er sprach zuerst mit Tscheidse, der ihn aufmerksam anhörte und zu einer Sitzung im Arbeiter- und Soldatenrat einlud. Als er ihm sagte, daß er zwischendurch auch von Kerenski empfangen werden wollte, waren sie sehr befriedigt. Alle drei haben seinen Bericht über die Unterredung mit Bauer, Ebert und mir mit dem größten Interesse angehört. Das meiste, was er über das Verhalten der Mehrheit in Deutschland mitteilen konnte, war ihnen neu, erschien ihnen jedenfalls in neuem Lichte. Als er dann in einer Sitzung des Arbeiter- und Soldatenrats seinen Bericht wiederholte, wurden ihm viele Fragen gestellt. So diese: »Ist der Reichskanzler einverstanden mit dem, was Ihnen Scheidemann und seine Kollegen gesagt haben?« Darauf habe er geantwortet: »Das kann ich nicht sagen, glaube es aber. Die deutschen Sozialisten sind keine Regierungspartei und stellen ja auch nicht die Mehrheit im Reichstag.« Weitere Frage: »Wird die sozialdemokratische Fraktionsformulierung von anderen Kreisen und Parteien gutgeheißen?« Er: »Zweifellos sind nicht unbedeutende Gruppen mit ihnen ganz einverstanden.« Darauf neue Frage: »Das heißt, es sind bedeutende Gruppen mit ihnen einverstanden!« Er: »Zwischen dem, was er gesagt hat und der neuen Fragestellung bestehe eine Differenz, aber er könne sie nicht beseitigen.«
Er hat dann die Vorarbeiten der holländischen und skandinavischen Genossen geschildert und gebeten, an der Stockholmer Konferenz teilzunehmen. Andere Fragen in der Debatte gingen dahin, ob in Deutschland mit einer Revolution zu rechnen sei? Diese Fragen hat er dahin beantwortet: das sei sehr unwahrscheinlich; im Kriege sei eine Revolution sicher nicht zu erwarten. Ob nach dem Kriege, sei davon abhängig, wie der Krieg ausgehe und wie die Regierung sich zu den im Innern geforderten Reformen stelle. Er hat dann aufmerksam gemacht auf den Unterschied zwischen den Verhältnissen in Rußland und denen der westlichen Staaten Europas. In Rußland bedeute die Revolution einen letzten Ausläufer der großen Bestrebungen zur Beseitigung unhaltbar gewordener Zustände, wie es die Revolutionen in England im 17., in Frankreich und Deutschland im 18., bzw. 19. Jahrhundert gewesen seien. Um es ganz deutlich zu kennzeichnen, habe er auf Dänemark verwiesen. Dort sei eine politische Revolution vollkommen sinnlos, weil dort eine demokratische Verfassung bestehe. Wenn auch in Deutschland noch viel zu bessern sei, so könnte eine Revolution doch ebenso wie in Dänemark nur eine soziale sein, die eine vollkommene Eigentumsgestaltung an den kapitalistischen Produktionsmitteln zum Ziele hätte. Eine solche Revolution sei aber für absehbare Zeit nicht zu erwarten, usw.
Die Debatte sei sachlich und ruhig gewesen. Man habe ihm schließlich gesagt, daß man ihm die Beschlüsse in einigen Tagen mitteilen werde. – Zwei Tage später sei dann ein Delegierter des Arbeiter- und Soldatenrats zu ihm gekommen und habe mit den Worten begonnen: »Ihre Mission ist geglückt!« Der Arbeiter- und Soldatenrat habe aber beschlossen – wie inzwischen durch die Presse bekannt geworden sei –, selbst zu einer Konferenz einzuladen. Dadurch werde es den Engländern und Franzosen leichter gemacht, sich zu beteiligen. Eine Durchkreuzung der anderen Konferenz komme also gar nicht in Frage.
Borgbjerg schilderte weiter: Im Arbeiter- und Soldatenrat säßen alle Gruppen, Lenin selbst nicht. Es sei übrigens vollkommen falsch, von dem großen und wachsenden Einfluß Lenins zu sprechen. Sein Einfluß sei im Gegenteil sehr gering. Lenin selbst habe übrigens seine Auffassungen bereits geändert. Die beiden Flügel Lenin und Plechanoff seien die unbedeutendsten. Bemerkenswert sei, daß die Bolschewiki (die radikale Mehrheit) sich immer mehr den Menschewiki (Minderheit à la deutscher Mehrheit) nähere. Sehr bemerkenswert sei auch, daß der Arbeiter- und Soldatenrat die neue Friedensanleihe (gleich Kriegskredite) gutgeheißen habe. Man bekenne sich also zur Verteidigung des Landes mit allen Konsequenzen. Ich bemerkte dazu: damit nehmen die russischen Sozialisten also jetzt den Standpunkt ein, den wir von vornherein eingenommen haben: Wir haben etwas zu verteidigen, also verteidigen wir es auch. Dem stimmten Borgbjerg und Stauning, die unseren Standpunkt billigen, ausdrücklich zu.
Borgbjerg betonte noch, daß von Haß gegen Deutschland nichts zu bemerken sei in Rußland, wenngleich es sich nicht empfehle, deutsch zu sprechen. Borgbjerg sprach seine Überzeugung dahin aus, daß wir mit den Russen wohl zu einer Verständigung kommen könnten, nachdem wir so unzweideutig wiederholt gegen alle Annexionsabsichten Stellung genommen hätten.
Aus diesem Bericht, den ich damals sofort niedergeschrieben habe, geht hervor, wie falsch Borgbjerg über den Einfluß Lenins unterrichtet worden war. Freilich kann sich Lenin heute, also nach jahrelang geübter Herrschaft, auch nur auf Maschinengewehre und Handgranaten, nicht aber auf die Mehrheit des russischen Volkes stützen.
Den Abschluß fand das erst so hoffnungsvolle und dann schmerzlichste Kapitel der Kriegspolitik, das Kapitel Rußland-Deutschland, in Brest-Litowsk. Dort hätten mächtige Quadersteine für den Bau des allgemeinen und wirklichen Friedens gelegt, wenigstens aber ein dauernd gutes Verhältnis zu Rußland angebahnt werden können. Politische Unzulänglichkeit, diplomatische Unehrlichkeit und militärischer Machtkitzel ließen es nicht dazu kommen. Der Anteil der Sozialdemokratischen Partei an dieser ausschlaggebenden Aktion der deutschen Außenpolitik war leider ein negativer. Es zeigte sich hier so recht, welche Macht die offenen und versteckten Annexionspolitiker ausüben konnten, wenn sie sich mit den führenden Militärs verbanden. Aber sicherlich wäre ein Nein der sozialdemokratischen Fraktion, eine Ablehnung des dem Reichstag vorgelegten Friedensschlusses, von gewaltiger Bedeutung gewesen und die einzige folgerichtige Konsequenz aus der Parteientschließung vom 19. April, in der wir »unser Einverständnis mit dem Kongreßbeschluß des russischen Arbeiter- und Soldatenrats, einen gemeinsamen Frieden vorzubereiten, ohne Annexionen und Kriegsentschädigungen, auf der Grundlage einer freien nationalen Entwicklung aller Völker« erklärt haben.
In der sozialdemokratischen Fraktion wurde heftig gerungen um das dem Frieden zustimmende Ja oder das ablehnende Nein. Ich trat entschieden für die Ablehnung ein, blieb aber, wie auch in manchen anderen Fällen, in der Minderheit. Allerdings fand sich auch keine Mehrheit für ein Ja und so mußte ich als Vorsitzender im Auftrage der Fraktion im Reichstag erklären, daß wir uns der Abstimmung enthielten.
Ich schließe diese Darlegungen unserer leider so spärlichen und wenig fruchtbringenden Beziehungen zum revolutionären Rußland mit einer Episode, die ebenso für unsere innere wie für unsere äußere Politik bezeichnend ist. An der äußeren konnte das Narrenspiel vom »Herzog von Kurland« allerdings nichts mehr verderben. Für die innere aber ist es bezeichnend, daß sich angebliche Politiker so nahe vor dem Ende noch mit dynastischen Abenteuern den Kopf zerbrechen konnten, daß Herr Ludendorff in dem Augenblick, wo er zur letzten, größten und mörderischsten Offensive schritt, sich nicht scheute, seine Demission als Trumpf in dies Intrigenspiel zu werfen. Während nämlich meinen Freunden und mir die Zukunft schier trostlos erschien, zerbrachen sich der Kaiser und seine Anhänger ihre Köpfe wegen der Frage: Wie können wir dem Kaiser am schnellsten den Herzoghut für Kurland sichern? Her mit dem Hut – fort mit Kühlmann! das war die Parole sehr einflußreicher Männer im ersten Drittel des Januar 1918. Von gutinformierter Seite wurde mir in jenen Tagen – die Notizen tragen das Datum des 7. Januar – u. a. mitgeteilt: »Die Situation ist zurzeit genau so, wie vor dem Sturz Bethmanns. Ludendorff droht mit seinem Abschied, wenn nicht v. Kühlmann gehe. Dieses Spiel treibe Ludendorff in dem Augenblicke, in dem die von ihm eingeleitete Offensive im Westen beginnen soll. Zur Irreführung der öffentlichen Meinung benutze man die gleichen Kanäle wie zur Zeit Bethmann Hollwegs: Kriegspresseamt, Stresemann usw. Die Oberste Heeresleitung suche den Anschein zu erwecken, daß v. Kühlmann große Annexionen wolle, während es für die Oberste Heeresleitung nur auf kleine Grenzberichtigungen ankomme aus strategischen Rücksichten. – In Wirklichkeit also ›decke sich‹ die Politik der Obersten Heeresleitung mit der der Reichstagsmehrheit.« … Ludendorff habe wiederholt erklärt: »Die Russen würden mit den Grenzberichtigungen einverstanden sein. v. Kühlmann habe illoyal gehandelt, u. a. auch dadurch, daß er in Brest-Litowsk den Versuch gemacht habe, den allgemeinen Frieden unter Einbeziehung Englands vorzubereiten. General Hoffmann sei von Kühlmann eingewickelt worden bei dem Abschluß des Waffenstillstandes, v. Kühlmann habe Hoffmann eingeredet, er werde der zukünftige Reichskanzler sein …«
In dieser haarsträubenden und lächerlichen Weise wurde damals intrigiert und gelogen. Alles im Namen und zu Ehren des bedrohten Vaterlandes. Daß meine Freunde und ich selbstverständlich außerhalb dieser Narreteien blieben, konnte doch nicht verhindern, daß hier und da selbst an uns ein Spritzer aus dieser Hexenküche flog. Denn wegen des kurländischen Herzoghutes gerieten sich sogar die deutschen Fürsten gegenseitig in die Haare; daß sie dabei von einflußreichen Parlamentariern unterstützt wurden, ist aus dem Fall des Herzogs von Urach bekannt. Ich will die Konkurrenz nicht in allen ihren Einzelheiten schildern, sondern mich mit einer einzigen Tagebuchnotiz begnügen, die wohl für sich selber spricht.
10. Februar 1918. »Der Kabinettschef des Herzogs von X. hat mich um eine Unterredung im Kaiserhof gebeten. Baron v. Y. setzte mir auseinander, daß sein Herzog ebenso wie mancher andere Bundesfürst die größten Bedenken gegen die propagierte Personalunion Kurland-Preußen habe. Es sei nicht angängig, daß der Kaiser Herzog von Kurland werde. Wenn die Dinge sich schon so gestalteten, daß die Kurländer selbständig und eine Monarchie werden wollten, dann käme nach seiner und seines Herrn Meinung doch nur ein Fürst in Betracht, der etwas gelernt und etwas geschaffen habe, ein tatkräftiger Mann, der den ernsten Pflichten, die ihm dort erwachsen würden, auch gerecht werden könne. Er denke an den Herzog Alfred Friedrich von Mecklenburg, den er und sein Herr persönlich kennen, der ein ungemein fleißiger und tüchtiger Mensch sei.« – Auf meine den Herrn Baron wenig befriedigenden Einwände erhielt ich diese Antwort: Er sei natürlich überzeugt, daß ich nicht für einen Fürsten Propaganda machen könne, damit er Herzog von Kurland werde, »aber es sei vielleicht doch die Möglichkeit gegeben, wenn auf derartige Dinge die Rede komme, durch Hinwerfen einiger Bemerkungen dahin zu wirken, daß immerhin der oder der besser sei als dieser oder jener …«