Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Stellungnahme der S.P.D. zum Kriege.

Die ersten Vorstandssitzungen. – Der Reichskanzler v. Bethmann Hollweg vor den Vorständen der Reichstagsfraktionen. – In Paris während der Mobilmachung – Hermann Müller in Paris. – Der Bruch der belgischen Neutralität und die Internationale.

Die ersten Vorstandssitzungen.

Die ersten Augusttage, die dem politischen Einblick in den Krieg gewidmet waren, werden am lebhaftesten zur Darstellung kommen, wenn ich sie in den Niederschriften jener Nächte gebe, die noch ganz die Aufregung und die Einzeleindrücke der unaufhörlichen Besprechungen widerspiegeln. Die Stellungnahme zu der Kreditbewilligung irgendwie färben zu wollen, hieße der Sozialdemokratie unrecht tun, der die Ereignisse nur zu sehr recht gegeben haben. Ich folge also nicht der unehrlichen Methode jener, die heute, in Kenntnis der »Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch«, schon damals alles gewußt haben wollen, sondern gebe aktenmäßig die Erwägungen und Beschlüsse jener verhängnisvollen Augusttage.

31. Juli. Parteivorstandssitzung. Die Mobilmachung wurde jede Minute von uns erwartet. Wir berieten noch einmal alle zu treffenden Maßnahmen und regelten alle Angelegenheiten, da wir mit sehr törichtem Vorgehen der Behörden, also auch mit der Schutzhaft, rechneten. – Haase berichtet über die letzte Sitzung des Internationalen Bureaus in Brüssel. Abends wiederholen sich die patriotischen Kundgebungen. – Gegen Mittag fand eine Sitzung des Parteivorstandes mit dem Fraktionsvorstand statt. Es wird angefragt, ob nicht die Fraktion berufen werden müsse, um Stellung zu nehmen zu der zu erwartenden Vorlage betreffend die Kriegskredite. Haase suchte, unterstützt von Ledebour, Stimmung zu machen für die Ablehnung der Kredite, wenn der Reichstag einberufen werden sollte. Um zu verhüten, daß ein übereilter Beschluß in dieser Sitzung gefaßt werde, plädierte ich für eine Aussetzung des Beschlusses, die Fraktion zu berufen; wir sollten nichts übereilen. Jedenfalls wollte ich vor der Festlegung des Fraktionsvorstandes Gelegenheit haben, mit Fischer, David und Molkenbuhr über die Kredite zu reden. Ebert, von dem ich mit Bestimmtheit annehmen konnte, daß er meinen Standpunkt teilen würde, war leider im Auslande. – Wir einigten uns schließlich dahin, Müller sofort nach Brüssel zu senden, damit er in Gemeinschaft mit Huysmans nach Paris reise, um Stimmung zu machen für eine einheitliche Abstimmung bzw. für einheitliche Erklärungen im Reichstage und in der französischen Deputiertenkammer. – Müller reiste sofort ab. Gegen mittag wurde der sogenannte »drohende Kriegszustand« erklärt. Damit übernahm der Oberbefehlshaber, General von Kessel, sozusagen auch die Redaktion des »Vorwärts«.

1. August. Die Nachricht von der Ermordung des Genossen Jaurès läuft ein – eine entsetzliche Botschaft. Ich verfasse sofort ein Beileidstelegramm für die »Humanité«, das folgenden Wortlaut hatte:

»Tief erschüttert vernehmen wir die entsetzliche Botschaft, daß Euer, daß unser aller Jaurès nicht mehr unter den Lebenden ist. Kein schwererer Verlust konnte Euch, konnte uns alle in dieser ernsten Zeit treffen. Das deutsche Proletariat neigt sich vor dem Genius dieses großen Vorkämpfers und beklagt es aus tiefstem Herzen, daß gerade jetzt der Mann nicht mehr auf dem Platze sein kann, der sein Leben lang gekämpft hat für die Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland. Sein Wirken wird unvergänglich sein in der Geschichte des internationalen Sozialismus und der menschlichen Kultur.«

Das Telegramm geht dringend ab, es wird aber wohl niemals ankommen. – In Berlin hat die Spannung ihren Höhepunkt erreicht; es herrscht eine ungeheure Bewegung. Man will Gewißheit haben. Abends um 6 Uhr kommt sie: Mobilmachung!

2. August. ½11 Uhr vormittags im Parteivorstandssaale Konferenz mit dem Parteivorstand. Ledebour kommt wie gewöhnlich eine halbe Stunde zu spät. Aussprache über die Kredite, da nunmehr feststeht, daß der Reichstag am 4. August zusammentritt. Haase und Ledebour sprechen für Ablehnung der Kredite, alle übrigen: David, Fischer, Molkenbuhr und ich, sprechen für die Bewilligung. Eine Einigung ist unmöglich. Daß von einer Enthaltung keine Rede sein kann bei uns 111 Mann, betonen alle. In diesen Stunden empfand ich mehr als jemals zuvor das Fehlen Bebels, der immer Sinn für die Wirklichkeit hatte. Haase versagte als Parteiführer nach meinem Gefühl in geradezu katastrophaler Weise. David sprach ausgezeichnet; Molkenbuhr nüchtern wie gewöhnlich, aber mit durchschlagenden Argumenten. Der kluge Fischer wurde so aufgeregt, daß er während seiner Rede einen Nervenchok bekam und zu weinen begann. Haase und Ledebour waren nicht zu überzeugen, schienen aber doch froh zu sein, daß sie in der Minderheit blieben. Es wurde verabredet, abends um 9 Uhr in der Vorwärtsredaktion wieder zusammenzukommen und dann die beiderseits zu formulierenden Erklärungen für ein Ja und ein Nein zu beraten. Wir wollten wenigstens, gleichviel wer die Mehrheit in der Fraktion bekam, beiderseits einzuwirken versuchen auf den Wortlaut der abzugebenden Erklärung. – Um 5 Uhr nachmittags kamen David, Fischer, Molkenbuhr, Schöpflin, Wels, Südekum und ich in dem Garten Goehres in Zehlendorf zusammen und formulierten dort nach stundenlanger Beratung eine Erklärung. – Abends 9 Uhr erneuter Kampf im Vorwärts mit Haase und Ledebour. Von diesen hatte keiner eine Erklärung im Wortlaut, aber jeder hatte eine unfertige Skizze. Wir gingen erst gegen Mitternacht auseinander. Ich verbrachte eine schlaflose Nacht. Wird es gelingen, die Mehrheit der Fraktion für ja zu gewinnen oder nicht? – In meiner Wohnung war im Laufe des Tages eine Einladung des Reichskanzlers von Bethmann Hollweg eingelaufen zu einer Besprechung am 3. August, vormittags 12 Uhr, in seinem Palais.

3. August. Früh 10 Uhr Fraktion. Haase berichtet über unsere bisherigen Verhandlungen und manches andere. Es wird beschlossen, die Sitzung zu vertagen, bis Haase und ich vom Reichskanzler zurückgekommen seien. – Ich war beruhigt, nachdem ich fünf Minuten im Fraktionssaal gewesen war. Einige der radikalsten unserer Genossen erklärten mir, daß sie die Bewilligung für selbstverständlich hielten, so u. a. Hoch.

Der Reichskanzler v. Bethmann Hollweg vor den Vorständen der Reichstagsfraktionen.

Wilhelmstraße 77, in dem historischen Parterresaal, der nach dem Garten hinausgeht: Anwesend waren zunächst Staatsminister Delbrück, Unterstaatssekretär Wahnschaffe, der Chef der Reichskanzlei, sowie die Abgeordneten von Westarp, Spahn, Erzberger, Blankenhorn, Prinz Schönaich-Carolath, Kaempf, Wiemer, Fischbeck, Schulz-Bromberg, v. Morawski, Scheele, Haase und ich. – Wir sprachen in zwangloser Weise, ohne Platz zu nehmen, über die Vorlagen, die in Verbindung mit der Kreditvorlage angenommen werden sollten.

Erzberger fragte auch nach der nicht vorhandenen Vorlage einer Novelle zum Diätengesetz. Delbrück wollte die Wünsche der Erschienenen hören. Haase und ich verständigten uns durch einen Blick, und noch bevor ein anderer das Wort nehmen konnte, wiesen wir »in der jetzigen Situation jede Entschädigung ab«. Nicht alle machten gute Miene zu dieser Wendung, aber da niemand das Wort weiter wünschte, alle vielmehr zustimmend nickten, stellte Delbrück, der helläugige Pfiffikus, schmunzelnd fest, »daß eine Diätenvorlage nicht gewünscht werde«.

Gegen ½1 Uhr kam der Kanzler. Er sah sehr zermürbt aus. Er drückte jedem die Hand; ich hatte das Gefühl, daß er mir die Hand auffällig fest und lange drückte, und als er dann sagte: »Guten Morgen, Herr Scheidemann!« da war es mir, als hätte er mir zu verstehen geben wollen: Du, jetzt ist unser herkömmlicher Krakeel vorläufig hoffentlich vorüber! – Es wird von ihm selbst abhängen! Auch in dieser ernsten Situation kam der Humor zu seinem Recht. Der Welfe Scheele entschuldigte sich bei Bethmann Hollweg, daß er in einem grauen Anzug gekommen sei. Der Reichskanzler sagte »Bitte!« und wandte sich einem andern zu. Bethmann Hollweg nahm dann an der Spitze der Tafel Platz. Zu seiner Rechten saßen der Reihe nach Delbrück, Spahn, ich, Haase usw., zur Linken von Bethmanns saß der alte Kaempf.

Der Reichskanzler hielt uns dann die Rede, die er am nächsten Tage im Reichstag vortrug; hier und da machte er mehr oder weniger vertrauliche Bemerkungen, die er in seiner Reichstagsrede unterdrückte. Je näher der Reichskanzler zum Schluß kam, um so bewegter wurde er; er wußte vor Aufregung nicht, wo er mit den langen Armen hin sollte. Zeitweilig schlug er mit beiden Fäusten auf den Tisch. Geradezu tonlos war seine Stimme geworden, als er sagte: »Mein Gewissen ist rein!« Er tat mir aufrichtig leid. Ich fühlte ihm nach, wie schwer es ihm geworden sein mag, dem Kaiser den Rat zur Mobilmachung zu geben. Ich verglich Bethmann Hollweg in diesen Minuten mit seinem Vorgänger Bülow und sagte mir: ein Glück im Unglück, daß Bülow jetzt nicht Kanzler ist. Ich habe doch im Laufe der Jahre die Augen offengehalten und bin dabei zu der Überzeugung gekommen, daß man Bethmann Hollweg viel Unrecht getan und daß man ihn falsch eingeschätzt hat, weil man sich durch Bülows Schwätzereien hatte irreführen lassen.

Kaempf dankte dem Kanzler für die Mitteilungen, und Bethmann Hollweg bat, sich sofort entfernen zu dürfen, da ihn viel Arbeit erwarte. Kein Wunder. Bei der Verbeugung, die Bethmann dann zum Abschied machte, sah ich, daß er seinen schmalen Stehkragen vollkommen durchgeschwitzt hatte. Möglich, daß der Ärmste seit Tagen nicht aus den Kleidern herausgekommen war. –

Delbrück wurde nun von einem der Abgeordneten interpelliert wegen der Haltung Italiens, darüber habe Bethmann Hollweg nichts gesagt. Der schlaue Fuchs wußte von nichts. Unbefriedigt ging man über Italien zur Tagesordnung über und besprach die zweckmäßigste Behandlung der Gesetzentwürfe im Plenum des Reichstages.

Da die Herren sich so gehabten, als ob die einstimmige Annahme aller Vorlagen, also auch der Kreditvorlage, absolut sicher sei, machten Haase und ich darauf aufmerksam, daß unsere Fraktion noch nicht endgültig beschlossen habe. Erzberger meinte dazu spöttisch: »Na, so klug sind Sie schon, daß Sie in diesem Falle zustimmen!« Alle lächelten. Haase hatte durch die ganze Tonart, in der er sich an der Aussprache beteiligte, bei keinem Menschen den Gedanken aufkommen lassen, daß er für seine Person nicht für eine Annahme der Kredite sei. Das empörte mich geradezu, weil er bis in die letzte Minute hinein, bevor wir ins Reichskanzlerpalais gingen, alle Minen hatte springen lassen, um sein Nein durchzusetzen. Auf dem Wege vom Palais zum Restaurant Zollernhof, wo wir gemeinsam speisten, habe ich ihm das auch gesagt. Er antwortete: »Ich habe immer hervorgehoben, daß die Fraktion einen Beschluß noch nicht gefaßt hat.« Das Verhalten Haases, ganz abgesehen von seiner prinzipiellen Stellungnahme, war mir überaus unsympathisch.

Es war also im Kanzlerpalais vereinbart worden: Kaempf sollte nach der Kanzlerrede eine kleine Ansprache halten, in der er feststellte, daß das Haus einstimmig die Kredite annehme und daß selbst diejenigen zustimmten, die sonst grundsätzliche Gegner des Krieges seien. Das schluckte Haase. Ich warf dazwischen, daß wir uns ja wegen des Wortlauts, auf den es uns (»je nach dem Ausfall der Fraktionsentscheidung«) sehr ankomme, mit Kaempf verständigen könnten. Damit waren alle, Kaempf eingeschlossen, einverstanden.

Nun wurde gewünscht, daß nach Kaempf überhaupt niemand aus dem Hause das Wort nehmen sollte. Dagegen wandten wir, Haase und ich, uns sehr entschieden. Wir müßten unsere Abstimmung auf jeden Fall kurz motivieren, gleichviel, wie die Fraktion sich entscheiden werde. Neue Auseinandersetzung. Ich wies auf die besondere Lage unserer Partei hin, für die die übrigen Herren Verständnis haben müßten. Schließlich Einigung auf folgender Grundlage: Der Wortlaut unserer Erklärung sollte den übrigen Parteiführern bis abends 9 Uhr übermittelt werden, damit sie eventuelle Gegenerklärungen formulieren könnten. Haase gab hierzu das feierliche Versprechen ab, daß dazu auf keinen Fall Veranlassung gegeben werden solle. Unter gar keinen Umständen werde unsere Erklärung irgendeine Partei angreifen, sondern wahrscheinlich ganz allgemein die Verantwortung für die Politik ablehnen, die unseres Erachtens zum Kriege geführt habe. In der Form werde sie dem Augenblick angemessen würdig sein. Allgemeines Einverständnis.

Aber noch eine Klippe war zu umschiffen: das Hoch auf den Kaiser. »Was werden Sie tun?« fragten uns die Herren. Ich nahm schleunigst das Wort, um Haase zuvorzukommen. Ich bat, uns nicht neue Schwierigkeiten zu machen. Die Sitzung werde doch im Weißen Saale des Schlosses eröffnet werden. Dort werde zum Beginn und zum Schluß je ein Kaiserhoch ausgebracht werden. Die Sitzung im Reichstage sei dann nur die Fortsetzung; da sei ein drittes Hoch doch wohl kein dringendes Bedürfnis. Lebhafter Widerspruch. Ja, fuhr ich fort, wenn es ohne das dritte Hoch absolut nicht geht, dann bringen Sie doch ein Hoch aus auf Volk und Vaterland! Es gab eine neue lange Aussprache, an der sich Haase beteiligte, ohne einen positiven Vorschlag zu machen. Man redete viel von Traditionen, sprach von »unmöglich, gerade jetzt« usw. Ich »flüsterte« währenddessen dem neben mir sitzenden Abg. Spahn so laut, daß Delbrück es hören mußte, ins Ohr: »Äußerstenfalls halte ich ein Hoch auf Kaiser, Volk und Vaterland für angängig«. Delbrück griff sofort das Stichwort auf und Haase war später (in der Fraktion) glücklich, »daß die Regierung selbst eine so ›große Konzession‹ an die Sozialdemokratie gemacht habe«. –

In der Fraktionssitzung ging es sehr stürmisch zu. Ich führte den Vorsitz.

Während der Sitzung erschien Hermann Müller auf dem Plan; er kam direkt aus Paris. Ich gab ihm sofort das Wort, damit er über seine Erlebnisse berichte. Ich gestehe, daß ich sehr besorgt war; je nachdem er berichten würde, mußte die Fraktion sich entscheiden! Wird er der Situation vollkommen gewachsen sein? Ohne daß er den bisherigen Gang der Verhandlungen kannte, schilderte er anschaulich, was er erlebt hatte. Ich füge den von ihm selbst vor Jahr und Tag geschriebenen Bericht hier bei:

In Paris während der Mobilmachung.

In den Abendstunden des 1. August, bald nach meiner Ankunft in Paris, fanden um 7½ Uhr und 10½ Uhr Sitzungen mit einer Anzahl Genossen der französischen Parteileitung und der sozialistischen Kammergruppe Frankreichs statt. Es war an dem Tage nach der Ermordung von Jaurès, von der ich am selben Morgen bei meiner Ankunft in Brüssel Kenntnis erhielt. Die französischen Parteigenossen standen noch ganz unter dem niederschmetternden Eindruck des tragischen Todes des großen französischen Sozialisten, der sich bis zur letzten Stunde bemüht hatte, das ganz Europa bedrohende Unheil abzuwenden.

Der Empfang, den mir die französischen Genossen bereiteten, war so herzlich, wie bei allen meinen früheren Besuchen in Frankreich. Bis zu meiner Abreise waren sie in jenen schicksalsschweren Stunden in freundlichster Weise um mich bemüht.

Den Vorsitz führte bei diesen Besprechungen der Genosse Marcel Sembat. Nach der Begrüßung gab ich als Zweck meines Besuches an, daß der deutsche Parteivorstand mich nach Paris gesandt habe zu einer Aussprache über die politische Situation, die sich in den letzten beiden Tagen so ungeheuer verschärft hätte. Noch am 29. Juli habe das Int. Bureau in seiner Sitzung in Brüssel beschlossen, den für Ende August in Wien vorgesehenen internationalen Sozialistenkongreß schon am 9. August in Paris abzuhalten. In Anbetracht der gegenwärtigen gespannten internationalen Lage hielte es der Parteivorstand für unmöglich, den Kongreß am 9. August in Paris abzuhalten, wenigstens könnten deutsche Parteigenossen in größerer Zahl, soweit sich das zurzeit übersehen lasse, an diesem Kongresse nicht teilnehmen. Nach Rücksprache mit dem Gen. Huysmans habe deshalb heute morgen das Exekutivkomitee des Internationalen Bureaus ein Zirkular versandt, durch das der auf den 9. August festgesetzte Kongreß auf unbestimmte Zeit vertagt würde. Die deutsche Parteileitung sehe die internationale Lage außerordentlich kritisch an, wenn auch noch nicht alle Hoffnung auf Entspannung der Lage aufgegeben zu werden brauchte. Die deutsche Regierung, insbesondere Bethmann Hollweg und der Kaiser seien für Aufrechterhaltung des Friedens bemüht. Die Entscheidung liege in Petersburg. Wenn es nun gegen unseren Willen zum Kriege kommen würde, so würde für die sozialistischen Parlamentsfraktionen die Abstimmung über die Kriegskredite in den nächsten Tagen aktuell werden. Offiziös sei bekannt, daß der deutsche Reichstag zum nächsten Dienstag einberufen werden würde; die Fraktion würde wahrscheinlich am Tage vorher zusammentreten, deshalb sei auch über die Frage der Stellungnahme zu den Kriegskrediten eine Aussprache sehr erwünscht. Die deutschen Genossen würden großen Wert darauf legen, sich in dieser Frage mit den französischen Genossen einig zu wissen, wenn auch schon aus staatsrechtlichen Gründen eine gegenseitige Bindung nicht stattfinden könne, und die deutsche Reichstagsfraktion und die französische Kammerfraktion völlig selbständig entscheiden müßten. Außerdem wäre die deutsche sozialistische Reichstagsfraktion nicht versammelt, ich sei daher nicht in der Lage, im Auftrage der Fraktion Erklärungen abzugeben. Aber auch abgesehen davon, sei eine gegenseitige Aussprache sehr erwünscht, weil eine einheitliche Haltung der deutschen und der französischen Fraktion den gleichen starken Eindruck machen würde, den in früheren Fällen die einheitliche Haltung der beiden Fraktionen machte, z. B. zuletzt noch anläßlich des gemeinsamen deutsch-französischen Manifestes gegen die Rüstungen vom 1. März 1913. Was nun die Auffassungen in der deutschen sozialdemokratischen Partei anlangt, so seien diese über die Abstimmung der Kriegskredite geteilt. 1870 hätte zu Kriegsbeginn ein Teil der Sozialisten sich enthalten und ein Teil hätte im Reichstag für die Kriegskredite gestimmt. Das würde diesmal sicher nicht eintreten, sondern die Fraktion würde ein einheitliches Votum abgeben. Vor meiner Abreise habe eine Besprechung mit Mitgliedern des Parteivorstandes und des Fraktionsvorstandes stattgefunden, in der die Meinungen geteilt waren, aber über einen bestimmten Vorschlag keine Entscheidung getroffen worden sei. Soweit ich persönlich die Stimmung in den Fraktionskreisen kenne, wolle eine starke Strömung in der Fraktion gegen die Kriegskredite stimmen, ein Teil würde bereit sein, in Rücksicht auf die von Rußland drohenden großen Gefahren für die Kriegskredite zu stimmen, und ferner sei intern in Parteikreisen auch die Frage der Stimmenthaltung schon diskutiert worden.

Sembat dankte für diese Ausführungen im Namen der Partei und bemerkte: Auch die französische Partei halte eine solche gegenseitige Aussprache für sehr wertvoll, und es sei dankenswert, daß ich unter den obwaltenden schwierigen Verhältnissen nach Paris gekommen sei, um mit den französischen Genossen über die Situation zu beraten. Jaurès habe bis in die letzten Stunden seines Lebens seinen Einfluß auf die französische Regierung im Sinne des Friedens geltend gemacht, und die französische Partei habe die Überzeugung, daß die französische Regierung auf Rußland im Sinne des Friedens einwirke. Was die Frage der Kriegskredite anbetrifft, so sei auch in Frankreich die Kammerfraktion nicht versammelt. Auch die französische Kammerfraktion würde, wenn ein Krieg ausbrechen sollte, erst in der kommenden Woche über die Frage der Kriegskredite selbständig zu entscheiden haben. Über die heutige Aussprache würde der Fraktion nach ihrem Zusammentritt berichtet werden. Sembat regte dann an, ob man nicht im Deutschen Reichstag und in der französischen Kammer eine Erklärung gleichen Inhalts abgeben könne. Das Manifest vom 1. März 1913 habe doch gute Dienste getan.

Ich erwiderte, daß ich es in der gegenwärtigen Situation nicht für möglich hielte, eine Fassung für eine gemeinsame Erklärung zu finden, die dem gerecht werden könnte, was die Fraktionen der beiden Länder in dieser im einzelnen noch gar nicht übersehbaren Situation zu sagen hätten. Außerdem sei es meiner Auffassung nach technisch ganz unmöglich, sich in etwa zwei Tagen über eine gemeinsame Formulierung zu verständigen. Der Telegraphendraht zwischen Frankreich und Deutschland scheine schon gesperrt zu sein, es sei ja überhaupt fraglich, ob ich bis zum nächsten Montag nach Berlin zurückkommen könne, nachdem in Frankreich bereits die allgemeine Mobilmachung angeordnet sei.

Renaudel war wegen der vorgeschlagenen gemeinsamen Erklärung ganz meiner Meinung. Er meinte ferner: Die Lage der französischen und der deutschen Sozialdemokratie sei auch nicht ganz dieselbe. Die französischen Sozialisten würden von ihrer Regierung über die diplomatischen Vorgänge völlig auf dem Laufenden gehalten, in Deutschland sei das nicht der Fall. Wenn Frankreich, dessen Volk und dessen Regierung den Frieden wolle, von Deutschland angegriffen werden sollte, so müßten die französischen Genossen für das Kriegsbudget stimmen, weil dann dem angegriffenen Frankreich die Mittel zu seiner Verteidigung gewährt werden müßten. In einer solchen Situation könnten sich die französischen Genossen nicht der Stimme enthalten. Die deutschen Genossen wären, wenn Deutschland der Angreifer wäre, in einer anderen Lage. Sie könnten deshalb eventl. gegen die Kriegskredite stimmen.

Ich erwiderte, daß die Frage, ob ein Krieg ein Angriffs- oder ein Verteidigungskrieg sei, beim Ausbruch eines Krieges nicht immer klar zu entscheiden sei. Die Tatsache der Kriegserklärung allein könne nicht dafür maßgebend sein, ob ein Angriffskrieg vorliege. Würde es zu einem großen europäischen Kriege kommen, so habe dieser seine letzten Wurzeln in der kapitalistisch-imperialistischen Expansionspolitik und in dem seit Jahrzehnten in allen Ländern gleichmäßig betriebenen Wettrüsten. Außerdem sei noch in Betracht zu ziehen, daß dieser Krieg sicherlich automatisch auf andere Länder übergreifen würde, weil sich die europäischen Großmächte in zwei Allianzgruppen geschlossen gegenüberständen.

In der auf diese Erklärungen folgenden längeren Debatte wurden in der Hauptsache die Gründe erörtert, die einen Teil der deutschen Genossen bestimmen könnten, gegen die Kriegskredite zu stimmen, und ferner wurde darüber diskutiert, ob eventl. eine einheitliche Haltung der Fraktionen der beiden Länder im Sinne einer Enthaltung in Betracht kommen könne. Die Gründe, die von deutscher Seite für die Abstimmung zugunsten der Kriegskredite angeführt werden konnten, traten in der Debatte zurück, weil sie in derselben Linie lagen, wie die Gründe, die die französischen Genossen für ihr Votum zugunsten der Kriegskredite anführten. Unter den französischen Genossen schien gar keine Stimmung dafür vorhanden zu sein, gegen die Kriegskredite zu stimmen. Unsere französischen Genossen sahen, für den Fall, daß Frankreich in den Krieg einbezogen würde, Frankreich als das vom deutschen Militarismus angegriffene Land an und meinten, daß sich Frankreich deshalb in einer anderen Situation befände als Deutschland. Sie meinten, daß die französische Partei für die Kriegskredite stimmen müsse, weil die freiheitlichen Traditionen Frankreichs bei einem Angriff des deutschen Imperialismus gefährdet seien und die französische Republik dann den Kampf um ihre Existenz zu führen haben würde. Die Vertreter des rechten und des linken marxistischen Flügels der französischen Partei waren sich darin ganz einig; sie betrachteten die Frage hauptsächlich unter dem Gesichtspunkte einer gewaltigen Offensivinvasion des deutschen Militarismus und glaubten, in dieser Situation müsse die Partei dem französischen Vaterlande die Mittel zu seiner Verteidigung bewilligen.

Als ein Genosse während dieser Debatte in besonders scharfer und erregter Weise zum Ausdruck brachte, daß man in Frankreich ganz allgemein Deutschland die Schuld geben würde, wenn es zum Kriege käme, vertrat ich diesem Genossen gegenüber ebenso entschieden als deutsche Auffassung folgenden Standpunkt:

Die deutschen Sozialisten seien gewohnt, ihrer Regierung in schärfster Weise die Wahrheit zu sagen. Wir seien in der Internationale dafür bekannt. Wir hätten in der letzten Zeit noch in aller Öffentlichkeit unserer Regierung die heftigsten Vorwürfe gemacht, weil sie vor Absendung des österreichischen Ultimatums an Serbien sich nicht genügend um diese auch Deutschland berührende Frage gekümmert habe. Aber das sei eine Sache, die jetzt nicht mehr zu ändern sei, und nun stehe es so, daß die größte Gefahr von Petersburg drohe. Wenn es der panslawistischen Kriegspartei gelänge, die allgemeine russische Mobilmachung durchzusetzen, sei der Krieg nicht zu vermeiden. Wir hätten die feste Überzeugung, daß Wilhelm II. und Bethmann Hollweg aufrichtig für die Aufrechterhaltung des Friedens arbeiteten. Ich sei in der letzten Woche in Mittel- und Süddeutschland gewesen, nachdem das österreichische Ultimatum an Serbien bereits bekannt war und man mit der Kriegsmöglichkeit bereits rechnete; ich hätte aber nirgends ein böses Wort gegen Frankreich gehört. Aber allgemein und bis weit in die Kreise der Partei hinein sei man in Deutschland der Auffassung, daß Rußland die Schuld treffen würde, wenn es jetzt zum Weltkrieg käme, und daß Frankreich in der Lage sei, den Weltkrieg zu verhindern, wenn es in Petersburg einen genügenden Druck für Aufrechterhaltung des Friedens ausüben würde.

In der Debatte mußte ich bei Schilderung der verschiedenen Tendenzen und Strömungen, die nach meiner Auffassung in der deutschen Partei vorhanden waren, die Gründe, die gegen eine Bewilligung der Kriegskredite sprachen, stark betonen, weil diese Gründe in der französischen Partei gar kein Echo fanden, aber dennoch in Rechnung gestellt werden mußten, bei den Bestrebungen, eine einheitliche Haltung in beiden Ländern herbeizuführen. Insbesondere mußte mein Bemühen dahin gehen, festzustellen, ob auch nur einige Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden war, daß die Fraktion in Frankreich für eine Enthaltung zu haben sein würde. Da von Tendenzen und Strömungen die Rede war, fand keinerlei Festlegung statt. Ich sagte in allem nur meine persönliche Meinung und betonte, daß ich selbst nicht der Fraktion angehöre und in der Beurteilung der Stärke der einzelnen Tendenzen in der Fraktion auf meine allgemeine Kenntnis von der Haltung der Fraktionsgenossen in taktischen Fragen angewiesen sei. Ich hatte bei diesen Unterhaltungen über die Frage der Enthaltung den Eindruck, daß einzelnen Genossen diese Debatte über die Enthaltung schon bedenklich schien. Es entstand deshalb die Frage, ob die deutsche Partei schließlich nicht für die Kriegskredite stimmen würde. In diesem Zusammenhange sagte ich, als meine persönliche Meinung, daß bei einer Aussicht auf eine gemeinsame Enthaltung in beiden Parlamenten ich es für ausgeschlossen hielte, daß die deutsche Fraktion für die Kriegskredite stimmen würde.

Huysmans war der Meinung, daß für Deutschland eine Enthaltung deshalb in Betracht kommen könne, weil Deutschland, Frankreich und Rußland gegenüber in verschiedener Lage sei und die deutsche Fraktion auf das Verhalten Rußlands Rücksicht nehmen müsse.

Sembat faßte den Meinungsaustausch dahin zusammen, daß man angesichts der verschiedenen Strömungen, die in der deutschen Partei vorhanden seien, auch in der französischen Kammerfraktion Stimmenthaltung vorschlagen wolle, damit man vielleicht auf diesem Wege zu einer einheitlichen Haltung der französischen und der deutschen Fraktion käme. Sembat erklärte jedoch ausdrücklich, daß eine dahingehende Bindung nicht möglich wäre, da der Fraktion die Entscheidung vorbehalten bleiben müsse. Ich erklärte hierzu gleichfalls, daß auch ich keine Vollmacht hätte, die deutsche Fraktion zu binden, die über ihre Haltung nächste Woche zu entscheiden hätte.

Ich glaubte, aus der gesamten Situation heraus eine solche Erklärung abgeben zu können, da ich damals sehr stark mit der Möglichkeit rechnete, daß die Fraktion zu einer Enthaltung kommen würde. Ich habe zur damaligen Zeit die Stärke der Gegner der Bewilligung überschätzt und nahm weiter nicht an, daß für eine Enthaltung in der Fraktion gar keine Stimmung vorhanden sein würde.

Die vorliegenden Ausführungen wurden zum großen Teil wiederholt gemacht, da in Paris zwei Besprechungen stattfanden, die erste im Palais Bourbon, die zweite in der Redaktion der »Humanité«. Die letztere fand statt, weil noch eine Reihe Genossen, die bei der ersten nicht sein konnten, zugezogen werden sollten; so waren bei der zweiten Albert Thomas und Compère-Morel, während Guesde und Vaillant zu beiden nicht kommen konnten.

Der Verlauf der gesamten Debatte ließ keinen Zweifel darüber, daß die französische Fraktion in der Kammer für die Kriegskredite stimmen würde. Ich habe in der deutschen Reichstagsfraktion dann auch berichtet, daß ich diesen festen Eindruck mitgenommen hätte.

Ich verließ Paris noch in der Nacht, nachdem vereinbart war, daß die Besprechung diskret bleiben soll. Unsere französischen Genossen wollten mich, um meine Rückkehr nach Deutschland zu sichern, auf Vorschlag Longuets mit einem französischen Paß versehen; ich lehnte es jedoch ab, daß deswegen Schritte bei Viviani unternommen würden.

Der vorstehende Bericht ist am 8. März 1915 niedergeschrieben, nachdem Renaudel sich über meinen Besuch in der »Humanité« vom 26. Februar 1915 ausgelassen hatte. Er ist aus dem Gedächtnis niedergeschrieben, weil angesichts der prekären Situation während der Reise Notizen nicht gemacht werden konnten.

Ich wäre wahrscheinlich aus Frankreich nicht mehr herausgekommen, wenn ich nicht bei meiner Festhaltung in Maubeuge als Grund angegeben hätte, daß ich zur Beerdigung von Jaurès nach Paris gekommen wäre und auf Rat meiner französischen Freunde angesichts der Situation Frankreich vor der Beerdigung wieder verlassen hätte.


Nach dem Bericht Müllers wurde die Debatte fortgesetzt. Über den weiteren Verlauf der Aussprache habe ich in meinem Tagebuch folgende Aufzeichnungen gemacht:

Es sprachen im Namen des Vorstandes: David für Ja, Haase für Nein. Dann ging es in dieser Reihenfolge weiter: Molkenbuhr ja, Ledebour nein, Fischer ja, Lensch nein, Kautsky ja (mit Kautelen), Liebknecht nein, Cohen ja, Herzfeld nein, Frank ja. Dann wurde Schluß gemacht. Auf der Rednerliste standen noch Ströbel vom Vorwärts für Nein, alle anderen waren für Ja gemeldet: Stolten, Scheidemann, Landsberg, Bernstein, Blos, Silberschmidt, Zubeil, Stadthagen, Hoch, Dittmann, Davidsohn, Frohme, Goehre, Schöpflin, Wels. Bei der Abstimmung waren 14 Abgg. für Ablehnung, alle übrigen für Annahme der Kredite. Anwesend waren insgesamt 92 Kollegen. – Es wurde dann eine Kommission gewählt, bestehend aus Kautsky, David, Hoch, Wels und Frank, die bis zum andern Morgen eine entsprechende Erklärung verfassen sollte. Als Grundlage diente unsere (Davids) Formulierung und die von verschiedenen Seiten eingebrachten Änderungsvorschläge (von Kautsky, Stadthagen usw.). – Die Fraktion akzeptierte dann das Hoch auf Kaiser, Volk und Vaterland. Mehrfach wurde verlangt, nicht mit Hoch zu schreien, sondern stillschweigend aufzustehen. Eine Debatte darüber gab es nicht mehr …

Den Prinzen Schönaich-Carolath, der die Erklärung von mir, wie verabredet war, verlangte, mußte ich auf den andern Morgen vertrösten. Ich tat das gleiche gegenüber Erzberger, von Westarp und Kaempf. Mit letzterem besprach ich den Wortlaut der von ihm nach dem Kanzler zu haltenden Rede. Ich erklärte mich mit seinen Vorschlägen einverstanden, und Kaempf hat dann im Reichstage so geredet, wie er es versprochen hatte.


Der Bruch der belgischen Neutralität und die Internationale.

Die von der Fraktion beschlossene, von Haase am 4. August 1914 im Reichstag abgegebene Erklärung ist so oft veröffentlicht worden, daß ich sie hier nicht anzuführen brauche. Ausdrücklich will ich aber feststellen, daß nach der Rede des Reichskanzlers am 4. August eine Pause gemacht worden ist, in der die Fraktionen tagten. In der sozialdemokratischen Fraktion machte Ledebour erheblichen Lärm, weil einige Abgeordnete während der Rede Bethmann Hollwegs Bravo gerufen haben sollten. Von Belgien sprachen weder Ledebour noch Liebknecht, noch irgendein anderer, obwohl der Kanzler den Einfall in Belgien ausdrücklich festgestellt hatte. Die kleinliche Krakeelsucht einiger Fraktionsmitglieder war daran schuld, daß die größte und wichtigste Frage vollkommen vergessen wurde und gänzlich unerwähnt blieb.

Auf die sozialdemokratischen Parteien der neutralen Staaten hatten die Meldungen über den Einfall in Belgien und besonders über die Zerstörungen in Löwen furchtbare Wirkungen ausgeübt. Wir erkannten sofort, daß dieser Umschlag der Stimmung für Deutschland äußerst gefährlich werden konnte. Da nicht nur in den skandinavischen Ländern, sondern besonders in Italien und Holland auch die sozialdemokratischen Zeitungen eine uns sehr unfreundliche Stellung einnahmen, wurden Wilhelm Jansson nach Stockholm, Dr. Südekum nach Italien und ich nach Holland geschickt. Wir sollten auf unsere Parteipresse einwirken, damit sie sich strengerer Neutralität befleißige. Jansson konnte in Stockholm nicht sehr viel ausrichten, weil Branting von Beginn des Krieges an sehr ententistisch gesonnen war. Südekum wurde telegraphisch zurückgerufen, nachdem er längere Zeit nichts hatte von sich hören lassen. Seine Mission wurde von den italienischen Sozialisten sehr unfreundlich aufgenommen; erreicht wurde in Italien nicht das geringste. Mehr Glück hatte ich in Holland. Die dortigen Genossen waren zwar auch sehr wenig erbaut von dem Einfall in Belgien, beurteilten ihn vielmehr als ein schweres Verbrechen. Trotzdem versprachen sie nicht nur, sondern hielten dann auch in ihrem Parteiblatt »Het Volk« ihre Neutralität.

Schwierigkeiten ähnlicher Art waren im Verlaufe des Krieges der sozialdemokratischen Partei in Hülle und Fülle erwachsen. Sie darzustellen, würde den Umfang dieses Buches zu sehr vergrößern. Sie tauchen aber bei der Schilderung der hauptsächlichsten Vorgänge immer wieder auf, sie beherrschen den ganzen Verlauf der Stockholmer Konferenz, wie sie heute noch im Verhältnis einzelner sozialistischer Parteien zur deutschen Sozialdemokratie eine Rolle spielen. Wieviel Verständnis uns und unsrer schwierigen Lage aber auch entgegengebracht worden ist, wird aus der Darlegung zahlreicher Verhandlungen mit neutralen Parteifreunden hervorgehen.


 << zurück weiter >>