Johann Georg Scheffner
Gedichte
Johann Georg Scheffner

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Die glücklich behobne Besorgnis

                  Es war einmal, doch wo, das weiß ich nicht gewiß,
Die Sintflut hat ohndem den Ort längst weggespület,
Ein Mädchen, das mit Recht ein Wundermädchen hieß.
Weil noch ihr Mund, den man seit achtzehn Jahren pries,
Die Süßigkeit des Honigs nicht gefühlet,
Den Adam einst in Evens Körbchen trug.
Sie war so reich als schön und hatte Freier g'nug.
Allein, da sie beim Antrag jeden frug,
Wie groß der Finger sei,
Den man gebraucht zur echt'sten Stickerei,
So wollte, weil die Herrn aus Freiersprahlerei
Des Dinges Maß und Ziel vergaßen,
Kein einziger in ihren Fingerhut,
Den sie durchaus nicht wollte weiten lassen,
So recht bequem nach ihrem Sinne passen.
Wie wird nicht der Bedenklichkeit
Manch sehr honettes Dämchen lachen,
Das, salva fama, jungfräuliche Schüchternheit
In solchem Fall wohl nie die mind'ste Bangigkeit
Den Bräut'gam merken läßt, ihn nicht timid zu machen.
Doch Amor, der nicht eher ruht,
Bis Mädchen Hand und Fingerhut
Und alles ihm geopfert haben,
Bracht den Amint auf eine List. Er meld'te sich
Und sprach: »O Schöne, wähle mich!
Dreifach hab ich, was andre einfach haben,
Und hoff gewiß, die kleinste dieser Gaben
Wird wie für dich gemacht so passend sein.«
Zugleich reicht er den Riß von allen dreien ein.
Sie nimmt die Zeichnungen in hohen Augenschein
Und wählt, hier hör ich schon manch keusches Mädchen schrein:
»Sie wählt Aminten, denn das Dreifach ist behäglich
Und solche Wahlgelegenheit nicht täglich.«
Allein, Madames, mit Gunst gesagt,
Nicht weil das Dreifach ihr behagt,
Nein, weil er eidlich zugesagt,
Sich ganz allein des kleinsten zu bedienen.
Bloß aus der Ursach' wählt das gute Kind
Sich ihn, und der gefällige Amint
Nahm auch den kleinsten nur von ihnen.
Man fand ihn hübsch, der Fingerhut ward feucht
Und Fiekchen zischelte: »Den größeren, vielleicht
Paßt der wohl auch.« Er nimmt den Mittelfinger
Und kitzelt frisch den Liebeszwinger.
Da wurde aus Erkenntlichkeit
Der Rand des Ringchens ziemlich weit.
»Ach Bester«, seufzt sie jetzt, »dir kann ich nichts versagen,
Wenn dir's gefällt, so magst du auch den größten wagen.«
Kaum sprach sie so, so stak er schon im Ziel,
Vermehrte da der Lüsternheit Gefühl,
Drang weit empfindlicher zum Herzen,
Und Wollust half die kleine Pein verschmerzen,
Indem sie Balsam, der wie Milch und Honig floß,
In Fiekchens Rosenwunde goß.
Das weichliche, gutherzige Kind zerfloß
Und starb vor Lust, doch bald, erweckt von neuen Flammen,
Schien jetzt der Fingerhut ein niedlicher Pokal,
Und leise sprach sie: »Ach Amint, ach, noch einmal,
Und wenn du kannst, bind' alle drei zusammen!«

 


 


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